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Nun ja bekommen, na von wem wem von niemand wol du hast es natürlich vergeffen, konnt' es mir denken." Polizeidiener Vangberg lachte wütend. Du hast den schönen Schilling wol nicht zufällig irgendwo genommen? Na, nun komm mal mit mir, dann werden wir der Geschichte schon auf den Grund kommen."

Im Laden waren viele Leute, die Bier tranken; einige waren zur Dämmerstunde" hingekommen, andere standen und warteten, ob niemand traktiren würde. Jest versammelten sich alle um die Kleine. Sie wurde ängst lich, begann zu zittern und weinte. „Das ist ja die Range von der Schnaps-Margit," erklärte ein Mann. „Na, dann ist es ja natürlich, daß sie bei Zeiten anfängt -komm also, Balg!" fagte Vangberg und faßte Sigrid ums Handgelenk. Da bekam sie endlich die Sprache wieder. Sie schrie: „Ich will heim ich will heim ich will heim!" und mehr aus ihr heraus zu bringen war unmöglich, wie viele der Anwesenden auch ein Verhör mit ihr anzustellen versuchten. Einige wollten, daß sie nach Hause geführt werde, um mit der Mutter zusammen verhört zu werden; andere schlugen vor, daß man sie auf das Polizeibureau bringe, damit der Bürgermeister ihr das Geständnis abringe. Aber Vangberg kannte seine Instruktion, die dahin lautete, daß alle Verbrecher, welche nach neun Uhr Abends auf frischer Tat ertappt wurden, bis zum nächsten Vormittag im Distriktsgefängnis internirt würden. Und folglich zog er mit der beinahe auf frischer Tat ertappten Kleinen ab, die immer mir schrie: „Ich will heim, ich will heim!" und ihren kleinen Eimer festhielt. Jezt sollte auch die Kneipe geschlossen werden, und der Schwarm der Tagediebe konnte daher mit ruhigem Gewissen dem Kinde das Geleit bis zur Ratsstube geben. Es war doch immer eine Zerstreuung, eine kleine Diebin einsperren zu sehen. Längs des ganzen Weges wurden die Fenster aufgerissen, und überall tauchten alte Weiber auf, die moralisch entrüstete Gruppen bildeten.

Als Sigrid jedoch an den dunklen Gefängnisgang gelangt war und den Wächter mit den großen Schlüsseln raffeln hörte, da konnte sie dem Verbot nicht länger gehorchen; sie warf sich zu Boden und schrie:

„Ich hab' die Krone von dem Mann in Lia befommen."

Vom Mann im Mond, ja," entgegnete Vangberg und hob sie auf. Eine entsegliche Angst bemächtigte sich ihrer. Sie schrie und sträubte sich, aber Vangberg trug fie in die Zelle und drohte ihr mit Schlägen, wenn sie nicht schweigen wolle. Aber sie weinte und heulte die ganze Nacht hindurch.

Schnaps-Margit, die Mutter der armen Kleinen, lag betrunken daheim in der elenden Hütte und schnarchte; neben ihr schrie die kleine Petrine nach Siri und Effen.

Am nächsten Vormittag saß Professor Rast und freute sich seiner Ruhe und rauchte seine Pfeife und fühlte sich behaglich, als Polizeidiener Vangberg schweißtriefend bei ihm erschien. Nach einer langen Einleitung privaten Charakters, welche dazu dienen sollte, mit dem Hauptzeugen in der Angelegenheit gegen Sigrid Isaksen auf vertrautem Fuß zu kommen, erzählte Vangberg von seinen Taten am vorhergehenden Abend und daß die schlaue diebische Range behauptet habe, das Geld von ihm erhalten zu haben.

Der Profeffor war aufgestanden. Er war bleich vor Born und blies dichte Rauchwolken von sich.

Und da habt Ihr das arme Geschöpf also die ganze Nacht im Gefängnis sißen lassen?“

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„Und Sie haben Branntwein gesoffen! Gehen Sie, Kerl, oder ich hole meinen Stock und prügle Sie braun und blau! Armes Kind - armes Kind!" fügte er beinahe weinend hinzu, riß drinnen im Korridor seinen Hut vom Nagel und lief den Hügel hinunter- beinahe ebenso schnell wie gestern das Kind.

Vangberg blieb ein paar Minuten in höchster Verwunderung stehen.

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‚Na, na,“ brummte er vor sich hin. „Das war eine feine Behandlung für einen Mann des Gesetzes. Ich wollte mur, er versuchte das auch beim Bürgermeister! Wie er lief!" Und Vangberg schlich hinterher, so schnell er konnte.

