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in der weitesten und strengsten Bedeutung des Wortes, keinen absoluten Zufall, und kann es in Wirklichkeit keinen geben. Wie in der materiellen Welt, so auch in Bezug auf die menschliche Gesellschaft nennen wir zufällig nur die Erscheinungen, welche, obgleich sie sich in unzertrennlichem nothwendigem Zusammenhang mit den ihnen vorhergehenden befinden, doch in diesem oder jenem vorkommenden Fall nicht von uns vorhergesehen oder erkannt werden.

Doch, so sagt man, wenn es auch als unbestreitbares Axiom anzuerkennen ist, dass sowohl in der materiellen Welt, als auch in der Gesellschaft es in Wirklichkeit keine absolut zufällige Erscheinung geben kann, so folgt daraus noch nicht, dass die menschliche Gesellschaft zum Gegenstande der Wissenschaft gemacht werden kann, gleich der organischen oder unorganischen Natur. Der Zusammenhang zwischen den Erscheinungen und ihrer gegenseitigen Wirkung in der Gesellschaft kann derartig complicirt sein, dass namentlich aus diesem Grunde die Erkenntniss desselben für den menschlichen Verstand unmöglich wird; denn im letzten Fall werden die factisch nicht zufälligen Erscheinungen immer in den Augen des Menschen für zufällige gehalten.

Wir wollen sehen auf welchem Wege es möglich ist feste Gesetze zu entdecken, die der menschlichen Gesellschaft als Grundlage dienen und die Wirkung der im gesellschaftlichen Organismus vorhandenen Kräfte bedingen.

III.

Kraft, als Ursache der Erscheinungen in der Natur und Gesellschaft.

Eine jede materielle und so auch denn jede gesellschaftliche Erscheinung ist die Folge, das Resultat irgend einer vorausgegangenen wirksamen Ursache, welche wir Kraft nennen. So ist die Schwere der Körper auf der Oberfläche der Erde eine Erscheinung, die hervorgeht aus der Anziehungskraft der Erde,

sie ist das Resultat der Wirkung dieser Kraft. So ist der Werth der in der Gesellschaft circulirenden Güter eine Erscheinung, die hervorgeht aus dem persönlichen Interesse der einzelnen Glieder der Gesellschaft, aus dem Bestreben die zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse dienenden Gegenstände sich anzueignen. Die Wirkung einer Kraft erkennen wir nur aus ihren Folgen, aus ihren Resultaten. Eine und dieselbe Kraft bringt nicht selten die verschiedenartigsten Erscheinungen hervor und andrerseits geben verschiedene Kräfte oft ein gleiches Resultat. So wirkt die Electricität bald anziehend, bald abstossend, so kann unter Umständen, so wie die Wärme, auch die Kälte zur Ursache der Ausdehnung eines Körpers werden. In der Gesellschaft kann das auf ein und dasselbe Ziel gerichtete Streben zweier oder mehrer Persönlichkeiten oder socialen Gruppen in einem Fall gemeinsames Zusammenwirken zur Folge haben, in einem andern ein feindseliges Entgegenwirken. Der sociale Fortschritt kann bei einem Volke aus dem Vorherrschen der höheren Schichten der Gesellschaft über die niederen entspringen, bei einem anderen dieses Vorherrschen die Ursache des Verfalls und der Zerrüttung abgeben. Die Auswanderung eines Theils der Bevölkerung eines Landes kann die Folge ungewöhnlicher Entwickelung der Industrie sein, welche Menschenhände durch Maschinen ersetzt; unter andern Umständen ist sie die Folge innerer ökonomischer Zerrüttung, welche die Masse des Volks der Existenzmittel beraubt. Erhöhung des Preises der Erzeugnisse kann unter Umständen hervorgehen aus Verstärkung der Nachfrage, Erweiterung des Kredits oder vergrössertem Angebot, unter andern Umständen aus Mangel an Vertrauen. Diese zum Vorschein kommenden Widersprüche entstehen dadurch, dass in der Natur wie in der Gesellschaft die Kräfte nur in Ausnahmsfällen unabhängig von einander wirken und dass sowohl die materiellen als gesellschaftlichen Erscheinungen zum grossen Theil die Resultate der Wechselwirkung von Kräften verschiedener Natur und nicht gleicher Tendenz sind. Je nach der Zusammensetzung der aus den einzelnen Kräften hervorgehenden Resultate erfolgen verschiedenartige, bisweilen entgegengesetzte Wirkungen. Daher ist es, um die Natur und Tendenz einer jeden einzelnen Kraft für sich zu ergründen, unumgänglich nöthig, eine Wirkung von der Wirkung einer anderen von ihr verschiedenen Kraft zu trennen und sie aus der Gesammtwirkung auszuscheiden; dann ergiebt sich das

