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Schule des Gefanges. Von Z. Jeffeteff.
Gesange des Russischen Volkes.

Russische Sagen. Bon M. Makaroff.

Das Geheimniß. Roman von A. Stepanoff.

Versuch einer statistischen Uebersicht des Gouvernements Kaluga. Von
6. Tschaplin.

Reise nach Woronefch. Bon Iwan Rajewitsch.
Beschreibung der Stadt Ribinsk.

Unterhaltungen mit Kindern über Astronomie und Himmelskunde. Von
6. Selenoff.

Ueber die bekanntesten Regeln und das System der Strategie. Vom Baron
N. Medem.

Mannigfaltiges.

- Chateaubriand's Brief an Frdulein von Fons tanes. Die kürzlich im Druck erschienenen gefammelten Schriften des verstorbenen Marquis von Fontanes, ienes eleganten Redners, der, als Präsident des geseßgebenden Körpers, der erste Apologet des damals noch jungen Napoleonischen Ruhmes war, enthalten unter Anderem ein Schreiben Chateaubriand's an die Tochter des Vers faffers, Christine von Fontanes. Chateaubriand war während der revolutionnairen Schreckensherrschaft der Erilsgenosse und pers fönliche Freund des Verstorbenen, mit welchem er in London ges meinschaftlich im Interesse ihres Vaterlandes zu wirken suchte. Aber während der Erstere nach Amerika gegangen war, hatte der Lestere, nach Frankreich zurückgekehrt, die Auszeichnungen und die Ehren des von ihm gefeierten Kaisers in reichem Maße empfangen. Dies veranlaßt nun den Verfasser der,,Atala", in seiner Epistel an die Tochter den Vater, dessen literarische Vers dienste er ungemein hochstellt, auch wegen jener politischen Schmeicheleien zu rechtfertigen. Die Ansichten über Frankreich, die er bei dieser Gelegenheit ausspricht, zeugen wiederum von dem vagen, unbestimmten Charakter, von den sich widersprechens den excentrischen, wiewohl auch chevaleresken und edlen Gefüh len, die den ausgezeichneten Stylisten zum Gegenstand eben so der Bewunderung als des ironischen Lächelns gemacht haben. Was die politische Seite der Sache betrifft, so schreibt er an die Comtesse von Fontanes, fo haben Sie für den Erfolg Ihres mit kindlicher Liebe ausgeführten Unternehmens nichts zu befors gen. Ihr Vater hat Bonaparte gedient: nun, ist es heuts utage nicht alle Welt, die Bonaparte'n verehrt? Macht ihn nicht Jedermann zum Muster seiner politischen Ansichten? Der Royalist sagt: Seht, er verstand das, was man regieren nennt! Der Republikaner ruft:,,,,Er war der Ausfluß aller Freiheiten!"" Der Soldat hört nicht auf, zu wieders holen: Er hat uns zu Herren Europa's gemacht!"" Nach dem drei Revolutionen vor sich gegangen, kann wohl kaum das erregbarste Gemüth in den Einzelnheiten eines Menschens Lebens Stoff zum Unwillen oder zum Zorne über diese oder jene Ansicht finden. Die Fragen, welche die Gegenwart bes schäftigen, find ja alle kindischer Natur, denn sie haben keine Zukunft: persönliche Interessen, die man zu allgemeinen Prinzis pien erhebt, dienen dazu, jene Intervalle einer Scheinruhe auss zufüllen, welche die großen Begebenheiten der Vergangenheit mit den großen Begebenheiten der Zukunft verbinden. Alles hat sich verändert, und Alles ändert sich fortwährend: mit großem Unges stům sehen wir die neue gesellschaftliche Ordnung auf uns eins dringen, wie man eine Kanonenkugel auf dem Schlachtfelde ans kommen sieht. Nichts von dem, was besteht, wird fortbestehen; das alte Europa ist mit der alten Französichen Monarchie gefallen, und nur die Religion hat sich aufrecht erhalten. Jene Krönungen, deren Schauspiel man uns dargeboten, find die lesten Vorstellungen oder die leßten Paraden einer Welt, welche untergeht; Kopieen find es, Abbilder, nicht aber Originale, Wirklichkeiten. Die Masse macht sich statt des Herrschers geltend; ihr wendet sich der neuerstehende Seift au, und zweimalhunderttausend Menschen in Birmingham überwältigen alle Kniebeugungen von Westminster. Der Schlag ift einmal geführt; feine Wirkung kann nicht unmittelbar fich zeigen, aber sie ist unfehlbar." Wer erkennt nicht in diesen wenigen Worten alle poetische Ueberschwänglichkeit wieder, mit der Herr von Chateaubriand feine eigene Unzufriedenheit oder gar seine perföns lichen Geschicke zu der Achse zu machen liebt, um welche sich das Schicksal der ganzen Welt dreht? Warum nennt er eine Beit, in der die Wissenschaft, in der die Künste und alle Erfindungen des menschlichen Geistes einer entweder noch nicht dagewefenen oder doch kaum jemals übertroffenen Vollkommenheit zugeführt worden, eine Gegenwart ohne Zukunft? Was hat die neue Auss gabe von Fontanes Schriften mit dem prophezeiten Untergange der heutigen Welt zu thun? Die Franzosen unserer Zeit sind dem Herrn von Chateaubriand die allerkindischsten, gedankenlos festen Menschen, und doch fügt er in demselben Briefe am Schluffe hinzu:,,und Du, Frankreich des neunzehnten Jahrhuns derts, lerne jenes alte Frankreich, das Deiner würdig ist, schäßen. Du wirst auch Deinerseits alt werden, und man wird Dich bes fchuldigen, wie man uns beschuldigt, an veralteten Vorstellungen au hangen. Berleugne Deine Vater nicht: Du bist aus ihrem Blut hervorgegangen; wenn fie nicht hochherzig ihren alten Sits ten treu geblieben waren, so hättest Du auch nicht in dieser ans geborenen Treue die Energie schöpfen können, die Dir in der neuen fittlichen Welt so vielen Ruhm verschafft hat. Zwischen dem einen Frankreich und dem anderen hat nur ein Uebergang von Tugenden stattgefunden."

vierteljährlich, 3 Thlr. für das ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie.

No 14.

für die

Expedition (Friedrichs-Straße Nr. 72); in der Provinz so wie im Auslande bei den Wohlöbl. Post - Aemtern.

Literatur des Auslandes.

Polen.

