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verstorbene Stevens und sein Testaments-Exekutor sollen übrigens schon 702,755 Doll. 37 C. auf den Bau des Dampfers verwendet haben, und der Marine-Secretair empfiehlt, den Rest des kontraktlichen Preises mit 86,717 Doll. 84 C. an den Testaments-Erekutor zahlen und das Schiff fertig bauen zu laffen. Jedenfalls scheint man sich bei der Sache verrechnet zu haben. Man ersieht nicht, wie lange es noch dauern wird, und ebenso wenig, ob man hoffen kann, daß der Dampfer den früher davon gehegten Erwartungen entsprechen dürfte. Ueberhaupt wird der Bau der für die Flotte der Vereinigten Staaten bestimmten Schiffe theuer und langsam ausgeführt.

Der Secretair empfiehlt die Abkürzung der Kreuzfahrten in entfernte Gewäffer.

Nach dem Berichte sind Schritte gethan worden, den Bau der fünf vom legten Kongreß bewilligten Kriegs-Schaluppen zu beginnen, welche mit wasserdichten Abtheilungen versehen werden sollen.

Der Marine-Secretair rügt den Mangel seichtgehender Dampfer und läßt sich darüber aus, wie folgt: „In diesem Augenblick, wo sie gerade sehr nothwendig sind, haben wir keine Fahrzeuge, welche in die Flüsse von China eindringen können. Wir haben wenige, die in die Häfen südlich von Norfolk einzulaufen im Stande find. Häfen, in welche Millionen unseres Handels fließen, sind den meisten Schiffen unserer Flotte unzugänglich." ——,,Abgesehen davon, würde diese Klasse von schnellen, seichtgehenden Dampfern bei Vertheidigung unserer Küsten gefürchtet sein." - „Zehn davon würden für den Seedienst von unberechenbarem Vortheil sein und mit 2,300,000 Doll. hergestellt werden können."

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Die Gesammt-Ausgaben für das Marine-Departement sind in dem Berichte des Schaßamts-Secretairs für das mit dem 30. Juni 1857 endigende Jahr mit 12,726,856 Doll. 69 C. angegeben; in dem Berichte des Marine-Secretairs werden sie mit 12,632,696 Doll. 81 C. aufgeführt, worunter 4,348,698 Doll. 14 C. für besondere Gegenstände begriffen find, so daß die eigentlich für Flotte und Marine gemachten Ausgaben sich nur auf 8,288,998 Doll. 67 C. belaufen. Die Gesammt-Ausgaben für das mit dem 30. Juni 1858 ablaufende Jahr werden auf 13,803,212 Doll. 77 C. und die für das mit dem 30. Juni 1859 endigende Jahr auf 14,616,298 Doll. 23 C. veranschlagt.

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Die Zahl der Schiffe, aus denen die Flotte der Vereinigten Staaten besteht, erfährt man nicht aus dem Berichte des Marine-Secretairs; fie beläuft sich aber im Ganzen auf 82 Fahrzeuge mit zweitausend und etwas über zwei oder dreihundert Geschüßen. Hierunter find begriffen 11 Linienschiffe, 19 Fregatten, 19 Kriegsschaluppen, 3 Briggs, ein Schooner, 8 Schraubendampfer erster Klasse, einer zweiter Klaffe, 2 dritter Klaffe, 3 Räderdampfer erster Klasse, einer zweiter Klasse, 5 dritter Klasse, 3 Dampf-Tender, 5 Proviantschiffe und noch ein Transportschiff.

Ueber die Qualität der Schiffe läßt sich natürlich ohne genauere Kenntniß nicht urtheilen, indeß aus verschiedenen bekannt gewordenen Thatsachen kann man schließen, daß sie sehr ungleich ist. In dem früheren Berichte eines Marine-Secretairs erinnere ich mich gelesen zu haben, daß kaum funfzig Schiffe dienstfähig seien, indeß sind seit dem einige neue gebaut worden; ferner ging bei verschiedenen Gelegenheiten die Ausrüstung der Schiffe zum Auslaufen ungemein lang fam vor sich. Eines der größeren Linienschiffe ist ganz unbrauchbar, und es mag noch andere alte darunter geben, welche nicht viel taugen. Den Mangel der Kanonenboote rügt auch der Marine - Secretair.

Unter dem Offizier -Corps, dessen Anstellung wohl vorzüglich nach Konnexion und Protection geschieht, scheinen viele Mißbräuche zu herrschen, wie man schon daraus ersehen kann, daß 1855 plößlich eine Menge See-Offiziere ohne Weiteres entlassen wurden, von denen manche seit Jahren keinen Dienst gethan hatten. Diese Maßregel ward zwar damals verschiedentlich angegriffen, konnte aber unmöglich ganz ohne Veranlassung sein; wenigstens kamen überraschende Mißbräuche dabei zum Vorschein.

Die Qualität der Mannschaft scheint ebenfalls sehr ungleich zu fein. In den Staaten von Neu-England giebt es sehr gute Seeleute, aber sie sind nicht leicht für die Flotte zu haben; überhaupt ist es eine alte Klage, daß es schwierig ist, gute Seeleute für die Flotte zu bekommen, wozu wohl das noch fürzlich vorgekommene willkürliche Verfahren beitragen mag, die für einen bestimmten Zeitraum Angeworbenen nach Ablauf ihrer Dienstzeit hin und wieder gegen ihren Willen zurückzuhalten.

Jedenfalls entspricht weder Stärke noch Qualität der Flotte den übertriebenen Vorstellungen, die zuweilen in Europa von der See macht der Amerikaner in Umlauf kommen. Nur jene auf hohlen Phrasen schwimmende Verblendung gehörte dazu, die Flotte der Amerikaner, die noch niemals eine wahre Seeschlacht geliefert hat, dergestalt zu überschäßen, um den Vereinigten Staaten eine militairische Einwirkung auf Europa zuzutrauen; umsomehr, als es in der Natur der Sache Liegt, daß eine Republik des Individualismus, mit äußerster Decen

kralisation, nach außen ohnmächtig ist. Man wird sich daher von der Nichtigkeit der Schilderungen seichter Touristen überzeugen, welche dem deutschen Publikum die Vereinigten Staaten als eine Europa bedrohende Macht darzustellen suchen. Die Regierenden in Amerika sind übrigens zu verständig und zu vorsichtig, um ernstlich an einen Krieg mit einer europäischen Macht zu denken, wenn es ihnen auch zuweilen, um politisch Kapital zu machen", auf einige Redensarten nicht ankömmt, die nach dergleichen schmecken. Kurz, das,, alte Europa" braucht vor dem jungen Riesen“, dem amerikanischen „Titan“, und wie das Ding noch heißen mag, nicht eben Besorgniß zu hegen. New-York. A. Böhme.

Frankreich.

