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Wissenszweigen heranziehen; aber lehrreicher ist es, wenn wir uns gleich der Philosophie zuwenden. Sie wollte die Welt erklären. Aber welche Welt? Die Welt, welche unsere Sinne uns offenbaren. Auch die Philosophie nahm also, wie die Astronomie, den Sinnenschein für Wirklichkeit. Man hielt es für eine von selbst verständliche Voraussetzung, dass unsere Vorstellungen mit den Dingen sich decken. Man glaubte, dass die ganze Welt, wie sie da draussen liegt, vermöge unserer Sinnesapparate in den Kopf hineinspaziere, und dort ihr Spiegelbild erzeuge. Durch Untersuchung der Objekte glaubte man also den „,Wahrheitskarpfen“ zu fangen. Als nun aber Kant, der selbst seine Entdeckung mit der des Kopernikus verglich, die ganze Voraussetzung dieses Strebens für einen Irrtum erklärte und darauf drang, vorerst das Subjekt und sein Erkenntnisorgan zu untersuchen, da war wiederum das Signal gegeben, die bisherige Flächenarbeit einzustellen und in die. Tiefe zu forschen.

Die moderne Entwicklungstheorie arbeitet nur im Sinne Kants, mag sie sich auch dessen noch wenig bewusst sein. Der biologische Prozess hob mit den einfachsten Organismen an und hat in dem kompliziertesten Menschenorganismus seine derzeitige Höhe erreicht. Ein Baum steht noch in sehr einfachen und wenig zahlreichen Beziehungen zur äusseren Natur; er reagiert auf Sonnenschein und Regen, Wind und Wetter und entfaltet sich demgemäss. Im Tierreiche haben sich diese Beziehungen zur umgebenden Aussenwelt beständig erweitert und vermehrt, und Hand in Hand mit der organischen geht die intellektuelle Entwicklung vor sich. Der Organisationssteigerung von der Auster bis zum Menschen geht die Bewusstseinssteigerung parallel. Und wäre selbst mit dem derzeitigen Menschen die höchstmögliche Anzahl der Beziehungen zur Natur in Hinsicht organischer Formbildung erreicht, so würde doch der Kreis dieser Beziehungen noch beständig erweitert werden im historischen Prozesse, durch die technischen Künste und theoretischen Wissenschaften. Die Steigerung des Bewusstseins würde also auch dann noch weiter gehen, wenn die organische Formentwicklung abgeschlossen wäre.

Vom Standpunkte eines jeden tierischen Organismus können

wir also die äussere Natur in zwei Hälften teilen, die um so ungleicher sind, je tiefer in der organischen Stufenleiter er steht. Die eine Hälfte begreift jenen Teil der Natur, für welchen die Sinnesapparate die Beziehungsmittel sind; die andere Hälfte ist für den betreffenden Organismus transcendental, d. h. er lebt in keiner Beziehung zu ihr. Die Grenzlinie zwischen diesen beiden Welthälften hat sich im biologischen Prozesse beständig in der gleichen Richtung vorgeschoben. Die Anzahl der Sinne hat sich vermehrt und die Leistungsfähigkeit derselben hat sich gesteigert. Indem nämlich die Sinne sich differenzierten und für immer schwächere Grade physischer Einwirkung empfänglich wurden, ist das, was Fechner die psychophysische Schwelle_nennt, beständig vorgeschoben worden. Einwirkungen unterhalb dieser Schwelle kommen nicht zum Bewusstsein. So bedeuten also die biologische Steigerung und Bewusstseinssteigerung eine beständige Grenzverschiebung zwischen Vorstellung und Wirklichkeit auf Kosten des transcendentalen Weltstückes und zu Gunsten des erkannten Weltstückes, So hat also Darwin bewiesen, dass es eine transcendentale Welt vom Standpunkte der Organismen beständig gegeben hat, und Kant hat dasselbe für den Menschen bewiesen durch seine Unterscheidung zwischen Ding an sich und Erscheinung.

