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nen Bruder hatte der Pascha schon eingeladen; der Konsul Finn und seine Gemahlin werden sich uns anschließen.

Heute Morgen weckte mein Bruder mich schon um fünf Uhr, um uns nach der Stadt zu begeben. Ich war noch niemals so früh in dieser Gegend gewesen und bewunderte die Moabgebirge, die sich im nebeligen Grau des Morgens am besten ausnehmen, und die dunkle Stadt, deren Umrisse in scharfem Relief gegen die Spiße des Delberges abstechen. Durch das im Schlafe liegende Soldatenlager, an den pittoresken Zelten Sir Moses Montefiore's vorbei, deren Bewohner gleichfalls noch des Schlummers pflegen, zwischen Gruppen von Juden und Arabern, die in ihren Turbanen und Tarbuschen unter dem Schatten der Bäume sigen, reiten wir in das Damasker Thor hinein, dessen starke Mauern mit Maffen von Vegetation bedeckt sind, und, unter Bogengewölben, durch enge Straßen, in welchen Kapern in großer Menge wachsen. Ihre Blüthen gewähren einen äußerst lieblichen Anblick; vier weiße, schmetterlinggleiche Blätter halten einen großen Büschel langer, zarter, veilchenfarbiger Fibern, mit einem dicken, veilchenfarbig und weiß schattirten Stengel in der Mitte. Um acht Uhr erreichten wir das Serail des Paschas, wo wir mit Sir Moses Montefiore und seiner Gesellschaft zusammentreffen sollten. Wir betreten ein gewölbtes Gemach, mit lilafarbigem Kattun ausgeschlagen und ringsum mit Divans beseßt. Der Thür gegenüber sigt der Pascha; meine Vorstellung erfolgt unter Beobachtung der gehörigen Form und mit Austausch der im Orient gebräuchlichen Komplimente (ich habe bereits gelernt, diesen Würdenträgern passende Antworten zu geben). Der Dragoman ist ein Grieche, der aber gut französisch spricht; der Pascha kennt keine andere Sprache, als die türkische. Der Dolmetscher führt mich zu einem Divan und öffnet die Vorhänge eines Fensters, welches die Terrasse der Moschee überblickt, die sich noch halb im Schatten befindet und deren Mauern, Minarets und Dome ihren phantastischen Schatten über die Scene werfen. Meinem Bruder und mir wird Kaffee gereicht, und bald darauf wird Sir Moses Montefiore angekündigt. Wir begeben uns zu ihm in den Salon, wo der Pascha sich auf dem Hauptdivan niederläßt und mich zu seiner Nechten Plag nehmen heißt. Vor uns sigen auf in einen Halbkreis gestellten Stühlen der Gouverneur von Hebron, der Gouverneur von Garrison (Garizim?), mein Bruder, der Dolmetscher und Sir Moses mit seiner Gesellschaft. Das Kaffeetrinken und Komplimentemachen beginnt von neuem, und Herr Konsul Finn erscheint mit seiner Gemahlin. Wir brechen in Prozession auf; der Pascha geht voran durch seltsam gewundene Gänge und Gewölbe, bis wir in das Sonnenlicht und den wundervollen Hof der Moschee heraustreten. Das prächtige Gebäude, mit seiner mannigfachen Oberfläche von Farbe, Licht und Schatten, der kleinen Reihe Bogen und Säulen, den Kapellen und Grabmälern, den Delbäumen und Sträuchern wird mit einem einzigen Blick übersehen, während wir uns dem Fuße der breiten Freitreppe nähern, die zu dem heiligen Boden führt.

Eine zahlreiche Gruppe arabischer und jüdischer Diener umgab uns jest, deren Pflicht es war, uns der Schuhe zu entledigen und mit Pantoffeln zu versehen. Wir traten alsdann in das wunderbare Gebäude ein, deffen feierliches, majestätisches Dunkel uns an die Alhambra erinnerte. Die Ringmauern des Doms sind mit uralter Mofaif-Arbeit von Glas und Stein im überladenen arabischen Styl befest, über welche sich eine auf Bogen ruhende Galerie nach Art eines normännischen Trifoliums zieht. Die reich kolorirten Glasfenster gleichen ebenfalls durch die Mannigfaltigkeit ihrer Farbe, ihre verwickelte, aber korrekte Zeichnung und die Kleinheit ihrer Abtheilungen einer durchsichtigen Mosaik. Innerhalb einer hölzernen Umzäunung befindet fich der wunderbare Stein, der, im Begriff, dem Propheten nach dem Himmel zu folgen, die Erde verließ und nie ganz dahin zurückgekehrt ist.) Er steht allerdings in einer sehr merkwürdigen Positur, ohne fast einen Punkt zu haben, auf dem er ruhen könnte. Der obere Theil des hölzernen Geländers ist hübsch ausgeschnigt und bemalt, mit Stizzen, die den Ornamenten der angelsächsischen Handschriften nicht unähnlich sehen. Man zeigte auch den Betplaß David's, einen weißen, marmornen Schrein von ausgezeichneter Arbeit; er bildet eine von zwei Doppelsäulen geftüßte Nische, die Säulen find in je vier Sectionen getheilt und zierlich unter einander verflochten; die Kapitäle haben dieselbe vollendete Sauberkeit, welche die Werke der normännischen Kunft auszeichnet. Wir stiegen nun, von vier Kerzenträgern begleitet, in einen finsteren, höhlenartigen Raum hinab, der unter dem großen Stein gelegen ist. Es befinden sich hier vier Betpläße des Jesus, Salomo, Abraham und Aaron —, wovon zwei mit noch verwickelteren Zierraten versehen sind, als der oben erwähnte. Doch verließen wir bald dieses Souterrain, um uns wieder nach oben zu begeben, wo wir das Mosaikparkett untersuchten, dessen Zigzaglinien große Mannigfaltigkeit und glänzende Farben darbieten.

*) So lautet die muhammedanische Legende. Der orientalisch - christlichen Sage zufolge ist dies der Stein, in welchem Jesus bei seiner Himmelfahrt einen Abdruck seines Fußes zurückließ. D. R.

