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warf sie zum Fenster hinaus, brachte Gläser und Sessel hinweg, und stellte den Tisch, wie er vor ihrer Krankheit gestanden. Einen Stuhl, der damals vorhanden war, holte sie bei Nacht eine Treppe hoch, und sprang mit ihm ohne Licht pfeilschnell und ohne anzustossen in ihr Stübchen. Beim Erwachen sollte man ihr eine Haube geben und sagen, es seien ihr auf Anordnung des Arztes die Haare geschnitten worden. Sie legte sich darauf zu Bett und der Somnambulismus ging in gewöhnlichen Schlaf über, aus dem sie erwachte. Es war nur eine Person bei ihr geblieben, und sie äusserte ihre Zufriedenheit, dass die ihr vom Arzte angeratene Haube da sei. Am anderen Tag jedoch wurde sie wieder somnambul, weil auf der Strasse eine Vorübergehende sie einer anderen mit den Worten bezeichnete, es sei das die Jungfer St., die nun nicht mehr somnambul sei.1) Eine andere Kranke warnte davor, ihr den Krankenbericht ihres Arztes vor Ablauf eines Jahres zu lesen zu geben; sie würde davon betrübt werden und wieder in den vorigen Zustand kommen.2) Sogar der auch nach der Genesung teilweise noch bestehende Rapport der Somnambulen mit ihrem Arzte verlangt Berücksichtigung, wie das Beispiel jener Kranken beweist, die acht Tage nach der Genesung wieder somnambul wurde, weil nach ihrer Abreise der zurückgebliebene Arzt von ihrer Krankheit gesprochen.3)

Aus dieser notwendigen Trennung, in der die beiden Zustände gehalten werden müssen, ergibt sich von selbst, dass auch Somnambulen, die in der Krise mit ihren Ideen und Interessen des Tages beschäftigt werden, in ihrer Gesundheit oder wenigstens in der Entwicklung ihrer somnambulen Fähigkeiten geschädigt werden. Bei Somnambulen, die zu Heilverordnungen gegen pekuniäre Ablohnung von ihren Magnetiseuren gepriesen werden, muss diese Fähigkeit, auch wenn sie wirklich vorhanden war, allmählich versiegen, weil es die beiden Zustände vermischen und trüben heisst, wenn ein pekuniäres Interesse mit dem Somnambu

1) Kerner: Gesch. zweier Somnambulen. 293.

2) Archiv. V. 1. 42.

3) Archiv. VII. 2. 144.

du Prel, Philosophie der Mystik.

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lismus verknüpft wird, oder nach dem Erwachen der Lohn sie an den Somnambulismus erinnert. Es heisst eben auch hier, dass das Gute seinen Lohn in sich selber tragen muss. Puységur, der eine solche Somnambule behandelte, die mit Kranken in Rapport gesetzt Heilverordnungen erteilte, hatte demnach sicherlich Recht, wenn er es den Hilfe Suchenden zur Bedingung machte, dass niemals eine Entlohnung stattfinden, ja nicht einmal in blossen Worten gedankt werden durfte, weil diese Erinnerung an ihre somnambulen Zustände ihr Erstaunen und Missfallen erregen müssten. Die gänzliche Trennung der beiden Zustände ist die Hauptbedingung für die reine Entwicklung des Somnambulismus. Darum empfiehlt Puységur, auch bei Somnambulen, die sich selbst verordnen, die Quelle dieser Verordnungen zu verheimlichen. Man kann ein denkendes Wesen, das weder anatomische noch physiologische Kenntnisse besitzt, nicht wohl überzeugen, das es gut daran thun würde, seinen eigenen im Schlaf erteilten Verordnungen nachzukommen, da es ja eben jene Kenntnisse für unentbehrlich halten muss, wenn ihm nicht die Entwicklung seines inneren Heilinstinkts vorerst erklärt, damit aber eine Erinnerungsbrücke zwischen den beiden Zuständen gebaut wird. Es sollte demnach der Somnambule auf dem Glauben gelassen werden, als verdanke er die Verordnungen der Einsicht seines Arztes, und diesem sollte es gestattet sein, sich mit fremden Federn zu schmücken.')