Berlin, Freitag den 1. Februar

Karl XII. und die Kurpen. *)

Ein bis jest wenig beachtetes und bekanntes Völkchen_in Polen sind die Kurpen (Kurpie), welche noch heute die nordlichen Theile von dem ehemaligen Masowien, insbesondere die Gegenden um Ostrolenka und Lomza inne haben. Ihren Namen haben sie von ihrer eigenthümlichen Fußbekleidung, die in Bins sen oder Bastschuhen besteht, erhalten. Sie zeichnen sich noch jezt durch Muth und Gewandheit, besonders im Büchsenschießen aus. Wonciali, der sich durch einige gute Sammlungen Pols nischer Volkssagen und Volkslieder (unter denen auch mehrere der Kurpen vorkommen) bereits einen Namen erworben hat, schildert in der Erzählung, aus der wir hier einige Hauptmos mente mittheilen, die heldenmüthige Vertheidigung dieser Kurpen gegen Karl XII., so wie deren ganze Lebensweise und Denkungss art. Zur Grundlage feiner Darstellung hat der Verf. außer den bekannten historischen Daten mündliche Ueberlieferungen benußt, die er an Ort und Stelle gesammelt zu haben versichert.

Der Schall von Trommeln und Trompeten verbreitete sich weithin durch die Wälder von Masowien und verkündete den fiegreichen Einzug des Königs Karl von Schweden. Der Förster jener Waldungen blieb stehen und horchte mit Anstrens gung auf die ungewohnten Tône, welche das Echo bis zu ihm herübertrug.

,,Da gucken die rothen Teufel bis in unsere Walder herein, aber es soll ihnen schon manchen Tropfen Bluts kosten, ehe fie unsere Hütten in Brand stecken! Das muß ich der Herrschaft melden und den Unsrigen!" So sprach der Förster und ents schwand in dem Dickicht.

Nicht lange, so trat er aus dem Walde hervor und eilte über das Feld dem herrschaftlichen Gebäude zu, welches die Witwe des Wojewoden von Rawa, Dzialynsla, bewohnte. Das Wohnhaus war nach der Landessitte von Holz erbaut und dußers lich unscheinbar, überraschte aber im Innern durch Pracht und Reichthum. Es lag in einem weiten Garten, den sorgfältig bes schnittene Spaliere und dunkle Laubgänge umschlossen. Das weite Gebdude faßte viele Gemacher in fich, deren Wande mit geschmackvollen Tapeten und Türkischen und Persischen Teppichen ausgeschlagen waren. In dem großen Speisesaal, dessen Hauptzierde der Chor war, von dem aus während der Gastmahler die Musik ertönte, hingen Bildnisse der Familien glieder und Polnischer Könige umher. In den Nischen zwischen den Fenstern waren glänzende Waffen befestigt, und in einer Ece stand auf dunklem hölzernen Gestell ein silbernes Tönnchen, aus dem fich die Gäste selbst den Ungarwein zu zapfen pflegten.

Die Wojewodin faß gesenkten Hauptes in ihrem Gemache, an der großen Doppelthår stand in ehrfurchtsvoller Stille Les lembski, einer ihrer Hofleute. Da traten mit Geräusch mehrere der angesehenften Adligen ins Zimmer und unter ihnen der Förster.

Sie find da! fie find da! gnddige Frau", rief dieser,,,von dem Koboldshügel aus habe ich selbst die rothen Teufel gesehen." Wie ein Blig durchzückte die Gräfin dieser Ruf, ihre schwars zen Augen leuchteten auf. „Zu den Waffen! aufs Pferd!" rief fie mit Begeisterung. Reicht mir das Schwert! Ein Jeder tennt seine Stelle. Ihr, Förster, hin zu den ersten Verhacken, schließt sie ein, wehrt Euch bis auf den leßten Mann. -3ft mein Bote zurück?''

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,,Nein, Em. Gnaden."

So hat die Stunde geschlagen! Mit Vertrauen auf Gott, und unser ist der Sieg!"

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1839.

er eine Strecke zurückgelegt, da stellte sich ein gemeiner Kurpe vor ihn hin.

,,Was will der?" fragte der König den ihn umringenden Polnischen Adel.

Der Kurpe zog seinen mit einem rothen Bändchen gezierten Hut. Ich bin von den Unsrigen gesandt, Dir zu sagen, daß wir Dich durch unsere Wälder durchlassen werden, wenn Du unsere Bedingungen erfüllst; sonst aber lassen wir Dich nicht durch, wenn es auch zum Schlagen kommen sollte."

Karl lachte laut auf, als ihm diese Worte verdolmetscht wurs den. ,Was haben diese Kerle ohne Stiefeln mir vorzuschreiben? Fort, mir aus den Augen! Sage Deinen Kameraden, daß wir uns beim Brande ihrer Hütten wärmen, werden, denn es ist jest kalt."

Der Kurpe blickte dem Könige scharf ins Angesicht und war sogleich in dem undurchdringlichen Walde verschwunden.

Ein Regiment Schwedischen Fußvolks, das aus Reih und Glied getreten ist und voranmarschirt, wird plößlich von allen Seiten durch ein dichtes Gewehrfeuer aufgehalten. Karl, unges duldig, kommandirt:,,Vorwärts!" Die Schweden werfen sich mit Hurrahruf dem versteckten Feinde entgegen, aber wegen der Enge des Weges kann kein vollkommener Angriff formirt wers den, und fast alle Vordringenden sinken getroffen nieder. — Die tausendjährigen Eichen erzittern von dem Donner der Geschoffe und von dem Kriegsgetümmel; der Bär, in seiner Lagerstätte aufgeschreckt, entweicht mit dumpfem Gebrumme; der Auerochs schüttelt seine Mähne, mit feurigem Auge blickt er umher, Schaum rinnt ihm vor Wuth und Grimm den Bart hinab, und das Gehölz kracht unter seinem gewaltigen Körper, indem er, dasselbe durchbrechend, davonstürzt.

Karl steigt bei dem unerwarteten Widerstande selbst vom Pferde, eilt auf den Kampfplaß, wirft sich zuerst hinab in den Graben und erobert die Verschanzung, hinter welcher die Kurpen verborgen ihre Schüsse entsenden, eine Art Verhack, der aus zus fammengetragenen Bäumen und aufgeworfener Erde bestand.

Nach dem Verluste dieser Veste stoben die Kurpen nach allen Seiten aus einander und eilten der zweiten Verschanzung zu, die in einiger Entfernung sich befand. Die Schweden bes nußten sogleich den errungenen Vortheil, denn das etwas freiere Feld gestattete, Kanonen aufzufahren und die Reiterei zu entfals ten. Hier wurde daher auch der Kampf heftiger und blutiger. Karl bestieg sein Pferd wieder und sprengte an die Spiße seiner Reiterei. Aber auch die Kurpen widerstanden nun mit um fo größerer Tapferkeit. Die Kanonen donnerten, die Baume brachen zusammen, aber die Schweden konnten auch nicht einen Schritt vorwärts dringen.

