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Die Schifffahrt auf den deutschen Strömen.

Wie sehr es auch zu beklagen ist, wenn in einem Volke oder gar in einem Zeitalter das Streben nach materiellen Vortheilen so weit die Oberhand gewinnt, daß dadurch die höheren Intereffen des menschlichen Lebens überwuchert und erstickt werden, so kann es doch keinen größeren Irrthum geben, als die Auffassung, welche im vermeintlichen Intereffe höherer Gesichtspunkte auf alle Bestrebungen nach materiellen Verbesserungen mit Argwohn oder mindestens mit vornehmer Geringschäzung herabsieht. Weit davon entfernt, schon an sich und ihrer Natur nach in einem diametralen Gegensah oder in einem feindseligen Verhältniß zur Förderung der geistigen und sittlichen Kultur und zu einer gesunden Entwickelung der politischen Zustände zu stehen, bereitet die Sorge für Hebung des materiellen Wohlstandes vielmehr für die gedeihliche Entwickelung dieser höheren Intereffen einen günstigen Boden. Wie das Individuum, welches der Noth des Lebens und der Sorge um das tägliche Brod entrückt ist, nicht blos in sittlicher Be ziehung vor vielen Anfechtungen bewahrt wird, mit denen die Sorge um den Erwerb des Nothwendigen den Armen und Leidenden heimsucht, sondern auch im Stande ist, für den besseren Theil seines Daseins Sorge zu tragen und seine Thätigkeit über den Kreis der persönlichen Interessen auf die Förderung des allgemeinen Besten auszudehnen, so sehen sich auch ganze Völker durch die Hebung ihres materiellen Wohlstandes in die Lage verseht, mit größerem Nachdruck und größerer Aussicht auf Erfolg nach den höheren Gütern des Lebens trachten zu können, mag auch immerhin in manchen Individuen das Streben nach materiellem Gewinn zu einer widerwärtigen Unersätt lichkeit sich steigern. Vor Allem ist es in politischer Beziehung von Bedeutung, daß materieller Wohlstand eine der sichersten Grundlagen eines selbständigen Wesens und eines unabhängigen Sinnes bildet, und daß das Gefühl der Unabhängigkeit, wo es in der Brust der Bürger Wurzeln geschlagen hat, die beste Bürgschaft für den Sieg politischer Freiheit und eventuell für die Behauptung derselben darbietet. Es ist auf den ersten Anblick eine entmuthigende Erscheinung, daß in Zeiten des politischen Verfalls und politischer Gewaltherrschaft, in denen der Patriot so gern die ganze Kraft und Thätigkeit des Volkes auf dem 'politischen Gebiet konzentrirt sehen möchte, die große Mehrzahl des Volkes sich mit beunruhigender Haft auf materielle Bestrebungen wirft, und es ist keine Frage, daß dadurch manche tüchtige Kraft leider für immer auf beklagenswerthe Abwege gelenkt wird; aber im Großen und Ganzen werden in solchen Perioden doch nur die Waffen vermehrt und geschärft, die nach kürzerer oder längerer Frist unwiderstehlich einen politischen Umschwung erzeugen.

Von allen materiellen Verbesserungen stehen diejenigen, die eine Erleichterung des Verkehrs bezwecken und Menschen und Völker einander näher rücken, in der unmittelbarsten Beziehung zur Förderung der Kultur. Es verdient deshalb vollen Dank, daß Hr. Prof. Wurm in Hamburg sich durch die Donauschifffahrts-Akte vom 7. Nov. 1857 veranlast gefühlt hat, in einer kleinen, nachdrucksvollen Schrift®) die allgemeine Aufmerksamkeit auf eine der wichtigsten materiellen Fragen, auf die Freiheit der Stromschifffahrt überhaupt und insbesondere auf die Befreiung der deutschen Ströme, zu lenken. Die betreffende Schrift liefert einen Wiederabdruck der von dem Verfasser in der ,,Hamburger Börsen-Halle“ publizirten Abhandlungen, mit einem Vorwort, welches einen eindringlichen Aufruf an die energische Thätigkeit jedes Einzelnen für praktischen Fortschritt enthält und in beherzigenswerthen Worten vor dem laissez-faire warnt, das sich in unbegründete Hoffnungen einwiegt, das Bessere wie ein durch eigene Arbeit absolut nicht zu erringendes Göttergeschenk geduldig von Oben erwartet und

*) Fünf Briefe über die Freiheit der Flußschifffahrt und über die DonauAlte vom 7. November 1857. Von E. F. Wurm. Leipzig, 1858. 8. Verlag von G. Mayer.

1858.

schon nach den ersten Symptomen eintretender Befferung befriedigt die Hände in den Schooß legt.

Indem der Verfasser auf möglichst umfassende Befreiung der Stromschifffahrt hinarbeitet, hält er den gegenwärtigen Moment, in welchem die von den Uferstaaten ratifizirte Donau-Akte der Pariser Konferenz vorgelegt werden soll, für geeignet, in dieser wichtigen Angelegenheit einen Schritt vorwärts zu thun. Zwar erkennt er an, daß nach dem Wortlaut des Pariser Friedens vom 30. März 1856 die Konferenz von dem Abschluß des erwähnten Schifffahrts-Vertrages nur einfach Akt zu nehmen, d. h. ihn protokollarisch zu registriren habe. Andererseits aber ist der mit der Abfassung der Donau-Akte beauftragten Kommission der Uferstaaten aufgegeben worden, in derselben die von der Wiener Kongreß-Akte aufgestellten Grundsäge über die Schifffahrt auf solchen Strömen, welche das Gebiet mehrerer Staaten durchschneiden, zur Anwendung zu bringen, und daraus folgt, daß jeder Staat, welcher den Pariser Frieden unterzeichnet hat, auch wenn er nicht zu den Donauftaaten gehört, das Recht besigt, gegen die DonauAkte Einspruch zu erheben, falls er dieselbe mit den Prinzipien der Wiener Kongreß-Akte nicht im Einklange findet; ja, dieses Recht steht nicht nur den Unterzeichnern des legten Pariser Friedens, sondern sämmtlichen Unterzeichnern der Wiener Kongreß-Akte zu. Im Falle einer solchen Reclamation würde sich die Pariser Konferenz der Aufgabe nicht entschlagen können, die Nebereinstimmung der Donau-Akte mit den im lezten Pariser Frieden als maßgebend für dieselbe hingestellten Prinzipien einer Prüfung zu unterziehen. Mit dieser Auffassung steht es auch im Einklang, daß bei den Wiener Kongreß-Verhandlungen die Regelung der Schifffahrt auf solchen Strömen, welche mehrere Staaten durchschneiden, stets als eine europäische Angelegen heit behandelt und daß die einzelnen von den Ulferstaaten ausgearbeite ten Verträge stets der Sanction des Ausschusses der acht Mächte unterzogen sind. Der Begründung dieser Thatsache widmet der Verfasser eine ausführliche Auseinandersehung und gewinnt daraus das Resultat, daß,,jede damals in Wien kontrahirende Macht befugt_ift, ihr aus den Wiener Artikeln hervorgehendes Recht in jeder dem Völkerrecht oder, falls es eine Bundesmacht wäre, dem Bundesrecht entsprechenden Weise zu verfolgen", und daß die Deutschen große Thoren sein würden, wenn sie aus Nachlässigkeit und Trägheit den Fremden in der Ausübung dieser Befugniß den Vortritt laffen wollten.

