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Belgien.

Berlin, Sonnabend den 25. Dezember.

1858.

Das geistige Eigenthumsrecht und der Kongreß zu Brüffel.) gewahrt wiffen wollte. Man sieht, auf welche Schwierigkeiten dieses

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Wir fahren fort, nach der bereits erwähnten Duelle, über den Verlauf des Brüsseler Kongresses zu berichten, und beschränken uns diesmal auf das rein Thatsächliche. Es wurde also in der ersten Sigung ein geistiges Eigenthumsrecht anerkannt und dabei eine zeit weise Dauer für seine Geltung den Autoren gesichert. Auch in der zweiten Sißung zeigte sich dieselbe Liberalität und dabei eine große Uebereinstimmung der Meinungen, so daß zu Prünkreben und Decla. mationen lange nicht der Anlaß geboten war, wie in der ersten Erstens die Fachkommiffion, später die ganze Versammlung, geftand zu, daß bei geistigen Erzeugnissen hinsichts des Nechtes kein Unterschied stattfinden dürfe, daß dasselbe für alle Betheiligten gleich sein müsse, daß die Veröffentlichung eines nachgelassenen Werkes der Witwe und den Kindern dasselbe Recht gebe, als der Verfasser selbst gehabt haben würde, daß die nicht erbenden Mitbesiger desselben des Rechtes nur dreißig Jahre lang genießen, und daß dem Herausgeber eines anonymen Werkes das Eigenthumsrecht auf dreißig Jahre, vom Tage der Veröffentlichung an gerechnet, zugestanden werde. Mit pseudonymen Werken glaubte der Kongreß sich nicht befaffen zu dürfen, da sie der Sache nach entweder zu den anonymen oder zu denen, deren Autor bekannt sei, gehören würden. In Bezug auf Reben, Vorlefungen und mündliche Vorträge wahrt der Kongreß dem Autor das Recht. Für politische Reden in den Kammern (oho!) wollte er nur die theilweise Reproduction erlaubt wissen, nicht aber den Abbruck als Sammlung eines bestimmten Autore. Herr Pascal Duprat war es, der diese Ausnahme geltend machte, die unumgänglich nothwendig sei, um zu verhindern, daß etwas der Deffentlichkeit entzogen würde, was nothwendig aller Welt gehöre: Diese Ausnahme fand mehr Bei stimmung, als eine andere vom Comité vorgeschlagene zu Gunsten des Journalismus. Leider haben die Franzosen, die auf dem Kongreffe vielfach Anspielungen auf das in ihrem Lande jezt herrschende System machten, vor der Hand wenig Aussicht, mit schönen Kammerreden nebenbei eine gute Speculation zu machen. Wehe der Welt, wenn glänzende Redner mit der Sicherheit eines dreißigjährigen Eigen thumsrechtes ihrer Reden fortan die Bühne betreten. Es ist sehr Schade, das Kaiser Napoleon sich hierin als ein so unerbittlicher Feind der Industrie erweist, die er doch sonst so großartig fördert. Ueber das Recht der Uebersezungen entbrannte der Streit wieder heftiger. In der Fachkommiffion hatte man sich dahin vereinigt, bem Autor ein Recht auf zehn Jahre zuzugestehen, mit der Bebingung jedoch, daß er bereits innerhalb fünf Jahren davon Gebrauch gemacht. Wären diese vorüber, ohne daß er es sich zu Nuße gemacht, so müsse bas Recht Allen gehören. Das Comité hatte dagegen ein volles, unver Tegliches Eigenthumsrecht zugestanden, und es dem des Originalwerkes gleich gestellt. Das war konsequent und logisch. Troßdem wären der allgemeinen Versammlung die zehn Jahre der Fachkommiffion noch zu viel, sie wollte das Uebersehungsrecht eines Autors auf blos drei Jahre herabgesegt wiffen, ja es gab Stimmen, die es ganz beseitigt wissen wollten. Die Abgeordneten von Sachsen, Dänemark und Hol. land brachten darüber ein Amendement ein, dem zufolge das Ueber segungsrecht nie so umfaffend sein sollte, wie in dem Lande, wo das Werk

*) Vgl. Nr. 146 des,,Magazin".

**) Herr Pascal Duprat ist selbst noch aller Welt etwas schuldig, was ihr gehört. Im Jahre 1848 war er nämlich in Paris Herausgeber der Revue Indépendante, für welche er sich im Januar den Abonnementsbetrag für das ganze Jahr (unter Anderem von sehr vielen Abonnenten in Preußen und Rusland) vorausbezahlen ließ. Als jedoch die Februar-Revolution ausgebrochen und Herr Duprat ein sehr republikanischer Kammer- Redner gewor den war, vergaß er, den Abonnenten der Revue Indépendante bie von ihnen bereits bezahlten zehn Monatshefte vom März 1848 ab zugehen zu lassen. Vergebens wurde dagegen von Herrn Collin in Paris, im Namen der preus Bischen und ruffischen Post-Abonnenten, reklamirt. Dieselben sind bis heute noch unbefriedigt. D. R.

herausgekommen. Es fiel durch; ebenso ein anderes von Kappellmans, der das Recht ganz beiseite ließ und nur das Interesse des Autors geistige Eigenthumsrecht" stößt and stoßen muß, indem hier z. B. das Interesse des Autors, fein Werk auch in der Frembe anerkannt und verbreitet zu sehen, und das zweite, möglichst großen Gelderwerk davon zu haben, einander schnurstracks entgegen sind. Dieses völker einigende, große Prinzip scheitert also bereits an einer bloßen Aeußer lichkeit: an der Verschiedenheit der Sprachen.

