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Die Kommission erklärte also diesen Plan für unausführbar. Noch größer sind die Schwierigkeiten, die sich der Einrichtung eines Centralpunktes, eines Emporiums des Buchhandels entgegen stellen, an das sich dann die Buchhändler aus den einzelnen Städten zu wenden hätten, um den Verkehr zu vermitteln. Ein Mitglied der Kommission, Herr Meyer (seinem Namen nach ein Deutscher), hatte als Surrogat eines solchen literarischen Centrums ein Central-Bureau für Buchhändler. Korrespondenz in Vorschlag gebracht, an das sich, als den allgemeinen Vermittler, jeder Buchhändler der Halbinsel wenden könnte, um verlangte Nachweise zu erhalten; es sollte etwa dem Kataloge der Buchhändlermesse entsprechen, die für unmöglich erklärt worden war; aber auch dieser Vorschlag fiel durch, weil auch er ein freiwilliges und einmüthiges Zusammenwirken aller italiänischen Verleger und Sortiments-Buchhändler vorausseßte; denn damit wäre die Hauptwunde bereits geheilt. Man fürchtete vor Allem den zu zahlenden Beitrag für die Kosten, die ein solches Institut machen würde, sodann die Verantwortlichkeit, die auf der Centralleitung lasten bliebe, wenn sie von ihren Kommittenten im Stiche gelassen würde. Sie hätte dann bereits den Charakter einer Bank angenommen und wäre auf das Vertrauen zu einem Handelsverkehre gegründet, den derselbe eingestandenermaßen nicht einflößt.

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Ein sonst erfahrener Geschäftsmann, Pomba, der einen nicht unbedeutenden Ruf als Buchhändler zu genießen scheint, schlug die Einrichtung eines Emporiums vor, d. H. einer Haupt- und CentralBücherniederlage in einer der Hauptstädte Italiens, an die man sich in jedem Falle zu wenden hätte und zwar auf Actien zwei hundert Actien, jede zu tausend Lire, für die Pomba selbst einzustehen versprach. Damit sollte ein allwöchentlich erscheinendes Bolletino bibliografico, ein Katalog der am Hauptorte eingelaufenen neuen Werke verbunden sein doch auch diese Auskunft wurde als unausführbar verworfen. Man wendete ein, durch ein so organisirtes Centralgeschäft, welches schon ohnedies, um sich halten zu können, einen Rabatt von 40 bis 50 Prozent des Ladenpreises erfordern müßte, würde derselbe durch Porto, Transportkosten u. s. w. noch um etwa 25 Prozent erhöht und die Bücher unmäßig vertheuert werden; es würden daher, weil größere, Epoche machende Werke den direkten Absah vorziehen dürften, nur mittelmäßige und weniger begehrte Werke aufs Lager kommen und daher der wöchentliche Katalog nicht unvoll ständig, sondern geradezu erbärmlich bleiben. Die Actionaire würden ihr Geld verlieren. Auch würde die Wahl eines Centralortes die größten Schwierigkeiten haben, abgesehen von den Verlegenheiten, die bei jedem derselben zutage treten müßten: z. B. ein Mailänder Buchhändler verlangte ein in Turin erschienenes Buch und müßte fich, ftatt an das nahe Turin, an das entlegenere Livorno wenden, welches dann das Buch von Turin kommen ließe, um es nach Mailand zu schicken.

Ob das gerade (bei einem guten Zustande der Posten und Eisenbahnen) von so großem Uebelstand wäre, wage ich nicht zu entscheiden; doch glaube ich, dergleichen kommt in Deutschland häufig genug vor. Wie wir einer Andeutung entnehmen, ist ein ähnliches Unternehmen in Livorno bereits gänzlich verunglückt, vornehmlich durch die Schuld der Buchhändler selbst. — Es fehlt an Muth, an industriellem Ver. ftande, an Gemeingeist; ein allgemeines Mißtrauen lähmt alle Schritte der wenigen besonnenen und begeisterten Männer, die besseren Zuständen Bahn brechen wollen; man bringt es nicht einmal zu der Redaction eines vernünftigen Kataloges, weil die meisten Buchhändler zu indolent und im alten Schlendrian verkommen sind, um ihren eigenen Vortheil zu verstehen.

So behilft man sich also mit dem einzigen Auskunftsmittel, auf das man in der Zeit der Rathlosigkeit verfallen, das aber nur ganz ausgezeichneten Schriftstellern zu Gute kommen kann. Wenn eine bedeutende, namentlich patriotische Arbeit fertig liegt, oder wenn wenig ftens der Autor, der sie unternimmt, hinreichende Garantieen bietet, so bildet sich ein Verein, der das zur Veröffentlichung nöthige Geld vorschießt oder, was aber natürlich nur selten der Fall sein kann, den Schriftsteller in seinen Studien unterstüßt; doch kommen solche Vereine (wie z. B. Silvio Pellico einen vorschlug, um den verdienten Botta in Stand zu sehen, die Geschichte Italiens zu schreiben) nicht immer zu Stande, und wenn sie zu Stande kommen, haben sie oft entschiedenes Unglück, weil sie gewöhnlich nicht mit ausreichenden Mitteln operiren können. So bildete fich z. B. 1841 zu Mailand ein Verein von Privatleuten, die der Wunsch beseelte, den Wissenschaften zu Hülfe zu kommen und die geistige Entwickelung zu be= fördern. - Der Beitrag jedes Mitgliedes war auf 100 Lire festgesezt; mit dem Gelde wollte man es unternehmen, Werke von befonderer Schönheit und Nüglichkeit herauszugeben. Es war die Abficht dieser Gesellschaft, wenn die Kräfte ihrem guten Willen entsprochen hätten, nicht blos Manuskripte schon druckfertiger Werke zu honoriren, sondern auch den Autoren, die ein Werk von anerkannter Wichtigkeit schreiben wollten oder schon schrieben, Geldunterstüßungen

zu bewilligen. Ein sehr löblicher Gedanke! aber weder die Mittel, noch die Ausführung entsprachen den Absichten; die Gesellschaft trat zu zeitig zusammen, als kaum 80 Actien gesichert waren, d. i. achttausend Lire, eine Summe, die im Geschäfte soviel als nichts bedeutet; ferner vergriff man sich in der Wahl der Bücher, die man veröffentlichte, indem man alle Kräfte an die Herausgabe cines großen und bändereichen Werkes („Storia di Spagna", von Romey) verschwendete. Man verhieß sich nämlich einen bedeutenden und raschen Absah und wurde getäuscht, weil das Werk nicht hinreichend zog, troß seines bedeutenden Werthes. Der Verein machte Bankerott, und das Werk blieb unvollständig.