Desterreich hat, fährt der Verfasser fort, einen Vergleich der Donau-Akte mit den Bestimmungen des Wiener Kongresses nicht zu scheuen. Die Donau-Akte gewährt den Schiffen aller Nationen das Recht, vom Meere aus bis zu jedem an der Donau gelegenen Punkte zu fahren, an jeder Zwischenstation die aus dem Meere mitgebrachten Waaren und Personen ganz oder theilweise auszufchiffen und für das Meer bestimmte Waaren und Personen einzunehmen. Nur der Verkehr zwischen den einzelnen Plägen an der Donau felbft, sofern er nicht das Meer berührt, ift den Schiffen der Uferstaaten vorbehalten. Der Verfasser weist nach, daß diese Bestimmungen mit den Prinzipien der Kongreß-Akte, die nur ein Minimum von Rechten feft= stellen wollte und überdies in manchen wesentlichen Punkten von den ursprünglich liberaleren Intentionen der in Paris paziszirenden Mächte abwich, nicht in Widerspruch stehen, ja, daß fie der Schifffahrt ein größeres Maaß von Freiheit sichern, als es ihr auf anderen deutschen Strömen zusteht, auf denen bald die Schiffe der Nicht-Uferstaaten ganz ausgeschlossen sind, bald der Binnenverkehr zwischen verschiedenen Plägen eines und desselben Uferstaates eben nur den Unterthanen dieses einen Uferstaates oder der Verkehr zwischen den Plägen in zwei benachbarten Uferstaaten nur den Unterthanen diefer beiden Staaten, mit Ausschluß der Unterthanen aller anderen Uferstaaten, vorbehalten wird. Ebenso weist der Verfasser nach, daß die Grundfäge, nach denen die auf der Donau zu erhebenden Schiffsabgaben bemessen werden sollen, vergleichsweise liberaler find als auf allen anderen deutschen Strömen, und daß neben diesen Bestimmungen

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namentlich die auf der Elbe geltenden Normen im traurigsten Lichte erscheinen. Die Pariser Konferenz wird also an der Donau Akte vom Standpunkte der Wiener Kongreß-Akte aus schwerlich Ausstellungen zu machen haben. Aber sie könnte jest, nachdem sie den Prinzipien der legteren für die Donau Geltung verschafft hat, endlich einmal fragen, wie es denn mit der Anwendung dieser Prinzipien auf die anderen Ströme stehe, welche die Wiener Kongreß-Akte im Auge gehabt; sie könnte noch weiter gehen und unter Zuziehung von Abgeordneten der Mächte, welche die leßtere Akte unterzeichnet haben, auf der Pariser Konferenz aber nicht vertreten sind, eine Revision der in der Wiener Akte enthaltenen Bestimmungen über die Stromschifffahrt vornehmen und dieselben in einer den gegenwärtigen Bedürfnissen des Handelsverkehrs entsprechenden Weise erweitern. Manche Gründe, die im Jahre 1815 das Minimum der dem Schiffsverkehr zu gewähren den Rechte herabdrückten, find jeßt wenigstens zum Theil weggefallen, z. B. daß die vollkommene Freigebung der Binnenschifffahrt auf den mehrere Staaten durchschneidenden Strömen keine Reziprozität finden würde, und jenseits des Oceans find liberalere Grundsäge bereits faktisch zur Anwendung gekommen. Die Konferenz", sagt der Verfassers,,,würde gewiß nicht aus ihrem Pfade gehen, nicht etwas Unerhörtes unternehmen, wenn sie dieser Angelegenheit sich annehmen wollte. Den Bemühungen um einen wesentlichen Fortschritt des Völkerrechts in Bezug auf den Seekrieg würden solche Erleichterungen des Verkehrs sich würdig anreihen. Wenn die Händel in der Türkei, wenn die Gränzberichtigungen, wenn selbst die Missethaten der belgischen Preffe längst vergeffen, wenn die Leidenschaften und die Besorgnisse der Gewaltigen in Zukunftsstürmen verweht find, wird dasjenige nachwirken und anerkannt bleiben, was im Interesse des friedlichen Völkerverkehrs, im Sinne der fortschreitenden Gesittung gedacht, gefördert und durchgeführt worden. Wohin wir uns wenden, weit über den Bereich der Wiener Beschlüsse hinaus, geht durch die Welt der Ruf nach Befreiung der großen Wasserstraßen, einer Befreiung, die nicht als eine Gunst, sondern als eine Schuldigkeit der Regierungen betrachtet wird". Und am Schluffe: Die Pariser Konferenz wird in ihrer Stellung den Beruf, im Bedürfniß der Völker den Sporn finden, in diesem Sinne vorwärts zu gehen, die Befestigung, wo es nöthig ist, die Erweiterung und überall die Vollziehung der Wiener Grundsäge herbeizuführen. Derselbe Sporn wird nicht fehlen bei der Kommission für die Elbschifffahrt, die im Laufe des Sommers in unserer freien Stadt zusammentreten soll.") Laffen Sie mich zum Schluß auf ein Mittel aufmerksam machen, das für ein gedeihliches Ergebnis kaum hoch genug angeschlagen werden kann. Ich meine den,jezt nicht mehr ungewöhnlichen" Entschluß der unverweilten Veröffentlichung der Protokolle. Die Nation hat ein Recht darauf, zu wissen, wenn es nicht vorwärts geht, an wem die Schuld liegt. Und jede Regierung hat ein Recht darauf, aller Welt zu beweisen, daß an ihr die Schuld nicht gelegen hat."