Ueber Atheismus und Deismus, nach A. Pommier. *)

Der Verfasser des untengenannten Werkes ist kein Philosoph von Beruf. Beim Einlegen der Lanze, die er mit dem auch in Frankreich wieder auftauchenden Atheismus bricht, bedient er sich hauptsächlich des Gefühls und des gefunden Menschenverstandes als Waffen, ohne sich viel um wissenschaftliche Beweise und um die Schulsprache zu kümmern. Hören wir, was er, sein Buch einführend, sagt:

,,Es ist im Allgemeinen die schwache und lächerliche Seite der Bücher, welche die Materialisten bekämpfen, daß sie die Einwürfe so einfältig und die Widerlegungen so niederschmetternd als möglich machen. Durch die Gewalt der Gründe bringt man die Leute zum Schweigen, denen man das Recht zu reden nimmt. Man knebelt sie, bevor man sich mit ihnen in Erörterungen einläßt. Man schneidet ihnen die Zunge aus und sagt ihnen dann: Ihr sehet selbst, daß ihr nichts zu erwiedern habt!" Er giebt dem Materialismus also zunächst das Wort, damit dieser beweise, daß Gott nicht existirt. Leßterer stüßt seine Hauptangriffe auf die Unvollkommenheiten der Schöpfung und auf die Schwierigkeiten, welche die unentwirrbare Frage über das Dasein des Uebels darbietet. Die übrigen Einwürfe werden mehr vom Standpunkte der Naturwissenschaft und der Physiologie, als von dem der Philosophie geführt. Die Erwiederung hält sich daher auch in derselben Richtung: die Endursachen (causae finales) sind es hauptfächlich, die bei dieser Beweisführung den Ausschlag geben. Der Anwalt des Deismus schlägt das Buch der Welt auf und weist hier auf jedem Blatte, am gestirnten Himmel wie im Menschen, die augenfälligen Zeichen eines durchgeführten Planes nach und schließt daraus auf einen schaffenden Verstand. Das Argument ist nicht neu, und seit Molière's Don Juan" hat es das Privilegium, den Spöttereien der Lüderlichkeit als Zielscheibe zu dienen. Troy seines Alters aber hat es immer noch nicht seine überzeugungskräftige Frische verloren und wirkt_namentlich auf die Weltleute tiefer, als das von Anselmus und Descartes so hochgerühmte apriorische Argument. Mögen die Stofflinge immerhin ihre bissigen Spöttereien darüber ausschütten, der gesunde Menschenverstand wird sich nimmer einreden lassen, daß es eine Uhr geben kann ohne Uhrmacher, wie eine Schöpfung ohne Schöpfer. Mußte man sich auch, wie es selbst Voltaire erging, einen Endursachling, d. h. einen Schwachkopf, schimpfen lassen, so wird man sich deshalb doch nicht die Gewißheit wegspotten lassen, daß die Augen ausdrücklich zum Sehen und die Ohren zum Hören gemacht sind. Nur sind die Endursachen zart zu behandeln. Um sie aufzurufen und sie als Beispiele anzuführen, muß man seiner Sache sehr gewiß sein und sich vor dem Wahn hüten, jemals in alle göttlichen Absichten dringen zu können. Oft hielt man das für die wesentliche Bestimmung eines Dinges, was nur eine nebensächliche Verrichtung ist. Und von diesem Mißgriff ist Pommier nicht frei zu sprechen. So hat er z. B. die männlichen Brustwarzen beim Menschen, die ohne augenscheinlichen Nußen find, als eine Art Schmuck erklären wollen,,,wie ein Architekt Blumenwerk an einem Getäfel anbringt." Man könnte ihm Beispiele von unentwickelten Organen, bei denen das Motiv eines ornamentalen Zweckes nicht stichhalig ist, zu Tausenden entgegenstellen. Betrachten wir gewisse Pflanzenarten: wir sehen vier fruchtbare Staubfäden; der fünfte unfruchtbare Staubfaden ist winzig und dünn. Nichts sieht weniger einem Schmuck ähnlich, als dieses schwächliche Anhängsel; allein die Symmetrie des Typus verlangte fünf Staubfäden; die Natur scheint durch dieses verkümmerte Organ an die fehlende Regelmäßigkeit zu erinnern. Ebenso ist's mit den Brustwarzen, die bei den Vierfüßern des männlichen Geschlechts nur angedeutet, bei denen des weiblichen Geschlechts entwickelt sind. Aber will man vermessen die Neugier so weit treiben und fragen, zu welchem Zwecke die Natur so oft ihren allgemeinen Plan, so zu sagen, durch eine flüchtige Skizzirung von Organen hingeworfen hat, ohne diese auszuführen? Als einzige Antwort wagen wir, unsere Unwissenheit einzugesteehn und zu sagen, daß wir nur so viel wissen: der schaffende Verstand offenbare sich durch dieses Festhalten des Planes noch in den verkümmerten Theilen, und diese so häufige Erscheinung habe ohne Zweifel ganz

*) De l'Athéisme et du Déisme, par Amédée Pommier. Paris, 1857.

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andere Beweggründe, als wir ahnen. Ahmen wir, mit uns selber in Einklang bleibend, dem Atheisten nicht nach, der mit sich in Widerspruch ist. Pommier sagt: In dem Innern des Körpers giebt es nichts Unnüßes. Das ist eine in der Physiologie anerkannte Wahrheit, und, seltsam, ein materialistischer Arzt, mit dem ich mich jüngst unterhielt, schien davon so tief wie Irgendeiner überzeugt. Hättet ihr ihn über den Nußen dieses oder jenes Organs, der Zirbeldrüse z. B., befragt, er würde euch geantwortet haben, daß wir ihn noch nicht kennen; es käme ihm aber nimmer in den Sinn, euch zu antworten: Es hat vielleicht gar keinen Nußen."

Von metaphysischen Beweisen hat Pommier nur den von der Bewegung hergenommenen berührt, der darum nichts von seiner Güte verliert, weil ihn schon Aristoteles und Plato geführt haben. In der Welt, sowie sie uns erscheint, schaffen die lebenden Wesen durch ihren Willen allein die Bewegung. Der Stoff an sich ist deren unfähig; er wird nur durch einwirkende Impulse bewegt. Geht man nun auf die Entstehung dieser Impulse zurück, gelangt man da nicht in folgerechter Induction zu einem uranfänglichen und allmächtigen, allbewegenden Willen? In dem Gebiete der Konjekturen scheint diese mindestens die wahrscheinlichste, da sie der Beobachtung am angemessensten ist.

