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Erstes Buch.

Die ursprüngliche Begründung des Angelsäch= sischen Staatswesens.

Erstes Capitel.

Sächsische und Walisische Ueberlieferungen.

Indem vor 11 Jahrhunderten ein fleißiger und gewissenhafter Geschichtsschreiber das Andenken an die Niederlassung unserer Vorväter in England zu erhalten wünschte, vermochte er davon keine vollständigere und bessere Rechenschaft zu geben, als diese:,,Um das Jahr der Erlösung 445–446 waren die Britischen Bewohner von England von ihren Römischen Oberherren, welche sie beschüßt, eben dadurch aber auch unkriegerisch gemacht hatten, verlassen worden; nun den Raubzügen der Pikten und Skoten von den äußersten uncivilisirten Theilen der Insel her ausgeseßt, riefen sie heidnische Sachsen vom Europäischen Festlande zum Beistand. Diese Ausländer führten ihren Auftrag treulich aus, und züchtigten die Nordischen Angreifer; aus Verachtung gegen die Schwäche ihrer Auftraggeber unterwarfen sie dieselben dann von neuem dem Joche, und gründeten nach mannichfachem Glückswechsel ihre eigene Macht auf die Ueberbleibsel der Römischen und Britischen Civilisation". Die wenigen Angaben, welche bis auf die Zeit jenes Historikers gekommen waren, erzählen, daß diese Ausländer unter der Führung zweier Brüder Hengest und Hors standen: daß ihre Kriegsschaar in 3 Schiffen oder Kielen ankam: daß diese aus Jüten, Sachsen und Angeln bestanden habe: daß ihre glücklichen Erfolge ähnliche Abenteurer unter ihren Landsleuten reizten, und daß im Verlaufe der Zeit deren fortgesette Auswanderungen so massenhaft wurden, daß ihre eigentliche Heimath Angeln zur Einöde wurde').

1) Beda, Hist. eccles. I, 14, 15. Gildas, Hist. § 14. Nennius, Hist. § 38.

In solcher Weise ward im 8. Jahrhundert vom Siege der Sachsen erzählt; in späterer Zeit fanden die überwundenen Briten einen traurigen Trost darin, daß sie Einzelnes hinzufügten, wodurch der Eroberungslaufbahn ihrer Ueberwinder das Brandmal der Treulosigkeit aufgedrückt werden sollte. Nach solchen gegnerischen Geschichtsquellen waren es Verrath und Betrug, welche den Sieg der Sachsen herbeiführten und sicher stellten. Die Ränke der schönen Tochter Hengest's') verblendeten den Britischen Herrscher; eine mörderische Verlegung der Rechte der Gastfreundschaft, wodurch die Häuptlinge der Briten an der Tafel ihrer Gastfreunde vernichtet wurden, überlieferte das wehrlose Land dem barbarischen Eindringlinge2), und die wunderbare Dazwischenkunft des Germanus, die Zauber des Merlin, die Tapferkeit Arthur's und die siegreiche Laufbahn des Aurelius Ambrosius verschoben zwar und rächten zum Theil den Fall ihres Volkes, konnten ihn aber nicht verhindern3). Wahrlich, mager sind die Berichte, welche die Wißbegierigften unserer Vorväter befriedigten; aber so, wie sie sind, wurden sie als unzweifelhafte Wahrheit angenommen, und man berief sich auf sie in spätern Zeiten als auf die ältesten glaubwürdigen Geschichtsquellen unseres Stammes. Die schärfere Kritik eines weniger leichtgläubigen Zeitalters, welches erfahrner in der Beurtheilung der Glaubwürdigkeit und bekannt mit den schwankenden Formen mythischen und epischen Denkens ist, sieht darin nur eine ungeordnete Masse von Ueberlieferungen, entlehnt aus den verschiedenartigsten Quellen, roh und mit geringer Wahrheitsliebe zusammengehäuft, so daß darin ein möglichst kleiner Theil historischer

1) Nach den Handschriften ist es unsicher, ob dieselbe Rouwen oder Nonwen zu nennen ist. Nach der gewöhnlichen Englischen Sage war ihr Name Rowena; wenn dies genau ist, so vermuthe ich, daß unsere heidnischen Vorväter Etwas von einer Gottheit Hródwén wußten, was möglicher Weise eine dialektische Nebenform der ,,großen und ruhmreichen" Göttin Hréde ist; vergl. darüber Cap. 10 dieses Buches.

