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vierteljährlich, 3 Thlr. für das ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie.

No 134.

für die

Expedition (Friedrichs-Straße Nr. 72); in der Provinz so wie im Auslande bei den Wohlöbl.. Dostk - Aemtern.

Literatur des Auslandes.

Berlin, Freitag den 8. November

England.

Auszüge aus dem Notizenbuch eines Arztes.

Der Hypochondrist.

Unter den vielen Unausstehlichkeiten der Gefellschaft ist wohl feine in Wahrheit so arg, wie der nähere Umgang mit einem Hypochondristen; das Opfer dieses Umgangs mag ein gewöhns licher Verwandter oder der heilkundige Rachgeber des Leidenden feyn. Vergebens stellt dieser vor, daß aud andere Kranke in Schmerzen oder gar in Lebensgefahr seiner ängstlich_harren; hilft nichts! er muß hören, wie die tausendmal erzählte Ges schichte von Leiden anfängt, fich in einem neuen Laufend zu wiederholen. Ist der Patient männlichen Geschlechts, so hält er ihn bei einem Knopfe fest, der verloren ist, wenn sein Bestßer nicht hören willz; ist es eine Dame, fo legt sie die danne, bleiche Hand auf den Vorderarm des Arztes, und diefer kann nicht mit eisernem Herzen den Faden der Erzählung durchschneiden, wenn er bedenkt, wie die schöne Klagende sich in Furcht vor dem nahen Tode befindet, einer Furcht, die noch drückender wird, weil sie auf demselben Punkte mit einer unbesiegbaren Leidenschaft fürs Leben zusammenwohnt, und wie die Kranke, nach ihrer Meinung, von allen frohen Genüffen abgeschnitten ist. Wir bringen den Kranken um gar viele Genugthuung, wenn wir uns weigern, ihn an zuhören. Die Auseinanderseßung seiner Leiden und der Glaube an das Mitgefühl des Zuhörers geben ihm eine eigens thümliche Befriedigung, und er sucht jede Gelegenheit, sich diese zu verschaffen. Das Wohlgefallen mancher Hypochondristen an der Darstellung ihrer Leidensgeschichte geht oft so weit, daß sie eine Abneigung gegen Troft und Linderung zeigen, um ja dieses Wohlgefallens nicht beraubt zu werden.

Eine sonderbare Thatsache ist's, daß der Hypochonder, so fehr er auch nach dem Arzte schmachtet, doch weniger als andere Kranke seine Anordnungen befolgt. Er ist schlimmer daran, wie Tantalus; er ist unglücklich, wenn ihm nichts verschrieben wird, und stehen die ersehnten Balsame vor ihm, so berührt er sie nicht. Zum Beweise meiner Behauptung folgendes Briefchen von Mrs.

,.

,,Mein lieber Freund.

Ich habe Ihren Rath genau befolgt aber ich habe bloß eine Pille genommen. War das so recht?.... Billigen Sie geschmorte Käiberfüße? Was meinen Sie zu leichten Puds dings? Kann ich Brod, Reis, Sago ohne Gefahr genießen? Sind Fische zuträglich, oder ist Braten noch immer das Beste? Ich habe die Nacht gut zugebracht und bin diesen Morgen befferen Muthes. Aufrichtig die Ihrige Maria -."

Diese Dame hat, wie viele ihres Gleichen, ihr Leben der Untersuchung gewidmet, der Untersuchung nämlich, welche und wie viel Nahrungsmittel ihrem gerrätteten Gesundheitszustande nicht schaden. Ein Körnchen anders, ein Körnchen mehr in ihre vergnügen; fie fürchtet Alles und hofft gar nichts; fie verlängert hofft gar nichts; fie verlängert ihre Krankheit, indem sie über den Leiden derfelben brütet, und verkürzt fich das Leben dadurch, daß sie es mit der Besorgniß, es möchte bald aufhören, ausfüllt. Ich habe diese Lady feit vielen Jahren gefannt und schäße ihre Herzensgute sehr hoch, während ich das Elend bellage, welches fie durch ihre hypochons drifchen Grillen sich selbst zuzieht. Natürlich sanft und zärtlich gegen ihre Umgebung, ist doch ihre Liebenswürdigkeit durch die Krankheit verdrängt worden; denn nichts Pann mehr die Ges muthsart trüben, als die bestandigen Gefühle von Schmers. Die ehrwürdige Mrs. hat fortwährend den Doktor so oder so zur Hand; fie steht immer an der Gränze des Wohlbefindens, aber niemals innerhalb desselben; sie ist immer besser, aber niemals wohl; ist das eine Symptom besiegt, so ist gleich ein anderes dafür da. Sie kommen und verschwinden auf. ihren Befehl, gleich unterirdischen Geistern; aber obgleich fie, wie der Zauberer, diese Geister beschwört, so zittert fie doch mehr als jeder Andere bei ihrer Erscheinung. mehr al

Küche geworfen, wird alles undarfeld von Angst und Miks

Die Arme war das einzige Kind eines reichen Mannes, folglich wuchs sie als verdorbenes Kind empor. In dem Plane ihrer Erziehung waren weder die geistigen noch die körperlichen

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Bervollkommnungen ernstlich bedacht; ein schöner Wagen stand au dés kleinen Mädchens Verfügung, damit es ja nicht die jungen Glieder anstrenge, und so mußte natürlich ihre Gesundheit bes 'droht werden. Sie wurde nervos, hysterisch und in den Vers dauungs, Werkzeugen geschwächt, und ehe sie das 50ste Jahr ers reichte, war sie eine vollkommene Hypochondristin. Sie war früh Witwe geworden, hatte mit dem Verlust ihres Mannes auch die Gesellschaften verloren, die dieser um sich versammelte, und wurde in einen Zustand von Einsamkeit verfeßt, was für dies jenigen, welche von Natur zur Hypochondrie geneigt find, am schüssten ist. Obgleich sie einen Schwarm von Dienern im Haufe hat, obgleich sie mit allen Glücksgütern gesegnet ist, so lebt sie doch still, einsam und ohne Genuß. Die Gegenwart ihrer nachten Verwandten, ihrer besten Freunde ist ihr ldftig, weil dadurch die mit ängstlicher Pünktlichkeit befolgie Lebensweise auf einen Augenblick gestört werden könnte.