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Es ist der Schrift Wurm's zum Vorwurf gemacht worden, daß fie die Thätigkeit der Konferenz, die sich unter Mißachtung der Souverainetät der Einzelstaaten bereits mit ganz ungehörigen Dingen befaßt hat und vom Kaiser Napoleon dazu zu benußen versucht wird, ihm eine schiedsrichterliche Rolle in europäischen Angelegenheiten zu fichern, noch zu erweitern und dadurch die durch das Kongreßwesen schon hinlänglich bedrohte Selbständigkeit der Einzelstaaten noch mehr zu beeinträchtigen sucht. Aber, abgesehen von der Thatsache, daß die Regelung der Stromschifffahrt allgemeinerer Natur und auf dem Wiener-Kongreffe stets vom europäischen Standpunkte behandelt worden ist, scheint uns dieser Einwand auch durch die inzwischen erfolgten Ereignisse beseitigt zu sein. Wie unruhig und bedrohlich die französische Politik sich auch geberden mag: fie hat in der legten Zeit eine so beträchtliche Reihe entschiedener Niederlagen erlitten, daß zur Zeit an eine schiedsrichterliche Stellung Frank reichs in europäischen Angelegenheiten nicht füglich mehr gedacht werden kann. Wir können daher die Forderung des Verfassers auch nicht für unpolitisch halten, glauben vielmehr, daß er zur Zeit für eine gute Sache aufgetreten ist. In jedem Falle werden die detaillirten Angaben über die gegenwärtigen Zustände der Stromschifffahrt dem Leser zeigen, woran es uns fehlt, und das Interesse für die von dem Verfaffer verfochtene Sache des freien Verkehrs verftärken.

Die Artikel der Wiener Kongreß-Akte über die Flußschifffahrt, eine Uebersicht der Verträge über die Schifffahrt auf den Flüffen, die mehreren Staaten gemeinsam sind, die Bestimmungen des legten Pariser Friedens über die Donauschifffahrt, ein vollständiger Abdruck der neuen Donauschifffahrts-Akte und endlich einige Notizen über

*) Hoffentlich wird bei dieser Gelegenheit auch von deutschen Regie: rungen die bisher nur von parlamentarischen Stimmen des Auslandes ans gegriffene Berechtigung des Stader Zolles", über welchen die Wurmsche Schrift sehr belehrende Mittheilungen enthält, zum Gegenstande kontradiktori

die Neutralität der Flußschifffahrt sind dem Schriftchen als Beilagen beigegeben.

England. Ein Beitrag

zur Erziehungs-Geschichte der Jugend in England.
Von einem Deutschen in England.
(Fortsehung.)

Ich glaubte mich zunächst mit Theilnahme nach dem Scharlach fieberfall in meines Pastors Familie erkundigen zu müssen. Er schien mich gar nicht zu verstehen, und erst als ich ihn daran erinnerte, daß ja dieser Umstand meinen Aufenthalt in London um vierzehn Tage verlängert habe, meinte er lächelnd, daß der Fall so viel nicht zu bedeuten habe, während um Mrs. David's und um Miß David's Lippen ein Lächeln spielte, welches mir fast wie eine Art Mitleiden ob meiner Naivetät auszudrücken schien. Ich Greenhorn wußte noch nicht einmal, daß Scharlachfieber, Masern u. dergl. ansteckende Krankheiten immer um die Zeit der baldigen Beendigung der Vierteljahrs-Ferien grassiren und einen Aufschub in der Ankunft der jungen Gentlemen erforderlich machen, der für das Budget des Herrn Pastors allerdings gerade keine Belastung ist.

Die jungen Gentlemen

zehn an der Zahl langten endlich einer nach dem anderen an. Es waren zwei Brüderpaare darunter, und diese bezahlteu ausnahmsweise nur 100 Pfund Sterling, da der regelmäßige Preis für einen einzelnen Knaben 60 Pfund Sterling jährlich betrug. Es waren zumeist Söhne von Farmern aus der Umgegend, von denen einige nur mühsam diese beträchtliche Summe erschwingen konnten, für welche sie aber auch die Beruhigung genossen, ihren Kindern wenigstens eine ausgezeichnete Erziehung verschafft zu haben, die ihnen das spätere Fortkommen in dieser harten Welt nicht wenig erleichtern werde. - Zum Abendessen waren die jungen Herren alle versammelt; die meisten zwischen zwölf und dreizehn, einige vierzehn und funfzehn, einer sogar siebzehn Jahre alt, und nach Beendigung desselben knieeten wir Alle, - Mrs. und Miß David, Miß Calf und ein halbes Dußend weiblicher und männlicher Dienstboten, worunter auch mein Ponytreiber, der etwas roth im Gesicht aussah, mit eingeschlossen - andächtig, so glaubte ich wenigstens, im Schulzimmer nieder und beteten dem frommen Geistlichen nach, daß wir allzumal elende Sünder feien, daß wir wiederum Dinge gethan hätten, die wir nicht hätten thun sollen, und Dinge nicht gethan hätten, die wir hätten thun sollen, und daß keine Gesundheit in uns sei - Amen! Die Jungens gingen hierauf zu Bette, und ich war nicht wenig überrascht, als ich ihnen eine Viertelstunde darauf das Nachtlicht_wegnahm, fie vor ihren Lagerstätten abermals auf den Knieen zu finden, da wenigstens mir das offizielle Gebet unseres Pastors im Grunde erschöpfend genug erschienen war.

Die Töne einer großen Glocke weckten mich am anderen Morgen gegen 7 Uhr, und da der Tag kalt und meine Kammer wenig Einladendes zu Morgen-Betrachtungen darbot, so beeilte ich mich, dergleichen im Schulzimmer anzustellen, wo ich doch ein gemüthliches Kaminfeuer anzutreffen hoffen konnte. Ich täuschte mich indeß hierin, und war genöthigt, mein Blut mittelst ein paar rascher Gänge durch den Garten in etwas erhöhte Circulation zu verseßen. Das Feuer wurde erst kurz vor 8 Uhr in Brand gesteckt, als die Glocke uns zum Morgengebet zusammenläutete. Nach und nach fand sich das gestrige Auditorium wieder zusammen. Das Peloton der jungen Gentlemen versammelte sich zuerst am Feuer obgleich nicht ganz vollzählig, wie ich zu meiner Verwunderung gewahrte. Dann die Glieder David's, Miß Calf und endlich Mr. David selbst. Beim Eintritte jedes einzelnen Familiengliedes begann sogleich die Operation des gegenseitigen Händeschüttelns, die namentlich Miß David mit erstaunlicher Tapferkeit an jedem einzelnen der versammelten jungen Gentlemen vollzog, auch Miß Calf erschien mir xecht rüstig dabei, nur war sie stumm wie eine Bildsäule, was von den anderen beiden Damen nicht behauptet werden konnte, die gewissenhaft den Namen jedes einzelnen Gentleman dem vorausgeschickten good morning beifügten. Mrs David pflegte sogar noch eine kurze Conversation damit zu verknüpfen.

