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gefühl und Lebensverlangen sich einen eigenen Ausdruck schafft und in Gott seine Ruhe findet. Zudem die Geschichte als göttliche Erziehung des Menschengeschlechts erscheint, genügt sie seinem pädagogischen Drange. Indem er seine Gedanken als göttliche Offenbarung verkündet, empfindet er in ihnen das Leben mit, das" seine Seele verlangt. Aber da sie sich in dieser religiösen Wendung beruhigen, geben sie ihre ursprüngliche Kraft und Rich tung auf; fie erlahmen, ehe sie ihr eigentliches Ziel erreicht haben. Wenn nun in der folgenden weimarer Zeit (1776-1788) die religiöse Glut aus ihrer Isolirung hinaustritt, allmälig die ganze Fülle der Geschichte und Natur in ihren Kreis zieht, für Herders Empfindung_beseelt und ihr sein besonderes Gepräge aufdrückt, hat Herders Geist seine Reife erreicht; die „Ideen zur Philosophie, der Geschichte der Menschheit“ sind die Vollendung und der Abschluß dieser Entwicklung. Sie zeigen alle Fähig feiten Herders in vollster Entfaltung und harmonischem Zusammenwirken; aber auch sie verraten die Grundschwäche, an der sein ganzes Denken frankt: scheinbar Philosophie, find fie in Wahrheit nicht von den Forderungen der wissenschaftlichen Probleme beherrscht, sondern von den Bedürfnissen des Herderschen Gemüts, das in ihnen sein Leben aus sich herausgestellt als menschliches Leben empfinden will. Die italienische Reise (1788-1789) scheidet diesen Abschnitt von dem legten, der Zeit des Verfalls. Die alten Formen des Denfens bleiben, aber immer mehr schwindet aus ihnen das Leben, bis endlich nur die metaphysische Abstraktion zurückbleibt.

Aber nicht in einsamer Abgeschlossenheit, nur in lebendigem Verkehr mit andern lebt der Mensch. Zumal Herder ist zu all den großen Genien seiner Zeit in Beziehung getreten; seine Geschichte ist unlöslich mit der deutschen Litteratur- und Kultur-Geschichte verknüpft. Hamann und Kant waren die Lehrer seiner Jugend; auf Goethes Entwicklung hat er an einem entscheidenden Punkte einen unschätzbaren Einfluß gehabt; in seiner Reife stand er als würdiger Genoffe neben Goethe und Schiller; der Kampf gegen Kant und zugleich gegen unsre klassische Dichtung hat seinen Lebensabend getrübt. Alle diese Männer treten hier vor uns, nicht im biographischen Detail, aber in dem innern Kerne ihres Wesens aufgefaßt. Ihre Berührungen mit Herder sind zugleich eine weitere Quelle für das Verständnis seines Wesens, denn auch in ihnen vermag er nicht zu reinem Leben durch zudringen. Wie er sich selbst, sein eigenes Denken nicht flar erkennt, so gelingt es ihm auch seine Beziehungen zu den andern nicht zu überschauen; er beurteilt sie lediglich nach der Weise, wie sie gerade sein Gefühl affiziren. Er spielt endlich in seinem Kampfe gegen die Klassiker mit seinem abstrakten Moralisiren den Standpunkt des Durch schnittsmenschen aus. Das ermattende Leben, das die Welt bleiben will, gegen die schaffende Kraft, in der eine neue Welt erscheint, — das ist der Gegensaß Herders gegen Schiller und Goethe." (S. 363.) So ist es nicht ein Gegensaß der Meinungen, der sich hier abspielt; és handelt sich um eine verschiedene Stellung des Menschen zur Welt und zum Leben selbst. Das vor dem Ziele ermattende Leben des genialen Fragmentisten wird über wunden durch das reine, zu seiner eigentümlichen Form durchgedrungene und in Taten rein dargestellte Leben ursprünglicher, schöpferischer Geister. In diesem Kampfe vollzieht sich die Genesis der deutschen, der modernen Kultur.

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Die innere Schwäche und Halbheit der Herderschen Persönlichkeit zeigt sich endlich auch in seinem wichtigsten und tiefften Lebensverhältnisse, in seiner Ehe. Ueber 30 Jahre haben die beiden Gatten treu und einirächtig miteinander gelebt; sie in unbedingter Hingabe und fast

| abgöttischer Verehrung zu ihm aufschauend, an allen Arbeiten feilnehmend, in allen Nöten zu ihm haltend. Aber diese willenlose Ergebenheit, die sich ganz mit ihm gleich segt, ihm in allen Fällen unbedingt Recht giebt, zeugt doch auch von der Unfreiheit und Unklarheit ihres Zusammenlebens. Und wenn sie nach 16jähriger Ehe noch klagen fann, wie sie ihm nicht genügen könne, so verrät auch das, wie oft fie einsam nebeneinander hin gegangen. sind, wie manches in seinem Leben ihr fremd geblieben ist, weil es seinem eigenen innersten Leben fremd war.