Professor Rask kam in das Gerichtszimmer hineingestürmt, wo der Bürgermeister in ruhiger Majestät saß und ein Kreuzverhör mit Sigrid anstellte, welche weinte und schluchzte. und schluchzte. Schnaps-Margit war auch da. Scheinheilig mit gefalteten Händen stand sie da, Tränen stürzten ihr aus den rotunterlaufenen Augen, und eindringlich ermahnte sie die Tochter zu gestehen. Ich habe dich in Gottesfurcht und Christentum erzogen, Kind wie konntest du diese große Sünde begehen?" sagte sie näselnd. „Ich hab nicht gestohlen ich hab nicht gestohlen!" jammerte das Kind.

„Nein, du hast nicht gestohlen, mein armes Kind," rief Profeffor Rast mitten in das Verhör hinein. Arme Kleine, was haben sie mit dir gemacht?" Er streichelte ihr zärtlich die feuchten Wangen und war selbst dem Weinen nahe.

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Sprachlos vor Entsehen saß der Bürgermeister da. „Herr Herr - Herr," stotterte er endlich Sie Sie verlegen das Gesez, mein Herr!" Das Gefeß? Bestialität und Grausamkeit!" schrie der Profeffor, so daß die Richter, die Zeugen und die Zuhörer zusammenschrafen.

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Der Bürgermeister stotterte und stammelte und räusperte sich. Dies war eine unmögliche Szene für ihn; es konnte nicht Wirklichkeit sein; und doch dort stand ja der Mann mit dem grauen Bart und schleuderte ihm zörnblißende Blicke zu.

„Kann das Kind jezt gehen?" fragte der Profeffor endlich ruhiger. Sie hören ja, daß ich ihr das Geld gegeben habe." ,,Fa ja ja aber Sie haben das Gesetz beleidigt," brachte der dicke kleine Beamte endlich hervor. Das ist meine und nicht des Kindes Sache; Sie wissen, wo ich zu finden bin!" Und mit dem erschrockenen Kinde an der Hand verließ Professor Rast den Gerichtssaal; ihm folgten die erstaunten Blicke des Bürgermeisters und die Schaar jener, welche in atemloser Spannung einem Auftritt beigewohnt hatten, zu dem es in den Annalen der Gegend kein Seitenstüc gab.

Wenige Tage später erhielt Profeffor Rask eine Vorladung. Die Autoritäten des Oris hatten die Sache überlegt, und man war einstimmig zu der Anschauung gelangt, daß dergleichen nicht geduldet werden dürfe, daß ein Fremder das Oberhaupt des Städtchens gekränkt habe und dafür eine wolverdiente Strafe erleiden müsse. Gleich nach der Vorladung kam der Rektor und erbot sich, bei dem Bürgermeister Fürsprache zu tun,

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damit die Sache vertuscht werde, aber noch niemals ist ein Rektor so fränkend von einem Mitbruder in der Wissenschaft" behandelt worden! Der Professor fuhr fort, feine Pfeife zu rauchen und teilte dem würdigen Pädagogen furz und bündig mit, daß er keinen Fürbitter wünsche. Ja, als der Rektor einen wissenschaftlichen Diskurs einzuleiten begann, gähnte der Profeffor sogar und stopfte aufs neue seine Pfeife. In akademischem Zorn ging der weiseste Mann des Orts von dannen. Der Professor fah ihm nach und brummte vor sich hin: Lieber will ich eine Boa constrictor verschlucken, als mit einem Rektor sprechen."

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Kurz darauf kam Sachwalter Linken angefeucht. Er erbot sich zum Privatverteidiger des Profeffors. Bin Ihnen sehr verbunden, brauche aber keinen Rechtsverdreher." Linken prüstete in würdiger Entrüstung, aber der Profeffor rauchte. Der dicke, kleine Mann mußte also unverrichteter Sache wieder abziehlen, und Abends im Klub schwor er darauf, daß er auf diesem Wege zwei Pfund an Körpergewicht verloren habe.

Jett fängt es doch an, hier weniger ruhig zu werden," brummte Professor Rask.

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Der Herbst nahte, und in der berühmten Profefforen Sache wurde das Urteil gefällt. Der Profeffor wurde zu einer erklecklichen Geldbuße verurteilt. Vangberg und Schuhmacher Ström gingen hinauf, um ihm persönlich den Richterspruch zu verkünden. Die Stimme des Polizeidieners zitterte ein wenig, als er das Urteil verlas, denn er erinnerte sich seines ersten Besuches und fühlte sich ein wenig beklommen. Aber der Profeffor rauchte weiter und sagte ruhig:

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„Gut das Geld kann hier jeden Augenblick be= hoben werden."

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Sonderbar! Wo sollte er denn sein? Vor einer Stunde sah ich ihn noch hier auf der Veranda sizen." Verdammt unangenehm! Na, dann muß ich die Einladung auf den Tisch in seinem Zimmer legen." einem Bimmer legen.

