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Wohl dem, der den Irrthümern seiner Zeit entgeht! Wohl dent, der das Böse von dem Guten zu scheiden und dem Wirbel, der Alles mit sich fortreißt, zu widerstehen weiß! Wie der Planet, den wir be wohnen, so wird die Gesellschaft, in die uns die Geburt gestellt, uns unsichtbar, uns unbewußt, von einer Bewegung fortgetragen. Wir stehen auf einem Abhang, der mit uns zu gehen scheint und die Menge weiß fich weder darauf zu richten, noch zu halten. Diejenigen, die fich der Gewalt des Beispiels erwehren, Die gerade werden als über ihrem Jahrhundert stehend angesehen und, fast immer von ihm verkannt, finden sie erst bei der Nachwelt Gerechtigkeit. Die Selten heit dieses Verdienstes entschuldigt diejenigen, die es nicht haben, und ist auch diese Entschuldigung nicht genügend, ist es auch die Pflicht der Vernunft gegen. jedes mächtige Vorurtheil anzukämpfen, so wird man doch einige Nachsicht haben mit denen, die wie Alle gedacht, ge lebt haben. Diese Königin der Welt hat zum voraus Gnadenbriefe für diejenigen ausgefertigt, die nicht nach ihrem ausdrücklichen Befehl gehandelt haben, und Keiner kann für sie stehen, daß er es viel beffer gemacht, als seine Väter. Inzwischen giebt es jeder Zeit Ausnahmen, giebt es stets eine Kerntruppe, und in diese Kerntruppe aufgenommen zu werden, soll jede edle Seele streben. (Schluß folgt.)

Mannigfaltiges.

geringere Verarmnug derselben herbeiführen muß, je nach der Zahl derselben. Wenn nach dem Tode des Vaters kein Haupt, keine Stüße, kein Sammelpunkt in der Person, den Besißungen und den Intereffen des Erben gegeben ist, zu dem die jüngeren Brüder und Schwestern aufblicken können, so zerstreut sich die Familie, und bei Ausgleichung von Vermögen und Stellung, werden Streitigkeiten und gegenseitiger Neid weit häufiger und leichter. Ein Mann mit 500 Pfund im Jahre ist in geringer Versuchung, es seinem nächsten Nachbar rechts gleich zu thun, welcher 5000 hat; aber wenn seine Gedanken in dieser Richtung gehen, denkt er wohl, daß er mit seinen 500 ebenso viel äußere Parade machen kann, als derjenige, deffen Wohnung links an die seine stößt, mit 600, und wenn sie Beide Narren und von beschränktem Geiste sind, und ausschweifenden Geschmack befißen bei wenig Fähigkeit oder Willen, das Verhältniß von Ausgabe und Einnahme zu be rechnen, so werden sie wahrscheinlich dahin kommen, daß sich Beide gegenseitig gänzlich zu Grunde richten. Und dies nicht allein. Wenn das, wie übel immer, allein wäre, so würde das Unglück hauptsächlich auf sie und ihre Familien beschränkt bleiben, und die Gesellschaft im Großen und Ganzen würde von ihrer Thorheit und Ausschweifung wenig berührt werden. Leider aber greifen solche Leute nicht zu den solidesten Mitteln, um ihre ausgehenden Hülfsquellen zu ernenern; vielmehr aufgeregt und grundfahlos, wie sie sind, lassen sie sich in Dinge, ein die nebst dem materiellen endlich zugleich den sittlichen Ruin der Familie herbeiführen."

Eine päpstliche Verwarnung gegen das Tischrücken und die Geisterklopferei. Das heilige Offizium der Inquifition Nach einer Schilderung der Pariser Männerwelt, kömmt der hat unterm 4. Angust 1856 ein Sendschreiben an alle Bischöfe gegen Korrefpontent auch auf die tonangebenden Frauen, auf die sogenannten eine neue Art von Aberglauben erlässen, nachdem schon frühere Nund, Löwinnen“ von Paris. Hierbei erzählt er folgende Geschichte, die schreiben vom 24. April 1841 und 28. Juli 1847 vor dem Mißbrauche des Magnetismus gewarnt hatten. Es ist dies Sendschreiben sehr zweckentsprechend abgefaßt, da es nur vor dem Mißbrauche warnt, die physikalischen Wissenschaften zu benußeu, um die Menschen zu täuschen und zu verführen, indem man glaubt, es könne Verborgenes, Entfern tes und Zukünftiges durch das Blendwerk des Magnetismus entdeckt werden. Es wird deshalb die pfarramtliche Thätigkeit wachgerufen, diesem Mißbrauche des Magnetismus auf alle Weise entgegenzuwir ken, wo man vorgiebt, Unsichtbares zu entdecken, Unterredungen über die Religion anzustellen, die Seelen der Verstorbenen aufzurufen, von ihnen Antworten zu erhalten, Unbekanntes und Entferntes zu entdecken und andere dergleichen Wahrsagungen im verwegenen Unternehmen zu üben. Das Schreiben hütet sich aber wohl über die Thatsache der Erscheinungen selbst abzusprechen, die es sehr richtig den magnetischen beizählt, oder den Magnetismus selbst zu verdächtigen, da es den Gebrauch des Magnetismus dem sonst erlaubte und natürliche Mittel Anwendenden moralisch nicht verbietet. Auch von den sonst nie feh lenden Beigaben von diabolischer Versuchung und dämonischem Betruge-hält sich das Schreiben möglichst frei: es verbietet nur die Anwendung physischer Prinzipien und Mittel zur Heranbringung nicht natürlicher Wirkungen; es warnt nur vor den unerlaubten und kegerischen Betrügereien, damit die Gnade des Herrn vor dem Menschen feinde vertheidigt, der Schaß des Glaubens wieder hergestellt, geschüßt und behütet und die treuen Gläubigen vor der Verderbniß der Sit ten gewahrt werden. Das Circular bezieht sich zweifelsohne auf das Tischklopfen, die Psychographie und die damit im Zusammenhange stehenden Erscheinungen, denn dieses Treiben und Unwesen war auch in die Thore der ewigen Stadt eingezogen und es wurden dem heiligen Vater selbst Skripta der Engel und Apostel vorgelegt. Obschon die vermeintlichen Geister aber anerkennen: daß Jesus ist Christus, ihnen das frühere Kriterium guter Geister also nicht abgeht, hat der Papst sich doch bewogen gefühlt, diesem Unfuge mit allem Ernste entgegenzutreten und das Circular thut dies auf eine Weise, bei der wir den Fortschritt mit Freuden anerkennen.