Wie man sieht, ist die Sache ziemlich trostlos, und der patriotifche Italiäner, der den Schaden übersicht, der die ungeheuren Nachtheile kennt, in die dadurch seine Nation anderen Völkern gegenüber versezt ist, hat vollen Grund, zu klagen und schwermüthige Betrachtungen anzustellen.

An geistiger Befähigung mangelt es dem Italiäner gewiß nicht er ist an Bildung und Kultur im Mittelalter allen neueren europäischen Nationen vorangegangen und nun sieht er sich überflügelt, außer Stand gefeßt, mit denen zu konkurriren, die von ihm früher gelernt haben. Die Zustände Italiens müssen wirklich traurig sein, wenn sie der Verfassung des Buchhandels entsprechen. Daß dabei der geistige Schaffungstrieb, die Lust, Poesie und Wissenschaft zu treiben, noch nicht ganz erstorben ist, daß es noch so viele Märtyrer einer brodlosen Kunst, wie das Bücherschreiben, giebt, ist ein gutes Zeugniß für den italiänischen Nationalcharakter und beweist, daß das Volk, dem wir in Kunst und Wissenschaft so unendlich viel verdanken, fich noch nicht selbst aufgegeben hat.

Ueber das magische Geistesleben.
(Schluß.)

Als höchst bezeichnend für den wissenschaftlichen Geist, mit dem der Verfasser seinen Gegenstand behandelt, heben wir die folgenden Stellen hervor:

,,Das Fernsehen, von fast allen Philosophen als Ahnung durch unzählige Thatsachen bewiesen, als Vorhersagung von Pythagoras, Empedokles, Demokrit, Galen, Savonarola, Cardanus, Huß, Swedenborg, Frau v. Krüdener und Anderen glücklich geübt, bei Drakeln, Sibyllen und Besessenen in älterer und bei den Somnambulen in neuerer Zeit wiederholt beobachtet, ist ein physiologischer Vorgang, der viel von seinem geheimnißvollen Wesen verliert, wenn wir bedenken, daß alles Geschehende das Resultat einer unendlichen Vergangenheit in nothwendiger Verkettung der sich gegenseitig bedingenden Kräfte ist, und daß die Zukunft als nothwendiges Postulat schon vorgebildet da liegt; wenn wir bedenken, daß es überhaupt keinen Zufall weder in dem Getriebe des Weltalls, noch im Menschenleben giebt, daß jeder Zustand und jede That, selbst die scheinbar freie, das nothwendige Resultat einer Kette von Fakten ist, deren inneren Zusammenhang die Kurzsichtigkeit des Verstandes nur nicht erkennt. Wenn wir bedenken, daß wir noch andere Sinne haben, als unsere fünf, mit denen wir nur die physikalischen Eigenschaften der Außenwelt wahrnehmen, andere, die uns mit dem inneren Leben der Dinge vertraut machen, ohne daß wir es wiffen; wenn wir bedenken, wie das dadurch entstehende Vorgefühl schon bei niederen Thieren auf eine bewundernswürdige Weise ausgebildet ist, also nicht von der Intelligenz ausgeht, ja, wo das Gehirn fehlt, selbst nicht ins Bewußtsein kommen kann; wenn wir endlich bedenken, daß die Thätigkeit in jenem Pole unserer Seele nicht an die Kategorieen der Zeit und des Raumes geknüpft ist, wie sie das Morgen geschickt an das Gestern, das Schicksal ferner Zeiten an die Vergangenheit knüpft, die Entfernung für ihr Denken und Fühlen nicht existirt.“ „Ist der Mensch, wie die neuere Naturforschung uns gezeigt hat, in seinem elementaren und leiblichen Leben der Inbegriff des ganzen telluren und kosmischen Lebens; sind alle Kräfte des Weltalls in ihm zu vollkommener Harmonie verbunden, so daß er die ganze reiche Extension des Himmels und der Erde in sich trägt, - kann es uns da wundern, daß alle kosmischen Zeiten, Zahlen und Maaße in ihm sich wiederspiegeln, daß alle Naturgefeße in ihrer ungestörten Entwickelung von ihm wahrgenommen werden, daß er von dem ganzen Leben der Erde, von ihren geheimen Werkstätten Kunde erhält?

,,Auch bei dem Fernsehen und der Vision walten die allgemeinen Geseze der Natur, und Ein Band ist es, welches diese Erscheinungen vom Traum bis zum Gesicht, von dem Zurückziehen der Sinne bis zur Unverwundbarkeit, vom Instinkt bis zur Prophetie verbindet. Sind wir aber schon auf einem unsicheren Gebiete, wo es sich um die Thätigkeit vernünftigen (— bewußten —) Seelenlebens handelt, ja, wissen wir nicht einmal, was der Geist ist, - so sind wir noch weit schlimmer daran, wenn wir die Gefeße des nächtlichen Seelen

lebens erforschen sollen, die wir vom Tage aus nicht überblicken können. So bleibt der Geist in uns ein Räthsel in allen seinen Beziehungen; er bleibt uns räthelhaft in seinem Denken und Glauben, Wissen und Ahnen, Wollen und Fühlen, und doch denkt und glaubt, weiß und ahnt, fühlt und will er. Aber was er thut, das thut er selber, nicht von anderen Geistern geleitet und beherrscht."

Was im vierten Abschnitt über die Prophetie ausgeführt und durch zahlreiche Beispiele erläutert wird, ist im Wesentlichen Folgendes:

Alles prophetische Schauen ist, wo es rein erscheint, nur eine Bestätigung der Weltanschauung, die bereits in dem Propheten liegt; wo sie aber getrübt wird, das regellose Spiel phantastischen Gemüthlebens. Daraus, daß die Prophetie sich im Erkennen und Ahnen historischer Verhältnisse dem besonnenen Geist überlegen zeigt, folgt nicht, daß sie absolute Wahrheit giebt. Ueberall tritt die Offenbarung der Offenbarung gegenüber; Jeder erklärt seine Offenbarung für göttlich, die feiner Gegner für teuflisch oder vom Lügengeist eingegeben. Die Kenntniß von dem Wesen Gottes und vom Verhältniß Gottes zur Welt ist durch die Propheten, so lange die Welt steht, nicht gefördert worden. Alles religiöse Schauen war immer nur die phantastische Ausschmückung des im Menschen liegenden Gottesbewußtseins in der Form der bereits vorhandenen Weltanschauung, bedingt durch die herrschende verständige Gotteserkenntniß. Die Wahrheit aller Prophetie liegt immer nur in der in allen Offenbarungen gleichen Moral, die ihren Grund im Gewissen hat.

