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Kunst, sondern strebten am liebsten den Alten nachzu- | ahmen.

Am meisten prägt sich dies aus bei den Söhnen jener Meister selbst. In Düsseldorf fängt die Malerei förmlich an, erblich zu werden. Wenn der Vater starb, so hinterließ er außer dem Namen und den Malutensilien dem Sohn vielleicht auch noch ein bischen Talent. Und dieser sagte sich, daß es schließlich noch das Gescheiteste sei, das Geschäft des Vaters fortzuseßen. So kann es einem allzuoft passiren, daß man in den Salons bei Schulte, Morschhäuser oder in der Kunsthalle auf Namen stößt von einst bekannten, nun aber mehr oder weniger vergessenen Meistern. Und während man ganz erstaunt den Kopf schüttelt, daß der alte Herr noch immer den Pinsel nicht aus der Hand gelegt hat, entdeckt man plöß lich, daß ein junior hinter dem Namen steht. Ein ganzes Menschenalter liegt zwischen diesen Schöpfungen und jenen andern. Aber diese Söhne fangen meist da an, wo ihre Herren Väter aufgehört haben, sie geben die Vollendung ins Greisenhafte. Solcher uralter Söhne veralteter Väter gibts eine ganze Unzahl und leider spielen fie durch ihre Stellung eine Hauptrolle in der Gesellschaft. Aber trotzdem würde eine geschlossene Welt von Künstlern sich herangebildet haben, wenn es nur eine Pflanzstätte gegeben hätte, auf der Talente in reinem Wachstum der Kunst sich entwickelten und vollendeten.

Aber die Stätte, der folches oblag, entsprach durch aus nicht ihren Anforderungen.

Wenn man durch den Hofgarten zum Rhein hinunter schlendert, so hat man von der schönen Aussicht“ aus den Blick auf die ungeheure nackte Fassade eines fabrikähnlichen Gebäudes. Das ist die düsseldorfer Akademie. Als sie gegründet wurde, muß Mars am Himmel grimmig gefunkelt haben, denn so lange sich denken läßt, hat immer mehr Zersplitterung und öder Streit dort geherrscht als fröhliches Lehren in gedeihlichem Zusammen wirken.

Augenblicklich untersteht sie nicht einem Direktor, aber zwei Professoren sind die einflußreichsten und bedeutendsten Lehrer.

Der Name des ersteren, Eduard von Gebhard, ist durch den Ruhm seiner Bilder überallhin, wo man echte Kunst zu schäßen wußte, getragen worden. Auch in dem Auch in dem katholischen Düsseldorf ist dieser streng protestantische Maler als eine fremdartige, aber gewaltige Erscheinung anerkannt und bewundert. Aber an der Akademie steht er als Lehrer einsam da. Mag er zu spröde sein, zu ernst und schroff, Schüler hat er nur ganz wenige heranzuziehen vermocht, und seine Säle stehen meistens leer.

Von der künstlerischen Bedeutung des zweiten, des Profeffor Peter Janssen, kann selbst der in Düsseldorf Einheimische fich nur eine höchst nebelhafte Vorstellung machen. Denn nach jenem vor langen Jahren ausgestellten Kolossalgemälde „Die Erziehung des Bacchus“, das ein Fiasko erlebte selbst bei seinen Jüngern, hat Janssen kaum noch etwas auf öffentlicher Ausstellung dem Urteil der Kunstverständigen unterbreitet. Es gibt nur ein größeres Bild von ihm in der Kunsthalle: „Die Schlacht bei Morringen." Im übrigen zieht er es vor, in entlegenen Städten Ratshäuser mit den Erzeugnissen seines Pinsels zu füllen, die der Bewunderung der Gevatter Stadtverordneten und einzelner spärlicher Touristen, wenn etwa welche sich dorthin verirren, sicher find.

Dafür aber ist sein Einfluß auf die Gestaltung der düsseldorfer Kunst ungeheuer. Er ist gewissermaßen ein Anton von Werner der Provinz. Nicht solch ein fein sohliger, schmiegsamer Diplomat wie dieser, sondern mehr ein energischer Gradedurch, der das erreicht, was er erreichen will. Aber beiden gemeinsam ist das Organisations=

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talent und die Fähigkeit, bei allem die Hand im Spiel zu haben. Hört man in Düsseldorf von irgend einem größeren Staatsauftrag, von der Beseßung einer Stelle, fast immer wird der Name Peter Janssens dabei genannt. Das ist an sich sehr gut, auch hat es zu allen Zeiten der Kunst solche Männer gegeben. Und wäre er nur ein ebenso großer und reiner Kunstschöpfer, wie er ein resoluter Machthaber ist, sein Einfluß würde gewiß in dem Maße fruchtbar sein, wie er jest unheilvoll ist. Die meisten derer, die augenblicklich die Zukunft der düsseldorfer Kunst in Händen haben, sind seine Schüler. Es sind viele Talente darunter. Und man muß ihm nachsagen, daß er für die Seinen gesorgt hat. Nur schlimm, daß dadurch die jungen Maler so schnell ins Geldverdienen hineinkommen. Ihr Wagemut wurde gebrochen, fie lernten philisterhaft nach rechts und links schauen. Und die Kunst fam bei alledem zu kurz.