2) Die Geschichte der verrätherischen Ermordung der Walisischen Häuptlinge ist nicht nothwendig Englischen Ursprungs. Sie wird von den alten Sachsen des Festlandes erzählt in Beziehung auf die Unterwerfung der Thüringer. Vergl. Widukind.

3) Vergl. Nennius, Hist. 37 f. 46 f. Beda, Hist. eccles. I, 14. 15. Gildas, Hist. §. 25.

Wahrheit mit einer Menge Fabeln vermischt ist. Doch die Wahrheit, welche solche Ueberlieferungen dessen ungeachtet enthalten, gewährt dem forschenden Scharffinne unserer Zeit eine goldene Ernte; wenn wir auch nicht alle Einzelnheiten solcher Sagen für glaubwürdig halten dürfen, so deuten uns dieselben wenigstens den Weg an, den wir verfolgen müssen, um das Thatsächliche auszuforschen, worauf die Mythe oder das erzählende Gedicht beruht, und um uns die Zeit und die Dertlichkeit auffinden zu lassen, in welcher diese Wurzel faßten und blühten. Gewiß ist, daß in Zeiten, welche außerhalb der historischen Erinnerung legen, beständige Aenderungen in der gegenseitigen Stellung und dem Zustande der verschiedenen Stämme stattfanden, mit denen die nördlichen Theile von Europa bevölkert waren. In dieses große Becken ergossen sich die einander folgenden Strömungen Keltischer, Germanischer und Slavischer Einwanderungen, und hier wurden Jahrhunderte hindurch wahrscheinlich Erschütterungen veranlaßt, welche in dem großen Ausbruche ihr Ende fanden, den die Deutschen die Völkerwanderung nennen. Mehrere Menschenalter hindurch mögen Volksstämme oder Theile davon von Ort zu Ort gezogen sein, wie die Verhältnisse es erforderten; Namen mögen aufgetaucht und dann sämintlich wie- . der in Vergessenheit gerathen sein; Kriege, Aufstände, Eroberungen, das Aufblühen und der Sturz von Staaten, die feierliche Bildung und Wiederauflösung von Bündnissen mögen den Zeitraum gefüllt haben, welcher zwischen der ersten Ansiedlung der Germanen in Deutschland und ihrer für die Ruhe Roms so gefährlichen Erscheinung in der Geschichte liegt. In den Heldenliedern') sind viel

1) Der Angelsächsische Pilgergesang (in Ettmüller, Engla and Seaxna scôpas, S. 208–211) enthält eine Menge Namen, welche sonst nirgends gefunden werden. Paulus Diaconus und Jornandes haben offenbar alte Gedichte zur Grundlage ihrer Geschichtswerke benußt. Die Lieder der verschiedenen Germanischen Sagenkreise gewähren Aufklärung über Hermanrich, Ottokar, Theodorich, Hildebrand und andere Helden jener bewegten Periode. Diejenigen Leser aber, welche über die fragmentarischen und ungenügenden Ergebnisse der Forschungen über die alten Ueberlieferungen richtig urtheilen möchten, thun besser, das ausgezeichnete Buch von Zeuß „Die Deutschen und die Nachbarstämme (München, 1837. 8.)“ zu Rathe zu ziehen. Sie werden dort sehen, wie die gründlichste Kenntniß erlahmt in Bezug auf das Thatsächliche alter Zeiten, und sich umsonst bemüht, die mannigfaltigen Unrichtigkeiten auf die Wahrheit zurückzuführen.

