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über die gehörige Anzahl der Sinne verfügen, um die ganze Wirklichkeit zu erfassen. Unser äusseres Bewusstsein in seinem Verhältnis zur Realität ist mit quantitativen Mängeln behaftet; das Bewusstsein gleicht allerdings einer Sonne, aber ihre Strahlen erreichen nicht die Grenzen des All. Die moderne Entwicklungslehre zeigt uns, warum es so ist. Aber auch die Qualität unseres Bewusstseins in seinem Verhältnis zur Welt kommt in Betracht. Im Prozess des Bewusst werdens erleidet die Welt qualitative Veränderungen; in der Sinnesempfindung verwandeln sich die Objekte. Was in der Natur Ätherschwingung, ist im Bewusstsein Licht, was Luftschwingung, Schall. Wir befinden uns also gleichsam auf einem Maskenballe, indem wir nicht eigentlich die Dinge erkennen, sondern nur die Reaktionsweise unserer Sinne auf dieselben. So giebt es also nicht bloss mehr Dinge, als Sinne, sondern die Dinge sind auch anders in der Wirklichkeit, als in der Vorstellung. Daraus folgt, dass andere Wesen auch eine andere Welt hätten..

Das Resultat der menschlichen Besinnung über das Welträtsel lässt sich also in die Worte zusammenfassen: Das Bewusstsein erschöpft nicht seinen Gegenstand, die Welt.

Gehen wir nun zu dem zweiten grossen Rätsel über, das der Geist erklären wird: den Menschen. Wie die Welt Gegenstand des Bewusstseins, so ist das Ich Gegenstand des Selbstbewusstseins. Wie das Bewusstsein seinen Gegenstand, die Welt, logisch zu durchdringen und seinen Inhalt zu bestimmen sucht, so auch das Selbstbewusstsein das Ich. In dieser letzten Aufgabe ist fast noch alles zu leisten. In Ansehung der Welt und des Bewusstseins ist wenigstens die materialistische Auffassung zurückgedrängt worden; in Ansehung des Selbstbewusstseins und des Ich wird sie noch immer teilweise festgehalten, d. h. der Materialismus schmeichelt sich noch immer mit der Hoffnung, alle Psychologie in Physiologie auflösen zu können. Aber angenommen selbst, es würde ihm das gelingen, so stände er alsbald wieder an dem Punkte, wo der weitere Fortschritt in die Tiefe führt. Das Problem des Geistes, selbst wenn es materialistisch gelöst wäre, erzeugt sofort ein neues Problem. Die Philosophie des nächsten Jahrhunderts wird nämlich ohne Zweifel das Pendant des Kantischen Problems

auf ihr Programm schreiben: die noch kaum aufgeworfene Frage, ob denn das Selbstbewusstsein seinen Gegenstand erschöpft.

In betreff des Selbstbewusstseins ist eine solche Frage eben so berechtigt, als sie es in Ansehung des Bewusstseins war, und wir haben allen Grund zu der Vermutung, dass beide Fragen verneint werden müssen, dass also das gleiche Verhältnis besteht zwischen Bewusstsein und Welt, wie zwischen Selbstbewusstsein und Ich. Das Selbstbewusstsein kann hinter dem Ich eben so sehr zurückbleiben, wie das Bewusstsein hinter der Welt; oder umgekehrt: das Ich kann über das Selbstbewusstsein eben so sehr hinausragen, als die Welt über das Bewusstsein. Es ist dieses nicht nur logisch denkbar, sondern es sprechen dafür auch die Analogie und die Entwicklungstheorie. Wenn die Natur etwa zehn Jahrmillionen hindurch sich abgequält hat, vermöge des Kampfes ums Dasein auf unserem leidensvollen Sterne das Weltbewusstsein soweit zu steigern, dass ihm die Rätselhaftigkeit der Welt, die Dunkelheit der metaphysischen Probleme bewusst wird, so erscheint die Annahme höchst gewagt, dass im Gegensatze hiervon das im Menschen zuerst aufblitzende Selbstwusstsein der Natur auf den ersten Wurf gelungen, und nicht entwicklungsfähig, sondern in seinem ersten Ansatze bereits ein fertiges Produkt wäre, d. h. also sein ganzes Objekt, das Ich, umfassen würde. Wenn uns also die Erkenntnistheorie dieses Jahrhunderts die Existenz einer transcendentalen Welt bewiesen hat, so wird ohne Zweifel die Selbsterkenntnistheorie des nächsten Jahrhunderts uns die Existenz eines transcendentalen Ich beweisen. Auch ist klar, dass die Frage : nach dem Verhältnis des Selbstbewusstseins zu seinem Gegenstande, dem Ich, für die Erklärung des Menschenrätsels dieselbe Wichtigkeit hat, als die Frage nach dem Verhältnis des Bewusstseins zu seinem Gegenstande, der Welt, für die Erklärung des Welträtsels bereits gehabt hat. Die seit Jahrhunderten stationäre Seelenfrage wäre dadurch in ein ganz neues Stadium gerückt, wenn man nachweisen könnte, dass das Selbstbewusstsein seinen Gegenstand nur teilweise umfasst, und zwar wäre dabei der in der Seelenfrage liegende Stein des Anstosses, der Dualismus, beseitigt; sie könnte im monistischen Sinne erledigt werden.