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Der Profeffor drückte sich noch tiefer hinter die Tür und sah einen Mann mit einer Fackel und em großen Briefe in der Hand ins Zimmer gehen. Gleich darauf entfernte der Zug sich wieder mit Gesang. Puh! Jett fängt es an, hier heiß zu werden," sagte der ruhesuchende Profeffor. Wenige Tage später saß Professor Rask in Glads Arbeitszimmer.

„Ja, laß dir erzählen," sagte er, während der ersten Tage ging alles ganz ausgezeichnet. Ruhe-nur Ruhe! Aber dann gings los, und schließlich artete es in einen Fackelzug mit Marseillaise und Einladung zum Abendeffen und Volksversammlung aus. Und da zögerte ich denn auch nicht mehr lange mit dem Einpacken.

„Jezt gehörst du also wieder uns?"

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Wenn ich nicht einmal im Walde Ruhe finden kann, Schockschwerennot! Dann will ich wenigstens vernünftige Unruhe haben. Aber ich habe mir einen Schild Komm mit mir gegen alle ergerniffe angeschafft. nach Hause, du sollst ihn sehen."

Glad ging mit seinem Freunde und war höchlichst überrascht, ein kleines Mädchen in seinem Hause zu finden.

„Sieh Glad, das ist mein Schild. Nicht wahr, Sigrid, du wirst mir helfen?" sagte Rast zärtlich und streichelte das lockige Haar der Kleinen wie an jenem ersten Abend. Sie blickte ihn mit ihren großen Kinderaugen an. Glad kratte sich hinter den Ohren und betrachtete - du hast Recht

Selbigen Tags in der Dunkelheit saß der Profeffor bald das Kind, bald den Freund. Dann sagte er: „ ja

denn

auf seiner Veranda und dachte nach. Er hatte mit dem
Denken begonnen, als es noch hell war, und dann war
er so davon in Anspruch genommen gewesen, daß er
garnicht bemerkt hatte, wie es Abend geworden
er hatte einen großen Gedanken! Aber plöglich wurde
er durch einen wunderlichen Anblick aus seinem Sinnen
aufgeschreckt. Hinten am Waldesrand blißten mehr als
hundert Lichter auf, und herrlicher Gesang tönte durch
den dunklen Herbstabend zu ihm herüber. In langen
Reihen kamen die hundert Lichter näher, und der Gefang
flang immer klarer und klarer.

Ja, bei Gott, das ist die Marseillaise! uh! Ich fenne sie," murmelte der Profeffor und schlich leise in den Korridor, während der Fackelzug vor dem Hause halt machte.

Ein einzelnes Licht löste sich von den andern, und folgende Worte gingen von ihm aus:

„Herr Profeffor! Der freifinnige Verein erlaubt sich, Sie zu begrüßen und Ihnen für das männliche Auftreten zu danken, um dessentwillen man Sie verfolgt hat. Sie sind uns längst als einer unserer größten Freiheitsredner bekannt, und wir wünschten stets eine Beranlassung zu finden, um Ihnen unsere Huldigungen darbringen zu können. Nun ergreifen wir die Gelegenheit denn nichts kann schöner sein, als für die unschuldigen Kleinen zu leiden, wie Sie es getan haben. Meine Herren! Professor Rask soll leben! Möchte er trog aller Verfolgungen noch lange Jahre die Kraft behalten, unentwegt für Freiheit und Wahrheit zu kämpfen!" Ein vielstimmiges Hurrah erschütterte die Luft, und darauf wurde es wieder still. Der Profeffor rührte sich nicht in seinem Versteckt hinter der Gangtür. Dann vernahm er, wie jemand sagte:

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„Er ist nicht zu Hause."

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Rast."

vielleicht, vielleicht. Ja

Neue französische Romane.

Bon
Hermann Bahr.

scheint eine neue Aesthetik der Zukunft. Jeder bringt seine Der Zwist der Meinungen ist heftig. Alle Tage ergeftiftet, aber feiner will Schüler sein. Die alten Formeln besondere Formel des Romanes. Ueberall werden Schulen haben ausgedient, es ist ein inverwindliches Bedürfnis nach neuten, es sind laute, reiche Versprechungen, aber die Erfüllung fehlt.

Das ist heute die Lage des französischen Romanes. Es geht ihm genau ebenso, wie dem Drama. Man spricht unablässig über das Drama von morgen, über den Roman von morgen. Man verzeichnet viele Wünsche und Forderungen. Man entwirft fühne, umständlide Programme. Alles erdenkliche geschieht, nur der ersehnte Roman selber, das ersehute Drama selbst wollen noch immer nicht kommen.

