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ßeren Theil dieser lehteren dem Charakter seiner Zeit zur Laft legte und mit der Anpreisung der ersteren sich immer mehr in die Vorstellung eines von Erziehung und Bildung entblößten Kraftgenies vertiefte. Aus demselben Grunde geschah es denn auch, daß man sich in Bezug auf seine Lebensgeschichte mit den abgeschmacktesten Anekdoten begnügte, ohne sich Rechenschaft davon zu geben, ob dieselben durchaus glaubhaft seien, und in diesem Falle einigen Werth für das Verständniß seiner geistigen Entwickelung haben. Je mehr man dieses Schauspiel verfolgt, desto mehr kommt man in Versuchung zu glauben, daß diesen Kritikern tros des außerordentlichen Aufwandes an Zeit und Mühe und trotz der wiederholten Versicherung des Gegentheils ein inneres geistiges Bedürfniß nach inniger und rückhaltloser Hingebung an den dichterischen Geist Shakspere's völlig abgegangen sei. Man glaubt die unermüdete Anstrengung eines gewissenhaften zwar, aber höchst drückenden Pflichtgefühles zu beobachten und es scheint nicht selten, als müsse sich der Kritiker, unberücksichtigt seiner inneren besseren Ueberzeugung, um jeden Preis von dem Vorwurfe loskaufen, daß er den Dichter, den die allgemeine Stimme zu dem größten der Nation gemacht habe, nicht genug zu schäßen und zu verehren wisse. Sie werden dieses Urtheil nicht zu hart finden, wenn Sie die Entschuldigung von G. Steevens lesen, daß er die Sonnette und andere Gedichte Shakspere's deßhalb nicht wiederum habe abdrucken lassen, weil er überzeugt sei, daß selbst die härteste Parlaments - Akte nicht stark genug sein werde, ihnen Leser zu verschaffen. Auch in Bezug auf die Tragödie, welche wir hier zu besprechen im Begriffe sind, kann ich Ihnen Aeußerungen von gleichem Werth anführen. Derselbe G. Steevens sieht in ihr neben großen Schönheiten nicht minder große Abgeschmacktheiten, und der gelehrte Johnson weiß zu ihrem Lobe nicht viel mehr zu sagen, als daß sie reich an mannichfaltigen Begebenheiten und Charakteren sei, wobei Hamlets Tollheit viel scherzhafte Belustigungen gewähre (causes much mirth), die traurige Geisteszerrüttung Ophelia's große Rührung errege

und jeder Charakter die beabsichtigte Wirkung thue. Bei solchen Anschauungen können Sie leicht begreifen, daß viele Erläuterungen des oft schwierigen Tertes weit mehr darauf gerichtet waren, die gelehrten Kenntnisse des Kritikers an's Licht zu stellen, als die poetische Bedeutung des Gedichtes dem Leser zu eröffnen. Es macht sich dabei nicht selten dieselbe Schwäche für die Anekdote geltend, mit welcher man sich über die Lebensgeschichte des Dichters aufzuklären suchte.

Dieses Mißverständniß tritt am fühlbarsten hervor, wenn es sich um die Frage handelt, zu welcher Zeit das eine und andere Stück Shakspere's entstanden sein könne. Die oft bodenlose Unsicherheit der Commentatoren in Beantwortung dieser Frage steht im engsten Zusammenhange mit der schon gerügten Unfähigkeit, sich von Shakspere's eigenthümlicher Harmonie des Geistes Rechenschaft zu geben. Denn indem man ihn als eine, von den natürlichsten Bedingungen einer hohen geistigen Existenz losgerissene Erscheinung, indem man ihn gleichsam als eine Ausnahme von jeder Regel für menschliche Befähigung und Entwickelung betrachtete, verschmähte man die einfachsten und natürlichsten Mittel, um sich dem Verständniß derselben zu nähern. Unfehlbar würde es am Nächsten gelegen haben zu glauben, daß ein Geist von so hoher Begabung, selbst bei der mangelhaftesten Schulbildung, schon sehr früh das Bedürfniß nach poetischen Auslassungen müsse gefühlt und befriedigt haben. So viel mußte doch über jeden Zweifel erhaben sein, daß eine Befähigung von der Größe und Macht, wie man sie fast wider Willen Shakspere zusprach, von der unbezwinglichsten Gewalt gewesen sein müsse. Demungeachtet findet sich unter den älteren Kritikern nicht Einer, der sich zu der Annahme veranlaßt gesehen hätte, daß Shakspere schon mit dem 18. oder 20. Jahre dichterische Werke verfaßt haben könne. Man wußte, daß er im April 1564 geboren war, daß er sich nach kaum vollendetem 18. Jahre verheirathet, mehrere Kinder gehabt, und endlich, daß er in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre seinen Geburtsort, Stratford am Avon verlassen und mit London