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Pariser Leben und Treiben. Wir finden in der Lite rary Gazette eine Reihe von Schilderungen aus Paris, die auf Lebendiger Anschauung beruhen und deshalb wohl einiger Beachtung werth sind. Der Engländer erzählt unter Anderem: „Die Liebe zu Lurus und Prunk ist namentlich innerhalb der leßten vier oder fünf Jahre nicht blos eine Leidenschaft, sondern ein Heißhunger geworden, und seine Stillung ist danach angethan, die Form einer Nothwendigkeit anzunehmen, der um jeden Preis, es kofte was es wolle, genügt werden muß. Was für verschiedene Gestalten dieses ,,es koste" annimmt, wollen wir uns hier etwas näher ansehen. Welches auch unsere Meinung über das Recht der Erstgeburt sein möge, so wollen wir, es einfach in Hinsicht auf den vorliegenden Gegenstand betrachtend, bemerken, daß die unvermeidliche Folge der Vermögens- und Eigenthumstheilung, wenn sie zu gleichen Theilen an alle Kinder einer Familie geschieht, nothwendig eine größere oder.

zu Emil Augier's Drama:,,Les lionnes pauvres" ein Seitenstück bildet: „Erst vor wenigen Monaten wurde ein Fall an die Oeffentlichkeit gebracht (bei sehr vielen kommt es gar nicht dazu), und zwar durch die wöchentlichen Feuilletons und anderen Stadtklatsch, der die Ausgaben einer diefer ,,lionnes pauvres" betraf. Wir nehmen Emil Augier's Definition des Genus an, welches alle Löwinnen, wie groß auch sonst ihr Vermögen sein mag, unter dieses Kapitel bringt, sobald ihr Aufwand die Gränzen übersteigt, die ihres Gatten Einkommen segt. Die Dame war einst wohlbekannt in der Pariser Gesellschaft; und die Pracht ihres Anzuges, welche an Kostbarkeit selbst die bedeus tenden Mittel ihres Gatten überstieg, war lange Zeit der Gegenstand des Neides und der Bewunderung ihrer Klasse gewesen und hatte Jedermanns Aufmerksamkeit auf sich gezogen, ausgenommen die ihres Gatten. Seine ruhige Gleichgültigkeit in Hinsicht darauf konnte indeß nicht von beständiger Dauer sein. Da die Mittel der Dame, oder die Mittel ihres Arthur (,,Arthur“ ist der Gattungsname in Paris für die Aushalter" der Löwinnen) fich unzulänglich erwiesen, um die Handelsleute, die kraft langer Rechnungen und in Folge der Kenntniß gewiffer privaten Verlegenheiten dringend und unhöflich geworden waren, zufrieden zu stellen, so weckten sie den gutmüthigen, forglosen Mann aus seiner friedlichen Lethargie durch eine ganze Lawine wahnsinnig hoher Forderungen für den Aufwand von Mo. dame, welche plößlich auf sein verfehmtes Haupt niederstürzte. Wit erinnern uns, daß es unter anderen Einzelheiten dieser Ausgaben, die wir uns gemerkt, die Gewohnheit der Dame war, allermindestens zwölf Hüte auf einmal bei ihrer Modiftin zu bestellen, — und solche Bestellungen kamen im Laufe eines Jahres öfter vor. Die hierauf folgende Scene oder Reihe von Scenen kann man sich vorstellen. Es genüge zum Schlusse nur zu sagen, daß die Familie, um den Skandal eines öffentlichen, von den Handelsleuten angestrengten Prozesses zu vermeiden, Geld zusammenschoß, und mit den Gläubigern ein billiges Abkommen traf. Die Dame wurde, che noch die Unterhandlung zum Schluß kam, veranlaßt, sich die Zurückgezogenheit eines Klosters gefallen zu lassen, und der Gatte versuchte die Wirk famkeit eines Klimawechsels für seinen sehr gestörten Gesundheiter zustand und seine nicht minder angegriffene Börse.

"Daß der Anstoß zu persönlicher Ausschreitung vom kaiserlichen Hofe gegeben, oder vielmehr, daß der immer bereite Hang dazu von dorther befördert wird, daran kann kein Zweifel sein. In der leßter Saison wurde es jeder Dame, ohne Rücksicht auf ihres Gatten Einkommen, der für eine Woche oder vielleicht noch länger nach Fontainebleau geladen war, vertraulich mitgetheilt, daß man erwarte, fte werde nie zweimal in demselben Auzuge erscheinen, und da natürlich für jeden Tag ein Morgen- und Abendkostüm gehörte, und diese nothwendiger Weise von kostbarem Stoffe und theurer Arbeit waren, so kann man sich wohl einen Begriff von der Steuer machen, welche auf die Geldbeutel der treuen Unterthanen Sr. kaiserl. Majestät gelegt wurde, die mit dem Befehle beehrt wurden, sich etwa acht oder zehn prächtige und sehr kostspielige Tage lang in ihrem Glänze zu sonnen.“

Wöchentlich erscheinen 3 Nummern. Preis jährlich 3 Thlr. 10 gr., halbjährlich 1 Thlr. 20 Sgr. und vierteljährlich 25 Sgr., wofür das Blatt im deutsch - öfterreichischen Postverein portofrei und in Berlin frei ins Haus geliefert wird.

No 153.

für die

Bestellungen werden in jeder Buchhandlung des In- und Auslandes (in
Berlin bei Beit u. Comp., Jägerstraße Nr. 25., und beim Spediteur
Neumann, Niederwallfitraße Nr. 21.) sowie von allen Post - Aemters
angenommen.

Literatur des Auslandes.

England.

Berlin, Donnerstag den 23. Dezember.

Korrespondenz-Berichte aus London.

Der Brand der „Austria" nach englischer Beurtheilung.
Das Dzon. - Johanna Kinkel und ihr Tod.