In den anderen Fachkommissionen gingen die Diskussionen schneller und ungehinderter von Statten und kamen eher zu einem faßbaren Ziele. Die Vorschläge des Comité's wurden gewöhnlich beinah ganz in der von ihm gestellten Faffung angenommen. Die Arbeiten in der ersten Section gaben Gelegenheit zu einer schönen Berichterstattung des General-Secretairs Romberg, der damit endete, daß er die Lö fungen des Comité's faft einstimmig angenommen erklärte. Nur über die Formalität, welche der Autor zu beobachten habe, um sein Recht im fremden Lande zu sichern, stellte sich eine kleine Meinungsver schiedenheit ein; aber auch diese ließ bei der Abstimmung keine Spur zurück. Ein allgemeines geistiges Eigenthumsrecht, in alle Gesezgebungen aufgenommen, durchaus gleichartig in den verschiedenen Ländern, ohne besondere Formalitäten erreichbar, fand die nöthige Stimmenmehrheit in der Versammlung. Auch die dritte Fachkommiffion billigte durchaus die Beschlußnahmen des Comité's bezüglich der Vors ftellung dramatischer und musikalischer Werke. Die Rechte des Autors wurden auch hierin vollständig anerkannt. Bei musikalischen Compos fitionen glaubte der Kongreß nur dann den Autor des Eigenthume rechtes berauben zu dürfen, wenn es sich um Vorstellungen zu wohlthätigen Zwecken handele ́ Man sieht, wie hier abermals das Prinzip des geistigen Eigenthumsrechtes auf dem Sande sigt. Mit Recht überging der Kongreß die ihm vorgelegten Bemerkungen eines Signor Ricordi betreffs des Notenschußes gegen schriftliches Kopiren, der fich allerdings aus dem,, Prinzipe" ableiten läßt. Denn was sollte daraus werden, wenn z. B. jeder Bierfiebler, der einen Straußischen Walzer kopirt, dem Komponisten steuerpflichtig würde? Will man das Prinzip weiter verfolgen? wenn z. B. Jemand ein Stück nach dem Gehöre nachspielt, begeht er nicht einen geistigen Diebstahl? Dieselbe Einhelligkeit fand auch in der vierten Section statt, welcher die artisti» schen Fragen zur Behandlung übergeben waren. Auch sie war für ein absolutes Eigenthumsrecht, möglicher Weise von ewiger Dauer. Die Berichterstattung hatte Herr Blanc.

Eine Diskussion von Wichtigkeit erhob sich in Folge der Berichterstattung der fünften Fachkommission, deren Präsident Graf Arrivabene und deren Referent der bekannte Staatsökonom Molinari waren. Es handelte sich um den lezten Theil des Programmes, der die Hindernisse betraf, welche der Verbreitung der Bücher u. s. w. durch die Zollschranken entgegen träten. Diese Frage gehört freilich nur als Nebensache hierher, war aber kaum zu umgehen. Die Abgeordneten der verschiedenen Staaten lenkten natürlich hierbei die allgemeine Aufmerksamkeit auf die Normen, welche den respektiven Buch- und Kunsthandel regeln, und zeigten klar, wie nöthig gewiffe Reformen feien. Freilich spielten hierbei Frankreich und Belgien, als zunächst liegend und am stärksten vertreten, die Hauptrolle, und die Zustände anderer Länder kamen dabei weniger zur Sprache. Die Ausgleichung der verschiedenen Zolltarife und Zollgefeße, durch welche doch die Anerkennung des geistigen Eigenthumsrechtes zum großen Theile bedingt wird, dürfte nach dem, was hierbei zur Sprache kam, noch sehr bedeutenden Schwierigkeiten unterliegen. So entwickelte der Abgeordnete der Akademie von Genf, Herr Gaullier, in der GeneralVersammlung die Hindernisse, welche die Schußtarife dem Austausche der Produkte zwischen der Schweiz und anderen Ländern in den Weg legen, namentlich den Nachtheil, in welchen erstere in ihren Beziehungen zu Frankreich gestellt sei. Um eine Vorstellung von dem sonderbaren Systeme zu geben, das bis jezt in Frankreich herrsche, genüge zu sagen, daß, während die franzöfifchen Bücher nur 7 Francs

für je hundert Kilogramm beim Einbringen in die. Schweiz zahlen, schweizerische Bücher beim Eintritt nach Frankreich 120 Francs, Stiche und Landkarten 317 Francs 50 C., und musikalische Werke noch mehr zahlen. Dabei ist die Einfuhr von Büchern u. f. w. aus Frankreich nach der Schweiz weit größer, als umgekehrt. Frankreich hat sich stärker, als jedes andere Land, gegen wissenschaftlichen und künstleri schen Einfluß verbarrikadirt. Statuen z. B. zahlen an der Gränze 40 Francs pro Kilogramm, was ziemlich einem Verbote gleich kommt. Dazu kommen die verwickelten Tarif-Anfäße, die zahlreichen und widerwärtigen Formalitäten bei der Einfuhr. Und dies thut Frank reich, das mit seinen Produkten die ganze Welt überschwemmt. Man könnte sagen, eben darum, weil es ein gutes Geschäft macht und die anderen nicht braucht.

Also Schußzoll und Freihandel auch hier! Welches Prinzip ist das richtigere? ich glaube, darauf kann Niemand Antwort geben, als die Zeit.

Aber ein Zeichen der Zeit ist es, daß auch die Männer des Geistes, wollte sagen, die Männer der geistigen Industrie oder in dustriellen Geistigkeit, für den Freihandel find. Eine andere Frage ist es, wie die Regierungen, namentlich die französische, diese Sache ansehen, ob sie eine offene Quelle der Finanzen so leicht im Interesse der Menschheit aufgeben werden. Doch, wie gesagt, die Schranken fallen hier und da, und somit scheinen diese Bestrebungen wohl die Zukunft für sich zu haben. Der holländische Abgeordnete theilte mit, daß seine Regierung von der freien Ein- und Ausfuhr der Bücher jedes Hinderniß beseitigt, und daß dieselben keinen eigentlichen Zoll mehr zahlen. Die General-Versammlung, welche das eben erwähnte franzöfische Monopolwesen lebhaft gemißbilligt, beklagte diese dem Umlaufe der Bücher gefeßten Hindernisse und drückte den Wunsch aus, sie beseitigt zu sehen; aber die Fachkommission glaubte doch nicht auf der vollständigen Abschaffung der Tarife bestehen zu dürfen, weil dadurch für die Staaten finanzielle Verluste erwachsen würden. Sie war also für ein Temporifiren, für ein allmähliches Vorgehen und Geltendmachen des aufgestellten Prinzipes der Gleichförmigkeit und Gegenseitigkeit. Herabseßung der Zölle, Vereinfachung der Tarife, unverzollte Zurück. sendung der nicht im Auslande abgefeßten Bücher, Herabseßung des Postporto's und Vermehrung des Verkehres auf diesem Wege u. f. w., das waren Punkte, über die man sich als vor Allem wünschenswerth vereinigte. Hierbei entspann sich wieder eine Diskussion zwischen denen, welche die Posttare nach dem Gewichte, und denen, die sie nach dem Formate bestimmt wiffen wollten. Frankreich z. B. hat neuer dings seine Tarife nach dem ersteren Systeme reformirt, Belgien und die Schweiz dagegen befolgen das zweite. Wenn das erstere den Anschein größerer Billigkeit gewährt, so ist doch das andere bequemer und handlicher. Da die Abwägung der Vortheile nach der einen und anderen Seite in eine Menge Einzelnheiten führte, welche schlechter. dings die Sache selbst nicht fördern konnten, so ging der Kongreß in diese Frage gar nicht ein, und überließ die Entscheidung darüber dem Ermessen der Regierungen; nur drückte er auf den Vorschlag des Herrn Hymans den Wunsch für Abschaffung aller Formalitäten aus, welche den Buchhandel behindern. Dieser Wunsch, der vor Allem das französische Monopol zum Ziel hatte, wurde von einem französischen Buchhändler bekämpft, der die gerügten Uebelstände u. s. w. in Ab. rede stellte und auf nähere Erweise drang. Nach einer lebhaften Diskussion wurde er indeffen überstimmt und der Ausdruck dieses Wunsches von der General-Versammlung angenommen.

