Billeder på siden
PDF
ePub

unseren Theorieen die Fülle der Naturerscheinungen mit einem begrifflichen Netze umsponnen, und ihre Einteilung nach Kategorieen vorgenommen. Wenn nun an Stelle der festen Überzeugung, dass dieses System von Kategorieen nur provisorischen Wert besitzt, das Vorurteil seiner Lückenlosigkeit tritt Wozu Gelehrte sehr neigen - so werden alle neuentdeckten Erscheinungen auch dann in diese Kategorieen untergebracht, wenn sie ihrer Natur nach sich dagegen sträuben und der Art sind, dass sie zu einer Abänderung des Systems uns nötigen sollten. Wenn man vergisst, dass die hergebrachten Einteilungen nur dem jeweiligen Vorrate unseres Wissens entsprechen, dann werden auch alle neuen Beobachtungen in die alten Kategorieen gezwängt, und dabei wird ihnen oft Gewalt angethan. Gelingt es trotzdem nicht, dann beseitigt man missliebige Erscheinungen durch den bekannten Ausspruch, dass ,,isolierte Thatsachen“ nichts beweisen. Als ob es innerhalb der Thatsächlichkeit Grade und Steigerungen gäbe und nur die alltäglichen Thatsachen als solche gelten dürften! ,,Das in sich Neue" sagt Baco von Verulam ,,pflegt trotzdem in der Weise des Alten aufgefasst zu werden." 1) Es heisst nun aber jeden künftigen Fortschritt leugnen, wenn wir voraussetzen, dass alle künftig zu beobachtenden Erscheinungen notwendig in unsere alten Schubfächer sich unterbringen lassen müssten. Nehmen wir an, Leverrier, der Entdecker des Neptun, hätte die in der Bewegung des Uranus bemerklichen Störungen nicht als eine in sich neue Thatsache, sondern in der Weise des Alten aufgefasst, d. h. aus den damals bekannten Faktoren abgeleitet, so würde er vermöge dieses Vorurteils nicht auf Neptun geschlossen haben, sondern hätte den bereits bekannten Planeten andere Massen oder Entfernungen zugeschrieben, woraus eine heillose Verwirrung in der Astronomie entstanden wäre. Eine solche entsteht immer, so oft neue Erscheinungen in alte Schubfächer gezwängt werden, ein Verfahren, das in der modernen Wissenschaft leider sehr häufig ist, und wobei mir immer ein gewisses Stubenmädchen in die Erinnerung kommt, bei dem diese Art von

[ocr errors]

1) Baco: Nov. Org. I. §34.

Vorurteil einen sehr komischen Ausdruck gefunden hat: Es besass das an sich lobenswerte Bestreben, von den Gesprächen, die es vernahm, sich mancherlei anzueignen, und so hatte es denn einst einen eben sichtbaren Stern Aldebaran nennen hören, fasste aber diese,,in sich neue" Kenntnis ,,in der Weise des Alten" auf, und benannte den Stern nun häufig den ,,alten Baron". Auch später,

als dieses Mädchen, das bisher nur die Ebene bewohnt hatte, mit seiner Dame nach Tirol reiste und zum erstenmale in seinem Leben die Berge sah, verfiel es in den gleichen Fehler, und indem es das in sich neue nach der Weise des Alten auffasste, fragte es voll Verwunderung, zu welchem Zwecke man hier so hohe Berge aufgetürmt hätte. Besser noch könnte man jene Gelehrten, von welchen Kant sagt, dass sie ,,nirgend etwas sehen, als was mit dem einerlei ist, was sie schon sonst irgendwo gesehen haben" 1) mit jenem Neger vergleichen, von dem Livingstone irgendwo erzählt. Er hatte demselben einen Löffel geschenkt, und lehrte ihm den Gebrauch, indem er damit aus einer Milchschale schöpfte. Der Neger aber, das in sich Neue in der Weise des Alten auslegend, nahm zwar ebenfalls mit dem Löffel Milch aus der Schale, dann aber goss er den Inhalt derselben in die hohle Hand und trank aus dieser.

Es ist ganz gerechtfertigt, dass der Mensch in seinem Bestreben, die Dinge zu begreifen, auch neue Erscheinungen mit den alten Mitteln zu begreifen sucht. Das soll aber nur ein hypothetischer Versuch sein, und darf nicht bis zu gewaltsamer Auslegung der Erscheinungen gehen, wie es, besonders in der modernen Psychologie, so häufig geschieht. Es ist ferner ganz gerechtfertigt, wenn die moderne Wissenschaft die induktive Methode betont und verlangt, dass alle philosophischen Spekulationen von der Basis der Wirklichkeit ausgehen. Aber diese Schlagworte werden oft stark missbraucht. Wir müssen uns allerdings an die Erfahrung in erster Linie wenden, um Aufklärung über das Welträtsel zu erhalten; aber wir dürfen der Erfahrung nicht vorschreiben, was sie uns bieten darf, was nicht. Wir dürfen nicht erwarten,

1) Kant: (Rosenkranz) III. 5.