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Nur dürftige Andeutungen konnte ich hier geben, um den reichen Inhalt des Buches ahnen zu lassen; ich will ja dem Leser die Lektüre desselben nicht erseßen, sondern ihn dazu anregen. Es gibt uns zunächst ein neues Leben Herders; es lehrt uns diesen Geist, einen der reichsten und weitwirkendsten, die unsere Litteratur aufzuweisen hat, in ganz anderer und tieferer Weise verstehen, als wir es bisher konnten. Gewiß wäre das Verdienst genug. Aber es leistet damit zugleich ein unvergleichlich höheres. Wie man überall an jedem Punkte der Erde, wo man in die Tiefe gräbt, sich ihrem Mittelpunkte nähert, so wird man stets, wenn man in ein Stück Menschenleben eindringt, um seinen inneren Kern zu verstehen, in die Tiefe und das Zentrum des Lebens geführt. Indem Kühnemann zeigt, wie in Herder bei all dem mächtigen Lebensverlangen, bei all den ungeheuren Leistungen doch kein ganzes und reines Leben sich bildete, wie die innere Lebenskraft nicht stark genug war, um sich rein durchzuseßen und in reinen Werken auszuprägen, erwächst aus der historischen Forschung selbst das Ideal reinen, freien Menschenlebens. Historisches Verständnis und theoretische Einsicht bedingen und fördern sich gegen seitig. Der ideale Herder erhellt die Schwächen des wirklichen, die Gründe seines Scheiterns. Andrerseits fann nur die genaueste Erforschung des Einzelfalles zeigen, wie das ideale Leben verwirklicht werden kann. So wird die Geschichte des Herderschen Lebens zu einer Untersuchung der Aufgabe und der Bedingungen geistigen Lebens überhaupt.

Und noch mehr. Neben Herder tritt in der Geschichte das reine Leben in den großen Begründern unserer Kultur: Kant, Goethe, Schiller; der Kampf gegen diese wird ihm zum Gericht und zum Untergange. Indem Kühnemann hier das Leben als Leben aufzufassen lehrt, indem er die Bedingungen reinen Lebens erforscht und den idealen Herder zeichnet, wie er hätte sein müssen, um sich rein auszuleben und als würdiger Genoffe neben fie zu treten, stellt er in dieser Arbeit selbst ein Stück reines Leben dar, verwirklicht er in einem Punkte selbst diesen idealen Herder. Der Ausbau der reinen Kultur, den jene großen Genien uns als Aufgabe hinterlassen haben, ist seitdem der eigentliche Inhalt der Weltgeschichte: das vorliegende Buch liefert dazu einen wertvollen Baustein.

Dies Schauen des innern Lebens in den äußeren Werken und Beziehungen der Menschen ist sonst_nur dem Künstler gegeben; und ein Künstler steckt unverkennbar in dem tief eindringenden Forscher ebenso wie der unerbittlich konsequente Denker. Vielleicht werden den meisten Lefern die Partien am besten gefallen, wo der Künstler das Wort hat und wir das Leben der Menschen, wie es sich in prägnanten Situationen offenbart, unmittelbar mit Augen sehen. So die wunderbar stimmungsvolle Einleitung: Kant über der Lektüre von Rousseaus „Emil“ Zeit und Stunde vergeffend; Herder zu Kants Füßen sizend, so in zwei konkreten Lebensaufnahmen die

