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Stand und Beruf im bürgerlichen Leben bestimmen eines jeden Mitgliedes Pflichten und Rechte, erfordern nach Mafsgabe derselben andere Geschicklichkeit und Fertigkeit, andere Neigungen, Triebe, Geselligkeitssinn und Gewohnheiten, eine andere Cultur und Politur. Je mehr diese durch alle Stände mit ihrem Berufe, d. i. mit ihren respectiven Bestimmungen als Glieder der Gesellschaft übereinstimmen, desto mehr Cultur hat die Nation.

Sie erfordern aber auch für jedes Individuum, nach Mafsgabe seines Standes und Berufs, andere theoretische Einsichten, und andere Fertigkeit, dieselbe zu erlangen, einen andern Grad der Aufklärung. Die Aufklärung, die den Menschen als Mensch interessirt, ist allgemein, ohne Unterschied der Stände; die Aufklärung des Menschen als Bürger betrachtet modificirt sich nach Stand und Beruf. Die Bestimmung des Menschen setzt hier abermals seiner Bestrebung Mafs und Ziel.

Diesem nach würde die Aufklärung einer Nation sich verhalten: erstens, wie die Masse der Erkenntniss, zweitens deren Wichtigkeit, d. i. Verhältniss zur Bestimmung a) des Menschen und b) des Bürgers, drittens deren Verbreitung durch alle Stände, viertens nach Massgabe ihres Berufs; und also wäre der Grad der Volksaufklärung nach einem wenigstens vierfach zusammengesetzten Verhältnisse zu bestimmen, dessen Glieder zum Theil selbst wiederum aus einfachern Verhältnissgliedern zusammengesetzt sind.

Menschenaufklärung kann mit Bürgeraufklärung in Streit kommen. Gewisse Wahrheiten, die dem Menschen, als Mensch nützlich sind, können ihm als Bürger zuweilen schaden. Hier ist folgendes in Erwägung zu ziehen. Die Collision kann entstehen zwischen erstens wesentlichen, oder zweitens zufälligen Bestimmungen des Menschen, mit drittens wesentlichen, oder viertens mit aufserwesentlichen, zufälligen Bestimmungen des Bürgers.

Ohne die wesentlichen Bestimmungen des Menschen sinkt der Mensch zum Vieh herab, ohne die aufserwesentlichen ist er kein so gutes herrliches Geschöpf. Ohne die wesentlichen Bestimmungen des Menschen als Bürger hört die Staatsverfassung auf zu sein, ohne die aufserwesentlichen bleibt sie in einigen Nebenverhältnissen nicht mehr dieselbe.

Unglückselig ist der Staat, der sich gestehen muss, dass in ihm die wesentliche Bestimmung des Menschen mit der wesentlichen des Bürgers

nicht harmoniren, dass die Aufklärung, die der Menschheit unentbehrlich ist, sich nicht über alle Stände des Reichs ausbreiten könne, ohne dass die Verfassung in Gefahr sei, zu Grunde zu gehen. Hier lege die Philosophie die Hand auf den Mund! Die Nothwendigkeit mag hier Gesetze vorschreiben, oder vielmehr die Fesseln schmieden, die der Menschheit anzulegen sind, um sie niederzubeugen, und beständig unterm Drucke zu halten.

Aber wenn die aufserwesentlichen Bestimmungen des Menschen mit den wesentlichen oder aufserwesentlichen des Bürgers in Streit kommen, so müssen Regeln festgesetzt werden, nach welchen Ausnahmen geschehen und die Collisionsfälle entschieden werden sollen.

Wenn die wesentlichen Bestimmungen des Menschen unglücklicher weise mit seinen aufserwesentlichen Bestimmungen selbst in Gegenstreit gebracht worden sind, wenn man gewisse nützliche und den Menschen zierende Wahrheiten nicht verbreiten darf, ohne die ihm nun einmal beiwohnenden Grundsätze der Religion und Sittlichkeit niederzureifsen, so wird der tugendliebende Aufklärer mit Vorsicht und Behutsamkeit verfahren, und lieber das Vorurtheil dulden, als die mit ihm so fest verschlungene Wahrheit zugleich mit vertreiben. Freilich ist diese Maxime von jeher Schutzwehr der Heuchelei geworden, und wir haben ihr so manche Jahrhunderte von Barbarei und Aberglauben zu verdanken. So oft man das Verbrechen greifen wollte, rettete es sich in's Heiligthum. Allein dem ungeachtet wird der Menschenfreund in den aufgeklärtesten Zeiten selbst noch immer auf diese Betrachtung Rücksicht nehmen müssen. Schwer, aber nicht unmöglich ist es, die Grenzlinie zu finden, die auch hier Gebrauch von Missbrauch scheidet.

