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liche, aber lebhafte Vorstellung von der Vollkommenheit ihres Körpers erlangen; Grund genug, nach unserer Theorie den Ursprung eines Vergnügens zu erklären. [b]

Doch wie? Wenn alles sinnliche Vergnügen mit dem Begriffe einer Vollkommenheit verknüpft ist, so werden alle fleischlichen Lüste löblich sein? So wird der tugendhaft handeln, der sich ihren Reizungen ohne Wahl und Unterschied überlässt?"

Keineswegs! Nur darin kommen alle sinnlichen Wollüste überein, dass der gegenwärtige Augenblick ihres Genusses mit dem Gefühle einer verbesserten Leibesbeschaffenheit verknüpft ist. Allein die Folgen davon können schrecklich sein. Manche schnöde Wollust kann, nach dem süfsen Genusse, die Gebeine ihrer Anbeter zernagen und alle Lebensgeister verzehren. So können gewisse Gifte den Gaumen mit einiger Süfsigkeit schmeicheln, und dennoch den Tod nach sich ziehen.

Dieses ist der Wahn des Wollüstlings, er hört nicht die ernsthaft warnende Stimme der Zukunft. Die Gegenwart ist eine Sirene, die ihn mit ihren tödtlichen Süfsigkeiten einschläfert. Sie versteckt ihr grausames Gefolge auf einen Augenblick gleichsam hinter die Scene, das aber dennoch, bald oder spät, ganz gewiss erscheinen und seine fürchterliche Rolle spielen wird. Der Mensch handelt weise, der sich mit den Waffen der Vernunft wider diese Verführerin rüstet, und ihr alsdann nur traut, wenn ihr keine Zukunft widerspricht.

Der Henker unsers Lebens, der sinnliche Schmerz, hat keine andern Schrecknisse, als das gegenwärtige sinnliche Bewusstsein einer Unvollkommenheit in dem Körper. Wenn nervige Theile, die natürlicher weise vereinigt sein sollten, aus ihrer Verknüpfung gerissen, oder so heftig gespannt werden, dass eine Zerreissung droht, so erstrecken sich die traurigen Wirkungen davon auf das ganze organische Gebäude. Der Ton wird verändert, es äufsert sich eine Missstimmung in allen Sehnadern; die Lebensbewegungen sind entweder träge oder in vollem Aufruhre. Die Nerven verkündigen diese Unordnung unverzüglich dem Gehirne. Was kann die Seele in diesem Augenblicke anderes wahrnehmen, als das dunkle, aus tausend einzelnen Empfindungen zusammengesetzte Gefühl einer Unvollkommenheit, die ihrem Körper den Untergang droht?[k]

Elfter Brief.

Theokles an Euphranor.

Dreifache Quelle des Vergnügens. Die Tonkunst gewährt uns alle Arten desselben. Alle Sinne haben ihre Harmonien. Mangel an den von den Neuern erfundenen Farbenklavieren. Flüchtiger Gedanke, wie sie verbessert werden könnten.

Wir sind endlich so weit, dass wir eine dreifache Quelle des Vergnügens entdeckt und ihre verwirrten Grenzen auseinandergesetzt haben: das Einerlei im Mannigfaltigen oder die Schönheit, die Einhelligkeit des Mannigfaltigen oder die verständliche Vollkommenheit**, und endlich der verbesserte Zustand unserer Leibesbeschaffenheit oder die sinnliche Lust. Alle schönen Künste holen aus diesem Heiligthume das Labsal, womit sie die nach Vergnügen dürstende Seele erfrischen. Wie muss uns die Muse erquicken, die aus verschiedenen Quellen mit vollem Mafse schöpft und in einer angenehmen Mischung über uns ausgiefst? Göttliche Tonkunst! du bist die einzige, die uns mit allen Arten von Vergnügen überrascht! Welche sülse Verwirrung von Vollkommenheit, sinnlicher Lust und Schönheit! Die Nachahmungen der menschlichen Leidenschaften, die künstliche Verbindung zwischen widersinnigen Uebellauten: Quellen der Vollkommenheit! Die leichten Verhältnisse in den Schwingungen, das Ebenmafs in den Beziehungen der Theile auf einander und auf das Ganze, die Beschäftigung der Geisteskräfte in Zweifeln, Vermuthen und Vorhersehen: Quellen der Schönheit! Die mit allen Saiten harmonische Spannung der nervigen Gefälse: eine Quelle der sinnlichen Lust! Alle diese Ergötzlichkeiten bieten sich schwesterlich die Hand und bewerben sich wetteifernd um unsere Gunst. Wundert man sich nun noch über die Zauberkraft der Harmonie? Kann es uns befremden, dass ihre Annehmlichkeiten mit so mächtigem Reize in die Gemüther wirken, dass sie rauhe und ungesittete Menschen bezähmt, rasende besänftigt und traurige zur Freude belebt?