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geistige Konstellation des Jahres 1762 verkörpert. Oder | man lese die Schilderung des Zusammenseins mit Goethe in der straßburger Krankenstube. Eine kleine Probe; ich wähle sie nicht, weil sie besonders gut oder charakteristisch wäre, sondern lediglich wegen ihrer Kürze: „Herder traf in Straßburg den Vetter eines vertrauten rigaer Freundes, Pegelow, der medizinischen Studien oblag. Es war ein Es war ein dicker, behaglicher Ruffe, abstrakten Erörterungen abge | neigt. Er verfolgte seine Studien und lebte im übrigen vergnüglich und ruhig dahin. Er sorgte für Herder mit Biedertreue, suchte ihm, als er Wohnung wechselte, ein Quartier und leistete ihm, so oft er wollte, Gesellschaft. Sogleich wird Herder von seiner Wut zu lehren und einzuwirken ergriffen. Sie fißen abends beisammen. Herder beginnt seinen Unterricht. Er streicht das Buch glatt. Da, ein Blick in das Gesicht des Schülers, er ist so ganz gläubige Ehrfurcht und Erwartung, daß Herder loslacht. Sie lachen beide. Das Buch wird zu geschlagen und der Abend mit Bischof_und_Kartenspiel beschloffen." (S. 90.) Sieht man nicht die Szene in Sieht man nicht die Szene in voller Leibhaftigkeit wie ein Augenzeuge vor sich? Das könnte gerade so gut in einem modernen Roman stehen. Aber folche Bilder bieten sich hier nicht als Selbst- | zweck wie im Kunstwerke; sie liefern nur das Material für die wissenschaftliche Forschung; sie stehen nicht da zum genießenden Beschauen, sondern damit an ihnen die Gefete des Lebens entwickelt werden. Es ist wunderbar, wie für Kühnemann hier das scheinbar Unbedeutendste fruchtbar wird, wie er aus den kleinsten Zügen die ganze Persönlichkeit herauszulesen weiß. Leider erlaubt der Raum mir nicht, hiervon Proben zu geben; der Leser findet sie auf Schritt und Tritt. Und ganz in demselben Sinne werden die Schriften Herders ausgebeutet; keine Inhaltsangaben oder Charakteristiken, nur die für das Seelenleben Herders, für das Verständnis seiner geistigen Eigenart und Entwicklung entscheidenden Züge werden ihnen entnommen. Zweimal endlich sammeln sich die theoretischen Gedanken zu selbstständigen, vom Einzelfall losgelösten Betrachtungen: in der nachträglich hinzugefügten Vorrede, die den Leser in das Thema des Buches, das darin gestellte Problem einführen soll; sodann in dem Abschnitt Ruhepunkt. Die Biographie und das Leben" hinter der Besprechung der Ideen', wo hieraus der theoretische Gewinn gezogen wird. Diese Besprechung bildet naturgemäß den Höhepunkt dieses Buches, wie die Ideen' der Höhepunkt des Herderschen Schaffens sind. Diese Teile des Buches sind es, in denen die gründlichste, raftloseste Arbeit steckt; sie werfen für die wissenschaftliche Erkenntnis den reichsten Ertrag ab. Sie sind in der Hauptsache Zusammenfassungen deffen, was Kühnemann bereits in seinen früheren Arbeiten über Herder festgestellt, namentlich in seiner Ausgabe der Ideen" und der Briefe zu Beförderung der Humanität" in Kürschners deutscher National-Litteratur und in seinem Buche Herders Persönlichkeit in seiner Weltanschauung" (Berlin bet F. Dümmler, 1893). Doch hat die veränderte Fassung des Themas, die Betrachtung im Zusammen hange des gesamten Herderschen Lebens vielfach die Einficht vertieft und erweitert. Gegenüber diesen früheren Behandlungen ist die Darstellung in vorliegendem Buche ungemein zusammengedrängt; so füllt die Besprechung der Ideen dort 112 Seiten, wobei allerdings die Gespräche über Gott mitbehandelt sind und der Hauptteil auf den Abschnitt „Das Werk und der Mensch" fällt, hier einschließlich des Ruhepunkts" nur 31.

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Diese Knappheit hat für den, dem diese Gedanken gänzlich neu und ungewohnt sind, ihre Schattenseiten. Mühelos ist die Lektüre dieser Partien überhaupt nicht; aber wer wirklichen Gewinn an Einsicht und Verständnis

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des Lebens sucht, darf die Mühe eignen Nachdenkens nicht scheuen. Zuweilen indes scheint der Ausdruck selbst Unklarheit und Misverständlichkeit zu veranlassen. So lesen wir S. 269: „Man bemerke, daß das Ideal der Freiheit, wie Kant es nimmt, die ganze Menschheit in ihren gesamten Strebungen umfaßt. Wo irgend Menschen gekämpft und gearbeitet, wo irgend die Anlagen, die die Natur ins Menschengeschlecht gelegt, zur Entfaltung gestrebt, da begann der Zustand sich herauszubilden, in dem jeder einzelne voll entfaltet wäre in der Erfüllung seines naturgegebenen Berufs und in dem Ineinandergreifen der freien Individuen die Gesellschaft sich erhielte, die als Verförperung der Sittlichkeit und Vernunft einem jeden die freie Bewegung seines Berufes sichert. Daß es die ganze Menschheit mit seiner Forderung umfaßt, schon das erhebt das Kantische Ideal der Geschichte an innerer Gedankenreife über das Herdersche Ideal der Humanität, dem in dem sanften Behagen jedes unkultivirten vegetirenden Volks so gut Genüge geschah wie in dem großen Streben des Entdeckers und Erfinders, und das schließlich nur in sanften Stimmungsträumereien eines allgemeinen Zustandes der Moral, der Milde und Liebe zu einem Ziel für die ganze Menschheit erweitert ward.' Scheint hier nicht das Herdersche Ideal auch die ganze Menschheit und alles Menschenstreben zu umfaffen? Der Unterschied ist aber der, daß dem Kantischen nur in der Kulturarbeit, nicht in dem vegetirenden Dasein der Wilden Genüge geschieht, daß ferner Herder sich nur an den einzelnen wendet, dagegen das Ideal der Freiheit nur von der gesamten Menschheit verwirklicht werden kann, in einem wahrhaft freien Zusammenwirken aller. Läßt hier der ganze Zusammenhang über den Sinn dieser Säße keinen Zweifel, fo find einige isolirte Bemerkungen manchmal schwerer zu verstehen. So werden die wenigsten einen flaren Begriff erhalten bei der Definition: „Sie war von wahrem Adel, denn adelig ist, wer in der Hoheit eigener Persönlichkeit das Leben überwindet und reifer Mensch den Menschen sich erschließen kann." (S. 125). Doch find das nur wenige belanglose Einzelheiten. Wem es aber bei den Analysen der Werke um ein tieferes Eindringen zu tun ist, der wird so wie so gut tun, nach den angeführten andern Arbeiten des Verfassers zu greifen. Auch sind dem Laien in den sehr dankenswerten Anmerkungen reichlich Fingerzeige für weitere Studien gegeben, namentlich Ratschläge für die Herder-Lektüre.