Die Wojewodin, Alle durch ihr Beispiel zu muthiger Ges genwehr entflammend, hatte sich während des ganzen Gefechts immer da befunden, wo die größte Gefahr gewesen war. Noch einen Augenblick!" rief fie,,,und nicht ein Bein von Allen ents geht uns! Plöslich erschallte in der Tiefe des ungeheuren Waldes neues Kriegsgeschrei. Die Schweden erkennen, daß sie umzingelt fenen. Lelembski zeigt sich in ihrem Rücken an der Spige einer Reiterschaar, er greift sogleich die Artilleristen an und hat nach kurzer Gegenwehr die Kanonen in seiner Gewalt. Die Schwedische Reiterei dringt zur Hülfe heran, sie wird auss einandergesprengt und zurückgeworfen. Ringsum eingeschlossen, wehren sich die Schweden nur noch wie Verzweifelte, in ganzen Massen sinken sie nieder, und Haufen von Leichen thürmen sich in der dichten Waldung auf.

Karl sprengt nochmals mit Tollkühnheit in das dichteste Ge tummel, doch durchbohrt sinkt sein Pferd zusammen, und mit ihm stürzt Karl von Schweden, der Schrecken so vieler Völker. Nun ist die Niederlage vollkommen, und das Siegsgeschrei der Kurs pen erschallt bis in die fernsten Theile des Waldes. Dichte Rauchwollen lagern sich auf dem eroberten Kampfplaße.

Da wurde der Wojewodin gemeldet, daß gegen tausend Schweden Ostrolenka beseßt hätten und sich auf dem Kirchhofe in immer wachsenden Massen verschanzten. Sie ließ Telembski mit einigen Reitern zurück und eilte mit ihren Kurpen der Stadt zu. Auf bereitgehaltenen Kahnen wurde der Trupp über den Narem geschafft und nahte sich alsbald dem Siddichen.

(Fortseßung folgt.)

Italien.

Petrarka auf dem Mont Ventoux.

(Schluß.)

,,Auf jenem hohen Punkte angelangt, war ich anfangs von der Schärfe der Luft und der Unendlichkeit des Raumes, den man hier überschaut, ganz betdubt. Ich fenkte meine Blicke und ges wahrte die Wolken zu meinen Füßen; da erschien mir Alles, was ich über den Olymp und den Athos gelesen, weniger uns glaublich. Bald schweiften meine Augen nach jenen Regionen hinüber, wo Italien liegt, das Land, nach welchem mein Herz mich immer hinüberzieht. Troß ihrer weiten Entfernung wähnte ich, jene schneebedeckten Alpen mir nahe zu sehen, durch die der unermüdliche Römerfeind sich, wie man sagt, einen Weg bahnte, indem er die Felsen mit Weinessig zerbeiste.) Da seufzte ich nach dem Italischen Himmel, den ich mehr im Geist, als mit den Augen sah, und ich fühlte ein unendliches Sehnen, meine Freunde und mein Vaterland aufzusuchen. Während ich mich bemühte, diese wohl verzeihliche Schwäche zu überwinden, nah men meine Betrachtungen eine andere Wendung, und wie fie durch weit entfernte Landschaften angeregt waren, so richteten fie fich auch auf ferne Zeiten. Es find heute gerade zehn Jahre, feit ich meine Studien vollendete und Bologna verließ. Großer Gott! O ewige Weisheit! Wie haben sich während dieser Zeit meine Gewohnheiten, meine Neigungen verändert! Doch vers weile nicht zu lange bei diesen Veränderungen, du bist noch nicht so sicher im Hafen eingelaufen, daß du mit Ruhe der überstandes nen Stürme gedenken könntest. Vielleicht kommt eine Zeit, in der du dir beim Rückblick auf dein verflossenes Leben, wie dein theurer heiliger Augustin, sagen kannst: 3 will all' meiner Schwachheiten, aller Aleischlichen Sünden meiner Seele gedenken, nicht aus Liebe zu ihnen, sondern, o Herr, aus Liebe zu dir!" Ja, ich fühle es, in meiner Seele herrschen Zweifel und Abs spannung, weil ich das nicht mehr liebe, was mir sonst süße Gewohnheit zu lieben war. Aber ich irre mich, ich liebe es noch, nur auf eine ehrbarere, ernstere Weise. Doch ich muß nur die reine Wahrheit gestehen: ja, ich liebe, was ich nicht lieben, was ich gern haffen möchte. Ich liebe also gegen meinen Willen, fast gezwungener Weise. Ich bin darüber betrübt, ich beweine es, und nichts past besser auf meinen Zustand, als jener Vers: ,,Adero si potero, si non invitus amabo.

Kaum sind drei Jahre verflossen, seit ich jene strafbare Leis denschaft, die allmächtig mein Herz beherrschte, durch Uebers legung und Reue besiegte; seit jenem Augenblick bin ich mit mir selbst im beständigen inneren Kampfe. Colonna, mein Vater, bald freute ich mich auf diesem Berge meiner Besserung, bald bereinte ich meine Schwächen und betrübte mich über die Unbeständigkeit der menschlichen Gedanken und Handlungen, wo von ich mir selbst ein Beispiel war, denn ich vergaß ganz, die Orte zu betrachten, um derenwillen ich hierher gekommen war, und gegen deren Erhabenheit mich die Erinnerung an meine Pein unempfindlich gemacht hatte.

Die Sonne senkte sich, und es war Zeit, an die Rückkehr zu denken; durch die Verlängerung der Schatten erschreckt und gemahnt, wendete ich mich nach Westen hin. Nach dieser Seite au liegen die natürlichen Gränzen Frankreichs und Spaniens, die Pyrenden, welche man aber vom Mont Ventour aus, der großen Entfernung wegen, nicht sehen kann. Rechts sind die Berge des Lnonesischen; links die fer von Marseille und Aigues-Mortes, und dicht unter meinen Augen fließt der Rhone. Während ich so dieses Schauspiel betrachtete und mein Körper, auf solcher Höhe stehend, die Erregung meiner Seele begünstigte, erinnerte ich mich, daß ich die Bekenntnisse des heiligen Auguftinus bei mir truge, ein theures Geschenk, das ich von Dir empfing, Colonna, und das ich aus Liebe zu dem Geber und zu dem Verfasser auf bewahre; es ist ein Buch, das ich immer in handen habe; seine Kleinheit macht es mir doppelt lieb, weil ich es deswegen bes ständig bei mir tragen kann. Ich öffnete es, um zu lesen, was mir der Zufall vor die Augen bringen würde, denn man findet nur Gutes und Frommes darin; ich schlug das zehnte Buch auf; mein Bruder, der mit Ungeduld darauf wartete, daß ich eine Stelle lesen möchte, blieb stehen, um zuzuhören. Ich nehme Gott und meinen Bruder zum Zeugen, daß meine Blicke gerade auf die folgenden Zeilen fielen: Die Menschen eilen danach, die Bergeshöhen, die unermeßlichkeit des Meeres, den Lauf der Flüffe, die Ufer des Oceans zu bewundern oder die Bewegung der Gestirne zu erspähen, und sie vergessen sich selbst!" Ich ges stehe es, ich war darüber verwirrt und schloß das Buch voll Zorn über mich, daß ich die irdischen Dinge bewunderte, da ich doch selbst aus den heidnischen Philosophen schon hätte lernen follen, daß die übersinnlichen Dinge in Wahrheit die einzig großen und bewundernswürdigen sind.