Sie steht des Morgens sehr zeitig auf, weil der liebe Doktor versichert, daß die Morgenluft die Wirksamkeit der Arzneimittel begünstige. Der liebe Doktor wird auch bald herbeigerufen, um seine täglichen Klagelieder zu hören. Heute scheint die Harte und Ausdehnung des Wagens eine neue Krankheit zu verfünden. Was foll gegeffen werden, um den Druck zu erleichtern? Sie zieht den Doktor ans Fenster, damit er flar sehen kann, wie bleich sie ist, oder wie ihr die Röthe ins Gesicht steigt. Glaubt er, daß der Schmerz über dem linken Auge eine Apoplerie an seige? Was ist der Grund, daß sie keine Minute lefen kann, ohne daß es ihr schwindelt; daß sie im Ohre einen Lärm hört, als wäre ein kochender Kessel darin? Sie fürchtet, endlich wahns finnig zu werden und im Irrenhause zu sterben. Der Arzt vers schreibt, empfiehlt sich und schäßt sich glücklich, auf einige Stunts den der Folter entkommen zu seyn, auf die er morgen wieder gespannt wird und die von seinem praktischen Leben unzer, trennlich ist.

Einen großen Irrthum begehen Viele, der bloßen Einbil dung die Leiden des hypochonders zuzuschreiben. Sie leiden an phoflichen Störungen des förperlichen Organismus, welche eine Beklemmung und Besorgniß hervorrufen, die dadurch noch vers größert wird, daß der Kranke seine ganze Aufmerksamkeit bei ihnen verweilen läßt. Diese krankhaften Empfindungen drängen auch den Leidenden, sich seiner Beklommenheit zu entladen, for bald sich ein Freund findet, dessen Busen sie aufnehmen will. Er ist erfreut, zu sehen, daß seine Erzählung Sympathie weckt. Doch sah ich auch Manchen, der auf den Gedanken gebracht wurde, die Erzählung der Details feiner Uebel könnte ihm einen Grad von Verachtung zuziehen, und er unterdrückte in Folge dieser Vermuthung einen guten Theil dessen, was er sonst mit Begierde erzahlt haben würde. Welches Opfer eine solche Diss cretion für die Kranken seyn muß, kann man aus der Genugs thuung schließen, die sie empfinden, wenn sie so con amore ihr Herz auf dem Strom der Rede umherschaufeln.

Hypochondriften leiden oft von Illusionen, gleich Wahns finnigen; sie sehen Menschen und Dinge, die nicht eristiren. Walter Scott giebt eine Erzählung, die wunderbar beleuchtet, zu welchem Umfange solche Täuschungen wachsen können. Ein Schottischer Advokat glaubte sich immer von einem kleinen Mann begleitet, der, gestiefelt und gefpornt, ganz wie ein Ritter ges fleidet war. Nach einiger Zeit verwandelte der kleine Ritter sich in ein Skelett und brachte eine solche Verwirrung in dem Geiste des Advokaten hervor, daß dieser der Krankheit erlag. Merks würdig hierbei ist noch der Umstand, daß der Kranke felbst nicht an die Eristenz der Erscheinung glaubte und seinem Arzte vers sicherte, daß er nur als trauriges Opfer feiner Imagination sters ben muffe.) Ich fannte eine Dame, die immer einen schwarzen Hund neben sich am Tische sizen sah. ,,Sie können ihn nicht fehen", sagte fle zu mir,,,weil es nur ein Phantom meiner franks haften Einbildung ist." Es war derselbe Fall bei Dr. Donne, nur daß er an die Vision_wirklich glaubte. Er sah nẩmlich seine Frau mit einem todien Kinde auf dem Arm zweimal durch sein Zimmer gehen. Sein Zimmer war damals in Frankreich, seine Frau aber in England (S. Life of Dr. Donne by Isaac Walton p. 24).

') S. Letters on Demonology and Witcheraft, by Sir Walter Scott Bart. p. 29-33.

Diese Fälle müssen jedoch von denen unterschieden werden, wo Menschen glauben, fie seyen aus Glas, Wachs und anderen Stoffen. Ein Bäcker in Ferrara glaubte, er wäre aus Butter zusammengefeßt, und wollte deshalb nicht an seinen Ofen gehen, damit er nicht schmelze. Diese Falle gehören nicht ins Gebiet der Hypochondrie, sie sind Monomanicen.

Die Hypochondrie wird öfter mit Melancholie verwechselt, und wirklich führt sie häufig dazu. Sie gleicht ihr manchmal so genau, daß man sie das erste Stadium derselben nennen kann. Illusionen sind in beiden Krankheiten; der Hypochonder jedoch weiß, daß es nur Illusionen find, während der Melancholikus fie. für Wirklichkeiten hält. Der Erstere hat wirkliche Smerzen, die für ihn solche ind, weil er nervöser Natur ist; er fürchtet den Tod, weil er das Leben liebt; der Melancholikus hingegen sehnt sich nach dem Tode, weil er diese Welt als ein unermeßliches Jams merthal betrachtet, das voll von Unglück aller Art ist, während im Grabe Ruhe und Linderung der Leiden zu finden ist. Aus diesem Grunde werden im Anfall der Melancholie Selbstmorde veråbt; die hypocondriften aber denken nicht entfernt daran, sich auf solche Seife zu befreien. Diese leiden physisch se, daß ihre Vernunft geschwächt wird, zu gleicher Zeit aber auch der Muth finkt. Er haft bis zu einer Furchtsamkeit herab, die ihn vor dem Gedanken des Todes zittern macht. Der Melancholikus leider moralis), und er gewinnt, nach langem Kampfe mit sich, den Muth der Verzweifling am besseren Glücke und sucht lehteres in der ewigen Ruhe des Grabes. Die Unterscheidung zwischen Hypochondrie und anderen lebein, ihre Pathologie und Behand lang muß dem Arzt überlassen bleiben; die Kenntniß der Ursachen jede und ihrer moralischen Behandlung kann nicht weit genug verbreitet werden.