Ich komme, bei Gelegenheit eines deutschen Ereignisses auf dem Meere, auf die deutsche Gemüthlichkeit noch einmal zurück. Die schauberhafte Tragödie des Unterganges der,,Austria" gab uns hier einmal eine ganze Nacht Stoff zu einer Diskussion mit Engländern. Der noble, edelherzige, menschenfreundliche, fehr gebildetete und auch als Seemann bewährte Capitain ward in deutschen Blättern mit vieler Rührung, Gründlichkeit und Gemüthlichkeit in Schuß genommen. Er erschien in einigen Darstellungen wie ein Heiliger. Das Schiff war ein Muster von Vollkommenheit auch für Fälle von Feuersgefahr. Dieser Vollkommenheit, Gründlichkeit und Vorsicht gegenüber erscheint es aber schlechterdings als der Aft eines vollständig Wahnsinnigen, aus gemüthlicher Fürsorge für die Paffagiere zweiter Klasse deren Räume mit einem großen Eimer voll Theer, in welchen Jemand eine glühendgemachte Kette hält, zu räuchern. Es giebt viel ungefährlichere Räucherungsmittel. Mußte es aber Pech sein, war jedenfalls ebenso viel Vorsicht nöthig, als wenn man ein glühendes Stück Eisen in ein Pulverfaß gehalten. Der Gedanke lag stets nahe und mußte bei einem so gemüthlichen, mitleidigen Capitain sich um so gewaltiger aufdrängen: was machen wir, wenn der ganze Eimer voll Pech sich an dem glühenden Eisen plößlich entzünden follte und umfiele? Muß man schlechterdings mit einem ganzen Eimer voll räuchern, und zwar so, in dieser blödsinnigen Manier, inmitten einer engen, hölzernen Kajüte voller Betten, die sich augenblicklich an dem aufflammenden Pech entzünden und aller unserer vollkommensten Lösch- Apparate spotten würden? Man hat Beispiele die schwere Menge, daß Kannibalen von Capitainen die Paffagiere ihrer zweiten oder dritten Kajüte kaltblütig oder gar absichtlich ersticken ließen, etwa um Lebensmittel für sie zu sparen. Diese bestialische Grausamkeit ist kaum ärger, als die gemüthliche Fürsorge, die mit einem Eimer voll Pech, mit einer glühenden Kette darin, räuchert, damit sie nicht krank werden, und da durch eine Feuersgefahr hervorruft, gegen welche voraussichtlich nicht viel mit Lösch Apparaten zu machen war und dadurch 500 Men schen einem doppelten Tode entseglichster Art in die Arme liefert. Lesteres gilt um so mehr, als der Capitain sich, von den Folgen feiner Gemüthlichkeit umlödért, auf das Verdeck ftürzt, den Rath- und Hülflofen zuschreit:,,Wir sind Alle verloren!" und dann verschwindet. Was er auch früher Heroisches gethan, wie edel der Mann sonst gewesen, wie entseßlich auch die Umstände waren, dieses Pech und dieser feige, kopflofe Aufschrei können nicht durch seinen Tod gefühnt werden. Es klebt ein fünfhundertfacher Tod an diesem Blödsinn. Es ist auch eine feige Gemüthlichkeit, Thaten und Unthaten Tödter mit dem Leichentuch zu bemänteln. Wenn man einmal sterben muß, kann und soll der wirklich edle Mann auch als Mann sterben. Stirbt er als Memme, versinkt dieser Fehler mit ihm. Ist aber diese Memmenhaftigkeit zugleich Todesursache von hundert Anderen, wie sich dies aus den hier angegebenen Umständen ergiebt, so wird gemüthliches, rührendes Mitleiden zur feigsten Schwäche, der nur der deutsche Charakter unterliegen kann. Vor einigen Jahren ging ein Schiff mit englischen Soldaten unter. Als man fah, daß es nicht zu retten war, ließ man Frauen und Kinder bedächtig in die Boote. Die Soldaten stellten sich in Reih und Glied auf das Deck, luden auf Kommando ihre Gewehre, vernahmen, wie sie nun sterben sollten, und daß fie als Männer sterben möchten, und standen nun so in Reih und Glied, bis fie sanken. Jest gaben sie eine Salve und verschwanden in Reih und Glied unter den Meereswogen.

Ich habe mir mehrere Abenteuer, Gefahren und Feuersbrünfte auf amerikanischen Schiffen erzählen lassen. Sowie die Passagiere Gefahr merken, werden sie fast immer sofort rebellisch und schlagen

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1858.

sich gegenseitig moralisch die Köpfe ab, hindern alle Vorsichts- und Rettungsmaßregeln und werden so selbst zur höchsten Gefahr. Capitaine und Mannschaften sind darauf vorbereitet und erscheinen sofort mit den beliebten,, six-shooters", Revolvers mit sechs Schüssen. Diese werden den Passagieren hingehalten mit dem Bemerken, daß, wenn Einer im geringsten sich den nun unerläßlich werdenden Maßregeln widerseße, er sofort erschossen werde. Gewöhnlich wird das Deck zuerst von allen Passagieren gesäubert. Wer nicht sofort freiwillig die ihm befohlene Stellung einnimmt, wird dahin geworfen, z. B. in eine Kajüte, in die er hinabstürzt und den Hals bricht. Auch wird manchmal Einer erschossen. Es ist aber offenbar humaner, Einen oder den Anderen, der die Rettung Aller erschwert oder unmöglich machen würde, zu opfern, statt Alle in Kopflosigkeit umherwürgen zu lassen und Allen den Tod zu geben.

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In dem beispiellos entfeßlichen Falle der Auftria" liefert dies vielleicht kein Muster; aber wir gewinnen auch von keiner Seite irgend eine Entschuldigung für die beiden Kardinal-Verfündigungen: die gemüthliche Räucherung mit einem Eimer voll Pech und den feigen Schrei:,,Wir sind Alle verloren!"

Uebrigens ist die wahnsinnige Kopflosigkeit und unbewußte Brutalität der großen Masse plöglichen Lebens-, besonders Feuersgefahren gegenüber eine so allgemeine und unausbleiblich menschliche, daß man in allen Schiffen, Theatern und dergleichen Plägen, wo sich große Massen zusammendrängen, viel mehr Vor-Rücksicht darauf nehmen sollte. Als der Komödiant und Pfarrer Spurgeon einmal in dem großen Saale der Surrey-Gardens predigte, schrieen Spizbuben: Feuer! Die aus Tausenden bestehende, andächtige Menge zerquetschte und erstickte sich gegenseitig auf Treppen und Korridoren, obgleich auch nicht ein Schwefelhölzchen gebrannt hatte. Beispiele in Theatern mit und ohne wirkliche Feuersgefahr giebt es in Menge. Da bei diesen Gelegenheiten immer fast Alle den Kopf verlieren, sollte man wenigstens vorher, mehr Kopf in Vorsichtsmaßregeln entwickeln. Was die Räucherung auf Schiffen betrifft, ist das Pech in dieser naiven, gemüthlichen Anwendung, wie auf der,,Austria“, längst als eine Art muthwilliger Aufforderung zu doppeltem Mord abgeschafft worden. Man räuchert jest zum Theil bereits mit dem mächtigsten, allgewaltigsten Desinfectionsmittel, mit Dzon, elektrisirtem Sauerstoff, den man dadurch fortwährend entwickelt, daß man ein paar kleine Stangen Phosphor halb aus einem Gefäße mit Wasser hervorragen läßt. Da Phosphor noch gefährlicher ist, als Pech, sichert man diesen einfachen Apparat so, daß der Phosphor, falls er sich auch entzündete, sich ohne Gefahr in angewiesenen Gränzen selbst verzehren muß.