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Je edler ein Ding in seiner Vollkommenheit, sagt ein hebräischer Schriftsteller, desto grässlicher in seiner Verwesung. Ein verfaultes Holz ist so scheufslich nicht, als eine verweste Blume, diese nicht so ekelhaft, als ein verfaultes Thier, und dieses so grässlich nicht als der Mensch in seiner Verwesung. So auch mit Cultur und Aufklärung. Je edler in ihrer Blüthe, desto abscheulicher in ihrer Verwesung und Verderbtheit.

Missbrauch der Aufklärung schwächt das moralische Gefühl, führt zu Hartsinn, Egoismus, Irreligion und Anarchie. Missbrauch der Cultur erzeugt Ueppigkeit, Gleifsnerei, Weichlichkeit, Aberglauben und Sklaverei.

Wo Aufklärung und Cultur mit gleichen Schritten fortgehen, da

sind sie sich einander die besten Verwahrungsmittel wider die Corruption. Ihre Art zu verderben ist sich einander schnurstracks entgegengesetzt.

Die Bildung einer Nation, welche nach obiger Worterklärung aus Cultur und Aufklärung zusammengesetzt ist, wird also weit weniger der Corruption unterworfen sein.

Eine gebildete Nation kennt in sich keine andere Gefahr, als das Uebermals ihrer Nationalglückseligkeit, welches, wie die vollkommenste Gesundheit des menschlichen Körpers, schon an und für sich eine Krankheit genannt werden kann. Eine Nation, die durch die Bildung auf den höchsten Gipfel der Nationalglückseligkeit gekommen, ist eben dadurch in Gefahr zu stürzen, weil sie nicht höher steigen kann. - Jedoch dieses führt zu weit ab von der vorliegenden Frage!

Ueber das sittlich und physisch Gute.

Brief an den Herrn Professor SCHWAB 1 in Stuttgart.

Berlin, den 18. Juni 1784.

Die philosophische Frage, die Sie mir in Ihrer Zuschrift vom 2. April vorzulegen die Güte gehabt, ist zwar zum Theil von Ihnen selbst hinlänglich beantwortet worden, hat aber dennoch folgende Gedanken bei mir veranlasst.

Wenn wir das Moralischgute vom Physischguten unterscheiden, so sehen wir wohl hauptsächlich auf die hervorbringende Ursache des Guten

1 JOHANN CHRISTOPH SCHWAB (Vater des Dichters GUSTAV SCHWAB), geboren zu Ilsfeld am 10. December 1743, war seit 1778 Professor an der Carlsschule zu Stuttgart und starb am 15. April 1821 als Mitglied des württembergischen Oberstudienraths. SCHWAB hat sich durch eine Reihe von Schriften religionsphilosophischen und ethischen Inhalts als Anhänger der LEIBNIZ-WOLF'schen Philosophie bewährt, wie er auch später gegen die Herrschaft des KANT'schen Kriticismus, wiewohl nur mild polemisch, auftrat. Verdient gemacht hat er sich durch Uebersetzung französischer Schriften in's Deutsche, sowie deutscher in's Französische, wodurch er zur gegenseitigen Verständigung der deutschen und französischen Aufklärung auf philosophischem Gebiete nicht wenig beitrug. Auch mit SCHWAB stand MENDELSSOHN in Briefwechsel.

oder der Realität. Ist diese zugleich die Endursache desselben, so wird es sittlich, ist sie aber von dieser unterschieden, so wird das Gute physisch zu nennen sein. Blofs Handlungen aus guten Absichten sind moralisch gut, denn die Endursachen, oder der Endzweck, um des willen sie geschehen, sind als Beweggründe und Triebe zugleich die hervorbringenden Ursachen dieser Handlungen. Alle übrigen Güter sowohl des Geistes als des Körpers machen das Physischgute aus, in so weit sie nicht in freiwilligen Kraftäufserungen, nicht in Vollkommenheiten der Begehrungsvermögen, sondern anderer Kräfte und Fähigkeiten unsers Körpers oder unserer Seele bestehen.