vertauscht habe. In der Dürftigkeit dieser Nachrichten aus Shakspere's Leben hätte an sich selbst kein Hinderniß gefunden werden können, um zu glauben, daß es Dichtungen von seiner Hand gegeben habe, welche schon vor 1589 geschrieben seien. Aber Malone der um 1778 zuerst den Versuch machte, eine chronologische Folge seiner dramatischen Dichtungen aufzustellen, hielt sich aus mehrfachen äußeren Gründen dazu veranlaßt, dieses Jahr, also das 25. Jahr seines Lebens, als die Epoche des Beginns derselben zu bezeichnen, und glaubte mit dieser Annahme schon das äußerste Zugeständniß gemacht zu haben, da nach Andern diese Epoche in das Jahr 1591 zu seßen sei. Für dieselbe führte er zuerst den unläugbaren Umstand an, daß in drei Schriften, die in jener Zeit den Stand der englischen Poesie besprachen, Shakspere's Name nicht genannt sei. Die erste: Webbe's Discourse of English Poetry war im Jahr 1586, die zweite: Puttenham's Art of English Poetry im Jahr 1591 und die dritte: Sir John Harrington's Apology for Poetry entweder 1590 oder 1591 erschienen. Ich denke, Sie werden mir zugestehn, daß dieß als ein genügender Beweis gegen die Existenz Shakspere'scher Dichtungen nicht angesehn werden könne. Hätte Shakspere bis dahin irgend eine seiner Dichtungen, sei es auf der Bühne oder durch den Druck unter seinem Namen vor das Publikum gebracht, so würde dieses Schweigen der genannten Schriftsteller nur so viel beweisen, daß man ihn noch nicht unter die berühmteren Dichter gezählt habe. Dagegen ist alle Wahrscheinlichkeit, wenn nicht die Gewißheit vorhanden, daß er gleich vielen Anderen seiner Zeitgenossen mit seinen ersten Versuchen ohne Nennung seines Namens aufgetreten sei. Was auch die Veranlassung gewesen sein mag, durch welche er vermocht wurde, Stratford zu verlassen und sich nach London zu begeben, so mag nach Allem, was wir wissen, der Beginn seines dortigen Aufenthaltes nicht von der Art gewesen sein, daß er ihn zu einem derartigen öffentlichen Auftreten Muth und Gelegenheit genug hätte geben können.

v. Friesen, Briefe.

