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4. Die zeitliche und qualitative Harmonie zwischen Erweckungsursache und Traumschluss ist nur scheinbar, und beruht nur auf einem dann und wann eintretenden Zufall. Zu dieser Ansicht werden alle Rationalisten neigen, um dadurch der Hypothese eines transcendentalen Bewusstseins, also einer zweiten Person unseres Subjekts, zu entgehen. Dass aber diese rationalistische Ansicht unhaltbar ist, lehrt das Experiment, da die dramatischen Träume auch künstlich erweckt werden können, wobei jedesmal die Gleichzeitigkeit und Harmonie zwischen einem wirklichen Ereignis und einem geträumten zu Tage tritt.

Von diesen vier Annahmen ist also nur die dritte zulässig. Nur zwischen dieser also und der hier vertretenen Annahme eines transcendentalen Zeitmasses kann die Wahl zweifelhaft sein. Nun ergibt sich aber aus beiden Annahmen die gleiche Folgerung: Sowohl wenn der Psyche die Fähigkeit des Hellsehens zugesprochen wird, als die des Vorstellens ohne das physiologische Zeitmass, ergibt sich als Folgerung ein transcendentales Bewusstsein, d. h. eine zweite Person unseres Subjekts.

Wenn man also das ästhetisch-psychologische Problem der dramatischen Träume bis zu dem Punkte verfolgt, wo es in die Metaphysik einmündet, so erweisen sich diese Träume allerdings als eine der gesuchten Erscheinungsthatsachen, welche eine bessere philosophische Ausnützung, als die bisherige gestatten: Der Schleier, der über dem Menschenrätsel liegt, wird in diesem Phänomen immerhin einigermassen gelüftet. Unsere transcendentale Wesenshälfte fällt nicht in unser Bewusstsein, das Selbstbewusstsein erhellt nicht unser ganzes Ich; die Lehre vom Unbewussten erhält also eine neue Bestätigung; aber es zeigt sich zugleich, dass es ein Individuelles ist, kein allgemeines Metaphysisches. Wie der Mond nur die eine Hälfte seiner Kugel uns zukehrt, so auch unser Ich; aber wie der Mond durch seine Schwankung es den Astronomen ermöglicht, wenigstens die Randteile der anderen Hälfte zu beobachten, so gerät auch unser Ich bei gewissen Zuständen in Schwankungen, vermöge welcher unsere transcendentale Wesensseite zum Teil sichtbar wird. Freilich verarbeitet die transcenden

tale Erkenntnisweise im Traume nur phantastisches Material; wenn wir aber mit dem dabei geltenden Zeitmass vor die äussere Wirklichkeit gestellt wären, so würden wir jenem hypothetischen, von Ernst von Bär konstruierten Wesen gleichen; wir könnten das Gras wachsen sehen, und während Millionen von Ätherschwingungen zusammengehäuft werden müssen, um für uns ein Lichtstrahl zu werden, könnten wir vielleicht diese Schwingungen atomistisch vereinzelt verfolgen.

Kant hat gesagt, dass wir von einer Anschauung anderer denkender Wesen gar nicht urteilen können, ob sie an die nämlichen Bedingungen der Zeit und des Raumes gebunden seien, wie wir '); und Malebranche meint, dass es vielleicht Geschöpfe gibt, die in einer halben Stunde so viel zu denken vermöchten, als wir in tausend Jahren; der vorliegende Beitrag zur Lehre Kants von der Idealität der Zeit hat nun aber gezeigt, dass wir selbst zu dieser Art von Wesen gehören. Aber noch weitere Merkmale sind zum Vorschein gekommen, welche zur Definition des transcendentalen Menschen verwendet werden müssen: die Erinnerungskraft und die Phantasie haben sich als weit über ihre normale Fähigkeit gesteigert gezeigt.

