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912611

ASTOR, LENG
TILDEN 10

R

1920

Buchdruckerei der J. G. Tolta'schen Buchhandlung in Stuttgart.

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Lessings Verbindung mit der unglücklichen Hamburgischen Theaterunternehmung veranlaßte ihn zur Abfassung der Dramaturgie, die in einzelnen Stüden, jedes zu einem halben Bogen, ausgegeben, die Vorstellungen des neuen Nationaltheaters, sowohl in Nücficht der Stüde, als auch in Bezug auf die Darstellung, schrittweise und Abend für Abend begleiten sollte. Anfangs gieng die Sache nach Wunsch, bald aber traten Störungen ein; die Schauspieker wollten auch nicht ver. blümt getadelt sein, und der Nachdruck in Leipzig und Hamburg bemächtigte sich des Blattes. Dem ersten Bedenken, dem der Schauspieler, ließ sich leicht abhelfen; Leffing schwieg ganz über die edle Gesellschaft, die nicht wußte, welcher Vorzug es für fie sein werde, von Leffing erwähnt zu fein. Dem Nachdrucke, der freilich Leffings Interesse nicht unmittelbar gefährdete, war schwerer zu begegnen. Die Einstellung der wöchentlichen Lieferungen schwächte die Theilnahme und die langfame Nachlieferung ganzer Reihen von Nummern, deren legte (83—104) im Mai 1768 hätten erscheinen müssen, aber erst ein Jahr später heraußkamen, verwandelte die Zeitschrift in ein Buch, an das man andre Anforderungen macht und das sich selbst andre Aufgaben ftellt, als ein Blatt. Daher die ungleiche Behandlung zu Anfang und am Schluffe. Während dort, wenn auch ausführliche, doch sich immer u: mittelbar an das Stück haltende Beurtheilungen geboten wurden, verwandelten sich hier die Beurtheilungen zu selbstständigen Abhandlungen, die mit den kritisierten Stüden nur losen Zusammenhang hatten. Die Dramaturgie war in diesem Sinne kein Blatt für ihre Zeit, aber ein Buch für alle Zeiten, denen es um das Muster einer stets fortschreitenden prodüctiven Kritik zu thun' ist.

Leffing hatte sich schon frühe von den Einwirkungen der französischen Bühne zu befreien gesucht, selbst da schon, als er denselben, wie in dem jungen Gelehrten, noch erlag. Er hatte geschäßt, was alle Zeitgenossen mit ihm schäßten, die lieben Franzofen, den großen Voltaire, dessen Geschmack der Geschmad der Welt war; 'aber er ́hatte doch schon nach englischen Antrieben ein bürgerliches Trauetspiel, von bem die Franzosen damals noch kein Beispiet®¿ "aufzeigen Tonntent; er hatte ein deuts fiches Bustspïèl1 gefchaffen 'uns_connte,''als er ble Hamburgtige Dramaturgie begannt, biea1ließen" "müftergültigen "Franjosen Weber' sonderka'mehr`tteben', 'Adch' 'thre LedWahgèn1für Mustet"anfèheli, BW'Er Mtu tiftbij&el duch in den fremden Ateratüvén

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der neueren Zeit mehr umgesehen und vor allen Dingen die Alten und ihren Kunstphilosophen genauer hatte kennen lernen und in der Debatte mit den geprie= senen Meistern Frankreichs immer vertrauter mit dem Aristoteles wurde. Es ist interessant zu beobachten, wie er beim Beginn der Dramaturgie, im guten Glauben, daß die tragische Bühne Frankreichs wirklich auf den f. g. Regeln des Ariftoteles, von denen ihre Vorreden und Abhandlungen voll waren, beruhe, mit großer Behutsamkeit an die Beurtheilung dieser Producte geht, und wie er dann allmählich hinter das große Geheimniß kommt und nun immer herzhafter und luftiger auf die Dichter und ihre Werke los geht, bis er sich gar nicht mehr darum kümmert und sich lieber mit dem Ariftoteles selbst, als mit seinen mißverstehenden Schülern in Frankreich befaßt. Da wird der große Voltaire noch ganz höflich bei der Semiramis darauf aufmerksam gemacht, daß die Dinge, welche er als Vorzüge der französischen vor der griechischen Bühne neune, ohne Einfluß auf das Wesentliche des Trauerspiels seien, Schönheiten, welche die einfältige Größe der Alten ver achtet habe. Zwar wird das Gespenst, das in der Semiramis bei hellem Tage in großer Versammlung auftritt, so lächerlich gefunden, wie der Geist im Hamlet in der Stille der Mitternacht schrecklich und haarsträubend (eine Empfindung, die das mals noch allgemein war). Da wird die Zaire, die ein Kritiker von Bon der Liebe dictiert genannt hatte, vom Gesichtspunkt aus, daß es nur die Galanterie gewesen sei, beurtheilt. Aber mitten in der Kritik über Voltaires Merope geht Leffing die Entdeɗung auf, daß die Regeln der Einheit des Erts und der Zeit, der beständis gen Anwesenheit von Personen auf der Bühne und der Motivirung des Auf- und Abtretens für Voltaire nicht da seien, um beobachtet zu werden, sondern lediglich, um sich mit ihnen abzufinden. Die Einheit des Orts werde gewahrt, indem man denselben unbestimmt lasse; die Einheit der Zeit sei von der Einheit des Tages auf die Einheit der Dauer erweitert, und was das Auf- und Abtreten der Prsonen betreffe, so sage zwar jede, wenn es sonst nicht motiviert sei, daß und warum sie abgehe oder wiederkomme, aber daß ihre Angaben nichts als Lug und Trug feien, genug, daß doch etwas angegeben werde, was weder die Personen auf der Bühne, noch die vor derselben zu glauben brauchen. Nachdem diese Entdedung einmal gemacht ist, kennt der Dramaturg keine Schonung mehr. Er spricht nun den Franzosen die wahre Tragödie ab, nicht, daß sie sie nicht eben so gut haben könnten wie andre Völker, nur daß sie ihnen noch fehlt und zwar deshalb fehlt, weil sie dieselbe schon lange gehabt zu haben glauben und in diesem Glauben durch etwas bestärkt werden, daß fie vorzüglich vor allen Völkern haben, durch ihre Eitelkeit. Kaum riß Corneille ihr Theater ein wenig aus der Barbarei, io glaubten fie es der Vollkommenheit schon ganz nahe. Racine schien ihnen die leste Hand angelegt zu haben; und hierauf war gar nicht mehr die Frage, die es zwar auch nie gewefen, ob der tragische Dichter noch pathetischer, noch rührender sein

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