Billeder på siden
PDF
ePub

Ueber die epische Poesie der Provenzalen,

besonders

über die beiden vorzüglichsten Epen Jaufre und Girart de Rossilho, so wie über die Ausgaben und Handschriften, worin sich dieselben

befinden.

Von

Prof. Dr. Aug. Mahn.

Die provenzalische Litteratur konnte einst eine grosze Menge epischer Gedichte aus allen Sagenkreisen aufweisen, wie wir aus den zahlreichen Erwähnungen bei den provenzalischen lyrischen Dichtern des 12. und 13. Jahrhunderts, besonders aber aus den beiden didaktischen Gedichten des Guiraut von Cabreira (Mahn, Ged. der Troub. Nr. 1033) und des Guiraut von Calanso (Ged. Nr. 111) ersehen. Das rasche Aufblühen und die reiche Entwicklung der Lyrik, welche alle Volkspoesie überhaupt und somit auch die epische Poesie in den Hintergrund drängte, und sie zuletzt beinahe ganz verschwinden liesz, bewirkte, dasz auch die Werke selbst untergingen, und dasz nur wenige davon gerettet wurden, und so auf die Nachwelt kamen; besonders da sicherlich manche mehr im Gedächtnisz der Spielleute fortlebten als dasz sie niedergeschrieben waren. Dies veranlaszte einen Grammatiker des 13. Jahrhunderts, Raimon Vidal von Bezaudun, zu sagen, dasz die französische Sprache mehr zu Romanen und Pasturellen, die provenzalische aber mehr zu Versen, Canzonen und Sirventesen geeignet sei, weil ihm zu seiner Zeit keine umfangreiche provenzalische epische Poesie mehr vorlag. Auf ein allgemeines Nichtvorhandengewesensein derselben läszt sich aber aus dieser Aeuszerung des Grammatikers durchaus nicht schlies zen, wie man

wirklich schon fälschlich daraus geschlossen hat. Dies wäre einem Wunder gleich zu achten, da bei allen alten Völkern der spätern lyrischen, didaktischen und dramatischen Poesie eine epische nothwendigerweise voraufgeht, und ja doch noch einige alte provenzalische Epen wirklich übrig geblieben sind. Ein solches unkritisches Räsonnement war einem Grammatiker des 13. Jahrhunderts erlaubt, für uns ist so etwas keine Argumentation mehr. Allerdings sind mehr Pasturellen und Romane der Nordfranzosen vorhanden; aber auch im Provenzalischen giebt es Pasturellen, und zwar ist diese Art der Poesie sehr alt; denn im Leben Cercamon's, eines der ältesten Troubadoure in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts, heiszt es, er habe Pasturellen nach der alten Manier, d. h. im einfachen, volksthümlichen Tone, gedichtet. Auch von Marcabrun, dem Schüler Cercamon's, der ungefähr von 1140-1185 dichtete, giebt es Pastoretas. Ueberdies ist die französische Sprache zu Versen, Canzonen und Sirventesen eben so gut geeignet als die provenzalische. Was würde man von jemandem sagen, der die deutsche und italiänische Sprache etwa so vergliche, dasz die italiänische Sprache sich mehr zu Novellen und die deutsche mehr zu Romanen eigne, weil es in jener mehr Novellen und in dieser mehr Romane giebt? Und doch legen moderne Kritiker auf ein solches Räsonnement bei Raimon Vidal noch Werth.

Unter den Epen, die dem Untergang entgingen, zeichnet sich das Epos Girartz de Rossilho vor allen anderen aus, sowohl was das Alter als den Inhalt und die Sprache, so wie auch die Form oder den Versbau betrifft. In der Gestalt, in welcher es uns vorliegt, wurde es wahrscheinlich am Ausgang des 11. oder im Anfang des 12. Jahrhunderts von einem ungenannten Dichter nicht sowohl verfaszt als nach älteren dem 10. Jahrhundert angehörigen Liedern und Traditionen neu angeordnet, überarbeitet und erweitert, wie das das Schicksal aller ältesten Epen war, der Iliade und der Odyssee, des Nibelungenliedes, der Chanson de Roland, und in neueren Zeiten der finnischen Kalewala, wobei ein Gelehrter, Namens Lönnrot, die Rolle des Homer spielte, oder der serbischen Volkslieder, die Wuk Stephanowitsch dem Munde des Volkes ablauschte, und sie dann niederschrieb. Spuren der Entstehung aus einzelnen ver