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Der Verfasser möchte, wie er in der Vorrede sagt, sein Buch am liebsten in den Händen junger Künstler sehen, denen es nach ihrer ganzen Anlage am ernstesten um das Leben ist." Gewißwürden diese aus dem Studium des Buches reichen Gewinn ziehen, vielleicht gerade sie am meisten, und doch möchte man zweifeln, ob sich gerade unter ihnen viele finden werden, die, mitten im ungestümen Drange nach eignem Schaffen, Muße und Ausdauer haben, um sich so liebevoll in das Studium fremden Geistesschaffens zu versenken. Aber allen, denen eigenes künstlerisches Gestalten versagt ist und denen doch Kunst und Litteratur eine wichtige und heilige Angelegenheit, ein Lebensbedürfnis ist, für die das Erbteil unserer klassischen Zeit nicht verloren, sondern eine lebendig strömende Quelle ästhetischen Genusses und geistiger Nahrung ist, denen es überhaupt ernst ist um das Verständnis der tiefsten Lebensfragen, allen denen sei dies Buch noch einmal dringend ans Herz gelegt. Hoffentlich wird die musterhafte splendide Ausstattung auch das ihrige dazu beitragen, dem Buche eine möglichst weite Verbreitung zu sichern.

Eine Kunstwoche in Berlin.

Von

Friedrich Fuchs.

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Allerhand hatte sich neuerdings begeben, das dem Kunstfreunde Anlaß bot, doch einmal wieder freudig zu bewundern und zu hoffen. Besonders aber zu hoffen. Die Männer, welche diesmal die Geschäfte der kommen den großen Ausstellung zu leiten berufen wurden, haben mit weiterem Blick, feinerem Takt und praktischerem Verstand für das Unternehmen ihre Vorkehrungen und Maßnahmen getroffen. Nicht nur, daß fie der Sezeffion ihre alten Forderungen eigene Jury, eigene Sale erfüllten, erließen sie Einladungen an die beiden großen pariser Künstlerschaften. Was man kaum erwartet hatte, mit Erfolg. Die,,Société nationale des Beaux-arts", welche ihren Salon mit dem Marsfelde hat, wird ihre Bilder nach Berlin schicken. Dagegen hat die Genoffen schaft der Champs-Elysées mit follegialer Verbindlichkeit bedauert, daß die Kürze der Zeit sie verhindere, schon auf einer diesjährigen Ausstellung in corpore würdig vertreten zu sein, daß es aber jedem ihrer Mitglieder vorbehalten sei, sich für seine Person als Aussteller zu beteiligen. Daran knüpfen sich nun für uns die großen Hoffnungen. Denn gerade im Marsfeldsalon sind die modernen Evolutionen lebendig, von denen das lang boykottirte Berlin bisher unberührt geblieben ist oder deren Errungenschaften und Offenbarungen erst entstellt und auf Umwegen hierher gelangten, so daß sie nur zu Misverständnissen unter Künstlern und Publikum führten. Das soll nun anders werden, und die Künstler werden Anregung und Förderung, die Laien Aufklärung erhalten. Und wenn die freundschaftlichen Beziehungen des günstigen Augenblicks zu dauernden sich gestalten möchten, dann könnte mit der Zeit die berliner Lokalfunst fich an der internationalen Konkurrenz streitbar beteiligen, von der sie dank eigener Verblendung und fremden Mistrauens bislang ausgeschlossen war. Wir können doch einmal wieder hoffen!

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Zu lachen gab es aber auch. Im Verein berliner Künstler, wo Herr von Werner immer noch Einfluß hat, erklärt sich eine Korona befugt, im schlechtesten Deutsch und in tiefster Devotion eine Adresse zu verfassen, welche dem Kaiser für seine kunstfinnigen Förderungen einiger Bildhauer den Dank der gesamten Künstlerschaft ausdrückt. Natürlich wies dieselbe Korona das deplacirte Anfinnen, mit einer Petition gegen das drohende Umsturzgesetz zu protestiren, als - nicht in den Rahmen der Vereinsbestrebungen gehörig, zurück. „Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben..."

Zu sehen aber, zu genießen war ganz Besonderes, bei Schulte. Endlich gehört es in Berlin zum guten Ton wenigstens auf diese eine Kunsthandlung abonnirt zu sein. Es hat auch wirklich seine Annehmlichkeit, am falten Wintertag, wenn man die Linden entlang spazirt ist, in den wolig durchwärmten, elegant behaglichen Bilder salons mit den bequemen Sitzgelegenheiten für ein Weilchen aufzutauen und auszuruhen; und dann kann man immer sicher sein, Bekannte dort zu grüßen. Es wird den Tag über nicht leer in diesen Ausstellungsräumen. Natürlich muß auch wol etwas dort los fein, sonst würde faum auf einmal der große Zulauf gekommen sein, wenn bei einem guten Teile das Hinzulaufen auch nur zum guten Ton gehört. Letthin war der Zudrang auf seiner Höhe; denn das große Ereignis der Saison, dem man mit Spannung entgegengesehen hatte, war fällig, das Erscheinen der „XI" auf der Bilderfläche. Klinger, Liebermann, Hofmann, Sfarbina, Leistikow!