Die Sißungen wurden feierlich vom Präsidenten geschlossen, und die Versammlung schied von dem gastfreundlichen Brüssel. Die Re sultate des Kongreffes find abzuwarten.

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Aehnliches läßt sich bei der Philosophie, die der Revolution vor angegangen ist und sie inspirirt hat, beobachten. Angenommen, daß die psychologische Theorie, die das Denken überhaupt aus der Sin nenthätigkeit, als aus seiner einzigen Quelle, herleitet, zur Folge hätte, auf die Evidenz der Sinne alle Gewißheit, auf die äußere Erfahrung alle Methode zurückzuführen, daß demnach die Ideen: Gott, Seele nur als Hypothesen, wo nicht als Hirngespinnste, sich ergäben; daß das Vergnügen das einzige Triebwerk im Menschen, daß die Moral nur auf das Nügliche gegründet wäre. Soweit führt wirklich, oder fann doch der rohe Sensualismus führen. Nun, an diesem Punkte an gelangt: fordere man die spisfindigste Logit heraus, aus diesen Prä missen die Idee des Rechts herzuleiten. Will man sich darauf beru fen, daß die Gerechtigkeit im allgemeinen Interesse liege? Daraus würde aber nicht streng folgen, daß die Gerechtigkeit verpflichtend, daß irgend eine ihrer Prinzipien unverleglich ist. Was geht das all

gemeine Intereffe das Individuum an, wenn dessen privates Interesse unangetastet bleibt? Der Liberalismus`stüßt sich auf die Rechte der Menschheit; er opponírt nur im Namen der Gerechtigkeit; er beruft sich auf ewige Wahrheiten, denn, nach dem wundervollen Ausdruc Turgot's, ist der Widerstand gegen Unterdrückung ein Bündniß mit Gott felber. Allein der Mensch des rohen Senfualismus, die MenschMaschine, wie man sagte, ist ein Geschöpf ohne Würde, als solche hat er keinen Anspruch und keine Mittel, ihn gegen seine Feinde durchzusehen. Allerdings kommen die öffentlichen Freiheiten der Gemeinsamkeit zugute und sie ist insofern betheiligt, sie aufrecht zu erhalten. Keiner ist aber durch irgend ein moralisches Gefeß gehalten, fie ihr einzuräumen, und sie werden nur dem heimfallen, der stark genug ist, fie zu nehmen. Die Zahl und ihre Stärke, das ist zuleßt der einzige Rechtstitel und das einzige Werkzeug der Revolutionen. Die philosophische Theorie demnach, wie wir sie sehen, würde nichts legitimiren; für sie bezeichnen die Worte Tyrannei und Freiheit nur Thatsachen, die im Prinzip gleichgeltend sind. Da fie nur durch Bedürfnisse bestimmte Interessen und durch Leidenschaften bestimmte Willen kennt, so ist ihr buchstäblich nichts heilig. Und was kann sie nun den Mächten der Erde sagen, um sie zu veranlassen, ihre Interessen und Leiden. schaften zu opfern?

Das ist die schwache Seite diefer Philosophie im Gebiete der Speculation. Wie kommt es nun, daß in Frankreich, und, wie hier, sp überall, diese Philosophie die Bestrebungen des Liberalismus begleitet, oder sogar inspirirt hat? Durch welche lobenswerthe Inkonsequenz war die Gegnerin der nothwendigen Begriffe und der unwandelbaren Prinzipien faft überall der Anwalt einer Politik, die nur dann gerechtfertigt ist, wenn sie die absolute Wahrheit für sich hat? Es kommt daher, daß der Liberalismus nur durch die völlige Lossagung von den veralteten Autoritäts-Doktrinen, die zu schwer auf dem menschlichen Geschlecht gelastet haben, möglich geworden; daß der Geist der Reform der natürliche Feind dieser Doktrinen ist und daß er gegen sie die Unabhängigkeit der Vernunft zur Geltung gebracht hat. Nun war die Philosophie des achtzehnten Jahrhunderts nur der überschwängliche Ausdruck des denkfertigen Individualismus, der alle traditio. nellen Konvenienzen, alle amtlichen Grundsäße abschüttelte. Sie hat den Anspruch eines Jeden, Ich zu sein, bis an seine äußerste Gränze gerückt. Dadurch entfaltete sie die Denkfreiheit, dadurch ward fie von grundaus liberal. Der Absolutismus, der einen dauernden Bund mit den Vorurtheilen der Vergangenheit geschlossen, machte sich ihre große Gegnerin zum Feinde, und es gelang ihm, in die Reihen des Angriffes eine empirische Metaphyfit zu stellen, die ebenso gut im entgegengeseßten Lager, beim Macchiavellismus des Widerstandes, hätte dienen können. Wenn Hobbes den Absolutismus lobpreist und alle Geseße zu willkürlichen Ablömmnissen stempelt, so ist er ebenso in der Wahrheit der sensualistischen Philosophie, wie jene großherzigen Materialisten, die das Volk zur Freiheit und die Gefeßgebung zur ewigen Gerechtigkeit zurückriefen. Nur daß diese um den Preis eines Streiches, den sie der Logik spielen, in der Anwendung die Fehler der Speculation abkaufen. Das sie beseelende moralische Gefühl lenkt ihre Prinzipien von ihrem Wege ab und führt sie in ihren Konsequenzen, die ihrer wahren Natur entgegen sind, der Sache der Freiheit zu. Die Logik mag darüber seufzen, wenn sie will; aber Ehre und Dank ihnen, die unlogisch denken und dadurch der Menschheit dienen. Die Me- · taphysik, in den Schulen wichtig, ist ohne Belang in den Parteien. Wer möchte nicht Locke in seinem Leben, seinen Diensten, feiner Tugend gleichen, selbst um den Preis seiner Irrthümer? Ob der Herzog v. la Rochefoucauld 1789 wie Condorcet philosophirt hatte oder nicht wird man darum sein Gedächtniß weniger ehren, seinen Ruf weniger beneiden, oder seinem tragischen Tod das Lobgedicht Klopstock's streitig machen? Möglich, daß Malesherbes selbst mehr Lockeianer als Leibnizianer war, hört er darum auf, eine der edelsten Zierden der Menschheit zu sein? Wer denkt bei der rührenden Majestät der leßten Augenblicke Bailly's an seine Theorieen?

