Billeder på siden
PDF
ePub

Neigungen, welche sein Genie und seinen Charakter ausmachen. In dieser Mischung wird mehrentheils eine Eigenschaft gleichsam hervorstechen, und den Hauptzug des Genies oder Charakters ausmachen; diesem werden die übrigen Eigenschaften untergeordnet sein. So wird auch das Ideal, das jedem dieser Subjecte entspricht, jedes seine eigene Mischung von todten und lebendigen Schönheiten aller Art haben müssen, nebst einen, in derselben nicht selten hervorstechenden Ausdruck des Guten, welches den Charakter des Ideals ausmacht. Im Herkules z. B. wird der Ausdruck der Kraft den Hauptcharakter ausmachen, im Jupiter die Majestät, in der Venus die Wollust, im Mercur Behendigkeit, in der Minerva Weisheit u. s. w. Alle übrigen Schönheiten oder sinnlichen Ausdrücke des innern Guten haben eine Beziehung auf diesen Hauptcharakter, und sind demselben untergeordnet. Der Apoll allein scheint nach der Beschreibung, die von demselben gemacht worden, alle diese Schönheiten in der besten Uebereinstimmung, ohne dass eine derselben merklich hervorsteche, zu besitzen. Indessen kann er doch nur die Schönheiten des männlichen Geschlechts haben, obzwar in dem blühendsten Lebensalter, das Kraft und Unschuld mit Erfahrung und Weisheit verbindet. Für die Schönheiten des weiblichen Geschlechts wird ein anderes Ideal aufgesucht werden müssen, in welchem nicht Thätigkeit, sondern Liebreiz der herrschende Charakter sein wird.

Da die Schönheit eine unmittelbare Empfindung ist, die nicht von unsern Urtheilen und Vernunftschlüssen abhängt, so findet auch in Ansehung derselben kein Irrthum, kein Vorurtheil statt. Was irgend einem Menschen gefällt und schön dünkt, muss einen Grund des Wohlgefallens enthalten, muss Eigenschaften besitzen, die wenigstens diesem Subjecte angemessen sind, und der Mischung seiner Fähigkeiten eine angenehme Beschäftigung darbieten. Wenn auch jemand einem Gegenstande, der diese Eigenschaften nicht besitzt, sie aus Irrthum oder Vorurtheil zuschriebe, so würde doch das Vorurtheil nicht das Phänomenon der Schönheit erzeugen können. Ueberhaupt hat alle sinnliche Erkenntniss die untrüglichste subjective Wahrheit, und da dieses auch von der Schönheit gilt, so lässt sich davon auch mit Gewissheit schliefsen, dass der Gegenstand, der diese subjective Erscheinung wirkt, auch die dazu erforderlichen Eigenschaften, wenigstens in Beziehung auf dieses Subject, besitzen müsse. Der allerausschweifendste Geschmack hat einigen Grund in dem

Gegenstande. Die Dinge haben verschiedene Seiten, aus welchen sie betrachtet werden können. Es kommt auf Gewohnheit, Uebung, angeborene und erworbene Fertigkeit, Neigungen, Gemüthsbeschaffenheit, Winkel und Falten der Seele an, wohin die Aufmerksamkeit bei erblicken eines Gegenstandes sich lenken, und auf welcher Seite sie haften soll. Und nach diesem Gesichtspunkte richtet sich Schatten und Licht des Gegenstandes, und auch unser Urtheil von seiner Schönheit oder Hässlichkeit. Der Begriff des ekelhaften Schmutzes überwiegt bei einem verzärtelten Frauenzimmer alle andern Betrachtungen, in welchen uns etwa der Anblick schön gewundener Därme angenehm sein könnte. Der Naturforscher unterdrückt die Idee des Schmutzes, und findet die Därme interessant. Der Wilde hat kein Gefühl von Ekel, und hängt sie sich zum Putze um den Hals. Gemeine Augen können eine bunte Fläche mit einem wallenden Umrisse schön finden. Geübtere Sinne hingegen fordern eine der Wahrheit gemässe Vermischung von Schatten und Licht, und einen Umriss, der sich zu verlieren scheint.