Nun soll seit etwa fünf Jahren eine Wandlung zum Befferen eingetreten sein. Es geht die Mär von einem gewaltigen Krach zwischen Jungen und Alten, unter dem fogar der Malkasten" aufzufliegen gedroht haben soll. Ich denke mir, daß es mit dieser Bewegung wie mit jedem Enthusiasmus in Düsseldorf gewesen ist. Man begeistert sich, schäumt über, schießt fausend Notraketen ab, entflammit in tausendfachem Wagemut dann bimmelt irgendwo ein Büßerglöckchen und alles murmelt: Miserere nostram Domine!

Nur eine kleine Errungenschaft haben die allerleßten Jahre gebracht: die Ausstellerverbände, von denen die Freie Vereinigung düffeldorfer Künstler" der bedeu= tendste ist.

Aber warum diese Vereinigung sich eine freie" nennt, ist mir unerfindlich. Vielleicht weil jedem der Zutritt freisteht? tritt freisteht? das ist nicht möglich, denn die Zahl der Mitglieder ist auf etwa sechzig beschränkt und man muß zugestehen, daß bis jezt jene arge Talentlosigkeit, die sonst die Wände der Kunstsalons füllte, daraus ferngehalten ist.

Aber vielleicht fühlen die Mitglieder sich wirklich als die Freien, die jenseits der gewohnten Gleise neue, kühnere Bahnen der Kunst einzuschlagen gewillt find. Nun, dann hat man wirklich einen merkwürdigen Begriff von der Freiheit in Düsseldorf und macht von ihr einen allzu bescheidenen Gebrauch.

Die lette im März d. I. bei Schulte veranstaltete Ausstellung erinnerte mich lebhaft an die des berliner Künstler-Westklub." Sehr viel Hübsches, sehr viel Talentvolles, einige keck geschaute Landschaften, und im übrigen das alte, allzuoft Genossene.

Nur ein einziges Bild hat mir einen großen Eindruck hinterlassen. Es stammt von einem alten Meister, der allzu lange schon geschwiegen, von Wilhelm Sohn.

Er nennt es Fragment zu einem größeren Bild." Seit zehn Jahren, seit dem Tode seiner Frau, foll er mit diesem größeren Bilde sich tragen. Nun gibt er uns wenigstens ein Stück davon.

Ein in Schönheit sterbendes junges Weib; die schreckliche Magerkeit der Glieder durch Spigen verhüllt; den brechenden Blick auf einen Pokal gerichtet, den ein finsterer hagerer Priester ihr reicht. Wie viel Verlangen, wie viel Angst liegt in dem weitgeöffneten Auge, das der Tod gleich erstarren wird. Halbverlöschende Kerzen mit bernsteingelber Flamme ziehen schon ihre bläulichen Gespinste über das bleiche Antliß. Und bald wird alles dunkel sein...

Das Bild ist klein. Aber ich kann mir nicht helfen, durch seine Größe erdrückte es alle andern. Es wirkte unter all den Halbheiten wie eine bescheiden stille, aber reine Tat. Der Katalog der Freien Vereinigung" ist in einen revolutionär roten Umschlag gehüllt. Auf seiner Vorder

seite prangt die Inschrift: Natura Artis Magistra.

Erstaunlich, zu welch überraschenden Wahrheiten man in den letzten Jahren gediehen ist! Jedenfalls hat man damit bewiesen, daß der Düsseldorfer seine Grammatik und seine Schulweisheit so leicht nicht vergißt.

Die Kehrseite der Medaille ist leider unsichtbar. Was mag daraufstehn? Vielleicht: „Die Kunst geht nach Brot?"..

Drei Parabeln.

Von

Graf Leo Tolstoj.

Aus dem russischen Original übersezt von Adolf Garbell.

II.

Die gefälschten Lebensmittel.

Die Menschen handelten mit Mehl, Butter, Milch und jeglichen Lebensmitteln. Jeder von ihnen bemühte sich, den grösten Vorteil aus diesem Handel zu ziehen und schnellstens reich zu werden.

Doch es wollte nicht so recht von statten gehen. Da begannen die Menschen, um beffer mit einander wetteifern zu können, ihre Waren durch verschiedene billige und schädliche Zufäße zu_fälschen.

In das Mehl tat man leie und Kalk, in die Butter Margarine und in die Milch Wasser und Kreide. So lange diese Waaren nicht in die Hände der Konsumenten kamen, ging die Sache ganz gut.

Die Engroshändler verkauften ihre Artikel den Kleinhändlern und diese den Krämern.

Es gab eine Menge von Speichern, Magazinen, Läden, und der Handel schien sehr flott zu gehen. In der Tat waren die Kaufleute auch sehr zufrieden. Die Konsumenten aber, die ihren Bedarf nicht selbst produzirten, sondern gezwungen waren, die Lebensmittel zu kaufen, waren durchaus nicht erfreut, weil sie in jeder Weise den Schaden davon hatten.

Das Mehl war schlecht, die Butter und die Milch nicht minder, aber da man auf den Märkten in den Städten eben nur gefälschte Waren erlangen konnte, sahen sich die Städter gezwungen, ihren Bedarf mit diesen zu decken.