Die Ausbeute aus dieser einen Erscheinungsthatsache ist dem-nach interessant genug, um uns begierig zu machen, auch noch aus verwandten Erscheinungen ergänzendes Material für die Definition des Menschen zu gewinnen. Dabei würde sich gar bald herausstellen, was schon aus dieser Untersuchung aufdämmert, dass die philosophischen Systeme unseres Jahrhunderts, wo sie das Kantische Ding-an-sich zu definieren meinten, oft nur das Ichan- sich definiert haben. Dieses transcendentale Wesen wird in den dramatischen Träumen bezüglich der Zeitform seines Erkennens charakterisiert; wir werden uns also umsehen müssen, ob nicht in ähnlichen Zuständen Erkenntnisstoff aus der Wirklichkeit dem transcendentalen Bewusstsein geboten wird und wie es sich diesem Stoffe gegenüber verhält.

Vorerst aber ist noch eine andere Aufgabe zu lösen. Wenn

1) Kant: Kritik d. r. Vernunft. Schluss der transcendentalen Ästhetik.

nämlich das menschliche Bewusstsein mit seinem physiologischen Zeitmass nur von relativer Geltung ist und, wie das Experiment lehrt, dieses Zeitmass an das organische Substrat gebunden ist; wenn ferner in den dramatischen Träumen thatsächlich ein anderes Zeitmass eintritt, so kann dieses letztere eben nicht mehr an das organische Substrat gebunden sein. Das physiologische Zeitmass liegt also nicht im Wesen des menschlichen Geistes, und da diesem eine von diesem Zeitmass, also vom organischen Substrat befreite Vorstellungsweise möglich ist, so folgt daraus, dass seine Verknüpfung mit dem organischen Leibe kein notwendiges Verhältnis ist.

So ergibt sich also aus der unscheinbaren Thatsache der dramatischen Träume die wichtige Folgerung eines transcendentalen Wesens in uns. Dass nun aber unser Ich über unser Selbstbewusstsein hinausragen sollte, das wir mehr sein sollten, als wir von uns selber wissen, dass ist eine paradoxe Anschauung, wovon sogar die blosse psychologische Möglichkeit von manchem bestritten werden dürfte. Es ist also zunächst diese psychologische Möglichkeit zu untersuchen. Dadurch werden wir noch mit einer zweiten Erfahrungsthatsache bekannt werden, welche in ihren Folgen eben so wichtig ist, als die dramatischen Träume, aber auch eben so unscheinbar in ihrem Aussehen. Nur vermöge der Unscheinbarkeit und Alltäglichkeit dieser Thatsache hat es sein können, dass dieselbe bisher philosophisch noch gar nicht ausgenützt wurde.

2. Die dramatische Spaltung des Ich im Traume.

a. Der Körper.

Wenn man die Träume nicht etwa als Inspirationen ansehen will, so bleibt nur die Erklärung übrig, dass wir selber die Dichter derselben sind. Die Phantastik und Schönheit derselben darf uns nicht abhalten, uns diese Fähigkeit zuzusprechen. In den Träumen finden wir uns aber in die Mitte dramatisch sich abwickelnder Begebenheiten gestellt; also kann jeder Traum als eine dramatische Spaltung des Ich bezeichnet werden, und wenn wir darin Dialoge zu führen glauben, so sind es im Grunde Monologe.

Mehr noch: Wir sind nicht nur Schauspieler und Zuschauer auf der Traumbühne, sondern in die Bühne selbst ist ein Teil unseres Wesens ergossen. Wie der Lyriker aus seinem eigenen Inneren die Tinte entnimmt, womit er die Natur übermalt man denke etwa an die Schilflieder von Lenau oder die Seelieder von Greif —, so auch der Träumer. Der Dichter produziert nur eine Illusion, das heisst er verändert nur einen bereits gegebenen Gegenstand; der Träumer aber, indem er die ganze Bühne aus sich heraus gestaltet, produziert eine Hallucination. Diese Traumbühne entspricht seiner Stimmung, mag nun dieselbe den Niederschlag des Tageslebens bilden oder spontan im Traum entstehen. Der Traum zaubert in wundervoller Angemessenheit an unsere Stimmungen Landschaften vor unser Auge, und jeder leise Stimmungston wird in feinster Weise symbolisiert, und zwar um so mehr, als unsere Gefühle im Schlafe ungehemmt sich ausleben, während sie im Wachen mehr oder minder niedergehalten werden.