Conftication und Temperament scheinen wenig Einfluß auf die Entstehung der Krankheit zu haben. Die Kraftfälle der Jugend und die Gravität des Alters find thr entgegen. Sie bildet sich zwischen dem 25sten und 50sten Lebensjahr, und Manner sind ihren Anfällen mehr als Weiber ausgefeßt. Diese sind in frühes ren Jahren der Hysterie unterworfen, etwa im 50sten Jahre leiden sie von der Hypochondrie, so wie meine Freundin Mrs. doch erreicht die Krankheit keinen solchen hohen Grad, wie bei den Männern.

Die Ursachen der Hypochondrie sind zweierlei, eine mo ralische und eine physische. Die erstere trifft man bei Per: fonen von sisender Lebensart, bei denen, welche einen übers mäßigen Gebrauch von Thee, Kaffee u. dergl. machen. Gelehrte greifen geröhnlich zum Gebrauch der Chinesischen Pflanze im lebermaße. Unverdaulichkeit und Störungen in den Gedärmen ind die natürliche Folge, und dieje führen zur Hypochondrie. Beim weitlichen Geschlechte ind es besonders Näherinnen, die, von Thee und Butterbrod lebend, dabei sich nicht genug be wegen, die Verdauungskräfte verlieren und der Hypochondrie ans heimfallen.

Es ist in der That frånkend für den menschlichen Stolz, wenn er bedenkt, daß das Vermögen, seine geistige Fähigkeit auszuüben, vom Zustande des Magens abhängt, daß das einige Stunden längere Zurückbleiben unverdauter Speise schwermüthig, gereizt macht; daß hierdurch der Schlaf geraubt oder durc fchreckliche Traume unterbrochen wird; daß der Schwung unserer Gedanken dadurch gelähmt, unsere Aufmerksamkeit mangelhaft wird, und daß wir dadurch Menschen und Dinge um uns mit tråbem Blick ansehen.

Nichie kann mehr die Denkkraft modifiziren, als Didt im Effen, Schlafen und der körperlichen Bewegung; fehlt diese, fo ist die Medizin, welche durch den Körper auf den Geist wirken foll, meist erfolglos oder fest gar andere lebel an die Stelle derer, die sie nur halb verilgt. Die Lebensweise Dryden's war den intellektuellen Beschäftigungen nicht günstig, und er mußte, fagt man, erst Arznei nehmen, ja sich öfter zur Ader laffen, che er an die Arbeit ging.

Die moralischen Ursachen der Hypochondrie entstehen in den Fehlern der Erziehung, je nach dem Geschlechte des Indivis duume. Ist es weiblich, so machen sich die üblen Folgen jener angstlichen Sorgen geltend, mit denen die krankhafte Empfang, lichkeit des nervösen Systems verzártelt worden ist. Feine Ges fühle, Sentimentalitet, Schüchternheit sind lauter schöne Dinge, die man beim Mädchen gern sieht; aber man ist gewöhnlich so sehr mit der Ausbildung dieser Eigenschaften beschäftigt, daß man darüber vergift, ihnen irgend ein Biel zu sehen, und daß dadurch das Mädchen leicht vergist, Gefühle und Wünsche zu kontrolliren. In England wenigstens wird die Einbildungskraft der Mädchen viel mehr genährt, als ihr Urtheil geübt, und hieraus entsteht die reisbare Empfänglichkeit, von der ich gesprochen habe; denn Jedermann weiß, daß Alles, was zu sehr anspannt und aufregt, in eine Erschöpfung übergeht.

Mufil, eine beim weiblichen Geschlechte mit Vorliebe getries bene Kunst, thut auch das Ihrige, die frankhafte Reizbarkeit zu erhöhen; der einfame, zum Sigen nöthigende Fleiß, welcher uns erläßlich ist, wenn man in dieser bezaubernden Kunst den in uns feren Tagen an die weibliche Bildung gemachten Anforderungen entsprechen will, hilft die Krankheitskeime vorbereiten, welche fich nach Jahren zur Hypochondrie entwickeln. Dennoch ist die mannliche Natur mehr als die weibliche dieser Krankheit ergeben. Besonders finden wir sie bei Beschäftigungen, welche wenig för perliche Bewegung zulaffen, dagegen die geistige Thätigkeit einer au großen nitrengung unterwerfen. Sie ist die eigentliche Krank

Nacht seinem Jdole ein Lämpchen voll Del und denkt selten dabei, daß er auch das Del seines Lebens mitopfert, daß seine unter dem Einflusse des Ehrgeizes unternommenen Arbeiten den Grund zur Schmermuth, Hinfälligkeit und einem Heere von Uebeln les gen, die seine Zukunft bedrohen und dem Abend seiner Lage kein heiteres Wölkchen zurücklassen, wenn er je diesen Abend erreicht. (Schluß folgt.)

Frankreic).

Die Schreckenszeit in der Bretagne.
Das Schloß La Hunaudaic.

(Schluf.)