Mit der Zeit schrieben sie den Misgeschmack und ihr Uebelbefinden nur sich und der schlechten Speisebereitung zu.

Die Kaufleute fuhren ruhig fort tüchtig zu verkaufen und mischten zu den Lebensmitteln immer mehr von fremden, billigen Stoffen.

Das dauerte so eine ziemlich lange Zeit. Die Stadtbewohner litten alle darunter, aber niemand von ihnen entschloß sich, seine Unzufriedenheit laut werden zu lassen.

Eine Frau aber, die auf dem Lande gelebt und ihre Familie immer mit ihren eignen Lebensmitteln versorgt hatte, mußte in die Stadt ziehen.

Sie hatte sich ihr ganzes Leben lang mit der zu bereitung von Speisen beschäftigt und es, wenn auch nicht zur berühmten Köchin, doch so weit gebracht, daß fie gut Brot zu backen verstand und ein schmackhaftes Effen kochen konnte.

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Als sie sich nun mit ihrer Familie in der Stadt befand, kaufte sie daselbst Vorrat ein und begann davon zu kochen und zu backen.

Die Brote aber wurden nicht gar, die Pfannkuchen in der Margarine-Butter nicht schmackhaft, sie stellte ihre Milch auf, ohne Sahne davon zu erhalten. Sofort erriet die Wirtin, daß die dazu verwendeten Lebensmittel nicht gut seien. Sie untersuchte sie und ihre Mutmaßungen bestätigten sich. Denn im Mehl fand fie Kalk, in der Butter Margarine und in der Milch Kreide.

Nachdem sie sich nun überzeugt, daß alle Lebensmittel gefälscht seien, begab sie sich auf den Markt und begann laut die Kaufleute zu überführen und von ihnen zu fordern, daß sie in ihren Magazinen entweder gute und unverdorbene Waren feil hielten oder ihre Buden schlöffen und zu handeln aufhörten.

Die Kaufleute jedoch schenkten ihren Klagen nicht die geringste Beachtung, sondern behaupteten sogar, daß ihre Waren die besten seien, daß die Bewohner der Stadt sie schon so viele Jahre kauften und daß sie dafür__sogar Medaillen erhalten hätten, deren Abbildungen auf ihren Aushängeschildern zu sehen seien.

Aber die Frau ließ sich nicht beschwichtigen.

„Nicht eure Medaillen brauche ich," sagte fie, „sondern gesunde Nahrung, von deren Genuß meine Kinder keine Leibschmerzen bekommen".

Sie haben wol, meine Verehrteste, unverfälschtes Mehl und Butter noch nie gesehen?", sagten die Kauf. leute und zeigten dabei auf das weiß schimmernde Mehl in den lakirken Mehlkästen und auf den gelben Stoff, der Butter darstellen sollte und auf schönen Tellern lag.

Auch die weiße Flüssigkeit in den glänzenden, durchfichtigen Gefäßen, die sie für Milch verkauften, zeigten sie ihr.

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„Das muß ich besser wissen“, erwiderte die Frau, denn mein ganzes Leben lang habe ich selbst meine Vorräte, die ich für unsre Speisen brauchte, hergestellt; die eurigen aber find verdorben. Da habt ihr einen Beweis," fuhr sie fort, ihnen das verdorbne Brot, die Pfannkuchen und den Bodensatz der Milch hinhaltend. Eure Waren sollte man alle in den Fluß werfen oder verbrennen und statt ihrer unverfälschte anschaffen!"

Und die Frau hörte zu lamentiren nicht auf, stand vor den Buden, den herbeikommenden Käufern ihre Klagen zurufend, so daß diese endlich verwirrt wurden.

Als die Kaufleute nun sahen, daß diese „freche" Fran ihren Handel am Ende doch beeinträchtigen könnte, sprachen sie zu ihren Kunden: Sehen Sie doch, meine Herrschaften, welch unsinniges Weib das ist, fie möchte alle Welt verhungern laffen, denn sie empfiehlt alle Lebensmittel in den Fluß zu werfen oder zu verbrennen. Wo von solltet ihr leben, wenn wir auf fie hören und euch unsre Vorräte vorenthalten würden? Beachtet sie nicht, das grobe Dorfweib, das nichts von Speisen versteht und nur aus Neid über uns herfällt. Sie ist arm und ver langt, daß alle andern eben so arm wie sie selbst seien."

So sprachen die Kaufleute zu der sich allmälig ansammelnden Menge und verschwiegen dabei vorfäßlich, daß die Frau ja nicht die Vernichtung der Lebensmittel, sondern nur den Ersaß der gefälschten durch gute forderte.

Es dauerte auch nicht lange und die Menge begann auf die Frau einzustürmen und sie zu beschimpfen. Nichts half ihr, wie sehr sie sich auch bemühte den Leuten zu ver sichern, daß sie nur die gefälschten Lebensmittel vernichtet wissen wollte, daß sie sich ihr ganzes Leben lang mit der gleichen Dingen beschäftigt habe, gute Ware von ver dorbner sehr gut zu unterscheiden wisse und nur verlange, daß Leute, denen die Verpflegung der Menschen obliegt,

deren Nahrung nicht durch schädliche Beimischungen vergiften, sondern nur gesunde Waren führen.