Der untere Theil der Moschee ist hauptsächlich mit enkaustischen Ziegeln, meistens blau und weiß und an den Styl der Renaissance erinnernd, gepflastert. Im Hofe, wohin wir jeßt zurückkehrten, wachsen die Delbäume und kleine gelbe und rothe Blumen, vom Geschlecht der Wicke und des Geißbarts, zwischen den Steinen. Die Stufen, welche zu einem offenen, steinernen Bassin führen, das der Teich Salomo's genannt und mit Waffer aus dem gleichnamigen Teich in Artas(?) versehen wird, sind mit hoch aufgeschoffenem Unkraut und Dornen überwuchert. Noch mehrere steile Stufen hinab, die nicht oft betreten schienen, gelangten wir zu einem füdlich gelegenen langen, niedrigen, unterirdischen doppelten Bogengang. Die Säulen find anfangs viereckig und zum Theil verbunden, aber ganz im Süden.sind sie rund und von herrlichen Verhältnissen, indem der Boden mehr ausgehöhlt und das Dach höher ist, was sie in ihrer einfachen Größe recht imposant erscheinen läßt. Eine von ihnen, die von Herrn Konsul Finn gemessen wurde, hatte einen Umfang von funfzehn Fuß. Einige Steinfragmente steckten wir als Trophäen zu uns.

An das blendende Tageslicht zurückkehrend, traten wir durch ein finsteres, tief gewölbtes Thor in die Moschee El Akbar ein. Die weiß gestrichenen Wände und die moderne Zeichnung der Monogramme der Chalifen geben dem Innern des Gebäudes ein Ansehen von Neuheit. Den Plafond tragen seltsam geformte Säulen, kurze runde Bogen, runde, viereckige und ganz unregelmäßige Pfeiler. Wir versammelten uns um den alten Brunnen, der den Namen Moses trägt und aus dem Sir M. Montefiore mir einen erfrischenden Trunk reichte. Der Pascha ließ uns alsdann in das unter dem goldenen Thor befindliche Gemach führen. Diese Stätte gilt den Moslem für besonders heilig, und man hütet sich ängstlich, sie den Blicken der Ungläubigen auszusehen; auch jezt hatte man uns glauben machen wollen, daß wir sie bereits gesehen, und daß der lange Bogengang dahin geführt habe. Auf Befehl des Paschas aber wurden wir zwischen einem in Reih und Glied aufgestellten Detaschement türkischer Soldaten nach dem sich allmählich senkenden Eingang geführt, und während die Soldaten einen Halbkreis um den Abhang schlossen, traten wir in einen herrlichen gewölbten Raum, von sechs Säulen gestüßt und durch Pfeiler von großer Schönheit in Kammern abgetheilt. Hoch über uns ließen zwei Oeffnungen im Doppeldom das Tageslicht ein, aus welchen einige pittoreske Köpfe erstaunt und neugierig herabblickten. Herr G., einer von unserer Gesellschaft, der in Konstantinopel gewesen ist, verfichert, daß keine der dortigen Moscheen in Reichthum des architektonischen Schmucks mit der hiesigen zu vergleichen sei. Die klassischen Erinnerungen Athens und die Naturschönheiten des Bosporus hätten ihm hohen Genuß gewährt, aber der heutige Besuch würde es ihm reichlich vergolten haben, wenn er auch den ganzen Weg bis hierher mit geschlossenen Augen gemacht hätte.

Wir näherten uns der bedeckten Piazza vor der großen Moschee, wo Teppiche für uns Damen unter dem luftigen, von schlanken Säulen getragenen Dom ausgebreitet waren. Allmählich vermehrte sich die Zahl unserer Begleiter, die Soldaten schloffen einen dichten Kreis um uns, und wir warteten unter einem gewölbten Korridor, während Sir Moses den Bakschisch unter die gierigen Haufen vertheilte, die seiner Gaben warteten. So kehrten wir endlich nach dem Serail zurück, das wir am Morgen verlassen hatten. Mehr als zwei Stunden hatten wir in jenen selten besuchten Räumen zugebracht und mehr ge= sehen, als je ein Ungläubiger vor uns. Der Erzherzog Maximilian und der Herzog von Brabant waren bei weitem nicht so glücklich gewesen; es war die bekannte Freigebigkeit Sir Moses Montefiore's, welche unserer kleinen Gesellschaft alle Pforten geöffnet hatte.

Nord-Amerika.

Elliot's indianische Bibel.

Im Jahre 1663 gab der Missionär John Elliot, der Apostel der Jndianer genannt, in Cambridge bei Boston eine Ueberseßung der Bibel im Dialekt des Nipmuk- oder Massachusetts-Stammes heraus, die als der erste Versuch, die heilige Schrift den Aborigenen Amerika's zugänglich zu machen, Beachtung verdient und auch in linguistischer Beziehung überaus merkwürdig ist. Die Sprache selbst ist, wie das Volk, das sie redete, längst ausgestorben, und die Uebersehung gehört jezt zu den größten literarischen Kuriositäten. Der Redaction des Boston Traveller wurde neulich ein Exemplar der zweiten Auflage derselben zugestellt, über welches sie einige interessante Notizen mittheilt. Das Buch ist auf ziemlich schlechtes Papier gedruckt, die Schrift plump und uneben, indem die des Titelblattes mit einem Federmesser ausgeschnitten zu sein scheint. Es ist in Schafleder gebunden, mit schweren „Rippen“ auf dem Deckel; die Illuminationen im Anfang sind äußerst roh gearbeitet, die Zeilen schief und unregelmäßig. Außer dem alten und neuen Testament ent hält es noch eine Uebersetzung der Psalmen in indianischen Verfen. Der Titel lautet, wie folgt:

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Mamusse wunneetu panatamwe Up Biblum God. Naneeswe Nukkone Testament kah wonk wuskee Testament. Ne quosh kinnumuk nashpe Wuttinneaumoh Christ noh asoowesit, John Elliot. Nahobtoen ontchetoe Printenoomuk. Cambridge. Printeuoop nashpe Samuel Green. 1685."