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Sollten wir aber aus alle dem den Schluß ziehen, daß der (pekulative Irrthum gleichgültig sei? Mit Nichten. Wenn sie in gewisse Köpfe fallen, die des Urtheils der Mäßigung baar sind; wenn sie sich mit den Leidenschaften feuriger oder gemeiner Seelen verbinden, so können Prinzipien-Irrthümer sich zu Systemen entwickeln, die der Gewalt oder der Ungerechtigkeit das Wort reden. Es ist einige Verwandtschaft unter den Doktrinen, welche die Intereffen zählen, anstatt die Rechte zu wägen, die den Willen höher schäßen, als die Vernunft, welche die Gerechtigkeit dem großen Haufen zur Seite stellen, und diese Politik, welche die Revolution zu retten glaubte, indem sie ihre Prinzipien verlegte und so die Freiheit zur Ungebundenheit drängte, hat der TPrannei wieder Thür und Thor geöffnet. Nicht also aus platonischer Liebe zur Wahrheit muß man diese wieder an die Spiße der Wissenschaft stellen. Wenn man die Philosophie von der falschen Methode oder von der alles Maß überschreitenden Polemik befreit, so arbeitet man nicht blos für das Ideal, sondern ebnet die Straße und sichert

den Gang Aller, die in die Weltängelegenheiten die allgemeine Idee bringen und die des Glaubens leben, daß in der Politik, wie überall, die Wissenschaft über der Kunst, das Recht über der Thatsache steht Da sich demnach, ohne die französische Revolution zu verrathen, die Philosophie des achtzehnten Jahrhunderts beurtheilen läßt: so kann man auch, indem man sie durch eine bessere Philosophie berichtigt, der Revolution selber dienen und das Nüßliche mit dem Wahren aus föhnen.

Italien.

Eine Gegenschrift zu Kardinal Wiseman's: Rom unter den legtverstorbenen vier Päpsten.*)

Kardinal Wiseman's Apologie der vier Päpste Pius VII., Leo XII., Pias VIII. und Gregor XVI. hat in England eine Gegen schrift, und zwar aus italiänischer Feder, der des bekannten, in London Lebenden Padre Gavazzi, hervorgerufen, deren Titel wir unten in der Anmerkung geben.")

Kardinal Wiseman hat seine Geschichte erzählt, und ein englisches Auditorium hat ihm achtungsvoll zugehört. Aber wenn ein Kardinal von der Kuppel der St. Peterskirche herab Predigten für englische Zuhörer halten darf, warum sollte nicht ein italiänischer Mönch von der Treppe herab ebenfalls predigen dürfen? Padre Gavazzi beruft fich auf die Autorität eigener Anschauung. Er war, wie er sagt, tein ,,ausländischer Einfuhr-Artikel in Rom", wie andere Leute, sondern ein römischer Unterthan. Auf diese Thatsache gestüßt, beansprucht er, in Betreff der „Lezten vier Päpste", das „Audiatur et altera pars". Er spricht von seinem Vaterlande, von Männern, mit denen er dort der Kirche gedient, von Institutionen, die ihn zu dem gemacht haben, was er ist. Gavazzi beginnt mit der Schilderung einer Reise in Italien, die er im jugendlichen Alter gemacht, und seines damaligen Eintrittes aus Toskana in das römische Gebiet:

„Wir schieden von der toskanischen Gränze und betraten den römischen Staat, wo der Papst als Priester-König herrscht. Wir sind in Radicofani. Woran merkt der Reisende, daß sein Fuß den Priesterboden berührt hat? An Schmuz, Armuth und Elend, die er überall erblickt. Vor einer Stunde war er in einem Lande reicher Kornfelder, grünender Fluren, lachender Ansichten; die zierlichen Dörfer zeugten von Wohlstand und Zufriedenheit; die Bauernhäuser waren schlicht Freilich, aber sauber und behaglich. Er begegnete Hirten, die ihre Naturlieber aus dem Stegreif fangen und Landmädchen, die Stroh hüte flochten: die doppelte Bürgschaft für ein schuldlos und thätig ausgefülltes Leben. Wie kommt es, daß, kaum hat er den Schritt auf den Boden der Priester gefeßt, der Schauplaß sich jählings vor seinen Augen verwandelt und widrig, öde und wüßte wird? Ist der Boden ein anderer? Nein, es ist derselbe. Ist das Klima ein anderes? Nein, es ist daffelbe. Ist die Sprache eine andere? Nein, es ist dieselbe. Was hat nun so ganz verschiedene Nichtungen und Zustände hervor. gebracht? Ich weiß nicht, ob der Leser schon die Apenninen, die Piemont von Genua fcheiden, an dem Punkte, den man Giovi nennt, überstiegen hat. Wenn er Turin Mitte Januar verläßt, den Gipfel dieser Berge durch ununterbrochene Stürme, Nebel, Schneegestöber und Eis erreicht hat und dann gegen San Pier d'Arona abwärts zu Ateigen beginnt, so kommt es ihm vor, als trenne die Bergmauer zwei antipodische Gebiete. Wie durch Zauber, fteht er plöglich unter einem lichten, blauen Himmel, umduftet von den Kindern des Frühlings: von Veilchen, Rosen, Ranunkeln, Jonquillen, Hyazinthen; unter den Rädern feines Gefährts wallt der glühende Staub empor; kurz, er fieht sich in ein anderes Klima verseßt. Das läßt sich nun leicht erklären. Ueber Giovi hinaus waltet der Nordwind der Alpen; südlich weht der fanfte Hauch des Mittelmeeres. Die Gränze zwischen Toskana und Rom aber wird weder durch Alpen noch durch Gewäffer, fondern einfach durch einen Schlagbaum bezeichnet. Die Verschieden heit des Lebens, oder richtiger des Daseins, der beiden Länder muß auf ihre wahre Ursache zurückgeführt werden: auf die Verschiedenheit beider Regierungen."