Ich war im Walde angekommen, ohne weiter an das zu dens fen, was sich beim Syndikus begeben hatte, als ich hinter mir den Galopp von Pferden hörte; bald darauf erblickte ich zwei Gendarmen. Ich weiß nicht, wie es kam, daß mich die Ahnung überfiel, ich sen derjenige, den sie suchten. Mir blieb übrigens nicht lange Zeit, nachzudenken, denn sie waren bald an meiner Seite. Sie befahlen mir, still zu stehen, fragten mich nach meis nem Namen und forderten mich dann auf, vom Pferde za steigen. Ich fragte, was sie wollten. Wir haben den Befeht, Dich nicht weiter zichen zu lassen", wurde mir zur Antwort gegeben. Jhr führt mich also nach Lamballe zurück?" Wohin denn song?",,Du wirst es sehen."

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Während dieses Gesprächs waren die Gendarmen abgesties gen, zogen mich mit sich in den Wald, befestigten ihre Pferde an einem Baume und sündeten ihre Pfeifen an, ohne sich weiter bes sonders um mich zu bekẩmmern. Dies Abenteuer kam mir zu junderbar vor, um nicht mein Erstaunen und theilweise auch meine Besorgniß zu erregen. Mein erster Gedanke war, daß hier ein Irrthum obwalte, allein ich wurde bald enttäuscht; mich hatten sie anhalten sollen. Aber welches Verbrechens hatte ich mich schuldig gemacht? Was wollte man von mir? Ich erhielt auf alle meine Fragen keine andere Antwort als: so lautet der Befehl. Da ich wohl einjah, daß es mir nicht gelingen werde, die Schweigsamkeit meiner Wächter zu besiegen, so bejchloß ich, geduldig die Lösung dieses Räthsels abzuwarten. So verflossen ziemlich drei Stunden. Es war dunkel geworden, und es wehte ein kalter Wind. Meine beiden Gefährten fingen schon an, unges duldig zu werden, als plößlich ein Gerdusch zu unseren Ohren drang. Bald konnte man das Gefiirr von Waffen unterscheiden und beim Sternenschimmer die Uniformen erkennen. Die beiden Gendarmen brachen nun mit mir nach dem Rande des Waldes auf; ein Wer da! wurde ausgetauscht, worauf einige Männer von dem bewaffneten Haufen auf uns jukamen. Unter ihnen ers Pannte ich den Prokurator und den Fremden, den ich schon in Lamballe gesehen hatte. Den Ersteren fragte ich nicht zum sanfs testen, was man von mir wolle und warum man mich festgehal ten habe. Ich habe den Befehl gegeben", sagte der Fremde. ,,Und mit welchem Rechte?" fragte ich. „Ich bin der Bürs ger Morillon, Agent des vollziehenden Rathes." Nach diesen Worten fiel der Syndikus ein: „Der Bürger ist mit einer wichtigen Haussuchung im Schlosse La Hunaudaie beauftragt; Deine Unterhaltung mit Launay hat ihn auf die Vers muthung gebracht, Du mögest in Verbindung mit den Gunomas rais stehen und sie benachrichtigen." I kenne die Guyoma rais nicht und gehe auch nicht zu ihnen." Zu wem denn?" ,,Zum Wald: Aufseher.“ Und zu welchem Zwecke?" ,,Zum Behufe eines Holzlaufes." Der Bürger Kommissarius zog den Syndikus bei Seite, und Beide schienen sich zu berathen. Nach einer kurzen Unterredung wendete sich Morillon_zu_mir mít den Worten:,,Ich bin geneigt, Dich für einen guten Patrioten zu halten; Du kennst ohne Zweifel die Waldwege, da Du Dich ohne Führer aufgemacht hast.“ -,,Ich lenne fie." Vermuths lich wirst Du nicht ablehnen, an unserem Zuge Theil zu nehmen; es könnte feyn, daß wir eines Menschen bedürften, der das Terrain fennt, und in keinem Falle wird eine Verstärkung von awei Armen etwas schaden." -,,I bin bereit." ,Es lebe die Republik! Vorwärts!"

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Ich stellte mich mit dem Kommissarius, dem Prokurator und dem Friedensrichter an die Spise des Zuges. Ich hatte mir nicht verbergen fönnen, daß die Aufforderung des Bürgers Mos rillon ein Befehl sen, der aus einem Rest von Mißtrauen eny fprang, aber ich hatte ihm die Wahrheit gefagt; ich brauchte nichts zu verschweigen und hatte nichts zu fürchten. Sein Arg wohn entwich daher auch bald. Ich hatte schon mehrmals an Sendungen gegen Priester, die den Eid nicht leisten wollten, Theil genommen, und ich war daher schon mit den Vorsichts maßregeln, die bei solchen nächtlichen Marschen beobachtet werden müssen, vertraut; ich gab sie dem Kommissarius an, der augens blicklich die Wichtigkeit einer Winke erkannte und feinen ders selben verabsdumte. Da ich wußte, daß der Hauptzugang sum Schloffe von Hunden bewacht werde, die unsere Ankunft vers rathen haben würden, so schlug ich einen abgelegenen Fußpfad ein, der uns an die Thür des Gartens führen mußte. Ich war allmålig einer der Führer des Zuges geworden, und ein je größerer Antheil mir zugestanden wurde, desto mehr wuchs auch meine Theilnahme. Ich berechnete alle Wechselfdile, als wenn ich persönlich verantwortlich gewesen wäre, und ich sah dem