schiedenen Liedern, indem ein und derselbe Inhalt in mehreren verschiedenen Tiraden vorgetragen wird, die nun unvermittelt neben einander stehen, finden sich mehrere. Eine solche Eigenthümlichkeit findet sich auch in dem Epos Fierabras und im Chanson de Roland, weil sie eben so aus älteren Liedern, die im Munde der Spielleute fortlebten, zusammengestellt, und sicherlich von dem Zusammensteller auch erweitert wurden. Daher die Kritiker sich dann auch bemühen, solche Verse, Strophen oder Tiraden, die sie für eine Erweiterung oder Einschiebung halten, auszuscheiden, was aber immer nur sehr unvollkommen und sehr unsicher gelingen kann. Seiner historischen Grundlage nach reicht unser Epos aber in das 9. Jahrhundert hinauf. Den Inhalt des Gedichts machen die Streitigkeiten und Kämpfe zwischen dem Grafen Girart von Rossilho als Vasallen mit seinem Lehnsherrn Karl dem Kahlen aus, wofür der Dichter aber entweder absichtlich oder aus Verwechslung der Zeiten den berühmteren Karl Martell setzt. Das Gedicht zerfällt in drei Abschnitte; der erste behandelt Gerhard's Kriege mit dem Könige, die nach anfänglichen Siegen, in Folge deren er sein durch einen Verräther dem Könige überliefertes Schlosz Rossilho wiedergewann, um es durch abermahligen Verrath an den König zu verlieren, nunmehr mit seiner völligen Niederlage und Flucht endigen; der zweite enthält sein Umherirren mit seiner Gemahlinn im Ardennerwalde, wo er als Kohlenträger und sie als Näherinn ihr Leben 22 Jahre hindurch in Dürftigkeit und Niedrigkeit hinbringen; und der dritte seine durch die mit dem König vermählte Schwester seiner Gemahlinn bewirkte Aussöhnung und Wiedererlangung seiner Würden und Länder. Auf das Vorhandensein dieses Epos im Provenzalischen zu ihrer Zeit spielen die beiden oben genannten Guiraut von Cabreira und Guiraut von Calanson, so wie Peire Cardinal, an. Der letztere singt: „Anc Carles Martels ni Girartz Non aucizeron homes tans" (Mahn, Werke der Troub. II, 194). Das Gedicht empfiehlt sich nicht wenig auch in poetischer Hinsicht. Die Sprache desselben ist bei aller Einfachheit und Schmucklosigkeit ungemein energisch und kräftig, die Schilderungen und Beschreibungen sprechen durch ihre Wahrheit und Natürlichkeit an; ganz besonders sind die Kämpfe

und Schlachten mit Vorliebe und objectiv in Homerischer Weise geschildert; jedoch findet in den Schlachtberichten, und der darin beliebten Beschreibung der Tödtungen und Verwundungen ein gewisses Masz Statt; es werden nicht so viele anatomische Gräuel gehäuft wie in dem Rolandsliede; die Berathschlagungen der beiden Parteien werden genau und beredt dargestellt, überhaupt die Reden der verschiedenen Gegner ausführlich mitgetheilt, und der Gang der beständig rasch fortschreitenden Handlung sorgfältig entwickelt. Die Sprache des Gedichts ist etwas dialektisch gefärbt, und weist auf eine Gränze hin, wo die beiden Sprachgebiete, das südliche und nördliche, die Langue d'oc und die Langue d'oïl, zusammentreffen. Das Gedicht empfiehlt sich auch auszerordentlich in philologischer Beziehung. Kein anderes provenzalisches Gedicht ist mehr geeignet, auf Hochschulen und Akademien gelesen und erklärt zu werden als dieses. Nirgend findet der moderne Philologe einen so vortrefflichen Stoff, sich in der Hermeneutik und Kritik so tüchtig zu üben als hier; denn da der Text in den wenigen Handschriften vielfach verderbt ist, und da so manche Wörter und Bedeutungen in den beiden einzigen Wörterbüchern entweder fehlen oder falsch ausgelegt sind, so wird dem Divinationsvermögen des Lesers und Erklärers eine ganz vorzügliche Gelegenheit geboten, sowohl den bis jetzt noch nicht fest genug stehenden echten Text kritisch herzustellen, als auch den Sinn und die Bedeutung der Wörter durch Vergleichung mit den übrigen romanischen Sprachen, besonders mit dem Altfranzösischen, sowie mit dem Mittellateinischen, dem Deutschen und Celtischen in allen ihren Dialecten, oder endlich oft auch durch. blosze Ahnung und Vermuthung ausfindig zu machen. Eine so vortreffliche Gelegenheit zur philologischen Uebung trifft man selbst im Griechischen und Lateinischen nicht mehr so stoffreich