Wie man sieht, gebrauchte Elliot für solche Gegenstände, die den Indianern unbekannt waren, englische Ausdrücke, was dem Text bei dem gänzlich verschiedenen Charakter der beiden Sprachen ein äußerst baroces Ansehen giebt, namentlich wo er die englischen Worte mit indianischen Endungen und Flerionen versehen hat. So finden wir neben „silver”, „gold”, „temple”, „wine", auch Combinationen wie „chariotash”, „cherubimloh”, „apostlesog", „carpentersoh", „,masonoh" u.f.w. Der Nipmuk-Dialekt ist reich an langen, harten, gutturalen Worten; das längste möchte wohl das im Evangelium St. Marci Kap. 1, Vers 40, vorkommende: Wutteppesittukqussunnoowehtunkquoh" sein, was „vor ihm niederknieend" bedeutet. Noch unharmonischer find, wo möglich, die Verse, wovon der Anfang des neunzehnten Psalms: Die Himmel erzählen die Ehre Gottes“, als Beispiel dienen möge:

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- Eine neu begründete Staats- und Rechts-Philosophie. Unter dem Titel: „Polignofie und Polilogie, oder: Genetische und komparative Staats- und Rechtsphilosophie auf an. thropognoftischer, ethnologischer und historischer Grundlage“ ist so eben der dritte und legte (über tausend Seiten engen Drucks ent haltende) Theil eines unter dem unten angeführten Gesammttitel®) herausgegebenen Werkes erschienen, als dessen Hauptzweck der Verfaffer, Herr Prof. Karl Vollgraff in Marburg, *),,die Erlangung einer genetischen Naturlehre und Naturgeschichte der bürgerlichen Gesellschaft und des Staates durch alle vier möglichen Hauptstadien oder Epochen eines Volkslebens hindurch" angiebt. Der erste im Jahre 1851 er schienene Theil führt den Titel: „Anthropognosie oder zur Kunde des Menschen überhaupt. Als Grundlage und Einleitung sowohl zur Ethnologie, wie zur Staats- und Rechtsphilosophie". Es wird in diesem Theile der Mensch im Allgemeinen aufgefaßt und gezeigt, daß das Streben des Menschen in dem naturfittlichen Selbfterhaltungstriebe wurzelt, dieser aber vier verschiedene Richtungen hat: 1) nach physischem Wohlsein, 2) nach physisch-moralischem Wohlbefinden, 3) nach diesseitiger Fortdauer durch die Fortpflanzung und 4) nach jenseitiger seliger Fortdauer; es wird nachgewiesen, wie alle Erscheinungen des Menschenlebens oder alle Industrie-Kultur, alle Kunft und Philosophie, alle Civilisation und Religion nichts Anderes find, als Bestrebungen und Aeußerungen dieser vier Richtungen des natursittlichen Selbsterhaltungstriebes. Der Grund für die in der Geschichte und Ethnographie uns vorgeführten Abstufungen dieser vier Richtungen wird in den vier Ur-Temperamenten, d. h. Abstufungen der Lebens-Energie oder des Selbsterhaltungstriebes, gefunden, so daß diese vier Haupt-Abstufungen die Basis der vier Haupt-MenschenRaçen und diese wiederum die Repräsentanten der vier Haupt-KulturStufen, der vier Haupt-Religions-Stufen und der Haupt-CivilisationsStufen find. Der zweite 1853 und 1854 in zwei Abtheilungen erschienene Theil, welchem der Verfasser den Titel: „Ethnognofie und Ethnologie oder Herleitung, Classification und Schilderung der Nationen" gegeben, stellt das Menschenreich systematisch wissenschaftlich

*) Erster Versuch einer wissenschaftlichen Begründung sowohl der allge= meinen Ethnologie durch die Anthropologie, wie auch der Staats- und Rechtsphilosophie durch die Ethnologie oder Nationalität der Völker. In drei Theilen. Marburg. Elwertsche Universitäts-Buchhandlung.

**) Verfasser eines im Jahre 1828 erschienenen, historisch - philosophischen Werkes über die Systeme der praktischen Politik im Abendlande".

in seinen Kultur und Raçe-Stufen und in den darunter begriffenen Klaffen, Ordnungen (Völkerstämmen) und Zünften (Nationen) dar, und zwar: 1) im ungestörten und altersgefunden Zustande, 2) im gestörten alterskranken Zustande. Dieser zweite Theil, der sehr ausführlich ist und sehr wohl als ein selbständiges, wiffenschaftliches Ganzes gelten kann, ist für des Verfaffers Ziel nur Mittel zum Zweck, weil er gefunden, daß alle Erscheinungen der Civilisation, d. h. des bürgerlichen und politischen- Lebens, von der Ehe bis zu den Regierungsformen, unerklärt und dunkel find und bleiben, wenn man sie nicht als Mittel und Korrelate der Kultur- und religiösen Zwecke nach Maßgabe jener vier Stufen ins Auge faßt." Der dritte Theil giebt eine ganz neue, eben so sehr durch gründliche in die kleinsten Details eingehende Sachkenntniß, wie durch echt wissenschaftliche Verarbeitung des ungeheuren Materials sich auszeichnende Theorie der bürgerlichen und politischen Gesellschaften, ihrer Elemente, ihrer organischen Verfassungen, Gewalten und Regierungsformen, so wie ihres Civil-, Prozeß- und VölkerRechtes, und zwar: 1) im noch altersgefunden und freien Zustande; 2) im zwar noch freien, aber alterskranken Zustande, oder im Greifenund Verfalls-Alter; 3) nach verlorener Unabhängigkeit oder im politisch unfreien Zustande; 4) während und nach ihrer politischen Wiederbefreiung und Restauration. Der fünfte Abschnitt handelt,,von der Geschichte der bürgerlichen und politischen Gesellschaften, ihrer Verfassun gen, ihrer Regierungsformen, so wie ihres Civil-, Straf- und ProzeßRechts im freien und unfreien Zustande." Es werden in diesem Abschnitte folgende Fragen beantwortet: Was soll in einem Geschichtswerk dargestellt und beurtheilt werden? Wie verhalten sich die StaatsGeschichten zur Geschichte eines ganzen Volkes oder Volksstammes? Ift eine Weltgeschichte möglich, und wenn, wie müßte sie geschrieben werden? — Wir bedauern, daß der Zweck dieser Blätter uns nicht gestattet, dem hier angezeigten großartigen Werke echt deutscher Wiffenschaftlichkeit eine ausführlichere Besprechung, eine seiner hohen Bedeutung, die auch schon aus unseren dürftigen Mittheilungen zu erkennen sein wird, entsprechende Würdigung zu Theil werden zu laffen.