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Wie es nun fam, daß diese Künstlerschaft im Moment des ersten Wiedersehens enttäuschte? Vielleicht, daß die Erwartungen nach den Vorjahren auf das Außerordentliche, das nun endlich kommen müßte, gespannt waren. Denn streng genommen hatten die Elfer im ganzen bisher nur versprochen; so lange war man hingehalten worden mit guten Vorgerichten. Vielleicht hoffte man jezt sicher die Hauptschüssel, die ganz große Sensation, vorgesezt zu erhalten. Mir persönlich wenigstens war so zu Mute.

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Als nun zur Eröffnungsstunde der dichte Schwarm in den Oberlichtsaal hinunterdrängte, blieb ich zögernd zurück und warf von der Schwelle des höhergelegenen Borraumes einen spähenden Blick voll scheuer Spannung hinab auf die hellen Wände, wo die vielen Bilder Plak haben. Und ich sah wieder einmal nur winzige Rahmen, fleine Impreffionen, Bildnisse, Einzelfiguren, feine große Leinwand, die ein unternehmenderer Geist zu einer gewaltigeren Aufgabe sich gespannt hätte. Im Jahre vorher hatte doch ein figurenreiches Werk, Klingers statuarisches Golgatha, dort imponirt und für die Gesamtheit repräsentirt. Heuer würde das eine dekorative Panneau von garnicht so außergewöhnlichen Dimensionen, ein nur matter Götterfunke der Freude Ludwigs von Hofmann, all die Kleinheiten ringsumher noch weniger groß im Maßstabe erscheinen lassen, wenn man es nicht aus fluger Vorsicht, und weil es ein Entwurf nur ist, im dunklen Vorzimmer bei Seite gestellt hätte.

Als ich dann von der Höhe meiner Erwartungen und die Stufen zum Saale hinuntergeschritten war, erlebte ich freilich noch föstlicher Dinge genug. Denn nun sah ich mich doch vor Klingers königlicher Kassandra und entdeckte die zauberhaften Geheimnisse in Leistikows wunder samen Waldbildern. Klinger und Leistikow müssen diesmal für die übrigen schadlos halten.

Hofmann, der sonst Unerschöpfliche, gönnte sich einige Muße. Er hat aber darum nicht nachgelassen in seinem Können. Sein heuriger Frühling ist sogar als Schilde. rung bildmäßiger abgerundet, als mans sonst von ihm gewohnt war. Die Lieblichkeit seiner sprießenden Fluren und die Anmut seiner jugendlichen Gestalten, die zu den Wiesenblumen fich bücken und nach den Blütenzweigen fich recken, hat sogar soviel Gefäliges, daß eine gewisse Kritik sich bereits dafür begeistern kann, - und das ist eigentlich schon ein wenig schade.

Auch Skarbina und Liebermann scheinen in einer Phase des Ausruhens, der Sammlung sich zu befinden; als ob sie sich mit den Augen gerade müde gesehen hätten, nicht daß sie sich geistig erschöpft hätten. Denn auch in ihren kleinsten Arbeiten spürt man den starken Geist, die frische Kraft, das elastische Temperament. Die Radirungen Liebermanns bergen in ihrer Winzigkeit eine solche Größe und Wucht, aber auch eine solche Bartheit und Zärtlichkeit der Naturanschauung, die seit Rembrandt ihresgleichen nicht mehr gehabt hat. Das ist wieder die unverstellte, unverschnörkelte Handschrift einer urstarken Männlichkeit. Wenn Sfarbina ein künstlerisches Behagen empfindet, in die Grüfte einer Kirche hinabzusteigen und dort vor den geöffneten Särgen die Mumien friederizianischer Offiziere in ihrer ganzen schauerlich grotesken Komik auf das Malerische zu studiren, so frappirt mich das nicht als ein Widerspruch in dem Charakter des Künstlers, der auch das pulfirende Leben der großstädtischen Straße im sonnigen Tageslichte temperamentvoll geschildert hat. Von je huldigte er romantischen Liebhabereien, und romantisch sind doch auch diese Schildereien aus dem alten Berlin, die nächtlichen Straßen mit ihren huschenden Schatten, die winkligen Höfe, die engen Gaffen, der glatte Fluß, der an Speichern vorüber und unter Brücken hin fich wälzt. Man wird von Skarbina nicht sagen können,