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Nun bin ich endlich beim Dzon angelangt, ohne doch an dieses Ziel zu denken, auf Wegen, an die ich gar nicht dachte, als ich die Feder ansette. Ich fing mit dem November in London an und kam auf die deutsche Gemüthlichkeit, die überall vielleicht eher einen Winkel findet, ihr stilles Dasein zu fristen, als in London. Mit deutschem Herzen aber hier einen November mit wochenlangen, beizenden, dicken Nebeln und frostiger Nässe auszuhalten, das ist allemal eine besondere Heldenarbeit. Unser deutsches Wesen bedarf einer Korrektur oder wenigstens importirter Ingredienzien, aber Londoner Nebel und Lebensweise gehören nicht dazu. Der Deutsche mag noch so kosmopolitisch sein gegen Klima und Kultur, aber wie nach Lessing schon Niemand ungestraft unter Palmen wandelt, rächt es sich noch viel grimmiger, Jahre lang in England zu wohnen. Nur die moralisch und körperlich Kräftigsten widerstehen im harten Kampfe, schwächere und weibliche Naturen aus Deutschland verschmachten hier und erkranken körperlich und geistig am Klima, am Mangel deutschen Umganges. Nur wenige deutsche Damen hier erfreuen sich erträglicher Gesundheit und leiden an einer Unruhe, Misstimmung und Beklemmung, die oft lebensgefährliche Formen annimmt. Einige Familien haben sich zu kleinen Kolonieen zusammengeflüchtet und suchen durch gegenseitigen Umgang die verlorene Heimat wieder zu gewinnen. Das ist aber sehr kläglicher Ersaß und ohnmächtig gegen physisches und soziales Klima. Ich habe hier schon manche edele deutsche Frau verschmachten und sterber

sehen und drei der nobelsten weiblichen Naturen zu ihrem leßten Schlummer begleitet. Ich erwähne von diesen Dreien nur die Herzogin von Orleans und Johanna Kinkel. Lestere, diese heitere, energische, reich und gründlich gebildete, wesentlich rheinische Natur, voller Poesie und Humor über ihre heimatliche Sonnigkeit, voller Schwärmerei für ihre lachenden Hügel und Thäler, arbeitete und strebte nur durch ununterbrochene Thätigkeit und ihr Familienleben mit einigem Erfolg gegen die Einflüffe des physischen und sozialen Klima's hier. Aber der Herbst brachte ihr jedesmal neue Leiden, die während der legten Novembernebel zu den qualvollsten Herzbeklemmungen sich steigerter. Hier in London hatte sich ein Leiden entwickelt, das man gewöhnlich Herzerweiterung nennt und sich in mehrfachen Anfällen von Kongestionen äußerte. Am 15. November lagerte einer der hartnäckigsten, erstickendsten Nebel über London und beängstigte die Leidende mehr als gewöhnlich. Aber sie war, wie stets im Leben, resolut, klar und heiter und verließ etwa um 1 Uhr, nachdem sie gefrühstückt hatten, ihren Gatten, um in dem Hinterzimmer der obersten Etage etwas zu ordnen. Eine halbe Stunde später lag sie zerschmettert auf den Quadersteinen des Höfes.

Nachdem die Todtenrichter mit Hülfe von Aerzten, darunter ein Deutscher, dem ich diese Mittheilung verdanke, Alles genau untersucht und geprüft hatten, entschieden sie auf,,accidental death", wobei der Coroner ausführte, daß die eigentliche Ursache des Accidents" in dem bis beinahe auf den Fußboden herunterreichenden Schiebefenster gesucht werden müsse. Ein Anfall von Herz-Kongestion habe die Frau, wie sie dies früher gegen ähnliche Attacken mit Erfolg gethan, schnell an das Fenster getrieben, das sie in ihrer Angst um Athem rasch geöffnet. Dabei habe sie das Gleichgewicht verloren und sei durch das von unten nach oben in die Höhe geschobene Fenster hinab. gestürzt. Andere Wahrscheinlichkeiten und Möglichkeiten, die durch gesprochen und untersucht worden waren, erwiesen sich gegen diese Erklärung als durchaus unhaltbar.

So fand eine der bedeutungsvollsten und reich gebildetsten deutschen Frauen ihren Tod in London; diese sonnige, kernige Tochter des lachenden Rheins in einem kalten, dicken, beizenden Londoner NovemberNebel. Ihr starker, blühender Mann suchte die vermeintlich Ohnmächtige hinauf auf ihr Zimmer zu tragen, aber er bemerkte, daß er eine Leiche im Arme habe und brach zusammen. Am Abende kamen die vier herrlichen Kinder nach Hause und wollten, wie gewöhnlich, die Mutter mit einem Kuß begrüßen. Sie mußten es in ihrer heiteren, schwachen Kindlichkeit alle der Reihe nach ertragen lernen, daß sie die liebe Mutter und gründliche, liebe Lehrerin auf immer verloren. — Wie rührend sah es aus, als ich etwa zehn Tage später hinkam und die zarte, magere, elfenartige Johanna in ihrem dreizehnten Jahre schon die Leitung des ganzen Hauswesens übernommen und so leicht und sicher und geräuschlos hier ihrem Vater die Beantwortung eines englischen Briefes abnahm, dort dem Mädchen einen Bescheid in wirthschaftlichen Dingen gab und dann wieder mit dem Vater zu Rathe ging, was in dieser oder jener Frage zu thun sei. Als er mit mir das Haus verließ, legte die heroische Gestalt seine Hand auf den Kopf der kleinen, zarten, dünnen Tochter und empfahl ihr mit rührender Zuversicht die Sorge für das Haus. Welche Elastizität und Fülle in einer so zarten Jugend! Wie sicher und leicht flog sie umher, immer das Richtige treffend und den Vater bescheiden unterftüßend, wenn es galt, irgend etwas Zweifelhaftes zu entscheiden.

Gottfried und Johanna Kinkel (wie sie sich selbst auf dem Titel blatte ihrer gemeinschaftlich herausgegebenen,,Erzählungen“ nennen) gehören im reichsten Sinne dem deutschen Volke an. Ihre gemein schaftlichen Erlebnisse sind ein einiger Schaß in der deutschen Geschichte und poetischer, tragischer, deutscher, als alle unsere gedichteten Tragöbien. Man lese nur das kleine Bruchstückdrama, geschrieben von Johanna Kinkel. Die Verleumdungen über Gottfried Kinkel und seine Frau sind verschollen und als Lügen zerstoben. Auch seine entfchiedensten politischen Gegner und bittersten Feinde müssen jegt zugeben, daß er sich durchweg als starker Mann, heroisch, offen und edel bewährte und er uns nicht blos als Dichter des in zweiundzwan zigfter Auflage erschienenen,,Otto der Schüß", zugute kommt. Von dem Heroismus der Frau und Mutter haben die, welche ihre politischen Schicksale kennen, wohl eine annähernde, richtige Vorstellung, aber die Künstlerin und Schriftstellerin wird sich erst von nun an in ihrer ganzen Eigenthümlichkeit und Größe zu erkennen geben.

