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Ein

sein.* Wer diese Welt anders verlässt, muss jene anders betreten. Sterblicher also, welcher das Ende der ihm in dieser Welt beschiedenen Dauer nicht abwartet, stürzt sich in einen ganz andern künftigen Zustand, als der ist, in welchen er nach dem Laufe der Natur versetzt worden wäre. EUDOX, wie vieles wagt der Unbesonnene! Der Streich hat einen Einfluss in seine ganze Unsterblichkeit. Alles wird merklich anders, als es für ihn bestimmt war. Und diese kühne Aenderung, diese grofse Revolution trifft er blindlings?

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Wer eine Staatsverfassung durch gewaltsame Vorkehrungen änderte, ohne die gegründetste Vermuthung, dass seine Vorkehrung eine Verbesserung sein werde, der ist ein Verbrecher, ein Feind der göttlichen und menschlichen Gesetze, der sich an Katastrophen ergötzt, ohne zu achten, was seine wilden Unternehmungen für einen Ausgang haben werden. Befindet sich aber der Selbstmörder, der eine vernunftmässige Unsterblichkeit glaubt, nicht in den nämlichen Umständen? Um dem gegenwärtigen Uebel zu entgehen, stürzt er sich blindlings in eine entsetzliche Revolution, ohne die geringste Hoffnung vor sich zu sehen, dass er seinen Zustand dadurch verbessern werde. Wo ist die Ueberzeugung", spricht er, dass diese That dem göttlichen Willen zuwider sei?" Wo ist die wahrscheinliche Vermuthung, frage ich im Gegentheil, dass sie dem göttlichen Willen gemäfs sei? Ohne diese wahrscheinliche Vermuthung muss kein vernünftiger Mann eine so wichtige Handlung unternehmen, und diese kann er in unserm Falle unmöglich haben. Wir können aufser der Offenbarung den göttlichen Willen nicht anders, als aus den Kräften der Natur vermuthen. Was mit den Kräften, die er in die Natur gelegt hat, übereinstimmt, das muss uns statt eines Orakels dienen, bis ein ausdrücklicher Befehl oder der Ausgang der Sache uns eines Bessern belehrt. So lange also die Kräfte der Natur und meines eigenen Körpers zur Erhaltung dieser Maschine übereinstimmen, die mir Gott hienieden zur Gefährtin gegeben, so lange ist es ein Verbrechen, eine sträfliche Empörung, wenn ich mich diesen muthmasslichen Absichten Gottes widersetze, wenn ich etwas anderes will, als Gott mir jetzt zu wollen scheinen muss. Will ich vernünftig, will ich gottselig handeln, so muss ich meinen Willen, so muss ich alle meine Seelenkräfte mit den Kräften der Natur in die vollkommenste Harmonie zu * Siehe den siebenten Brief.

bringen suchen, so muss ich meinen Leib so lange zu erhalten trachten, so lange mir seine Kräfte zu verkündigen scheinen, dass ihn Gott erhalten will, und es seiner unermesslichen Güte anheimstellen, wie bald es ihr gefallen wird, mich in bessere Umstände zu versetzen.

Führe deine Weltweisen, EUDOX! in jene feierlichen Versammlungen, wo Müfsiggänger die theure Zeit im Pharo verspielen. Der Weltweise kann die verworfenste Kleinigkeit zu seinem Nutzen anwenden. Je öfter ein Blatt in eben derselben Mischung verloren, desto mehr setzt ein erfahrener Spieler darauf. Seine Hoffnung steigt mit jedem Verluste. Der würde thöricht handeln, der diese Hoffnung verscherzen und eine neue Mischung fordern wollte. Eine fast ähnliche Beschaffenheit hat es mit unserm Falle. Auch alsdann, wenn das Vertrauen auf die Güte Gottes beiseite gesetzt wird, steigt mit jedem Unglücke, das uns in dieser Welt aufstöfst, die Hoffnung, dass es besser gehen werde. Die anders denken, sind mit dem abergläubischen Vorurtheile behaftet, nach welchem sich jene Spieler in einerlei Kartenmischung nichts als Unglück prophezeihen, weil einige Versuche darin misslungen sind. Kommt das Vertrauen auf die Güte Gottes hinzu, so vermehrt sie die Hoffnung, sowohl in diesem, als in einem zukünftigen Leben glückseliger zu werden. Ja nach meiner unleugbaren Maxime muss diese in der Berathschlagung gar nicht in Betracht gezogen werden.

Allein, dieses alles wohl überlegt, ja dieses alles zugegeben, siehst du nicht, auf welchen feinen Vernunftschluss, auf welche Kleinigkeit es in dieser höchst wichtigen Sache ankommt? Ein Riesengebirge, das sich um ein Haar dreht, sagt jener hebräische Dichter.