Ich habe wenig Vertrauen auf die vielen Rezepte. Man macht die Literatur nicht w wie eine Mehlspeise. Die gute Absicht und der eifrige Fleiß helfen nichts: die großen Erneuerungen der Künste sind immer unbedacht, meist unbewußt geschehen.

Ich glaube nicht, daß verständige Grundsäße, die Erkenntnis der geistigen Begierden, die Einsicht in den Drang der Entwickelung dem Künstler nüßen. Die Kunst ist eine

unverdiente Gnade, launisch und unberechenbar. Der Verstand vermag nichts über sie und wirbt umsonst. Sie läßt sich von ihm keine Vorschrift gefallen. Er kann ihr mur gehorchen, ihren Neigungen lauschen, die Spuren ihrer Triebe suchen.

Man gewahrt in den französischen Romanen von heute etwa fünf verschiedene Formeln.

Erstens der alte Naturalismus: Die von Flaubert geschaffene und dann von Zola für die gemeinen und Bummen Instinkte des Pöbels hergerichtete Formel der morceaux acrachés à la vie Sie herrscht heute über die Klaffen der immer Verspäteten. Bei den Suchenden und Hoffenden hat sie abgewirtschaftet. Sie kann nichts neues mehr gewähren. Sie hat alles hergegeben, was aus ihr gezogen werden konnte. Sie ist erschöpft. Einige kräftige Talente gehorchen ihr noch, aber es wird unabänderlich immer dasselbe. Dahin gehören:,,Madame Moeuriol" von Paul Alexis1), L'honneur" von Henri Fèvre1) und La Gamelle von Jean Reibrach1).

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Daneben ist die psychologische Formel der Linie Sthendal, welche die intérieurs d'âmes sucht, die unter irdischen Gespräche des Gewissens, wie es Leopoldo Alas definirt hat. Ihr Stifter Paul Bourget hat eine neue Sammlung von Pastels 2) gegeben, zehn Männerköpfe diesesmal. Ihr Meister, Maurice Barrés hat seinem „Homme Libre" den „Jardin de Bérénice" ) nachgeschickt: noch tiefer, noch geistreicher und von einer unvergleichlich zarten Feinheit der milden, in verloschene, sanfte Farben eingeschleierten Gefühle; aber man wird diesen Puvis de Chavanne des logischen Anarchismus erst deutlich begreifen, wenn der lette Band dieser Reihe und seine Arbeit über Loyola erschienen sind.

Dann die Formel der Goncourts auf die Suggestion des Nervösen. Sie fordert, wie sie es selber einmal genannt haben, le tact sensitif de l'impressionnabilité, um neue ungekannte Sensationen zu entdecken, ja zu er finden, verbunden mit einem wirksamen Zauber der Gestaltung, um sie auf andere zu übertragen. Der „Termite", des Rosny und Jean Ajalberts „En Amour", 4) können allenfalls ́hier untergebracht werden.

über einen alten Nürnberger Profeffor erzählt, der sich als Jukubus in den schönen Leib der treuen, aber gegen die unsichtbare Liebfosung wehrlosen Izel geschlichen hat.

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Endlich die laute und anmaßliche Formel des Romanes von morgen, welche Marcel Prévost seiner Konfeffion d'un amant vorausgeschickt hat. Davon ist in allen Zeitungen viel Lärm gewesen, aber sie enthält eigentlich nichts, als ein gefälliges, biegsames und dehnbares Wort, hinter dem sich jeder das Seinige denken kann. Das Wort von dem roman romanesque. Le besoin d'une expression romanesque de la vie est une des categories de la conscience et de l'esprit humains; il subsiste tant que subsiste l'humanité avec ses rêves, ses émotions passionelles, ses espérances indéterminées. Wenn man diefen etwas dunklen Kommentar aus dem Romane, der ihm folgt, ergänzt, dann merkt man bald seine flare und nügliche Weisheit. Es ist gar keine so ungestüme_und gewaltsame Neuerung, wie er einem gern einreden möchte, sondern die alte und erprobte Rücksicht auf die stofflustigen Ansprüche des Marktes. Das Publikum will Spannung, Aufregung und Unterhaltung: also geben wir sie ihm doch das ist die Quinteffenz seiner Logit. Sie hat unzweifelhaft recht. Jeder Verleger wird sie bestätigen. Es brauchte nur nicht erst diesen schellenlanten Propheten, um aus allen Stilen das Gefällige zusammen zu mischen, was den Geschmack des Haufens reizen kann. Leo Trezenik in seinem Magot de l'Oncle Cyrille"), Maurice de Fleury in seinen Amours de Savants") und wie sie sonst heißen, diese Jäger des raschen und zahlungsfähigen Erfolges, kennen den zuverlässigen Truc schon längst.