Von diesem Augenblick an hatte ich genug an dem, was ich von dem Berge gesehen, ich richtete die Augen meines Geistes auf mein Inneres und sprach kein Wort, bis wir am Fuße des Mont Ventour anlangten. Die Stelle der Bekenntniffe crzeugte in mir tausend und aber tausend Gedanken, weil ich weder glaus ben konnte, daß sie durch bloßen Zufall sich meinen Blicken dars geboten hätte, noch auch, daß fie gerade an mich gerichtet sen. Kurs, diese Warnung schien mir von derselben Natur, wie dies jenigen, welche an Augustin und an Antonius ergingen, und

wie diese beiden Männer nach der Warnung still standen, so schwieg auch ich und dachte nach über die unmäßige Vorliebe der Menschen für die sichtbaren Dinge und über ihre gewöhne liche Gleichgültigkeit gegen das rein Geistige und gegen Gott. Während des Hinuntersteigens wendete ich mich mehrmals um und betrachtete den Gipfel des Berges, dessen wirkliche Kleinheit ich durch die allmålige Entfernung von demselben erst recht ers kennen lernte; wie oft sagte ich da zu mir: Ist es denn nicht ein bloßer Haufen Moder! Und bei jedem Schritte sprach ich zu mir: Wenn man sich so viel Mühe geben und so viel Schweiß vergießen muß, um sich durch Ersteigen jener Höhe dem Himmel ein wenig zu nähern, welche Anstrengungen, welche Schmerzen, welche Qualen wird man nicht dann zu ers dulden haben, wenn man, um sich Gott zu nähern, all' die Schroffheiten des menschlichen Uebermuthes besiegen und alles Sterbliche hinter sich lassen muß; wenn man, um den wahren Pfad zu verfolgen, schreckliche Hindernisse und verführerische Gegenstände zu gleicher Zeit zu überwinden hat. Unter solchen Gedanken stieg ich den Berg hinunter, der Beschwerden des Wes ges nicht achtend, und so befanden wir uns bald wieder vor der Hütte des Schäfers, von der wir vor Tagesanbruch ausgegangen waren. Es war Nacht, der Mond schien hell, und während uns sere Diener ein Mahl bereiteten, zog ich mich in einen Winkel der Hütte zurück, um auf der Stelle die Empfindungen und Ges danken niederzuschreiben, zu denen mich unsere Wanderung ans geregt hatte.

Du siehst hieraus, Colonna, o mein Vater, daß ich Dir nichts verbergen will. Du, der Du mein ganzes Leben kennst, Dir follen meine geheimsten Gedanken offenbar seyn. Ich beschwöre Dich, bere zu Gott, daß sie sich alle mir zum Heil wenden. Lebe wohl!!!

Dergleichen schreibt wohl Keiner, der nichts im Kopf hätte, als Tiraden über die Liebe, wie man es Petrarka oft vorgewors fen hat, eben so wenig wie seinen Brief,,über die Kunst, einen Staat gut zu regieren". Wie malerisch und philosophisch schils dert er hier seine Besteigung des Mont Ventour!*) Diese Schrift enthält so wahre und träftige Gedanken, so neue und erhabene Gleichnisse, daß man sieht, mit welch' glücklicher Kühnheit der Verfasser die Schilderung weltlicher Leidenschaften mit der Schil derung tief religiöser Gefühle zu vereinigen wußte. Der heilige Auguftinus war ihm zwar auf diesem Wege vorangegangen, der sich der Dichtkunst seit Einführung des Christenthums darbot; doch ist an Petrarka die Natürlichkeit und Originalität zu bes wundern, womit er sich dieses Genre aneignete und darin den Verfassern der,,Neuen Heloise",,,Paul und Virginiens",,,Res né's" und der,,Betrachtungen" (Méditations), um vier Jahrhuns derte zuvorkam; denn vergleicht man die Schilderung der Bes steigung des Mont Ventour mit den eben genannten vier Büchern, so wird man erkennen, wie der Grundgedanke, welcher allen diesen Schriften Leben und Kraft einhaucht, überall derselbe ist: daß die menschliche Seele, von der Liebe zum Weltlichen und vom Drange, fich rein zu erhalten, hin und her geworfen, beständig zwischen Hoffnung und Verzweiflung schwankt.

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Die Schriften des heiligen Auguftinus haben ein zu froms mes Gepräge und gehören deshalb nicht zum Kreise der weltlichen Literatur; wir können also Petrarka den Ruhm zus schreiben, ein neues Genre in die neuere Literatur eingeführt zu haben, von dem er auch mehrere Musterschriften hinters lassen, wie seine Besteigung des Mont Ventour und sein Geheimniß, die ausgezeichnetsten derselben. Dieses Genre, in welchem sich füße und schwermüthige Phantasteen mit den philosophischsten und religiösesten Gedanken mischen, vers dankt eigentlich der Bibel und den Werken der ersten Kirchens våter seinen Ursprung. Wir wiederholen es noch einmal, der Geist, welcher diese Schriften eingab, thront höher als auf den Gipfeln des Pindus, und erst von Petrarka an wurde diese zus gleich leidenschaftliche und fromme Begeisterung als ein poetisches Mittel betrachtet, dessen man sich bediente, um ein neues Genre, eine gewissermaßen neue Kunst daraus zu bilden.