Resultat der Einzelwirkung einer jeden Kraft in ihrer vollen Reinheit; dann erst enthüllt sich das Gesetz ihrer unabhängigen Wirkung. — In einigen Zweigen der Naturwissenschaft lässt sich dieses Ziel durch physikalische und chemische Experimente erreichen der Chemiker in seinem Laboratorium, der Physiker in seinem Kabinet, indem sie die Wirkung einer Kraft von der der andern trennen und eine jede isoliren, erhalten Resultate, aus denen sie die Gesetze der chemischen Verwandtschaft, der mechanischen Wechselwirkung u. s. w. ableiten. Behufs Zerlegung des Wassers in seine Bestandtheile trennt der Chemiker das Wasser durch die Wände eines Gefässes von denen dasselbe umgebenden Körpern und nur unter dieser Bedingung erhält er stets das gleiche Resultat, die gleiche Menge Sauerstoff und Wasserstoff; im entgegengesetzten Fall würden sich die atmosphärischen Gase und andern Substanzen dem Wasser beimischen und die Ergründung der chemischen Zusammensetzung desselben unmöglich machen. Zur Feststellung des Fallgesetzes der Körper zur Oberfläche der Erde muss der Physiker vor Allem einen luftleeren Raum sich beschaffen, sonst ändert die Reibung der Atmosphäre, die nicht der Masse, sondern der Oberfläche des fallenden Körpers proportional ist, die Geschwindigkeit seines Falles und giebt Resultate, die nicht zur Entdeckuug eines allgemeinen Gesetzes führen. In andern Zweigen der Naturkunde lassen sich keine Experimente anstellen, wie z. B. in der Geologie, Astronomie, Meteorologie. Hier muss sich der Mensch auf Beobachtung, Vergleiche und analytische Schlussfolgerungen beschränken. Das was der Chemiker und Physiker in seinem Laboratorium, in seinem Kabinet herbeiführt, die Trennung der zufälligen Umstände und Bedingungen von den wesentlichen, die Isolirung der Einzelkräfte und die Resultate ihrer Wirkungen von einander, das thut der Astronom, der Geologe, der Meteorologe in seinem Geiste. Der Geologe, der die Ordnung beobachtet, in der an verschiedenen Orten die verschiedenen Schichten. der Erdrinde auf einander folgen, zerlegt in Gedanken unseren Planeten in die ihn zusammensetzenden Theile. Indem er diese oder jene Erscheinung der Wirkung dieser oder jener Kraft zuschreibt, bemüht er sich im Geiste theilweise und mit Abgrenzung der Erscheinungen das zu reproduciren, was vor seinen Augen durcheinander in einer gemeinschaftlichsn Masse daliegt, bemüht sich folgerecht das wiederaufzubauen, was auf unserem

Planeten im Laufe der Zeiten vorging. Der Meteorologe, der z. B. die Richtung und Stärke des Windes beobachtet und die Ursachen analysirt, in Folge derer die Atmosphäre ihres Gleichgewichts beraubt wird, zerlegt im Geiste die Kraft, welche in ihrer Gesammtwirkung die Störung des Gleichgewichts hervorbringt, in alle einzelnen Kräfte und bemüht sich ihre Natur, Tendenz und Wechselwirkung festzustellen. Der Erforscher der menschlichen Gesellschaft befindet sich in derselben Lage des äusserlich passiven Beobachters, des geistigen Anatomen. Die Perioden der Geschichte der Menschheit erscheinen ihm als gesonderte Schichten, die, einst von Leben erfüllt, in der Folge begraben wurden unter neuen Formationen, welche zu ihrer Zeit demselben Schicksal unterlagen. Er analysirt und zergliedert in Gedanken die politischen und socialen Stürme und Umwälzungen, um ihre Ursachen und Folgen zu ergründen.