,,Good morning, Mr. Hardwick, hope you are well, Sir?" Mr. Hardwick junior hatte am gestrigen Tage sein zwölftes Lebensjahr angetreten und behauptete, daß er ganz wohl sei.'

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Good morning, Mr. Fisher, rather chilly this morning, Sir!" Mr. Fisher, dessen Gesicht ganz blau aussah und deffen Hand, wie ich mich soeben überzeugt hatte, so kalt wie die Nase eines gesunden Jagdhundes war, gestand zu, daß es ziemlich frostig sei.

,,Good morning, Mr. Martin, how are you this morning, Sir?" Mr. Martin war zwei Köpfe größer als Mr. Fisher und hatte schon einen recht netten Anflug von Bart unter der Nase.

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ver Pastor gab das Zeichen zum Niedersehen und las das Kapitel aus dem alten Testamente vor, woselbst berichtet wird, wie den bei den Engeln, die Lot's Haus in Sodom besuchen, ein so seltsamer Empfang von dem männlichen Theile der Einwohnerschaft der Stadt zu Theil ward. Dann durften wir wiederum sämmtlich niederknieen, und ich vernahm mit einiger Verwunderung, daß wir seit dem gefirigen Abend schon wieder eine Menge Dinge gethan hätten, die wir nicht hätten thun sollen, was mir um deswillen einigermaßen befremdend erschien, da ich wenigstens was meine Wenigkeit anlangte ganz bestimmt wußte, in der Zwischenzeit nichts weiter gethan, als im Bette gelegen und geschlafen zu haben. Nach diesem Gebete kamen noch drei oder vier andere, in denen allen ich meine Unwürdigkeit einzugestehen und um ein zerknirschtes und gebrochenes Herz zu bitten veranlaßt ward, welches leßtere mir beinahe überflüssig erschien, da Umstände verschiedener Art - die indeß nicht hierher gehören mich mit einem solchen leider schon fast zur Genüge gesegnet hatten und ich hierin vielmehr eine Veranlassung zu finden versucht ward, den Lenker aller Dinge just um das völlige Gegentheil, nämlich um ein muthvolles und unerschrockenes Herz, anzusprechen. Ich behielt diese Meinung indessen natürlich für mich, da ich doch den frommen Mann nicht unterbrechen konnte, dessen gen Himmel gerichteter Blick und salbungs. volle Stimme ein wahres Bild leibhaftiger Reue und Zerknirschung darbot. Den Schluß unseres geistigen Frühstückes machte das Vater unser, und hierauf ward - zu meiner Erbauung muß ich gestehen zum leiblichen Frühstück geschritten, nachdem sich der Chor männlicher und weiblicher Dienstboten vorher im Prozessionsschritt, den Stuhl vor sich haltend, entfernt hatte.

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Eiern und ähnlichen Delikatessen beladen. Der Geist nahm indessen seinen Weg nicht nach dem Schulzimmer, sondern verschwand vielmehr in Mr. David's Studirzimmer.,,Ay, ay, old boy!" dachte ich, und es fielen mir unwillkürlich Heine's Worte ein:

,,Ich kenne die Weise, ich kenne den Tert,
„Ich kenne auch die Herren Verfasser;
„Ich weiß, fie trinken heimlich Wein
,,Und predigen öffentlich Wasser!"

Die metallne Zunge der oft erwähnten großen Glocke machte meinen gymnastischen Uebungen im paftorlichen Garten ein Ende und rief mich zurück in das Schulzimmer. Es war 9 Uhr. Die Unterrichtsstunden sollten beginnen. Ich griff bereits nach Delille's französischer Grammaire, als mir der Geistliche mit einem zwar sanften, aber vorwurfsvollen Blicke die Bibel überreichte. „Prayers, Sir, if you please!" sagte er, meine profane Ansicht von einem sofortigen, anstandslosen Beginnen des Unterrichtes in irdischen Dingen berichtigend. Die Psalmen wurden aufgeschlagen. Zehn Jungen, zehn Psalmen. Die Rechnung war einfach. Ein Jeder las einen davon ab, und als der Leßte geendet hatte, waren so ziemlich Stunden über dieser wissenschaftlichen Bestrebung verflossen. Wir waren aber noch nicht fertig. Der Pastor fiel auf die Kniee, wir Anderen durften daffelbe thun, und er betete für uns Alle inbrünstig um die Früchte wahrer Weisheit, die wir aber nie dazu anwenden möchten, uns auf die eigene Kraft zu verlassen; er betete ferner, daß der liebe Gott uns nicht etwa schlaff und träge, sondern thätig und aufmerksam möchte sein laffen, welche lettere Bitte offenbar eine sehr vernünftige war, von der nur zu wünschen gewesen wäre, daß sie auch etwas geholfen hätte. Das Gebet war überdies von ziemlicher Länge, und es schlug 10 Uhr, als wir uns wiederum auf die Beine stellten. Jezt endlich schien das Tagewerk im Ernste beginnen zu sollen.