Diese Aufhebung der Einheitlichkeit des Subjekts, diese Verlegung innerlicher Vorgänge nach aussen ist nun aber nur möglich, wenn sie vom Bewusstsein eben nicht als innerliche begriffen werden, weil dasselbe sie nicht erzeugt, sondern geliefert erhält. Auf das Verhältnis dieser Vorgänge zum Bewusstsein kommt es also an. Dieselben können nur von zweierlei Art sein, entweder körperlich oder geistig.

Von den körperlichen Veränderungen des Organismus stehen manche unter der Kontrolle des Bewusstseins; die vegetativen Prozesse dagegen, Herzschlag, Blutumlauf, Verdauung, Assimilierung und Ausscheidung der Stoffe, sind vom Bewusstsein unabhängig. Diese also, das heisst die von ihnen erweckten Empfindungen, werden im Traume nach aussen als Traumbilder verlegt. Wenn also die Spaltung des Subjekts in eine Mehrheit von Personen eintritt, so muss so weit leibliche Veränderungen des Organismus davon. die Ursache sind die Grenzlinie zwischen willkürlichen und unwillkürlichen Bewegungen zugleich die Bruchfläche dieser Spaltung sein. Im Schlafe fehlen zwar die willkürlichen Bewegungen, und es können nur unbewusste Reflexbewegungen auftreten; aber es scheint, dass wir den Massstab des Wachens in den Traum hinübernehmen.

Die geistigen Prozesse im Organismus betreffend lehrt die Physiologie, dass jeder Gedanke nur als fertiges Resultat ins Bewusstsein tritt, dass aber sein Entstehungsprozess im Unbewussten verläuft. Sie lehrt ferner, dass jede Empfindung, jedes Gefühl nur bei einer bestimmten Reizstärke bewusst wird, dagegen ohne diese Reizstärke unbewusst bleibt. Die Grenzlinie zwischen bewusstem und unbewusstem Denken und Fühlen heisst die psychophysische Schwelle; innere Vorgänge, welche wegen genügender Reizstärke diese Schwelle überschreiten, werden bewusst, die anderen bleiben im Dunkel. Wenn also im Traume die Spaltung des Subjekts in eine Mehrheit von Personen eintritt, so muss soweit psychische Veränderungen davon die Ursache sind die psychophysische Schwelle die Bruchfläche dieser Spaltung sein.

Daraus geht hervor, dass ohne eine solche psychophysische Schwelle, welche das Willkürliche und Bewusste vom Unwillkürlichen, Unbewussten trennt, eine dramatische Spaltung nicht möglich wäre; wo immer dagegen eine Spaltung eintritt, muss ein Bewusstsein und ein Unbewusstes vorhanden sein, und immer geschieht dann das Auseinanderfallen des Subjekts in eine Mehrheit von Personen nach der Bruchfläche der psychophysischen Schwelle.

Die dramatische Spaltung kommt manchmal schon im Wachen vor, wenn nämlich Hallucinationen aus dem Unbewussten heraus sich in das sinnliche Bewusstsein mengen. Im Traume, Somnambulismus und überhaupt in allen Zuständen der Ekstase tritt an Stelle des äusserlichen, sinnlichen Bewusstseins ein innerliches Erwachen und Bewusstsein, das aber, weil es nicht schrankenlos ist, ebenfalls an ein Unbewusstes grenzt. Die beiden bedingenden Faktoren der Spaltung, Bewusstsein und Unbewusstes, und die sie trennende psychophysische Schwelle sind demnach auch hier gegeben, trotzdem der Schlaf die Empfindungsschwelle des Wachens nicht beibehält, sondern sie verlegt. Erst die Einsicht, dass die Spaltung nach der Bruchfläche dieser Schwelle geschieht, macht uns die Traumzustände verständlich. Eine nähere Erörterung

dürfte aber um so mehr am Platze sein, als das Gebiet des unbewussten Seelenlebens vielfach mit abergläubischem Gestrüppe bewachsen ist, indem die Spaltung des Subjekts in eine Mehrheit

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