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Libanon, von L. A. Frankl.) Unter dem Titel „Libanon" hat der Dichter des Christoforo Colombo", Ludw. August Frankl, ein poetisches Familienbuch" zusammengestellt, zunächst allerdings für israelitische Familien, denn es ist ausschließlich den poetischen Seiten des Judenthums, seiner Geschichte, seinen Leiden und seinen religiösen Tröstungen gewidmet; doch da es zugleich eine Revüe der Dichter aller Länder und aller Zeiten ist, welche entweder jüdische Stoffe oder jüdische Empfindungen ihren Gesängen untergelegt, so hat das Buch auch ein allgemeines, literar-historisches Intereffe, wenigstens ein größeres, als die meisten Gedichtsammlungen, die als Anthologieen und Chreftomathieen dugendweise in jedem Jahre zu erscheinen pflegen. Ueber hundertundfunfzig Namen zählt das Inhalts-Verzeichniß dieses Buches, darunter viele jüdische, dem Mittelalter angehörend, aber auch wohl. bekannte, klangvolle, deutsche, französische, englische, spanische und italiänische Namen. Orientalische Formen wechseln mit antiken und modernen Rhythmen; Martyrologieen und Legenden mit dramatischen Scenen, Romanzen und Epigrammen. Wir wollen mit dem Herausgeber nicht rechten über die von ihm getroffene Auswahl; manche Namen, wie Voltaire, Calderon und auch einige Deutsche, scheinen gar nicht in dieses Buch zu gehören, während Andere, wie Lessing, Herder, nicht mit dem ihnen gebührenden Vorzug aufgenommen sind und dagegen einigen jungen, sonst noch nirgends genannten Zeitgenoffen etwas zu viel Rücksicht geschenkt ist. Jedenfalls enthält die Sammlung sehr viel Gutes und Manches, was, in seltenen Werken zerstreut, nur sehr schwer zugänglich ist. Was der Herausgeber von eigenen Schöpfun gen beigetragen, namentlich das Schlußgedicht: „Nach der Zerstörung“, gehört zu dem Besten dieser Sammlung.

Der Libanon" schließt sich den,,Stimmen vom Jordan und Euphrat", welche die Herren Sachs und Veit vor zwei Jahren herausgegeben, in würdiger Weise an. Hoffentlich tragen solche und ähnliche Sammlungen dazu bei, in den Familien, für die sie zunächst be= ftimmt find, in jungen, für poetische Eindrücke empfänglichen Gemüthern, die sich jedoch nur zu leicht den Genüffen und Eitelkeiten des Tages hingeben, das religiöse Bewußtsein und damit zugleich den Gedanken wach zu rufen, daß das Leben doch auch noch andere und höhere Zwecke, als die bloße Befriedigung materieller Bedürfniffe hat.

*),,Libanon". Poetisches Familienbuch. Von Ludw. Aug. Franfl. Zweite, vermehrte Auflage. (Die erste Auflage des Buches ist in Oesterreich vergriffen und gar nicht nach Nord - Deutschland gekommen.) Wien, Zamarski (Universitäts-Buchdruckerei), 1855.

Berichtigung. In Nr. 112 des „Magazin" lese man S. 447, 1. Sp., 3. 13 v. ob.: anseßt statt erseßt; daselbst 2. Sp., 3. 19 v. ob.: dessen statt besser; 3. 26 v. u.: an der statt an die, und 3. 24 v. u. abprallt statt abprellt,

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Von einem amerikanischen Reisenden, Herrn Bard, ist neulich eine höchft graphische Beschreibung des auch bei uns oft erwähnten, obwohl keinesweges rühmlich bekannten Moskito-Landes veröffentlicht worden.) Sie ist in dem Styl des Verfaffers von,,Omoo" und „Typee" geschrieben und giebt uns ein seltsames Bild von den Zuftänden eines Landes, welches lange den Vereinigten Staaten und England als Zankapfel gedient hat. Namentlich findet man darin sehr ergößliche Personalien über den sogenannten König der Moskitos und feine Umgebungen und über die lustige Parodie des Monarchismus und Aristokratismus, welche in jenem entlegenen Winkel der Erde aufgeführt wird.

Am Morgen nach seiner Ankunft in Bluefields wurde nämlich unser Reisender von dem englischen Agenten, Herrn Bell, zum Früh stück eingeladen. Die Wohnung dieses Herrn", berichtet er,,,war ein einfaches Gebäude von rohen Brettern, mit mehreren kleinen Zimmern, die in ein größeres Gemach öffneten, in welchem ich Plaß nehmen mußte. Ein schläfriges, schwarzes Mädchen, mit einer ungeheuren Masse wolligen Haares, fegte eben den Fußboden in einer verdroffenen, mechanischen Weise, die geeignet war, bei dem Zuschauer ein sanftes Gähnen hervorzurufen. Die Wände waren mit Bildern behangen, in welchen Ihre Majestät die Königin Victoria in allen Varietäten des Stahls, der Lithographie und des Farbendrucks erschien. Eine oder zwei Flinten, in der Ecke ein Tisch, auf welchem ein verworrener Haufe von Büchern und Papieren und unter welchem eine Sammlung von Stiefeln, Lauen und Enterhaken lag, ein paar Stühle, eine hölzerne amerikanische Uhr und ein zweiter Tisch bildeten das ganze Ameublement des Zimmers.

Auf einen Wink des Herrn Bell entfernte sich das schläfrige schwarze Mädchen und kehrte nach einigen Augenblicken mit Laffen und einer Kaffeekanne zurück. Ich bemerkte, daß drei Laffen auf den Tisch gestellt wurden, und daß mein Wirth fie alle füllte, was mir etwas auffiel, da ich der einzige Gaft war. Einen Augenblick stieg der Verdacht in meiner Seele auf, der weibliche Polyp vor uns stehe in so naher Beziehung zu unserem Wirth, daß sie berechtigt sein werde, uns mit ihrer Gesellschaft zu beehren. Statt aber dies zu thun, schlug fie sehr ungenirt an die Thür eines Rebenzimmers und rief dem unsichtbaren Infaffen ein kurzes:,,Steh auf!" zu. Es erfolgte eine Art von mürrischer Antwort und gleich darauf ein Poltern und Murmeln, wie von Jemanden, der sich unzeitig in seiner Ruhe geftört glaubt. Unterdeffen hatten wir beide, Herr Bell und ich, unsere erste Laffe Kaffee ausgetrunken und schritten eben zu einer zweiten, als sich die Thür jenes Zimmers öffnete und ein schwarzer Bursche von etwa neunzehn bis zwanzig Jahren schwerfällig auf den Tisch zuschritt. Sein ganzer Anzug bestand aus einem am Halse offenen Hemde und fast knopflosen Kattun-Beinkleidern. Er nickte meinem Wirth ein ver schlafenes:,,Morgen, Sir!" zu und seßte sich dann zum Kaffee, während Herr Bell ihn gar nicht zu beachten schien und unser Gespräch fortseßte. Nach kurzer Zeit stand der junge Lümmel wieder vom Tische auf, ergriff seinen Hut und ging langsam den Pfad hinunter, der nach dem Fluffe führt, wo ich ihn sein Gesicht in dem Strome waschen fah. Als ich mich von Herrn Bell verabschieden wollte, bot er mir in den freundlichsten Ausdrücken seine Dienste an, um den etwanigen Zweck meiner Reise zu fördern. Ich dankte ihm mit der Bemerkung, daß ich keine andere Absicht habe, als Abenteuer zu suchen und neue Eindrücke nachhause zu bringen, und daß ich ihm daher sehr verbunden sein würde, wenn er mich dem Könige vorstellen wolle, sobald ich meinen Staatsanzug, der einigermaßen vom Seewaffer gelitten, wieder hätte in Stand sehen lassen. Mit einem halben Lächeln antwortete er, daß ich die Sache nicht deshalb aufzuschieben brauche, und an die Thür gehend, rief er dem am Fluffe stehenden schwarzen Jüngling zu *) Waikna; or, Adventures on the Mosquito Shore. By Samuel A. Bard. New-York, Sampson Low & Son. - Waikna" heißt in der Moskitosprache Mensch.