„Die Kirchen berufen sich", sagt der Verfasser am Schluffe des Abschnittes über die Prophetie,,,auf ihren wahren Glauben als das Mittel, zur Seligkeit zu gelangen; sie müssen also in demselben den Weg zur höchsten ethischen Entwickelung des Menschen suchen und finden. Leider steht aber das Glaubensquantum mit der Moralität in gar keinem ursächlichen Zusammenhange; sonst würden wir nicht die traurige Erfahrung machen, in den gläubigsten Ländern die meisten Verbrechen und unter Heiden und Juden eine höhere Moralität zu sehen, als unter Christen. Alle Religionen, die sich auf ihre göttliche Eingebung berufen, lehren überdies eine Moral, die der christlichen nichts oder nur wenig nachgiebt."

Der Gegenstand des fünften Abschnittes ist:,,Der Poet des Innern." Nachdem der Verfasser gezeigt, wie die dem magischen Geistesleben eigene Sprache eine allgemeinverständliche Gefühlssprache, eine symbolische und poetische, aber auch eine phantastische sei, bespricht er auch die den Somnambulen und Ekstatischen so vielfach nachgerühmte Fähigkeit, Sprachen zu sprechen, deren sie im wachen und besonnenen Zustande nicht fähig sind.

,,Der Zeugnisse sind zu viele“, sagt er, „sie gehen durch die ganze Geschichte, als daß wir sie ohne Weiteres von der Hand weisen könnten; das Sprechen lebender und todter Sprachen, das Sprechen einer neuen, völlig unbekannten Sprache ist wiederholt vorgekommen, und das nicht einmal nur in den höchsten Formen der Ekstase, sondern schon auf den niederen Stufen des magischen Lebens. Wir müssen deshalb annehmen, daß der magische Pol unserer Seele, deffen innige Verwandtschaft mit der Sprache wir bereits kennen gelernt haben, bei einseitiger Entwickelung in die Geheimnisse der Sprachbildung noch tiefer eindringt und, wie alle Sprachform dem magischen Seelenpol entquollen ist, sich derselben in einer Weise bemächtigt, daß die Prozedur, welche in dem Volke vorging, sich hier in dem Individuum wiederholt."

Im sechsten Abschnitt (,,Der magische Arzt“) spricht der Verfaffer sich über das magische Heilen von Krankheiten und über die Geschichte der magischen Heilkunst auf eine viel mehr anerkennende Weise aus, als es bei Aerzten der Fall zu sein pflegt. Wir wollen nur die folgende Stelle hervorheben:

„Wo sich magisches Leben überhaupt findet, da ist auch magisches Heilen. Es erstreckt sich das herunter bis zu unserem Psychographen, welcher Heilmittel verordnet, wie die Somnambule und das Drakel, einfache, gekannte und unbekannte, Bäder, kalte Waschungen, Thee, auch magische (z. B. drei Fäden aus drei verschiedenen Rocken gesponnen), er nennt den Arzt, der helfen wird, bestimmt die Zeit, wo die Genesung eintreten wird u. f. w. Graf Szapary hat diese Seite psychographischen Wirkens mit Glück kultivirt, indem er das morali sche Gefühl seiner Pflegebefohlenen durch den Psychographen ins Bewußtsein brachte und steigerte und so psychische Heilungen bewirkte. Am weitesten ausgebildet finden wir die magische Heilung bei den Spiritualisten in Amerika.

„Die außerordentliche Entdeckung Mesmer's, welche er mit unermüdlichem Eifer verfolgte, um sie für die Menschheit, wie für die Wissenschaft, nuzbar zu machen, hat uns Licht über alle diese Erscheinungen verbreiten helfen, welche früher als Wunder angestaunt oder als Mährchen verspottet wurden; sie reichen sich jezt alle zu einer großen Kette die Hand nnd treten aus dem mystischen Dunkel beschatteter Tempel und geheimer Mysterien an das Licht der Naturs

wissenschaft; sie haben aufgehört, Sache eines blinden Glaubens zu sein, und werden Gegenstand der Forschung."

Was der Verfasser im siebenten Abschnitt (,,Der Zauberer des Innern“) über die dem Willen zugeschriebene Kraft, in die Ferne zu wirken, unter Anderem auch über das Tischrücken, welches der Verfasser durch seine eigene Erfahrung als eine Thatsache bestätigt gefunden hat, und über die Wirksamkeit des Psychographen mittheilt, ist so sehr geeignet, den Skeptizismus herauszufordern, daß Herr Schindler fich veranlaßt gefunden, zu zeigen, wie ein vernünftiger Glaube auch in Bezug auf diese Erscheinungen wissenschaftlicher ist, als ein nur auf Vorurtheil beruhender gänzlicher Unglaube. Die Thatsache", sagt er sehr richtig,,,war stets früher da, als ihre Deutung; ja, sie war oft Jahrhunderte lang bekannt, ehe sich ihr Erklärer fand. Das menschliche Wissen ist nicht bei Aristoteles oder Galen, auch nicht bei Newton oder Cuvier; es ist nicht im Schoße der Pariser Akademie oder bei Humboldt. Wo die Wissenschaft die Thatsachen leugnet, weil sie nicht in ihr System passen, da verleugnet sie ihren Beruf, das Wissen zu schaffen. Während die Gelehrten auf der einen Seite schließen: ich sehe es, und die Erscheinung muß ihren Grund haben, schließen sie auf der anderen: ich kenne keinen Grund; deshalb ist die Erscheinung nicht, obschon ich sie sehe."

Die Ergebnisse einer wissenschaftlichen Erkenntniß des magischen Geisteslebens in Bezug auf den wahren Beruf des Menschen, in Bezug auf den Kampf zwischen der Wissenschaft und dem Glauben und in Bezug auf die Zukunft der Kirche, welche der Verfasser in dem legten Abschnitte („Der Hohepriester des Innern") dargelegt hat, sind unseren Lesern bereits in der früheren Besprechung des vorliegenden Werkes angedeutet worden.

Wir schließen also unsere Mittheilungen mit dem Wunsche, daß dieselben etwas dazu beitragen möchten, den beiden hier besprochenen Werken, vorzüglich aber dem zuleßt besprochenen und seiner zu erwartenden historischen Ergänzung, recht viele Theilnahme und Leser zu gewinnen. Hr.

Nord-Amerika.

Julius Fröbel's „Amerika“.
Zweiter Band.*)

Verkehr mit Indianer Häuptlingen.

Nachmittags erblickten wir auf der entgegengesezten Seite des Flusses ein großes indianisches Zeltlager, welchem schief gegenüber wir unsern Corral aufschlugen, und bald kamen zahlreiche Männer und Weiber durch den Fluß geritten, um uns zu besuchen.