Vorläufig mag es genügen, auf dieses Problem aufmerksam zu machen, um daran zu zeigen, dass auch an diesem Punkte, wenn die gegenwärtige Flächenarbeit der Psychologie geleistet sein wird, der weitere Fortschritt wieder in die Tiefe führen wird.

Nunmehr können wir uns der zweiten der gestellten Aufgaben zuwenden, der Frage nämlich, welchen Beitrag der Fortschritt der Wissenschaften zur Erklärlichkeit des Weltganzen liefert? Der Grad der Entwicklungsfähigkeit der Wissenschaft hängt von der Beantwortung dieser Frage ab.

Unser Jahrhundert wird durch die naturwissenschaftliche Betrachtung der Dinge charakterisiert, und weit entfernt, dass diese Periode ihrem Abschlusse schon nahe wäre, hat es vielmehr den Anschein, dass in dieser Flächenarbeit die wichtigsten Entdeckungen erst noch bevorstehen, bis wiederum eine andere Periode mit einem Fortschritt in die Tiefe eingeleitet wird. Wäre nun die Arbeit des menschlichen Geistes immer nur Flächenarbeit, so müsste unvermeidlich das Welträtsel uns immer klarer werden. Weil aber jeder Fortschritt schliesslich immer wieder in die Tiefe führt, wie gezeigt wurde, so muss uns vorerst noch das Welträtsel immer schwieriger werden.

Es ist das Merkwürdige an dem Entwicklungsprozesse des menschlichen Geistes, dass jede Auffindung einer neuen Teilwahrheit die Anzahl der gegebenen Probleme nicht vermindert, sondern vermehrt. Die Welt wird immer merkwürdiger, je mehr wir von ihr wissen. Demjenigen, der am wenigsten weiss, erscheint sie viel einfacher, als dem Genie. Darum macht Bildung bescheiden, wenn nicht den Menschen, so doch dem Welträtsel gegenüber. Die Kehrseite davon sehen wir an der Suffisance der mittelmässigen Köpfe, die unsere Generation besonders auszeichnet Goethe nennt es das schönste Glück des Menschen, das Erforschliche erforscht zu haben und das Unerforschliche ruhig zu verehren. Heute aber ist die Ehrfurchtslosigkeit vor dem Weltproblem, die metaphysische Bedürfnislosigkeit grösser, als sie es je war, und die Religionslosigkeit der Massen zeigt, dass von dieser Ehrfurchtslosigkeit und Bedürfnislosigkeit bereits das ganze Volksbewusstsein angesteckt ist.

Im Sinne der Unerforschlichkeit des Welträtsels hat Sokrates das bekannte, aber unverstandene Wort ausgesprochen: Ich weissnur, dass ich nichts weiss. Er wollte damit nicht sagen, dass es Wissenschaften gebe, die er sich noch nicht angeeignet hätte. Ihn so auszulegen, heisst ihm einen Gemeinplatz in den Mund legen, den Plato gewiss nicht bewundert hätte. Wenn der Umfang des Problematischen unveränderlich wäre, d. h. wenn der Geist nur immer in der Fläche vorzudringen hätte, dann bedürfte es nur eines recht hohen Alters, um sich alles Wissen anzueignen. Sokrates aber wollte sagen, dass seine Unwissenheit mit zunehmender Erkenntnis grösser geworden, wie es sein muss, wenn aller Fortschritt in die Tiefe führt. Er ahnte, dass das menschliche Bewusstsein seinen Gegenstand nicht erschöpfe, dass also vom Standpunkte des menschlichen Intellekts die Wahrheit überhaupt nicht wissbar sei. In diesem Sinne sagt Faust: „Ich sehe, dass wir nichts wissen können!" ein Seufzer, der naturwissenschaftlich besagt:/Es giebt nicht nur Grenzen des Erkennens, welche historisch überwindbar sind, sondern auch noch Schranken des Bewusstseins und Erkennens, die nur biologisch überwindbar sind