Das lehtere bestand aus einem Getränk, welches faft wie Kaffee aussah und von Mrs. David aus einem sehr großen Kessel in sehr kleine Tassen gefüllt wurde, welche, von Hand zu Hand gehend, die Reihe um den Tisch machten, bis wir endlich Alle - die dem Kessel zunächst Sißenden zuleßt ein derartiges Geschirr vor uns hatten. Diese Präliminarien waren kaum beendet, als die Thür aufging und der Rest des Pelotons der jungen Gentlemen - drei an der Zahl zum Vorschein kam. Die Operation des Händeschüttelns begann von neuem, mit der Modification jedoch, daß Mr. David nach gebotenem Guten Morgen bei jedem Einzelnen der jungen Herren mit milder Stimme hinzufügte: „,You are fined, Sir!" Ich erfuhr auf Befragen, daß dies soviel heißen solle, daß jeder Spätling zur Strafe für seine Verspätung beim ersten Male in jeder Woche einen Penny, beim zweiten Male zwei Penny u. s. w. an den Herrn Pastor zu bezahlen habe. Mr. David realisirte, wie ich sehr bald fah, allwöchentlich ein recht nettes Sümmchen auf diese Weise, da mehrere der Jungen von ihren Aeltern soviel Taschengeld erhielten, daß sie sich aus den paar Penny nicht gerade viel zu machen brauchten und es besser fanden, ein halbes Stündchen länger im warmen Bette liegen zu bleiben. Das Zeugniß muß ich ihnen überdies geben, daß sie zum leiblichen Frühstück regelmäßig noch zeitig genug erschienen. Außer dem Getränke, das fast wie Kaffee aussah, war die lange Schultafel noch mit drei Tellern belastet, auf welchen sich mit Butter bestrichene Brodschnitten befanden. Den jungen Gentlemen schien es - Gott weiß, aus welchem Grunde, besonderes Vergnügen zu besonderes Vergnügen zu gewähren, diese Teller so rasch als möglich zu leeren, worauf sodann Mr. David einem herbeigerufenen dienstbaren Geißte deren abermalige Befrachtung auftrug, welchen Auftrag er mitunter noch ein oder zweimal zu wiederholen hatte, so der innerlichen, emsig unterdrückten Heiterkeit der jungen Herren immer neuen Stoff zuführend. Das verabreichte Getränk hatte eine sehr bedeutende Temperaturhöhe und konnte demzufolge auch nur langsam genoffen werden, da der gute Ton natürlich nicht gestattete, daffelbe behufs der Abkühlung in die Untertaffe zu gießen. Es dauerte deshalb ziemlich lange, bis die Taffen geleert waren. Als dieser Fall endlich bei Allen eingetreten war, fragte Mrs. David der Reihe nach jeden einzelnen Gentleman, ob er noch etwas Kaffee wünsche? Mir fiel bei dieser Frage ordentlich ein Stein vom Herzen, denn nichts hafse ich mehr, als Zweifel oder Unwissenheit über das, was ich eigentlich genieße. Ich konnte jest völlige Beruhigung faffen. Kaffee war von jeher meine Lieblings Erfrischung, ich bin ganz Sachse geblieben in diesem Punkt. Die jungen Gentlemen mußten auf die ihnen also und in aller Form vorgelegte Frage ein Jeder antworten:,,if you please, mam", was fie auch Alle thaten, ohne Ausnahme, am ersten Tage wie am leßten, und ich hatte zwei Monate lang das Vergnügen, diesem Examen beizawohnen. Nach Vertilgung der mit Hülfe dieser geringen Formalität erlangten zweiten Tasse wurde die Tafel aufgehoben, und mein Peloton marschirte am Kamin auf, mir, seinem legitimen Kommandanten, jede Möglichkeit benehmend, etwas von der wohlthuenden Wärme der Inisternden Flamme zu erhaschen. Ich nahm also wiederum zu einem Spazierlauf durch den Garten meine Zuflucht. Beim Hinausgehen gewahrte ich den dienstbaren Geist von heute Morgen wieder, aber diesmal nicht mit mageren Brodschnitten, sondern mit einem recht ftoffhaltigen, soliden Frühstück von duftendem Roastbeef, gefottenen

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Please, take those boys in French", sagte der geistliche Herr und wies mir vier Stück Jungens zu, die ich in der einen Ecke der Stube in Frankreichs Jdiom einweihen sollte, während er sich mit dem Reste der Gemeinde auf der anderen etablirte. Die Lehrmethode meines geistlichen Würdeträgers seßte mich dabei in nicht geringes Erstaunen. Ich hatte schon als Junge immer nicht begreifen können, wie es Cäsar möglich gewesen sei, drei Briefe ganz verschiedenen Inhalts an eben soviel Nachschreibende zu diktiren, und jeßt mußte ich in meinem vierunddreißigsten Jahre erleben, daß ein englischer DorfGeistlicher den Cäsar schlug. Er unterrichtete gleichzeitig, d. h. auf einmal und in einem Athem, in drei Gegenständen, von denen sich allenfalls behaupten ließe, daß sie nicht mehr mit einander gemein haben könnten, als die Themata zu Cäsar's Briefen: Mathematik, Lateinisch, Griechisch. Er ging dabei mit einer Dekonomie zu Werke, um die ihn ein Stratege hätte beneiden können. Aus den ihm verbliebenen sechs Jungen bildete er nämlich drei Klassen, von denen eine jede zwei Stück Zuhörer enthielt. Anfänglich glaubte ich irrthümlicher Weise, daß diese Classification aus meines Pastors Vorliebe zur Symmetrie und Gleichförmigkeit hervorginge, da ich wenigstens einen pädagogischen Grund zu derselben nicht aufzufinden vermochte, indem die Jungens wie ich bald genug gewahrte · auf einem und demselben Höhepunkte der Entwickelung standen, nämlich Einer so dumm war wie der Andere. Dann legte er einer jeden Klasse ein Lehrbuch des entsprechenden Unterrichts-Faches, den Mathematik-Schülern auch noch extra eine Schiefertafel vor, und hierauf ermahnte er die Herren, ja nicht etwa ihre kostbare Zeit zu verschwenden, sondern mit Fleiß und Ausdauer an das Tagewerk zu gehen. Er selbst ging ihnen mit gutem Beispiel voran und begann wacker an einer Predigt drauf loszuschreiben, mit der er uns wahrscheinlich am kommenden Sonntag von der Kanzel herab zu beglücken gedachte. Auch ein sonderbarer Mathematik-Unterricht!" dachte ich bei mir, als ich die Jungen eine Weile beobachtete, die dergestalt zu zwei und zwei die erflehten Früchte wahrer Weisheit zu ärndten sich bemühten. Der eigentliche Eintheilungsgrund zu den Klaffen wurde mir überdies jezt auch klar. Der Herr Pastor hatte nicht Leitfaden genug, sonst hätte er gewiß sechs Klassen gemacht und in sechs Fächern unterrichtet. Die Jungen stierten nun wohl über dem Tische paarweise in die ihnen vorgelegten Elementarbücher, wackelten auch hier und da mit den Lippen, wenn sie des Pastors Auge auf sich gerichtet vermutheten fanden dabei aber noch Zeit genug, unter dem Tische allerhand Kurzweil vorzunehmen.

