Auch in der christlichen Mystik kommt dieses Fehlen der somnambulen Zwischenzeit in der nachträglichen Erinnerung vor, so bei der Maria von Oignys, die drei Tage in der Ekstase lag, und der diese Zeit nach dem Erwachen nur ein Augenblick zu sein schien. 1) Übrigens wurde im Mittelalter der Somnambulismus häufig als Teufelswerk angesehen, und die Vergessenheit der vergangenen Dinge galt als eines der sekundären Merkmale der Besessenheit. 2) Maria Garcia, welche sieben Jahre lang von bösen Geistern gequält wurde, hatte nach ihrer Heilung gar keine Erinnerung mehr daran. 3) Es ist eben der Somnambulismus der gemeinschaftliche Differenzierungspunkt von Zuständen sehr verschiedener Art, darum können wir für alle Erscheinungen, die er bietet, sogar für die Ausnahmen davon, analoge Erscheinungen aus anderen Zuständen aufweisen. Eine solche Ausnahme ist z. B. die, dass das Vergessen beim Erwachen nicht nur auf die somnambule Zwischenzeit sich erstreckt, sondern auch noch ein Stück des vorherigen Zustandes hinzugeschlagen wird. Ein von Puységur in Somnambulismus versetzter Dorfschullehrer erinnerte sich nach dem Erwachen, von seiner Frau zu diesem Gange zu Puységur aufgefordert worden zu sein; was aber von dem Augenblicke seines Entschlusses an geschehen, wie er seinen Gang angetreten, und auf welchem Wege er das Schloss erreicht, hatte er vergessen. 1) Man kann nicht wohl annehmen, dass die geistige Spannung, auf den zu erwartenden Somnambulismus gerichtet, diesen Zustand antizipieren liess, der alsdann von der Erinnerungslosigkeit hinzugeschlagen wird. Solche Antizipationen kommen allerdings manchmal vor; ein Engländer, der die Eisenbahnfahrt von London nach Dover häufig zurücklegte, versicherte mir, dass solche Passagiere dieses Zuges, welche die Fahrt über den Kanal vorhaben, häufig schon im Koupee von der Seekrankheit ergriffen werden. 1) Görres: Christl. Mystik. II. 276. 2) Vgl. Springinsgut: Disputatio theologica de horrenda et miserabili Satanae obsessione. 1656. 3) Görres, a. a. O. IV. 126. 4) Puységur: Mémoires etc. II. 81. 83. Aber die nach rückwärts greifende Verlängerung des Vergessens muss doch einen anderen Entstehungsgrund haben, denn sie wird. von Ärzten auch nach Ohnmachten beobachtet und sogar bei Gehirnerschütterungen infolge unglücklicher Zufälle, wobei doch von Antizipation nicht die Rede sein kann. Einem Manne, der Frau und Kinder in seiner Kutsche fuhr, ging das Pferd durch, er wurde abgeworfen und erlitt eine Erschütterung des Gehirns. Als letztes Erinnerungsfragment dieser Fahrt blieb ihm später der Umstand, dass er noch zwei englische Meilen vom Schauplatz der Katastrophe entfernt, einen Freund auf der Landstrasse begrüsst hatte. Vom Durchgehen seines Pferdes, seinen Anstrengungen, es zum Stehen zu bringen, und der Angst seiner Angehörigen wusste er später nichts mehr. 1) 7. Das alternierende Bewusstsein. Wenn die durch die Erinnerungsbrücke verbundenen Zustände sehr scharf von den anderen getrennt sind, die einen eigenen Bewusstseinsinhalt haben, und ihrerseits untereinander zusammenhängen, dann steigern sich die bisher betrachteten Zustände zu einem Wechsel des Bewusstseins und in der Wiederholung zu einem förmlichen Alternieren des Bewusstseins. Da nun die Erinnerung es ist, vermöge deren wir bei allem Wechsel der Vorstellungen in der Zeit uns als eine identische Person erkennen, So bilden die Fälle, die nun zur Sprache kommen werden, einen interessanten Beitrag zu der Thatsache, dass ein identisches