hierbei hatte, wußte ich nicht, aber ich wußte, daß das In teresse der Republik hierbei im Spiele war, und das genügte mir. Zu einer anderen Zeit und für eine andere Sache würde i gern suradgeblieben seyn, das Schicksal derjenigen, welche man überfallen wollte, würde mich mit Unruhe erfüllt und ich würde gewünscht haben, daß sie von der ihnen drohenden Gefahr benachrichtigt worden waren; aber die Nothwendigkeit, das Vaterland zu retten, verdrängte damals alle andere Rücksich ten; erst nach dem Kampfe stellte sich das Mitleiden ein. Der Aufrührer wurde dem allgemeinen Interesse geopfert, wie man ich selbst opferte. Ueberdies waren die Royalisten nicht bloß politische Gegner, sondern Feinde. Der Krieg gegen sie schien eine rechtinasige Abwehr, denn sie hatten den Kampf überall begonnen, an den Gränzen und im Innern. Hier handelte es fich nicht bloß um Meinungen, sondern um Gefühle; man haßte. fie weniger aus Partei Leidenschaft, als aus nationalem Instinkt. Wir langten endlich beim Schlosse an. Es war kein Ges rausch zu vernehmen, kein Licht erglänzte, alle Bewohner schies nen im Schlaf begraben. Die erste Maßregel, die man traf, war die Aufstellung von Posten an allen Ausgängen. Das tiefste Schweigen war anbefohlen worden. Der Bürger Morit ion, der Friedensrichter und ich hatten uns einige Schritte von einer kleinen Gartenthür postirt, deren man sich nicht mehr zu bedienen schien, und wir warteten ab, daß die ertheilten Befehle vollzogen würden, als wir plöglich in dem Gehölze das Gerdusch von Schritten hörten. Ich gab meinen Gefährten ein Zeichen, und wir traten hinter einen Mauervorsprung zurück. Die Schritte kamen näher, die Bidtter rascheiten lauter, und es erschien bald darauf ein Bauer am Rande des Gehölzes. Aengstlich spähte er nach allen Seiten umber, endlich schrü er auf die fieine Thür au und bückte sich, um das Schloß zu suchen. In diesem Augens blick stårste ich mich auf ihn und faßte ihn bei den Armen. Er stieß einen lauten Schrei aus, aber der Bürger Morillon zwang ihn, zu schweigen, indem er ihm eine Pistole auf die Brust feßte. Wir entrissen ihm den Schlüssel und öffneten ohne Mähe die kicine Thür.

Im Garten stieß der Syndikus mit ungefähr dreißig Nationals Gardisten zu uns. Wir unterrichteten ihn kurz von der Lage der Dinge, und nachdem wir die Thür wieder geschlossen und zwei Schildwachen ausgestellt, schritten wir auf das Schloß zu. Bei diesem angelangt, fanden wir die Thür geöffnet wie absichtlich. Den Bauer schien dies zu befremden.,,Jest aufmerksam!" ges bot Morillon,,,damit uns Niemand entwische. Ein Dugend Menschen umringe das Schloß und gebe Feuer auf Jeden, der zu entfliehen versucht!”

Nachdem diese Anordnungen getroffen worden waren, wurde die Blendlaterne eröffnet und Fackeln angezündet. Das tiefe Schweigen, welches bis jest beobachtet worden war, wurde nun, wie auf ein verabredetes Zeichen, gebrochen, und die Nationals Gardisten stürzten in das Schloß. Es trat ein Augenblick unbe, schreiblicher Verwirrung ein. Der Bürger Morillon und der Prokurator liefen von Zimmer zu Zimmer, um Befehle zu ers theilen; man hörte nur noch eilige Schritte und Waffengeklirr; endlich erhob sich ein_Triumphgeschrei, gefolgt von mehreren anderen. Kurz darauf wurde der Friedensrichter abberufen; ich folgte ihm.

Als ich in eines der oberen Zimmer trat, erkannte ich in der Mitte der National: Gardisten und Gendarmen den Bürger Guyomarais, welchen ich früher schon gesehen hatte. Er stand gegen das Kamin gelehnt, bleich, aber stolz und verächtlich um fich blickend. Neben ihm lauerte eine junge Frau, die faft nackt war und zwei Kinder in ihren Armen hielt, mit denen sie ihre Nacktheit zu verhüllen sich; hinter ihnen stand cin Greis, zu dessen Füßen ein zerbrochenes Schwert lag. Es waren der Bürs ger und die Bürgerin La Guyomarais und der leßteren Vater, Micant de Mainville. Im Hintergrunde bemerkte man noch zwei Männer, von denen ich spdter erfuhr, daß es ein Herr Dampière und der Erzieher der Kinder seyen.

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Der Friedensrichter wollte eben das Verhör beginnen, als wiederum ein Freudenschrei ertönte: man führte drei andere Ges fangene herbei. Die beiden Ersten wurden alsobald als der Arzt Taburet und als ein Bedienter des Hauses erkannt; der Dritte nannte fich Morel und gab sich für einen Chirurgus aus. Bürger Morillon fragte hierauf den Herrn des Hauses, ob dies alle seine Gäste waren. -,,Alle", war die Antwort. ,,Du irrst Dich; es fehlt noch einer und gerade der wichtigste." ,,Wer denn?" -,,Tuffin de la Rouerie." Der Gefangene erbebte. ,,Du siehst, daß wir gut unterrichtet sind; Tuffin ist hier, und wir werden ihn ausfindig machen, sollten wir auch das Schloß in Brand stecken.“ -,,Thut es", gab La Guyomas rais falt zur Antwort. Es trat eine Pause ein; der Syndikus und der Bürger Morillon besprachen sich einige Augenblicke; fle erklärten hierauf, sie würden die Haussuchung fortjeßen, während der Syndikus die Gefangenen verhöre.