Mehrere große Häuptlinge und berühmte Krieger der nördlichen Comanchen beehrten uns bei dieser Gelegenheit mit ihrer Gegen

sämmtlich mit schriftlichen Zeugnissen über ihren Namen. und Charakter versehen, die ihnen theils Herr Fizpatrick, theils irgend ein in diesen Gegenden kommandirender Offizier der Armee der Vereinigten Staaten ausgestellt, und die sie sich sehr beeilten, uns vorzulegen. Diese Zeugnisse - Legitimationen der einheimischen Fürsten gegen den durchreisenden Fremden - stellen in der That eine wunderliche Umkehrung des Paßwesens der alten Welt dar und find zugleich die einzigen Pässe, welche im Gebiete der Vereinigten Staaten vor kommen. Der Wortlaut ist in der That oftmals von komischem Effekte. Man nehme z. B. an, er heiße wie folgt: „Inhaber dieses ist der Rothe Aermel, ein berühmter Häuptling der Apachen, welcher in Freundschaft mit den Weißen lebt. Reisende werden wohlthun, ihm Achtung und Wohlwollen zu erweisen, indessen dabei immer auf ihrer Hut zu sein.“ Und darunter die Visa durchreisender Handelsleute: Der Rothe Aermel hat unser Lager besucht und sich mit seinen Begleitern anständig betragen" sowie weiter:,,Traut dem Kerle nicht, er ist ein verdammter Indianer". Wenn eine solche Legiti= mation mit der stummen Gravität vorgelegt wird, deren nur ein Indianer fähig ist, muß man seine Gesichtszüge beherrschen können, wie ein Indianer, um nicht den Humor der Sache zu verrathen, eine Unvorsichtigkeit, die unangenehme Folgen haben könnte.

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Was unseren damaligen Verkehr mit den Comanchen betrifft, so erschienen in unserem Lager, außer einer Menge geringen Volkes, die Häuptlinge To-ho-pe-te-ca-ne, oder das,, Weiße 3elt", und Wayya-ba-tosh-a, oder der Weiße Adler." Die beiden Namen, sowie ihre Uebersehungen, sind den Legitimationspapieren entnommen, welche von diesen ausgezeichneten Personagen uns vorgelegt wurden. Nach ihnen trat ein älterer Mann auf, der sich eben so sehr durch seine würdige Haltung, wie durch seine einfache Kleidung, auszeichnete. Diese bestand in nichts als in einer blauen wollenen Decke, in die sein Körper gehüllt war. Sein Haar war kurz abgeschnitten nach der Mode der Weißen, und es war an dem ganzen Manne keine Verzierung irgend einer Art wahrzunehmen. Er erschien in Begleitung

*) Vgl. Nr. 44 des,, Magazin".

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eines gefangenen Mexikaners, der ihm als Dolmetscher diente, und der uns in Kenntniß seßte, daß es der große Häuptling Och-ách -tzomo°) sei, welcher uns besuche, und welcher in dieser einfachen Tracht und mit geschorenem Haupte erscheine, weil er den Tod seines von den Pawnees gemordeten Sohnes betraure, für den er noch keine Blutrache habe nehmen können. Die beiden vorher erwähnten jüngeren Männer dagegen waren vor uns im vollem Schmucke comanchischer Kriegshelden erschienen, in Leder gekleidet, mit reich verzierten Mocassins, im Gesichte mit Zinnober bemalt, auf dem Kopfe mit Adlerfedern geschmückt, der dicke und lang über den Rücken hinabhängende Zopf mit abwärts immer kleiner werdenden filbernen Scheiben belastet, die, im Nacken mit der Größe einer mäßigen Untertaffe beginnend, an der Spiße des Zopfes mit der Größe eines halben Thalers endigten. Diese filbernen Scheiben werden in Mexiko eigens für die Comanchen verfertigt und bilden einen namhaften Artikel in dem Handel mit diesen Barbaren, welcher am Presidio del Norte, zu San Carlos und am Presidio del Rio Grande betrieben wird. Zulegt kam ein alter Mann in unser Lager, welcher über die ledernen Unterkleider des Indianers den hellblauen Flausrock eines Nord-Amerikaners aus dem Westen trug. Auf den Rock waren zwei goldene Epaulettes befestigt, die eine derselben mitten auf der Bruft, die andere auf dem Rücken mitten zwischen den Schultern hängend, womit der alte Comanchenfürst denn nichts Geringeres war unser Gaft einen originellen Geschmack beurkundete. Seine indianische Durchlaucht waren übrigens nicht zu stolz, sich, gleich den übrigen Edlen des Volkes, gegen uns durch seine Papiere zu legitimiren, auf welchen von der Hand des Kommandanten eines benachbarten Forts, zu lesen stand, daß der Inhaber (sein Name ist mir leider entfallen) vormals einer der gefähr lichsten und grausamsten Feinde der Weißen gewesen sei neuerdings aber seine Gesinnung geändert habe und wegen feiner Macht unter den Comanche-Stämmen mit der größten Aufmerksamkeit, zugleich aber auch mit aller Vorsicht behandelt zu werden verdiene. Mit großer Formalität schüttelte der Mann denen, welche er für die Vornehmsten unter uns hielt, die Hand und versicherte uns seiner Freundschaft. Wir rauchten mit ihm nnd bewirtheten ihn mit Kaffee, wie wir es mit den Anderen gethan hatten. Das Geficht dieses Mannes war scharf markirt, die Stirn von tiefen Falten durchfurcht, die Nase groß und gebogen, und über das rothbraune Gesicht hing in Schwänzen das straffe Haar, zwischen welchem das charakteristische, keinen Gedanken verrathende indianische Auge hindurchfah. Er hatte eine Frau bei sich, eine ziemlich bejahrte, dicke Person, deren Gesicht die Spuren einiger Schönheit und den Typus der besseren mexikanischen Familien zeigte. Wahrscheinlich war die Frau in ihrer Kindheit einer solchen Familie geraubt worden. Sie stieg nicht von ihrem Pferde ab, auf welchem sie schrittlings saß wie alle indianischen Frauen; auch mischte sie sich auf keine Weise in unser Gespräch mit dem alten Häuptlinge. Einige junge Weiber des niederen Volkes dagegen, und darunter eine, die recht hübsch war, verkehrten lebhaft mit unseren Fuhrleuten und suchten ihre Handelsgeschäfte durch Koketterie und ihre Koketterie durch Handelsgeschäfte gewinnbringend zu machen.

Unter der Menge waren viele aus Mexiko geraubte Knaben und Mädchen, welche im Ganzen nicht schlecht behandelt zu werden schienen. Ein blonder und blauäugiger Junge mit lichter Gesichtsfarbe und breitem Kopfe konnte unmöglich anderswoher als aus einer deutschen Ansiedlung in Westteras stammen. Auf eine deutsche Anrede antwortete er indessen nicht. Ein anderer erzählte uns auf spanisch, daß er mit seiner Schwester vor einigen Jahren aus Mexiko entführt worden sei, und daß sein Geschäft in der Gefangenschaft darin bestehe, die Pferde seines Herrn zu weiden.