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daß er je häßlich gewesen ist, im Gegenteil macht seiue | feit der Vharisäer, gegen die der Stifter der Lehre einen malerische Delikatesse jeden Stoff genießbar, und das ist, jo erbitterten und unermüdlichen Kampf führte. Aber meine ich, ein ganz beträchtliches Stück besten Künstlertums. was will man schließlich mehr? Armen- und KrankenDen stark nachwirkenden Eindruck der diesjährigen pflege, Sklavenbefreiung und Arbeiterwolfahrt, KinderElferausstellung hinterlaffen das Werk Klingers und die erziehung und Volkshygiene sind durch sie entwickelt und Schöpfungen Leistikows. Von dem Blick aus den er- gefördert worden. gründenden Augen dieser bangenden Seherin fühlt man fich verfolgt, und die Farbenklänge dieser Waldsymphonien | flingen nach im Ohre. Der universale Bildner und der Landschafter-mir kommt es nicht bei, sie zu vergleichen. Aber beide find fie Künstler, deren Erzeugnisse durch mehr als die vulgären Liebreize wirken; Künstler, die mit genialen Instinkten die Urquellen des natürlich Schönen, Starken und Lieblichen finden und aufdecken. Klinger, der nicht ein professioneller Plastiker blos ist, hat mit feinem Marmorgefüge das Problem der farbigen Körperlichkeit ästhetisch gelöst, vielleicht weiß ers zu noch höherer Vollendung zu bringen. Was braucht uns das zu fümmern, was flug sprechende Bildhauer mäkeln, solange sie selbst uns ein Werk schuldig bleiben, das wie jenes von solcher sprechender Eindringlichkeit und packender Natürlichkeit in den edelsten Formen ist!

Zu gleicher Zeit hat bei Gurlitt E. Doepler d. J. zusammen mit zwei Erstlingen, einem Bildnismaler Frit Lange und einem Landschafter Arnold Steinmann-Bucher, ausgestellt. Die reife männliche Kraft Doeplers, der der populäre Repräsentant des berliner Kunstgewerbes ist, zeigt sich dort in einer Fülle ornamentaler und figürlicher Entwürfe, welche einen ergibigen Reichtum an formalem Gestaltungsvermögen offenbaren und eine erstaunliche Fruchtbarkeit, wenn man bedenkt, daß diese Unzahl von Blättern binnen Jahresfrist entstanden sind. Und daneben fand der Meister noch die Zeit zu malerischen Studien, die er, niemals müßig, in den Tagen der Erholung anstellte: Stillleben und Landschaftliches aus Tirol und von der Riviera. Diese Dinge unbefangen zu sehen ist aber sein Auge nicht imstande, es wird naturgemäß beeinflußt durch die Gewohnheit, die Erscheinungsformen zu stilisiren. Das malerische Sehen kennt keine Konturen, nur Farben. In jenen Aquarellen aber sind die Farben nur das Füllsel zwischen den Umrissen der Gegenstände. Darum wirken sie, je lebhafter, lauter sie dastehen, um so schroffer, härter, unvermittelter in ihren Uebergängen. Doeplers eigentlicher Künstlerschaft vermochte dieser Einwand nicht den geringsten Abbruch zu tun. Von den beiden Nachbarn ist auch noch keiner ein fertiger Maler; Lange, weil er vor zu gründlichem Studiren der Malweisen anderer noch nicht zu einem persönlichen Stile, noch nicht zur Erkenntnis seiner selbst gelangt ist; Steinmann, weil er als Anfänger in der Kunst aus dem Dilettantischen noch nicht völlig heraus ist. Also bei dem einen ein Zuviel, bei dem andern ein Zuwenig an technischem Können. In beiden aber steckt ein besonderes, ein frisches Wesen, das nicht zu verbilden ist und sich alsbald selbständig und frei entfaltet haben wird.

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Anders die Ruffen. Selbst ihre europäisch gebildeten Aristokraten find, falls sie gläubig und schwärmerisch veranlagt find, noch immer mehr mittelalterlichen Vorstellung von der Nazarenerlehre unterworfen. Der Russe sieht das echte Christentum nicht in gemeinnüßigen Taten der Menschlichkeit, sondern in der allgemeinen Milde und Weichherzigkeit der Gesinnung, die auch dem bettelnden Trunkenbold, dem zu Recht verurteilten Verbrecher einen warmen Unterschlupf unter dem großen Mantel der Nächstenliebe gewährt. Dem Nebenmenschen verzeiht er die Sünde, er selbst aber windet sich verzweiflungsvoll in ihren teuflischen Umstrickungen. Sein Christentum ist Reue, Selbstzerfleischung, es ist ihm, kurz gesagt, noch immer ein Kampf gegen alles Ursprüngliche, Triebhafte der menschlichen Natur. Und die slawische Natur ist weich, nachgibig, sinnlich.

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Die Ruffen haben an der Wende des Jahrhunderts noch einen großen Bußprediger hervorgebracht Grafen Tolstoj. Doch auch sie sind soweit Kinder unserer Zeit, daß sie in diesem Bußprediger nicht gleichzeitig einen Heiligen verehren. Selbst die Anhänger und Jünger des Grafen hört man bisweilen über die kleinen Schwächen und Irrtümer ihres Profeten leise spötteln.

