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Siebentes Capitel.

Der Dienstadel.

Ich habe das Vorrecht, einen Comitatus oder eine Schaar von Hausgenossen zu unterhalten, einen wirklichen Juwel in der Krone genannt; und ein solcher war es auch, weil es im Verlauf der Zeit die Grundlage aller der ausgedehnten Befugnisse bildete, welche die Attribute des Königthums wurden, und weil es endlich dahin führte, daß nach dem Sturze der alten Dynasten oder Adeligen von Geburt ein neuer Stand von Adeligen vermöge ihres Dienstes sich ausbildete, welcher Leztere in der Krone selbst wurzelte. Eine genaue Erforschung seines allmähligen Entstehens, seines Wachsthums und seiner höchsten Entwickelung wird zeigen, daß die natürliche Grundlage des Comitatus in dem größeren Reichthum und den umfangreichen Privatbesigungen des Fürsten sich findet.

In Beziehung auf alle Zeitalter der Welt und unter allen Verhältnissen der Gesellschaft hat sich eine Aufgabe von tiefem Sinne zur Lösung dargeboten, nämlich: wie die bestehenden Vertheilungen des Eigenthums mit den Bedürfnissen einer wachsenden. Bevölkerung sich vereinigen lassen. Erfahrung lehrt uns, daß fast unter allen Umständen gesellschaftlichen Daseins eine Gesammtheit von Menschen, welche im Besiz hinreichender Nahrung und Kleidung sind, ein Anwachsen und eine Vermehrung zeigt, die mit viel zu großer Schnelligkeit zunimmt, um durch die Zahl der natürlichen oder gewaltsamen Todesfälle ausgeglichen zu werden; und daraus ergibt sich dann wieder, daß bei jedem Volke, welches eine bestimmte Anzahl von Haushaltungen auf eine Anzahl Grundbesizungen von hinreichender Größe, um nur je eine Familie bequem zu ernähren, gegründet hat, die Mittel zur Ernährung einer steigenden Bevölkerung sehr bald ein Gegenstand von allgemeiner Schwierigkeit werden muß. Wenn der väterliche Grundbesig für den Unterhalt eines Sohnes erhalten bleibt, wenn die väterlichen Waffen auf diesen übergehen, um in den Fehden seiner Familie oder im Dienste des Staates gebraucht zu werden, was wird dann aus den andern Söhnen werden, welche vom Genusse der Wohlthaten der Erbfolge ausgeschlossen waren? In wenigen Fällen können wir annehmen, daß natürliche Zuneigung einen peinlichen

und zulezt doch erfolglosen Versuch veranlaßt haben mag, die Familie zusammenzuhalten; hier und da mögen Fälle vorgekommen sein, in welchen eine Gemeinde ihrer Lage wegen glücklich genug war, um zur Schaffung neuer Grundbesigungen in Folge neuen Bedarfs die erforderlichen Mittel zu besigen: und Eroberung oder gewaltsame Vertheilung eines benachbarten Gebietes mag für die neue Generation eine Ausstattung gewährt haben. Tacitus erzählt uns zwar'), daß,,numerum liberorum finire aut quemquam ex agnatis necare, flagitium habetur"; doch widerspricht dem die Ueberlieferung, indem sie die Aussehung von Kindern unmittelbar nach der Geburt erwähnt, so daß es dem freien Willen des Vaters überlassen war, das Leben des Kindes zu erhalten oder nicht 2). Und ebenso gedenken die Nordischen Sagen der feierlichen und freiwilligen Verbannung eines gewissen, durch das Loos bestimmten Theiles des Volkes in gewissen Zeitabschnitten 3). Allein nach dem natürlichen Verlaufe der Dinge muß Derjenige, welcher in der Heimath seinen Lebensunterhalt nicht finden kann, denselben auswärts suchen; wenn das Familiengut ihn nicht mit genügendem Lebensbedarf versieht, so muß er bemüht sein, denselben durch die Wohlthätigkeit oder durch die Bedürfnisse Anderer zu erhalten; denn Auswanderung ist mit schweren Mühsalen verbunden, und dazu bedarf er des Beistandes: und in einer solchen Periode, wie wir sie eben schildern, gewähren Handel und Gewerbe noch keine Hülfsquellen für die zunehmende Bevölkerung. Aber alle einzelnen Hufen oder Grundstücke der Gemeinfreien werden hier als in dieselbe Klasse eingeschloffen betrachtet, und der arme Gemeinfreie kann

1) Tacit. Germ. c. 19.