Wir theilen aus ihrem Leben nur einige Züge in ihren äußerlichen Daten mit. Sie war 1810 am 8. Juli geboren, einzige Tochter des Gymnasiallehrers Mockel in Bonn, der 1849 sein funfzigjähriges Jubiläum feierte und noch lebt. Als einziges Kind, spielte sie in der Regel allein, besonders Klavier. Im zwölften Jahre wurde sie Schülerin des berühmten Franz Rieß, des Lehrers Beethoven's. Nach einer halbjährigen Ehe, der sie sich aus innerster Abneigung entzog, lebte fie ganz der Kunst und machte vom dreiundzwanzigsten Jahre an, in Berlin, den vollständigsten und gründlichsten Kursus im Generalbak

unter dem Kapellmeister Böhmer durch. Hier erschien ihre erste Composition:,,Die Vogel-Cantate", vielleicht der originellste Beweis der Komik und des Humors in der Musik. Tert und Composition sind ganz ihr Werk. Schon in Berlin war sie als große, meisterhafte Klavierspielerin bekannt und spielte vor der Frau Prinzessin von Preu. ken, während sie dem Profeffor Begas zu ihrem Portrait saß. In Bonn waren ihr die höchsten Kreise offen. Sie ward oft in dem Hause Bethmann-Holweg's gefunden, wo sie Kinkel zuerst kennen lernte. Er rettete sie eines Abends aus den Rheinfluthen, in welche sie das ein Dampfschiff geschleudert war. Am Ufer fiel sie ihrem Retter um den Hals und war die Seine. (Vgl. die Elegieen in den Gedichten Kinkel's.) Die Scheidung von dem Buchhändler in Köln war fieben Jahre nach der Trennung erfolgt, am 22. Mai 1840 um 11 Uhr. Nach dem Code Napoléon war eine dreijährige Frist bis zur Schliekung einer neuen Ehe nöthig. Diese erfolgte am 22. Mai 1843 114 Uhr. Kinkel ward als theologischer Profeffor von dem Eichhornschen Minifterium, wegen der Ehe mit einer geschiedenen Frau, für beförderungsunfähig erklärt, so daß er zur Aesthetik und Kunstgeschichte überging, die den Deutschen in London nun besonders zugute gekommen ist. Während ihrer ersten Jahre studirten Gottfried und Johanna Kinkel besonders fleißig rheinisches Volksleben. Daraus gingen ihre gemeinschaftlichen „Erzählungen“ hervor. (Nur „Die Heimatlofen“ schrieb Kinkel während der Zeit, als über sein Leben gestritten ward und er sich auf die Kugeln des Kriegsgerichts vorbereitete.) Der gesunde, schlichte Humor, der klare, korrekte Stil in den Erzählungen von Johanna Kinkel bilden Vorzüge, in denen sie von keiner Schriftstellerin übertroffen ist. NB. ist auch die derbe, gesunde, humoristische „Geschichte eines ehrlichen Jungen" von ihr. Ihre „acht Briefe über das Klavierspiel" find jedenfalls ihr höchstes Meisterstück, technisch, musikalisch und stilistisch genommen. Wer kann etwas Treffenderes, Leichteres, Praktischeres über den Contrabaß schrei ben, als fie, indem sie beweist, wie leicht auch Damen ihn lernen können? Ihre meisterhafte Methode im Klavier-Unterricht ist während der lezten Jahre natürlich besonders den Engländerinnen zugute gekommen, unter denen sie sich Verdienste, Achtung und Liebe erwarb, die ihr auch hier ein Andenken sichern. Von ihren größeren Compefitionen werden erst künftig mehrere erscheinen, namentlich eine große in Partitur ausgearbeitete Oper. Außerdem hinterläßt sie eine humo. ristische Cantate, ein größeres kritisches Werk über Musik und einen vollendeten, größeren Roman.

Sie war eine deutsche Frau, eine hochgebildete Künstlerin, durchaus originale Schriftstellerin, heroische Gattin und Märtyrerin, eine heitere, kernige, deutsche und überaus enthusiastisch-patriotische Natur, wenn sie vom Rheine sprach. Man senkte sie in fremde Erde, wie schon mehrere edelste deutsche Frauen. Sie gehörte mit Leib und Seele der deutschen Nation. Hätte man ihre entseelte Hülle wenigstens unter deutschem Rafen betten können!

Frankreich.

Die französische Philosophie des achtzehnten Jahrhunderts. Nach Charles de Rémusat. (Fortseßung.)

So beurtheile man die fragliche Philosophie. Sie litt an den Uebeln ihrer Epoche. Sie zog sie sich durch Ansteckung zu, gerade indem sie gegen dieselben ankämpfte und sie nicht nachdrücklich genug bekämpfte. Die Neuzeit ist ein großer Säkularisator. Sie zieht Alles aus dem Schatten des Heiligthums, aus dem Dunkel der Schule, aus der Einsamkeit der Weisen an das helle Tageslicht, an den offenen Markt. Das Wissen und das Denken haben aufgehört, ein Privilegium Weniger zu sein. Viele Ursachen, worunter die wichtigste die Buchdruckerei, haben seit drei Jahrhunderten daran gearbeitet, die Gränzen der Republik der Wissenschaften auszurücken, und da die Phílosophie aufhörte, eine Lehre der Eingeweihten zu sein, wurde die Gesellschaft ihr Vertrauter und Richter zumal, niemals aber so fichtlich, wie zu der Zeit, wo Voltaire über Alles zu Allen sprach und nach dem Maßstab seines Genies das Gebiet des gesunden Verstandes zu vergrößern suchte. Von dem Moment an, wo die Philosophie in den Weltverkehr überging, wurde es ihr immer schwerer, sich den gleichzeitigen Einflüffen zu entziehen, auf ihre Abgeschloffenheit zu verzichten und dennoch ihre Hoheit und ihre Unabhängigkeit zu behaupten. Vielleicht ist die philosophische Wissenschaft dadurch aus ihrer Rolle gefallen; vielleicht ist es zu bedauern, daß sie nicht, minder thãtig und minder bekannt, ihre Würde behalten und weniger Macht erlangt habe. Vielleicht möchte man die Zeiten -wenn es je folche gegeben hat — zurückwünschen, wo sie, wie die religiöse Dichtung, das profanum vulgus haßte und sich fern von ihm hielt. Wohl hat fie in den Demokratieen des Alterthumes geblüht, demokratisch war sie felten. Er selber, der sich rühmte, sie vom Himmel auf die Erde herabgebracht zu haben, hat sie stets abgehalten, sich mit der Menge

gemein zu machen und starb wie ein Held, weil er die Unpopulärität ber Weisheit verfocht. Der große Sokrates achtete die Geseße und troßte den Meinungen feines Landes; er opferte dem Willen der Athener Alles, nur nicht sein Denken. Vielleicht steht das Märtyrerthum der Philosophie schöner an, als die Macht, und ist hier nur verborgen oder verfolgt an ihrer Stelle. Ich verehre sie zu hoch, um sie wegen ihres Mißgeschickes zu beklagen, und sie ist groß genug, um unglücklich zu sein. Allein die neueren Gesellschaften denken anders. Seitdem fie die Fackel angesteckt, die ihnen leuchtet, wollen sie, daß ihr Licht sich überall hin ausbreite. Geben wir es denn auf, den Strom quellwärts zurückzuführen und den Völkern einzureden, daß sie daran unrecht thun, Alles verstehen und Alles wiffen zu wollen. Man muß sich darein finden, daß die Preffe der Wissenschaft und den Gedanken eine neue Bedingung gestellt. Die Geschichte ist es, die der Philosophie das gefellschaftliche Medium hinterlassen, in welchem sie sich unter uns entwickelt hat, und aus dem ancien régime ist die. Philosophie geboren worden, welche das ancien régime stürzen sollte.