Wir reisen nun mit dem Pater auf Rom zu.,,Sagen wir mit dem Sänger von Venosa""")", bemerkt er,,,daß die Furcht vor den Räubern mit uns reifte, so wiederholen wir nur, was Wiseman selbst in seinen Erinnerungen nicht zu unterdrücken vermag. Run, warum fählten wir diese Furcht nicht in Toskana?"

Die Antwort giebt sich Gavazzi felber in dem Kapitel mit der Ueberschrift: Die Straßenräuber": "Als ihre Verbündeten gegen Die Franzosen, hatten die Priester im Jahre 1814 die Räuberbanden auch in den nördlichen Theilen des Kirchenstaates hervorgerufen,

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wo zuvor keine vorhanden waren. So wurden die Gebirgskreise und die lachenden Thäler meiner Geburtsstadt Bologna, damals wegen ihrer friedlichen, gaftfreundlichen Haltung bekannt, plöglich in einen Schauplaß des Waffenlärmes und der Räubereien umgewandelt, unter dem Vorgeben, ihre Trabanten aus dem Stegreif zu der Ehre vaterländischer Guerillas zu erheben. Das waren sie aber nicht. Das Vaterland war nicht ihr Augenmerk, fie fochten nur für die Priester. Die französischen Gewalthaber achteten sie auch nicht als Guerillas; benn anstatt fie nach dem Kriegsrecht zu behandeln, wandten sie auf die Eingefangenen ihre drakonischen Gefeße an. Massenhaft wurden fie zum Tode verurtheilt, darunter viele Priester, die sich nicht begnügten, die Einwohner in die Reihen der Banditen zu verlocken und diese aus dem Süden einzuschwärzen; sie begleiteten sie auf ihren Streifzügen, um ihren Fanatismus zu schüren und den Meuchelmord zu heiligen. Nur in einem einzigen Falle, deffen ich mich erinnere, wurden zwei dieser Priefter unschuldig befunden. Es waren Pfarrer eines Gebirgsdistriktes, die man anklagte, einer zur Zeit in Haft und Untersuchung stehenden Räuberbande Obdach, Nahrung und Vorschub gewährt zu haben. Sie wurden sammt und fonders zum Tode verurtheilt. Mein Vater vertheidigte die beiden Priester mit dem ganzen Aufwand anwaltischer Beredtsamkeit, in der er Meister war. Umsonst! Schon war das Todesurtheil über fie verhängt, als einer der Belaftungszeugen in Thränen ausbrach. Mein Vater ahnte sofort den Grund dieser Gemüthsregung, ftellte ihn ftreng zu Rebe und brachte ihn zum Widerruf seines Zeugnisses und zum Geständniß der Unschuld der beiden Geiftlichen, die auf die dringende Vorstellung ihres Vertheidigers freigesprochen wurden."

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Dr. Wiseman erklärt in seinem Buche, daß das Banditenwesen in Italien er meint eigentlich: den römischen Staaten, denn in Piemont, in den öfterreichisch-italiänischen Ländern, und im Großherzogthum Toskana ist es rein unbekannt der durch Krieg und Revolution zerrütteten Gesellschaft zuzuschreiben sei. „Legt es nicht“, bittet er, der päpstlichen Regierung zur Last: Räuberei ist der anormale Frieden, Wohlstand und Sittlichkeit sind der normale Zustand der römischen Staaten." Pater Gavazzi ist schnurstracks entgegengeseßter Meinung. Er spricht die Franzosen, wie die Republikaner, frei davon, Ursache des Banditenwesens zu sein; er rückt seinem Gegner in dieser Beziehung mit einigen geharnischten Fragen auf den Leib: Als unter Gregor XVI. die Banditenschaft eine solche Höhe er„Als reicht hatte, daß seine Unterthanen um die Erlaubniß baten, Waffen zu tragen, um sich ihres Leibes und Gutes zu wehren, war das eine Folge des,,anormalen" oder des „normalen Zustandes?" Als vør dem Jahre 1846 die Frechheit der Räuber so weit ging, daß keiner sich aus der Stadt auf seinen Sommerlandfiß wagte, aus Furcht, von dem Raubgefindel entführt und um ein ungeheures Lösegeld geprellt zu werden war das die Frucht der revolutionairen Störung der öffentlichen Ordnung?“. War es nicht vielmehr die natürliche Frucht der päpstlichen Regierung? Mag Wiseman so viele Novellen schreiben, wie ihm beliebt, und seine geliebte Heerde mit so vielen Märchen unterhalten, wie ihm einfallen: solche Gemüther vertragen Alles, das Unwahrscheinlichste, das Ungereimtefte, wofür der Kardinal ein absonderliches Talent zu haben scheint. Aber er schreibe keine Geschichte, denn die will unbefangenes Urtheil und unverfälscht dargeftellte Thatsachen; vor Allem aber unterlasse er das Philosophiren. Der Kardinal behauptet, daß das Banditenwesen in den nördlichen Provinzen wieder eingeschlummert sei. Ich möchte ihn um die Erklärung einiger Thatsachen bitten. Im leßten Oktober wurde zwischen Civita Becchia und Rom ein mit einer allerkatholischsten Fracht von Bischöfen, Priestern, Schirmrittern, Proselyten aus Amerika und England beladenes Gefährt von einer verlarvten Räuberbande angegriffen, rein ausgeplündert und manche der Insaffen höchst undevot durchgeprü gelt - waren das blos nachgemachte oder echte Banditen? Geschah dieser Angriff in den nördlichen oder in den füdlichen Provinzen? Herr Wiseman antworte darauf. Vor wenigen Monaten, zum ersten: Mal in den Jahrbüchern der Eisenbahn-Zeit, überfielen Räuber an einem Sonntag zwischen Rom und Frascati, nur vier Meilen von der päpstlichen Metropole, einen Zug und befreiten im Nu mehrere Hundert aristokratische Touristen ihres Schmuckes, ihrer Börsen waren das die Schatten von Räubern oder Räuber mit Fleisch und Blut, die ihren edlen Beruf unter der eigenen Nase Sr. Heiligkeit ausübten? Herr Wiseman antworte darauf. Am lezen Charfreitag stahl der Bandit „Vendetta“ die Madonna von Velletri aus ihrem heiligen Schrein in der Kathedrale, führte sie in feine Höhle — die Madonna in solcher Gesellschaft! — und erbot sich zur Rückgabe unter folgenden Bedingungen: Straflosigkeit für seine Person, Auszahlung von mehreren Tausend Scudi und das Leben seines Bruders, der für einen ähnlichen Handel zum Tode verurtheilt war war das der Geist eines Räubers, der blos sputte, um die,,nördlichen Provinzen" in Angst zu jagen, oder war es ein handgreiflicher Mordgesell, der von seinen Bergen niederstieg, um unter dem lieblich klingenden Na

