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die menschliche Gesellschaft als realer Organismus anerkannt werden. Die Hindernisse, welche sich dieser Erkenntniss entgegenstellen, sind jedoch sehr zahlreich.

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Bacon bezeichnet in seinem epochemachenden » Novum Organum vier Arten von »Idolen« oder » Vorurtheilsgötzen<«<, welche die >>Interpretation<< der Natur erschweren, fälschen, verwirren. Er bezeichnet sie als Vorurtheile der Gattung, des Standpunktes, der Gesellschaft und der Bühne.

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Da wir die menschliche Gesellschaft als ein Naturprodukt anerkennen, so müssen wir uns darüber Rechenschaft ablegen, ob zu dieser Erkenntniss nicht auch dieselben »Vorurtheile << den Weg versperren und das Licht verdunkeln.

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>> Die Vorurtheile der Gattung«, sagt Bacon, »haben ihren Grund in der menschlichen Natur selbst und im Geschlechte, in der Gattung der Menschen. Es ist eine falsche Annahme: unsere Sinne seien der Maassstab der Dinge. Vielmehr sind alle Wahrnehmungen, sowohl sinnliche als geistige, der Beschaffenheit des Beobachters, nicht dem Weltall analog; und der menschliche Verstand gleicht einem unebenen Spiegel zur Auffassung der Gegenstände, welcher ihrem Wesen das seinige beimischt und so jenes verdreht und verfälscht.«*)

Mit genialem Scharfblick und in treffender Kürze spricht hier der grosse Denker diejenige Wahrheit aus, welche erst in neuerer Zeit auch auf naturwissenschaftlichem Wege unumslösslich bewiesen worden ist, nämlich dass zwischen den Erscheinungen der Natur und den Eindrücken, die sie auf unsere Sinne machen, ein wesentlicher Unterschied vorhanden ist, dass die Welt etwas Anderes ist, als was sie uns erscheint, oder, nach der philosophischen Ausdrucksweise, dass zwischen dem Subjektiven und dem Objektiven, dem

*) Franz Bacon: Neues Organon der Wissenschaften, deutsch v. Brück,

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Ideellen und dem Materiellen, der Vernunft und dem »Ding an sich ein Gegensatz existirt, den wir seinem Wesen nach nicht ergründen können. Alles, was wir wissen können, geht nur darauf hinaus, dass wir einer bestimmten Ursache eine bestimmte Wirkung zuschreiben.

Letzteres ist jedoch nur dann möglich, wenn wir zum Wenigsten die oberflächliche und zufällige Täuschung der Sinne beseitigen, wenn wir die äusseren Sinne durch die inneren kontroliren und auf diesem Wege das Gesetzmässige in uns mit dem Gesetzmässigen ausser uns in Einklang bringen.

In diesem Verhältniss steht der Mensch auch der Gesellschaft gegenüber. Auch sie, wie wir es im ersten Theile dieses Werkes nachgewiesen haben, ist ein Naturprodukt und dieses Naturprodukt erscheint unseren Sinnen nicht so, wie es wirklich ist. In Folge der Sinnestäuschungen hat man die menschliche Gesellschaft bis jetzt nicht für ein reales Wesen gehalten und es bedurfte der neuesten Errungenschaften der organischen Naturkunde, um den Beweis liefern zu können, dass der sociale Organismus ein realer ist, gleich den Einzelorganismen der Natur. Das Wesen dieses Organismus können wir freilich auch jetzt nicht ergründen, gleichwie das Wesen jeder Naturerscheinung; was jedoch uns von nun an zugänglich werden wird, das ist die Erkenntniss des realen Kausalzusammenhanges zwischen dem Menschen und der Gesellschaft und zwischen letzterer und der Natur. Und das ist Alles, was die Wissenschaft erlangen, wonach sie streben kann. Die Sinnestäuschung, das >>HauptVorurtheil der Gattung«, ist beseitigt. Es handelt sich jetzt nur darum, die Socialwissenschaft in diejenigen Wege zu leiten, welche im Gebiete der Naturkunde zu so glänzenden Resultaten geführt haben. —

Die Vorurtheile des Standpunktes nennt Bacon diejenigen, welche den persönlichen Anlagen und Eigenschaften eines jeden einzelnen Menschen ankleben. » Denn Jeder«<,

sagt er, »hat (ausser den allgemeinen Verirrungen der Menschennatur) noch einen besonderen Gesichtspunkt, einen eigenen Standpunkt, wonach sich das Licht der Natur bricht und zersetzt. Dieser ist Folge der eigenthümlichen Natur eines Jeden, oder der Erziehung und des Umganges, oder der Beschäftigung mit Schriften und des Nachbetens verehrter Männer, oder er wird bestimmt, je nachdem die Eindrücke ein vorher eingenommenes, oder ruhiges, freies Gemüth ansprechen u. dgl. Der menschliche Geist ist also, nach der jedesmaligen Laune des Einzelnen, ein unbeständiges, schwankendes vom Zufall abhängendes Wesen.<< Und zum Schluss führt Bacon die Worte Heraklit's an, dass die Menschen ihr Wissen aus den kleineren Welten, nicht aus der grossen allgemeinen Welt schöpfen. *)