Ich bin, fährt Rémusat fort, gegen keinen Nationalruhm kalt. Ich bewundere die Glanzpunkte unserer Geschichte: Richelieu ist groß als Staatsmann, Condé als Feldherr, Boffuet als Redner; nichtsdestoweniger ließen sie ein Frankreich hinter sich, das einer Revolution entgegenging. Eine Bewegung, die vom Ausgang des Mittelalters da tirt, reißt die neueren Gesellschaften mit sich fort und alle Lobreden der Vergangenheit werden es dieser Bewegung nicht absprechen, daß sie auf eine allgemeine Neugestaltung ausging. Das Mittelalter war so beschaffen, daß Alles, was Renaissance, Emancipation, Fortschritt, Civilisation hieß, nur eine lange Reaction gegen dasselbe war. Gewalten, Einrichtungen, Gefeße wurden für ebenso viele Joche angesehen, die man brechen müsse. Der neue Zeitgeist war ein Geist der Unabhängigkeit, der, bald langsam arbeitend, bald rasch eingreifend, die Gestalt der Welt umzuwandeln strebte, und abwechselnd reformatorisch oder revolutionair, ging er von der Religion auf die Politik, von den Künsten auf die Wissenschaften, von der Gefeßgebung auf die Induftrie über. Daher war auch der allgemeine Ton unausgesezt kritisch und angreifend. Der Angriff konnte gemessen, versteckt, ein FlankenAngriff sein; es konnten Momente der Erschöpfung oder des Vertrauens eintreten, und Alles hatte den Anschein des geschloffenen Friedens; allein im Grunde blieb es beim Alten und die Feindseligkeiten waren nur aufgeschoben. Nehmen wir die Literatur zum Beispiel. Durchwehte sie nicht stets der Geist der Opposition? Die Schmeichler Ludwig's XIV. griffen in ihren Schriften an, was Ludwig XIV. liebte. Wie wurden Adel und Kirche in Boileau's Satiren zugerichtet! Wie kam die absolute Monarchie bei La Bruyère weg! Die Prediger verklagten den Hof bei der Nation, und der große König selbst, mochte er den Verfaffer des Télémaque" seine Ungnade fühlen lassen oder dem Vefaffer des ,,Tartuffe" feinen Schuß gewähren arbei tete für die französische Revolution; denn aller Dinge Ziel war die Revolution; alle Wege führten dahin. Der Oppositionsgeist ist leichter zu erbrücken, als zu mäßigen, und ist er allgemein, so erdrückt man ihn nicht. Die Gewalt weicht oder widersteht: weicht fie, so ermüdet fie; widersteht sie, so reizt sie. Bald frißt der Groll um sich, die Leidenschaft sinkt zur List herab, um die Gewalt zu unterwühlen; diese wird durch die raison d'état zur Heuchelei verleitet; die Heuchelei aber verleßt, ohne zu imponiren.

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Dahin mußte es mit der so hochgerühmten Regierung des siebzehnten Jahrhunderts kommen. Sie mußte die Gesellschaft zurücklasfen, ohne Achtung vor der obersten Gewalt, ohne Zufriedenheit mit sich selbst. Die neuere Civilisation, hervorgegangen aus der Ungebundenheit des Mittelalters, fühlte sich unbehaglich in den engen Banden einer strengen Moral. Allerdings regelte sich die Gesellschaft allmählich, die rohesten Ausschweifungen, die kühnsten Laster verloren sich mit der Zeit. Selbft der Hof Ludwig's XV. war beffer, als der Hof der Valois; allein die Schwäche entnervte nach und nach die Charaktere, die Leichtfertigkeit verweichlichte die Sitten; die Inftitutionen schüßten weder die Stärke der einen, noch die Würde der anderen. Man Man wollte gern den Traditionen den Stempel der Heiligkeit aufdrücken und entweihete sie durch offenkundige Unehrlichkeit, durch augenfällige Kniffe einer elenden Politik. So erschien an den Krücken einer wankenden Regierung Alles verhaßt oder lächerlich. Selbst den Weiseren schien die bestehende Ordnung nur auf ärgerliche Erdichtungen gegrün det, und der Verfasser der „Lettres persanes" zeigt uns, in welchem Lichte er, einer der helldenkendsten, scharfsichtigsten und gemäßigtsten Beobachter, die Gesellschaft und die Regierung vor hundert Jahren sah. Gerechte Strafe für die Fehler der Vergangenheit! Alles wurde ohne Wahl und ohne Maß angegriffen; der Efel erzeugte die Ungerechtig keit; der entfesselte Grimm entsprach der Unterdrückung. Wenn die Achtung sich verliert, dann seid gewiß, daß das Achtungswürdige sich zuerst verloren hat.

So erklären sich gewiffe Uebergriffe der modernen Vernunft; so laffen sich die Irrthümer der Philosophie, wenn auch nicht rechtfertis

gen, doch begründen. Sie hatte die Feffeln einer gegründeten, aber leidenschaftlichen Opposition. Ohne einen gewiffen Grad von Unparteilichkeit giebt es kein vollkommenes Einverständniß, und die Menschen kommen aus einem Extrem nur durch ein anderes. Während indessen die Philosophie, von einer rechtmäßigen Opposition hingerissen, sich in ein Extrem stürzte oder in den Ton des Tages verfiel, verbreitete sie nebenher die Prinzipien der Geselligkeit, die allein unseren Durchgang auf Erden adeln können. Während einige ihrer Adepten, in der Hige Alles umzuhauen, der Natur das Prinzip der Ordnung, dem Menschen die höchste Idee, der Moral die heiligste Weihe, der Aesthetik die unvergängliche Schönheit absprachen: erhob die allgemeine Philosophie, den durch die Sophismen Einzelner herabgewürdigten Menschen zu einem vernünftigen und freien Wesen, der nur durch die Vernunft in der Freiheit regiert werden kann. Sie, mit einem Worte, ist es, welche die Aera von 1789 angebahnt hat.

Ja, die von den heutzutage so verschrieenen Meistern gebildete Gesellschaft hat das eble Geschlecht erzeugt, dessen lezte. Ueberreste wir erlöschen sehen. Jene Jünger einer so geschmähten Schule wo habt ihr jezt Ihresgleichen an Großherzigkeit, Unabhängigkeit, Uneigennut, Muth? Man verwirft die sensualistischen Lehren, brüstet sich mit dem Spiritualismus; man hat nicht Verwünschungen genug gegen die zerseßenden Prinzipien, die Alles in den Grund verderbt haben. Der Ton hat sich geändert: er ist gehaltener, gefeilter, man schlägt züchtig die Augen nieder, wenn Stellen aus vor hundert Jahren gedruckten Büchern angeführt werden; man bewundert die Sittenftrenge des Mittelalters, erröthet über den Renaissance-Stil. Heilige Reaction, mit der man so dick thut! Und doch hat die praktische Sinnenfrohne nie eine größere Gewalt geübt, nie ist die Berechnung schamloser über den Vernunftkreis gestellt, nie der Macht kriechender, nie dem Geldsack lobpreisender gehuldigt worden. Die mit wahrhafter Begeisterung begrüßten positiven Interessen find an die Stelle der Menschenrechte getreten, und seitdem Allewelt vor dem Materialismus des achtzehnten Jahrhunderts ausspückt, hat er nie eifrigere Anbeter gezählt.