2) Grimm, Deutsche Rechtsalterth., S. 455.

3),,Cumque, ut dixi, sive parum compluta humo, seu nimium torrida, torpentibus satis, ac parce fructificantibus campis, inediae languor defectam escis regionem attereret, nullumque, parum suppetentibus alimentis, trahendae famis superesset auxilium, Aggone atque Ebbone auctoribus, plebiscito provisum est, ut senibus et parvulis caesis, omnique demum imbelli aetate regno egesta, robustis duntaxat patria donaretur; nec nisi aut armis, aut agris colendis habiles domestici laris paternorumque penatium habitacula retinerent". Doch nach dem Rathe des Gambara loosten sie, und ein Theil des Volkes wanderte aus. Saxo Gramm. S. 159: Igitur omnium fortunis in sortem conjectis, qui designabantur, extorres adjudicati sunt. Nach der Angabe des Geoffry v. Monmouth kam unter ähnlichen Umständen Hengest nach Britannien.

nur von den ausgedehnten Besizungen des Adeligen zu leben hoffen, ohne geradezu Alles einzubüßen, was das Leben werthvoll macht. Er muß irgend eine Art von Diensten leisten, und unter Allem, was er anbieten kann, ist Kriegsdienst, der ehrenvollste und anziehendste für ihn selbst, gewiß auch der angenehmste für den Herrn, dessen Schuß er sucht.

Die Versuchung, sich für ferne oder gefahrdrohende kriegerische Abenteuer verbindlich zu machen, wird dem ackerbautreibenden Ansiedler, dessen ununterbrochene Arbeit dem eigenen Grund und Boden nur das Nothdürftigste abgewinnt, nicht sehr groß erscheinen. Nur mit Bedauern und innerem Widerstreben wird ein solcher Mann das Land verlassen, welches er bearbeitet, oder die Ernten, welche er groß gezogen hat, sogar dann, wenn die Nothwendigkeit der Selbstvertheidigung die Gemeinde zu den Waffen ruft; ganz anders aber verhält es sich mit Demjenigen, welcher keine Mittel hat, vom Landbau zu leben, oder welchen seine Besigthümer der Nothwendigkeit sorgenvoller und unablässiger Arbeit überheben. Der Fürst, nicht allein bereichert durch die Beiträge seiner Lands-. leute und die Geschenke benachbarter Staaten oder Häuptlinge, sondern auch Herr eines größern Privatgrundbesiges, als er zu seinem eigenen Lebensunterhalt bedarf, hat Muße zu ehrgeizigem Streben und Macht, die demselben dienenden Werkzeuge zu belohnen. Er kann gestatten, daß auf dem Grund und Boden, dessen er zur eigenen Cultivirung nicht bedarf, Freie oder selbst Leibeigne ihr Hauswesen gründen, unter solchen Bedingungen, wie ste ihm nüßlich und jenen erträglich erscheinen. Er kann sich mit bewaffneten und adeligen Hausgenossen umgeben, die durch seine Freigebigkeit oder seinen auf staatsmännischen oder kriegerischen Eigenschaften beruhenden Ruf angezogen worden sind '), und die er an feiner eigenen Tafel speist, und unter seinem Dache wohnen läßt: diese leisten vielleicht sogar Kriegsdienste in seinem Haushalt, und auf ihre Unterstüßung kann er rechnen bei Angriffs- oder Verthei

1) Bed. Hist. eccles. III, 14: Erat autem rex Oswini et aspectu venustus, et statura sublimis, et affatu jucundus, et moribus civilis, et manu omnibus i. e. nobilibus simul atque ignobilibus largus; unde contigit, ut ob regiam ejus et animi et vultus et meritorum dignitatem ab omnibus diligeretur, et undique ad ejus ministerium de cunctis prope provinciis viri etiam nobilissimi concur

rerent.

digungsplänen. Es erscheint auch nicht wahrscheinlich, daß eine Gemeinde gleich anfangs die große Gefahr entdeckt haben mag, die ihr durch eine solche Einrichtung drohte; viel öfter muß sich der Landmann beglückwünscht haben, daß diese Einrichtung ihm die Nothwendigkeit ersparte, den Pflug und die Egge zu verlassen, um plöglichen Angriffen entgegenzutreten oder Maßregeln der innern Politik durchzusehen, und daß das feste Schloß mit seiner Schaar immer wachsamer Vertheidiger als Schuhwehr nahe bei dem angreifbaren Gränzsaume der Mark da war.