genau

Das hieß denn doch die Sache fast etwas zu leicht nehmen, dachte ich in meiner Unschuld und beschloß, wenigstens meinerseits womöglich etwas mehr Eifer und Lebendigkeit in den jungen Genklemen zu entwickeln. Ich hatte indessen bald Ursache, diesen ehrlich gemeinten Vorsaß zu bereuen. Den jungen Leuten war eigenes Nachdenken und geistige Anspannung etwas so Fremdartiges, daß sie die an sie gestellte Zumuthung, auf eine Frage antworten zu sollen, die nicht wörtlich in derselben Fassung in ihren Büchern stand, anfänglich gar nicht begriffen, dann aber mit ungeheucheiter Indignation von sich wiesen, sich dabei wenig um die meinerseits hin und wieder

angewandten aufmunternden Epitheta kehrend. Ich sah bald ein, daß hier nichts zu thun und es das Beste sei, zu lehren, was im Buche stehe und begann also die verschiedenen Variationen auf die franzöfte schen bestimmten und unbestimmten Artikel, ihrer grammatikalen Reihen folge nach, abzuhören. Da der Herr Paftor bald ebenfalls zur mündlichen Ueberhörung der von seinen drei Schülerklaffen unterdessen eingelernten Lectionen schritt, so bekam das vorher so schläfrige Schulzimmer jeßt ein etwas lebhafteres Ansehen, und während aus der einen Ecke desselben,,le, la, les; du, de la, des!" ertönte, refpondirte es auf der anderen,,hic, haec, hoc" etc., welches Konzert, vom richtigen akustischen Standpunkt aus des Effekts sicherlich nicht erdes Effekts sicherlich nicht ermangelte, in so unmittelbarer Nähe indeß natürlich einige Störungen zwischen den daffelbe ausübenden Parteien unvermeidlich herbeiführte. (Fortsehung folgt. )

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Belgien.

Schriftsteller vlaemischer Zunge.

Es hat sich in mehreren deutschen Blättern die irrige Angabe verbreitet, die vlaemische Druckpresse in Belgien zähle nur 38 Organe, worunter drei Tagesblätter und ungefähr ein Dugend Wochenschriften.

Ein Blick in Dr. Snellaert's,, Vlaemsche Bibliographie", oder ,,Liste der von 1830 bis 1855 in Belgien erschienenen Bücher in niederdeutscher Sprache", welche im vorigen Herbst von Willems'Fonds in Gent herausgegeben wurde, genügt, um den Irrthum diefer Mittheilung zu widerlegen und zugleich zu zeigen, welchen Aufschwung die vlaemische Literatur genommen hat. Dieses Buch enthält nämlich nicht weniger als 3068 Nummern von Schriften aller Art, ungerechnet die periodisch erscheinenden Zeitungen, Zeitschriften und Kalender, deren Zahl sich auf 210 beläuft.

Wenn man bedenkt, daß von den 4,607,065 Menschen, welche der gelehrte Bibliothekar des Königs, Dr. A. Scheler, in seinem vortreff lichen Annuaire statistique et historique belge" (Bruxelles, 1857) als Bevölkerungszahl Belgiens angiebt, über anderthalb Millionen wallonischer Abstammung sind und gerade in den ursprünglich vlaemischen Provinzen der Volksunterricht am schwächsten ist, so kann die Zahl der vlgemischen Bücher allerdings Verwunderung erregen. In dessen noch auffallender im Vergleich zur Journalistik Deutschlands ist das Verhältniß der vlaemischen Zeitschriften zur Bevölkerung der Städte, in denen sie erscheinen.

So z. B. kommen in Aelst (Aloft), einer Stadt von 16,000 Einwohnern, nicht weniger als vier Wochenblätter heraus. In Antwerpen erscheinen drei vlaemische Zeitungen täglich und eine bellettristische Zeitschrift wöchentlich. Audenaerde (Oudenarde) besigt bei 6000 Einwohnern drei Wochenblätter, Dendermonde (Termonde) bei 8000 Einwohnern zwei und Eecloo bei gleich starker Bevölkerung nur eines, Dirmunde aber bei nur 4000 drei und Geeraerdsbergen (Grammont) bei 7700 zwei. In Brügge (Bruges) erscheinen drei Zeitungen wöchentlich drei Mal, in Diest zwei wöchentlich zwei Mal, in Lier (Pierre) bei 14,000 Einwohnern drei, von denen eine ein Mal und die beiden anderen zwei Mal wöchentlich herauskommen. Ghecl (10,000 E.) hat ein Wochenblatt, Hasselt (9700 E.) eine Zeitung, die wöchentlich zwei Mal erscheint, Tongeren (Tongres) bei 6500 Einwohnern zwei Zeitungen, von denen eine ein Mal, die andere zwei Mal wöchentlich erscheint; ebenso Kortryk (Courtrai) und Thielt (11,000 E.). Jn Brüffel findet man nur eine vlaemische Zeitung, die drei Mal wöchentlich herauskommt, ein Wochenblatt und eine jeden Monat erscheinende Modezeitung; in Gent dagegen zehn Zeitungen, von denen vier täglich, zwei wöchentlich drei Mal und vier wöchentlich ein Mal erscheinen. Turnhout hat bei 14,400 Einwohnern drei Wochenblätter, Sint-Nicolaes, wie Thourout (8300 E.), Veurne (Furnes, 5000 E) und Thienen (Tirlemont) zwei. In Leuven (Louvain) erscheinen ein Tagesblatt und zwei Wochenblätter, in Mechelen (Malincs) bei gleicher Bevölkerung nur ein Wochenblatt. Oostende (Ostende), Lokeren (16,000 E.), Rousselaere (Roulers, 10,700 E.) und Sint-Truyen (St. Trond, 10,000 E.) besigen jedes blos ein Wochenblatt; ebenso Nieupoort (3400 E.), Vilvoorde und Waeregem (6700 E.).

Vierzig Zeitungen find während der 25 Jahre wieder eingegangen. Von den circa 550 Originalschriftstellern, welche die Bibliographie anführt, haben sich gegen 200 der schönen Literatur zugewendet. Doch außer Conscience, A. De Laet und A. Snieders find nur die Wenig sten in Deutschland bekannt. G. Höfken in seinem „Vlaemisch-Belgien und L. von Plönnies in ihrer Reise durch Belgien" haben zwar die vlaemische Literatur nicht unerwähnt gelaffen, auch Hoffmann von Fallersleben, der gründlichste Kenner der altniederdeutschen Sprache und Literatur, hat in feiner Schrift über die vlaemische Bewegung die bedeutendsten Schriftsteller der Jeztzeit genannt, aber ausführliche biographische und bibliographische Nachrichten über dieselben nebst Proben aus ihren Werken wird man erst in dem Buche finden, welches

Jda von Düringsfeld gegenwärtig über die neueste vlaemische schöne Literatur bearbeitet.