Dankenswerth ist es, daß Pommier den aus der Philosophie hergeleiteten Betrachtungen keine religiösen beigemischt hat. Was auch ehrliche Gemüther von der Eintracht der Religion und Philosophie träumen, es bleiben zwei Nebenbuhlerinnen, die nichts mit einander zu thun haben wollen, es sei denn, daß sie einander in die Haare gerathen. Denn, wenn sie durch die Identität ihres Gegenstandes auch zusammenkommen, so fahren sie doch aus einander durch den Gegensatz ihrer Methoden, und nie hat man es zu etwas Anderem, als zu einem gezwungenen und widernatürlichen Bündniß, gebracht. Das einzige Mittel, den Frieden zu erhalten, das die Erfahrung empfiehlt, ist, die eine völlig aus dem Spiele zu lassen, wenn man sich mit der anderen einläßt. Pommier hat diese behutsame Zurückhaltung beobachtet und hat dabei gewonnen, keinen unzeitigen Zwiespalt in dem Gemüth des Lesers zu erwecken.

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Pommier glaubte, die beiden entgegengeseßten Thefen jede insbesondere ausführlich erörtern zu müssen. Dieses Verfahren hat aber das Maßlose, daß die Erwiederungen von den Einwürfen zu weit entfernt, ja daß manche Erörterungen ohne Erwiederung geblieben find. So z. B. stellt er erst mit großem Nachdruck seine Gründe gegen die Freiheit auf, vergißt aber, auf dies Thema zurückzukommen und auch die Gründe zu ihren Gunsten — an denen es doch, gottlob, nicht fehlt zu geben. Die Gesprächsform hätte vielleicht gestattet, die Argumente nach beiden Richtungen in geschloffenen Gliedern anrücken zu lassen. Pommier mag aber Recht gehabt haben, von dieser Form abzustehen, da er Leser im Auge hat, die mit den dialektischen Wendungen wenig vertraut sind, bei denen es mehr darum zu thun ist, einen günstigen Eindruck hervorzurufen, als ihnen scharf bestimmte Gedanken zu geben. In den beiden, einander ablösenden Reden, für und wider, konnte er das Trockene philosophischer Schärfe vermeiden und eine gewisse Beredtsamkeit entwickeln, die weit geeigneter ist, Laien zu überzeugen. Wo es sich darum handelt, den Gedanken poetisch zu färben, da ift Pommier auf seinem Plaß; seine geübte Feder zeigt ihre Macht in den Schilderungen, in dem Ausmalen der Einzelheiten; man erkennt den Dichter, der die Werke Gottes zeigt, statt fie, wie der Philosoph, nur zu nennen. Man höre seine Beschreibung des Sonnenaufgangs:

"Das Frühroth steigt auf, des Horizontes Saum beginnt im Often zu bleichen. Noch ist der Westen schwarz. Von Osten nach Westen streckt sich eine schillernde Farbenleiter, an der sich, mit unendlichen Schattirungen, in einer Reihe unmerklicher Abstufungen, alle prismatischen Linten des Regenbogens entwickeln und ablösen. Wie auf dem Körper eines unermeßlichen Chamäleons unterscheidet das Auge die Farben des Schwefels, der Zitrone, der Pomeranze, des Krapps, der Klatschrose, des Zinnobers, des Karmins, des Purpurs, des Tausendschöns, des Laks, der Viole, des Indigo's. Bald tritt die Sonne selber hervor, schreitet majestätisch einher auf dem ultramarinen, afurblauen Himmel, den Raum erfüllend mit ihres Lichtes blendendem Strom, ein Bild des Gottesgedankens, der am Horizont der Seele aufsteigt und mit seiner Helle die gesammte moralische Welt erleuchtet, ohne daß man sein Antlig zu schauen vermag.“

Pommier hat übrigens feine Angriffe nur auf die materialistische Naturanschauung des leßten Jahrhunderts gerichtet. Allein, so wie die Atheisten den anständigeren Namen Pantheisten angenommen haben, fo nennt sich der gegenwärtige Materialismus Positivismus und nimmt die Maske der apofteriorischen Methode vor. Pommier wird also wohl daran thun, in einer zweiten Auflage seines trefflichen Büchleins den verkappten Materialismus zu nöthigen, das Visir zurückzuschlagen, und ihm zu zeigen, welch einen mangelhaften Gebrauch er von dieser Methode mache, indem er nicht allen Thatsachen Rechnung trägt und die Welt in den engen Pferch der menschlichen Beobachtung zwängt.

Was den deutschen Pantheismus betrifft, so hat er unbezweifelt einen Vorsprung vor dem alten Atheismus; denn er beruft sich nicht auf den Zufall; er anerkennt im Gegentheil die Welt als das Produkt einer strengen Dialektik, die sich in der Schöpfung entwickelt. Die Dialektik ist der Gott dieser Theorie; aber ein blinder, unpersönlicher, von der Natur nicht unterschiedener Gott, der erst im Menschen zum Selbstbewußtsein kommt. Diese Pantheisten können sich schwer ärgern, wenn man sie Atheisten heißt. Und doch was für ein Gott ist das, der von sich selber nichts weiß? Und was soll man zu dieser lächerlichen Vergötterung der traurigen Menschheit sagen? Ist in Betracht der Folgerungen ein Unterschied zwischen dieser Meinung und dem entschiedenen Atheismus? Wohl halten gewisse Philosophen die Widerlegung eines Systems vonseiten seiner Folgerungen für erbärmlich. Der Denker, sagen sie, muß stracks vorgehen, ohne sich zu kümmern, was er am Ziel seines Weges finden wird. Uns aber will diese Strenge höchstens in der physischen und mathematischen Wissenschaft zulässig bedünken, dort, wo es sich um Probleme handelt, zu deren Lösung wir die Bedingungen in Händen haben. So weit ist die Metaphysik nicht: da ihr niemals die Elemente ihrer Aufgaben vollständig zur Verfügung sind, so ist sie stets genöthigt, errathend, vermuthend im Finstern zu taften. Bei einer solchen Methode, die uns die Gewalt der Dinge aufdringt, sind die Ergebnisse zu unsicher, und ihre Tauglichkeit ist nur an den Folgerungen zu prüfen; sie sind der Probirstein der Systeme; an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Und was sucht man denn eigentlich? Nicht die Erklärung der Thatsachen? Nun denn, die Naturgefühle der Geselligkeit, der Sittlichkeit, der Unsterblichkeit sind im Menschen eben so sicher anerkannt, wie die sinnlichen Handlungen des Effens und Trinkens. Und ein System, das diese Thatsachen als Täuschungen beiseite liegen läßt, verfehlt seines Zieles.