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Tolstojs Weltanschauung hat sich_langsam aus seiner Lebensflucht und seiner efstatischen Seelenvertiefung entwickelt. In Anna Karenina" finden sich bereits Spuren davon, denn der Hahnrei Karenin vergilt das ihm von Wronski zugefügte Unrecht durch mildes Vergeben und Vergessen. In Krieg und Frieden" zeigen sich bereits die Grundzüge eines einheitlichen Gedankensystems. Danu folgen die christlichen Bauerngeschichten, endlich die didaktischen und sozialen Schriften.

Der Theoretifer Tolstoj war als riesengroße Wundererscheinung aus den Manuskripten des Einsiedlers von Jasnaja Poljana emporgeftiegen. Wie der Schatten in dem bekannten Andersenschen Märchen erhob er sich schließlich über seinen Herrn und Meister, nötigte ihn, ihm Folge und Gehorsam zu leisten, machte ihn zu seinem willenlosen Sklaven.

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Unter dem Titel: „Graf Leo Tolstoj – Intimes
aus seinem Leben" hat eine Frau Anna Seuron ein
interessantes Büchlein geschrieben, das von Eugen Zabel
mit einer Einleitung versehen und im Verlage von
Siegfried Cronbach in Berlin herausgegeben worden
ist. Dem kleinen Werk ist das Bildnis des düstern,
rauhen, wirrbärtigen Denkers in der armseligen Tracht
eines russischen Bauern beigegeben. In fesselnder und
anschaulicher Weise erzählt uns das die Verfafferin, die
sechs Jahre als Lehrerin im Tolstojschen Hause verbracht
hat, wie der Graf sich mit den tyrannischen Ausgeburten
seines eigenen Geistes abzufinden sucht.

Tolstoj ist auch darin aufrichtiger und folgerechter Christ, richtiger gesagt, Seftirer und Fanatiker, daß er unablässig bemüht ist, aus sich einen neuen, völlig andern Menschen zu machen. Er ist von Natur träge und ungeschickt und es kostet ihn Anstrengung, sich zu förper

Die kleinen Menschlichkeiten des Grafen Tolstoj. lichen Tätigkeiten aufzuraffen. Aus reiner Grundsäglich

Bon

Eberhard Kraus.

Die Engländer haben den Begriff des praktischen Christentums ausgebildet. Es liegt in ihrer Auffassung freilich etwas von der Selbstgerechtigkeit und Werkheilig

feit aber pflügt er, flickt er Schuhe, mauert er Defen. Aber es ist immerhin leichter, sich zu bestimmten Handlungen zu zwingen, als von alten, eingewurzelten Gewohnheiten zu lassen. Der Graf will sich das Rauchen abgewöhnen und greift doch wie ein Schulknabe heimlich nach liegengebliebenen Zigarrenstummeln. Er will Vege

tarier werden, macht sich aber unter dem Schleier der Nacht heißhungrig über ein Roastbeaf her, das auf dem Speisetisch stehen geblieben ist. „Diejenigen", schreibt Frau Seuron, welche glauben, der Graf sei ein Asket im | vollkommenen Sinne des Wortes, irren sich. Er hatte und er hat Zeiten, wo er alles entbehren fann und sich bemüht, seinen Ruf der Welt und seinem Gewissen gegen über zu rechtfertigen. Aber ein Heiliger kann nie aus einem Manne mit dem Körper und den Sinnen des Grafen werden!"

In allen Fällen, wo die Anschauungen Tolstojs mit dem Willen feiner, wenn auch liebevollen und aufopfernden, so doch sehr energischen und klardenkenden Gattin zufammenprallen, zieht er den Kürzeren. Er verwirft bekanntlich den Gelderwerb aus geistiger und künstlerischer Arbeit. Dagegen aber, daß seine Frau den buchhändlerischen Vertrieb seiner Schriften besorgt und damit die durch seine Miswirtschaft zerrütteten Familienfinanzen wieder ein wenig in die Höhe bringt, darf er nichts vorbringen.

Tolstoj ist eben kein Praktiker. Sein geistiger Einfluß auf sein Lesepublikum ist ungleich größer, als der persönliche, den er u. a. auf seine bäuerliche Umgebung ausübt. Als er seinen Mushits die Macht der Finsternis vorlas, brachen sie in ein unbändiges Gelächter aus, weil fie glaubten, es handle sich um einen kostbaren Ulk, etwa im Stil der Moral von Buschens „May und Moriz“.

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Frau Seuron schildert die Unebenheiten und Ungeradheiten seines Charakters ebenso rückhaltlos wie die Lichtseiten, wie sein edles, warmfühlendes Herz, seine Teilnahme für fremde Sorge, fremdes Leid. Er ist jedenfalls im Stande, ebenso verächtliche Regungen, wie edle Empfindungen zu haben, gleich allen bedeutenden Charakteren. Nur tut es einem leid, wenn man auf eine faule Stelle stößt, denn seine Schriften lassen wenig Schwächen zu, sobald sie das Gebiet der Betrachtungen über das Leben betreten. Aber es ist von großem Wert, den Schriftsteller auch von dieser unvorteilhaften Seite fennen zu lernen. Gerade durch Unvollkommenheit tritt er der Menschheit näher.'