Bis zum Ende des sechzehnten Jahrhunderts pflegte man diese Kunst in Italien; das leßte Ausgezeichnete, was darin ges leistet worden, rührt von einer Frau her, der Gemahlin des Marquis von Pescara, Vittoria Colonna. Um die dltesten Spus ren davon in Frankreich aufzufinden, muß man bis zu jenen Briefen hinaufsteigen, die Heloise an Abdlard schrieb, obgleich diefelben auch mehr religiós als literarisch sind. Seitdem bietet fich uns lange kein berühmtes Beispiel dar, denn wir müssen mehrere Jahrhunderte überspringen, um auf Fenelon zu kommen, der nach unserer Ansicht die von Petrarka gepflegte Kunst wieder erneuerte. Derjenige Franzose des 17ten Jahrhunderts aber, welcher in seinen Werken vielleicht am besten dieses von Petrarka begründete moderne Genre aufgefaßt und behandelt hat, ist der große Maler Nikolas Pouffin. Seine Gemälde,,Artadien", die Chebrecherin" und vorzüglich seine bewundernswürdigen Lands schaften, über die er so viel Zauber zu verbreiten, in denen er fo kunstvoll alle Freuden und Schmerzen des Lebens zu vereinigen und die menschlichen Leidenschaften mit dem Mantel religiöser Andacht, der ihnen ein so edles Ansehen verleiht, zu bedecken wußte, alle diese Gemdlde haben das Gepräge der Verwandts schaft mit jenen oben erwähnten Schriften Petrarka's, wie mit den Werken Fenelon's, J. J. Rousseau's, Bernardin de St.

*) Auch unsere Literatur hat eine ähnliche Schilderung aufzuweisen, die Besteigung des Aetna oder die menschliche Glückseligkeit von 3. J. Engel,

Pierre's, Chateaubriand's und Lamartine's. Alle diese Reflexionss Dichter und Freunde der Naturschönheiten, denen wir jenen großen Maler beigesellen, haben ihren Werken einen doppelten Stempel aufgedrückt, der einerseits die Schule, von der sie abs stammen, charakterisirt, und vermöge dessen sie andererseits eine Klasse für sich bilden; dem Wesen nach ist es die Darstellung der unaufhörlich von der religiösen Moral bekämpften Leidens schaften, und der Form nach die bestandige Entlehnung von Bils dern aus der ländlichen und wilden Natur.

Ohne also Jemanden die Eintheilung aufdringen zu wollen, die wir uns gemacht, um eine Klasse von Schriftstellern und Künstlern, als deren Stamm wir Petrarka betrachten, näher zu bezeichnen, glauben wir die Urheber der,,Chebrecherin", des Telemach", der,,Neuen Heloise",,, Paul und Virginiens", René's und der ,,Betrachtungen unter der Benennung Landschafts-Dichter zusammenfassen zu können.

"

Türke i.

Smyrna sonst und jetzt.

Woher zuerst der Name? Smyrna, Prinzessin von Ephesus, wurde, wie Dido, genöthigt, ihr Vaterland zu verlassen, und gründete in Aeolis am Fuße des Sipplus eine Kolonie. Die Dankbarkeit des Volks legte der Stadt den Namen der Erbauerin bei und errichtete ihr überdies eine Statue. Man sieht noch ein Bruchstück derselben in dem befestigten Schlosse, welches das von Alexander gegründete Smyrna beherrscht. Die Stadt wurde zus erst an den Ufern des Meles erbaut, der, nachdem er die Gewässer des Aftatischen Achelous in sich aufgenommen, zwischen Marmors und Granitblöcken und Lorbeerrosen vom Berge Sipylus herabs fließt und sich in den Hermeischen Meerbusen ergießt. In diesem Smyrna wurde Homer geboren, wenn man anders auf seinen Beinamen Melefigenes etwas geben will. An der Stelle der früheren Stadt findet man noch jetzt ein großes Dorf, wo alle in Smyrna ansässige Europder ihre ländlichen Wohnfiße aufgefchlas gen baben. Dieser Ort, Burun-abat (Windnase) oder auch in der gewöhnlichen Sprache Burnabat genannt, ist ganz mit umges stürzten Sdulen und anderen Ueberresten des Alterthums bedeckt. Der Meles durchfloß, nachdem er die Mauern von Smyrna bes negt hatte, eine kleine Ebene langs der Gebirgskette, wo noch das Grabmal des Tantalus gezeigt wird, und stürzte sich dann in das Meer. Smyrna selbst hat mannigfache Schicksale und Umwälzungen erlitten; feine Mauern wurden umgestürzt, aber der Name erhielt sich. Zuerst zerstörten die Lydier, welche die Blüthe der Jonischen Kolonie mit eifersüchtigen Augen betrachtes ten, die Stadt und zerstreuten die Einwohner in der Umgegend; zugleich ließen sie das Verbot ergehen, die Wälle je wieder aufs zurichten. Diese Unterwerfung währte vier Jahrhunderte.

Nach dem Verlaufe einer so langen Zeit wollte Alexander von Macedonien, der begeisterte Bewunderer Homer's, die Mauern der Stadt wieder aufrichten, aber in dem Zwischenraume war in den Sitten und Bedürfnissen der Menschen eine große Aenderung eingetreten. Die Schifffahrt war die erste Bedingung für die Wohlfahrt der Völker geworden. Dies erkannte der große König sehr wohl, und um einer neuen Idee desto eher Eingang zu vers schaffen, gab er vor, er sen am Fuße des Berges Bagus einges schlafen, und dort habe ihm die Göttin, deren Tempel sich in der Nahe befindet, geheißen, Smyrna an der Stelle, wo er schlafe, wieder aufzubauen; er schlief aber am Ufer des Meeres. Das Drakel von Klaros gab seine Einwilligung dazu, und Smyrna wurde eine der reichsten und blühendsten Städte. Der Zögling des Aristoteles hat wirklich bei allen Städte Gründungen den Beweis eines außerordentlichen Scharfblicks gegeben, und das Aegyptische Alexandrien, ein zweites Smyrna, spricht nicht mins der zu seinen Gunsten. In ihm vereinigten sich die Wissenschaft und der Genius, und brachten in ihm die plößlichen Erleuch tungen hervor, welche man sonst den Göttern zuschrieb. Als Peter der Große die Hauptstadt der Zaaren verließ, um sich in den Sümpfen von Petersburg anzusiedeln, scheint sich ihm ebens falls ein solcher Blick in die Zukunft, eine Fernsicht des Glücks und des Wohlstandes eröffnet zu haben. Smyrna hat abwechs felnd unter Griechischer, Genuesischer und Türkischer Hoheit die Hoffnungen seines Gründers aufs glänzendste gerechtfertigt. Durch feine Lage und seine Reichthümer hat es sich zur Herrscherin Kleins Aftens erhoben. In seine Mauern ziehen die Karawanen Asiens ein, und sein Hafen nimmt die Schiffe Europa's auf; hier wers den die verschiedensten Produkte ausgetauscht, deren Umsag einft Marseille und das ganze füdliche Frankreich bereicherte. Denn einft gab es eine Zeit, wo die Französische Flagge allein in den Hafen des Osmanischen Reiches zugelassen wurde und die frems den Fahrzeuge nur unter dem Schuße derselben einlaufen durf ten. Dieser Vorzug und die daraus entspringenden Vortheile find jest verloren gegangen und die Häfen der Türkei den Schiffen aller Seemachte eröffnet. Seit der Restauration haben sich bes fonders die Engländer bemüht, in Smyrna, Konstantinopel und Alexandrien an die Stelle der Franzosen zu treten. In Folge des langen Seekrieges, den die Franzosen zu führen hatten, vers schwanden ihre Schiffe aus den Gewässern der Levante, und als die Provenzalischen Fahrzeuge wieder nach Smyrna kamen, hatten die Engländer hier bereits festen Fuß gefaßt. Die Pforte stand jegt unter anderen Einflüssen, und auch die Bewohner des Orients hatten sich an andere Erzeugnisse der Industrie gewöhnt und andere Absaßwege für ihre Waaren gefunden. Smyrna felbft

