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Deine Aufmerksamkeit auf sich zog, so sehntest Du Dich nicht selten nach beider Genuss. Unstreitig sahst Du den Genuss für ein Gut an. Allein mit welchem Grunde? In dieser Wollust liegen weder Mannigfaltigkeit der Begriffe, noch Verhältnisse, noch auch Beziehungen auf einen gemeinschaftlichen Endzweck; weder Beschäftigung, noch Leichtigkeit in der Beschäftigung. Wir scherzten über jenen Weltweisen, der auch bei den sinnlichen Ergötzlichkeiten Mannigfaltigkeit und Einheit der Begriffe finden wollte. Bei dem Schmause sollen die freundschaftlichen Unterredungen, und bei dem Genusse der Liebe, ich weifs nicht, welche moralische Schönheiten der Grund unsers Vergnügens sein.

Und dennoch leugnet THEOKLES nicht, dass er sich zu Zeiten nach diesen Ergötzungen sehnte. So muss ganz gewiss die Erinnerung des Vergnügens, das Dir Liebe und Wein zu einer andern Zeit gewährt, die Ursache sein, warum Du ihren Genuss jetzt für ein Gut, für eine Vollkommenheit hältst. Ist aber dieses, so zerfällt Dein ganzes Gebäude. Denn sagst Du nicht, die sinnliche oder verständliche Vollkommenheit eines Dinges sei der Grund, warum wir an seiner Vorstellung Vergnügen fänden? Diese Beispiele erweisen das Gegentheil. Das Vergnügen, welches uns gewisse Gegenstände gewähren, ist der Grund, warum wir sie vollkommen nennen. [g]

Jedoch auch dieses kann nicht in allen Fällen gelten. Glaube mir, Freund! Der Mensch ist in seinen Ergötzlichkeiten so eigensinnig, dass ihn das nicht selten vergnügt, was ihm Traurigkeit erwecken sollte, ja sogar in dem Augenblicke selbst, da es ihm Traurigkeit erweckt.

Jene felsige Klippe, die dort hoch über dem vorbeirauschenden Fluss hinwegragt, hat einen grausen Anblick. Die schwindelnde Höhe, die täuschende Furcht zu fallen, und der Einsturz, den ihre herüberhangenden Stücken zu drohen scheinen, nöthigten uns öfters, den verwirrten Blick von ihr abzuwenden. Allein nach einer kleinen Erholung lenken wir unsere Augen wieder auf diesen furchtbaren Gegenstand. Der grause Anblick gefällt. Woher dieses seltene Wohlgefallen?

Die Natur ist schön, antworten einige ihrer Anbeter, selbst ihre kleinen Unordnungen, ihre anscheinenden Hässlichkeiten vermehren ihren Reiz. Welcher Einfall! Kaum würde man diese Schmeichelei einem verliebten Jünglinge verzeihen, der sie seiner Schönen vorsagte.

Warum haben mich meine Gespielen heute verlassen? Warum

irren sie dort zwischen Waffen und Helden herum? Die nachgeahmten Rüstungen zum Streit, die Anordnungen zu blutigen Schlachten, das Gedränge, der Aufruhr und die Arbeit durch die Glieder erweckt ihnen Lust. Sollte ihnen die Erinnerung unserer Thorheit, ja, was sage ich? unsers blutdürstigen Wahnwitzes, nicht vielmehr Schauer erwecken?

Du selbst, THEOKLES! wie oft hat Dich das Gemälde ergötzt, das in dem Cabinete meines Vaters, nicht weit vom Eingange, prangt? Es ist ein Schiff, das lange genug mit Sturm und Wellen gekämpft, und endlich untergeht. Noch versucht das arbeitsame Schiffsvolk seine letzten Kräfte. Sie stehen vom weifsen Schaume der Wellen bedeckt, und frischen sich einander zur Arbeit an. Aber umsonst! Jetzt führt der Sturm eine hochgethürmte Welle auf sie los, die ihnen den gewissen Tod bringt. Sie sehen es, erblassen, und die vergeblichen Ruder sinken aus ihren matten Händen. Und dieser Anblick gefiel Dir, THEOKLES? Du nanntest ihn schön? Es ist wahr, Du bewundertest die Meisterhand, welche die Natur so trefflich nachzuahmen wusste. Allein war dieses alles? Gestehe es, THEOKLES! Du würdest Dich' weniger ergötzt haben, wenn die Gefahr nicht auf das höchste abgebildet worden wäre. Es ist nicht mehr die schöne Natur. Und Du findest Wohlgefallen an ihr? Sollte Dich die Erinnerung nicht vielmehr betrüben, dass die Menschen solchen Unglücksfällen unterworfen sind? Wie reimt sich dieses mit deiner Theorie?