Subjekt in eine Doppelheit der Personen zerfallen kann. Es sei gleich hier bemerkt, dass diese Thatsache es ist, die in einer späteren Studie zur Begründung einer monistischen Seelenlehre verwertet werden soll. Im Alternieren des Bewusstseins ist nämlich vorerst die psychologische Thatsache gegeben, dass ein Subjekt nacheinander in zwei verschiedenen Personen auftreten kann. Zunächst ergibt sich nun aus dieser Thatsache des Doppelbewusstseins, dass diesem Nacheinander der Personen eine Gleichzeitigkeit derselben notwendig zu Grunde liegen muss; die 1) Ribot: Maladies de la mémoire 63. Andere Fälle dieser Art bei Farlet: Dictionnaire encyclopédique des sciences médicales: Amnésie. Personen, insoferne als sie sich äussern, können zwar wechseln, aber das scheinbare Nacheinander beruht lediglich darauf, dass die Erinnerungsbrücke zwischen den beiden Personen, die sich demnach gegenseitig unbewusst sind, oft ganz, oft aber nur in dem einen Zustande zum anderen fehlt. Der Gedächtnisinhalt des identischen Subjekts ist verteilt auf zwei Personen, und wenn das sinnliche Bewusstsein thätig ist, ist doch der Inhalt des für dieses sinnliche Bewusstsein latenten Gedächtnisses gleichzeitig gegeben, nur eben latent, als relativ Unbewusstes. Wenn wir nun berechtigt wären, diese zur Erklärung der Thatsache des Doppelbewusstseins unvermeidliche psychologische Formel zugleich als die zur Erklärung des Menschenrätsels verwertbare metaphysische Formel anzusehen, so wäre damit der Grundstein zu einer monistischen Seelenlehre gelegt. Es ist zwar hier noch nicht der Ort, eine solche auszuführen; aber die Beachtung der nachfolgenden Thatsachen muss schon hier mit Rücksicht auf die Endabsicht angestellt werden, wenn auch vorläufig nur die eine Folgerung daraus sich ergibt, dass nämlich im metaphysischen Sinne wenigstens möglich ist, was im empirischen Sinne eine Thatsache ist das Zerfallen eines Subjekts in zwei Personen, deren bewusstes Nacheinander ohne ein unbewusstes Zugleichsein gar nicht denkbar ist. Der Gedanke, dass der irdische Mensch nur die eine Person eines Subjekts sei, dessen andere Person gleichzeitig einer anderen Ordnung der Dinge, einer metaphysischen Welt angehört mag paradox klingen; aber die Thatsache eines Doppelbewusstseins innerhalb der empirischen Person ergibt zum mindesten, dass eine psychologische Schwierigkeit nicht besteht, diesen Gedanken für wahr zu halten. In diesem Sinne also möge das Nachfolgende beachtet werden, was hier lediglich auf eine Lücke in der Wissenschaft hinweisen soll: Die Naturwissenschaft und Philosophie haben nämlich die dualistische Seelenlehre beseitigt, und sind sodann zum Materialismus und Pantheismus übergegangen, ohne die dritte Möglichkeit genügend zu bedenken, nämlich eine monistische Seelenlehre. Haller spricht von einem Manne, der abwechselnd, aber in unregelmässigen Perioden, sein Gedächtnis verlor und wieder erhielt, und er selbst kannte ein junges Mädchen, das in der Zeit der Katamenien dem gleichen Zustand unterworfen war. 1) Griesinger erzählt von einer Dame, die in Mitte einer Unterhaltung zuweilen plötzlich abbrach, von anderen Dingen zu sprechen anfing, nach einiger Zeit aber die erste Rede bei dem Worte, wo sie stehen geblieben war, wieder aufnahm, ohne von dem Zwischenfalle etwas zu wissen.2) Hermogenes von Tarsus war in seinem fünfzehnten Jahre schon Lehrer der Rhetorik und im achtzehnten Schriftsteller; aber im vierundzwanzigsten vergass er plötzlich all sein Wissen, so dass der Sophist Antiochus von ihm sagte, er sei in seiner Jugend ein Greis, und im Alter ein Kind gewesen. 