Sie entfernten sich wirklich, und das Verhör begann; dasselbe hatte kaum einige Minuten gedauert, als der Abgesandte des Konvents mit einem, Portefeuille ins Zimmer trat, welches das Wappen der La Guyomarais trug. Der Friedensrichter öffnete es und zog einen Trauring hervor, in welchen die Worte: ,,Dum spiro, spero" eingegraben waren; ferner eine Fahne mit einem gefickten Herzen, umgeben von einem weißen Kranze, fo wie einige an einen Herrn Gaffelin gerichtete Briefe. Der Ring glich denen, welche die Emigranten von Dudresnay als Symbol ihrer Hoffnungen trugen, und das Herz war, wie wir Alle

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wußten, das Feldzeichen der Kovalisten in der Bretagne. 'Die Briefe bezogen sich offenbar auf eine bevorstehende Insurrection, aber sie sprachen sich nicht klar darüber aus, und es fehlte uns der Schlüssel. Das Wichtigste war, zu erfahren, wer dieser Gasselin fey, an den über alle getroffene Vorbereitungen Bericht erstattet wurde. Da die Fragen, welche an die Gefangenen wegen dieser unbekannten Person gerichtet wurden, kein Resultat ergaben, so brachte ich den Bauer, welcher an der Gartenthür angehalten worden war, in Erinnerung. Der Bürger Morillon befahl, ihn augenblicklich herbeizuführen.

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Bei seinem Anblicke erbleichte La Guyomarais, aber er tauschte einige Blicke mit dem Bauer aus, welche ihn wieder zu beruhigen schienen. Der Bevollmächtigte des Konvents fragte ihn, ob er diesen Menschen kenne.,,Es ist mein Gärtner", ants wortete er. ,,Er heißt?“ Stephan." ,,Was hatte er zu dieser Zeit außerhalb des Schloffes zu thun?" Ich weiß es nicht." Der Friedensrichter nahm hierauf den Gefangenen vor: „Wo warst Du?" Im Walde." ,,Was thatst Du dort?!! Ich pflückte fünfblätterigen Klee.“ ,,um Mitters nachi?“ Das ist gerade die rechte Zeit." Der Bürger Morillon sah den Syndikus erstaunt an.,,Ist ein solcher Abers glaube wirklich noch hier auf dem Lande verbreitet?",,Allers dings ist er es; aber ich möchte wohl den fünfblätterigen Klee, sehen, den dieser Schlingel gepflückt hat. Wenn ich nicht irre, werden wir wichtige Entdeckungen machen. Man durchsuche ihn" Man durchsuchte, aber man fand nichts.,,Du wirst uns“, führ der Syndikus fert,,,wohl nicht aufbinden wollen, daß Du ausgegangen warst, um Klee zu suchen; übrigens ist es auch weder das erste Mondesviertel, noch Freitag." -,,Daher habe ich auch micht gefunden, was ich suchte“, erwiederte Stephan, indem er Herrn von La Guyomarais einen Blick des Einverständnisses zus warf. ,,Niemand wußte hier, daß Du ausgegangen warst? ,,Also hattest Du die Thür des Schloffes Ich wohne nicht im Schloffe." "Wo denn?" Im großen Gartenhause." ,,Allein?" meiner Frau." -,,Man hole fie!', befahl der Bürger Morillon, ,,und man durchsuche die Wohnung dieses Menschen."

,,Niemand." offen gelaffen?"

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Ein Dußend National - Gardisten entfernten sich, um diesen ́ Befehl zu vollzichen, als der Syndikus eine halbnackte Frau hers beiführte. Bei ihrem Anblicke verlor Stephan die Fassung. Katharina!" rief er aus. Diese erhob das Haupt, stieß einen Schrei aus und verbarg ihr Gesicht in beiden Händen.,, Wir haben sie so eben oben gefunden", sagte der Prokurator. Oben!" wiederholte der Gärtner. -,,In dem grünen Zimmer." Der Bauer stieß einen dumpfen Schrei aus und entfärbte fich; dann trat er mit geballten Fausten gegen Katharina vor. Unglückliche, was thatst Du dort?" stammelte er;,,antworte, was thatst Du dort?" Diese antwortete nicht, sondern fiet schluchsend vor ihm nieder; er aber faßte ihre beiden Hände und riß sie mit einem Rucke auf, so daß sie gerade und bebend vor ihm stand.,, Gnade, Stephan!" wimmerte fie.

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Der Bauer ließ das Weib wieder zur Erde sinken und rich, tete dann seine Blicke auf Herrn von la Guyomarais, der die Augen niederschlug.,,Also ist es wahr", rief er aus;,,deshalb war die Thür geöffnet. Jest verstehe ich Alles. Während ich Nachts im Walde umherstreifte und den Kugeln der Blauen ents gegenging, waren Andere hier glücklich und lachten mich aus. Mein Blut hatte ich hingegeben, aber man nahm mir auch noch die Ehre, und die Treue, die ich bewies, wurde mir mit Verrath vergolten." Er schlug sich dabei mit den geballten Fdusten gegen die Stirn, und in seinem ganzen Wesen malte sich eine unbe schreibliche Verzweiflung und Wuth. Herr von La Guyomarais trat einen Schritt gegen ihn vor. Der Schein tauscht Dich, Stephan", sagte er;,,spdter werde ich Dir Alles erkldren". Der Bauer lächelte höhnisch.,,Nein", antwortete er, ich weiß genug. Sie glaubten mir Alles nehmen zu können, weil Sie mein Herr find, aber man muß auch mit dem Schmerze der Kleinen kein Spiel treiben."

Stephan wendete fich hierauf zum Bürger Morillon und fagte:,,Sie suchen den Marquis; ich weiß, wo er ist, und werde es Ihnen fagen." Diese Aeußerung verursachte eine eben so all gemeine Freude unter uns, wie sie die Gefangenen zu erschrecken schien. Herr von La Guyomarais wollte sich auf den Gartner stürzen, aber man hielt ihn zuråck.,,Erinnere Dich, was Du auf Deine einstige Seligkeit versprochen haft", rief er diefem au. Der Bauer schüttelte das Haupt und sagte, indem er Katharina anblickte:,,Es war noch Jemand, der seine Seligkeit verpfans det hatte, aber man hat ihr ihr Versprechen aus dem Gedächts` niffe gebracht; das thaten nicht die Blauen, sondern einer von denen, welchen ich mein Leben gegeben hatte Gott vers aeihe ihm, weil er Gott ist, aber ich werde mich rdchen und,. so wahr ich ein Christ bin, sein Haupt auf's Schaffot bringen." -Und auch das der Anderen, Unglücklicher!" "rief ihm La Guyomarais zu. Stephan zitterte.,,omm", fagte der Bevolls mächtigte des Konvents, der seine Unschlüssigkeit gewahr wurde; ,,die Republik bestraft die Verräther, aber sie verzeiht ihren vers irrten Kindern." Der Bauer schien zu schwanken. "Willst Du Dich nicht rächen?“ flüsterte ihm Morillon zu. Er richtete fich hoch auf und schritt durch die Thür.