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Ein ähnliches Werk in französischer Sprache, welches jedoch die. gesammte niederdeutsche Literatur von den ältesten Zeiten bis jezt umfassen soll, wird von Ch. Stallaert und A. Willems vorbereitet. Der Lestere, obgleich noch sehr jung, hat sich bereits durch einige literarhistorische Studien über den Dichter Hooft und das alte Gedicht:,,Van den Vos Reinaerde”, „Reinecke der Fuchs", ausgezeichnet und scheint ganz dem Vorbild seines berühmten Verwandten gleichen Namens folgen zu wollen. Seine kleine Abhandlung: Wat men in Frankrijk zoo al over onze letterkunde denkt" (Was man in Frankreich über unsere Literatur denkt), ist ein würdiges Gegenstück zu dem vortrefflichen Auffah van Bemmel's: „La Géographie pittoresque de la Belgique, selon les écrivains français". Stallaert, der in diesen Blättern schon genannte Verfaffer einer von der Akademie gekrönten Preisschrift: De l'instruction publique au moyenâge", hat unter dem Titel:,,De la littérature néerlandaise au 19me siècle", zuerst den Redner Jean-Henri van der Palm behandelt und von den Dichtern des sechzehnten Jahrhunderts bereits ,, Jonker Jan van der Noot” herausgegeben, dem binnen kurzem Jan-Baptista Houwaert folgen sollte. Aber das große historische Werk:,, Geschiedenis van hertog Jan den Eersten van Braband en zijn tijdvak" (Geschichte Herzog Johann des Ersten von Brabant und seiner Zeit), welches nächstens erscheinen wird, hat den Verfasfer so in Anspruch genommen, daß er für den Augenblick seine literarhistorischen Arbeiten hat unterbrechen müssen. Frhr. v. Reinsberg-Düring sfeld.

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Mannigfaltiges.

Das Museum von Antwerpen. Unter dem Titel: Catalogue du Musée d'Anvers",") hat die königlich belgische Akademie der schönen Künste von einem Verein mehrerer Gelehrten ein Werk bearbeiten und veröffentlichen lassen, welches Allen, die sich mit Kunstgeschichte beschäftigen, nicht genug empfohlen werden kann. enthält nämlich nicht, wie die gewöhnlichen Kataloge von GemäldeGalerieen, blos die Beschreibungen der Bilder, welche sich in dem berühmten Antwerpner Museum befinden, nebst der Angabe ihrer bekannten oder unbekannten Meister, sondern auch zugleich authentische, auf den gründlichsten Forschungen beruhende Nachrichten über das Leben der betreffenden Künstler. Besonders die Lebensbeschreibungen der vlaemischen Maler finden wir darin zum erstenmåle von allen den Fabeln und zum Theil verleumderischen Erzählungen gereinigt, mit denen Arnold Houbraken °*) und namentlich J. C. Wegerman °**) in ihren Werken sie durchwebt haben, und welche mehr oder weniger in alle späteren Werke über das Leben der niederländischen Künstler übergegangen sind. Selbst viele Daten des sonst gewissenhaften De Bier) haben sich als widersprechend mit den in den Archiven der Stadt und der Kirchen gefundenen Angaben herausgestellt. Hatte schon die erste Auflage des Katalogs des Antwerpener Museums, welche 1849 erschien und von A. De Laet bearbeitet worden war, eine Masse solcher Irrthümer widerlegt, so ist dies noch um so mehr mit der zweiten Auflage der Fall, bei welcher die durch ihre fünftlerischen und biographischen Arbeiten rühmlichst bekannten Theod. van Lerius, Pierre Génard, Léon de Burbure, P. Vischers und Moons-Van der Straelen das Gesammtresultat ihrer Forschungen mit den von A. De Laet bereits gegebenen vereinigt haben. Eine beachtenswerthe Zugabe für alle Gemäldeliehhaber find die Autographen and Monogramme, welche von mehr als funfzig Künstlern mitgetheilt find. Frhr. v. R.-D.

Die dreiundfunfzig kleinen Planeten. In der Liste der Asteroiden, welche wir in Nr. 65 des „Magazin“ nach FiguierB Handbuch mitgetheilt, haben einige Namen, sowie die neuerdings (1858) entdeckten Nr. 51-53, gefehlt. Wir verdanken der gefälligen Mittheilung eines gelehrten Lesers die folgende Ergänzung jener Liste:

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#83chentlich erscheinen 3 Nummern. Dreis jährlich 3 Thiz. 10 gr., halbjährlich 1 Thlr. 20 Ogr. und vierteljährlich 26 Sgr., wofür das Blatt im Inlande portofrei und in Berlin frei ins Haus geliefert wird.

No 76.

für die

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Literatur des Auslandes.

England.

Zur Geschichte der Chemie.

John Mayow.

Berlin, Sonnabend den 26. Juni.

Als Priestley und Lavoisier ziemlich zu gleicher Zeit die Entdeckung des Sauerstoffes gemacht und sich dieselbe, Jeder dem Anderen, streitig zu machen suchten, trat ein Dritter, Dr. Beddoes, dazwischen, der in feinem 1790 veröffentlichten Werke:,,Chemische Ansichten und Erfahrungen“, auf einen längst verstorbenen Chemiker hinwies und für ihn wenigstens einen bedeutenden Theil an dieser Entdeckung in Anspruch nahm. Er gab darin einen Auszug aus den Werken des John Mayow, eines Mannes, der nahe daran gewesen, die richtige Theorie der Verbrennung aufzustellen, und im Jahre 1793 bemühte sich ein enthusiastischer Deutscher sogar, zu beweisen, daß John Mayow seit hundert Jahren bereits die Grundlagen der antiphlogistischen und physiologischen Chemie gelegt habe. Es ist jedenfalls interessant und wichtig, zu erfahren, was es damit für eine Bewandtniß habe; denn häufig genug ist es vorgekommen, daß Dinge, die man für völlig neue Entdeckungen hielt, in früherer Zeit bereits bekannt oder doch wenig stens geahnt worden waren. Zwischen Entdecken und Entdecken ist ein großer Unterschied! Der menschliche Geist, mit seinem Divinations-Vermögen, mit jenem Ahnungssinne ausgestattet, der über Zeit und Raum hinausgeht, ist wohl im Stande, der thatsächlichen Entwickelung seines Jahrhunderts zuvorzueilen und Dinge an den Tag zu bringen, für welche die Mitlebenden noch gar nicht den Verstand haben. -Trauriges Geschick, zu früh geboren zu sein, der Märtyrer feines eigenen Geistes zu werden und erst von der Nachwelt eine mit leidige Bewunderung einzuärndten, wie es so vielen bedeutenden Männern ergangen ist! Auch John Mayow gehört zu ihnen, ein verschollener Name - denn was wir von ihm wissen, ist höchst unbedeutend.

Geboren 1645 in der Grafschaft Cornwall, war er späterhin praktischer Arzt zu Bath und gab 1674 zu Orford ein jezt seltenes und wenig bekanntes Buch heraus:,,Tractatus quinque medico-physici", in welchem er seine Entdeckungen niederlegte. Bereits fünf Jahre später starb er im Alter von vierunddreißig Jahren, wo Andere kaum auf den Schauplah treten. Ein Buch- und ein Name, das ist Alles, was wir von ihm haben. Vielleicht nur ein Zufall hat ihn einer vollständigen Vergessenheit entriffen, in welcher er bereits ein volles Jahrhundert schlummerte.