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verliert freilich nicht viel bei dieser Veränderung; seine Bevölker rung erhält sich immer so ziemlich auf gleicher Höhe und wird jegt auf 150,000 Seelen angeschlagen.

Diese Bevölkerung ist aus allen Weltgegenden zusammens geweht; die Griechen und Türken find indeß am zahlreichsten. Unter den Muhammedanern findet man Afrikaner, Araber, Pers ser und Kandioten. Außerdem giebt es noch viele Armenier und Juden, welche sich mit dem Handel abgeben. Alle Orientalen wohnen in der alten Stadt, welche in amphitheatralischer Gestalt auf dem Abhange des Pagus erbaut ist. Am Fuße dieses Berges breitet sich bis zum Meere hin das Fränkische Stadtviertel aus. Hier wohnen alle Europder. Alle handeltreibende Nationen haben hier ihre Konsuln, ihre Kaufleute, ihre Handwerker, ihre Kirchen oder Kapellen und ihre Hospitaler. Dies ist eine ganz besondere Bevölkerung, unter der alle Europäische Sprachen, besonders die Italianische, gesprochen werden und die sich von der Türkischen eben so sehr durch die Sitten wie durch die Kleidung unters scheidet. In den Augen der Türken bilden sie nur Einen Stamm, den der Franken oder, noch besser, den der Giauren. Die Türken erkennen die technische und industrielle Ueberlegenheit der Franken an, aber sie schlagen dieselbe sehr niedrig an und sagen, wie jener Römer: Möge der Grieche in den Kunsten glänzen; unsere Kunst ist, die Welt zu beherrschen." Dem Türken scheint das Gefühl des Stolzes angeboren zu seyn, und man kann ihm viel persönliche Würde nicht absprechen. Nie sieht man ihn springen, laufen, laut auflachen, noch weniger tanzen, fingen oder lebhaft sprechen. Die Türken zu Smyrna gleichen sonst allen anderen Türken aufs Haar; es ist immer dieselbe Erschei nung, und das Volk ist in Äsien wie in Europa.

Smyrna_blühte lange unter der milden Herrschaft der Fas milie Kara Osman Oglu. Dieselbe schonte die Stadt und bes schüßte sie als eine der Hauptquellen ihrer Einkünfte; fie selbst waren zu sehr beim Wohlstande der Stadt betheiligt, als daß fie denselben durch übermäßige Abgaben hätten zu Grunde rich ten follen. Diese wohlthätige Regierung wurde durch die jähr lich ernannten Pascha's verdrängt, und diese hatten nichts Anges legentlicheres zu thun, als sich so rasch wie möglich zu bereichern und kostbare Geschenke nach Konftantinopel zu senden. Wie es heißt, wird sich das jest ändern; die Pascha's sollen regelmäßige Besoldungen erhalten und an die Stelle willkürlicher Erpressune gen regelmatige Abgabe treten. Wenn Mahmud ernstlich" die Civilisation seines Reiches wollte, so hätte er mit dieser Makres gel anfangen müssen. Vor den Neuerungen, die dieser Fürst einführie, hatte auch Smyrna seine Janitscharen; dieselben was ren eine Art Nationalgarden, welche, wie diese, ihre bürgerlichen Beschäftigungen hatten und sich nur dann versammelten, wenn der Anführer die Fahne der Orta aufpflanzte. Außer dieser öffentlichen Streitmacht gab es noch eine besoldete Polizeimanne schaft, welche unter den Befehlen des Sardars stand. Diese testere bezog allein die Wachen und sorgte für die öffentliche Sicherheit. Die Janitscharen wurden nur in Kriegszeiten oder bei außerordentlichen Gelegenheiten zusammenberufen. diesen wählten die fremden Konsuln ihre Schußwächter. Diese für den Sultan so furchtbaren Truppen waren es nicht weniger für das Volk, und die geringste Beschimpfung, welche einem von ihnen widerfahren war, entflammte alle zur ausschweifendsten Wuth. Ein schreckliches Beispiel mag hier statt vieler dienen. Ein Janitschbar, welcher an einem Drie Wache hielt, wo Seils tänzer ihre Künste zeigen wollten, wurde von dem andringenden Volke getödtet. Das Corps der Janitscharen schrie nach Rache und forderte eine Entschädigung von den Europäern. Drei Tage hatte man diesen Bedenkzeit gegeben und zugleich die Drohung an sie ergehen lassen, daß, wenn nach Ablauf dieser Frist das Verlangte nicht bewilligt würde, das ganze Fränkische Viertel angezündet werden solle. Unglücklicher Weise kamen die Euros pder auf den Gedanken, sich zur Wehr zu seßen; die Obrigkeit war zu schwach, sie zu schüßen, und das ganze Stadtviertel mit allen dort angehäuften Reichthümern wurde wirklich ein Raub der Flammen. Die Französische Kirche wurde allein verschont, was die Franziskaner, denen dieselbe übergeben war, dem Schuße des heiligen Polykarpus zuschrieben; zum wenigsten meinten sie ihn vom Himmel herabsteigen und die Flammen mit feinen Händen abwehren gesehen zu haben.