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men »Vendetta?" burch feine lustigen. Thaten: Leben in den füdlichen Kirchenstaat zu bringen?mta sa usted midda Ja 29. Als Gegenstück zu Wiseman's Beschreibung der großen Kirchen feierlichkeiten in Rom bringt Pater Gavazzi bie Schilderung eines Konflave, u der Versammlung der Karbinäle beim Tobe eines Paps sies. Das Gemälde scheint chern dem - Corso, als dem Vatican ente nommen: tris put mogÀ Ng dronetopad vô thị, no dihtunik

Einige Stunden nach dem Schluß der Feier, am Abend des folgenden Tages, verließen die Kardinäle die Theatinerkirche, genannt

liänischen Sprache an der Berliner Universität, Herr Profeffor
Fabio Fabbrucci, eine Sammlung der mannigfaltigsten, den ver-
schiedenen Perioden der italiänischen Literatur angehörenden, lyrischen
Dichtungen herausgegeben. Das alphabetische Inhalts-Verzeichnis
ver Dichter weist nicht weniger als neunundachtzig verschiedene Namen
nach, von Dante Alighieri bis auf die Gegenwart. Hauptsächlich für
junge Damen bestimmt, die sich in Deutschland vorzugsweise dem
Studium der melodischen Sprache Italiens widmen, ist in dem ele-
gant gedruckten, 356 Seiten starken Buche nichts enthalten, was nicht
ihren Töchtern in die Hand geben darf, obwohl es aus
nicht an launigen Gedichten von Casti, Guadagnoli u. A. festt.
Besonders des Legteren, Ciarla" (,,Geschwäg"), ganz im ausge-
laffenen, neckenden Tone der italiänischen Satiriker gehalten, wird
auch konverfirenden, jungen Damen, denen der Dichter sein Poem ge-
widmet hat, eine angenehme Unterhaltung gewähren. Von Aurelio
Bertola (1753–1798) findet sich hier unter Anderem ́ følgender
Scherz über den Vorzug der Anmuth oder der Schönheit:
Epigramma,...

St. Gaetano, mit einem, wo nicht durchaus heidnischen, doch gang jede Mutter von Tafti, Guadagnoli u. A. fehlt.

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weltlichen Gepränge,, und zogen nach dem Quirinal-Palast, der zum Behufe des Konklave eingerichtet war. Während dieser Novenali lassen die Nömer ihren Pasquinaden beißenden Volkssatiren, in denen fie Ihresgleichen nicht haben freien Lauf. Man kann von der Menges und der Mannigfaltigkeit diefer Spottreden schwer einen Bes griff geben; alle saber stragen mehr oder weniger das Gepräge des Wiges und der Originalität. Ich will nur einige anführen, die beim Tode: Leo's XII. im Umlauf waren. Die eine verglich das Konklave dem presepio, einer Art Panorama von Statuetten, welches den Stall zu Bethlehem vorstellt, in dem Moment, wo die Hitten den neugebor. splatno nen Messias - anbeten. In dem presepio der Kardinäle vertreten: Kardinal Misara den heiligen. Joseph, Odescalchi die Madonna, Barberini das Kind, Bernetti den Ochsen, Bidoni den Esel; von den übrigen Kardinälen Einige die Hirten, Andere die Ziegen, das Geflügel, die Gemüse, die nach der römischen Tradition an der Wiege des göttlichen Kindes als: Opfergaben niedergelegt wurden. Eine andere Pasquinade stellte das Konklave neben die Arche Noä; worein dies Thiere, wie dort die Kardinäle, paarweise einzogen. Jeder Kardinal führte den Namen des Thieres, das in feinen Instinkten mit dem Charakter des Trägers übereinstimmte. Eine dritte wendete auf jeden Kardinal: einen Vers der großen Litanei an und läutete:,, Von der List zunde Gewalt des Teufels (= Kardinal Albani), guter Gott erlöst uns! Bon Pestilenz, Hungersnoth und Krieg (= Kardinal Vidori), guter Gott, erlöf uns! Von Bliß und Sturm (= Kardinal Bacca), guter Gott): erlös ans! Bon Mord und jähem Tob (= Kare dinal Bernetti), guter Gott, erlös” uns. Und so folgte noch ein - langes Verzeichniß von Hochmuth, Prahlerei, Heuchelei, Reid, Haß, Bosheit, Unbarmherzigkeit und anderen Todsünden. So würdigen die Römer das heilige, Konklave, das ist ihre Ehrfurcht vor den Wählern und der Wahl eines Papstes!"...

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Der Kardinal Wiseman erzählt in seinem Buche, daß Lev XII. die erhöhten Siße für fremde: Damen in den päpstlichen Kapellen babe beseitigen laffen. Hören wir, wie Gavazzi sich darüber äußerts ,,Ich war in Rom zu beiden Zeiten, zur Zeit der erhöhten Size und zur Zeit der Parterre Siße", und ich kann als Augens zeuge versichern, daß an die Stelle der angeblichen Kirchenentweihung noch etwas Schlimmeres kam. Troß der Schweizerwache setzten sich oft Männer auf die für die Frauen vorbehaltenen Pläße, besonders bet Gelegenheiten, wo das Gedränge sehr groß war, und im Schatten der künstlichen Dunkelheit, die in den Kapellen herrscht, kamen hier Dinge vor, die sich wahrlich nicht mit Sitte und Anstand verk tragen. Und waren die erhöhten Size" den: Augen Leo's folch ein Gräuel in den beiden päpstlichen Kapellen, warum duldete er fie in San Giovanni vom Lateran, in Santa Maria Maggiore und vor Allem in San Pietro vom Vatican? Will mich Wiseman glauben & machen, daß die,, erhöhten Size" hier nicht so schmählich gemiße braucht" würden, wie in den,, beiden päpstlichen Kapellen?" Ich kann aber gerade das Gegentheil bezeugen; denn ich schäme mich nicht, zu bekennen, daß ich eben unter Leo dem Zwölften zum ersten Male in meinem Leben Gelegenheit hatte, die englischen Frauen zu bewundern, die auf der hohen Altane von St. Peter den trunkenen Blicken der Beschauer ihre blendende Schönheit preisgaben."—g * Wir brechen hier ab. An der Probe werden die Leser wissen, was sie in diesem Buche zu finden haben, und ob es ihnen zusagt Pater Gavazzi schreibt, wie er spricht: seine Schlaglichter find scharf, feine Sprache stürmisch. In der Abrundung seiner Perioden und in der rhetorischen Kunst überkardinalt er den Kardinal." Doch. Ga vazzi ist ein Italiäner, und daher ist es auch natürlich, daß er an Uebertreibungen und unbewiesenen Behauptungen feinen Gegner weit hinter sich läßt. ::

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Mannigfaltiges.