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Von
Fritz Mauthner.
(Schluß.)

Dann der idealistische Naturalismus des Huysmans. Davon ist A. Rebours ein gewürztes Beispiel. Er giebt selber die folgende Definition: „man müßte die dokumentarische Wahrhaftigkeit, die Strenge im Detail, die stoff- Flaubert gilt bei allen Franzosen von litterarischer reiche und nervöse Sprache des Realismus bewahren; aber Bildung für den wichtigsten Begründer des modernen zugleich auch Brunnengräber der Seele werden, der nicht Naturalismus. Sie wissen so gut wie wir, daß die Flucht jedes Geheimnis aus einer Krankheit der Sinne erklärt. zur Natur sehr viel weiter zurückgeht, ja daß fast jede Der Roman müßte sich in zwei Teile scheiden, die jedoch Neubelebung der alternden Dichtkunst von einem fanatischen den Zusammenhang behielten, den sie im Leben haben, in Naturalismus ausgegangen ist. Sie wissen ferner beffer einen Teil der Seele und in einen des Leibes, und er als wir, daß der jüngste Naturalismus in den erstaunmüßte ihre Wirkungen aufeinander, ihre Kämpfe unterlichen Schäßen, welche Balzacs sämtliche Werke heißen, einander und ihre Versöhnungen zeigen. Man müßte die große Straße Zolas gehen, aber über ihr in der Luft einen parallelen Weg führen, eine zweite Bahn nach dem Jenseitigen und Nachherigen -man müßte mit einem Wort einen spiritualistischen Naturalismus schaffen". Diese Diese Theorie ist in seinem neuen Roman5), aber dieser Roman ist nicht ihre Praris: er ist ganz einfach zolaistisch, durch und durch eine genaue und umständliche Sammlung von

Dokumenten über den Satanismus.

Dann die Formel des reinen, aller Wirklichkeit entflohenen Traumes, welche die Decadents verlangen. Dahin gehört La Victoire du mari" von Joséphin Péladan, welche den mühsamen Sieg eines verliebten Wagnerianers

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1) Bei Charpentier.

2) Bei Lemerre.

Bei Perrin & Co.

Bei Treffe & Stod.

),,Là-bas". Bei Treffe & Stod.

unerschöpfliche Hilfsquellen findet. Aber die naturalistische Bewegung des vorigen Jahrhunderts wies doch ganz andere Züge auf, und auch Balzac ist von Zola wie durch eine Mauer geschieden. Der Regierungsantritt Napoleon III. fand ein neues Geschlecht vor, und bei diesem Geschlechte war Flauberts „Madame Bovary" der erste Erfolg der Wahrheit. Denn vom Hofe beschützt wurde allein der Byzantinismus, die Lüge, und von dem Publikum jener Zeit wurde allein verlangt: die Schönfärberei, die Lüge. Wer in politischen Dingen unabhängig dachte, der glaubte auch als Litterat liberal zu sein, wenn er für den großen Victor Hugo schwärmte, den Dichter von Napoleon, dem Kleinen.

Nun ist es sehr merkwürdig, daß Gustave Flaubert der Verfasser der Madame Bovary und damit der Bahnbrecher des heutigen Naturalismus geworden ist, ohne für die Theorieen des Naturalismus etwas anderes übrig zu haben als das Lachen des freien Genies. Flaubert war

nicht eigentlich ein Demokrat; was er auf der ganzen Welt zumeist haßte, war der brave, einfache Philister. Ein blutroter Anarchist kann das Wort bourgeois" nicht mit größerer Verachtung aussprechen, als Flaubert es tat. Oft machte ihn schon der Anblick dieser Philister feefrank. Und sein Haß gegen den überschäßten Béranger, der damals noch kurz vor seinem Tode über alle Maßen. gefeiert wurde, sucht und findet gelegentlich das Wort: ce sale bourgeois". Der Gegner Bérangers ist natürlich voll Bewunderung für Vater Hugo. So wie aber der reiche Flaubert dem neuesten Romane des vergötterten Mannes gegenübersteht, den „Misérables", da steht der Enkel fast belustigt dem Großvater der französischen Litteratur gegenüber. Vater Hugo verachtet die Wissen schaft und hat dafür einen Beweis geliefert... Die Beobachtung spielt in der Litteratur nur die zweite Rolle, aber es ist doch nicht erlaubt, die Gesellschaft so falsch zu zeichnen, wenn man der Zeitgenosse von Balzac und Dickens ist."