So viel, ja weit mehr Ergötzlichkeiten sind euch, murrende Sterbliche, vom Himmel beschieden. Es liegt nur an euch, so könnt ihr eure

*Siehe den fünften Brief. ** Eben daselbst.

Siehe den zehnten Brief.

Wohnung hienieden zu einem Paradiese, und ein jedes unschädliche Gefühl zu einem Vergnügen machen.

Zweifle nicht, EUPHRANOR! für jeden Sinn ist eine Art von Harmonie bestimmt, die vielleicht mit nicht weniger Entzückung verknüpft ist, als die Harmonie der Töne. Die Anlage dazu liegt in unserm Gefühle. Es hat nur noch an glücklichen Köpfen gefehlt, die durch ihre Vertraulichkeit mit den Geheimnissen der Natur diese neuen Wege zur Glückseligkeit ausgekundschaftet, und die mit Blumen verstreuten Spuren sichtbar gemacht hätten.

Vielleicht werden sich unsere Enkel dieser seligen Entdeckung zu erfreuen haben. Der Geruch und der eigentlich so genannte Geschmack sind für uns jetztlebende nichts, als Quellen der sinnlichen Lust. Nur ein dunkles Gefühl einer verbesserten Leibesbeschaffenheit macht sie zu Gegenständen des Vergnügens. Wir nehmen in ihren mannigfachen Vermischungen weder Schönheit noch Vollkommenheit wahr. We will aber die Wahrscheinlichkeit leugnen, dass diese Begriffe in ihnen liegen, oder die Möglichkeit, dass sie unsere Nachkommenschaft darin finden wird?1

Die Augen haben unter allen sinnlichen Gliedmafsen die ältesten und gerechtesten Ansprüche auf unsere Erkenntniss sowohl, als auf unsere Glückseligkeit. Ein Blinder muss weit seligere Güter der Natur entbehren, als ein Taubgeborner. Die Augen fühlen deutlicher, schärfer und in einer gröfsern Entlegenheit, als das Ohr. Und wer sollte es vermuthen? Kaum hat man im letzten Jahrhunderte angefangen, auf die Spur einer Harmonie in den Farben zu kommen. Was man in der Malerei von der Farbenharmonie wusste, beruhte auf blofsen Erfahrungen, und wurde auch von den eigenthümlichen Schönheiten der Malerei allzu sehr verdunkelt. Dir, grofser NEWTON! hat das menschliche Geschlecht für diese Entdeckung verbunden sein sollen, und so viele Jahrhunderte mussten dir auch diesen unsterblichen Ruhm vorbehalten.

Man ist aber noch so glücklich nicht gewesen, diese Harmonie der Farben auf ihre wahre Stufe zu erheben, und zu der Mutter so vieler Ergötzlichkeiten zu machen, als die Harmonie der Töne. Die Farbenklaviere scheinen mehr zu versprechen, als sie in der That leisten. Ich

1 Ueber die hier angedeutete Möglichkeit einer ästhetischen Entwickelungsfähigkeit des Geruchs- und Geschmackssinns vgl. VOLKMANN von VOLKMAR, Lehrbuch der Psychologie. 2. Aufl. Cöthen 1875. Bd. I. S. 274 u. 279.