Die Inkonsequenz nimmt einen großen Plaß in der Welt ein, und vielleicht wird sie ihn niemals unter den menschlichen Dingen ganz räumen. Wenigstens dürfte die Gefahr der mit unbeugsamer Logit entwickelten absoluten Prinzipien auf eine gewiffe, theils in der Natur der Wahrheit, theils in der Natur des Menschengeistes wurgelnde Unmöglichkeit hinweisen, die Wirklichkeit den strengen Formen des Gedankens zu unterwerfen. Das Lückenhafte unserer umfassendsten Ideen verräth sich stets an irgend einem Flecke. Wenn nun in den Glaubenslehren, in den Geseßen, in den Handlungen der Menschen sich eine Inkonsequenz bemerklich macht, so muß man weder vor Verwunderung, noch vor Unwillen außer sich gerathen. Sie ist gleichsam die nöthige Ergänzung oder die nüßliche Berichtigung zu der Unzulänglichkeit, oder der Falschheit unserer Prinzipien, oder was wir so zu nennen belieben. Es wäre freilich sehr irrig, daraus zu schließen, daß es überhaupt keine Prinzipien gäbe; wahr aber ist es, daß unsere allgemeinen Begriffe auch in ihrem richtigsten Ausdrucke selten nach der Schnur, wie mathematische Definitionen, befolgt werden können. Die Schwierigkeit, die einfachsten und klarsten Grundlehren der Moral auf eine unantastbare Weise zusammenzufaffen, ist ein naheliegender Beweis von der Schwäche unserer Vernunft. Allewelt räumt ein, daß die Vorschriften des reinen Rechtes, des humanen jus, oft ausgelegt, d. h. durch Rücksichten auf Zartgefühl, Empfindung, Ehre, also auf. lauter Sachen, mit denen die Gerechtigkeit nichts zu schaffen hat, abgeändert werden müssen.

Dieser berechtigte Theil der Inkonsequenz hat sich jedoch durch unsere Irrthümer und Leidenschaften stark vergrößert, und ohne die wunderlichen Ungereimtheiten, zu denen sie uns mitunter verleiten, entschuldigen zu wollen, müssen wir sie in Geduld hinnehmen, wenn die Folgen nur nicht durchaus verderblich sind. Die Geschichte liefert uns auf jedem Blatte Zeugniß von den menschlichen Widersprüchen, und haben sie auch die gerechte Sache verunstaltet, so muß man schon Nachsicht mit ihnen haben, wenn durch sie der Prozeß nicht ganz verloren ging. Die Lebenserfahrung bezeugt es, daß kein Unternehmen ausgeführt werden könnte, wenn man zuvor die Gedanken und Empfindungen derer, die man um ihre Mitwirkung anspricht, zu vollkommener Klarheit und Uebereinstimmung bringen müßte. Die Verschiedenheit der Motive ist kein Hinderniß zu gemeinsamem Handeln, und man braucht sich nicht erst über alle Punkte zu verständigen, um Hand in Hand nach demselben Ziel zu gehen. Diese theilweisen Mißklänge, diese Abwehrungen und Gegensäge unter den Menschen, dieser Unzusammenhang der Gedanken und Meinungen in jedem Einzelnen sind nichtsdestoweniger wirkliche Schwächen: durch sie bricht das Böse in das Gute ein; durch sie können die Ehre und der Erfolg der beften Entwürfe und der besten Lehren auf das Spiel gesezt werden. Dieser Gebrechlichkeit unserer Natur haben es die Menschen unserer Zeit beizumeffen, wenn sie so oft davon Zeugen waren, wie die Wahr

heit durch den Irrthum, die Gerechtigkeit durch die Gewalt gefährdet ward; wie unsere Unternehmungen, gleich dem vom Horaz verspotteten Gedichte, mit einem Götterkopf anfingen und in einen gräulichen Fischschwanz ausliefen. (Schluß folgt.)

Kroatien.

Fiume und feine Rhederei.*)

Fiume gehört zu denjenigen Orten in Defterreich, wo der Schiff. bau in größerem Maße betrieben wird. Eine zur Anlage von Werften geeignete Küste, leichte Versorgung mit vortrefflichem Holz, das Freihafen Privilegium, das den zollfreien Bezug von Eisen, Kupfer und anderen Metallen aus England und Belgien gestattet, haben sich vereinigt, um den Schiffbau dort sich entwickeln zu lassen. In früheren Jahren waren die Werften Fiume's sogar größer als alle übrigen Defterreichs, und hier, wie in anderen Häfen des Mittelmeeres, trat die Erscheinung ein, daß der Verkehr durch den orientalischen Krieg durchaus nicht litt. Die Jahre 1854 und 1855 waren für die Fiumer Schiffbauer die günstigsten, die sie je erlebt haben. Die Schiffe hat ten in jener Zeit vollauf zu thun, denn englische und französische Kauffahrer hatten Truppen-Transporte übernommen und räumten den anderen Nationen einen größeren Plas neben sich ein. Die Frachten waren lohnend, und wenige Fahrten machten die Schiffe bezahlt. Unter solchen Umständen dehnte fich, wie zu erwarten, auch der Schiffbau aus. In Fiume, Buccari und Portoré, die 1854 im Ganzen 34 Schiffe mit einem Tonnengehalt von 13,264 gebaut hatten, wurden im folgenden Jahre 41 Schiffe mit 17,472 Tonnen konftruirt, und noch 1856, da der Impuls fortdauerte, liefen 38 Schiffe von 14,429 Tonnen vom Stapel. Dabei waren es zum Theil größere Fahrzeuge, die von den brei genannten Orten ausgingen. Sechzehn Dreimaster, darunter 1855 ein Klipper von 444 Tonnen, während der Tonnengehalt der übrigen sich zwischen 500 und 900 bewegte, und 39 Barkenschiffe waren unter ben 113 von 1854 bis 1856 erbauten Schiffen.

In den beiden ersten der gedachten Jahre behauptete auch die Fiumer Schiffbauerei einen Rang in Desterreich, den ihr alle anderen Werften des Landes zusammen nicht streitig machen konnten. Die übrigen Werften bauten 1853 nur 28, 1855 nur 36 Schiffe. Der Schwung jedoch, der in den Schiffbau feit dem Kriege und durch denfelben gekommen war, scheint auf andere Hafenftädte noch günstiger eingewirkt zu haben, als auf Fiume. Schon 1856 mußte Fiume es aufgeben, mit seinem Schiffbau den der vereinten übrigen Werften zu überflügeln. Es baute in diesem Jahre 38 Schiffe, die anderen Häfen zufammen dagegen 48 Schiffe; 1856 waren die entsprechenden Ziffern 28 und 37.