9. Theorie des Erinnerungsvermögens.

Ein Satz nimmt sich, auf einer Tafel geschrieben, deutlicher aus, wenn diese vorher rein abgewischt worden ist, als wenn die neuen Lettern mit den alten zusammenfliessen. Das gilt auch im intellektuellen Sinne, und wer den Kopf des Lesers für eine Theorie empfänglich sehen will, wird gut thun, ihn vorher von den entgegenstehenden Theorien zu säubern. Um die Existenz eines transcendentalen Bewusstseins zu beweisen, muss demnach vorher gezeigt werden, dass die Thatsachen des Erinnerungsvermögens aus dem sinnlichen Bewusstsein nicht zu erklären sind.

1) Puységur: Recherches etc. 369. 407.

Platon, um die Wunder des Erinnerungsvermögens zu erklären, gebraucht im Theatet ein Bild: wie ein Siegel sich in Wachs abdrücke, so hinterlassen die Vorstellungen in uns Spuren. Was sich eingeprägt habe, dessen gedenken wir und wissen es, so lange sich das Abbild darauf befinde; werde es aber verwischt oder vermöge es sich nicht einzuprägen, dann sei es vergessen oder bleibe uns unbekannt.1) Dieses Bild, das Platon gebraucht, um die Sache zu verdeutlichen, aber nicht, um sie zu erklären, müssen die Physiologen im wörtlichen Sinne nehmen; sie haben keine andere Wahl, da sie nur das sinnliche Bewusstsein kennen. Danach würde das Erinnern auf materiellen, von den Vorstellungen zurückgelassenen Gehirnspuren beruhen; durch den Akt der Erinnerung werden solche Spuren immer wieder aufgefrischt, gleichsam nachgemeisselt, und so entstehen ausgefahrene Geleise, in welche die Gedächtniskutsche mit besonderer Leichtigkeit einlenkt. Schon die Materialisten des vergangenen Jahrhunderts haben die Konsequenzen dieser Anschauung gezogen. Hook und andere berechneten, dass, da 20 Tertien zur Produktion einer Vorstellung hinreichten, ein Mensch in 100 Jahren 9,467,280,000 Spuren oder Abdrücke von Vorstellungen in seinem Gehirn ansammeln müsste, oder doch, wenn man sie wegen der Schlafenszeit auf 3 reduzierte, 3,155,760,000, also in 50 Jahren 1,577,880,000; wenn man ferner das Gehirn zu 4 Pfund Schwere annehme und davon eines für Blut und Gefässe, ein zweites für die Rinde abziehe, so wären in einem Gran Gehirnmark 205,542 Spuren anzutreffen.2) Diese Rechnung ist ungefähr richtig, und Zahlen beweisen; aber hier beweisen sie sicherlich die Undenkbarkeit der Hypothese, wovon ausgegangen war. Wenn die Voraussetzung, dass das Erinnern aus den Sinnen und der Gehirnmaterie erklärbar sein muss, zu solchen Spielereien führt, die sich noch dazu für exakte Wissenschaft ausgeben, dann wird wohl jeder Unbefangene die Voraussetzung als unhaltbar aufgeben und lieber an ein transcendentales, von der Gehirnmaterie unabhängiges Bewusst

) Platon: Theatet. § 33.

2) Huber: Das Gedächtnis. 21.

sein glauben, statt an Millionen von Kohlenstoff- und Stickstoffatomen im Gehirn, welche von allen Vorstellungen materielle Spuren in sich aufbewahren und trotz des beständigen Regenerationsprozesses unseres Leibes auf ihre Nachfolger vererben.

Unser geistiges Leben besteht zudem nicht aus blossen Vorstellungen; diese bilden lediglich das Material unserer Urteile. Im Urteil aber lassen uns diese materiellen Gehirnatome, trotz ihrer Zauberhaftigkeit, doch wieder im Stiche, wir müssten denn annehmen, dass wenn wir einen Satz bilden, ein Urteil fällen, die Vorstellungen zusammengegriffen und zusammengestellt werden, wie die Lettern eines Setzerkastens '); jene Atome aber wären zugleich der Setzer und der Setzerkasten.