Am Abend vor Dunkelheit zeigte Och-ách-tzo-mo seine Autori tät, indem er dem uns besuchenden Volke Befehl gab, unser Lager zu verlassen und sich nach Hause zu begeben. Gegen Einige, die nicht fogleich gehorchten, machte er von seiner Pferdepeitsche Gebrauch. Bald war unser Lager geräumt, und wir konnten endlich die lang gewünschte Ruhe genießen.

Mannigfaltiges.

Revue Germanique.") Die zweite Lieferung dieser Zeit schrift beginnt mit einem sehr gründlichen Artikel aus der Feder des Herrn Edélestand du Méril über,,Ferdinand Wolf und die spanische Romanzen-Poesie". Es ist dabei hauptsächlich auch auf das in unferem,,Magazin" angezeigte Werk Ferdinand Wolf's: „, Primavera y flor de romances", ***) Bezug genommen. Ein zweiter Auffag be

*) Dieser Name ist nach dem Gehöre wiedergegeben und nach deutscher Aussprache zu lesen. **) Deuxième Livraison. Paris, A. Franck, 1858. *) Berlin, A. Asher & Comp., 1856.

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spricht den von H. Dünger und F. G. von Herder herausgegebenen ,,Briefwechsel Herder's mit seiner Braut, mit Goethe, Klopstock, Jean Paul, Lavater, Jacobi x."*) Von dem „Fechter von Ravenna", dessen drei erste Akte im Januar-Hefte der Revue mitgetheilt wurden, befinden sich in dem vorliegenden Hefte die beiden leßten Afte. Einen recht anziehenden Artikel bildet eine Anzeige des Buches von Dscar Dolch, über das deutsche Studententhum, "") das auf diese Weise den Franzosen früher durch eine ausführliche Rezension bekannt wird, als, soviel wir wissen, dem deutschen Publikum. Ein zweiter Artikel über Theodor Mommsen's Römische Geschichte“ geht auf die neuen Resultate dieses Werkes auf das gründlichste ein. Endlich bildet eine Dorfgeschichte von Gottfried Keller, dem Verfasser des ,,Grünen Heinrich",,,Romeo und Julia auf dem Lande", den Schluß der größeren Abhandlungen dieses, nicht minder als das erste, reichhaltigen Heftes. Kleinere Bücher-Anzeigen, ein aus Berlin datirter ,,Literarisch-wissenschaftlicher Courier" (hauptsächlich von dem Einzuge des Prinzen Friedrich Wilhelm und seiner Gemahlin handelnd), ein Nekrolog von Friedrich Creuzer und eine von der Pariser Buchhandlung A. Franck redigirte französische und ausländische Bibliographie reihen sich dem Ganzen an, das sowohl in Frankreich als in Deutschland die Beachtung des Journale lesenden und Bücher kanfenden Publikums verdient.

Depeschen der Mailändischen Gesandten. Gleichwie seit einiger Zeit die Archive von Venedig von den Historikern ausgebeutet worden, um nach den dort ruhenden Berichten der venezianifchen Gesandten einzelne Ereignisse der Geschichte von einem neuen Gesichtspunkte darzustellen, so hat man jezt auch angefangen, die im Archive von San Fedele in Mailand befindlichen Depeschen der herzoglich mailändischen Gesandten zu publiziren. **) Wie man aus dem untenstehenden Titel des Werkes ersieht, beziehen sich diese an den Herzog Galeazzo Sforza gerichteten Depeschen auf die Feldzüge Karl's des Kühnen. Sie reichen in diesem Bande vom April 1474 bis zum April 1476, in welchem lehteren Jahre Galeazzo, der die Fäden der damaligen europäischen Politik geleitet hatte, ermordet ward.

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Geschichte der Leibeigenschaft in Polen. Ein junger und talentvoller polnischer Schriftsteller, Fürst Lubomirski, hat in der Biblioteka Warszawska einen Auffah über die ackerbauende Bevölkerung Polens im funfzehnten und sechzehnten Jahrhundert" veröffentlicht, der als Einleitung zu einer vollständigen Geschichte des polnischen Bauernstandes dienen soll. Der Verfasser ist schon seit mehreren Jahren mit dieser Arbeit beschäftigt, zu der er die Materialien in den Archiven seines Vaterlandes gesammelt hat. Er zeigt, wie sich die polnischen Bauern einst in einem anderen, befferen Zustande befanden, als der, in welchen sie allmählich durch die rohe Gewalt eines tyrannischen Adels versezt wurden. Ehe man ihnen verbot, die Schulen zu besuchen und höhere Aemter zu bekleiden, war aus ihrer Mitte mehr als ein Gelehrter und würdiger Diener des Staates und der Kirche hervorgegangen. Im funfzehnten Jahrhun dert theilte sich die ländliche Bevölkerung in Freie und Unfreie; die Ersteren waren Eigenthümer des Landes, das sie bebauten, Leßtere waren „an die Scholle befestigt" (przytwierdzeni) oder Leibeigene. Auch diese genossen indeß ein bestimmtes Maaß der Freiheit, das aber Beiden nach und nach verkümmert wurde, bis sie Alle zum gleichen Niveau der Sklaverei herabsanken. Eine Zeitlang fand der Bauernstand an den Königen eine Schuhwehr gegen die Willkür des Adels; als jedoch leßterer die Oberhand gewann und die polnische Monarchie sich in eine oligarchische Republik verwandelte, wurden alle Staatslasten dem Bauer aufgebürdet; man nahm ihm das Besißrecht, die Freizügigkeit, selbst die persönliche Freiheit und quälte ihn zu Tode mit unerschwinglichen Frohnen. „Das Volk hüllte sich in Trauer; auf der Brust eines Jeden wurden die Worte eingegraben, die sich für alle Unterdrückte eignen: „,Tristis usque ad mortem". Außer dieser Schrift des Fürsten Lubomirski hat auch ein anderer polnischer Edelmann, der Graf Uruski, Adelsmarschall von Warschau, Studien über die bäuerlichen Verhältnisse seines Vaterlandes publizirt, die sich gleichfalls durch freifinnige Anschauungen auszeichnen.

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Wöchentlich erscheinen & Nummern. Breis jährlich 8 Zǝlr. 10 gr., talbjährlich 1 Tblr. 20 gr. und viertelji hrlich 25 Sgr., wofür bas Blatt im Inlande pertefrei und in Berlin frei ins Haus geli:fert wird.

No 47.

für die

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Literatur des Auslandes.

England.

Berlin, Dienstag den 20. April.

Korrespondenz-Berichte aus London.

Schottische und englische Philosophen im Gegensaße zur Philosophie der Deutschen.