leicht einige dunkle Spuren dieser Ereignisse erhalten; aber von allen diesen Veränderungen wissen wir nichts Genaues: wir vermuthen nur, daß Völker, welche in so hohem Grade, wie die Deutschen, die Prinzipien, Künste und Einrichtungen der Civilisation besaßen, eine lange thatenreiche und leidenvolle Lehrlingszeit durchgemacht haben müssen, und daß sie in der rauhen Schule der Erfahrung die Weisheit erlernt haben mögen, die sie in ihrem Leben offenbarten. Da unsere Vorväter schriftlich abgefaßte Geschichtsbücher nicht besaßen, und den Dichtern das Geschäft des Geschichtsschreibers überließen, so haben sie nur sehr karge Angaben über ihre früheren Zustände überliefert1). Auch bekümmerte sich die hochmüthige und arglose Unwissenheit Italiens nicht darum, die Lebensweise und die Sitten solcher Barbaren zu erforschen, bis die Waffen derselben die Civilisation oder sogar das Dasein des Reiches bedrohten. Damals zuerst ward durch das Zwielicht, welches dem gänzlichen Untergange der Sonne Roms vorausging, der Koloß des Germanischen Völkerstammes in seiner riesenhaften Größe, Furchtbarkeit und Räthselhaftigkeit sichtbar; und der Versuch, seine schrecklichen Züge darzustellen, kam zu spät, um ganz erfolgreich zu sein. Rom besaß in Tacitus allerdings einen Denker, der einem so hochwichtigen Gegenstande gewachsen war; aber seine Skizze, obgleich über Erwarten kräftig, ist doch in vielen der wichtigsten Punkte unvollständig: doch ist dies der vollständigste und ins Einzelne gehende Bericht, den wir besizen, und fast die einzige sichere Quelle der Belehrung bis zu dem Zeitpunkte, wo die barbarischen Stämme in alle Theile des Römischen Reiches eindrangen, und ihre große Aufgabe, der Gesellschaft von Grund aus neue Formenzu geben, begannen. Aus verschiedenen Orten und Zeiten hat man Spuren von mächtigen Kämpfen, von Völkerbewegungen, von zerstörenden Revolutionen; aber die bestimmten Thatsachen, welche aus der Dunkelheit der drei ersten Jahrhunderte hervorleuchten, stehen vereinzelt da. Wir wollen unsere Aufmerksamkeit auf den Theil des Germanischen Völkerstammes beschränken, welcher auf unserer Insel sich niederließ.

Das Zeugniß der Geschichte jener Zeit erweist, daß um die

1) Tacit. Germ. c. 2: Celebrant carminibus antiquis, quod unum apud illos memoriae et annalium genus est.

Mitte des fünften Jahrhunderts eine bedeutende Bewegung unter den Stämmen stattfand, welche die westlichen Küsten Deutschlands und die Inseln des Baltischen Meeres bewohnten. Wiederholte Angriffe unruhiger Nachbarn, übermäßiges Anwachsen der Bevölkerung, oder Luft an abenteuerlichen Unternehmungen trieben die Angeln, Sachsen und Friesen an, das noch wenig bekannte, gefahrvolle Meer zu überschreiten und neue Wohnsize in nahegelegenen Ländern zu suchen. Obgleich uns kühne Thaten bei Seeunternehmungen als etwas Gewöhnliches erscheinen (da ja unsere Flagge auf allen Meeren weht und in allen Winden auf der Erde flattert), müssen wir doch mit Bewunderung diese kühnen Seefahrer betrachten, welche überall umherschwärmten, alle Meere durchsegelten, alle Flußmündungen und Meerbusen befuhren, und an jeder Küste landeten, wo sie plündern oder rasten wollten. Der Wohlstand Galliens hatte schon durch Raubzüge furchtbar gelitten, und schon 7 lag der den Römern abgewonnene Raub vor den verwunderten Anwohnern der Elbe und Eider ausgebreitet, als Preis der früheren und Reizmittel zu künftiger Thätigkeit. Britannien, fruchtbar und vertheidigungslos, wo sich während eines langen Friedens Ueberfluß angehäuft hatte, lud, indem es bei der Räumung durch seine Nömischen Gebieter des Waffengebrauchs entwöhnt'), dagegen an fremdes Joch gewöhnt war, zum Angriffe ein, und bot Aussicht auf einen reichen Lohn; und es ist unzweifelhaft, daß damals zahlreiche Einwanderungen von Deutschen nach den englischen Küsten stattfanden2). Die Kriegszüge, welche in der Sage als die des

1) Dies wird von Gildas und Nennius bestätigt, und ist an sich selbst nicht unwahrscheinlich. Die Römer machten zuweilen den Versuch, die von ihnen unterworfenen Nationen zu entwaffnen, z. B. unter Probus die Alemannen, Vospic. c. 14. Der Bericht Malmsbury's über den vertheidigungslosen Zustand ritanniens war wohl nicht übertrieben: er sagt in Gest. reg. I, § 2: Ita cum tyranni mulfum in agris praeter semibarbaros, nullum in urbibus praeter ventri deditos reliquissent, Britannia omni patrocinio juvenilis vigoris viduata, omni excercitio artium exinanita, conterminarum gentium inhiationi diu obnoxia fuit.

2) Prosper Tyro zum Jahre 441 sagt: Theodosii XVIII. Britanniae usque ad hoc tempus variis cladibus eventibusque latae (? laceratae) in ditionem Saxonum rediguntur. Vergl. auch Procop. Bell. Goth. IV, 20. Die erstere Stelle wäre auch ohne die Annahme einer Einwanderung verständlich, obgleich eine solche durch die Züge des Attila wahrscheinlich gemacht wird.

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