O EUDOX! jetzt verleugnest du den Charakter der Weltweisen, den du vorausgesetzt, sie können unmöglich diese Sprache führen. Sie können nichts für eine Kleinigkeit achten, was ihnen die Vernunft gebietet. Die heilige Vernunft! die ihnen die Stelle einer Offenbarung vertritt. Sie müssen vor allen Vernunftschlüssen, sie mögen noch so fein, sie mögen noch so weit hergeholt sein, ihr Knie mit Ehrfurcht beugen. Von ihnen hängt ihre Glückseligkeit ab. Ich könnte alle Gründe, die du für den Selbstmord vorgebracht, auf einen jeden Mord überhaupt anwenden. Wie sehr würden sich deine gewissenhaften Weltweisen krümmen, und wie weit müssten sie ihre Schlüsse herholen, um die Sträflichkeit dieses Gräuels zu erhärten.

Jedoch ich tadle dieses Verfahren nicht. Der Vernunft ist entweder alles oder nichts geringschätzig. Warum sehen wir die Gegenstände unserer Begierden immer durch das Sehrohr der Leidenschaften an, und die Gründe, die uns davon abhalten, betrachten wir niemals, als nachdem wir das Rohr umgekehrt? Die Schlüsse wider den Selbstmord, wendet man ein, stützen sich auf weit hergesuchte Wahrheiten. Wohl! Worauf beruhen aber die Beweggründe, die uns zum Selbstmord antreiben? Welche nichtswürdige Kleinigkeiten! Der Verlust unsers guten Leumundes, der Gedanke von dem schlechten Werthe, darin wir bei unsern Nebenwürmern gerathen. Die Reue, ein allzuspätes, oft unnützes Gefühl eines Verbrechens, dessen wir uns schuldig gemacht. Die Erniedrigung, ein König, der jetzt an die Ruderbank geschmiedet wird. Er befahl und muss gehorchen; er war mit Golde, und wird mit Eisen umgeben. Wie klein und verächtlich ist alles dieses in den Augen der strengen Vernunft? Und dennoch bestürmt man Natur und Gottheit, dass sie den Menschen solchen Drangsalen ausgesetzt?

Jedoch der Mensch selbst, die Gröfse dieses eingebildeten Königs, alle seine Gedanken und Handlungen verschwinden, werden Kleinigkeiten, wenn man sie von dieser Seite betrachtet. Es ist billig, dass sich eine Kleinigkeit um Kleinigkeiten bekümmere.

Beschluss.

EUPHRANOR konnte sich der Begierde nicht länger erwehren, an THEOKLES Unterredung mit dem EUDOX persönlich theil zu nehmen. Er reiste zu ihnen, und unterbrach auf einige Zeit diesen lehrreichen Briefwechsel, um von seinem englischen Weltweisen lebendigen Unterricht zu holen. Da aber dieses geschah, bevor noch THEOKLES den achten Brief beantwortet hatte, so glaube ich meinen Lesern keinen unangenehmen Dienst zu erzeigen, wenn ich noch zum Beschlusse hierher setze, was bei ihnen mündlich über diese Materie abgehandelt worden. Man wird sich zu erinnern wissen, dass EUPHRANOR in dem angeführten Schreiben vorgegeben, die schmerzhaft angenehmen Empfindungen (so nannten sie der Kürze halber diejenigen, welche dem Anscheine nach mit einer Unvollkommenheit verknüpft sind) stritten wider THEOKLES

Theorie, weil sie uns nichts weniger, als die Erkenntniss einer Vollkommenheit zu gewähren scheinen. Er gestand dem THEOKLES mündlich, dass ihn DUBOS* zu diesem Gedanken verführt. Dieser Schriftsteller häuft unzählige Beispiele von Ergötzlichkeiten ganzer Nationen, an welchen die Grausamkeit mehr Antheil gehabt zu haben scheint, als die Menschlichkeit. Die Kampfplätze, die Turniere, das Hetzen der Thiere, das Hahnengefecht der Engländer, und endlich die tragische Schaubühne führt er zum Beweise auf, dass die Seelen sich nur bewegt zu werden sehnen, und sollten sie auch von unangenehmen Vorstellungen bewegt werden. Sie stimmten alle darin überein, DUBOS müsse niemals das Vergnügen der Seele von der sinnlichen Lust getrennt, und in seinem Elemente, mit dem blofsen Wollen verglichen haben; denn da die Bestimmung unserer Vorstellungskraft in beiden Fällen einerlei, und nur dem Grade nach unterschieden ist **, so kann das Vergnügen so wenig als der Wille, etwas anderes, als eine wahre oder anscheinende Güte zum Beweggrunde haben. Ja EUDOX bemerkte mit Recht, dass nach DUBOS' Hypothese die Menschen eben sowohl an Abscheu, Reue oder Schrecken Gefallen haben müssten, weil ihre Seele davon bewegt wird, dawider aber die Erfahrung zeugt.