Wir folgten ihm mit einem Gefühl der Neugierde, in das fich Furcht und hoffnung mischten. Er führte uns durch den Garten, öffnete eine verborgene Thur, fchritt einige Minuten langs der Außenmauer hin und blieb endlich bei einem Mauervorsprunge unter einem jungen Kirschbaum stehen. Dann wendete er sich zu

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vierteljährlich,ble, fir das ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchic.

No 135.

für die

Expedition (Friedrichs-Straße Nr. 72); in der Provinz so wie far Kuslande bei den Wohnöbl. Post- Aemtern.

Literatur des Auslandes.

Berlin, Montag den 11. November

Rußland.

Segeliel, oder der Don Quixote des 19ten Jahrhunderts.

(Bruchstück aus dem ersten Theile. *)

Segeliel's Zimmer. Ein Tisch voller Papiere, Bücher, Zeichnungen; rings umber musikalische Instrumente, physikalische und chemische Apparate. Der Morgen bricht so eben an.

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Segeliel (feine Kleider abwerfend). Schon drei Uhr!.... Die gange Nacht verloren → rein verloren!.... Nicht eine freie Mis nute lonnt' ich finden weder mit dem Grafen sprechen, noch mit dem Knds.... Wie's scheint, brachte ich diese fünf Stunden nur hin, um mich von Eydien's Untergange zu überzeugen!.... Endie, Endie!.... Doch hinweg dies irdische Gefühl! Nicht zum Genusse ja bin ich auf die Erde herabgesandt.... Aber woju denn? Was bedeuteten die Worte Lucifer's: „D Cypriano, Cypriano! ich gedente Deiner! Ich gedenle dessen, wie ich mich in meinem ersten Leben über Dich luftig gemacht, dem Lucifer zu Gefallen!" Ich erdulde Deine Martern: Alles sehe ich, Alles verstehe ich in dieser Minute aber Vers gangenheit, Bulunft — wer erräth euch?.......... Ich Unglückseliger! Alles seh' ich, Alles verstehe ich nur, um die Unendlichkeit der Leiden des Menschengeschlechts zu erkennen nur, um mich von der Eitelkeit aller meiner Bestrebungen zu überzeugen.. Wenn mir nun ein Lohn dafür au Theil würde? Wie, wenn ich doch glauben dürfte, daß meine Ideen - daß es gut, daß ich vergeblich leide: daß dermaleinst meine Qualen den Menschen gute Früchte tragen werden? Aber auch dies sind keine Gewißs heiten- und das Gefühl der Liebe zur Menschheit brennt in meinem Herzen immerfort, nur zu meiner unfäglichen Marter ... O Schicksal, Schicksal! warum hast du dies raftlos peinigende Gefühl mir eingehaucht? Das ganze Weltall wollte ich umfassen in einer großen Umarmung alle Menschen möcht' ich an mein Herz preffen! Ich breite die Arme aus und umfasse.. ein Dunstgebilde! D, weshalb kann ich nicht, wie die anderen Menschen, meinem Gefühle seine Gränzen anweisen, ruhig einen Gegenstand mir wählen, unbekümmert um die ganze Welt mit ihm mich beschäftigen?.... (Er schlägt ein Buch auf.) Da, diefer Mann hier schrieb vier starke Bande über die Pilze!... Wie ihm das nur möglich geworden? Vielleicht fand er in seiner Jugend einmal einen Pils, betrachtete ihn genauer, seichnete, serlegte und untersuchte ihn und nach ihm andere Pilse, legte fich dann förmlich auf das Studium der Pilze, lehrte über sie und widmete endlich sein ganzes Leben ausschließlich den Pilzen so daß, ob Dichter und Musiker Himmel und Erde mit zaus berfüßen Klangen erfüllten, ein Komet mit verhängnißschwer ges. heimer Bahn die Elliptif durchkreuzte, die verheerendsten Seuchen aber den ganzen Erdkreis hereinbrachen, Königs und Kaiser Reiche ringsum in Trümmer stürzten, er, unwandelbar gelassen, in der weiten Welt nichts erblickte, als Pilze und zuleßt in das Grab stieg, noch immer still nachfinnend über seine viels geliebten Pilze!.... D, du dreimal Glückseliger! Wie aber

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ich hange wohl gar meinen Einbildungen nach · und wie viel Arbeit habe ich noch für diese Nacht?.... Was soll ich nun zuerst vornehmen?.... Doch, die irdische Natur verlangt schon wieder ihr Recht: der Körper ist erschlafft, die Augen fallen mir zu. Wir wollen uns indeß schon überwinden: diefer Erant vertreibt ja den Schlaf und erweckt.... Krankheit. Run, was schadet das? Fahre denn nur hin, du vergangs liches, fleches Wefen!.... (Er leert ein vor ihm stehendes Glas Opium.) Womit aber nun anfangen?.... Wir wollen doch einmal diese Papiere ein wenig durchsehen: Ah, ein Entwurf su einer milden Stiftung.... (Er lieft.).... Vortrefflich! Der Berfaffer meint es redlich; er handelt nicht aus Eitelkeit.... Doch, was seh' ich? Wie viele Hindernisse stehen ihm dennoch entgegen Diefem braven Manne nicht zu willfahren er muß unterfügt werden! Aber wie?... Man muß alle diese Eins würfe widerlegen, muß darthun, wie völlig grundlos fie find. Dazu indeß, ja dazu wird man freilich ein ganzes Buch schreiben

) Wir haben kürzlich nach George Sand (die fieben Saiten der Lyra) etnen Franzöfifchen Faust kennen gelernt und theilen nun hier zur Vergleichung mit, wie ein neuerer Russischer Dichter einen ähnlichen metaphyfisch-fronischen Stoff auffaßt.