·Italiänische Perlen. Unter dem Titel: „Perle del par nasso lirico Italiano") hat der rühmlichst bekannte Lector der ita *) Date in luce dal Cav. Fabio Fabbrucci, Senese, R. Professore &c. Berlino, T. C. F. Enslin, 1858.

se il Candore sia da preferirsi alla Bellezza,
Hai candore, ed hai bellezza,
E non so qual sia maggiore,
La bellezza, od il candore
Che ciascuno adora in te.

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Ma se voglia un Dio geloso
Involarmi o questo, o quella,
moase la fra Risolvei: per lui sia Bella,
10 tray mid w⠀ ⠀ Esia Candida per me. 1

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„Tartuffe“ und „Manfred". Bei den Herren Voigt und Günther in Leipzig: find Molière's, Tartuffeft, und Lord Byron's ¡ Manfred in neuen, deutschen Bearbeitungen erschienen, und zwar jedes Büchlein in handlichem Sedez Format,,, Manfred" fogar mit Goldschnitt und auf Velin gedruckt.) Herr Otto-Walster, der Ueber seher: des,, Tartuffe" hat dazu den elffilbigen reimlosen Jambus gewählt, wodurch der Dialog aber nicht gewonnen hat. Im Lustspiel ist der gereimte, Alexandriner ganz an seinem Plaße, wie auch viele deutsche Originalstücke beweisen, während hier: Orgon, Elmire und Tartuffe, mit dem tragischen Vers auf den Lippen, unerträglich steif und hölzern find. Besser ist des Herrn v. Kösen „Manfred", obwohl auch von diesem Urquell alles,, Weltschmerzes“ deutsche Uebertragungen bereits vorhanden sind, die dem Originale näher stehen, als die vorliegende, nicht mißlungene. Wir wissen, nicht, warum sich unsere poetischen Ueberseßer in neuerer Zeit soviel an Dinge machen, die Andere vor ihnen schon besser oder mindestens ebenso gut gemächt haben.

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mar. Gräfse's „Bücherschap". Noch im Laufe des Jahres 1858 ist das dritte Heft des „Trésor des livres rares et précieux"; herausgegeben vom Direktor und Bibliothekar Dr. Gräffe in Dresden, versandt worden.") Es reicht von dem Autor-Ramen Argall bis zu dem des Hermolaus Barbarus. Den Buchstaben A hätten wir nunmehr auf 331⁄2 Bogen hinter uns, wonach Lerikographen sehr leicht berechnen können, wie umfangreich das ganze Werk werden wird. Jms Buchstaben B machen sich vor Allem die beiden Bacon bemerklich, und zwar, find dem Mönch dreizehn und dem Lord breiunddreißig Nummern gewidmet. Mit Vergnügen haben wir bemerkt, daß unter den vielen deutschen und ausländischen Bibliographen, die dem Vere faffer Mittheilungen und Bemerkungen zugehen lassen, auch Herr! Brunet sich befindet, der demnach weit entfernt von aller kleinlichen Rivalität ist. Gräffe gehört wie Brunet zu den Veteranen der Bücherkunde und Beide können gewiß Manches von einander lernen.

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Afrika.

Afrikanische Reisen.*)

Berlin, Dienstag den 28. Dezember.

11. Charles Didier und Edward William Lane. ,,500 lieues sur le Nil" - ein unübersehbarer Titel, wenn wir ein unübersehbarer Titel, wenn wir die französischen Lieues nicht auf deutsche Meilen reduziren dürfen doch wollen wir nicht zu peinlich sein. Also „,500 Meilen auf dem Nil", lautet der Titel eines neuen Buches des franzöfifchen Reifenden Charles Didier, der leider das Unglück gehabt hat, in Folge seiner Reifen in jenen, der Augenkrankheiten wegen verrufenen Gegenden gänzlich zu erblinden. Der neue Band, welcher dieses Jahr (Paris, bei Hachette) herausgekommen, gilt als Fortsehung zu den zwei früheren deffelben Verfassers:,,Aufenthalt bei dem Oberscherif (von Mekka)" und,,Funfzig Tage in der Wüfte". Er vervollständigt die von ihm in Arabien, im öftlichen Sudan und in Nubien gemachten Reifen und führt den Leser nach Kahira zurück, welches der Aus gangspunkt derselben gewesen. Sie hatten ungefähr sechs Monate ge

dauert.

Charles Didier ist keiner jener Reisenden, die der Wissenschaft und neuer Entdeckungen wegen jene unkultivirten Striche besuchen; er ist einer der Touristen, die, zum Vergnügen oder aus dem Hange 1 zu Abenteuern, aus dem langweiligen und enggewordenen Kreise der Civilisation, aus dem Bereiche der Gasthöfe, der Kellner, der Table d'hôte, der Eisenbahnen und Droschken entfliehen, um sich bei den Kannibalen und Menschenfressern zu unterhalten, um einige Gefahren zu bestehen und die Genüffe des einfachsten Naturlebens zu kosten. Ein ganz besonderes Laufrevier ist in neuerer Zeit Aegypten und das daneben liegende Afrika geworden, da es nicht gerade übermäßige Anftrengung erfordert, von Kahira aus in der bequemen Dahabijeh sich den Nil hinauf und hinunter fuhrwerken zu laffen, und auch, feitdem die Türken Wein trinken, Schweinefleisch essen und Komödie spielen, die Civilisation nie ganz abreißt. Man braucht nur etwa sechs bis acht solche Reisebeschreibungen gelesen zu haben, um, ohne dort gewefen zu sein, ziemlich genau zu wiffen, wie es in Aegypten aussieht: Bakschisch hawadsche! Fellahin, Almeh, Phantasia, Kurbatsch, Ham. melfleisch u. s. w. Die Zeit ist vorüber, wo glaubwürdige Reisende, wie z. B. Paul Lukas (der sogar auf Koften des großen Königs Ludwig XIV. reiste) vom Lande der Pharaonen Dinge erzählen fonnte, wie sie uns der treffliche Jonathan Swift von Liliput und Brobdignag berichtet.