Doch wie gesagt, alles Reden half nichts, man stürmte nur noch mehr auf sie ein, denn es hatte sich die Meinung gebildet, daß fie die Menschen der für sie so unentbehrlichen Lebensmittel berauben wolle.

*

*

So erging es auch mir, hinsichtlich meiner Stellungnahme zu den Wissenschaften und Künften.

Mein ganzes Leben lang habe ich mich mit dieser Speise genährt und mich bemüht auch die andern, so viel ich nur fonnte, ob gut oder schlecht, damit zu ernähren. Und da dieselbe für mich eben nur Nahrung, aber kein Handels- oder Lurusgegenstand ist, so weiß ich zweifels ohne, wann diese Nahrung in Wahrheit eine solche ist oder nur einer solchen ähnelt.

Als ich mit dieser Kost, die jetzt auf dem Markt als Wissenschaft und Kunst verkauft wird, mir teure Menschen zu nähren versuchte, fand ich bald, daß diese Speise zum großen Teil verfälscht sei.

Und da konnte ich mich nicht enthalten zu sagen, daß diese Kunst und Wissenschaft, mit der man auf dem Markte der geistigen Arbeit feilscht, Margarine sei oder doch wenigstens große Beimischung von Stoffen enthalte, die wahrer Wissenschaft und Kunst fremd sind, und daß ich weiß, wie diese von mir gekauften Geistesprodukte sowol für mich, als auch für meine Nächsten nicht nur ungenießbar, sondern geradezu schädlich sind.

Da begann man auf mich los zu stürmen und los zu schimpfen und mir entgegenzuschreien, daß es nur daher fomme, weil ich nicht gelehrt sei und mich mit solch erhabenem Gegenstande nicht zu befassen verstehe.

Als ich zu beweisen begann, daß die Kaufleute einander unaufhörlich des Betruges überführten, und daran erinnerte, daß den Leuten zu alleu Zeiten, unter dem Namen Wissenschaft und Kunst viel Schlechtes und Schädliches angeboten worden und wir auch jezt nicht davor geschüßt seien, und daß mit diesem Umistande durchaus nicht zu scherzen wäre, denn geistige Vergiftung ist viel gefährlicher als förperliche, schenkte man meinen Worten feine Aufmerksamkeit. Und als ich behauptete, daß man die geistigen Produkte, die uns in Gestalt von Speise geboten würden, nur noch sorgfältiger untersuchen und alles Verfälschte und Schädliche beseitigen müsse, erwiderte mir kein Mensch in irgend einem Artikel oder Buche ein Wort darauf, sondern aus allen Buden rief man mir nur wie jener Frau zu: „Er ist ein Unsinniger! Er will die Wissenschaft und Kunst, die uns nähren, vernichten: Fürchtet ihn und hört nicht auf ihn! Hierher zu uns, zu uns, wir haben die neuesten, ausländischen Waren vorrätig!"

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Kunst- und Litterarhistoriker mindestens ungewöhnlich mit Mut allein nicht zu erklären sind; es gehört auch eine zärtliche Liebe zur Paradoxie zu ihrer Formulirung. „Das mir auffallendste Zeichen dieses neuen Geistes der Gegenwart)" schreibt Herman Grimm den ich als in späten Jahren noch neu in mich eindringendes Element beobachte, ist die Abneigung, ja Unfähigkeit, in die Erforschung des menschlichen Daseins früherer Jahrhunderte heute noch so mich zu vertiefen, wie ich in früheren Jahren getan. Was hinter dem Beginne dieses Jahrhunderts liegt, hält, wie von Mattigkeit befallen, mich nicht mehr fest. Nicht ich allein mache diese Erfahrung, auch andere, in vertrauten Gesprächen, gestehen sie als die ihrige ein. Von dem, was die vergangenen Jahrhunderte bieten, erscheinen mir nur das Christentum und sein Stifter, Homer, Shakespeare, Raffael und Goethe unberührt von diesem Verblassen. Es ist mir zuweilen, als sei man in ein neues Dasein versezt und habe nur das nötigste geistige Handgepäd mitgenommen. Als zwängen völlig veränderte Lebensbedingungen zu völlig neuer Gedankenarbeit. Wie suchte ich vor dreißig Jahren Voltaire und Friedrich, Lessing und Winckelmann, Mirabeau und Napoleon um ihrer selbst willen noch zu durchdringen, die mir heute nur insofern wichtig und auch verständlich find, als sie die heutige Zeit erklären helfen. Auf die Gegenwart konzentrirt sich meine geistige Arbeit. Sie verstehe ich, weil sie lebt. Es muß in der geistigen Weltatmosphäre sich etwas verändert haben, daß die früheren Jahrhunderte heute zu verblassen beginnen. Was nicht lebt und sich bewegt, ist tot."