Erwäge es wohl, THEOKLES! Gesetzt, wir erinnerten uns mit jedem Augenblicke, dass unsere Furcht ein künstlicher Betrug sei; so kann diese tröstliche Erinnerung zwar unsern Schmerz lindern, aber der Gegenstand selbst kann desswegen keine Lust gewähren. Wir bleiben, dieses Trostes ungeachtet, bei der Vorstellung eines Trauerspiels immer noch wehmüthig, immer noch betrübt, und diese Betrübniss, diese Wehmuth hat für uns unaussprechliche Reize. Der munterste Jüngling legt seine Freudigkeit ab und krönt den Dichter, der die boshafte Geschicklichkeit besitzt, ihm Thränen auszulocken.

Neunter Brief.

Euphranor an Theokles.

Unbegründete Beschwerden wider die Vorsehung. Selbstmord kann einen jeden in Versuchung führen. Die Religion kann uns nicht dazu bewegen. Gründe eines Engländers für dessen Zulässigkeit. Gründe von der Schaubühne entlehnt.

Nein,

Hat es wirklich, wie Du sagst*, Blödsinnige gegeben, die an der Einrichtung in dieser Welt vieles zu tadeln gefunden? Und war es ihnen möglich, für diese Ausschweifung so hartnäckig zu streiten? THEOKLES! Ihr Herz konnte nie von dem frechen Tadel überzeugt sein, den sie im Munde trugen. Denn gesetzt, sie fühlten das, worüber sie sich beschwerten; gesetzt, sie waren wirklich mit allem Unglücke beladen, ihr Körper war siech, und ihre Seele von tausend Martern gedrückt; warum würden sie selbst ihr Unglück verdoppelt, Traurigkeit mit Klagen, Sorgen und Verzweiflung, und Schmerz mit nagendem Kummer verbunden haben? Konnten eingebildete Weise so thöricht handeln?

Wenn sie aber in den Tagen des Jammers eine Art von Beruhigung in ihrem Wehklagen finden, wenn der Ausbruch in Beschwerden über ihren Schöpfer nur einen Augenblick ihre Seele von den gegenwärtigen Schmerzen abziehen und auf mürrische, aber minder quälende Gedanken leiten kann, so gönne man diesen Unglücklichen ihren Trost. Ihre Klagen sind laute Seufzer eines Geängstigten, die uns das Herz durchbohren, ihm aber Linderung verschaffen, sind Beweise von der Güte des Schöpfers, dessen Rechte heilt, indem die Linke verwundet. Allein jetzt, da der Sturm vorüber ist, wollt ihr der Nachwelt eure Verwünschungen bekannt machen? Ihr wollt den Unsinn in Schriften verewigen, den ihr gleichsam in der Hitze des Fiebers ausgestofsen? Warum? Was treibt euch an, euern glückträumenden Nebenmenschen ihr Unglück näher in die Augen zu rücken? Ihr findet Vergnügen (ich traue euch die löblichsten Absichten zu), wenn eure Nebenmenschen eben so denken wie ihr? Vergnügen! So findet ihr das? O gesteht es! Die Menschen sind zur Lust geschaffen, nur ihr findet Lust in Klagen.

* Siehe den siebenten Brief.

Doch haben sich nicht einige Unglückliche aus Verzweiflung selbst das Leben geraubt? Entsetzlicher Gedanke! Kaum würde ich ihn denken, wenn wir nicht so manche traurige Erfahrung davon hätten; Erfahrung von Leuten, die es mehr aus Ueberlegung, als aus Raserei gethan zu haben scheinen. Wahr ist's! In den wenigen Jahren, die ich auf Erden gelebt, habe ich die Möglichkeit dieser ausgelassenen Verzweiflung nie begreifen können. Ich habe den Tod unter tausend verschiedenen Gestalten betrachtet, aber niemals hat er sich mir als ein Ziel unserer Wünsche dargestellt, wohin wir uns drängen sollten. Jedoch vielleicht habe ich diese Liebe zum Leben dem Temperamente zu verdanken. Ein jugendliches Blut, das jetzt in meinen Adern rollt, belebt mich unaufhörlich zur Munterkeit, und macht mir die Augenblicke kostbar, die mir mein Schöpfer hienieden bestimmt. Die Jugend gleicht einem aufgehenden Frühlingsmorgen. Alles ist belebt, ein reges Feuer dringt durch alle Wesen, und kein Wachender senkt sich vorsätzlich in die Arme des Schlafs. Die arbeitende Natur ermuntert die Geschöpfe zu Leben und Beschäftigung. Sobald aber die Nacht ihren finstern Schleier um unsern Horizont wälzt und die geschäftige Hand der Natur vor unsern Augen verbirgt, so sieht man den gröfsten Haufen sich nach der Hilfe des Schlafes sehnen. Das Bewusstsein wird ihnen eine beschwerliche Last. Sie wünschen, lieber eine Zeit lang nicht zu fühlen, dass sie sind, als das Leere zu empfinden, das sich von der Natur auf ihre Seele ausbreitet, oder noch unglücklicher, Kummer und Sorgen in ihrer Seele herumzuwälzen, die mit der einbrechenden Nacht in ihr erwachen.