Der ehrenwerthe, gelehrte Paul Lukas durfte es wagen, ohne Furcht, der Lüge gestraft zu werden, nach seiner Zurückkunft im Jahre 1704, dem Könige und feinen perückentragenden Zeitgenoffen die lächerlichsten Märchen aufzubinden. Lukas hatte den Lärm der Katarakte von Syene schon in der Entfernung mehrerer Meilen gehört, und es ist ein großes Wunder, daß er den Katadupen" (Donners fällen) zu Liebe nicht auch taub geworden ist, wie man im Alterthume von den Anwohnern derselben fabelte. Lukas ist auch nicht unverschämt; denn die 200 Fuß hohen Gebirge, über die er den Nit herabftürzen läßt, hätte er dreift 2000 Fuß hoch machen können. Schade, daß er den Muth nicht gehabt hat, unter der Wölbung, die das herabfallende Waffer machte, trockenen Fußes von einem Ufer des Nils zum anderen zu gehen; benn möglich wäre es ihm gewesen, wenn er ein klein wenig unverschämter log. Riesen, welche auf den Bergen Theffaliens umherstiegen, hatte Lukas schon auf früheren Reifen gesehen; in Ober-Aegypten fand er die berühmten Einfüßler, die nur auf Einem Beine gehen, und stattete dem berühmten hermetischen Philosophen Ni kolaus Flamel und deffen Frau, Petronella, einen Besuch ab. Mit Unrecht wähnte man sie in Europa seit dreihundert Jahren todt; Dank dem hermetischen Lebens-Elixir und ihrer einfachen und na turgemäßen Lebensart, befanden sie sich noch recht rüftig, als Mon

*) Vgl. Nr. 148 bes,,Magazin". 17.

1858.

fieur Lukas bei ihnen einkehrte. Eben derselbe hatte die Ehre", dem Könige eine verkleinerte Karte von den Katadupen zu überreichen, die er bei seiner dermaligen Anwesenheit aufgenommen; die 200 Fuß hohen Berge sind nicht vergessen. - NB. Die Katarakten von Syene sind nichts als bloße Stromschnellen und die einzelnen über einander gereihten und von Felsrücken unterbrochenen Wasserfällchen haben etwa die Höhe von einem halben Fuß und darunter.

Es sind also nur etwas über hundertfunfzig Jahre her, daß man das Lügenhandwerk so naiv, so unverschämt, so im Angesichte der ganzen Akademie von Frankreich treiben konnte, ohne daß man ́ausgelacht oder hinausgeworfen wurde. Welch' ein Umschwung! Unferè Reisenden, selbst leichtsinnige Touristen, wagen nicht mehr, etwas zu unternehmen, was der nächste Nachfolger Lügen strafen kann, oder wenn sie dichten, so sind es vielleicht Uebertreibungen einer Gefahr, Abenteuer, die unter Umständen möglich wären, etwas Schminke oder etwas Schwärze mehr, je nach den Ansichten und Absichten. Man weiß heute nur zu genau, daß es überall ziemlich wie zuhause ist, Menschen, Kluge und Dumme, Ehrliche und Spigbuben, Arme und Reiche, Unterdrückte und Tyrannen in buntester Mischung. Die Mähren von „Tausend und eine Nacht“ schwinden in bedenklicher Weise, die Rousseauschen Träumereien über das Glück des Naturzustandes sind zerstört, und auch im Orient sucht man die Urweisheit und den Stein der Weisen nicht mehr, feit es offenbare Thatsache ist, daß er noch gründlicher bankerott sei, als unsere Civilisation.

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Die Touristen haben ihr Gutes und selbst ihre Vorzüge vor den streng wissenschaftlichen Reisenden, vorausgeseßt, daß diese den Weg gebahnt haben. Jeder kann die Neise mitmachen und wird weder durch die antiquarische Perspektive noch durch den Ballast der gelehrten Beobachtung gehindert. Wer Geld, Gesundheit, Humor und Muße hat, macht einen solchen Weltlauf, sieht mancherlei Sitten, macht mancherlei Erfahrung und genießt nach Kräften die Freuden des Nomadenlebens, das der Menschheit nie ganz aus den Knochen kommen wird, troß aller Civilisation; er mustert den Sklavinnenmarkt zu Kahira, lernt die Schönheit des Ebenholzes schäßen, wohnt den Tänzen der Almehs bei, die für Ball und Oper entschädigen, trinkt Champagner zu Khartum oder Fafogl, macht bei den Abyssiniern die Bekanntschaft von zwei oder drei Engländern, die eben aus der Wüste Kobi kommen und sich durch verschiedene whims auszeichnen, oder trifft einen mit einer Neuseeländerin verheirateten deutschen Damenschneider an, der früher in Kalifornien Goldsucher war.

Ja wirklich, es ist so; durchaus nichts Uebertriebenes! Wir haben durchaus keine Ursache, diese allgemeine Schilderung, welche den Charakter unserer Zeit bezeichnet, zum Nachtheile des Herrn Charles Didier zu wenden, vielmehr müssen wir ihm das Lob geben, daß er sich entschieden über die gewöhnliche Höhe der Touristen erhebt, und daß sein Buch doch Lehrreiches und Interessantes in Fülle bietet.

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Das Buch beginnt mit einer Schilderung des Reiches Senaar im Sudan und der Stadt Khartum, die, an dem Zusammenfluß der beiden Arme des Nils gelegen und von ganz jungem Ursprung, die Hauptstadt des Sudans zu werden verspricht. Bei Gelegenheit der österreichischen Mission unter dem apostolischen Vikar und Jesuiten Dr. Knoblecher ist ihr Name vor Jahren in deutschen Zeitschriften vielfach genannt worden, und es dürfte deshalb nicht ohne Interesse sein, etwas darüber hier mitzutheilen.··*.

,,Dank ihrer glücklichen Lage, dem Zusammenfluß der Karavanen und dem Handelsbetriebe, ist die Entwickelung der Stadt Khartum reißend schnell vor sich gegangen; 1823 gegründet, zählt sie jezt dreißig bis fünfunddreißig Tausend Einwohner, Türken, Araber, eingeborene Neger und, ohne von den Juden zu sprechen, Griechen in ziemlich großer Anzahl; ebenso Kopten, welche Lezteren eiue kleine chriftliche Gemeinde mitten unter den Ungläubigen bilden. Was die eigentlichen Europäer betrifft, denn die Griechen gelten bei den Türken nicht als solche, so werden wir bald Gelegenheit finden, von ihnen zu sprechen. Die Stadt selbst ist weder befestigt, noch selbst abgeschlossen. Ihre Befagung, etwa 3000 Mann stark, besteht aus nubifchen Sklaven und

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