Also schon die Folgerungen dürften zur Widerlegung des Pantheismus ausreichen; indeß mußte man ihm direkt zuleibe gehen, indem man die Wahrheit der göttlichen Persönlichkeit, an der er rüttelt, durch Gründe feststellt. Alles scheint hier auf den Ausgangspunkt anzukommen. Geht man vom Sein oder von der Substanz (von Hegel oder Spinoza) aus, so kommt man nothwendig beim Pantheismns an; geht man aber von der Idee der Ursache aus, so gelangt man zu dem vernünftigsten Theismus, durch die schlichte Erwägung des gesunden Menschenverstandes, daß die Ursache doch nicht ärmer sein könne, als die Wirkung und daß ein verständiges Geschöpf einen verständigen Schöpfer vorausseße. Es scheint, daß diese Schlußart heutzutage aus der Mode gekommen und daß man sich dem Gelächter preisgebe, wenn man so dumm ist, von der Wirkung auf die Ursache zu schließen. Und doch ist das der Weg, den die Menschheit zu allen Zeiten eingeschlagen, um eine Grundlage für ihre Glaubenslehren zu suchen. Von Gatt= Substanz träumen einige Philosophen; die Menschheit aber hat nie an einen andern als an Gott-Ursache geglaubt. Diese Einmüthigkeit des Gemeinverstandes stimmt uns zugunsten dieses Weges, den wir - man bemitleide immerhin unsere Schwäche verfolgt sehen möchten. Freilich sieht es seit einiger Zeit in den philosophischen Ideen chaotisch genug aus: der gesunde Menschenverstand verliert täglich mehr Boden. Seien wir daher auf unserer Hut! Die Geschichte ist da, aus der wir lernen können, daß der Hereinbruch skeptischer, materialistischer, gottverleugnender Lehren bei den Völkern stets ein sicheres Kennzeichen der Entkräftung und der Siechheit in dem gesellschaftlichen Körper gewesen ist.

Italien.

Das Herzogthum Parma in den Jahren 1856 und 1857.*)

Seitdem wieder Ruhe und Ordnung in Italien herrschen, hat keine Regierung auf der Halbinsel so harte Prüfungen bestanden, wie die des Herzogthums Parma. Zwischen die beiden äußersten Parteien der Schwarzen und Rothen gestellt, sieht die Regentin Louise Maria von Bourbon**) ihre besten Absichten verleumdet und gehemmt. Jede ihrer Handlungen ist in den Augen der Einen ein strafbares Zugefständniß, in den Augen der Anderen ein Zeugniß von Heuchelei. Als sie von ihrem Begnadigungsrecht zu Gunsten der in Folge des Aufstandes am 22. Juli 1854 Verurtheilten Gebrauch machte, hüllten sich die Schwarzen in Trauer und stießen sich die Rothen an einige Ausnahmen, die, um nicht die öffentliche Sicherheit zu gefährden, für nothwendig erachtet waren, und das nahmen sie zum Vorwande, den günstigen Eindruck, den dieser Gnadenakt hervorgebracht hatte, wieder zu verwischen. Im März 1856 hatten sich, wie in den vorangegangenen Jahren, die Verbrechen wieder gehäuft. Folgen davon waren: der Belagerungszustand Parma's und der anliegenden Gemeinden; Ausnahmemaßregeln, wie die willkürliche Einkerkerung gewisser, der Regierung verdächtiger Personen. Grund genug, Schrecken im Lande und übertriebene Gerüchte auswärts zu verbreiten. Man steigerte

*) Nach dem Annuaire des deux Mondes.

**) Sie vertritt ihren minderjährigen Sohn, Robert I., Herzog von Parma.

die Anzahl der Verhaftungen auf 500 in einem Ländchen von noch nicht 500,000 Einwohnern! Desterreichische und Parmesaner Truppen, hieß es, zögen nach der sardinischen Gränze, um der Gefahr, die von dieser Seite das Herzogthum bedrohe, vorzubeugen; denn in der Regel wirft die Rückschrittspartei bei ihren Anschuldigungen die Revolutionairen und Mazzinisten mit den piemontesischen Constitutionellen zusammen, obgleich jene deren erklärteste Feinde sind. Man fügte noch hinzu, die Regierung hätte Oesterreich um Verstärkung gebeten, die kaiserlichen Truppen sollten mehrere Punkte des Gebietes beseßen und der General Kommandant derselben würde die Gesammtgewalt, die militairische und bürgerliche, in seinen Händen vereinigen; die Minister hätten ihre Entlassung eingereicht; man hätte der Regentin abzudanken gerathen und sie würde das Land verlassen.

Am folgenden 28. April strafte die Fürstin alle jene Gerüchte Lügen durch einen Artikel in der offiziellen Zeitung von Parma, aus welchem ihre wahren Gesinnungen und ihre vortrefflichen Absichten für die Zukunft hervorleuchten. „Mit Ausnahme einiger unruhevoller Tage", heißt es in dem Artikel,,,im Monat Juli 1854, hatten die Desterreicher im Herzogthum niemals mehr als ein Bataillon von sechs Compagnieen. Die Herzogin ist entschloffen, ihren Posten als Regentin und Mutter nicht zu verlassen. Wohl haben elende Menschen durch ihre Verleumdungen diesen oder jenen ihrer Mitbürger bei der Regierung verdächtigt; sobald aber der Irrthum erkannt war, wurden die unschuldig Verleumdeten in Freiheit gesezt und die Verleumder der ganzen Strenge der Gefeße überliefert. Wer sich zu rechtfertigen vermag, wird sofort auf freien Fuß gestellt, und selbst die Verdächtigen sollen, mit Vorbehalt der die Ordnung verbürgenden Maßregeln, ihrer Haft entlassen werden.“ Endlich fühlt man sogar den Worten, womit die Strenge der Regierung gerechtfertigt wird, den tiefen Schmerz an, den die Regentin empfindet, zu solchen Maßregeln gezwungen zu sein. „Um die Ordnung aufrecht zu erhalten“, fährt das offizielle Blatt fort,,,sah sich die Regierung durch ihre inneren und äußeren Gegner grausam gezwungen, zu peinlichen Ausnahmemaßregeln zu greifen, die aber ohne Wiederkehr verschwinden sollen, wenn die stumpfsinnigen und thierisch wilden Verbrechen, die sie nothwendig gemacht haben, nicht wiederkehren."

Diese Erklärungen haben das besondere Interesse, daß es nicht eitle Worte waren. Sobald es der Zustand der Gemüther zuließ, erhielten sie ihre volle, ungeschmälerte Wirkung. Die Mehrheit der Parmesaner bekennt sich zu politischen Meinungen, die merklich von denen der Regierung abweichen; dennoch begriffen sie endlich, daß sie vorderhand nichts Besseres zu hoffen haben, als was ihnen die Verwaltung einer Fürstin bietet, deren Verstand und guter Wille ihnen bekannt sind. Die Ordnung wurde also hergestellt, und die Regentin konnte ohne Aufschub auf ihre großherzigen Eingebungen zurückkommen. Den 7. September 1856 wurde der Belagerungszustand aufgehoben. Darüber konnten die Chefs der fremden Truppen ihre lebhafte Un zufriedenheit nicht unterdrücken. Daher eine merkliche Erkaltung zwischen ihnen und der Regentin, die sich von nun an keinen Zwang anthat und unverhohlen zeigte, daß ihr die Gegenwart der Desterreicher sehr lästig sei; ihnen schob sie zum Theil die Unzufriedenheit und die Aufregung zu, die ihre Unterthanen kundgaben; sie sprach es ohne Rückhalt aus, daß sie diesen, sich selber überlassen, hinlänglich vertraue und gern mit ihnen allein ohne fremde Vermittelung sein möchte.