3) Van Swieten führt einen achtjährigen Knaben an, der an heissen Sommertagen alles Gelernte vergass, im Herbste und im Winter aber sich wieder daran erinnerte. 4) Es ist dies vielleicht derselbe Knabe, den Tissot erwähnt, der, ein frühreifes Genie, in den Hundstagen sein Gedächtnis ganz verlor, aber es wieder bekam, wenn die Luft einige Tage kühl wehte. 5) Die Einwohner des Walliserlandes schicken, wie Zimmermann sagt, ihre Kinder im Sommer auf die hohen Berge, weil sie in den Thälern ihr Gedächtnis verlieren würden. 6) Ein regelmässiges Alternieren des Bewusstseins durch Schwinden und Rückkehr des Gedächtnisses findet sich schon beim älteren Darwin. Derselbe kannte eine junge Dame, die jeden anderen Tag einen Zustand der Ekstase hatte, der fast den ganzen Tag anhielt. In diesen Anfällen nahm sie dieselben Ideen wieder auf, worüber sie in den vorigen Anfällen geredet hatte, während sie an den Zwischentagen nichts davon wusste. So erschien sie ihren Verwandten wie ein Wesen, das zwei Seelen besitze. In der Krise sah und hörte sie nichts von dem, was in ihrer Umgebung vorfiel, unterhielt sich 1) Huber: Das Gedächtnis. 46. 2) Spamer: Physiologie der Seele. 289. (Stuttgart 1877.) 3) Perty: Blicke etc. 25. 4) Steinbeck: a. a. O. 115. 5) Tissot: V. d. Gesundheit der Gelehrten. § 74. 6) Muratori: a. a. O. I. 196. du Prel, Philosophie der Mystik. 32 dabei zusammenhängend und sehr verständig mit abwesenden, von ihr gegenwärtig geglaubten Personen, deklamierte Gedichte, und wenn ihr bei einem fehlenden Worte die Umstehenden laut und deutlich nachhalfen, war das vergeblich, und sie musste das fehlende Wort selbst finden. Hielt man ihr die Hände, so beklagte sie sich, ohne zu wissen, wodurch sie gehemmt würde, und ebenso, wenn man ihr die offenen, vor sich hinstarrenden Augen zuhielt. 1) Dieses Alternieren des Bewusstseins kann auch in der Weise auftreten, dass die eine der Personen des Subjekts in der Vergangenheit lebt. So jene seit mehreren Jahren verheiratete Frau, die oft mehrmals im Tage in einen für jedes Getöse unempfindlichen Zustand verfiel, wobei sie Besuche von ihrer verstorbenen Mutter zu empfangen meinte. Sie unterhielt sich dann mit derselben über ihre Gesundheitsumstände, namentlich in Bezug auf ihre bevorstehende Ehe, beantwortete scheinbare Einwürfe und bat, einen Arzt um Rat zu fragen. Ihrem Manne, der sich zu ihr aufs Bett setzte und sie seine liebe Frau nannte, nahm sie diese vorzeitige Vertraulichkeit sehr übel und behandelte ihn mit jungfräulicher Zurückhaltung als ihren Bräutigam. 2) Der berühmte holländische Irrenarzt Schröder van der Kolk führt ein zwanzigjähriges Mädchen an, das nach langjähriger Krankheit in einen merkwürdigen Zustand verfiel, der bereits vier Jahre dauerte. Nach dem Erwachen am Morgen stellt sich zu einer bestimmten Stunde eine Art Veitstanz ein, wobei die Kranke mit den Händen taktmässig nach rechts und links schlägt. Dies dauert eine halbe Stunde, worauf sie wieder zu sich kommt, sich aber dann ganz wie ein Kind benimmt. Am folgenden Tage wiederholen sich die Zuckungen, nach deren Ablauf sich die Kranke wieder wie ein gescheidtes Mädchen benimmt. Sie spricht gut französisch und deutsch und zeigt sich sehr belesen. Nun weiss sie aber gar nichts von dem vorhergegangenen Tage, ihr Gedächtnis knüpft an den vorletzten, den sogenannten hellen Tag an. In 1) Erasmus Darwin: Zoonomia. II. 136. |