dass die Natur immer nur pagodenhaft das Haupt zu unseren Theorieen neigen wird, sondern müssen a priori als gewiss annehmen, dass es Erscheinungen gibt, für die wir noch keine Schubfächer besitzen. Wenn wir uns also an die Natur um Aufklärung wenden, so dürfen wir dabei doch die Worte Kants nicht vergessen: „Es ist sehr was Ungereimtes, von der Vernunft Aufklärung zu erwarten, und ihr doch vorher vorzuschreiben, auf welche Seite sie notwendig ausfallen müsse.") Mehr noch, als von der Vernunft, gilt das von der Natur, deren Rätselhaftigkeit nur vermehrt worden ist, seitdem sich der Menschengeist mit ihr beschäftigt. Wir haben unsere Vernunft, um die uns dargebotenen Erscheinungen zu untersuchen; aber wir missbrauchen sie, wenn wir in unsere Fragen an die Natur schon die halbe Antwort hineinlegen, d. h. voraussetzen, dass wir nur Erfahrungen innerhalb unserer Theorieen machen können. Wir setzen damit die menschliche Vernunft als entwicklungsunfähig herunter. Der hohen Natur gegenüber haben wir naiv zu sein, und es gilt vom Reiche der Wahrheit, was Christus vom Reiche Gottes sagt: dass wir nicht eingehen, wenn wir nicht werden wie die Kinder.

Fassen wir nun das Bisherige in Kürze zusammen: Es hat sich ergeben, dass das Bewusstsein seinen Gegenstand nicht erschöpft, sondern in einem beständigen Anpassungsprozess an denselben begriffen ist. Die Steigerung des Bewusstseins vermehrt aber die Probleme und die weitere Arbeit. Qui accroit la science, accroit le travail. Durch die Steigerung des Bewusstseins im biologischen Prozesse ist die Grenze zwischen der sinnlichen und der transcendentalen Welt beständig verschoben worden und sie wird weiter verschoben werden, wäre es selbst durch Hinzufügung eines sechsten Sinnes. Die biologische Entwicklung wird von der geschichtlichen Entwicklung des Bewusstseins in der gleichen Richtung fortgesetzt, wenn auch durch blosse Abänderung des Erkenntnisorgans. Wir stehen ferner vor der unerbittlichen Alternative: Entweder gibt es einen künftigen Fortschritt, dann müssen wir jederzeit und a priori die Existenz von Tatsachen zugeben, welche den Theorieen widersprechen;

*) Kant (Rosenkranz) II. 577.

oder es gibt solche Thatsachen nicht, dann müssen wir auch den künftigen Fortschritt leugnen, dem höchstens noch Flächenarbeit zugesprochen werden könnte. Die Wahl kann wahrlich nicht schwer sein. Wenn wir also in unserem Wissensvorrate solche widerspruchsvolle Erscheinungen nicht entdecken können sollten, so ist dies der beste Beweis dafür, dass wir in den von Baco gerügten Fehler verfallen sind, das in sich Neue nach Art des Alten aufgefasst zu haben, d. h. dass wir die widersprechenden Erscheinungen in alte Schubfächer untergebracht haben.

Durch die Entwicklungsfähigkeit, nicht bloss der Wissenschaft, sondern des menschlichen Erkenntnisorgans selbst, also unseres Bewusstseins von der Welt, ist dafür gesorgt, dass der Fortschritt immer wieder in die Tiefe führt, und der Geist immer weitere Zufuhr von Problemen erhält. Und wenn selbst die uns so rätselhafte Lebensform, der Mensch, die heute noch in ihren Kinderschuhen einhergeht, einst vor Alter ergraut sein wird, so wird sie doch immer mit Solon sagen können: „,Lernend ohne Unterlass schreit' ich im Alter voran."

II.

Über die wissenschaftliche Bedeutung des Traumes.

1. Die positive Seite des Schlaflebens.

In der vorliegenden Untersuchung wird es sich mit besonderer Deutlichkeit zeigen, dass die empirische Forschungsmethode, die sich ausschliesslich an die Erfahrungsthatsachen hält, für sich allein nicht zum Ziele führen kann, wenn nicht die rein logische Durchdringung des Problems mit ihr Hand in Hand geht. Es wird sich sogar zeigen, dass in der hier vorliegenden Frage die blosse Erfahrung zu falschen Schlüssen führen muss und die richtige Antwort nur aus logischen Gedankenoperationen sich ergibt.

Der aufgeklärte Skeptiker hält sich einfach an die Thatsache, dass er an jedem Morgen aus einem mehr oder minder verworrenen Traum erwacht, und folgert daraus: Alle Träume sind Schäume. Ihn durch Erfahrungen des Gegenteils von seinem Vorurteile abbringen zu wollen, wäre ein ganz aussichtsloses Unternehmen; es ist dem Skeptizismus eigentümlich, nur solche Thatsachen gelten zu lassen, die sich durch ihre Häufigkeit aufdrängen, die seltenen aber schon wegen der Seltenheit zu verdächtigen. Der Skeptiker, um einen Ausdruck von Jean Paul zu gebrauchen, glaubt wegen der Menge der Kieselsteine an keine Meteorsteine, und allen Berichten von merkwürdigen Träumen würde er doch nur die bekannten Ausflüchte des Bezweifelns, Verdächtigens, der Täuschung oder des Zufalls entgegensetzen. Auf diesem Wege ist also gegen ihn nichts auszurichten; wohl aber kann man ihn,

« ForrigeFortsæt »