Bona corporis et bona mentis machen also eine ganz andere Abtheilung als bona moralia et physica. Das bonum morale ist blofs ein bonum mentis und findet blofs bei der Aufserung der Willkür oder der Freiheit statt; das Physischgute aber kann sowohl den Geist als den Leib angehen.

Die Hypothesen, nach welchen man die Verbindung zwischen Seele und Körper zu erklären sucht, haben also, wie mich dünkt, auf die Beantwortung Ihrer Frage nicht den mindesten Einfluss. Ferner: alles Moralischgute hat Physischgutes zur Wirkung und Absicht. Denn das, was durch die Handlung zur Wirklichkeit kommt, ist ihre Wirkung (effectus), und ist in so weit der Handlung entgegen gesetzt. Nun kann blofs die Handlung, als Handlung, sittlich gut sein, daher die Folge derselben, als Wirkung betrachtet, nicht mehr sittlich gut sein, sondern zum Physischguten gehören muss.

Ich kann zwar durch meine sittlich guten Handlungen mehrere Handlungen von dieser Art veranlassen, und also auch die Beförderung des Sittlich guten die Endabsicht meiner freien Entschliefsungen sein lassen. Allein das Sittlichgute, das ich auf diese Weise befördere, ist alsdann in verschiedener Rücksicht zu betrachten. In so weit es von mir veranlasst oder befördert worden, ist es nicht Handlung, sondern Folge und Wirkung der Handlung und also physischgut; in so weit es aber in dem Subjecte, dem es zukommt, wieder zur freiwilligen Handlung wird, erlangt es abermals den Namen des Sittlichguten.

Das höchste Moralischgute wird also die gröfste Summe des Physischguten zur Folge und zugleich zur Absicht haben.

Indessen kann doch, wie Sie gar wohl erinnern, zufälliger weise aus Sittlichgutem auch physisches Uebel entspringen, und die Frage ist,

in wie weit auch dieses in der Berechnung mit in Anschlag gekommen? Hierauf würde ich ungefähr folgendermaßsen antworten:

Das Uebel, das aus dem Sittlichguten folgt, ist entweder vermeidlich oder unvermeidlich. Das Unvermeidliche ist entweder erstens an und für sich unvermeidlich, wie das metaphysische Uebel in der Schöpfung. Dieses kann der freien Ursache weder zugerechnet noch zugeschrieben werden, oder es ist zweitens unvermeidlich secundum quid, in so weit durch die Zulassung desselben ein gröfseres Uebel vermieden wird. Von dieser Art sind alle physischen und moralischen Uebel in der Schöpfung, die dem Schöpfer blofs als Zulassungen nicht als Wirkungen zugeschrieben werden. Sie sind im Grunde blofse Scheinübel und vermindern auf keine Weise den sittlichen Werth der freien Handlung.1

Ist aber das physische Uebel von Seiten des Objects in allem Betrachte vermeidlich, so kann es dem hervorbringendem Subjecte noch unvermeidlich sein. In diesem Falle ist es eine Wirkung seiner physischen oder seiner metaphysischen Einschränkung und kann ihm zwar als Ursache zugeschrieben aber nicht sittlich zugerechnet werden. Ist es aber auch ihm vermeidlich gewesen, so ist es entweder per dolum oder per culpam nicht wirklich vermieden worden. In beiden Fällen wird ihm die schlimme Folge sittlich zugerechnet, und sie vermindert den moralischen Werth seiner freiwilligen Handlung.

Ein Beispiel wird diese Unterscheidungen erläutern:

Es wird mir ein junger Mensch zur Erziehung anvertraut. Dass ich ihm nicht Engelsfähigkeiten beibringe, ist an und für sich mir weder zuzuschreiben, noch zuzurechnen. Wenn es auch von meiner Seite möglich gewesen wäre, so stünde mir doch von seiten des Objects seine metaphysische Einschränkung entgegen. Dass ich manche seiner natürlichen Anlagen nicht so ausgebildet, als sie es hätte sein können, kann zu seinem besten geschehen sein, um wichtigern Anlagen, welche mehr Einfluss auf seine Glückseligkeit haben konnten, desto mehr Raum und Kraft zu lassen. Die Mängel dieser Art also, die zurück geblieben, sind blofs von mir zugelassen, aber weder veranlasst noch hervorgebracht worden. Wenn aber in seiner Erziehung Fehler begangen wor

1 Hier fufst MENDELSSOHN ganz auf den Voraussetzungen der „,Theodicee" von LEIBNIZ.

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