Bei solchen Verhältnissen konnte es nicht ausbleiben, daß die Fiumer Klagen erhoben. Der Schiffbau, wenn auch nicht der Haupterwerbzweig, so doch eine der ersten Industrieen der Stadt, florirt jest weniger, als 1854-1856. Diese Erfahrung wird aber anderwärts auch gemacht. Da die Schifffahrt überhaupt stockt, Schiffe mit spottbilligen Frachten fürlieb nehmen müssen, um nur nicht im Hafen faul zu liegen, so ist an einen größeren Aufschwung im Schiffban jest wohl nicht zu denken. Rhedern und Schiffbauern geht es nicht beffer, als es den Kaufleuten noch vor kurzem ging. Eine für den Schiffbau sonst so günstig gelegene Stadt hat aber darum nicht trüb in die Zukunft zu blicken. Die Wendung, welche der Handel zu nehmen sich allmählich anschickt, wird auch den Rhedern zugute kommen, wenngleich wir nicht behaupten möchten, daß bei normalem Verlauf der Dinge jene glänzende Epoche für die Schiffe bald wieder eintreten wird, wie wir sie 1854 und 1855 erlebt haben. Dazu fehlt es an größeren Getraide Exporten, an einer Fehl-Aerndte im Westen Europa's.

Daß man übrigens auch in Fiume, ungeachtet der weniger günftigen Zeit, eifrig weiter strebt, beweist die Absicht dortiger Rheder, der Schraube bei der österreichischen Handelsmarine größere Verbreitung zu geben. Leider hat sich die dortige Handelskammer insofern in dem Mittel, diefen Zweck zu fördern, vergriffen, als fie prinzipielle Befreiung von verschiedenen Abgaben auf die Schifffahrt und die Schiffe wünscht. Ihr dahin abzielendes Gesuch ist nicht gewährt worden, doch wird die Regierung, wie aus dem Handelskammer-Bericht hervorgeht, in einzelnen Fällen nicht anstehen, Erleichterungen eintreten zu lassen. Bis jezt sind übrigens noch keine Schraubenschiffe in Fiume gebaut worden, doch wäre es sicherlich für die österreichische Schifffahrt von außerordentlichem Nugen, fände die Schraube schon jezt jenen Plag, den sie in Zukunft sicherlich einzunehmen berufen ist.

Mannigfaltiges.

dieser Text zu einer unsterblichen Tonschöpfung Anlaß ward und sich, wie es Rudolph Gottschall mit Recht von solchen Dichtungen verlangt,°) burch,,eine einfach klare und folgerichtige Motivirung" auszeichnet, so ist er leider unter den Händen deutscher Ueberseßer zu einem höchft erbärmlichen Machwerk herabgewürdigt worden. Daß unsere Regiffeure, daß unsere größten Sänger und Sängerinnen, daß endlich unser Publikum daran keinen Anstoß nehmen, daß man es kaum hin und wieder wagte, Einzelnes obenhin zu verbessern, ist allerdings sehr auffallend und etwa daraus zu erklären, daß man über der unvergleich lichen Musik den Text völlig unbeachtet ließ. Aber auch dem Kom ponisten ist noch nie sein volles Recht geschehen. Noch nie ist der "Don Juan" in der prganischen Gliederung und Gestaltung vorge führt worden, die Mozart dieser Oper gegeben hat. Alles dies näher nachzuweisen, ist die unten angeführte Schrift des Dr. Biot°*) be stimmt, die eine getreue Ueberseßung des italiänischen Textes und Vorschläge enthält, wie der Don Juan" auf unseren Bühnen in an gemeffenster Weise zur Aufführung gelangen kann. Um diese Zwecke zu erreichen, war es nöthig, daß der Verfaffer sich in die gewaltige Composition mit all dem Verständniß und aller der Liebe vertiefte, um Ton und Werk in das richtige Verhältniß zu einander zu bringen Dies ist ihm, wie wir glauben, vollständig gelungen und es ist nunmehr unseren Bühnen die Möglichkeit geboten, ein Werk, welches alle Zu kunftsmusik überleben wird, in würdigster Gestalt zur Aufführung zu bringen. Die Urtheile, welche wir bis jezt von Kunstverständigen über Viol's Arbeit vernommen haben, stimmen darin überein, daß es nunmehr die Pflicht aller deutschen Bühnen ist, den gewohnten Schlendrian bei dieser Oper aufzugeben und dieselbe im Sinn und Geist Mozart's erklingen zu lassen. Nun, wir wollen das Beste hoffen.

A. G..

Don Giovanni Torlonia. Am 9. November starb, sieben undzwanzig Jahr alt, in Rom dieser als Kenner der deutschen Literatur und als Ueberseger deutscher Dichtungen geschäßte junge Mann, ein Sohn des reichen Banquiers Torlonia, Herzogs von Bracciano. Er sammelte die besseren poetischen Talente Roms um sich; ihre und seine eigenen Gedichte ließ er bei Le Monnier in Florenz bruden, und um den gemeinschaftlichen Bestrebungen einen festeren Zusammen halt zu geben, gründete er ein literarisches Organ, die Strem Romana, den römischen Musen-Almanach, deffen erster Jahrgang za Anfang des Jahres 1858 erschien. Er hatte den Plan, die italiänische Poesie aus deutschen Quellen zu erfrischen und ihr dadurch neue Richtungen zuzuführen. Einer seiner Lieblingsdichter war Lenau. Rachftehendes ist Torlonia's Uebersehung von Lenau's Gedicht „Vergangenheit":

Oh quanto melanconico

E d'Espero il fulgor, Quando scintilla languido

Tra il giorno che si muor.

Le nuvolette, simili

A impalliditi fior,

Sembra che un serto intreccino
Al giorno che si muor.

Del cuore umano i gemiti,
Ma le sue gioie ancor,
Al muto avello scendono
Col giorno che si muor.

,, Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik". Breslau, Trewendt, 1858. **),,Don Juan", komisch-tragische Oper in zwei Akten, von W. A. Mos zart. Aus dem Italiänischen in's Deutsche übertragen, nebst Bemerkungen über eine angemessene Bühnen - Darstellung, von Dr. W. Biol. Breslau, F. E. C. Leuckart, 1858.

Magazin

für die Literatur des Auslandes.

Herausgegeben von J. Lehmann.

1859. Achtundzwanzigster Jahrgang. Preis 313 Thlr. bei allen Buchhandlungen und Postämtern.

Der Beifall, den diese über ganz Deutschland und auch im Auslante verbreitete Zeitschrift seit länger als einem Vierteljahrhundert findet, ist für den Herausgeber eine Aufmunterung, dieselbe mit stets vermehrter Thätigkeit forts zuseßen. Wir bitten, die Bestellungen auf das neue Jahr, oder Quartal, recht bald bei den Postämtern des deutsch-österreichischen Postvereins oder

"Don Juan" von Mozart. Mozart-komponirte diese bei einer Buchhandlung des Wehnertes zu machen. Oper nach dem italiänischen Text des Abbate da Ponte, und wenngleich

*) Nach der „Triester Zeitung".

Berlin.

Veit & Comp.

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