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Schon hier verfündigt er sich an der Theorie seiner Freunde, der Brüder Goncourt und des emporkommenden Litterarhistorikers Taine. Ihm ist die Schönheit immer wichtiger als die Wahrheit; oder vielmehr, wenn er auch nirgends diesen Ausdruck findet, die Wahrheit ist ihm das Selbstverständliche, das erst durch die Schönheit Wert erhält. Für seine Salammbô treibt Flaubert jahrelang geradezu mörderische Detailstudien. Er kennt schließlich bas Afrika des vierten Jahrhunderts vor Chrifti besser als alle Historifer. Denn er ist ein Dichter. Und troßdem spricht er verächtlich von der Wahrheit des Kostümes. Ein Buch kann voll sein von enormen Schnißern und braucht darum nicht weniger schön zu sein. Ein solcher Lehrsatz wäre schrecklich; ich weiß das, besonders in Frankreich, wo man geradezu pedantisch unwissend ist. Aber ich sehe in der entgegengesetzten Richtung (die leider die meinige ist) eine große Gefahr. Die Kleiderstudien lassen | uns die Seele vergeffen." Nun ging aber Flaubert, genau so wie Zola das jezt fortfeht bei seinen Sitten schilderungen, auch dann wissenschaftlich vor, wenn er die Stoffe zu seinen Sitten-Romanen aus der Gegenwart nahm. Madame Bovary lehrt uns die tierische Dummheit und Gemeinheit einer französischen Kleinstadt kennen; er sammelt dafür menschliche Dokumente, wie später Zola. Aber er fühlt sich in diesem Milieu nicht wohl. Ich befasse mich mit so was nicht so bald wieder. Die gemeinen Sphären widern mich an; und weil sie mich anwidern, darum habe ich dieses Werk geschrieben, welches erzgemein ist und antiplastisch dazu. Die Arbeit wird dazu gedient haben, meine Hand zu verfeinern; und so nehme ich jetzt etwas anderes vor.'

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Sein Verhältnis zum Milien, das seitdem im VerLaufe von 35 Jahren ein berühmter Popanz geworden ist, trennt ihn in der Theorie weniger als in der Praxis von Zola. Man fennt die landläufige Anschauung des letteren, wonach ein Kunstwerk nichts anderes ist, als ein Stückchen Milieu von einem Temperament angeschaut. Flaubert hat das schon im Jahre 1858 viel subjektiver und viel hübscher ausgedrückt. Ein Buch ist für mich niemals etwas anderes gewesen, als die Art und Weise in irgend einem Milieu zu leben." Zwei Jahre später wendet er sich schon gauz bewußt gegen die Einseitigkeiten Taines, und es klingt wie ein Protest vom heutigen Tage, wenn er schreibt: Die Kunst kennt noch etwas anderes als das Milien und die physiologische Vorgeschichte des Arbeiters. Mit diesem System erklärt man wohl Reihen und Klassen, aber niemals das Individuum, den besonderen Fall, der einen so und nicht anders werden ließ. Diese Methode muß dazu führen, daß man sich um die Talentfrage nicht mehr befümmert. Ein Meisterwerk hat seine Be

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deutung nur noch als historisches Dokument. Das ist genau der Gegensatz zu der alten Aesthetik von La Harpe wir müßten statt La Harpe streng genommen eigentlich Leffing sagen, wenn das nicht zu viel Ehre für La Harpe wäre.) Ehemals glaubte man, die Litteratur sei eine ganz persönliche Angelegenheit und eine Dichtung falle vom Himmel wie ein Meteorstein. Heutzutage leugnet man jeden Willen, alles Absolute. Die Wahrheit dürfte wol in der Mitte liegen." So schreibt er an eine Dame. An seine lieben Goncourts aber, in deren Gesellschaft damals Flaubert, Taine, Turgenjew und Rénaut, später auch Zola bei Wein und Zigarren die neue Richtung begründeten, meldete er mit merklicher Ironie: „Die Fahne unserer Theorie wird diesmal, das versichere ich Euch, frank und frei entrollt werden! Denn das neue Buch (feine Salammbô) beweist nichts, behauptet nichts, es ist nicht historisch, nicht satirisch, auch nicht humoristisch. Sollte es vielleicht aus Rache dumm werden?"

So stand Flaubert mit seinen freundschaftlichen Gefühlen und mit seinem besten Können auf Seite der neuen Stürmer und Dränger, da er aber kein Fanatiker war, so blieb er auch unter ihnen vereinsamt, und er, der weiter blickte als die Genossen, galt für einen Zurückgebliebenen. Wie immer, so auch hier. Der Girondist machte die Revolution; aber der Girondist wurde dafür von Robespierre hingerichtet. Und die Weltgeschichte wie die Litteraturgeschichte scheint mit diesem Vorgehen einen Aft der Klugheit zu begehen. Denn die Girondisten könnten ohne Hilfe des Bergs keine Revolutionen machen.