Die Germania des Tacitus gewährt uns eine eingehende Darstellung der Einrichtung des Comitatus, welche in jeder Beziehung durch dasjenige vollkommen bestätigt wird, was wir aus andern authentischen Quellen entnehmen können. Seine Worte find folgende:

„Herkunft aus adeligem Geschlechte oder große Verdienste der Väter geben die Fürstenwürde auch Jünglingen; sie werden den übrigen Kräftigeren und schon früher Erprobten zugesellt. Auch gereicht es nicht zur Schande, unter den Begleitern (comites)') gesehen zu werden. Außerdem hat die Gefolgschaft (comitatus) selbst ihre Abstufungen, je nach dem Ermessen desjenigen, dem sie folgt; und groß ist der Wetteifer der Gefolgsgenossen, wer von ihnen bei ihrem Oberhaupte den ersten Plaz einnehmen solle, und ebenso groß der Wetteifer der Fürsten, wer von ihnen die meisten und tapfersten Begleiter habe. Darin lag die Würde und Macht, stets von einer großen Schaar auserwählter Jünglinge umgeben zu sein; im Frieden gereichte es zur Auszeichnung, im Kriege zum Schuße. Nicht nur bei seinem Volke, sondern auch bei benachbarten Staaten gewährte es Jedem einen ehrenvollen Namen und Ruhm, durch die Zahl und Tapferkeit der Gefolgschaft ausgezeichnet zu sein; solche werden durch Gesandtschaften gesucht, mit Geschenken geehrt, und bestehen meist schon vermöge ihres Rufes die Kriege siegreich (Cap. 14): Sobald es zur Schlacht gekommen ist, gereicht es dem Fürsten zur Schmach, an Tapferkeit Jemandem nachzustehen, und dem Gefolge, es der Tapferkeit des Fürsten nicht gleichzu

1) Gerade diese Angabe beweist, daß die Stellung des comes an sich eine niedrigere war, als die des Freien.

thun; und für das ganze Leben ist es ein Vorwurf und eine Schande, nach dem Falle des Fürsten lebend aus der Schlacht zurückgekehrt zu sein. Jenen zu vertheidigen, zu beschüßen, seinem Ruhme auch die eigenen tapfern Thaten zuzurechnen, dieß ist die vorzüglichste Pflicht. Die Fürsten kämpfen um des Sieges willen, das Gefolge für den Fürsten. Wenn der Staat, aus dem sie stammen, durch langen Frieden und Waffenruhe erstarrt, begeben sich die meisten adeligen Jünglinge freiwillig zu den Völkern, welche eben im Kriege begriffen sind; weil dem Volke die Ruhe zuwider ist, und weil man im Kampfe leichter Ruhm erwirbt, endlich weil eine große Gefolgschaft nur durch Gewalt und Krieg erhalten werden kann; denn durch die Freigebigkeit ihres Fürsten erhalten sie das Kriegsroß, die blutige und siegreiche Lanze; und Mahlzeiten und Unterhalt, der zwar nicht fein zubereitet, aber reichlich ist, gelten ihnen statt des Soldes. Den Stoff zu Geschenken liefern Krieg und Raub. Nicht so leicht wird man überreden, die Erde zu beackern und die Jahresernte zu erwarten, als den Feind herauszufordern und Wunden zu verdienen; es erscheint vielmehr als träge und feig, mit Schweiß zu erwerben, was man mit Blut sich verschaffen fann").

Es würde schwierig sein, in wenigen Zeilen eine ebenso klare und bewundernswerthe Darstellung der Eigenthümlichkeiten des Comitatus zu geben, wie Tacitus uns eine solche in dieser kräftigen Skizze hinterlassen hat; und es ist nur noch wenig übrig, außer zu zeigen, wie seine Ansicht durch andere Quellen der Belehrung bestätigt wird, und die Schlüsse zu ziehen, welche sich naturgemäß aus diesen Vordersägen ergeben.

Dem Einflusse und der Thätigkeit dieser Verbindungen werden mit Recht nicht nur die Eroberungen der verschiedenen Stämme, sondern auch die wichtigsten Abänderungen in dem Rechte des Volkes zugeschrieben. Wie der eigenthümliche Namen des Gemeinfreien Ceorl ist, und für den Edelbürtigen Eorl, so ist Gesid das eigentliche Wort für den comes oder Begleiter. Das leßtere Wort steht in engem etymologischen Zusammenhange mit síð, eine Reise, und wörtlich bezeichnet es einen Mann, der den andern begleitet.

1) Tacit. Germ. c. 13 s.

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