Mich dünkt, die Urtheile der Menschen in Absicht auf die todte Schönheit weichen nicht so sehr von einander ab, als in Absicht auf die lebendige Schönheit oder den Ausdruck, und insbesondere, wenn Collisionen entstehen. Dieser liebt bräunliche, jener blonde Gesichter. Jene drücken mehr Lebhaftigkeit, diese mehr Seelenruhe aus. Dieser liebt Keckheit, jener Bescheidenheit; ein anderer offenes, freimüthiges Wesen; mancher hingegen Verschwiegenheit; dieser mannhafte Festigkeit, jener Empfindsamkeit u. s. w. Jede dieser Eigenschaften hat ihre besondere Physiognomie, die zuweilen mit den Erfordernissen der todten Schönheit in Collision kommt. Daher die verschiedenen Urtheile der Völker und Zeiten in Absicht auf die Schönheit, die erstaunliche Mannigfaltigkeit des Geschmacks, die man sonst dem Eigensinne, dem Vorurtheile, oder andern zufälligen Ursachen zuzuschreiben pflegt, die aber, meines Erachtens, in der Verschiedenheit der Kräfte und Fähigkeiten, und in der Mannigfaltigkeit ihrer Mischung und Verhältnisse gegen einander ihren zureichenden Grund haben. Diese müssen nothwendig nach Zeit, Raum, Klima, Erziehung, Nahrung, Religion und Regierungsform veränderlich sein; daher auch die Dinge, die dieser Mischung von Kräften und ihrer Verhältnisse angemessen sein sollen, die Schönheiten, derselben Veränderlichkeit unterworfen sein müssen.

Man hat also, von dieser Seite betrachtet, guten Grund, mit dem gemeinen Sprichworte zu sagen: „ein jeder hat seinen Geschmack"; und: ,,über Sachen des Geschmacks lässt sich nicht streiten." In der That, nur ich allein kann sagen, welcher Schein meinen Fähigkeiten angemessen ist und diese ohne Ermüdung beschäftigt. Vernunftgründe und Autoritäten vermögen hier nichts wider die innere Ueberzeugung. Man kann einen Gelbsüchtigen zwar überführen, dass die Gegensände, die ihm gelb scheinen, es in der That nicht sind, insoweit man die Farben für etwas objectives, für die Eigenschaften der Oberfläche hält, die Augen eines gesunden Menschen auf eine bestimmte Weise zu afficiren. Insoweit aber die Farben als etwas subjectives betrachtet werden, findet auch in Absicht auf dieselben kein streiten und überführen statt. Mit der Schönheit hat es dieselbe Bewandtniss. Durch Vernunftgründe und Autoritäten bringt ihr dem Menschen keine unmittelbare Erkenntniss bei. Er wird höchstens Regeln herplappern lernen, die er nicht versteht, und Urtheile nachbeten, wovon sein Innerstes nicht überführt ist.

Wie aber? sind desswegen alle Kritiken vergeblich, alle Regeln grundlos, alle Vernunftgründe in Sachen des Geschmacks blofses Geschwätz? Nichts weniger! Unter allen Arten des Geschmacks muss vielmehr ein einziger der Vollkommenheit und Glückseligkeit der Menschen am zuträglichsten sein. Dieses wird der wahre, richtige Geschmack sein, den zu erlangen alle Menschen sich bestreben müssen. Und insoweit der Mensch, wenigstens indirect, auch über die Mischung seiner Fähigkeiten einige Gewalt hat, und ihnen nach Wohlgefallen Ausbildung und Richtung geben kann, so steht es auch in seiner Macht, sich diesem einzigen wahren Geschmacke mehr oder weniger zu nähern, und seine Empfindung der Schönheit so auszubilden, wie sie seiner Bestimmung und dem Endzwecke seines Daseins am meisten angemessen ist.

Dieses ist das hohe Amt der Kritik. Sie soll uns zeigen: erstens, welcher Geschmack der beste sei, d. h. nach obigem Grundsatze, welche Empfindung des Schönen der wahren Bestimmung des Menschen, dem Endzwecke seines Daseins am zuträglichsten sei, am besten entspreche, und zweitens, wie wir unsere Kräfte und Fähigkeiten, insoweit es bei uns steht, zu bilden und zu richten haben, um dieses Geschmacks theilhaft zu werden. Führet einem Menschen, der das Groteske liebt, und an der Erhabenheit eines Apoll keinen Geschmack findet, tausend Ver

nunftgründe und eben so viele Autoritäten an, dass der Apoll vortrefflich sei, ihr werdet ihn zum Schweigen, vielleicht zum Nachplaudern bringen, aber nicht überführen. Zeigt ihm aber erstlich, dass die Empfindung des Erhabenen und Grofsen dem Endzwecke unsers Daseins, der wahren Glückseligkeit des Menschen zuträglich sei, ja derselben weit mehr entspreche, als die Empfindung des lächerlichen Grotesken, an welcher er sich zu ergötzen gewöhnt hat. Thut dieses aber nicht eher, bevor ihr untersucht habt, ob die Seele desselben der Empfindung des Erhabenen fähig sei, und durch gehörige Ausbildung ihrer theilhaft werden könne. Sonst gereichen eure Bemühungen, wenn sie nicht furchtlos sind, mehr zum Schaden, als zum Vortheile dieses Menschen. Sodann zeiget ihm die Weise, wie er seine Fähigkeiten ausbilden soll, um zu dieser Empfindung des Erhabenen zu gelangen, von der er nunmehr einsieht, dass sie seine Glückseligkeit befördern werde. So und nicht anders lässt sich der Geschmack der Menschen ausbilden, so und nicht anders kann man ihm eine unmittelbare Erkenntniss der Schönheit beibringen, deren er ganz unfähig zu sein schien.