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Diese Art Vorurtheile treten gerade im socialen Gebiete am grellsten und schroffsten hervor. Den Naturerscheinungen gegenüber rühren die Vorurtheile des Standpunktes vorzugsweise von subjektiven Täuschungen her, welche durch die äusseren Sinne verursacht werden, es sei denn, dass mit diesen Täuschungen religiöse Anschauungen oder persönliche und öffentliche Interessen verbunden seien. Die Vorurtheile des Standpunktes im socialen Leben stammen dagegen fast ausschliesslich von subjektiven, tief in's Innere des menschlichen Herzens und Gemüthes hineingreifenden Anschauungen, Anlagen, Bedürfnissen und Strebungen her; sie sind meistentheils auch mit zahlreichen materiellen Interessen, mit Familienverhältnissen, öffentlichen Beziehungen, mit dem Beruf und der Stellung im Leben eng verknüpft und unlösbar verbunden. Von diesem Gesichtspunkte aus kann man behaupten, dass ein jeder Stand, ein jeder Beruf, eine jede Stellung ihr specielles Vorurtheil mehr oder weniger an den Tag legt. Der Militär betrachtet und beurtheilt Alles vorzugsweise vom

*) Ebendas., S. 33.

Gesichtspunkte der Disciplin und der kriegerischen Thätigkeit; der Naturforscher sucht Alles vom Gesichtspunkte des Kausalzusammenhanges zu erklären; der Künstler legt Allem den Maassstab des Ideellen an; der Adel, der Mittelstand, der Bauer, der Industrielle, der Proletarier, jeder Parteimann überhaupt sie alle haben ihre Vorurtheile des Standpunktes. Nur die Wissenschaft darf solche nicht hegen; nur sie kann unpartheiisch auftreten. Aber es fragt sich, wie viel Schriften und Werke giebt es im Gebiete der Socialwissenschaft und in der Geschichte, die nur einen Zweig derselben bildet, welche kein Vorurtheil des Standpunktes an den Tag legen? Gewiss nur eine äusserst geringe Zahl und auch diese werden gewöhnlich falsch beurtheilt, weil der Leser selbst meistentheils von irgend einem Vorurtheil des Standpunktes beeinflusst und geblendet wird und Alles nur von aussen her, von seinem speciellen Standpunkte aus, auffasst und beurtheilt. So bemerkt auch sehr richtig Bacon, dass das Neue, wenn es sogar Anklang findet und als wahr anerkannt wird, dennoch immer nach der alten Art und Weise angeeignet, so zu sagen, der neue Wein in die alten Schläuche gegossen wird.

Zu den Vorurtheilen des Standpunktes muss auch die Anschauung der meisten Kulturhistoriker gerechnet werden: die moderne Civilisation stelle nicht blos einen relativen Fortschritt gegen die früheren Entwickelungsstadien der Menschheit dar, sondern etwas wesentlich Neues, noch nicht Dagewesenes. Dieser Standpunkt führt einerseits zu übermüthigen und verächtlichen Urtheilen über die Vergangenheit und traut andererseits auch der Zukunft nicht viel zu, in der Voraussetzung, dass das Höchste und Erhabenste bereits durch die gegenwärtige Kultur erreicht worden sei. Diese Anschauung im Gebiete der Socialwissenschaft entspricht der geocentrischen Anschauung, nämlich derjenigen, nach welcher unsere Erde noch als Mittelpunkt des Weltalls angesehen wurde.

Die Entdeckung Copernikus' hat diese Anschauung zerstört. Und so werden auch die zukünftigen höheren Kulturstadien den Wahn der gegenwärtigen Generationen, die sich speciell als Kulturträger bezeichnen, zerstören und werden letztere möglicherweise von der fernen Zukunft als rohe Barbaren und Plattköpfe bezeichnet werden.

Von den Vorurtheilen des Standpunktes stammen im socialen Gebiete alle politischen und socialen Leidenschaften her, alle auf subjektive Strebungen gegründeten Theorien, jeglicher Parteihass, alle einseitigen Auffassungen über die Aufgaben, die gegenseitigen Pflichten und Rechte des Einzelnen, der Gesellschaft und des Staates. Nur die Wissenschaft, welche sich unpartheiisch über alle diese Partheistandpunkte erhebt, kann die Leidenschaften niederschlagen, die Anschauungen klären, die falschen Auffassungen zurechtstellen und berichtigen. Damit jedoch die Wissenschaft in den Stand gesetzt werde, diese ihre hohe und schöne Aufgabe zu erfüllen, muss sie nichts mehr sein wollen, als Wissenschaft, gleich der Naturkunde, und die menschliche Gesellschaft von demselben objektiven Standpunkte aus zu erkennen suchen, wie es die Naturkunde mit den Erscheinungen der Natur thut. So lange die Socialwissenschaft diesen Standpunkt noch nicht wird eingenommen haben, wird sie nothwendig in Vorurtheile des Standpunktes verfallen, welche das Erkennen der Wahrheit verdunkeln und verhindern müssen.

Zu den Vorurtheilen der Gesellschaft rechnet Bacon vorzugsweise dasjenige Bindemittel, welches den Menschen am festesten an den Menschen knüpft, nämlich die Sprache. >>Die Worte«, sagt Bacon, »werden der Fassungskraft des gemeinen Haufens gemäss gewählt und so wird der Verstand durch umfassende Wortbezeichnungen vielfach irre geführt. Die Definitionen und Erklärungen derselben, welche sich die Gelehrten manchmal vorbehalten, machen keineswegs

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