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Wenn jedes gelöste Problem neue erzeugt, wenn also die Probleme sich beständig vermehren, dann wird allerdings derjenige der Bescheidenste sein, der am meisten Probleme kennt, und ihm. wird seine Unwissenheit am grössten erscheinen. Noch mehr ist es der Fall, wenn wir einsehen, dass eine jede Erscheinung der Natur, wenn nur tief genug analysiert, uns in das undurchdringliche Dunkel der Metaphysik führt; dass im Grunde das Streben des Steines gegen den Mittelpunkt der Erde eben so unerklärlich ist, als das Denken des Menschen.

Metaphysisch genommen giebt es also gar keinen Unterschied der Begreiflichkeit der Dinge: sie sind uns alle gleich unverständ--lich. Es ist nur ein Wahn der Materialisten, dass in der naturwissenschaftlichen Betrachtung der Dinge alles Dunkel sich in Licht auflöse. Kraft und Stoff halten sie für das Begreifliche, der Geist ist ihnen unbegreiflich, daher sie ihn denn in Kraft und Stoff aufzulösen versuchen. Davon ist aber das gerade Gegenteil wahr. Wenn überhaupt etwas begreiflich ist, so ist es der Geist, das

Bewusstsein, von welchem allein wir unmittelbar wissen, während wir die ganze Natur nur mittelbar erkennen, soweit sie nämlich auf das Bewusstsein einzuwirken vermag. Aller Stoff löst sich also in Bewusstseinszustände auf. Ein anderes Sein, als ein vorgestelltes, erkennen wir überhaupt nicht. Sein und Erkanntwerden (esse percipi) ist tautologisch. Der Geist also ist das Primäre. und Reale; der Stoff ist lediglich ein sekundäres Phänomen, dessen Realität vorläufig noch dahin steht, und die ganze stoffliche Vorstellungswelt wäre eine andere, wenn die Wahrnehmungsfähigkeit unseres Geistes verändert würde. Wenn also die Materialisten den Geist leugnen, weil er sich nicht mit Händen greifen lässt, den Stoff aber für real erklären, weil man sich den Kopf empfindlich daran stossen kann, so klingt dies zwar sehr plausibel, ist aber dennoch verkehrt. Sogar der dem Materialismus so nahe stehende Huxley sieht sich zu einem Proteste gegen denselben genötigt: „Wenn die Materialisten über die Grenze ihres Weges hinausschweifen und davon zu reden anfangen, dass es nichts weiter im Weltall gebe, als Stoff und Kraft und notwendige Gesetze, dann lehne ich ab, ihnen zu folgen... Stoff und Kraft sind, soviel wir wissen, nur Namen für gewisse Formen des Bewusstseins... Und so ist es unbestreitbare Wahrheit, dass das, was wir die materielle Welt nennen, uns nur bekannt wird unter den Formen der idealen Welt, und wie Descartes uns sagt, ist unsere Kenntnis der Seele innerlicher und gewisser, als unsere Kenntnis des Körpers".

Es ist somit klar, dass wir nicht in der einseitigen Untersuchung der objektiven Welt die Wahrheit finden können; denn diese Untersuchung führt uns nur wieder in die Tiefe und gerade vor das Problem des Geistes.

Man glaubt also am meisten zu wissen, wenn man anfängt zu lernen; das gilt vom Einzelnen, wie von der Menschheit. Die Welt rückt unserem Verständnis nicht näher, sondern je mehr wir lernen, desto wundervoller und rätselhafter erscheint sie uns. ,,Der Born der Natur" wie Fechner') sagt

1) Fechner: Zend-Avesta I. 426.

,,vertieft sich

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