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Sie konnten aber nicht so leicht einig werden, wie der Ursprung der scherzhaft angenehmen Empfindungen, deren DUBOS erwähnt, zu erklären sei, bis endlich THEOKLES das Wort ergriff und der Schwierigkeit fogendergestalt abzuhelfen suchte.

Es ist aus der Natur unserer Seele erwiesen, sprach er, dass sie nichts wollen, dass sie sich an nichts vergnügen könne, was sich ihr nicht unter der Gestalt einer Vollkommenheit darstellt. Und die Erfahrung stritte da wider? Wir wollen sehen. Die Beispiele, die dawider angeführt werden, sind nicht alle von einerlei Natur. Bei einigen blutigen Ergötzlichkeiten

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1 JEAN BAPTISTE DUBOS, einer der namhaftesten französischen Aesthetiker, geboren im December 1670 zu Beauvais, erhielt 1695 eine Anstellung unter dem Minister TORCY, in dessen Auftrag er mehrere diplomatische Missionen unternahm. Hierbei sammelte er vielfach kunsthistorische Erfahrungen, die er in dem genannten Werke (2 Bde. Paris 1719) niederlegte. DUBOS war seit 1720 beständiger Secretär der Academie française und starb zu Paris am 23. März 1742.

muss man, so zu sagen, alles Mitleiden, alles menschliche Gefühl unterdrücken, wenn man Vergnügen daran finden will. Die zärtlichen Griechen mussten sich nach und nach gewöhnen, ihre mitleidsvollen Empfindungen zu überwältigen, ehe sie an dem Fechterkampfe der Römer Geschmack finden konnten; und wenn bei den Zuschauern der Turniere, der Jagd, oder des Hetzens der Thiere nur eine einzige wehmüthige Empfindung erwacht, so stört sie unstreitig ihr Vergnügen.

Andere lockende Schauspiele hingegen müssen das Gegentheil thun, müssen unser Mitleiden rege machen, um uns zu gefallen. Von dieser Art sind die Trauerspiele, die rührenden Gemälde für wohlerzogene Leute, und ein blutiges Schaugerüste für den unempfindlichern Pöbel. Das Vergnügen, das sie uns gewähren, richtet sich nach Mafsgabe des Mitleids, das sie bei uns erregen.

Jene schmerzhaften Ergötzlichkeiten, daran das Mitleiden keinen Antheil hat, stützen sich auf nichts, als auf die Geschicklichkeit der handelnden Personen oder Thiere. Man bewundert die Behendigkeit ihrer Glieder und die geschickten Wendungen, die sie sich zu geben wissen, um den Gegentheil zu überwältigen oder ihm zu entwischen. Wahr ist's! das Vergnügen ist nicht so grofs, wenn die Spieler in keiner Gefahr sind, ob sie gleich, dem äufserlichen Anscheine nach, eben so viel Geschicklichkeit anwenden müssen. Ein Luftspringer erweckt uns unendlich mehr Vergnügen, wenn er einen Sprung über kreuzweis gesetzte Schwerter wagt, als wenn er spielend über hölzerne Stäbe hinweggaukelt, ohne sie zu berühren. Ein Seiltänzer lockt mich desto eher zu seinem Schaugerüste, je höher er sein Seil aufspannt. Allein hier fliefsen unmerklich ganz andere Vorstellungen mit darunter, die sich in unserer Einbildungskraft vereinigen und an der Bewunderung theil nehmen. Wir erstaunen über das Vertrauen, das diese handelnden Personen zu ihrer Geschicklichkeit haben, mit welcher Besonnenheit und Gegenwart des Geistes sic der entsetzlichsten Gefahr trotzen, wie sie ihr entwischen, wenn sie ihnen vor Augen schwebt, und öfters Tod und Leben auf ihre Geschicklichkeit setzen. Einen Sprung über Stäbe würden wir selbst gewagt, und vielleicht mit gutem Erfolge gewagt haben. Allein wie sicher muss der seiner Kunst sein, der über die Spitzen der Schwerter dahin fährt! Wie viel Bewunderung verdiente ein römischer Fechter, der in dem Augenblicke, da er seinen Geist aufgiebt, sich noch fassen, an die Lehren seiner

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