Unlängst fam mir plöglich unter eleganten Einbänden neuer Damen-Romane, illustrirter Reisewerke und neuer Auflagen alter Literatur-Herrlichkeit ein neues zehnbändiges Werk vor die Augen, welches nichts als englische oder vielmehr schottische Philosophie enthält. Daneben noch neue Bücher über rationelle Philosophie, über Schönheit, über die Philosophie des politischen Fortschrittes, mit dem Zufaße, daß er nicht demokratisch zu sein brauche, philosophisch ausfehende Bücher über Kunst und Natur u. dergl., so daß ich ordentlich schamroth ward über meine früheren leichtsinnig hingeworfenen Behauptungen, daß die Engländer keine Philosophen hätten und keine Philosophen seien. Sollte ich nicht einmal etwas von einem Hume, einem Locke, Bacon, Hobbes, Berkeley, Spencer, Mill u. f. w. gehört haben? gewiß, und die Deutschen sind neuerdings außerdem ganz speziell wieder durch Kuno Fischer auf Bacon aufmerksam gemacht worden, durch Kuno Fischer, der seinen Helden von den antithetisch gemachten Vorwürfen Macaulay's zu reinigen suchte, daß er weder ein fliegender Engel, noch eine kriechende Schlange, sondern ein ganz mit sich und seinen Thaten einiger großer Philosoph gewesen.

Das waren englische Philosophen, welche von den Schotten für sehr kleine Lichter gehalten werden gegen ihren Dugald Stewart allein, abgesehen von ihren neuen Heroen des Gedankens, Hamilton, Frazer, Lorimer u. s. w. Wie steht es damit? Sind die Schotten größer oder die Engländer als Philosophen? Ich habe mir jegt ein mal die Sache wieder bei Lichte angesehen und gefunden, daß die Engländer ebensowenig je einen Philosophen gehabt haben, als die Schotten, und jezt von der Wiffenschaft des reinen Denkens vielleicht weniger eine Ahnung haben, als je.

Ohne uns auf den philosophischen Begriff der Philosophie einzulassen, bemerken wir nur, daß wir seit Kant durch eine Reihe wirklicher Philosophen hindurch im Allgemeinen beinahe instinktmäßig so viel von Philosophie verstehen gelernt haben, um gegen die Vorstellung geschüßt zu sein, daß die Philosophie über gegebene praktische Dinge nachdenke. Sie ist die Bewegung des reinen Gedankens, die Dialektik und Chemie des Denkens selbst, Metaphysik und Logik, die nichts vorausseßt und nichts anerkennt, was nicht aus ihrer eigenen Urtheils-, Schluß- und dialektischen Bewegung als nothwendig hervor geht. Es ist jezt sehr Mode, über diese absolute Philosophie zu spotten. Das schadet uns hier nichts. Sie ist so da in deutscher Literatur, in vielen, dickbestaubten Oktavbänden, die Niemand mehr liest und über die jeder junge Apotheker, Chemiker, Physiker, Privatdocent der Naturwissenschaften, ja, jeder Tertianer auf einer Realschule, mit souverainer Verachtung spottet. Aber diese staubigen Oktavbände haben ihrer Zeit die Welt bewegt und erschüttert, mehr als die praktische Philosophie der französischen Revolutionen. Unsere Väter und Großväter machten die große französische Revolution mit dem Kantschen kategorischen Imperativ gründlicher durch, als die Franzosen. Das Fichtesche stolze, in sich selbst souveraine „Ich" schlug den Napoleon aus Deutschland heraus, und dem Hegel werden die großartig ften literarischen und politischen Thaten seit 1830 Schuld gegeben oder als Verdienst angerechnet.

Die Deutschen und nur die Deutschen haben die Wissenschaft der Philosophie geschaffen und nicht blos in ihren öffentlichen Bibliotheken ftehen, sondern auch lebendig in ihren Gliedern. Der größte schotti sche (und nach den Schotten auch größte englische und größte der Welt) Philosoph haßte die Deutschen und ihre Philosophen grimmig, weil sie sich nicht an Gegebenes halten wollten, sondern an der Souverainetät und Selbstgewißheit des Denkens und Begreifens arbeiteten. Was würde er erst gewüthet haben, hätte er die Früchte dieser Arbeit, die Hegelsche Metaphysik und Phänomenologie, erlebt? Die ganze schottische Philosophie ist eine Verkeherung des Denkens, ihre Metaphysik ein brutaler Zank gegen Alles, was über den,,ge=

1858.

funden Menschenverstand", den blödsinnigen,, common sense ", und die Physik hinausliegt. So ist es geblieben. Daher ist es gekommen, daß man in ganz Großbritannien die Mechaniker, welche Hebel und Schrau ben, Barometer und Thermometer, kurz, physikalische und mathematische Instrumente machen, philosophische Instrumentenmacher nennt, und Männer, welche über Marktpreise, Aus- und Einfuhr Vorträge halten, mathematische und physikalische Instrumente gebrauchen und erklären, Philosophen. In Schottland ist es in dieser Beziehung barbarischer, vandalischer als irgendwo. In Schottland nennt man und bezahlt man die als Philosophen, welche aus der Bibel zu beweisen suchen, daß man Sonntags nicht rauchen, nicht Klavier spielen, seine Frau nicht küssen dürfe, in Schottland denunzirt man das Vorhaben der Universitäts-Behörden, den Lehrstuhl der „Moral-Philosophie“ und „politischen Oekonomie", die Professur der Tugend und der Schweinezucht, in zwei zu verwandeln und dem ersteren die Lehren über kirchliches Denken, dem legteren die verschiedenen Eigenschaften der Stallfütterung und vortheilhafter Kapitals-Anlagen zu überweisen, als Kezerci, als revolutionaire Neuerung, wodurch die Philosophie ihren Halt verliere. Selbst die aufgeklärte Times läßt sich darüber schreiben, daß durch diese Trennung die Moral-Philosophie ihren Boden im praktischen Leben verlieren und eine blos intellektuelle Exercitation werden würde. Und was ist ihnen Moral ohne praktischen Profit? Was Intelligenz ohne Gold oder Banknoten? Derselbe schottische Weise denunzirt in der Times als ein anderes übles Omen für die schottische Philosophie, daß sie in Gefahr sei, sich zu verlieren, weil sie sich von der Geschichte mehr und mehr trenne, da Geschichte und überhaupt praktisch und faktisch Gegebenes unbedingt nothwendig sei, wenn sich die Philosophie und Metaphysik nicht in reines" Gedankenwerk verlieren solle. So denunzirt ein Philosoph über die Philosophie, sie verliert sich, wenn sie sich befreit und zu sich selbst kommt.

Ein größerer Humorismus gegen die Philosophie ist kaum möglich. Wenn A gleich B und B gleich C ist, müssen sich auch A und C gleich sein. Das ist nach schottischer Philosophie verlorene Philosophie ohne historische und praktische Grundlage. Ja, wenn bei dieser Formel des einfachen Urtheils und Schluffes nur einige Prozent Profit herauskämen und A und C. etwas Diskonto abwürfen, statt gleich zu sein, ließe sich der Schotte solche Abstraction wohl gefallen, aber die bloße logische Bewegung - was hat er davon?