Historische Antithesen waren immer Herman Grimms Stärke. Wie blendend ist diese: „Gedenke ich der Romantik, die die ersten Zeiten unseres Jahrhunderts beherrschte, so erscheint mir die heutige Zeit wie ein blühendes Kornfeld unendlichen schweigenden Gärten mit Leichensteinen gegenüber. Lenau, Uhland, Rückert, Platen und auch Heine suchten dieses Gräberfeld so dicht mit Blumen zu bepflanzen, daß es zu leben begann. Aber wenn sie die Toten zum Sprechen, ja zum Gesang neu belebten, immer erklangen wie aus Gräbern diese Stimmen, und selbst die Gegenwart schien hinunterzusteigen, um aus der Tiefe emporzureden. Den furchtbaren Druck dieser Weltanschauung hat die Gegenwart von uns genommen. Ein unbezwinglicher Drang, uns historisch bedingungslos frei zu fühlen, erfüllt die heutige Menschheit.“

Nun wird unserer Zeitgenossen allgegenwärtiges Miterleben der Weltereignisse geschildert und die Wunder der Zeitung, die dieses zu Wege bringt, werden aufgeführt, der Zeitung, die zwei so ursprüngliche weibliche Genies, wie Ada Negri und Johanna Ambrofius, aus dem Schlummer geweckt. Und Grimm fährt fort: „Was bedeuten Rom und Griechenland, dem gegenüber, heute? Wir sind freilich noch daran gewöhnt, den ungeheueren Körnerhaufen dessen, was das Altertum bietet, umzuschaufeln; und weil kein Brot daraus wird, glauben wir, es fehle an der Masse, es müsse mit noch größerer Anstrengung gesucht, gegraben und in Museen aufgestellt werden, was die Erde irgend hergibt. Aber der Glaube an die Zauberkraft dieser Sammlungen ist verloren, und die Zeiten werden bald kommen, wo man ernsthafter fragen wird, zu welchem Nußen denn mit soviel Geld diese Aufstapelungen des ewig Fragmentarischen in Szene ge= segt werden?"

Herman Grimm wird über drei Jahre siebzig. „Herman Grimm, Schriftsteller" ist und bleibt der geistreichste Professor und Geheimrat, aber auch der an unerwarteten Wendungen reichste. Und es scheint, daß ihm die Spannkraft zu neuen Wendungen nicht fehlen wird, so lange er noch vor den verschlossenen Türen der Akademie der Wissenschaften steht.

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Litterarische Chronik.

Herman Grimms moderne Seele. Einen feinen und merkwürdigen Auffat bringt Herman Grimm im Maiheft der Deutschen Rundschau". Er beschäftigt sich, dem Titel nach, mit Johanna Ambrosius, der ostpreußischen Dorfdichterin, ist aber in Wirklichkeit ein bang und frohes Selbstbekenntnis des Verfassers. Herman Grimm hat seine moderne Seele entdeckt. Und im Staunen und Schauern über diese Entdeckung wagt er Aperçus, die für einen

Am 7. Mai feiert Albert Moeser seinen 60. Geburtstag. Ein Gymnasium ist die Stätte seines Wirkens, die alten Sprachen die Quelle seiner Inspiration und das freundliche dresdner Waldtal versieht ihn mit den einem sinnigen Lyriker nüßlichen Naturanregungen. Berühmtere Genossen in Apoll haben mit ihrem Beifall sein von allen Metren Hellas verschöntes Leben freundlich und freundschaftlich begleitet: Hamerling, Lingg, Grisebach. Alle Stoffe, die

ein Lyriker füglich haben darf, nahten ihm aus dem großen Buche der Geschichte der Poesie; was je besungen, er fand noch einen hübsch geschliffenen eigenen Vers dazu. Philosophie und Geschichte, Naturgeschichte sogar, zeigten sich ihm günstig; es gab Balladen, Idyllen, Lieder, Elegien; es formten sich deutsche und griechische, spanische und italienische Maße aus dem ganzen Bereich der buchmäßig niedergelegten Schönheit drangen ihm goldige Lichter in seine von forgfältig abgewogenen Rhythmen erfüllte Philologenkammer. Er war ein liebevoller Priester alles dessen, was schon einmal Menschenbrust durchbebt: Pessimismus und Optimismus, Ideal und Leben u. s w. finden ihn gleich bereit zu verständnisvollem Ausdruck; er sah und fieht seinen Beruf darin und mag er noch lange dieser freundlichen Aufgabe erhalten bleiben —

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Zu weichen nicht dem Spotte der Verächter
Und rettend das Palladium der Dichtung -
Den Weg zu ebnen künftgen Sonnenaaren,

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Der Figaro behandelt in einem Leitartikel Le théâtre en 1900" die Frage, wie auf der kommenden pariser Weltausstellung „die dramatische Kunst würdig zu feiern sei". Der Unterrichtsminister hat zur besseren Erledigung der schwierigen Frage das Urteil von Alexander Dumas, Sardou und Jules Claretie erbeten, die fich in der Theaterkommission für die Ausstellung eingehend, besonders über die etwaige Aufnahme ausländischer Stücke in das Repertoire und über etwaige Gastspiele ausländischer Truppen äußerten

In der Kommission war vorgeschlagen worden, auf dem Ausstellungsterrain eine Art Mustertheater zu errichten, wo der Fremde die markantesten Werke der internationalen dramatischen Dichtung sehen sollte. Man wollte, neben zeitgenössischen Franzosen, 3. B. Ibsen, Maeterlinc und Oskar Wilde spielen.