Inzwischen, bis zum Aufgang dieses Befreiungsmorgens, fezte die Regierung ihre Verwaltung geräuschlos fort, nahm aber gelegentlich Maßregeln, die abweichend beurtheilt wurden. Einige Unglücksfälle in Folge des ungeschickten oder böslichen Gebrauchs der PhosphorZündhölzchen veranlaßten die Polizei, die Fabrication und den Verkauf derselben im Herzogthum zu verbieten; das gab nun den Uebelwollenden Stoff zu mancherlei Spöttereien, um die Verwaltung lächerlich zu machen. Von einem richtigeren Takte beseelt zeigte sich diese, als sie am 2. Dez. den Bau von Armenwohnhäusern verordnete. Das Unternehmen sollte durch Unterzeichnungen in's Leben treten; die Regierung verpflichtete sich nur, die Kosten zu einem Musterhaus herzugeben. Im Januar 1857 wurde von der Akademie zu Parma eine Konkurrenz ausgeschrieben, die alle Baumeister einlud, ihre Pläne zur Ausführung dieser neuen Arbeiterstädte einzureichen; es ist Gruud zu der Hoffnug, daß diese Entwürfe nicht blos auf dem Papier bleiben werden.

Am 14. November 1856 wurde ein Kartell zur Auslieferung der Verbrecher zwischen Frankreich und dem Herzogthum unterzeichnet.

Inzwischen verfolgte die Regentin den Gedanken der Räumung des Landes von österreichischen Truppen, bis auf Piacenza, das vertragsgemäß besegt bleiben mußte. Geräuschlos leitete fie die Unterhandlungen, begegnete allen erhobenen Einwürfen, und am 7. Februar

1857 endlich verließen die Desterreicher Parma. Und als hätten die Ereignisse es übernommen, den Willen der Regentin auf die Probe zu stellen, mußten einige geringfügige Unordnungen, die wenige Tage zuvor stattfanden, ihr den natürlichsten Anlaß bieten, ihre Beharrlichkeit bei dem gefaßten Entschlusse darzuthun. Ein Prediger hatte sich auf der Kanzel Ausfälle von unerhörter Heftigkeit erlaubt. Verhöhnt und ausgezischt von allen Anwesenden, mußte der unselige Redner mitten in der Predigt von der Kanzel steigen. Ein solches Aergerniß konnte nicht verfehlen, die ganze Stadt aufzuregen, und die Regentin wurde dringend angegangen, sich nicht der Stüße der Desterreicher zu berauben; Alles vergeblich die Desterreicher verließen Parma. Die Freude war allgemein und die Ordnung keinen Augenblick gestört. Alle Welt fühlte die Nothwendigkeit, Europa zu beweisen, daß die Italiäner unter einer verständigen und ehrlichen Regierung ruhig (Schluß folgt.)

bleiben können.

Mannigfaltiges.

Diderot und der blinde Mathematiker Saunderson. Wir machen auf eine interessante Abhandlung aufmerksam, die Karl Rosenkranz über Diderot in Nr. 1 u. 2 des Deutschen Museum“ von 1858 hat abdrucken laffen. Sie ist gegen diejenigen LiterarHistoriker gerichtet, die noch heutigestages, wie Eduard Arnd in seiner ,,Geschichte der französischen National-Literatur von der Renaissance bis zur Revolution", den Begründer und Herausgeber der französischen Encyklopädie als einen alle Religion und Sittlichkeit zerstörenden Schriftsteller bezeichnen. Rosenkranz nennt diese Auffassung und Darstellung Diderot's unwahr und gedankenlos und sucht dies zunächst dadurch zu begründen, daß er ein Aktenstück, welches man gewöhnlich als das sprechendste Zeugniß für den Atheismus Diderot's anführt, nämlich dessen „Brief über die Blinden", seinem Inhalte wie seiner Entstehungsgeschichte nach, analysirt. In diesem Briefe über die Eigenthümlichkeit des Erkenntniß-Prozesses der Blindgebornen beruft sich Diderot namentlich auch auf den berühmten blinden Mathematiker Nicholas Saunderson, der, im Jahre 1682 in Yorkshire geboren, als Profeffor der Mathematik und Physik an der Universität Cambridge im Jahre 1739 starb, wo er nicht nur die Geometrie und Algebra, sondern auch die Optik und die Theorie des Gesichtsfinnes vorgetragen hatte. Allerdings theilt Diderot bei dieser Gelegenheit ein anscheinend gegen den Gottesglauben gerichtetes Gespräch mit, das Saunderson angeblich mit dem Geistlichen Holmes auf seinem Sterbelager geführt. Rosenkranz weist jedoch selbst an diesem Gespräche nach, daß Diderot zwar die Skepsis des blinden Mannes für naturgemäß hält, jedoch keinen Zweifel darüber läßt, daß für ihn (Diderot), wie für alle Sehende, diese Stepsis sich von selbst widerlege.

Butkov. In der Nacht vom 23. zum 24. Dezember v. J. starb in Petersburg, 82 Jahre alt, der russische Senator Peter Grigorjewitsch Butkov, Mitglied der Akademie der Wissenschaften und einer der verdienstvollsten russischen Gelehrten. In der Literatur seines Vaterlandes hatte er sich besonders durch seine Schrift über die Nestorsche Chronik bekannt gemacht, deren Authentizität er der sogenannten „skeptischen Schule“ gegenüber, die sie für ein Machwerk des dreizehnten Jahrhunderts erklärte, auf das Erschöpfendste nachwies. Außerdem war er Verfasser mehrerer historischen und statistischen Arbeiten, die in den Memoiren der russischen Akademie eine Stelle fanden.

H. Kiepert's Hand-Atlas. Die kürzlich erschienene sechste Lieferung des in unseren Blättern bereits mehreremal nach Verdienst anerkannten Kiepertschen „Hand- Atlas über alle Theile der Erde“°) umfaßt folgende, in gleicher Weise wie die früheren Lieferungen, durch Aufnahme der neuesten Forschungen, wie durch korrekte Zeichnung, schönen Stich, klaren Druck und markante Kolorirung, sich bemerklich machende Blätter:

1) Europa,

2) Kontinent von Australien und Neuseeland,
3) Nordwestliches Afrika

und 4) Mittel-Amerika und Westindien.

Der vollständige Atlas, dessen Vollendung noch im Laufe des Jahres 1858 zu erwarten ist, wird aus zehn Lieferungen à 4 Blatt, jede zu dem Preise von 11⁄2 Thlr., bestehen.

*) Berlin, Verlag von Dietrich Reimer.