Das Buch, welches, wie schon aus dem Titel erhellt, lateinisch, aber in keinem besonders klaren und angenehmen Stile geschrieben ist, enthält fünf Abhandlungen, deren erste sich mit dem Salpeter und der salpeterhaltigen Luft beschäftigt; die zweite behandelt das Athmen; die drei anderen sind physiologischen Untersuchungen gewidmet, welche mit dem vorliegenden Gegenstande nichts zu thun haben.

Nachdem Fourcroy, Höfer und Chevreuil neuerdings unserem Entdecker haben Gerechtigkeit widerfahren laffen, giebt uns Herr P. P. Dehérain, in der Revue de l'instruction publique (8. April 1858) einen Auszug und eine Zusammenstellung des Wesentlichsten aus jenen zwei wichtigen Abhandlungen, die auch für viele unserer Leser von Interesse sein dürften. Wir geben davon soviel, als uns für den nächsten Zweck angemessen und hinreichend erscheint. Das erste Kapitel handelt vom Salpeter.,,Die Natur des Salpeters ist zu fammengeseßt. Er besteht aus einer Säure und einem Alkali er enthält keinen Schwefel die Analyse und Synthese des Salpeters bestätigen vorstehende Säße". - Nun beweist der Autor, daß, wenn man Schwefel zu aufgelöstem Salpeter thut, man fauren Salpetergeist erhalten kann, der, mit Alkali vereinigt, wieder Salpeter giebt. Er verfährt also nach streng chemischer Methode.

Fernerhin:

„Die Luft trägt bei zur Bildung des Salpeters dieser kommt nicht ganz, sondern nur zum Theil aus der Luft - der Salpeter kommt zum Theil aus der Erde, zum Theil aus der Luft".

1858.

Kapitel II. Von dem luftigen und dem feurigen Theile des Salpetergeistes.

,,Die Luft ist unumgänglich nothwendig zur Erhaltung de Flamme. Doch ist es nicht die Luft allein, welche die Flamme unterhält; es ist nur ihr thätigster und feinster Theil; denn wenn eine in einen geschloffenen Raum gefeßte Flamme auslöscht, so bleibt doch noch viel Luft übrig, die von der Verbrennung nicht zerstört und ebensowenig nach außen entwichen ist".

Für Mayow zerfällt demnach die Luft in zwei Bestandtheile, in die eigentliche Feuerluft, als besonderes Gas, und in einen anderen luftigen Bestandtheil, der nicht zur Verbrennung geeignet ist.

,,Es existiren im Salpeter Atome dieser Feuerluft; denn der Salpeter, mit Schwefel vermengt, brennt in einem luftleeren Raume, wie man durch folgende Probe beweisen kann. Man thue etwas, ein wenig befeuchtetes Schießpulver in einen an einer Seite geschlossenen Flintenlauf, zünde das Pulver am offenen Ende an, und um den Kontakt des Pulvers mit der Luft zu hinderu, halte man dieses Ende in's Waffer. Das Pulver verbrennt ganz, und man muß daraus schließen, daß der Salpeter die Theile der Feuerluft enthält, die zur Unterhaltung der Flamme nöthig sind, weil man nichts hinzu zu thun braucht, um es zum Verbrennen zu bringen..

Um Flamme zu erzeugen, ist das Vorhandensein von verbrenn lichen Atomen und von Feuerluft- Atomen nothwendig. Ohne Beimischung von verbrennlichen Atomen giebt der Salpeter keine Flamme. Die Salpeterflamme unterscheidet sich von allen anderen: denn um zu brennen, haben die verbrennlichen Materien den Zutritt von Feuerluft zur gewöhnlichen Luft nothwendig, während im Gegentheil der Salpeter die Feuerluft in sich selbst hat, dessen ungemein schnelle Entbindung eine sehr starke Flamme giebt. Die Flamme hängt ab von dieser Feuerluft; Theile derselben hat also der Salpeter stets in sich.

,,Wenn sich Salpeter in der Luft bildet, welche Feuerluft in sich hat, so muß man sagen, der luftförmige Bestandtheil des Salpeters ist aus nichts weiter bestehend, als nur aus Theilchen dieser Feuerluft."

Hierauf beschreibt er ein Experiment, in welchem der Salpeter durch die Wärme zersetzt wird - nichts Anderes, als die Befreiung des Sauerstoffes, nur daß er es nicht in seiner Neinheit erhält, sondern in seiner Mischung mit Salpeterdämpfen. Er nennt dies,,den rothen Salpetergeist", der ganz vorzüglich geeignet sei, Verbrenn ung zu bewirken.

Kapitel III. handelt vom luftförmigen Salpetergeiste und der Natur des Feuers -worin eine interessante Auseinanderseßung der Ansichten des Verfaffers über die Verwandlung der Metalle vorkommt. Er hält dafür, daß keines in das andere verwandelt werden könne, da sie alle von Natur ganz verschiedene Grundeigenschaften befäßen. Die Calcination der Metalle leitet er von einem Zutritt der Luft ab, die sich in ihnen festseßt und ihr Gewicht vermehrt, und zwar ganz einzig der Feuerluft", weil die Verbindungen von Metall und Salpeter ganz ähnliche Verkalkungen gäben.

Späterhin:,,Der faure Salpetergeist und das Vitriolöl verdanken ihre Eigenschaft, zu brennen, der Feuerluft. Hier kommt er schon dem Namen,,Sauerstoff" nahe, unter denen dieses Gas jezt bekannt ist. In der Abhandlung über die Respiration endlich giebt er mehrere Erfahrungen, die Priestley späterhin wieder auffand; er zeigt, daß die Luft, aufs Waffer gefeßt, ebensowohl durch das Athmen der Thiere als durch Verbrennung ihre elastische Kraft verliert, und schließt daraus, daß die Thiere der Luft Substanzen derselben Art entlehnen, wie das Feuer.

„Die Lebensluft, d. h. die zum Athmen dient, ist dieselbe wie die Feuerluft des Salpeters".

„Es existirt in der Luft ein Gas, das die besondere Aufgabe hat, die Verbrennung zu unterhalten".

,,Dieses Gas existirt auch im Salpeter".

„Man kann es roth gefärbt erhalten, wenn man diesen destillirt". Es feßt sich auf, die Metalle, wenn es sie verkalft".

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