Der Figaro hat nun bei den pariser fachmännischen Größen eine Enquête über dieses Thema angestellt.

Dumas findet die Lage (Champs-Elysées) nicht zentral genug, als daß selbst eine Musterbühne dort floriren könnte. Im übrigen ist er im Prinzip dagegen, daß man in Paris fremde Stücke durch fremde Schauspieler darstelle. „Der blasirte Pariser“, sagt er höchst charakteristisch, „der sich so schwer für ein wahrhaft künstlerisches Schauspiel intereffirt, wird vielleicht einmal eine Duse oder einen Irwing hören wollen, dann aber schleunigst ein Theater im Stich lassen, wo man alle Sprachen spricht, außer der seinen."

Der alte schlaue Sardou ist zwar im Prinzip nicht dagegen“, er fragt nur nach den Kosten und hält die bisherigen Vorschläge für unpraktisch. Ausländische Gäste würden nicht genug Publikum anziehen. Doch verwahrt er sich dagegen, daß er und Dumas aus Konkurrenzneid Ibsen und Maeterlinck feind seien. Die seien ihnen nicht gefährlich. „Im Gegenteil“, sagt er höhnisch, „man soll sie nur spielen! Umso besser für uns!"

Auf die Frage, ob er ein,.théâtre sérieux" auf der Ausstellung für möglich halte, gibt er ein entschiedenes, Nein“. „Aber", schlägt er vor, „gebt ein Schauspiel, qui parle aux yeux! Gebi ein großes, meinetwegen internationales Ballet, das die Schönheiten der ganzen Welt vereinigt, mit einer leichten durchschlagenden Musik! Wenn aber dieses sogenannte théâtre modèle Sachen von Shakespeare, Racine, Corneille, Molière spielt, wird der Saal leer sein.“ Der gewiegte Geschäfts dramatiker spricht dann noch von der Schwierig teit, geeignete pariser Schauspieler für ein solches Theater zu finden, und schließt so recht bezeichnend: „Nein, das théâtre sérieux wird nur in Paris selbst Erfolg haben. Wir werden ja jezt bestimmt die Fortsetzung der Aufführungen des Théâtre Libre haben, wo man Stücke spielen wird, die nach der neuen Aesthetik gewisser Gehirne zusammen gesezt sind, die man modern nennt. So wird für jeden Geschmack gesorgt sein, wie heute."

Ludovic Halévy ist ähnlicher Ansicht: - Ich denke dic Fremden kommen hierher, um unser Theater zu sehen, nicht ihres."

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Die vier Evangelien in eines verschmolzen und übersezt von Leo Tolstoj: Erster Teil, London, Scott. Dieses Werk des Grafen Tolstoj, das im Manuskript seit achtzehn Jahren vollendet vorlag, deffen Veröffentlichung aber in Rußland verboten wurde und bis auf den heutigen Tag verboten blieb, ist nun in englischer Uebersehung in London erschienen. Zunächst der erste Teil, ein Band von 400 Seiten. Zwei weitere Teile werden folgen. In diesem ersten Teil werden in vier Kapiteln abgehandelt: die Fleischwerdung des Lebensgeistes, das neue Leben und die Verwerfung des jüdischen Gottes, das Reich Gottes, das Gefeß und die Bergpredigt. Tolstoj erkennt nur die vier Evangelien als „kanonische“ Bücher an, alles andere, was in der Bibel steht, ist ihm nicht blos apokryph, sondern absolut überflüssig, zum Teil sogar höchst verwerflich. Das alte Testament, so führt er aus, sei weiter nichts als eine jüdische Glaubenslehre, und der jüdische Glaube stehe uns gerade so fern wie jeder andere fremde Glaube, könne uns also nicht mehr interessiren als etwa der Glaube der Brahminen. Die apostolischen Briefe enthalten entweder garnichts Neues oder stehen gar im platten Gegenfaße zu den Evangelien, verwirren den Lcfer nur durch ihre Irrtümer, geben eine falsche Meinung von den Worten Christi, wenn auch die Briefe des Petrus, Jakobus und Johannes gelegentlich in die Lehren Christi einen frischen Gesichtspunkt bringen. Der „Wahnwig" der Offenbarungen offenbare nichts. Die Apostelgeschichte und einige Paulinische Briefe aber haben nicht nur nichts mit den Evangelien gemein, sondern widersprechen ihnen häufig direkt, find nicht nur nicht erbaulich, sondern geradezu schädlich, und die Wunder, die Lukas in seine Erzählung einflicht, machen seine Geschichte zu dem miserabelsten Buch der Welt“, das jedem modernen Leser nur den Unglauben überhaupt einflöße. Die Evangelien allein stellen Christi Lehre vollständig und rein dar. Deshalb hat Tolstoj fie in ein einziges verschmolzen und neu übersetzt; soweit er nicht den Uebersetzungen von Grachelovitsch und Reuß gefolgt ist.