Dazu muss er Allem zuvor, gleich dem Naturforscher, das Resultat irgend einer Kraft von ihrer Richtung, ihrem Streben oder ihrer Tendenz unterscheiden. Die Gesetze, welche der Wirkung der materiellen und gesellschaftlichen Kräfte zu Grunde liegen, zeigen sich in der Wirklichkeit nirgends in ihrer ganzen Fülle und Reinheit; wie in der Natur, so auch in der Gesellschaft erscheinen sie nur als Strebungen zu einem gewissen Ziel, zu einer gewissen Form, einem gewissen Zustande hin. Unbeeinflusst durch irgend welche Nebenumstände zeigt sich das Gesetz der Wirkung der Anziehungskraft der Erde wohl im Kabinet des Physikers, der mit Hilfe der Luftpumpe auf künstliche Weise einen luftleeren Raum erzeugt. In der Wirklichkeit aber wird das Streben oder die Tendenz der auf der Oberfläche der Erde befindlichen Körper zum Mittelpunkt derselben durch eine Menge anderer Kräfte behindert oder modificirt: durch den Widerstand der Luft, die Drehung der Erde um ihre Axe, bisweilen auch durch einen dem Körper zufällig mitgetheilten Stoss in einer anderen Richtung, so dass er, anstatt sich der Erde zu nähern, möglicherweise sich von ihr entfernen kann. Dem ähnlich zeigt sich das ökonomische Gesetz der Wirkung des Sonderinteresses im Men schen oder in der Gesellschaft nur als Bestreben, das bald andere Strebungen überwiegt, bald von ihnen verdrängt wird. Aus Mitgefühl, unter dem Einfluss einer Idee oder in der Hitze der Leidenschaft opfert der Mensch nicht selten selbst seine theuersten Interessen: Habe und Leben. Hier zeigen sich zwei entgegen

gesetzte Bestrebungen: die Selbsterhaltung und Selbstaufopferung, von denen oft die letztere über die erstere die Oberhand gewinnt. Der Mensch, allgemein ausgedrückt, strebt beständig nach physischem oder geistigem Wohlbehagen, oder nach Verwirklichung ethischer Zwecke; aber dieses Streben kann durch andere unvernünftige, zerstörende Bestrebungen verdrängt und unterdrückt werden. Das Malthus'sche Bevölkerungsgesetz ist nur in so fern richtig, als dasselbe das Streben der Bevölkerung nach Vermehrung über die Grenzen der Existenzmittel verhindern will. Das Ricardo'sche Gesetz der Rente drückt nur das Streben nach steter Erhöhung des Preises der unentbehrlichsten Gegenstände aus. Das Schwanken des Preises der Güter über und unter den Productionskosten derselben ist die Folge des Bestrebens den Kaufpreis mit den Productionskosten in ein und dasselbe Niveau zu bringen. Der Preis der Güter steigt und fällt im umgekehrten. Verhältniss des Angebots und der Nachfrage in Folge des Bestrebens der Producenten und Consumenten durch Austausch zu den Ihnen nöthigen Gütern unter den vortheilhaftesten Bedingungen zu gelangen. Eine Menge Bedingungen und Umstände können also in Wirklichkeit diese Bestrebungen ablenken, abändern und selbst zu einem völlig entgegengesetzten Resultat führen. - Bei bedeutendem Aufschwung der Landwirthschaft und Zunahme der industriellen Thätigkeit können die Mittel der Bevölkerung sich mehren und dennoch die Rente fallen ungeachtet der Zunahme der Bevölkerung und des Steigens des Preises der unentbehrlichsten Gegenstände. Der Tauschwerth hält sich fast nie in gleicher Höhe mit den Productionskosten und das Gesetz der Nachfrage und des Angebots ändert sich beständig durch eine Menge zufälliger Umstände. Daher geben die Schlussfolgerungen des Erforschers der menschlichen Gesellschaft, verglichen mit der Wirklichkeit, bisweilen Resultate, die den erwarteten völlig entgegengesetzt sind. Das, wovon in der Theorie abgesehen worden, die Umstände und Bedingungen, welche im Geiste beseitigt worden, wirken dennoch oftmals im Leben, das seinen natürlichen Entwickelungsweg fortgeht ohne darauf Rücksicht zu nehmen, ob diese oder jene sociale Theorie ihn als vernunftgemäss anerkennt oder nicht.

Jede Kraft ist die Ursache irgend einer Erscheinung und diese ist wiederum das Resultat einer vorhergegangenen Kraft, - das ist das Princip der Causalität sowohl in der Natur wie in

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