räume ihnen die harmonische Vermischung und Abwechslung der Farben, die Quelle der sinnlichen Schönheit, ein. Auch die sinnliche Wollust, die Verbesserung unserer Leibes beschaffenheit kann ihnen schwerlich streitig gemacht werden. Es ist höchst wahrscheinlich, dass die nervigen Theile des Auges und ihre harmonischen Spannungen auf eben die Art von den Farben, wie die Gefäfse des Gehörs von den Tönen verändert werden. Dass sich diese Eindrücke von den Gliedmafsen des Gesichts auch eben so schnell und eben so stark auf das ganze Nervengebäude verbreiten, als von den Gliedmafsen des Gehörs, ist zwar noch so ausgemacht nicht. Man kann es aber auch nicht mit Gewissheit leugnen. Allein die Quelle der Vollkommenheit, die Nachahmung der menschlichen Handlungen und Leidenschaften? Kann uns eine Farbenmelodie mit diesem Vergnügen segnen? Die Leidenschaften werden natürlicherweise durch gewisse Töne ausgedrückt, daher können sie durch die Nachahmung der Töne in unser Gedächtniss zurückgebracht werden. Welche Leidenschaft aber hat die mindeste Verwandtschaft mit einer Farbe?

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Noch mehr, Farben können nicht ohne Räume, und Räume nicht ohne. Figuren vorgestellt werden. Man muss sie also in einem bestimmten Raume entweder alle auf einer einzigen Figur spielen lassen, oder es müssen mit den verschiedenen Farben zugleich verschiedene Figuren auf einander folgen. Hat man aber eine Harmonie der Gröfsen schon gefunden? Weifs man den verschiedenen Figuren, die die abwechselnden Farben vorstellen, eine Einheit im Mannigfaltigen zu verschaffen? Geschieht dieses nicht, so muss entweder die Disharmonie, oder das Einerlei der Figuren nothwendig die Lust stören, mit welcher uns, wenn ich so reden darf, die wohllautenden Farben zu erfreuen versprechen.

Sollte es aber nicht möglich sein, die Linie der Schönheit oder des Reizes, die in der Malerei tausendfaches Vergnügen gewährt, mit der Harmonie der Farben zu verbinden?

Man kennt in Deutschland nunmehr die Wellenlinie, die unser HOGARTH* für die Maler als die echte Schönheitslinie festgesetzt hat.

* In seiner Zergliederung der Schönheit. 1

1 HOGARTH's Schrift wurde von MYLIUS in's Deutsche übersetzt. Berlin 1754.

Und den Reiz? Vielleicht würde man ihn nicht unrecht durch die Schönheit der wahren oder anscheinenden Bewegung erklären. Ein Beispiel der erstern sind die Mienen und Geberden der Menschen, die durch die Schönheit in den Bewegungen reizend werden; ein Beispiel der letztern hingegen die flammigen oder, mit HOGARTH zu reden, die Schlangenlinien, die allezeit eine Bewegung nachzuahmen scheinen. [m] Könnte man also nicht eine Vermischung von melodischen Farben in eine von diesen Linien dahin wallen lassen? Könnte man nicht, um dem Auge desto mehr zu gefallen, verschiedene Arten von wellenförmigen und flammigen Linien mit einander verbinden?[n]

Dieses ist ein flüchtiger Gedanke, den ich selbst nicht ins Werk zu richten weifs, und vielleicht ist es auch eine Unmöglichkeit, ihn jemals auszuführen. In diesem Falle mag er mit jenen ökonomischen Vorschlägen in gleichem Paare gehen, die eben so wenig auszuführen sind und dennoch so manches gelehrte Blatt anfüllen.

Zwölfter Brief.

Theokles an Euphranor.

In der organischen Natur können alle Begebenheiten, die mit einander verknüpft sind, wechselsweise eine aus der andern entstehen. Ursprung des angenehmen Affects. Der Körper ersetzt durch die sinnliche Lust den Abgang in Vergnügen, den er durch die Verdunkelung der Begriffe anrichtet. Vergnügen eines Messkünstlers.

In dem wundervollen Baue des menschlichen Körpers sind Wirkungen und Ursachen so sehr in einander verschlungen, dass sie nicht selten ihre Bestimmungen vertauschen, jene vorhergehen, und diese aus ihnen entspringen. Untrügliche Erfahrungen haben die Arzneiverständigen auf diese grofse Maxime der Natur geleitet, und daher in der Beurtheilung verwickelter Krankheiten behutsamer verfahren gelehrt. Zwei Gequälte können eben die Schmerzen fühlen, eben die Klagen führen, und die Quelle, daraus sich der Kelch der Leiden über sie ergossen, kann immer noch verschieden sein. Was hier eine Folge ist,

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