Billeder på siden
PDF
ePub

I.

Einleitung.

Über die Entwicklungsfähigkeit der Wissenschaft.

ie Bedeutung der Welt und unserer selbst zu erklären, ist das Bestreben des Menschengeistes. Es folgen auf einander die religiösen und philosophischen Systeme, und jedes bietet eine andere Lösung des Welt- und Menschenrätsels. In diesem Wechsel der Meinungen ist gleichwohl ein Fortschritt vorhanden. Die Wahrheit ist kein Ding, welches zufällig irgend einmal von einem Genie als fertiges Gebilde gefunden werden könnte, sondern sie ist ein Werdendes, ein langsam reifendes Produkt, und der Entwicklungsprozess der Wissenschaft ist der Entwicklungsprozess der Wahrheit selbst, die also erst am Schlusse des Prozesses als reife Frucht sich einstellen kann.

Es folgen auf einander die Zeitalter, und ein jedes hat andere Vorstellungen über die Bedeutung der Welt und die Stellung des Menschen in ihr. Diese Vorstellungen erteilen einer jeden Kulturepoche ihre bestimmte Färbung, sogar in Hinsicht des praktischen Verhaltens der Menschen. Das Handeln der Menschen entspringt immer ihrer Weltauffassung; die irdische Lebensgestaltung ist immer der Reflex der metaphysischen Vorstellungen. Der politische und soziale Quietismus der buddhistischen Völker folgt eben so aus ihrer Sehnsucht nach dem Nirwana, wie die hastige materielle Entwicklung unserer Zeit mit ihrer Anbetung des goldenen Kalbes daraus entspringt, dass wir nur der Sansara eine reale Bedeutung

du Prel, Philosophie der Mystik.

1

zuerkennen.

Wo immer wir in der Geschichte einer in Materialismus versunkenen Generation begegnen, da werden wir im Vornherein sagen können, dass ihr die Ideale auch in der Theorie nichts gelten, und dass sie von keinen metaphysischen Vorstellungen mehr beeinflusst ist, welches sich am auffälligsten in der Religionslosigkeit der Massen kundgiebt. Der Glaube, dass es keine Metaphysik giebt, erzeugt logischer Weise die Verlegung des Accentes auf das Irdische. Unser Jahrhundert lebt zwar in dem Wahne, hierdurch das goldene Zeitalter auf Erden vorzubereiten; aber welchem Ziele wir in der That entgegensteuern, das lehrt uns beispielsweise die Statistik der Selbstmorde. Sie lehrt uns, dass gegenwärtig im civilisierten Europa stündlich drei Menschen sich selbst töten, und dass die Anzahl der Selbstmorde seit einer Reihe von Jahren in schreckenerregender Zunahme begriffen ist.

Wenn also die Menschen einem logischen Instinkte gemäss immer sich so verhalten werden, wie es ihrer Vorstellung des Welträtsels entspricht, so folgt daraus, dass wer die Menschen bessern will, sie vorerst über das Welträtsel anders denken lernen muss; dass also der moralische Fortschritt der Menschheit durchaus abhängig ist von der Entwicklungsfähigkeit der Wissenschaft. Wenn die Wissenschaft entwicklungsfähig ist, dann ist wenigstens die Möglichkeit gegeben, dass wir besseren Zuständen entgegentreiben und wiederum eine von Idealen gefärbte Kulturform gewinnen; wenn nicht, nicht. Die Frage, ob die Wissenschaft entwicklungsfähig ist, erscheint somit von der höchsten Bedeutung, und zwar auch in praktischer Hinsicht.

Das historische Bewusstsein der Menschheit bejaht diese Frage, und zwar so sehr, dass mancher eine besondere Untersuchung darüber für überflüssig halten könnte, weil ja die Entwicklungsfähigkeit der Wissenschaft von der herrschenden Meinung gar nicht bezweifelt wird. Aber wenn auch der Glaube an den geistigen Fortschritt so sehr im Bewusstsein unserer Generation liegt, dass man sich an keiner Bierbank mehr niederlassen kann, ohne davon zu hören, so ist doch leicht zu zeigen, dass damit fast durchgehends falsche Vorstellungen verknüpft werden, die nur schwinden können, wenn wir einerseits unsern Glauben an den geistigen Fortschritt

noch höher steigern, andrerseits aber gewissen Hoffnungen entsagen, die wir daran knüpfen.

In ersterer Hinsicht ist das Vorurteil zu beseitigen, als ginge dieser Fortschritt nur in die Breite. Der wahre Fortschritt geht immer in die Tiefe; aber jede Generation glaubt ihren Nachfolgern nur noch Flächenarbeit zu hinterlassen. In der anderen Hinsicht ist das Vorurteil zu beseitigen, als würde uns durch die Entwicklung der Wissenschaften das Welträtsel immer mehr verständlich. Davon ist aber das Gegenteil der Fall, bisher wenigstens und wohl noch für lange Zeit, wenn auch dereinst vielleicht jene Hoffnung sich erfüllen mag.

Unsere Untersuchung gilt also den beiden Fragen, in wie ferne der Fortschritt des Menschengeistes in die Tiefe geht, und welchen Beitrag er zur Erklärung des Welträtsels leistet. Wie innig diese beiden Fragen zusammenhängen, wird sich am Schlusse zeigen; ihre Behandlung aber muss getrennt geschehen, gemäss dem: qui bene distinguit, bene docet.

Dass die Entwicklungsfähigkeit der Wissenschaft einen in die Tiefe gehenden Fortschritt nach sich zieht, lässt sich am besten an Beispielen darthun. Für das Auge des Menschen gehen Sonne, Planeten und Fixsterne im Osten auf, im Westen unter. Indem sich die alten Griechen an diesen illusorischen Sinnenschein hielten, stellten sie der Astronomie die Aufgabe, diese Bewegungen unter der Voraussetzung zu erklären, dass uns die Sinne nicht täuschen. Diese Aufgabe erwies sich als immer schwieriger werdend; immer mehr Cyklen und Epicyklen schienen erforderlich, die Bewegungen im Sonnensystem zu erklären; man glaubte aber, wenigstens auf dem richtigen Wege zu sein und den künftigen Generationen nur noch Flächenarbeit zu hinterlassen. Als nun aber Kopernikus den. Sinnenschein, in dem die Menschheit befangen lag, durch den Gedanken zerstörte, dass die Planeten um die Sonne sich drehen, - welche Anschauung sich übrigens schon in der Geheimlehre der Pythagoräer und der Kabbala findet da war es auch klar, dass die fernere Flächenarbeit nicht zum Ziele führen könnte, und ein neuer, in die Tiefe gehender Fortschritt war angebahnt.

Ähnliche Beispiele liessen sich aus den übrigen empirischen

« ForrigeFortsæt »