Der extremste Gegensatz zu dieser Anschauung ist der Materialismus, daher denn auch sehr viel Unklarheit des Denkens / dazu gehört, die Entwicklungslehre als eine Stütze des Materialismus anzusehen. Der Materialist ist ganz befangen im Sinnenschein; er hält das Auge für einen blossen Spiegel der Erscheinungen. Wie die Welt draussen ist, so ist sie auch im Kopfe; in der Untersuchung der Objekte also findet sich die Lösung des Welträtsels. Von dem Probleme Kants hat er keine Ahnung; er gleicht einem Manne, der eine blaue Brille trägt und aus den Objekten die Bläue derselben erklären möchte. Ein Weltstück, zwischen welchem und unseren Sinnen keine Beziehung bestünde, existiert für ihn nicht. Der Materialismus geht von einer Voraussetzung aus, mit der er steht und fällt: dass nämlich alles Wirkliche sinnlich wahrnehmbar sei. Feuerbach sagt,,,dass nur das Objekt der Sinne oder das Sinnliche allein wahrhaft wirklich ist, und dass

daher Wahrheit, Wirklichkeit und Sinnlichkeit eines sind." Aber diese Voraussetzung, dass einer jeden Kraft in der Natur ein wahrnehmender Sinn entspreche, dass eben so viel Sinne als Kräfte seien, steht im Widerspruch mit der Thatsache, dass das Bewusstsein ein nachweisbar unfertiges Produkt biologischer Entwicklung ist. Die magnetischen und elektrischen Kräfte entziehen sich unserer sinnlichen Wahrnehmung und wären nicht zu konstatieren, wenn sie sich nicht in äquivalente Beträge von anderen Kräften verwandeln könnten, die zu unseren Sinnen reden. Die Welt ist ein ungelöstes Problem nur darum, weil Wahrnehmbarkeit und Wirklichkeit sich nicht decken. Wären sie identisch, so müssten wenige Jahrhunderte genügen, alle Wahrheit zu finden.

Der ganze biologische Prozess ist ein Protest gegen die Voraussetzung des Materialismus. Für jede Organisationsstufe giebt es ein transcendentales Weltstück von anderem Umfang. Der Materialismus sieht auch den Menschen als Entwicklungsprodukt an, ist aber so unlogisch zu behaupten, dass das Missverhältnis zwischen Wahrnehmbarkeit und Wirklichkeit, das im ganzen biologischen Prozesse bestand, für den Menschen nicht mehr bestehe. Für den Materialismus vermitteln die Sinne die Beziehungen zu allen äusseren Kräften der Natur, und wo die Beziehung fehlt, fehlt die Kraft. Dies ist aber eine petitio principii, die nur bewiesen werden könnte durch einen circulus vitiosus: Das Sinnliche allein ist wirklich; Übersinnliches kann es nicht geben, weil dieses sinnlich wahrnehmbar wäre.

Entgegen dieser Behauptung des Materialismus müssen wir also vielmehr sagen: Wie es Teile der Natur giebt, welche wegen mangelnder Beziehung zum Gesichtssinn uns unsichtbar bleibenz. B. die mikroskopische Welt so giebt es Teile der Natur, die für uns nicht vorhanden sind, wegen mangelnder Beziehungen zu unserem Gesamtorganismus. Die Feinheit der Natur"

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Baco von Verulam sagt
der Sinne und des Verstandes.")

wie

,,übersteigt vielfach die Feinheit

Die Behauptung, dass jeder wahre Fortschritt in der Erkenntnis

1) Baco: Novum Organon I. 10.

in die Tiefe führt, ist in den letzten Jahrzehnten glänzend bewiesen worden durch den Materialismus selbst, der, durch die Erscheinungen der Natur selbst immer weiter getrieben, sich genötigt sah, seine eigene Voraussetzung preiszugeben. In der physiologischen Theorie der Sinneswahrnehmung ist experimentell bewiesen worden, dass Wahrnehmbarkeit und Wirklichkeit sich nicht decken; es giebt Sonnenstrahlen, die wir nicht sehen, Luftschwingungen, die wir nicht hören u. s. w. In der theoretischen Physik aber sah man sich zur Aufstellung der Atomentheorie genötigt, so dass nun der Materialismus selbst, mit unsinnlichen Begriffen operierend, mitten in das Gebiet der Metaphysik hineingeraten ist, dessen Existenz er leugnete, indem er Wahrnehmbarkeit und Wirklichkeit für identisch erklärte. Während also der Materialismus meinte, die Wissenschaft so weit abgeschlossen zu haben, dass sie nur mehr peripherischer Erweiterung fähig wäre, steht er nun selbst vor dem Zwange, in centraler Vertiefung weiterzuarbeiten.