und so jungfräulich an. Wir besitzen dieses Epos, oder wie die Provenzalen selbst es nennen, diesen Roman in 4 Handschriften, in einer vollständigen, in einer fast vollständigen, in einer unvollständigen und in einem kurzen Bruchstück. Die fast vollständige ist die rein provenzalische, wenn auch mit etwas dialectischer Färbung, die wir daher A nennen wollen. Es fehlen an dieser die ersten 564 Verse. Sie befindet sich

in Paris auf der groszen zuerst königlichen, dann republikanischen, dann kaiserlichen, dann wieder königlichen, dann wieder republikanischen, dann wieder kaiserlichen und jetzt wieder republikanischen Bibliothek. Es sind im Ganzen 9000 Verse. Die zweite vollständige, deren Sprache nicht so rein provenzalisch ist, sondern in einen sich dem Nordfranzösischen nähernden Text umgeschrieben, befindet sich zu Oxford in der Bodleiana. Wir werden sie B nennen. Sie war Raynouard, Fauriel, Diez und Hofmann noch ganz unbekannt. Francisque Michel theilte in einem Rapport à Monsieur le Ministre (vom Jahre 1839, p. 202) 9 Anfangs- und 12 Schluszverse davon mit. Es scheint aber, als ob niemand Kenntnisz davon nahm; auch ich erfuhr ihr in diesem Rapport angezeigtes Vorhandensein erst später dadurch, dasz ich denselben zufällig käuflich erwarb. Sie wurde für die gelehrte Welt gleichsam von neuem von dem damahligen Doctor und jetzigen Professor an der Berliner Universität Steinthal bei seinem in das Jahr 1855 fallenden Aufenthalt in Oxford entdeckt, welcher, als er mir diese Entdeckung ankündigte, zugleich die Güte hatte, mir die ersten 657 Verse in einer sauber ausgeführten Durchzeichnung mitzutheilen. Die Handschrift scheint auf der ersten Seite etwas gelitten zu haben, und auch sonst sind durch die ungeschickte Hand eines Buchbinders in der Mitte der Handschrift einige Buchstaben vom Rande ganze Seiten hindurch abgeschnitten. Wie schwer die Lesung der ersten Seite dem sonst in Handschriften zu lesen so geübten Fr. Michel gefallen sein musz, beweist der Umstand, dasz derselbe in den 9 ersten Versen 12 Verschiedenheiten von der correcteren Steinthalschen Abschrift aufweist. Ich habe diese 657 Verse in dem ersten Bande meiner Ausgabe der Gedichte der Troubadours vom Jahre 1856 abdrucken lassen, und die Fortsetzung durch andere Abschreiber ebendaselbst und im zweiten und vierten Bande dieser Gedichte bis v. 8998 geliefert, so dasz nur noch etwa 1000 Verse des Schlusses fehlen. Es kommen in der Handschrift viele Schreibfehler vor, manche Wörter sind vollständig verderbt, aber dennoch können wir durch dieselbe viele in A verfälschte und unverständliche Stellen in ihrer ursprünglichen Gestalt wiederherstellen, zumahl A auch viele Zeilen überspringt,

« ForrigeFortsæt »