Einzelne Schönheiten können in's Gedränge kommen und einander hinderlich sein. Das Natürliche und das Sinnreiche, Anständigkeit und Wahrheit, Kühnheit und Bescheidenheit, Eifer und Sanftmuth u. s. w. schränken sich wechselsweise ein. Und nun kommt es auf die subjective Mischung der Kräfte an, welche von beiden sich widersprechenden Schönheiten obsiegen oder unterliegen soll. Die Franzosen scheinen mehr Anstand als Wahrheit zu lieben, mehr feine Lebensart als Erhabenheit, mehr das Sinnreiche als die Natur; die Engländer das Gegentheil. Jede Nation hat offenbar ihre eigene Mischung von Kräften, wodurch ihr Geschmack bestimmt wird. Welcher Geschmack ist aber der Bestimmung des Menschen am zuträglichsten? Unstreitig derjenige, nach welchem man sich durch ekelhafte oder lächerliche Nebenbegriffe nicht abhalten lässt, das Schreckliche, Erhabene, Kühne, Naive in seiner ganzen Stärke zu fühlen, bei andern Gelegenheiten aber, wo die Collision vermeidlich ist, sich, am Feinen und Anständigen sich zu ergötzen, geübt hat. Je mehr man sich diesem Ideale nähert, desto vollkommener und richtiger ist unser Geschmack. Man sieht aber auch, wohin man die Bemühung zu lenken habe, wenn man seinen Geschmack verbessern will.

Ueber Rousseau's Neue Héloïse.1

(Aus den Briefen, die neueste Literatur betreffend. Jahrg. 1761, Brief 166–170.)

Wissen Sie denn nicht, dass wir uns vorgenommen, Sie blofs von der deutschen Literatur zu unterhalten? Die ausländische war für unsern Plan zu weitläufig, und da wir nicht genug davon sagen konnten, so war unsere Abrede, lieber gar nichts davon zu sagen. Diese Abrede ist Ihnen nicht unbekannt, und Sie fordern gleichwohl eine Nachricht von der „Neuen Héloïse"* des Herrn ROUSSEAU? Gut! da Sie es verlangen, so soll für dieses mal eine Ausnahme geschehen.

Dass ich dieses Werk gelesen habe, konnten Sie mit Recht voraussetzen. Einen philosophischen Roman, eine zweite Heloïse, davon ROUSSEAU der Verfasser oder doch wenigstens der Herausgeber ist, ein Werk, das in Paris Aufsehen macht, das man sich in Deutschland aus den Händen reisst, und wovon man allhier in allen Gesellschaften spricht, - konnte ich dieses wohl ungelesen lassen? Sie wissen, mit welcher Begierde ich sonst zuzugreifen pflege, sobald ich nur den Namen des Genfer Bürgers auf der Stirne eines kleinen Aufsatzes glänzen sehe.

Aber hätte ROUSSEAU lieber philosophische Aufsätze, als einen Roman geschrieben! Sie können nicht glauben, wie sehr ich mich in meiner Erwartung betrogen fand. Es hat mir nicht wenig Ueberwindung gekostet, alle sechs Bücher dieses Romans mit ununterbrochener Aufmerksamkeit durchzulesen. Man traut sich anfangs selbst nicht. Seiner eigenen Empfindung zum Trotze zwingt man sich, gewisse Dinge schön zu finden, die ein allgemeiner Beifall dafür erkannt hat. Durch das Ansehen des Verfassers und des Publikums getäuscht, liest man, ermüdet die Geduld, und macht sich noch immer Hoffnungen, bis man endlich am Rande ist und sich betrogen sieht. Sie finden zwar in dieser Sammlung hier und da vortreffliche Briefe, die eines ROUSSEAU würdig sind;

* Julie, ou la nouvelle Héloïse. Amsterdam 1761.

1 Wir haben als Schluss dieser Auswahl kleinerer Aufsätze noch MENDELSSOHN'S interessante Recension über ROUSSEAU's berühmten Roman: Die Neue Héloïse aus den

Literaturbriefen aufgenommen, gewissermassen als Probe dieses von unserm Autor mit soviel Meisterschaft geübten kritisch-literarischen Genres.

« ForrigeFortsæt »