Das ist zugleich in einfachster Form der Schlüssel zu den zehn Bänden des jezt in neuer Auflage erschienenen größten schottischen Philosophen Dugald Stewart') und zu seiner Verachtung der deutschen Philofophie, die er oberflächlich, unsinnig, mystisch, transscendent, stupide nennt und immer und immer wieder als Narrenspossen verhöhnt, ohne sich jemals auf einen Beweis einzulaffen, so daß die jeßigen deutschen Berserker gegen die deutsche Philosophie, wie z. B. der sonst so liebenswürdige Schleiden, aus ihm neue Wendungen holen können.

Die schottische Philosophie ist ein trockener, oberflächlicher Rationalismus, gegen welchen der weiland Wegscheidersche ein Gott ist, ein Krieg des kahlsten sogenannten „gesunden Menschenverstandes“, des ,, common sense", der auf fetten Kohl, fette Schweine und gespickte Börsen spekulirt, gegen die Vernunft, gegen alle Metaphysik, gegen die in der Tiefe waltenden Goethe-Fauftschen „,Götter", gegen diese tiefgehenden Senkbleie, die nach Feuerbach erst an langen dialektischen Ketten auf den Grund der Wahrheit führen und sie an Flaschenzügen der Logik und kombinirter Schlüsse an das Tageslicht emporheben. Hume hatte sich und den Engländern mit seinem Skeptizismus ein Zeugniß der Impotenz ausgestellt. Gewiffe dumme Säße des „gesunden Menschenverstandes" als unantastbare Wahrheiten, als Grund hinwerfend, baute er darauf eine Faselei von sogenannter Philosophie, wonach der Gedanke felbst eine Illusion, die Gottesidee eine unbeweisbare Annahme sei, daß wir zu keiner Kenntniß von irgend einer Ursache gelangen könnten und die sogenannte objektive Welt

*),,The Collected Works of Dugald Stewart". Edited by Sir William Hamilton, Bart., with a memoir of the author, by John Veitch. 10 vols. Edinburgh: T. Constable & Co.

um uns ein bloßes Gewebe von Schein und Einbildung fei. Ja, wir haben nach ihm keinen einzigen stichhaltigen Beweis, daß wir mit uns selbst identisch seien. Ganz wie,,Nante Strump", der nicht wußte, ob er bei der Taufe erfroren sei, oder sein Bruder.

Diese Philosophie Hume's nahmen die Engländer und Schotten für eine ausgemachte Sache und bauten nun auf diese Autorität hin die Philosophie des gesunden Menschenverstandes auf. Da wir, fagten sie, nach Hume nichts Metaphysisches wiffen können, wollen wir uns auf das Physische, auf Baarschaft und Profit beschränken. Wir geben zu, daß Religion nothwendig sei, daß sie uns Autorität sein müsse. Außerdem nehmen wir das Gewissen als Autorität an, aber nicht das Wissen. Wir haben freien Willen, unsere Seele hat verschiedene Kräfte". Diese sind folgende: Mit der einen machen. wir dies, mit der anderen jenes, just wie der Schuster verschiedene Pfriemen und Instrumente braucht, um Stiefel zu machen.

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Die Seele kann mit diesen ihren bestimmten Werkzeugen Dieses thun, Jenes nicht. Sie hat ihr bestimmtes Geschäft; was drüber ist, gehört nicht dazu und muß anderswo fir und fertig gekauft oder fabrizirt werden, z. B. von der Religion oder meist vom common. sense. Das ist ganz spezifisch Englisch. Wenn man in einer Werkstatt etwas Nichtalltägliches haben will, antworten sie ganz mechanisch: ,,'tis not in our line", geh' wo anders hin. Jeder hat seine bestimmte dünne Leine von Geschäft. Der Eine macht blos Stühle, der Andere Tische.

Diese Raisonnements über die verschiedenen Kräfte und Geschäfte der Seele, über Unterstüßung derselben von Religion und dem common sense sind der Geschäftskreis der schottischen Philosophie. Daß es Zeiten giebt, wo der gesunde Menschenverstand der ganzen Welt Unrecht hat und nur ein Einziger mit einer neuen Idee, welche später die Welt bewegt, Recht, daß in der Geschichte (die sie zum Führer des blödsinnigen Kindes Philosophie machen) alle großen Epochen so anfingen und die geschichtliche Entwickelung der Menschheit nur durch Krieg und Sieg eines großen Gedankens gegen den "ge= sunden Menschenverstand" der Maffen verwirklicht ward und wird, davon wissen sie nichts bei aller ihrer Geschichtsweisheit. Daß der engli sche und schottische common sense den Stolz und Ruhm Englands, die Quelle seiner nationalen Größe und seines Welthandels, Jahre lang unbarmherzig und unerbittlich verhöhnte, so daß dem ersten schottischen Erbauer eines Dampfschiffes nichts übrig blieb, als es im Winkel eines schottischen Flusses verfaulen zu lassen, nachdem er vor den Augen dieses gepriesenen praktischen common sense, der nicht einmal etwas von der Baconschen,,interpretatione naturae, sive de regno hominis" der erfinderischen Naturwissenschaft für den Zweck, daß der Mensch dadurch sie beherrschen und ausbeuten lerne, soviel kapirt hatte, nachdem er vor den Augen dieses common sense wirklich und wahrhaftig gefahren und so die ungeheure Erfindung praktisch demonstrirt hatte.

Erst ein Amerikaner mußte herüberkommen, um sich die vom common sense niedergehöhnte Erfindung anzusehen und dann zuhause nachzumachen. Auch der gesunde Menschenverstand Amerika's stand hunderttausendköpfig mit frechem Hohn in den stupiden Gesichtern am Ufer, als Fulton am 9. November 1811 das erste Dampfschiff probiren wollte, um mit wildem Siegesgeschrei dem gefunden Menschenverstande diesen Erfinder und feine Erfindung zu schlachten. Aber das Schiff ging, und die Amerikaner waren diesmal plöglich so vernünftig, ihren gesunden Menschenverstand fallen zu lassen und der neuen Dampffraft auf dem Waffer zu huldigen. Die Engländer mit mehr,, common sense", dem obersten Richter ihrer Philosophie, hatten dies nicht gekonnt. Nach solchen und tausenderlei anderen Blamagen ihres common sense, der nicht einmal die handgreiflichste, äußerlichste, auf ihren speziellen, praktischen Vortheil mit der Nase drückende Erfindung zu fapiren und anzuerkennen im Stande war, sollte man meinen, daß sie etwas zur Vernunft gekommen wären. Aber er herrscht in ungeschwächter Autorität über alles Noble, Selbständige, Erhabene, Vernünftige, Tiefe und Schöne. Die Götter" aber wissen das recht gut und lassen deshalb jede Pallas Athene eines neuen, weltbewegenden Gedankens geharnischt und gewaffnet gegen den gefunden Menschenverstand der bestehenden Welt aus dem Jupiter-Haupte jedes großen Mannes, Erfinders und Schöpfers springen. Das hilft freilich in England und Schottland auch nicht. Unter einer solchen Herrschaft des common sense wachsen keine Jupiter-Häupter mehr als Mutter schöße großer Erfindungen und schöpferischer Gedanken. Die engli schen Erfindungen, selbst auf dem gemeinen praktischen Gebiete, sind seit vielen Jahren zunehmend größtentheils ausländische, besonders deutsche, gewesen. Der gesunde Menschenverstand gab ihnen größtentheils Pfiffigkeit genug, sich die Erfindungen zu kaufen, als englische patentiren zu lassen und den Erfinder irgendwie bei Seite zu werfen. Dieser gesunde Menschenverstand, auch als nationaler „, common sense" thätig, scheint neuerdings so weit zu gehen, daß er aus blinder, brutaler Geldgier Erfinder und Erfindungen in der Wiege umbringt. Man spekulirt so: Wenn der Erfinder, dem man Anfangs einen Ge