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1855.

und winkte ihm, herzukommen. Der Bursche feste rasch seinen Hut auf und gehorchte. Vielleicht wiffen Sie nicht, daß dies der König ift?" sagte mein Wirth, verächtlich lächelnd. Ich blieb ihm die Antwort schuldig, da die schwarze Majestät sich unterdeffen genähert hatte. Höchstdieselben zogen achtungsvoll den Hut, aber es fand keine weitere Vorstellung statt, als die von Herrn Bell hingeworfenen Worte: George, dieser Herr ift gekommen, um Dich zu sehen; seße Dich."

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,,Es wurde mir bald klar, wer der eigentliche König in Bluefields sei. Auch „George“ schien über dieses Thema seine eigenen Ideen zu haben, aber er wurde in so strenger Disziplin gehalten, daß er nicht wagte, ihnen Worte zu verleihen. Ich fand ihn zwar blöde, aber nicht ohne die Elemente des gewöhnlichen englischen Schulunterrichts, den er in England erhalten hatte. Er ist nicht mehr oder weniger als ein Neger,") mit kaum einer Spur von indianischem Blut, und würde im Süden als ein derber junger Bursche bezeichnet werden, der als Leibdiener unter Brüdern zwölfhundert Dollars werth sei. Der Tag nach meiner Ankunft war ein Sonntag, und Herr Bell las im Gerichtssaal die Liturgie der englischen Kirche vor. Es war vielleicht ein Dußend Personen zugegen, unter ihnen der König, der jeßt einfach und sauber gekleidet war und sich ganz anständig benahm. Ich konnte nicht bemerken, daß er mit besonderer Achtung behandelt wurde, während man Herrn Bell die größte Unterwürfigkeit zeigte."

Die hohen Staatsbeamten des Moskito-Landes sind ihres Fürsten vollkommen würdig. Herr Bell hatte dem Verfasser einen mit der Unterschrift des schwarzen Monarchen -,,George William Clarence, König aller Moskitos" versehenen Paß gegeben, den er auf seinen Reisen durch das Land vorzeigen mußte. Bei seiner Ankunft in einem Moskito-Dorfe, Namens Wastwatla, empfingen ihn die Einwohner mit nicht sehr freundschaftlichen Demonftrationen, wurden aber durch den Anblick jenes werthvollen Dokuments sogleich besänftigt.,,Königspapier!" war der allgemeine Ruf, und man begegnete dem Reisenden nunmehr mit aller möglichen Zuvorkommenheit. Das Überhaupt des Dorfes oder der,,Capitain“, wie er sich nennen ließ, machte ihm perfönlich seine Aufwartung. In wenigen Augenblicken", sagt Herr Bard,,,kam eine Figur zum Vorschein, die ich sogleich als den Capitain erkannte, den das Volk mit so lautem Geschrei angekündigt hatte. Er war ein Schwarzer von keinesweges empfehlendem Aeußern, aber alle natürlichen Mängel wurden durch sein Kostüm mehr als aufgewogen. Er trug einen ehrwürdigen Dreimaster, von welchem ein langer, rother Federbusch herabhing, der einen großen Theil seiner Federn verloren hatte und wie der Kamm eines Hahnes aussah, welcher halb gerupft von einer erfolglosen Razzia gegen den Harem eines mächtigeren Nachbars zurückkehrt. Sein Rock hatte einst einem Capitain in der britischen Marine gehört, und seine Pantalons waren von blauem Tuch, mit einem rostigen goldenen Streif an jeder Seite. Sie waren außerdem an beiden Enden zu kurz und ließen unten den Knöchel, oben die schwarzbraune Haut zwischen Hosenband und Rock entblößt. Wenn ich noch hinzufüge, daß der Capitain kein Hemde trug, etwas dick war und daß es seinen Beinkleidern an Knöpfen fehlte, um fie vorn zusammenzuhalten, so wird die Phantasie des Lesers sein Bild leicht von selbst vervollständigen. Um seine Hüften war ein ungeheurer Kavalleriesäbel geschnallt, der um so furchtbarer aussah, da er an mehreren Stellen gebogen und äußerst rostig war. Der Capitain kam langsam und mit ernstem Anstand auf mich los, und ich ging ihm mit dem Königspapier" in der Hand entgegen. Als ich ihm nahe gekommen war, stellte er sich in Positur und drückte die Lippen mit einer Miene von ftrenger Würde zusammen. Kaum im Stande, mich des Lachens zu enthalten, nahm ich meinen Hut ab und begrüßte ihn mit einer tiefen Verbeugung und den Worten:,,Guten Morgen, Capitain!" Er zog nun seinerseits den Hut und versuchte, eine Verbeugung zu machen; aber die Anstrengung wurde dem einzigen, noch an Ort und Stelle befindlichen Knopfe seines Hosenbandes verderblich er riß, und die

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*) Das Volk der Moscos oder Muscos, von welchem die Moskito-Küßte den Namen hat und zu dem der sogenannte König Georg (der Sohn eines vor mehreren Jahren verstorbenen Königs Georg) gehört, hat mit den Negern keine Verwandtschaft und ist vielmehr kupfer- oder kastanienfarbig (musco und amusco heißt auf spanisch: kastanienfarbig). Der Bericht des Herrn Bard trägt augenscheinlich eine amerikanische, d. h. eine Aufschneider - Farbe. D. R.