Unter

Smyrna ist der Sig dreier Erzbischöfe, eines Griechischen, eines Lateinischen und eines Armenischen. Die Lutheraner, Kals vinisten u. f. w. haben nur einige Prediger. Die Katholiken find im Besiß zweier Kirchen nnd zweier Klöster; außerdem haben sie hier mehrere Weltpriester und eine Congregation, welche fich dem Unterrichte unterzieht; an die Stelle der Jesuiten sind hier die Lazariften getreten. Die Türken gestatten die öffentliche Aus úbung einer jeden Religionsform und selbst Prozessionen in der dußeren Umgebung der Kirchen. Die Gesinnung, welche die Grundlage dieser Duldung ist, und die Achtung vor jeder Art der Gottesverehrung find gewiß sehr achtenswerth. Einen Ungläubis gen, der fest von der Wahrheit seiner Religion überzeugt ist, ftel len sie weit höher als einen Atheisten und hoffen immer, daß ein Christ endlich an den dritten Propheten glauben würde. Von den Juden erwarten sie dies weniger, weil dieselben dem ersten Propheten treu geblieben sind, wogegen fich die Christen, nach ihrer Meinung, schon mehr der Wahrheit gendhert haben, ins dem sie Moses und Iffa (Jesus) anerkennen. Die wahren Gläubis gen finden die Erfüllung des göttlichen Geseßes allein im Koran. Dies find die religiösen Zustände der Stadt, welche die echten Muselmanner die Unglaubige nennen. Der Unglaube oder viel

mehr die Duldsamkeit der Stadt ist indeß die Hauptquelle ihrer Reichthümer, denn alle handeltreibende Nationen sind in ihren Mauern und auf ihrer Rhede repräsentirt. Die Rhede, kein Hafen, ist eine der schönsten und sichersten, die es giebt; alle Flaggen erscheinen auf derselben, alle Nationalfeste, alle polis tische Ereignisse werden hier mit Kanonenfalven begrüßt; man trinkt, man tanzt, man jubelt hier zu Ehren aller Prinzen, aller geschichtlichen Zeiten und Siege. Außer den zahllosen Kauffah, rern erscheinen auf der Rhede auch oft Kriegsgeschwader. Smyrna ist in der Levante das gelobte Land der Seefahrer; denn die Konfuln öffnen denselben ihre Häuser, geben ihnen Feste und entschädigen sie für die Langeweile und die Gefahren ihrer weiten Reifen. Die Kaufleute thun das Ihrige in dem schönen Kasino; hier werden Bälle veranstaltet, wo die natür liche Schönheit der Frauen noch durch den Orientalischen Lurus gehoben wird. Das Kasino ist einer der glänzendsten und inters essantesten gesellschaftlichen Kreise, denn in demselben findet man Mitglieder von allen Nationen der Erde.

Smyrna hat zuerst von allen Städten des Türkischen Reichs eine Zeitung erhalten. Dieselbe wurde gestiftet, um die Aufs klärung zu befördern und die Interessen des Handels zu vertres ten. Sie erschien in Französischer Sprache und hieß der ,,Spectateur oriental". Lange bewahrte sie indeß ihren literarischen Charakter nicht und verwandelte sich später in eine politische Zeitung. Diesen Wechsel verdankt sie der Griechischen Revolus tion. Als diese ausbrach, waren die hier ansässigen Griechen weit entfernt, derselben beizutreten. Griechisch war nur ihr Name und ihre Religion; im Uebrigen waren sie echte Asiaten, wahrhafte Jonier, welche wenig nach der Freiheit fragten und sich nur nach einem reichen und üppigen Leben sehnten. Als im April 1821 die erste Nachricht von den in der Moldau und Wallachei ausgebrochenen Unruhen hierher gelangte, schifften sich die reichsten Griechen mit ihren Frauen und Reichthümern ein und zerstreuten sich in allen Häfen Europa's, mit denen sie in Verbindung gestanden hatten. Einen Monat lang sahen die Türken dies ruhig an, als aber der Aufstand auch im Archipel zum Ausbruch kam, fingen sie doch an, besorgt zu werden, und die Auswanderungen wurden unter Todesstrafe verboten. Als nun gar ihre Waffen im Nachtheile waren, wurden sie grausam, und ihr Mißtrauen traf in gleicher Weise die friedfertigste Bes völkerung und die Insurgenten. In ihrer Furcht glaubten sie fich in dieser ruhigen Stadt bedroht, und sie gedachten die ganze Griechische Bevölkerung auszurotten, um nicht selbst überfallen zu werden. Glücklicherweise trat aber auch hier die diesem Bolle eigene Langsamkeit und Bedächtigkeit ein. Die Behörden der Stadt versammelten sich unter dem Vorsize des Mollah und zogen auch die Europäischen Konsuln zu ihren Berathungen. Hier wurde nun ganz kaltblütig die Frage erörtert, ob man die Griechische Bevölkerung von Smyrna, d. h. 60,000 Menschen, vertilgen solle. Als es zur Abstimmung kam, erklärten sich die meisten Muselmanner für die Ermordung der Griechen, und dies jenigen, welche einer anderen Meinung waren, wagten sie nicht zu dußern. Endlich kam man auch zu den Konsuln und befragte fie um ihre Meinung. Der Französische Konsul ergriff im Na men seiner Kollegen das Wort. Derselbe wußte aus vielfältigen Erfahrungen, daß man mit den Türken von ihrem gegenwärtis gen Interesse sprechen muß, und daß man mit der Appellation an ihr Menschengefühl bei ihnen nichts ausrichtet. Daher sagte er zu ihnen: Wenn Ihr heute die Griechen tödtet, wer wird morgen Euer Brod backen? Sie sind ja die einzigen Bäcker. Wer wird morgen Eure Heerden hüten? Sie sind ja die einzigen Hirten. Wer wird Eure Barken rudern? Sie sind ja die einzis gen Ruderer. Wollt Ihr Euch plößlich alles dessen berauben, was Euer Leben und Eure Reichthümer erhält ?''. Er ging in diesen Folgerungen noch weiter, und die Greise strichen ihre langen Barte und murmelten: Pek eüi! Dies Wort der Beis stimmung ermuthigte den Redner, als sich plößlich ein jüngerer Türke erhob und ihn fragte, ob er zur Griechischen Partei ges höre? Ich gehöre zu keiner Partei", erwiederte der Redner, ,,oder vielmehr, ich vertheidige Eure Interessen. Was gehen mich die Franzosen, die Griechen und ihre Insurrection an. Was ich ießt für sie thue, habe ich früher für Türken gethan, welche in Gefahr waren. Sehet diesen Sabel! Wißt Jhr, von wem ich ihn habe? Von einem Wesir, welchen Ihr sehr wohl kennt. Wißt Jhr, warum er ihn mir gegeben hat? Weil ich gegen ihn mehrere Bosnische Bens, welche ungerechter Weise der Verrdthes rei angeklagt waren, in Schuß genommen habe. Ich rettete ihnen das Leben und ersparte ihm eine ungerechtigkeit; deshalb bezeigte er mir seine Dankbarkeit." Diese Antwort erhielt den Beifall des Diwans und gab den Beweisgründen des Konsuls eine größere Kraft. Man beschloß, die Griechen nicht zu tödten.