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müssen; denn an den Einwendungen der Gegner sehe ich, daß diese nicht einmal oberflächliche Kenntniß von der Sache besigen, gegen die sie auftreten. Mit dem A«b«c ́muß man für sie anfans gen.... und diese Arbeit sollte morgen fertig fenn! Unmöglich! Dem Grafen muß dies nur erklärt werden. Sehen wir jezt weiter: Der Doktor bittet, in den Hospitalern eine von ihm erfundene Arznei gegen die Schwindsucht versuchen zu dürfen. Ei, laß doch seben!.... Was erblick' ich? Unglückseliger Arzt! Er weiß nicht, dak in dieser Pflanze Gift verborgen ist serstörendfte Gift für den menschlichen Organismus!.... Erfins derisch, fürwahr! Die Scheidekänstler haben diejes Gift noch nicht gefunden und sle könnten es doch so leicht .... in ihren eigenen Heilmitteln finden!.... Der Doktor muß also eines Besseren belehrt werden aber wie? Ich soll mit ihm über diese Ideen sprechen, die vielleicht erft über hundert Jahre, nicht früher, den Menschen befannt werden... Um ihm zu erfidren, ihm zu beweisen, daß diese Pflanze verderblich für die Menschen ist, muß ich ja alle gegenwärtig vollgültige Meinungen umstoßen..... Was ist da zu thun etwa die Heilmittel ihm auseinanderseßen... erörtern? Dazu müßte ich aber mit seinen Begriffen anfangen, in ihrer Sprache zu reden beginnen, müßte ich ihre Sprache erst erlernen.... Wohlan, versuchen wir's denn! (Er schlägt ein medizinisches Werk auf.) Welch' ein Wust von Abgeschmacktheiten, unrichtigen Beobachtungen, falschen Folgerungen! Noch zwanzig Jahre, und Nichts von allem dem, was hier für unbestreitbare Wahrheit erklärt worden ist, kommt davon. Arme Schlucker! Fabelhaften Undingen legen fie stolze Namen bei, während sie wirklich Wesentliches übersehen und den Weg zur Wahrheit durch Tausende von Namen, Eintheilungen und Untereintheilungen fich selber verrammeln.. Ein halbes Leben schier müßte man daran fegen, alles dies umzustoßen, und ein anderes halbes daran wenden, ihre Sprache zu erlernen! Es ist entfeßlich, in Wahrs heit entfeßlich!.... Einstweilen aber fährt der Doktor sum Grafen in das Haus; er wird mit seiner Arznei Lydien ... turiren, und ich finde keine Mittel, fie vom gewissen Tode zu retten!.... Doch, war's nicht vielleicht auf einem Umwege noch möglich? Wir wollen's versuchen. (Er arbeitet.) Indeß, hier find ja noch andere Eingaben: Herr A. bittet um einen Titel.... Herr B. wünscht eine Gratification.... Vorstellungen wegen Ordensverleihungen..... Desgleichen..... Desgleichen.... Immer dasselbe... Nun, das Alles kann schon ein wenig warten: Diese Herren sterben ja nicht, wenn sie auch nicht so gleich Titel, Gratificationen und Orden bekommen. Dolior, der Doktor! In der Einfalt seines Herzens, in der Ueberzeugung, Gutes zu stiften, lädt er jeden Tag eine Sünde, eine Blutschuld, einen Mord auf seine Seele! .... Und die milde Stiftung.... Gelingt es mir nicht, ihr das Wort zu reden, so ist sie verloren.... Womit aber nun anfangen? Un ter diesem Antheile, den des Doktors Vorschlag in mir erweckt, verbirgt sich darunter auch nicht etwa ein Gefühl der Selbstfucht

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Aber der.

das Verlangen, Endien zu retten?.... Durch die mitde Stiftung follen ja Tausende glücklich werden. Eilen wir also, erst dieses Werk zu Stande zu bringen. (Er arbeitet von neuem.) Unterdeffen wird aber der Doktor ganz gelaffen fortfahren, die Menschen umzubringen . . . . Nein, vor Allem muß ich seine Ansichten widerlegen.... Was soll ich also endlich vornehmen? Das Eine foll das Glück Laufender begründen das Andere fann wohl Taufende vom gewissen Lode retten - und schon graut der Morgen! Wer entscheidet meinen Zweifel? D, wie schwer bist du doch, menschliche Hülle! (Er schreibt und geht dann aus einem Zimmer in das andere.)

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Inzwischen fenkt fich Milton's Lucifer mit anderen gefallenen Geistern auf Segeliel herab.) Lucifer. Ei, da ist ja auch unfer fleißiger Segeliel! Astaroth. Nur weiter, weiter! Er wittert uns schon..., Lucifer. Sen ganz ruhiger sieht mich nur dann, wenn ich will, daß er mich erblicken soll .... Ah, er arbeitet an zwei gar erhabenen Werken.... Und wie arbeitet er welche Un ruhe in seinem Geifte welche Menschenliebe in seinem Herzen flammt!.... Glüh', glüh' immer zu! Nur erinnere Dich auch, daß Du angethan bist mit menschlicher Gestalt.... Wir wollen aber doch sehen, ob er feinen Zweck erreichen wird. (Bei diesen Worten breitet er seine Flügel über Segeliel aus, worauf fich dessen Augen alsobald schließen und er selber, nach vergeblichem Streben, 'sich wach zu erhale

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