Seine Absicht dabei war, die Lehre Christi aus den vier Berichten gewissermaßen ganz rein herauszudeftilliren: Alle Wunder verwirft er überall als „unmögliche Fabeln“. Die Geburt Christi stellt er so dar: „Es war eine Jungfrau namens Maria. Diese Jungfrau wurde schwanger, aber niemand wußte von wem. Ihr verlobter Bräutigam hatte Mitleid mit ihr und nahm sie, um ihre Schande zu verbergen, in sein Haus. Sie gebar von dem unbekannten Bater einen Sohn. Dem Knaben wurde der Name Jesus gegeben. Und dieser Jesus ist der Geist des Lebens, offenbart im Fleisch.“ Al das Wunderbare, was der Geburt von Johannes und Jesus nach der Erzählung der Evangelisten vorangeht und folgt, ist für Tolstoj nicht nur unsinnige, sondern sogar höchst schädliche Fabel. „Die schimpfliche Geburt Christi und seine Unkenntnis, wer sein fleisch| licher Vater gewesen, bilden in dieser Erzählung die einzigen Tatsachen, die von Wichtigkeit sind." Die Evangelien sind ihm eben auch nur insoweit wichtig, als sie mit seinen Ansichten über das, was wahr ist, übereinstimmen.

Als Beispiel seiner Umdichtung sei der Anfang des JohannesEvangeliums hierhergesezt: „Diese Verkündigung ist geschrieben, damit die Menschen an Jesus Christus glauben mögen als den Sohn Gottes und durch diesen Glauben Leben empfangen. Keiner hat Gott jemals begriffen, und niemand wird ihn je begreifen, alles was wir von Gott wissen, wissen wir daher, daß wir den wahren Geist des Lebens besigen. Und darum ist der Geist des Lebens der wahre Anfang aller Dinge. Was wir Gott nennen, ift der Geist des Lebens, der der Anfang aller Dinge und der wahre

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Gott ist. Ohne den Geist des Lebens ist nichts. Alles ist von ihm hervorgebracht. In ihm ist die Kraft des Lebens. Gleich wie die unermeßliche Fülle der Dinge für uns da ist, weil der Geist des Lebens darin ist, aller Dinge Anfang. Leben schließt nicht alles ein, was in der Welt ist. Leben betätigt sich in der Welt, wie Licht inmitten der Dunkelheit. Das Licht leuchtet so lange als es brennt, und die Dunkelheit hält das Licht nicht zurück, sondern bleibt Dunkelheit. So betätigt sich das Leben in der Welt inmitten des Todes, und Tod hält nicht Leben zurück, sondern bleibt Tod. Die Lebensquelle, der Geist des Lebens war in der ganzen Welt und in jedem febendigen Menschen. Aber die lebendigen Menschen, die nur insolern lebten, als sie den wahren Geist des Lebens hatten, verstanden nicht, daß sie hervorgebracht und erhalten worden durch den Geist des Lebens. Sie begriffen nicht, daß der Geist des Lebens ihnen die Möglichkeit gab, eins zu werden mit ihm, so daß sie lebten, nicht im Fleisch, sondern im Geiste des Lebens. Begriffen die Menschen es, und glaubten sie an ihre Sohnschaft mit dem Geist, fte wären des wahren Lebens fähig. Aber sie begriffen es nicht und ihr Leben in der Welt war wie Licht in der Dunkelheit. Keiner hat jemals begriffen und niemand wird je Gott begreifen, den Grund aller Dinge. Nur das Leben in Gemäßheit mit dem wahren Geist des Lebens hat den Weg zum Himmel gezeigt. Und so offenbarte Jesus Christus, da er mitten unter uns lebte, im Fleisch den wahren Geist des Lebens: denn sein eigenes Leben, aus ihm hervorgegangen, war eins mit ihm, gleichwie der Sohn vom Vater hervorgeht und eins ist mit ihm. Und indem wir auf sein Leben sehen, verstehen wir die Lehre, Gott zu dienen mit der Tat, und empfangen damit den neuen Gottesdienst an Stelle des alten. Das Gesez wurde durch Moses gegeben, aber der Gottesdienst der Tat ist uns durch Jesus Christus gekommen. Keiner hat Gott jemals gesehen, noch wird er ihn je sehen: allein das Leben in Gemäßheit mit dem wahren Geist des Lebens hat den Weg zum Himmel gezeigt."

Neue Gedichte von Angelika von Hörmann. Leipzig, Verlag von A. G. Liebeskind.

Kein leidenschaftlich Stammeln hat hier wilde Lieder hingewühlt, ruhevoll auch im herbsten Leid klingt die Stimme dieser Dichterin in abgeklärter Lebensweisheit. Resignation ist der Grundton, die Reflexion überwiegt, die sogar oftmals durch eine mehr dem Berstand als dem Gefühl entstammenden Bildersprache umschrieben, etwas Erfühlendes hat. So findet man, was charakteristisch für die Art der Verfasserin, kaum ein naiv geschautes und reproduzirtes Naturbild, Landschaftsschilderungen werden immer nur parabolisch gegeben, um dadurch seelische Zustände plastischer darzustellen.