Inexpressibles fielen ihrem Träger vor die Füße. Ohne sich aus der Fassung bringen zu lassen, zog der Capitain fie mit beiden Händen in die Höhe und hielt sie so fest, während ich das „redende Papier" vorlas." Der zweite Würdenträger des Moskito-Landes, mit dem wir unsere Leser bekannt machen wollen, ist der General Peter Slam. Der Verfaffer langte in der sandigen Bai (Sandy Bay) an, während die Einwohner damit beschäftigt waren, ein großes Feft zu begehen. Das Volk war von seinen Feierlichkeiten so in Anspruch genommen, daß wir uns unbemerkt dem Ufer näherten, wo ich mit meiner Doppelflinte einen Salutschuß abfeuerte. In einem Augenblick kam eine zahlreiche Gruppe von Leuten aus den Hütten hervor und eilte nach dem Ufer. Unterdeffen nahm ich mein „Königspapier“ aus der Tasche und sprang ans Land.

„Das Gefindel, welches sich jezt um mich drängte, würde Falstaff's zerlumptes Regiment beschämt haben. Der Hervorragendfte unter dieser Schaar trug ein nicht gar reinliches rothkarrirtes Hemde und die fadenscheinige Interims-Uniform eines britischen Generals, aber weder Schuhe, noch Beinkleider. Auch in Hinsicht der Kopfbedeckung war er mit dem ,,Capitain" nicht zu vergleichen. Statt des Dreimasters, mit welchem jener so würdevoll einherstolzirte, hatte er nur einen alten glockenförmigen Kaftorhut, der einft weiß gewesen, aber jezt von einer zweideutigen Farbe war und durch sein seltsam zerdrücktes und zerquetschtes Ansehen verrieth, daß ihn der Eigenthümer oft als Sig zu gebrauchen pflegte. Der Träger dieses imposanten Koftüms hatte das Stadium der vollständigen Besoffenheit erreicht, und sein Englisch, nie sehr korrekt, war in Folge deffen noch unverständ licher geworden. Er schwankte auf mich los, schlug sich mit der Hand vor die Bruft und machte Miene, mich zu umarmen, indem er hervorstammelte: Ich, General Slam - General Peter Slam!" Um der mir zugedachten Ehre auszuweichen, sprang ich auf die Seite, und der General, auf diese plögliche Bewegung nicht gefaßt, wäre ohne Zweifel in die Lagune hineingeplumpt, wenn ihn mein Diener Antonio nicht festgehalten hätte.

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"Ich zog jezt mit großer Feierlichkeit mein Königspapier" aus der Tasche und begann es dem General vorzulesen; aber er winkte mir, es wieder einzustecken, mit den Worten: Alles gut! sehr groß gut! Ich Peter Slam, General!" Unterdeffen fanden sich neue Zuschauer vom Dorfe ein, und man schickte nach Trommeln. Diese waren von englischer Arbeit und von enormer Größe. General Slam bestand darauf, mir vom Landungsplaß ab „nach der Weise englischer Gentle men" das Geleite zu geben, und indem er mich beim Arm faßte, ftellte er sich an die Spiße der Prozession, mit einer verzweifelten Anstrengung, sich gerade zu halten, aber troßdem von einer Seite zur anderen schwankend, wie es Betrunkene zu thun pflegen. Offenbar war der General die Hauptperson im Distrikt der sandigen Bai, und als wir uns der Mitte des Dorfes näherten, wo die Festlichkeiten von statten gingen, wurden wir „nach englischer Weise“ mit einem donnernden Hurrah bewillkommnet."

Frankreich.

Die menschliche Lebensdauer. : (Fortseßung.)

Die Alten glaubten, daß, die Kinderjahre abgerechnet, das Leben in gewiffen Perioden gefährdeter ift, als in anderen. Sie schrieben diese Erscheinung gewiffen Zahlenverhältniffen zu und nannten diese die kritischen oder klimakterischen. So hielten fie die Jahrzahlen, die durch fieben theilbar, oder ein Produkt find aus fieben mit einer ungeraden Zahl, für gefährlich. Es versteht sich, daß die Statistik dieses Theorem eben so wenig bestätigt gefunden, wie das eines neueren Physiologen, Burdach's, der die Behauptung aufgestellt, daß die Sterblichkeit in den ungeraden Zahlen größer sei, als in den geraden. Da die Lebensbedingungen auf den verschiedenen Punkten der Erdoberfläche wechseln: so läßt sich von vorn herein erwarten, daß die Sterblichkeitsgefeße sich nach den Ländern modifiziren. Und das hat fich auch wirklich bestätigt. Christoph Bernouilli hat von funfzehn Jah ren die durchschnittliche Lebensdauer mehrerer Völker verglichen und merkliche Unterschiede gefunden. Nach diesem Mathematiker ergiebt fich Folgendes:

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ist die Durchschnitts-Ziffer 38 Jahre — Mon.

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Schweden hält, nach Wargentin, die Mitte zwischen Schweiz und Belgien. Sind nun auch diese Verhältniffe nicht die Resultate gleich. zeitiger Epochen, so dürften die Modificationen, welche die Zeitverschiedenheit hineinbringen könnte, von keinem bedeutenden Belang sein. — Benoiston de Chateauneuf hat konstatirt, daß die Zahl der Dreißigjährigen, die sechzig alt werden, in England, Frankreich, Belgien, Dänemark und Island größer ist, als in Savoyen, Schweden und Preußen. Dehnt man die Vergleichung auf vorgerücktere Lebensalter aus, so bleibt das Ergebniß dasselbe. Nimmt man statt des dreißigsten Jahres die Geburtszeit zum Ausgangspunkt, so zeigt sich das Resultat zu Schwedens Gunsten, das dann die erste Stelle einnimmt.

Es fehlen uns genaue Nachrichten über die anderen Staaten Europa's und aus noch stärkeren Gründen über die Völker Asiens, Afrika's und der neuen Welt; es ist daher in Betreff des Einflusses, den das Klima auf die Lebensdauer übt, nichts Sicheres festzustellen. Die gemäßigte, selbst die kalte Zone scheint im Allgemeinen für eine längere Lebensdauer günstiger, als die heiße, besonders die äquatoriale. Wenigstens ist das die heutzutage verbreitetste Ansicht. Ariftoteles indeß war entgegengeseßter Meinung, und natürlich wiederholten Strabo und Plinius des Meisters Worte. Die Aegypter sollen nach der Behauptung der Alten sehr lange gelebt haben, und Prosper Alpini, ein Naturforscher des sechzehnten Jahrhunderts, bestätigt zum Theil diese Behauptung. Der gelehrte Entdecker der Ruinen Niniveh's, Botta, versichert, daß die Bewohner des sogenannten glücklichen Arabien ein hohes Alter erreichen. Allein diese Autoren alle geben keine Ziffern an, und wir wissen nicht, was sie unter langem Leben und vorgerücktem Alter verstehen. Keinesfalls genügen diese Thatsachen zur Feststellung einer allgemeinen Regel, daß die heißen Gegenden in Bezug auf Lebensdauer ein Uebergewicht gegen die kalten behaupten.