winn- Antheil, ein Drittel bis ein Achtel zugestehen mußte, bei Seite geschafft wird, gewinnen wir ja auch das Drittel, das Achtel. Das ist die praktisch angewandte interpretatio naturae Bacon's oder ,, regnum hominis", nicht die Wissenschaft um ihrer selbst willen, deren Nußen" dann sich von selbst einstellen würde, sondern regni causa, um Geld zu machen das ist Bacon als fliegender Engel und praktisch kriechende Schlange nicht in Antithese, sondern in Einer Person. Sie schaffen den Erfinder bei Seite und die nicht verstandene Erfindung verfault. Der Hund mit dem Stück Fleisch im Maule will, im Flusse schwimmend, auch das Spiegelbild dieses Stückes haben, schnappt danach und verliert mit seinem kalkulirenden gefunden Menschenverstande auch den schon geschnappten Bissen. (Schluß folgt.)

Zur Geschichte der Schiffbrüche.

Eine Geschichte der verloren gegangenen Post-Dampfschiffe würde nicht ohne Interesse sein und an spannenden Episoden die See-Romane Marryat's und Sue's bei weitem übertreffen. Während der lezten zwölf Jahre sind nicht weniger als zwanzig große Post-Dampfer verunglückt. Sieben von diesen gingen in dem nördlichen Atlantischen Ocean zu Grunde, drei im merikanischen Meerbusen, drei in den chinesischen und indischen Meeren, einer in der Bai von Biskaja und drei an der portugiesischen und spanischen Küste. Der Werth der im nördlichen Atlantischen Meere gescheiterten Post-Dampfer wird, mit Inbegriff der Ladungen, auf zwei Millionen Pfund Sterling geschäßt. Seit dem Jahre 1853 hatte man durch Schiffbrüche von KüftenPost-Dampfern der Vereinigten Staaten den Verlust von zweitausend Menschenleben und zehn Millionen Dollars an Eigenthum zu beklagen. Von den Ocean-Post-Dampfschiffen, die in den letzten zwölf Jahren verunglückten, sind drei gänzlich verschollen, und bis auf den heutigen Tag ist ihr Schicksal völlig unbekannt geblieben. Eines gerieth während der Fahrt in Brand, und von den am Bord befindlichen Personen kamen viele in den Flammen um; ein anderes wurde im chinesischen Meere von einem in gleicher Richtung segelnden PacketSchiffe in den Grund gebohrt. Zu den traurigsten Fällen dieser Art gehören der Brand der „Amazon“ und das Scheitern des „Tweed" auf den Alacranen. Der Ingenieur der,,Amazon" konnte den Dampf nicht ablassen, und das brennende Schiff durchschnitt in rasender Eile die Wogen, während die in den Böten Entkommenden von dem Ge. räusch der Schaufelräder und dem Heulen des Windes, dem Geknister der Flammen und dem Hülfsgeschrei der Ertrinkenden betäubt wur den. Beim Schiffbruch des ,,Tweed" wurden viele Unglückliche eine Beute der Haie, als sie sich von dem versinkenden Fahrzeuge in die Wellen stürzten. Zu Anfang vorigen Jahres scheiterte ein PostDampfer im indischen Meere, auf welchem sich ein englischer Offizier und seine Truppen befanden, die aus dem persischen Kriege zurückkehrten. Es gelang ihnen, sich zu retten, und als sie ans Land fticgen, warf der Offizier, von den Soldaten gefolgt, sich auf die Krice, um dem Himmel für die ihnen bewiesene Gnade zu danken. Dieser Offizier war der General Havelock.

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Erst vor kurzem ist die Nachricht von dem Verunglücken des Post-Dampfers Ava“ in der Bai von Bengalen eingetroffen, auf dem sich die Frauen und Kinder eingeschifft hatten, die soeben in Lucknow einem furchtbaren Tode entgangen waren und deren Leiden und Gefahren, wie es scheint, auch unter dem Schuß der britischen Flagge nicht enden sollten. In dem President" kamen der bekannte irische Komiker Power und ein Sohn des Herzogs von Richmond um's Leben. Eliot Warburton, Verfasser des „, Crescent and Cross", Der eben im Begriff stand, seine graphische Feder in die prachtvollen Farben der central-amerikanischen Landschaften zu tauchen, ging mit der „Amazon“ unter. Am Bord des „Arctic“ bot ein reicher Passagie demjenigen, der ihm das Leben retten würde, eine Belohnung vor 30,000 Pfund Sterling, aber es vermochte Niemand, den Preis z gewinnen. gewinnen. Glücklicher war ein Passagier des brasilianischen Pof Dampfers, der im vorigen Jahre bei St. Albans Head strandete; eif Küstenwächter, dem er 500 Pfund Sterling versprach, wenn er is: wohlbehalten an's Land brächte, rettete ihn wirklich aus der Gefat. und erhielt sofort eine Anweisung für die genannte Summe. Post-Dampfschiff „Tay" strandete vor mehreren Jahren in Wenindien und wurde von dem Capitain und der Mannschaft im Stis gelassen; ein einziger Ingenieur blieb am Bord und brachte das Fahrzeug glücklich in den Hafen. Bald darauf ging es jedoch im merikanischen Meerbusen verloren. Bei manchen von diesen Schiffbrüchen waren die Leiden der Ueberlebenden furchtbar; es sind sogar Beispiele vorgekommen, daß sie, um ihr Leben zu fristen, die todten Körped ihrer Gefährten verzehren mußten.

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Die Peninsular- und Oriental- Dampfschifffahrts - Gesellschaft verlor sieben Jahre lang kein Schiff; dann aber verlor fie in zwölf Jahren sieben, und allein im legten dieser Jahre drei Schiffe. Au

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