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Berlin, Dienstag den 9. Februar.

Denkmäler aus der Zeit Konstantin's in Rom. Nach J. J. Ampère.

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Unter dem Titel: Die Römische Geschichte in Rom" hat Ampère eine auch bereits in diesen Blättern erwähnte interessante Arbei geliefert, eine auf Bau- und Bildwerke der Riesenstadt gegründete, fo zu sagen eine monumentale Geschichte der alten Weltbeherrscherin. Wir mußten uns bei einigen von uns gelieferten Auszügen aus dieser umfänglichen, zu mehreren Bänden angewachsenen Arbeit des gelehrten und geistvollen Franzosen auf einzelne Episoden, als Proben von Gehalt und Darstellungsweise, beschränken. Auch heute sind es einige Fragmente, die historischen Denkmäler der Anfänge des Christenthums in Rom behandelnd, die wir unseren Lesern liefern:

..,,Wir haben soeben gesehen, das selbst in den unseligsten Epochen, nicht dem Reiche die guten Fürsten gefehlt haben, sondern das Reich den guten Fürsten gefehlt hat. Die Antonine des dritten Jahrhunderts, wie die des zweiten, zeigen, wie tief verderbt die Verfassung des Reiches war, daß selbst die großen Eigenschaften dieser Kaiser nichts verbessern konnten. So wie früher nach einem Marcus Aurelius ein Commodus gekommen war, so erschien jezt bald auf einen Probus ein Carinus, in welchem ein Heliogobalus wiedererstehen sollte.

Nach seiner, freilich zweifelhaften Büfte im Kapitol, muß der ruchlose Wicht sehr garstig gewesen sein. Calpurnius fagt wohl in einer seiner Eklogen, der Anblick Carinus' habe an Mars oder Apollo gemahnt; allein Calpurnius war ein Hofpoet, und aus von Gibbon beigebrachten Zeugnissen wissen wir, daß Carin klein und häßlich war. Auch er wollte zur Beluftigung des Pöbels wunderliche Spiele geben, wie sie schon sein Vater Carus und sein Bruder Numerinus, die übrigens zu den guten Kaisern zählen, in das übertrieben Lächerliche veranstaltet hatten: da waren Menschen aufgetreten, die im Kothurn auf dem Seil tanzten, Mauerbesteiger (reixoßarai), die, um einem Bären zu entfliehen, auf dem Rande einer Mauer hinliefen. Carin überbot sie....

Ein Hirt Corydon denn Calpurnius hat seinen Virgil gele fenfommt aus der Stadt und erzählt einem Kameraden, was er im Amphitheater gesehen, in schlechten Versen, aber mit kleinlich genauer Naturtreue. Er sah das von Balken getragene Zeltdach, die zahllosen Stufenfige: da alle Pläge besezt waren, so sei er in das dritte Stockwerk hinaufgestiegen, das für die Frauen und gemeinen Leute vorbehalten ist:

Venimus ad sedes ubi pullà sordida veste
Inter foemineas spectabat turba cathedras.
(Kamen zu Sigen, wo zuschauend im schäbigen Kleide

Zwischen weiblichen Stühlen schmuzig Gesindel sich drängte.) Corydon vergleicht das Oval des Koliseums einem auf allen Seiten von Bergen eingeschloffenen Thale:

Sic tibi planitiem curvae sinus ambit arenae
Et geminis medium se molibus alligat ovum.

(So umschließt dir die Fläche der Bug der gekrümmten Arena,
Hüben und drüben an's Mauerwerk lehnt sich die mittlere Eiform.)

In dem Folgenden verliert sich die Hyperbel in die Wolken, denn man mußte dem Scheusal Carin schmeicheln und Alles, was an dem Bau bewundernswürdig erschien, tief unter das Schauspiel stellen, das er zur Belustigung aufführen ließ. Zum Glück enthält das pomphafte Lob dieser Spiele zahlreiche Einzelheiten, die uns die Pracht der Arena anschaulich machen. Calpurnius führt uns an einem Tage der Darstellung durch alle Abtheilungen des Koliseums: schon sind wir mit ihm bis in das Paradies gestiegen; hier erblinden uns fast die Augen vor dem Glanz:

Baltheus en gemmis en illata porticus auro

Certatim radiant.

(Schan, wie der Kreisgang von Edelgestein, die Halle von Golde Wie um die Wette strahlen.)

1858.

Dann zählt er alle die seltenen und seltsamen Thiere her, die nach und nach auf die Bühne traten: weiße Hasen, gehörnte Wildschweine, Elennthiere aus Germaniens Wäldern, bucklige Stiere aus Asien, gegen Bären kämpfende Seekälber, Nilpferde. Der Dichter läßt seinen Corydon schildern, wie die reißenden Thiere aus dem scheinbar jählings sich öffnenden Erdschlund hervorstürzten, aus dem zugleich ebenso plöglich eine ganze Pflanzenwelt aufschoß; die unerwar= teten Bühnenstreiche in diesen blutigen Spektakelstücken suchten einander den Nang abzulaufen. So hatte Septimius Severus der Arena die Form eines Schiffes gegeben. In einer Vertiefung wurden 400 Thiere aufgestellt, die man durcheinander losließ: Bären, Panther, Löwen, Strauße, Waldefel, und die zur Luft der Zuschauer in angenehmer Verwirrung einander erwürgten.

Nach den Kaisern mit verstörten und geistlosen Zügen, die uns die Reihe im Kapitol vorführt, stößt das Auge auf ein ganz entgegengeseßtes Bild mit breiter Stirn, umfänglichem Kopf; in dem gelaffenen, nachdenkenden Gesicht spricht sich Aufmerksamkeit und Fassungskraft aus; es erinnert an Vespasian, nur ist es heiterer, das Lächeln ist kalt, aber ohne Spott: es ist Diocletian. Bei seinem Anblick erkennt man sofort die Ruhe eines Geistes, der seiner Herr ist und weiß, was er will, von dem die Geschichte zeugt:,,Ein Mann von feltener Schlauheit, mit tiefangelegten, bisweilen kühnen Entwürfen stets vorsichtig, und durch seinen unbeugsamen Starrfinn die unruhigen Bewegungen seines Herzens niederhaltend".