So viel ist gewiß, daß andere Ursachen, als blos klimatische, auf die Lebensdauer influiren, da benachbarte Völker eines und desselben Klimas merkliche Unterschiede in der Sterblichkeit darbieten. Diese hängt von dem Grade der gefunden Luft, der Anhäufung der Bewohner in den Städten, der Wohlhäbigkeit der Arbeiterklaffe, von der Beschäftigungsart, von den Lebensgewohnheiten, von dem Schul-Unterricht, von der sorgfältigen Pflege in der ersten Kindheit u. s. w. ab. Wahrscheinlich ist es dem Zusammenwirken aller dieser Elemente zu zuschreiben, daß die verschiedenen Provinzen desselben Landes Abweichungen in den Sterblichkeitstabellen zeigen. In Duetelet's Tabellen für Belgien und Demonferrand's für Frankreich haben wir die Belege zu dieser Behauptung.

Bisher haben wir die Bevölkerung in ihrer Gesammtheit, ohne Unterschied des Geschlechts, betrachtet. Nun aber weicht die Lebens. dauer der Frauen, und zwar zu ihrem Vortheil, von derjenigen der Männer ab. Buffon hat diese Ungleichheit wohl erkannt: er sah eine gegebene Zahl Frauen länger leben, als dieselbe Männerzahl. Zum ersten Mal scheint Kewsboom in Holland 1738 diesen Unterschied feftgestellt zu haben; in Frankreich fand ihn Deparcieux 1760; einige Jahre später Wargentin in Schweden, und alle nachfolgenden Statistiker in Genf, England, Belgien, Berlin und anderwärts stimmten darin überein. Nach B. de Chateauneuf erstreckt es sich auf alle Lebensalter. Auf hundert Geburten zählt er:

Im Alter von 10 Jahren 53 männliche 58 weibliche Individuen

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Aus den eben zusammengestellten Thatsachen ergiebt sich uns eine fehr nüzliche Lehre. Die Totalität dieser Zahlen ist der entsprechende Ausdruck für die Wirkung der störenden Ursachen, die unaufhörlich dahin ftreben, den Lauf des Lebens zu unterbrechen und es zu hindern, daß es das von der Natur gesteckte Ziel erreiche. Die Durchschnittszahl ist der genaue Maßstab für die Abweichung, der das' Geseß unferer Lebensdauer unterliegt. Und wie enorm ist diese Abweichung! So lehrt uns die Statistik den ganzen Umfang der Gefahren kennen, deren unsere Existenz in den verschiedenen Lebensaltern bloßgestellt ist. Aus den Sterblichkeitslisten, die uns zu dieser Erkenntniß verhelfen, können wir noch einen anderen Schluß machen. Sie zeigen uns die Lebensdauer derjenigen Personen, die bis an die Schwelle des Grei fenthums dem Tode entgangen find. Nach dem sechzigsten Jahre lebt man durchschnittlich noch funfzehn Jahre, und der fünfundsiebzigjähri gen Epoche entspricht eine bedeutende Sterblichkeit. Natürlich müßte das fünfundsiebzigste Jahr als das gewöhnliche Lebensziel gefeßt werden, ohne daß man mit Burdach dieses als das Lebensziel überhaupt annehmen dürfte; man würde dann das gewöhnliche Leben mit dem normalen verwechseln. Jenes zeigt die Dauer, wie sie ist; dieses, wie fie sein soll. Das Gemeine und Gewöhnliche ist deswegen nicht das Natürliche und Regelmäßige. Sehr oft tritt der Tod vor dem fünfundsiebzigsten Jahre ein, und man stirbt eben so wenig in dieser Epoche durch die bloße Wirkung des Alters. Es waltet hier ein deutlicher Unterschied, und es ist von Wichtigkeit, ihn uns zum Bewußtsein zu bringen.

Ueber die Resultate der Statistik ist es angemessen, die durch die Geschichte aufbewahrten Beispiele langer Lebensdauer zu stellen. Freilich muß man diese erzählten Beispiele aus dem Alterthum mit einiger Behutsamkeit aufnehmen. Behandelt ja selbst Plinius, dem man keine zu trenge Kritik vorwirft, die Angaben, daß mehrere arkadische Kö. nige über dreihundert Jahre gelebt haben sollen, als Fabel. Besonders rügt es der römische Naturforscher als Uebertreibung, daß Xenophon in seiner Seefahrtsbeschreibung (reqinλovç) einem tyrischen Könige das Alter von sechshundert und deffen Sohn gar das von achthundert Jahren giebt. Er bemerkt sehr richtig, daß diese Verstöße größtentheils von den verschiedenen Arten, die Zeit zu meffen, herrühren. So rechneten gewisse Völker den Sommer und den Winter, jedes für ein Jahr; bei den Arkadiern galt jede Jahreszeit für ein Jahr, andere beschränkten es auf einen Monden-Umlauf. Auf diese Weise ließen sich die maß losen Zahlen für die Lebensdauer der ersten Menschen erklären. So haben mehrere Bibel-Ausleger festgestellt, daß das Jahr vor Abraham nur drei, nach ihm acht und erst von Joseph's Zeit ab zwölf Monate hatte. Es würden sich dann die 930 Jahre Adam's auf 232, die 969 Methusalem's auf 242 und die 950 Noah's auf 237 Jahre reduziren. Was man auch gegen diese Auffassung einzuwerfen hätte, ist sie immer doch der Buffonschen Erklärung vorzuziehen, der annahm, der menschliche Körper sei vor der Fluth, wo die Erde noch nicht ihre normale Festigkeit erlangt hatte, langsam gewachsen und habe also länger leben

fönnen.

Dem sei, wie ihm wolle, nach Noah kömmt keine so abnormale Lebensdauer in der Bibel vor. Die bemerkenswertheßten find: Abraham starb 175, Isaak 150, Jakob 145, Jemael 137, Sarah 127, Moses 120, Joseph und Josua 110 Jahr alt. So nehmen diese Zahlen ab, je weiter wir in der Geschichte vorrücken, und nur ausnahmsweise mel det das erste Buch der Makkabäer, daß Antiochus Epiphanes im hunbertneunundvierzigsten Jahre seines Alters starb.