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Überlassen wir also die Materialisten ihren exakten" Vergnügungen und versuchen wir die richtige Theorie des Erinnerungsvermögens aus der blossen Analyse des Vorgangs, der beim Erinnern stattfindet. Es hat sich schon im Bisherigen immer wieder die Notwendigkeit gezeigt, zwischen Reproduktion und Erinnerung zu unterscheiden, und es ist klar, dass, wenn selbst die Theorie der materiellen Gehirnspuren richtig wäre, dieselbe höchstens die Reproduktion erklären würde, das Wiederauftauchen einer Vorstellung, aber keineswegs das Wiedererkennen derselben. Diesen letzteren subjektiven Faktor machen also die Gehirnspuren keineswegs entbehrlich. Wiederauftauchen einer Vorstellung und Wiedererkennen derselben sind keineswegs identische Begriffe. Die Verwechslung derselben ist schon von den griechischen Philosophen gerügt worden. Aristoteles sagt ganz deutlich, dass Erinnerung mehr sei, als die blosse Wiederkehr eines alten Bildes, nämlich zugleich ein Wissen um ein anderes Bild, das nicht mehr vorhanden sei; in der Erinnerung werde eine jetzige Vorstellung zugleich als Abbild einer früheren erkannt. Die Erinnerungs μνημόνευμα vηuóveμa ist kein blosses Phatasiebild - φάντασμα sondern mit dem Gedanken verknüpft, dass dieses Bild die Wiederholung einer früheren Wahrnehmung ist. 2) Ebenso sagt Plo

1) Huber: 53.

2) Aristoteles: Über Erinnerung. Kap. 1 und 2.

tin, dass die Erinnerung nicht auf dem Zurückbleiben sinnlicher Eindrücke beruhe, sondern auf einer geistigen Thätigkeit; die Seele verhalte sich dabei nicht leidend, sondern thätig. 1)

Es ist demnach ein Organ unentbehrlich, welches die reproduzierten Vorstellungen zugleich wieder erkennt; dieses Wiedererkennen ist aber nur möglich durch Vergleichung und setzt eben voraus, dass die frühere Vorstellung noch vorhanden ist, d. h. nicht vergessen wurde. Das sinnliche Bewusstsein vergisst aber in

der That, wir sind also zur Annahme eines transcendentalen Bewusstseins genötigt, eines Organs, das nicht nur aufbewahrt, sondern auch urteilt. Wenn man freilich die Kohlenstoffatome schon mit allen möglichen zauberhaften Fähigkeiten ausgerüstet hat, kann man auch noch dieses Organ in sie verlegen, und aus der Analyse der Erinnerung muss dann alles aus diesen Atomen herauskommen, was man vorher in sie hineingelegt hatte. Atome mit solchen Eigenschaften sind aber selber Seelen; demnach entrinnen die Materialisten der einen Seele nur, indem sie deren Millionen annehmen. Dabei bleibt aber noch unerklärt, was sich bei einer Seele von selbst versteht, wie aus Millionen von Atomen ein einheitliches Bewusstsein resultieren soll. Die Theorie der materiellen Gehirnspuren behält demnach unter allen Umständen einen unerklärten Rest: Das Wiedererkennen und das einheitliche Bewusstsein; sie erklärt ferner nicht nur weniger, als die Seelentheorie, sondern auch dieses Wenige durch einen viel grösseren Aufwand von Erklärungsmitteln, der zudem im Grunde darauf hinausläuft, statt einer Seele Millionen Atome anzunehmen, die sich von der Seele gar nicht unterscheiden und nur um den Schein zu retten, einen materialistischen Taufnamen erhalten. So verstösst also diese Theorie gegen die elementarsten Vorschriften der Logik, und es zeigt sich wieder einmal, dass auch die exakte Forschungsmethode, wenn sie Logik und Philosophie für entbehrlich hält, nur zur wissenschaftlichen Liederlichkeit führen kann.

Thatsächlich findet sehr häufig Reproduktion ohne Erinnerung statt, wie z. B. in dem erwähnten Traume des Skaliger;

1) Plotin: Enneaden. IV. 6. 3.

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