Für Flaubert war diese notwendige Vereinsamung ein Schmerz mehr in seinem unfrohen Leben. Das Wort ist schon citirt worden, daß man eher ein Millionär werden als eine gute Seite schreiben und mit sich zufrieden sein könne. Flaubert war innerhalb seines Kreises das lebendige Kunstgewissen. Niemals konnte er sich selbst genutg tun. Aehnlich wie Otto Ludwig schlug er sich jahrelang mit der Komposition seiner Werke herum; dann aber kam für ihn die neue, die größte Plage: der Stil. Naturalistische, haarsträubende obscöne Wahrheit im Stoff will er gut heißen, er geht darin allen voran; das will er aber in einem klassischen, in einem monumentalen Stil vortragen. Ich habe in mir, und ich glaube sehr deutlich, ein Ideal, (verzeih mir das Wort) ein Ideal von Stil, und der Wunsch, das zu erreichen läßt mich nicht zu Atem kommen." Flauberts Leidenschaft für einen guten Stil ist unerhört in der modernen Litteratur. Er lauscht auf den Klang seiner eigenen Säße wie ein guter Klavierstimmer auf die Akkorde des Instruments. Er hat die bestimmte Empfindung, daß die französische Sprache für die Wirkungen, die er beabsichtigt, zu abgeschliffen sei. Das Leben ist furz, die Kunst ist lang und sogar unmöglich, wenn man in einer Sprache schreibt, die ganz und gar verbraucht ist, wurmstichig, abgeschwächt, und die einem bei jeder Kraftanstrengung unter den Fingern zu zerfallen droht." In diesem Punkte hat ja Zola, den man nicht in die französische Akademie aufnehmen will, seinen Lehrmeister übertroffen. Zola ist der größere Sprachschöpfer. Aber die größere Gewissenhaftigkeit ist auch hier bei Flaubert. Er haßt jede Schablone auf den Tod. Man soll ihm lieber die Haut abziehen, als ihn zwingen, stehende Redensarten, verbrauchte Phrasen zu schreiben.

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Diese gewaltige Leidenschaft für die Prägnanz des Ausdrucks, dieser bewundernswerte und in Deutschland kaum jemals vorhandene Kunstsinn der Sprache verbitterten dem Einsiedler von Rouen vollends sein Leben. Er findet immer neue Bilder, und er ist groß in echt dichterischen Bildern, er erinnert darin an Heinrich von Kleist, das traurige Loos des ernsthaften Schriftstellers zu beklagen. „Die Philister haben keine Ahnung davon, daß wir ihnen

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unser Herz serviren. Das Geschlecht der Gladiatoren ist, nicht tot, jeder Künstler ist einer. Er erfreut das Publikum mit seinem Todeskampf... die alten Legenden von den Amazonen, die sich die Brust ausbrannten, um den Bogen spannen zu können, sind Wirklichkeit für gewiffe Leute. Welche Opfer kostet uns der kleinste Sat." In einer solchen Stimmung schreibt Flaubert an einen seiner besten Freunde die folgenden ebenso wilden, wie lustigen Worte über das Schicksal der Bücher. Die Bücher entstehen nicht wie Kinder. Man macht Bücher wie man Pyramiden baut nach einem wolüberlegten Plan, und indem man mit furchtbarer Anstrengung, mit Aufwand von Zeit und Schweiß einen Steinblock über den andern wälzt. Und es hilft zu nichts! Das bleibt in der Wüste stehen und beherrscht fie freilich wunderbar. Die Schakale besch-mußen sie unten, die Philister klettern hinauf... fahre nur im Bilde fort." Diese Stelle, wie viele andere, zeigt deut lich, was jeder Leser Flauberts ohnehin weiß, daß dieser Einsiedler die Zugabe jeder echten pessimistischen Weltanschauung in hohem Maße besaß: Uebermut und Humor. Das Bild von Flaubert wäre falsch, wenn man ihn nicht im Kampfe gegen Rohheit und Philisterium sich der tollsten Cynismen und Sarkasmen als Waffen bedienen fähe. Das Beste ist oft unüberseßbar; aber eine kleine Probe fast kindlicher Lustigkeit und doch biffiger Satire will ich zum Schluffe noch geben. Er ist endlich berühmt geworden, und die Journale erbitten von ihm biographische Skizzen. Das beluftigt ihn ungeheuer, und er spricht in einem Briefe den Wunsch aus, die folgende Parodie auf eitle Berühmtheiten als seine Selbstbiographie herauszu geben. Von meinem zartesten Alter an habe ich historische, große Worte gesagt, z. B. so wollen wir im Schatten fämpfen, geh mir aus der Sonne — schlage mich, aber höre mir zu u. s. w.