Diocletian war weit entfernt, ein Weiser auf dem Throne zu sein. In Aegypten machte er einen grausamen Gebrauch von seinem Siege, den er mit dem Blute der Ueberwundenen und Geächteten besudelte. Die Christen hatten an ihm einen blutig strengen Verfolger. Er war sehr klug, eine Eigenschaft, die, wenn von keiner anderen begleitet, nur bedingt zu bewundern ist; denn von ihr gilt, was man von dem Wiz gesagt hat: sie ist zu Allem nüß, aber zu nichts genügend. Diocletian versuchte es, die abgenußte und verrenkte Maschine des Reiches zu verbessern; mit Leidenschaft und Sachkenntniß trieb er das administrative Fachwerk. Unter der Walze der absoluten Gewalt sollte es flach gedrückt werden, Prätorianer und Senat. Zum Unglück zermalmte er Alles bei dieser Nivellirung: truncatae vires urbis, sagt Aurelius Victor. Nicht aus wahnsinniger Eitelkeit, wie Heliogabalus, sondern aus politischen Gründen suchte er der kaiserlichen Gewalt das Gepräge und Gepränge der orientalischen Despotieen zu geben. Mit barbarischer Härte raste er gegen das Christenthum, das sich nicht empörte, aber in sich das Prinzip barg, dem endlich die verhaßte römische Herrschaft erliegen sollte. Und doch, gerade dieser Kaiser, der die Einheit der Staatsverwaltung so fyftematisch organisirte, wie kaum seine Vorgänger seit August, gerade er zer= splitterte den Staat mit eigenen Händen, indem er unter vier, und bald unter sechs Herren, getheilt wurde. Diocletian vergeudete seine Kräfte, das Heidenthum durch die Verfolgung des Christenthums wieder zu beleben; er konnte nicht tödten, was dem Leben, und nicht beleben, was dem Tode geweiht war. Er und fein Mitkaiser Maximian, besiegt in diesem Kampfe, im Gefühl der Erschöpfung bei dem Unternehmen des Unmöglichen, legten an demselben Tage den Herrscherftab nieder.

Der Abdankung Sylla's gab Niebuhr in einer seiner Vorlesungen ein mehr politisches Motiv; denn das, welches Montesquieu in seinem berühmten Dialog ihr unterlegt, gehört, nach des Ersteren Meinung, in das Gebiet der Poesie und Rhetorik. Sylla, fagt Niebuhr, der den römischen Adel reorganisiren wollte und die Elemente zu dieser Reorganisation nicht vorfand, verzweifelte an seinem Werk und legte eine Gewalt nieder, deren Ohnmacht, es zu vollführen, er fühlte. Daffelbe Motiv dürfte auch Diocletian bestimmt haben, ein Scepter aus den Händen zu legen, das die Einheit und die VerwaltungsHierarchie, den Sieg der Hof-Religion, den orientalisch-königlichen Glanz der kaiserlichen Gewalt nicht zu erzwingen vermochte.

Obgleich Diocletian fast fortwährend von Rom abwesend war, fehlt es hier doch nicht an den Ruinen eines umfassenden Denkmals, der Bäder, denen er seinen Namen gegeben hat, die aber von vier

Augusten und zwei Cäsaren eingeweiht wurden. Eine aufgefundene Inschrift führt neben den Namen Diocletian's die Namen: Marimianus (Herkuleus), Marimianus (Galerius) Constantius, Severus. Der Bau erscheint demnach das gemeinsame Werk all dieser Fürsten und giebt demnach ein sprechendes Bild von der Zerstückelung der Gewalt, trog der klugen Organisation und dem Charakter der Einheit, die Diocletian dem Reiche aufprägen wollte.

Nach den trümmerhaften Ueberresten läßt sich der Umfang der Diocletianischen Thermen leicht ermessen. Der Raum, den sie einnahmen, umfaßt gegenwärtig einen freien Plag, Gärten, ein Klofter, Heu-Magazine, Häuser, eine öffentliche Anstalt. In einem Theil der Bäder führte Michel Angelo das größte Kloster in Rom auf; die Kirche Santa Maria ist, wie bekannt, nur ein einziger Saal dieser Bäder. Es war nur wenig dabei zu thun, um ihn seiner gegenwärtigen Bestimmung anzupassen und wenn später, nach Michel Angelo, bedauernswerthe Veränderungen an der schönen Kirche vorgenommen wurden, so lag der Fehler gewiß nicht an dem majestätischen, grandiosen Bau Diocletian's. Die kleine Kirche S. Bernardo ist ein anderer, unverändert gebliebener Saal deffelben Riesenwerkes.

Waren diese Thermen auch nicht von dem Umfang derjenigen Caracalla's, so konnten sie doch ihre dreitausend Badende aufnehmen, überdies hatten sie zwei Fischteiche, anstatt daß die lezteren nur einen hatten. Die Belustigungen aller Art, die einen wesentlichen Theil der Thermen zu Rom überhaupt ausmachten, waren auch hier nicht vergessen. Noch heute sieht man in dem Garten des Klosters S. Bernardo die halbkreisförmigen Stufensize, auf denen die Müßigen den Spielen der Palästra zusahen; man weiß ferner, daß die von Trajan gegründete Ulpianische Bibliothek nach diesen Thermen war verlegt worden. Einer gar nicht unwahrscheinlichen Tradition zufolge hatten während der Diocletianischen Verfolgung viele Christen an diesem gigantischen Denkmal gearbeitet. Eine angemessene Schadloshaltung des Christenthums! Zwei Gemächer eines Baudenkmals, durch die Arbeit der unterdrückten Christen für ihre Verfolger aufgeführt, in christliche Kirchen verwandelt!

Der auf die Spige getriebene Druck rührt bisweilen an die Erlösung. Nach den heftigen Verfolgungen, siehe, da kommt die Befreiung und die Herrschaft zu den Chriften! Nach Diocletian kommt Konstantin.

Konstantin's Vater, Constantius Chlorus, unter seinen kaiserlichen Kollegen durch einen menschlich milden Sinn bemerkbar, zeigt im Kapitol seinen dicken, vierschrötigen Kopf, und, was seit einiger Zeit eine Seltenheit bei den römischen Kaisern erscheint, das Aussehen eines ehrlichen Mannes. Die heilige Helena, die Mutter Konstantin's, starb wahrscheinlich in Palästina, von wo ihre Leiche nach Rom muß gebracht worden sein, da man hier in der Nähe ihren prachtvollen Sarkophag aus Porphyr gefunden hat. Er wird gegenwärtig im Vatikan aufbewahrt und die Schwierigkeiten, die der Künstler bei diesem harten Stoff zu überwinden hatte, sehen den Betrachter in Erstaunen. Die stark erhabenen Figuren, welche Krieger zu Rosse und Gefangene darstellen, die ihn zieren, geben Zeugniß, daß, wenn auch in dieser Epoche der Kunststyl ausgeartet war, es doch nicht an der Kunst und an der Ausdauer fehlte, die sprödesten Stoffe zu bearbeiten. Mehrere zerschlagene Figuren sollten ergänzt werden und es bedurfte dazu einer anhaltenden neunjährigen Arbeit von 44 Steinmeßen. Die heilige Helena hatte in den Gärten des Heliogabal ihre Thermen aufführen lassen; eine schmachvolle Erinnerung, die selbst der Name der frommen Kaiserin kaum zu verwischen vermag. In ihrem Umfange liegt die heutige Kirche des heiligen Kreuzes von Jerusalem.