Seine Fehler sind vor allem Unzuverlässigkeit, Zweideutigkeit, eine gewisse bäuerliche Hinterhältigkeit, durch welche diejenigen, die mit ihm geschäftlich zu tun haben, häufig geschädigt werden, endlich eine leichte Hinneigung zum Komödiantentum. Im liebenswürdigsten und erheiterndsten Lichterschienen diese kleinen Charakterzüge des Grafen, als Déroulède auf Jasnaja Poljana erschien, um ihn für die Pläne der französischen Patriotenliga zu gewinnen. Drei Tage lang hielt der Graf den eifrigen Revanchehelden mit ausweichenden Antworten hin. Endlich zog er ihn mit größter Zuvorkommenheit und Herzlichkeit in seinen Familien Lesezirkel, um ihm dort eine seiner kleineren Rekrutengeschichten vorzutragen, in denen Militarismus und Krieg auf das schonungsloseste gegeißelt werden. Déroulède verstand und reiste noch am selben Abend zur Eisenbahnstation ab.

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Sein Seelenleben!" schließt die Verfasserin ihre Betrachtungen: Pharisäer nenne ich euch, die ihr es wagen wollt, heuchlerisch die Menge glauben zu machen, daß ihr wißt, wer Er war, wer Er ist und wer Er sein wird. Gefühlt muß man haben Tolstojs Schrei, imstande muß man sein, den Kern zu erfassen, den momentan_auftauchenden Titanen, der wie eine Erscheinung vorüberhuscht, herauszufinden, und gleich daneben ihn als hilfsbedürftiges, wehklagendes Menschenkind jammern zu hören; dort als Riese kämpfend, hier als Erdenwurm sich frümmend, die Arme ausstreckend nach dem Sonnengott, nach Atem ringend jenseits der Sterne und dann wieder auf den vien sich die Brust wund schlagend, Vergebung erflehend

vor seinem Gewiffen. Sein Seelenleben! Wer kann sich anmaßen, auch nur eine Idee davon zu haben! Zu philosophiren, zu analysiren ist unmöglich, da wo ein Rätsel vorliegt oder eine Offenbarung! Bescheiden werden unsere Kinder einst das Buch öffnen, worauf sein Name steht und sagen: Er war einer der Hellsehenden im Reiche der Geister - er war der Wahrheit nahe in seinem Frren!"

Totenwacht.

Skizze von Sugo Gerlach.

Die drei Diebe hatten in der vergangenen Nacht einen Einbruch versucht und waren dabei gestört worden. Der lange Heinrich," der auf der Treppe Wache stand, hatte das Warnungssignal gegeben und war dann entflohen, auch Hermann fonnte noch rechtzeitig über die Treppe entweichen, aber für den dritten der Gesellen, der wegen seiner Verwegenheit den Verbrechernamen „Karl der Kühne“ führte, war es schon zu spät, denn er befand sich in einem weitab gelegenen Zimmer. Um nicht gefaßt zu werden, wagte er es aus dem Fenster ersten Stockwerkes zu springen. Er kam anscheinend wolbehalten auf dem Straßenpflaster an, doch als er sich erheben wollte, fühlte er furchtbare Schmerzen; nur mit gröster Anstrengung konnte er sich bis zur nächsten Straßenecke schleppen, wo seine beiden Freunde ihn erwarteten. Sie führten ihn nach seiner Behausung, aber noch ehe sie sie erreichten, quoll ihm schon Blut aus Mund und Nase.

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Es war etwa vier Uhr Morgens, als die drei in der elenden Kellerstube anfamen; beim Scheine eines Schwefelholzes wurde der Schwerverlette auf sein Lager gebettet, das aus einem Strohfack, zwei Pferdedecken und einem Lederpolster, aus dem Büschel von Seegras herausguckten, bestand.

Dort lag er. Die beiden anderen zündeten indeffen die Lampe an - ein kleines trübfeliges Ding ohne Glocke. Sie blieben bei dem Kranken und taten zu seiner Pflege, was ihnen recht schien einen Arzt zu holen wagten sie nicht.

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In dem Raume befanden sich nur noch ein Tisch und zwei Stühle, die sie an die Lagerstätte trugen, um davor Plaß zu nehmen.

Als es Tag wurde, bekamen sie Hunger und holten sich Brot, Wurst und einen Krug Bier, dem im Laufe des Tages noch mehrere folgten, denn es wurde Mittag und Nachmittag und die beiden saßen immer noch am Tische vor dem Krankenlager und tranfen und rauchten.

Der Verlegte stöhnte während der ganzen Zeit herzzerbrechend und wand sich vor Schmerzen.

Als der Abend kam, ward sein Stöhnen zum Wimmeru, das allmälig schwächer und schwächer wurde.

,,Du, Männe", meinte Heinrich, der sich über das Lager_gebeugt hatte und eben das verdußte Geficht seinem Genossen zuwandte, er is' tot."

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