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Aber nicht im modernen Sinne des Amielschen Wortes: un paysage est un état d'âme", so daß die bloße Wiedergabe eines durch das Medium der menschlichen Empfindung aufgefaßten Fleckes Erde zugleich auch das Vild innerer Gemütsvorgänge enthält, sondern nach älterer Weise geben die einleitenden Strophen die Schilderung und die legten führen den Vergleich aus.

Sprache und Form ist allzeit glatt, zu den schönsten der Gedichte auch dem Gefühlsinhalt nach, zählt jenes, in dem die Dichterin von dem Zweifel klagt, der des fernen Geliebten Gestalt ihr verdunfelt:

„Doch wenn dein Blick mich wieder trifft,
Und les ich deine klare Schrift,

So ists, als brächen Morgenstralen
Allfiegend durch die Hülle der Qualen.

Was heimlich wob in des Herzens Gründen,
Erscheint mir als die ärgste der Sünden,
Und brennende Scham färbt mein Gesicht;
Du aber fühlst und ahnst es nicht,
Daß meine Seele in Reueglut
Stumm vor dir kniet und Buße tut.

*

Felix Poppenberg.

Fliegende Leihbibliotheken für die Landbevölkerung will der Herausgeber der „Review of Reviews", William T. Stead, einrichten. Es sollen Bücherkisten mit vierzig bis fünfzig Bänden von Gemeinde zu Gemeinde zirkuliren. Wenn in einer Gemeinde dreißig Abonnenten sind, berechnet sich das Leihgeld auf einen Penny für die Woche und die Person. Dafür kann jeder Abonnent jeden Band vierzehn Tage im Hause behalten. Zunächst wird Stead zwölf folcher Kisten zusammenstellen. Jede Kiste wird drei Jahre lang unterwegs sein. Die Bücher sind besonders dauerhaft gebunden Wenn sie ein Jahr lanz zirkulirt haben, gibt sie Stead an Käufer mit fünfundzwanzig Prozent des Ladenpreises ab, nach zwei Jahren mit dreißig und nach drei mit fünfzig Prozent. Er glaubt, dadurch nicht nur die breite ländliche Bevölkerung zum Bücherlesen, sondern auch zum Bücherkaufen zu erziehen, und was er nicht eingesteht — ein gutes Geschäft zu machen.

Chronik der bildenden Künste.

Polnische Kunst. Für diejenigen, welche der Entwicklung der polnischen Litteratur Interesse zuwenden, wird ein Ueberblick über die Tätigkeit der polnischen bildenden Kunst willkommen sein, den der illustrirte Katalog, der retrospektiven Ausstellung polnischer Kunst zu Lemberg bietet.*) Diese Kunstausstellung, die im Jahre 1894 im Anschluß an eine Landesausstellung stattfand, würde vermutlich ziemlich unbemerkt an uns vorübergegangen sein, hätte nicht der von Profeffor Dr. J. von Boloz-Antoniewicz verfaßte Katatog die Resultate derselben in gewissenhafter Bearbeitung festgelegt und damit einen der so seltenen litterarischen Beiträge zur Geschichte der polnischen Kunst geliefert.

Von einer polnischen Kunst im Sinne einer geschlossenen Schule mit konstanter Entwicklung, kann allerdings faum die Rede sein, allein kulturgeschichtlich bleibt es doch interessant zu erfahren, aus welchen Quellen das Kunstbedürfnis der polnischen Bevölkerung innerhalb des lezten Jahrhunderts befriedigt wurde. Es sei daran erinnert, daß in der Renaissance-Zeit Deutschland, wie auch Italien für ihre Kunstwerke hier Absatz fanden, besonders nürnberger Künstler, von denen einzelne auch in Krakau 2c. lebten. Einen Einfluß auf diese Künstler hat Polen freilich nicht gehabt, während seinerseits das beständige Anströmen fremder Elemente, zu denen in der Folgezeit noch die Franzosen sich gesellten, die Entwicklung einer charakteristischen, polnischen Lokalkunst hinderten. Erst die heutige polnische Künstlergeneration, aus deren Reihen Siemiradski, Chelminski, Kowalski, Brandt, Pochwalski und neuerdings Szymanowski auf deutschen Ausstellungen bekannte Gäste sind, zeugt von einem ausgeprägten Typus und abgesehen von Siemiradski eine Vorliebe für nationale Temata.

Von den Künstlern der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts sei noch der bekanntlich in Berlin tätige Chodowiecki erwähnt, der zwar in einem, im Katalog abgedruckten Briefe sich als echter Pole preist, in seinen Werken aber als ein typischer Vertreter, speziell der berliner Kunst, sich erweist. Die sorgfältig durchgearbeiteten biographischen Notizen, die der Verfasser jedem Künstler gewidmet und die am Schlusse beigefügten Abbildungen von Gemälden, Zeichnungen und Skulpturen werden demjenigen, der über polnische Kunst fich orientiren will, willkommen sein, denn sorgfältig nach Perioden geordnet, und zum Teil mit Hauptwerken vertreten, werden hier mehrere hundert polnischer Künstler vorgeführt. Es ist das eine wertvolle Ergänzung zu dem noch ungeschriebenen Abschnitt über polnische Kunst in Muthers Geschichte der Malerei im neunzehnten Jahrhundert. M. S.

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