Einen Monat spåter, am 16. Juni 1823, gerieth das Volk in Wuth, drang in die Häuser und begann ein Blutbad der Griechen. Diese Mezelei ist bekannt genug und in allen Geschichtsbüchern erwähnt. Die Französische Flagge, welche auf dem Konsulates gebdude, dem Siß des Erzbischofs und dem Kapuzinerkloster aufgezogen war, und drei Kriegsschiffe, welche auf der Rhede vor Anter lagen, retteten die Griechen noch einmal vom Unters gange. Der Kommandant Kergrist hatte nur eine schwache Kors vette und zwei Gabarren zu feiner Verfügung, aber mit dieser beherrschte er die Rhede und beschüßte die Griechen gegen die

Wuth der Türken; in einigen Stunden waren sie alle an Bord der Handelsfahrzeuge und der Kriegsschiffe gebracht. Die Rhede war ganz mit Fahrzeugen bedeckt, und ein unschuldiges und waffenlofes Volk stand im Begriff, feine Heimat zu verlassen. Das Heil desselben hing von einer Unterhandlung zwischen dem Französischen und Russischen Konsul ab. Dieser sollte die Durch fuchung eines Schiffes bewilligen, welches die Türken mit Wass fen für die Griechen befrachtet glaubten. Wenn diese Erlaubniß nicht ertheilt wurde, so war zu besorgen, daß das Fränkische Viertel noch einmal angezündet werde, und die Griechen konnten nicht ans Land steigen, ohne geradezu dem Tode entgegenzugehen. Dieser Zus stand währte drei Tage. Auf den Schiffen waren schon die Vor rathe von Zwieback und Wasser erschöpft, und die unglücklichen Flüchtlinge starben vor Hiße, Durst und Hunger. Endlich ges lang es, die Türken zu beruhigen, und die angezündeten Fackeln wurden wieder ausgelöscht. Die Europäer kehrten in ihre Häus fer zurück, die Griechen schlichen in die ihrigen, und Smyrna wurde vom gänzlichen Untergange gerettet.

Revolutionen sind glücklicherweise in diesem Lande sehr sel ten, aber Erdbeben und Pest kehren weit häufiger ein. Gegen das Erdbeben giebt es kein Schußmittel; denn dasselbe ers scheint, wenn man es am wenigsten erwartet, und die steinernen Häuser stürzen plößlich zusammen und verschütten die Menschen. Die meisten Häuser in Smyrna find deswegen auch, wie in Konstantinopel, aus Holz erbaut. Im siebzehnten Jahrhunderte zerstörte ein Erdbeben fast die ganze Stadt. Der Französische Konsul wurde damals unter seinem Hause verschüttet, und sein Körper konnte nie wieder aufgefunden werden. Die Pest ist we niger furchtbar, und man kann sich wenigstens auf ihren Empfang vorbereiten und sich vor ihr bewahren, indem man jede Berüh rung mit verdächtigen Personen oder Gegenständen vermeidet. Für alle diese ebelstände werden die Bewohner von Smyrna durch das glücklichste Klima entschädigt. Der Boden trägt alle Gemüse und Früchte des südlichen Frankreichs. Die Nahrung ist vortrefflich und mannigfaltig, und mit dem Schnee, welchen fie im Winter auf den Berggipfeln sammeln, kühlen sie ihre Ges tränke. Orangen und Citronen wachsen hier unter freiem Himmel, Granatens nnd Lorbeerbaume geben reichen Schatten, und die Myrthenbäume werden zur Einzdunung der Felder gebraucht.

Der Anblick der Stadt und ihrer Umgebung ist höchst males risch und mußte es im Alterthum noch mehr seyn wegen der wohlgewählten Lage der Baudenkmäler. Steht man auf dem Pagus im Umkreise des Stadiums, denkt sich den Tempel des Aesculap wiederaufgerichtet und blickt durch die weißen Marmors säulen hindurch auf das im Glanze der Sonne strahlende oder von der Abendrothe purpurgefärbte Meer, so hat man ein lands schaftliches Gemälde vor sich, wie es die Kunst nicht wiederzus geben vermag. Man sieht noch die Ruinen dieser Bauwerke, an deren Stelle kein anderes ansehuliches Gebäude aufgeführt wor den ist. In Smyrna findet man dagegen nicht einmal eine schöne Moschee. Die Gedanken der Männer sind allein auf den Handel, die der Frauen auf das Vergnügen gerichtet. Die Ausfuhr bes steht meist in rohen Produkten, die Einfuhr in Fabrikaten. Der Türke überläßt dem Franken die Erzeugnisse seines Bodens, welche dieser bearbeitet und nach Asien zurückbringt. Der Türke hegt eine tiefe Verachtung gegen allen Handel und jede Gewerb thätigkeit. Er glaubt, daß die Europder in ihren Ländern aller der Reichthümer entbehren, mit denen ihn die Natur so freigebig beschenkt hat. Den Ackerbau liebt er, aber er entschließt sich nur ungern, ein Gewerbe zu treiben. Die Griechen, Armenier waren seine Vasallen und sind es noch. Der Herr trägt Waffen im Gürtel, aber die Sklaven ein Schreibzeug in den Städten und ein Werkzeug auf dem Lande. Er genießt, und sie arbeiten.

Smyrna ist das Neapel des Drients, aber ohne Theater, Museen und Vesuv. Das eine ist das Grabmal Virgil's, das andere die Wiege Homer's, aber beide fragen sehr wenig nach dieser Auszeichnung. Pierre David.

Mannigfaltiges.

Musik in England. Unter dem Titel,,Musikalische Klaffiter" (Musical Classics) ist in London eine Bibliothek für Musik, eine Sammlung älterer Compositionen eröffnet worden, die nicht, wie viele Speculationen ähnlicher Art, bloßer Nach druck ohne Kritik, sondern eine schdßbare Wiedererweckung ältes rer und namentlich auch Englischer Tondichtungen ist. Bisher find vier Abtheilungen erschienen, von denen die erste einen Cys klus von zwanzig musikalischen Madrigalen aus dem 16ten und 17ten Jahrhundert enthält. Es befinden sich darunter Composi tionen von Ward (Die not fond man), Conversi (When all alone), Wilbye (Flora gave me fairest flowers), Orlando Gibbons (The silver swan) und Bennett (Flow, oh my tears), deren einige von überraschender Schönheit sind. beiden folgenden Abtheilungen enthalten 44 Scherz und Trinks lieder, eine Auswahl aus den Compofitionen fast sämmtlicher Tondichter, die sich in England seit der Zeit der legten Madris galisten bis auf die neuere Epoche ausgezeichnet haben. Die vierte Abtheilung endlich geht auf diese neuere Epoche selbst über, muß aber sogleich mit einem Ausländer, mit unserem Joseph Haydn beginnen, da in England selbst eine Unfruchts barkeit eintrat, die sich seitdem noch immer nicht verloren hat.

Die

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