In der Geschichte der Wissenschaft hat es schon oft den Anschein gehabt, als hätte man den objektiven Horizont des Wissens wenigstens in Sicht, und als gälte es nunmehr bloss noch in der Flächenausdehnung bis zu diesem Horizonte vorzudringen. Das war aber noch jedesmal eine Illusion. In besonderem Grade wurde diese Illusion durch das Aufblühen der Naturwissenschaften erweckt, weil man nun auch die einzig richtige Forschungsmethode gefunden zu haben glaubte, die experimentelle, und in der That auf allen Gebieten der Natur ungeahnte Fortschritte sich ergaben. Aber noch hat die Naturwissenschaft ihr Ziel lange nicht erreicht, und schon zeigt es sich, dass nach Vollendung ihrer Aufgabe neue Ausblicke in der Richtung der Tiefe sich eröffnen werden. Die Naturwissenschaft hat es nun selbst bestätigt, dass wenn sie die vor unseren Augen liegende Welt erklärt haben wird, eben nur die vorgestellte Welt erklärt sein wird, ein sekundäres Phänomen, ein blosses Produkt unserer Sinnlichkeit und des Verstandes; damit muss sie aber zur Besinnung kommen, dass ihre allerdings grosse Aufgabe doch nur eine Vorarbeit des menschlichen Geistes ist, und dass sie in den Strom der Philosophie einmündet, um dann gemeinschaftlich mit dieser das Erkenntnisproblem zu lösen. Es

wird sich dann zeigen, dass nur eine vorübergehende Arbeitsteilung des menschlichen Geistes eingetreten war, und dass der bis zur Feindschaft gesteigerte Gegensatz zwischen Philosophie und Naturwissenschaft nur die Worte Bacos bestätigt:,,Die Menschen werden erst dann ihre Kräfte kennen lernen, wenn nicht unendlich viele dasselbe, sondern jeder etwas Besonderes vornehmen wird.") Wenn auf beiden Seiten die Spezialaufgaben geleistet sein werden, dann werden sich aus der Wiedervereinigung der getrennten Geistesrichtungen ungeahnte Vorteile ergeben, und zwar im Sinne der Vertiefung. Es wird sich dann weiter darum handeln, das Verhältnis zwischen der vorgestellten Welt und der wirklichen Welt, zwischen unserm Erkenntnisvermögen und den Dingen zu erklären. Gerade die Anlehnung an Kant, der dieses Problem stellte, ist schon jetzt in der Naturwissenschaft vorbereitet; sie schiebt dasselbe nicht mehr, wie früher, als Ausgeburt geistiger Selbstquälerei beiseite, sondern hat selber die Berechtigung desselben experimentell bewiesen. Sie steht selbst im Begriffe einzusehen, dass die Erklärung der empirischen Welt im Grunde nichts anderes ist, als eine Erklärung der Besonderheit des menschlichen Geistes. Bald also wird die Naturwissenschaft nicht mehr widersprechen, wenn man ihr mit Schopenhauer sagt: „Das Wesen an sich der Kräfte, und das Bedingtsein der objektiven Welt durch den Intellekt, woran sich auch noch die a priori gewisse Anfangslosigkeit sowohl der Kausalreihe, wie der Materie knüpft, benehmen der Physik alle Selbständigkeit, oder sie sind der Stengel, womit ihr Lotus. auf dem Boden der Metaphysik wurzelt."2)

Die vornehmsten Vertreter der Naturwissenschaft sind an diesem Punkte bereits angelangt, und gerade Kant ist es, bei dem sie Rat holen. Philosophie und Naturwissenschaft sind also von zwei verschiedenen Seiten gegen einen Punkt vorgedrungen, und wenn sie sich dort vereinigt haben werden, wird eine gesicherte Basis für die weitere Erforschung des Welträtsels hergestellt sein. Schon jetzt wissen wir im allgemeinen, dass wir nicht

1) Baco: Nov. Org. I. 113.

2) Schopenhauer: Parerga II. § 87.

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