Mehrere ruhmvolle Männer des griechischen Alterthums erreichten ein hohes Alter. Epimenides von Kreta lebte 153, der Sophift Gorgias von Leontium 107, Demokritos 109, der Musiker Xenophilos 105,

*) Indessen ist vor kurzem in England eine Frau, Namens Mary Barton, hundertdreißig Jahr alt gestorben. D. R.

Isokrates und der Stoïker Zeno nahe an 100 Jahre. Zahlreiche Beis spiele ungewöhnlich hohen Alters unter den Römern führen Cicero und Plinius an. Auch an hundertjährigen Frauen fehlte es nicht. Eine Schauspielerin, Luccnía, betrat noch in ihrem hundertsten Jahre die Bühne, und eine andere, Galeria Copiola, in ihrem hundertundvierten, unter dem Konsulate des Poppejus und Sulpicius, 91 Jahre nach ihrem ersten Auftreten unter Marius und Carbo. Bei einer Volkszählung unter der Censur Vespasian's und seines Sohnes fanden sich zu Parma drei Bürger, die 120, und zwei, die 130 Jahr alt waren; bei Piacenza einer von 150, einer von 131, vier von 120, sechs von 110 Jahren. In der Zählungsliste der Gallia cispadana figurirten vierundfunfzig Personen von 100, vierzehn von 110, zwei von 125, vier von 130, vier von 135, drei von 140 Jahren.

Dem Mittelalter und der Renaissancezeit fehlt es auch nicht an Fällen abnormaler Lebensdauer. Franz Bacon und der Physiologe Haller haben zahlreiche Beispiele gesammelt. Haller zählt mehr als tausend hundert bis hundertzehnjährige, sechzig hundertzehn- bis hundertzwanzigjährige, neunundzwanzig hundertzwanzig- bis hundertdreißigjährige, funfzehn hundertdreißig- bis hundertvierzigjährige, sechs hundertvierzig- bis hundertfunfzigjährige. Ueber diese Gränze hinaus, bemerkt der berühmte Naturforscher, beginnt das Gebiet der Fabel. Bacon erzählt, in der Grafschaft Hereford tanzten bei den Blumenspielen acht Greise, die zusammen 800 Jahre zählten. — In der „Galerie der Hundertjährigen“, die freilich nicht frei von Ungenauigkeiten ist, beschreibt Charles Lejoncourt das Leben von 120 Personen, die über 120 Jahre gelebt haben. Unter zwölf, deren Lebensdauer ans Fabelhafte streift, starb der jüngste, Georg Wunder, im hundertsechzigften, die beiden ältesten, Peter Czantau und Bischof Kentigern, im hundertfünfundachtzigsten Jahre!

Kein Zweifel, daß bei den meisten dieser Makrobioten einige Uebertreibungen mit unterlaufen; indeß sprechen unverdächtige Zeugnisse dafür, daß es menschliche Existenzen gegeben habe, die ausnahmsweise zu einer Lebensdauer von anderthalb Jahrhunderten gelangt find. Thomas Parr, ein armer Bauer aus der Parochie Alderbury in der Grafschaft Salop, geboren 1483, kam 1635, 152 Jahre und einige Monate alt, nachdem er die Thronfolge von zehn Königen erlebt hatte, auf den Wunsch Karl's I., ihn zu sehen, an den Hof, aß mehr als gewöhnlich und starb an überfülltem Magen. Harvey, der berühmte Entdecker des Blutumlaufes, ließ die Leiche öffnen und fand die Eingeweide in vollkommen gesundem Zustande, die Brustknorpel nicht verknöchert. Er hätte, nach dem Urtheil des Arztes, ohne jene ftörende Incidenz noch mehrere Jahre leben können. (Schluß folgt.)

Die chemischen Erzeugnisse auf der Pariser Ausstellung. *)

Die zehnte Klaffe auf der Pariser Ausstellung umfaßt die chemischen Erzeugnisse, die eben so für die Wissenschaft, wie für die Induftrie von großer Wichtigkeit sind. Ein berühmter Gelehrter hat in Bezug auf eine frühere Ausstellung gesagt: „Man kann die Macht einer Nation nach der Menge von Eisen beurtheilen, welche von ihr verbraucht wird"; er hätte auch sagen können: „Man kann die Macht, den Reichthum, die Industrie, die Wissenschaft, die Civilisation eines Volkes nach der Menge und nach der Natur der chemischen Produkte, welche dasselbe hervorbringt, beurtheilen." Die Anzahl derer, welche chemische Produkte zur Ausstellung geliefert, beläuft sich auf zweitausend. Es sind in dieser Klaffe nicht blos diejenigen Staaten vertreten, welche, wie England, Defterreich, Preußen u. s. w., in Bezug auf die industrielle Anwendung der Chemie am meisten vorgeschritten sind, sondern auch solche, welche, wie Schweden, Portugal, der Kirchenftaat 2c., in dieser Beziehung bisher weniger geleistet haben.

Wir heben im Folgenden einige der ausgestellten chemischen Erzeugnisse hervor.

Wer möchte vermuthen, daß dieser Talg und dieses Fett mit dem widerwärtigen Aussehen und mit dem stinkenden Geruch das Material zu den weißen Kerzen hergeben, welche unsere Gesellschaftsfäle erleuchten? Die Wissenschaft und die Industrie bringen die merkwürdige Stoff-Umwandlung zu Stande. Ein großer französischer Chemiker hat durch eine höchft einfache Operation aus dem Talg und dem Fett zwei geruchlose, schneeweiße, fefte Säuren, aus denen die Stearinlichte bestehen, und eine flüssige Säure, welche für die Luch- und Seiffabri kanten sehr werthvoll ist, und eine ebenfalls flüssige zuckerhaltige Säure zu gewinnen gewußt. Die Industrie war aber außer Stande, da es zu große Kosten verursachte, eine vollständige Scheidung dieser Stoffe zu bewirken; die Kerzen liefen beim Brennen sehr häufig und hiel ten nicht lange genug vor. Ein junger Chemiker, der seine Laufbahn eben angetreten, hat jest in dem Ricinus-Del ein neues Alkohol und diejenige Säure entdeckt, welche den Kerzen alle die Eigenschaften giebt, die ihnen noch fehlten.

Nach einem Artikel des Moniteur.

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