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„Ich war so schön, daß die Kindermädchen .... und die Herzogin von Berry ließ einmal ihren Wagen halten, um mich zu küssen (historisch).

Ich verriet bald einen übermäßigen Verstand. Von

meinem zehnten Jahre verstand ich die orientalischeu Sprachen und las die Himmelsmechanik von Laplace.

„Ich habe 48 Personen aus dem Feuer gerettet.

Im Duell habe ich 30 Soldaten getötet. Eines Tages waren wir drei, sie waren zehntausend u. f. w.“

Frauen.

Kopenhagener Studie in 1 Aft.

Von

Karl Larsen.

im Hintergrunde eine Tür zum Entree. Auf der einen Seite der selben ein moderner Bücherschrank voller Bücher in hübschen Einbänden, auf der andern ein größeres altmodisches Möbel. Ganz hinten rechts eine zweite Tür, weiter vorn ein Sofa mit Tisch und mehrere niedrige Stühle verschiedener Form; ganz im Vordergrunde rechts ein etwas altmodischer, großer Konsolspiegel. Schräg vom Tisch nach rechts eine Caufeuse. Rococo-Kronleuchter. Teppich über den ganzen Böden.

Erste Scene.

(Wenn der Vorhang aufgeht, sigt Frau Lindholm, eine schöne vierzigjährige Dame, an ihrem Arbeitstisch und liest in einer Beis tung. Sie ist in Straßentoilette.) Bühne nach dem Entree.) (Lindholm kommt von rechts hinein und geht über die

Frau Lindholm (fieht von der Zeitung auf). Mußt du schon gehen?

Lindholm. Ja, ich wollte ein wenig aufs Bureau. Frau Lindholm. Ich dachte, du wolltest in diesen Tagen gar nicht hingehen. Du hast ja so viel Arbeit nach Hause genommen, um damit fertig zu werden. ich mit dem Bevollmächtigten Janzen reden muß. Es Lindholm. Ja, aber da ist grade etwas, worüber handelt sich um eine Legatsache von einer englischen Dame. Mrs. Atkinson hat mich gebeten, mich dafür zu interfie ist effiren. Du weißt, die große englische Dame ganz nett wir treffen sie manchmal bei Konferenzrat Bundes. Es flingelt.) Lindholm schnell). Wer mag das sein? (Beide lauschen.) Lindholm (gedämpft. Es ist Frau Kraft, das Un=' Ich will ihr wahrhaftig nicht in die Arme Dann ziehe ich es schon vor, noch ein wenig zu Sieh, daß du sie bald wieder loswirst.

geheuer. laufen. warten.

Frau Lindholm. Ja, wenn ich fanm

(Lindholm rechts ab.)

Zweite Scene.

Das Dienstmädchen (kommt herein, gedämpft. Ich ließ Fran Kraft in das Eßzimmer. Soll ich sagen, daß die gnädige Frau zu Hause sind?

Frau Lindholm (zuckt die Achseln).

Das Dienstmädchen. Sie hat den Hut und Mantel der gnädigen Frau draußen im Entree gesehen.

Fran Lindholm (ebenso gedämpft). Ja, dann müssen Sie sie hereinkommen lassen.

Das Dienstmädchen (läßt, indem sie hinausgeht, die Türe zum Entree hinter sich halb offenstehen. Man hört sie draußen im Entree sagen:). Ja, seien Sie so gut, Frau Kraft, die gnädige Frau ist zu Hause. (Deffnet der eintretenden Frau Kraft die Türe völlig und geht dann hinaus.)

Dritte Scene.

Fran Lindholm (geht über die Bühne Frau Kraft entgegen). Ach, entschuldige, Thyra. Ich war einen Augenblick in Lindholms Zimmer.

Frau Kraft. Guten Tag, Emma. (Sie küssen sich.)

Einzig autorisirte, vom Verfasser durchgesehene deutsche Uebersetzung Ja, ich laufe sogleich wieder. Ich bin eigentlich unter

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wegs, um Geschäftsgänge zu machen. Um halb zwei soll ich Manna bestimmt bei Bett & Weffel*) treffen; wir wollen uns dort Tarlatan ansehen.

Frau Lindholm. Ja, aber du kannst dich doch einen Augenblick sezen.

Frau Kraft. Ja, daufe. (Seßt sich und knöpfelt ihren Mantel auf. Sieht sich flüchtig um und sagt in schmeichelndem Lonfall.) Du hast es hier so gemütlich!

Frau Lindholm. Sollt ihr zu Ball?

Frau Kraft. Ja, Manna. Wir sind ja im Sprachflub, und da haben sie am Freitag Ball. Kraft ist im Vorstande.

*) Großes Manufaktur und Konfektionsgeschäft in Kopenhagen,

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