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Auch für diese Fragen hatte man eine Antwort bereit; Sie mögen urtheilen, ob sie hinreichenden Grund gewährt, um darauf die an sich selbst unwahrscheinliche Annahme zu bauen, daß Shakspere bis in sein 25. Jahr nicht eine poetische Arbeit von größerer Ausdehnung und Bedeutung geliefert habe. Der Dichter Rowe, der im Anfang des vorigen Jahrhunderts die erste kritische Ausgabe von Shakspere's Werken veranstaltete, erzählt uns in einer Skizze über das Leben des Dichters die hier einschlagenden Umstände. Er wollte mit Bestimmtheit wissen, daß Shakspere's Vater ein Wollhändler in Stratford am Avon gewesen sei; unser Dichter habe nach seiner schon erwähnten frühzeitigen Verheirathung dem Vater in diesem Geschäfte beigestanden, bis eine verdrießliche Verwickelung, die von des jungen Mannes ausgelassenem Leben veranlaßt worden, ihn vermocht habe, seine Heimath zu verlassen. Nahe bei Stratford befindet sich, wie durch neuere Nachforschungen ausgemacht ist, das Besißthum der alten ritterlichen Familie Luch, Namens Charlecot. In dem zu diesem Rittersize gehörigen Park soll der junge William mit anderen Gesellen seiner Ausschweifungen Wildpret gestohlen haben; Sir Thomas Lucy, der damalige Besizer, habe nun den Jagdfrevler gerichtlich verfolgt; darauf sei dieser in seiner übermüthigen Laune noch mehr gereizt worden und habe eine überaus beleidigende Ballade gegen den Ritter abgefaßt und veröffentlicht ; hierdurch sei begreiflicher Weise der Zorn des mächtigen und reichen Grundbesizers dergestalt entbrannt, daß William Shakspere nur durch die Flucht aus seiner Heimath sich vor demselben habe schüßen können.

Ich überlasse Ihnen, sowie jedem redlichen Verehrer Shakspere's die Entscheidung, ob auf diese Anekdote großer Werth zu legen ist oder nicht. Die meisten englischen Commentatoren haben diese Ueberlieferung mit großer Begierde ergriffen und, da sie in keiner Hinsicht verbürgt ist, ihre Glaubwürdigkeit nachzuweisen gesucht. Auch hat sich eine Ballade gefunden, von der uns Hunter (New illustrations etc. Lond.

1845. Vol. 1. p. 57.) eine Strophe mittheilt. Seine Versicherung, daß ihr Styl dem aus Shakspere's Zeit und der Inhalt Shakspere's Genius entspreche, ist freilich nur ein überaus schwacher Beweis für ihre Aechtheit, da die Existenz des ganzen Bruchstücks nicht weiter als bis in das Jahr 1690 nachzuweisen ist, in welchem ein Professor der griechischen Sprache von Cambridge, Namens Josua Barnes, dasselbe von einem alten Weibe in Stratford singen hörte und aufgezeichnet hat. Hunter sucht die Wahrscheinlichkeit von der Sage und von der Aechtheit dieses Bruchstückes dadurch noch genauer nachzuweisen, daß er uns eine von Sir Thomas Luch abgefaßte Grabschrift auf seine im Jahre 1595 verstorbene Ge= malin mittheilt, ein heute noch bestehendes Dokument, aus welchem seiner Meinung nach die gegründete Vermuthung hervorgehen soll, daß die in jenem Bruchstück enthaltene Beleidigung gegen den Ritter und seine Frau zu demselben unmittelbare Veranlassung gegeben habe. Auch werden für die ganze Sage zwei Stellen aus dem Lustspiel the Merry wives of Windsor angeführt. Man glaubt in der dort befindlichen Erwähnung eines Wappens mit zwölf Hechten (luces) und eines von Fallstaff verübten Wildfrevels eine unläugbare Anspielung auf den Vorfall im Allgemeinen und auf den Sir Thomas Luch insbesondere erkennen zu müssen. Es wird Ihnen nicht entgehen, daß sich die gesammte Beweisführung, so zu sagen, in einem fehlerhaften Cirkel bewegt. Denn man unterstüßt, wie dieß in solchen Fällen häufig geschieht, nur eine Vermuthung mit einer anderen Vermuthung, ja man kann fast behaupten, die ganze Argumentation lasse sich in folgenden fehlerhaften Syllogismus auflösen:,, weil wir den ́,, verdrüßlichen Handel des jungen Shakspere mit Sir Thomas ,, Luch für wahr halten, finden wir in den von uns angeführ,,ten Schriften und Stellen eine Erklärung, die uns sonst ,, nicht zugänglich sein würde; und weil wir diese Erklärung durchaus festhalten wollen, muß die Vermuthung über jene Begebenheit gerechtfertigt sein." Wie dem aber auch sei, so

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