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Gegenüber dem Sarkophag der heil. Helena steht im Vatikan derjenige der heil. Constantia, von ähnlichem Stoffe und folglich von dem felben Verdienst der überwundenen Schwierigkeit ein Verdienst, das ein Verdienst, das in der Plastik, wie in der Dichtkunst, dann erstrebt wird, wenn kein anderes mehr erreichbar erscheint. Die Arbeit ist aber an dem legteren weit schlechter; der kurze Zwischenraum von zwei Generationen, der die Großmutter von der Enkelin trennt, macht sich in dem Unterschied zwischen den Bildhauern der beiden Grabmäler bemerklich genug. Wenn die Stunde des Verfalls geschlagen hat, sinkt die Kunst zusehends.

In der Reihe der Kaiserbilder auf dem Kapitol vermißt man bas Bild Konstantin's, das man, wie es scheint, hier unter den Erinnerungen an das heidnische Rom, nicht am rechten Orte glaubte; feine Bildsäule aber wurde aus seinen Thermen unter die Halle des heiligen Johann von Lateran verseßt. Hier steht sie an der Pforte, der, leider verballhornten, Basilika, die Konstantin gegründet hatte, an der passendsten Stelle. Sie scheint Wacht zu halten an der Schwelle der Kirche, die sich stolz genug omnium urbis et orbis ecclesiarum mater et caput nennt.

Dem ersten christlichen Kaiser gab man das Kreuz in die Hand,

angenommen, dargestellt werden. Konstantin ist weder hochgewachsen noch majestätisch, wie Eusebius, sein gefälliger Biograph, und Gibbon ihm nachgeschrieben eine Schmeichelei, welche die Kaiserstatue Lügen straft. Sein Körper ist kurz, unterseßt, mit breiter Brust, dicken Beinen; er hat die Haltung eines Soldaten, das war er auch im Dienste des Kreuzes. Bemerkenswerth ist besonders der tiefe Blick, der einen fernen Gegenstand zu betrachten scheint. Er richtet ein festes Auge auf die Zukunft, für welche er Partei genommen. Das ist sein Ruhm in der Geschichte; er begriff, wohin die Welt ging und folgte ihr, an der Spige schreitend. Uebrigens zeigte sich Der, der das Christenthum den Thron besteigen ließ, sehr wenig des Christenthums würdig. Mörder seines Sohnes, seiner Frau, seines Schwähers Marimian, seines Schwagers Licinius, gab er den Heiden Anlaß zu dem Hohne, er hätte sich nur deshalb zum Chriftenthum bekehrt, weil dieses ihm die Sühne so vieler Verbrechen möglich machte; überdies ließ sich Konstantin die Dienste, die er der Kirche leistete, theuer genug bezahlen, er war für sie ein hochmüthiger, quälender, tyrannischer Beschüßer, und sogar ein Verbündeter von sehr zweideutiger Treue. Er war im Begriff, Arius zum Siege zu verhelfen, als den von dem Verfolger des heiligen Athanafius beschüßten Kezer der Tod ereilte. Ohne ihm den Glauben abzusprechen, der aufrichtig zu sein schien, ohne zu verkennen, was ihm das Christenthum und die Civilisation für den großen Akt verdankt, der mit Recht seine Regierung unsterblich gemacht, haben sich beredte und unverdächtige Stimmen erhoben, an diesem Beispiel die Gefahren des Schußes darzuthun, den der Despotismus um einen hohen Preis der Kirche verkauft, um ihn ihr zulegt fast immer zu entziehen. Rom mahnt an einen anderen Beweis derselben Wahrheit. Es sah in unseren Tagen einen Kaiser den katholischen Kultus wiederherstellen und bald darauf den Papst zum Gefangenen machen.

In der Nähe von Rom war es, wo das Christenthum in der Schlacht, die Konstantin dem Maxentius lieferte, den Sieg gewann. Diese Schlacht wurde am rechten Tiber-Ufer, neun (römische) Meilen von der Stadt, an den sogenannten rothen Felsen (saxa rubra), geschlagen. Die vulkanischen Tuffsteine, die Bestandtheile dieser Felsen, die hier den Lauf des Tiber beherrschen, haben eine graue Farbe, die hie und da ins Violette schillert, und Vitruv bezeichnet gewisse Tuffe mit dem Namen: lapides rubri

Jenseits der Stelle, wo die Cremera sich in den Liber ergießt, streckt sich eine ziemlich weite Ebene, auf welcher sich die Reiterei, die für Konstantin den Sieg entschied, entwickeln konnte. Dahin, nicht weit von dem Punkte, wo Fabius den Heldentod fand, ist das Schlachtfeld zu verlegen. Der Krieg gegen die Vejer (477 vor Chr.) war auch ein entscheidender Krieg, aber nur für Rom; die Welt, wenigstens die gegenwärtige, war dabei nicht betheiligt, ob die große etruskische Nation das römische Völkchen zermalmte oder nicht; allein die Schlacht bei den rothen Felsen ging das ganze Menschengeschlecht, wie alle Jahrhunderte, an.

Lange hatt die Umgebung Roms von keiner berühmten Schlacht gewußt. Um die Epoche der Könige, in den ersten Zeiten der Republik, war der Kriegsschauplag nur von dem römischen Horizont eingeschlossen; seitdem wurde er nach Griechenland, dem Orient, Gallien, Germanien, überhaupt nach Gegenden verlegt, die außer dem Bereiche dieser örtlichen Studien waren. Jezt kehrt der Krieg nach der campagna romana zurück, die Geschichte, der Gegenstand unserer Betrachtungen, rückt noch einmal unseren Augen näher, vor denen in diesem öden Gefilde, hart an den einsamen Ufern des Tiber, auf diesen verlassenen Hügeln die Schattenbilder der Vergangenheit und Zukunft sich aufzurichten scheinen; beide sind in diesem gewaltigen Zweikampf durch ihre Kämpen vertreten. Wie immer siegte die Zukunft. Der Erwählte der Zukunft schlug den Vertheidiger der Vergangenheit: Konstantin's Reiterei, wie im unwiderstehlichen Sturme heranbrausend, warf die Truppen des Marentius über den Haufen; fie flohen, besiegt von diesem ungeftümen Angriff. Nicht, wie es sonst heißt, die Brücke Milvius, die zu weit vom Schlachtfelde entfernt, sondern eine Schiffbrücke, die Marentius hatte schlagen laffen, wollten sie erreichen, die sie aber abgebrochen fanden. Während er einen Uebergang suchte, gleitete er vom Pferde und versank unter der Last feiner Rüstung im Schlamme. So fand Marenz einen Tod in seiner Niederlage, wie ihn Fiesco°) über zwölfhundert Jahre später bei sei nem Siege fand. Mit Marentius wurde das Heidenthum von den Fluthen des Tiber verschlungen. (Schluß folgt.)

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