Ich erschrecke, THEOKLES! Wenn mein Alter dem Abende dieser Unglücklichen gleichen sollte, wenn mit der Jugend meine gleichmüthige Munterkeit verschwände, wenn es möglich wäre, dass sich mit der Zeit Unmuth, Ueberdruss und Kummer in mein Leben einflechten könnten; ist die Folge begründet, dass ich mich alsdann nach dem Schlafe sehnen müsste? Was wird die Vernunft rathen, wenn mich das Temperament verlässt?

Und kann ich zweifeln, dass es mich verlassen wird? Ich, der ich gewiss heute nicht so trübsinnig gedacht haben würde, wenn sich nicht der Himmel plötzlich mit Wolken überzogen hätte. Nunmehr heitert sich die Gegend wieder auf; Flur und Wiesen gewinnen ihr lachendes Antlitz wieder, und jetzt lache ich selbst über meine unzeitige Schwermuth.

Wie wird sich EUDOX freuen, wenn er diese Stelle lesen wird! Er, der jedem Jünglinge Glück wünscht, sobald sich ein Ansatz zur Schwermuth bei ihm findet. Dort wandelt er in der Laube auf und nieder. Wie munter! Sein gesetzter Sinn muss so wetterlaunisch nicht sein, denn der trübe Himmel scheint ihn noch eher aufgeheitert zu haben. Ohne ihn zu unterbrechen, fahre ich in meinen schwermüthigen Gedanken fort.

Es haben einige Weltweise der Religion aufbürden wollen, sie gebe uns Gründe an die Hand, den Selbstmord zu rechtfertigen. Der Kampf mit unserer Selbsterhaltung, sagen sie, wird leichter, wenn wir einer Zukunft von lauter Glückseligkeiten entgegen sehen. Wer wird seinen Weg nicht gern abkürzen, seine Schritte nicht gern verdoppeln, wenn er dem Ziele aller seiner Wünsche entgegen eilt? -Ist diese Beschuldigung nicht ungereimt?

Nur die lebhafteste Ueberzeugung von den Wahrheiten der Religion und von unserer eigenen Unschuld kann die Erwartung zukünftiger Glückseligkeiten vergewissern. Wie kann aber diese Ueberzeugung mit der ausgelassensten Verzweiflung bestehen? Kann der sich die Krone versprechen, der im Kampfe unterliegt? Nach den Begriffen der Religion kann uns nichts anderes, als Geduld und Vertrauen auf Gott, den Weg zur Glückseligkeit bahnen. Sollen diesen irdische Unglücksfälle mehr erschüttern als die Kinder der Welt, dem die Religion Ruhe und Besänftigung eingeflöfst hat?

LINDAMOUR, der jüngst in einer Gesellschaft die Ehre des philosophischen Selbstmörders BLOUNT 1 retten wollte, suchte die Unsträflichkeit dieser wilden That, unabhängig von der Religion, zu erhärten. Seine eigensinnigen Gedanken schienen mir so ungewöhnlich, dass ich alle seine Ausdrücke behalten zu haben glaube.

„Wenn das Dasein eines Gequälten,“ sagte er, „mit so viel Schreck

1 CHARLES BLOUNT, geboren 1654 zu Upper Halloway in der englischen Grafschaft Middlesex, hat sich als Schriftsteller im Sinne des englischen Theismus bekannt gemacht und dann unter andern Schriften auch eine Uebersetzung der zwei ersten Bücher von PHILOSTRATUS Leben des Apollonius von Tyana herausgegeben. Nach dem Tode seiner Frau wünschte er deren jüngere Schwester zu heirathen, aber durch die Einsprache des Erzbischofs von Canterbury daran verhindert, erschoss sich BLOUNT im Jahre 1693.

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