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Ueberdies kommt hierbei in Betracht, daß eine fortgeseßte Thätigkeit auf dem Gebiete des Romans eine größere, wenn nicht fachliche so jedenfalls formelle Vollendung im Gefolge hat, somit jedes neue Werk auch hierdurch ein erhöhtes Gewicht in die Wagschale wirft. Wenn dies indessen von Lopez versäumt worden ist, so läßt es sich vielleicht dadurch nachholen, daß wir auch von anderen südamerikanischen Schriftstellern Proben ihrer geistigen Thätigkeit bringen, aus welchen nach und nach ein Gesammtbild der dortigen Literatur entstehen und ein geistiger Verkehr vermittelt werden dürfte. Ueber die „Kezerbraut“ ein größeres Detail zu bringen, können wir füglich unterlassen, da dies felbe demnächst in einer deutschen Ueberseßung®) erscheinen und somit das Publikum selbst mit sich bekannt machen wird.

Wir glauben aber diese vorläufige Besprechung dem Buche um so mehr schuldig zu sein, als es sonst leicht unter der Maffe der Romane verschwinden dürfte, während wir ihm eben wegen seiner kulturhistorischen und internationalen Bedeutung die wohlwollende Aufmerksamkeit des deutschen Lesers sichern möchten. A. S.

Afien.

Kolenati's Reisen im Kaukasus. (Fortsehung.)

Kurz vor der Ankunft unseres Reisenden in den deutschen Kolonieen hatten dort seltsame Scenen stattgefunden, die auch von Harthausen in seinem „Transkaukasien“ erwähnt werden. Eine gewiffe Barbara Spohn, die Frau eines Wagners, war als Prophetin aufgetreten; sie offenbarte ihren Gläubigen, daß das tausendjährige Reich herannahe und die Kinder Gottes nach Jerusalem ziehen müßten, indem alle anderen Städte zerstört und die Gottlosen vertilgt werden würden. Demgemäß verkauften oder verschenkten ihre Anhänger, etwa 300 an der Zahl, Alles, was sie besaßen, an die anderen Kolonisten und bereiteten sich zum Auszuge vor, fanden aber am Eingang des Dorfes Katharinenfeld einen russischen Beamten, den Kollegienrath v. Koßebue, mit einem Kommando Linien-Kosaken und dem Befehl, sie nicht weiter zu lassen,,,bis Se. Majestät der Kaiser entschieden habe, ob sie fort dürften oder nicht“. Nach längeren Verhandlungen wurde ihnen endlich erlaubt, drei Männer aus ihrer Mitte abzusenden, zwei nach Jerusalem und einen nach Konstantinopel, um anzufragen, ob die Auswanderer von der türkischen Regierung angenommen würden und einen Ansiedlungsplaß bei Jerusalem ausfindig zu machen.,,Sie kamen zu Ende des Jahres 1843 mit der Nachricht zurück, daß es ihnen dort nicht gefallen könne. Darauf wurden fast Alle, sogar die Spohn, kirchlich und Viele bereuten ihren Irrthum aufrichtig und achteten die Spohn wenig, da sie sie getäuscht und irre geführt habe; manche jedoch sollen immer noch geheime Separatisten sein. Da viele von ihnen schon 20, bis 25jährige Kinder haben, die nie in der Kirche waren, so geht es schwer, manche zum Kirchgang zu bewegen, indem sie noch immer der von den Aeltern früher gemachten Drohung eingedenk sind: Wenn Ihr in die Kirche geht, so fallet Ihr zwischen der Thür todt zu Boden. Andere schelten jeßt ihre Aeltern, daß in der Kirche ja auch und noch beffer das Wort Gottes verkündet werde und daß sie von ihnen so hintergangen worden seien.",,Wir hoffen jedoch“, meint der Verfasser,,,daß diese separatistischen Tendenzen und Pöpplianischen Kontroversen durch das Absterben der Häupter, welche noch immer eine zähe Phalanx bilden, und durch die Zeit, sowie durch die gemäßigten Bemühungen der Seelsorger nach und nach verschwinden werden."

Eine von Herrn Kolenati bereits im Jahr 1841 unternommene Reise nach Nucha, dem Hauptort der Provinz Scheki, in deffen Vorstädten sich die Seidenbau-Kolonie Zarabad befindet, veranlaßt ihn zu sehr umfangreichen Bemerkungen über die Seiden-Kultur, die ihn von Transkaukasien bis nach China und Hinter-Indien führen. Ein ganzes Kapitel ist „Meditationen für Damen über ein seidenes Kleid" gewidmet, in welchen die Prozeduren auseinandergesezt werden, die zur Herstellung eines solchen Gewandes erforderlich sind, und denen ein reichlich mit Druckfehlern gespicktes Verzeichniß sämmtlicher in russischer Sprache erschienenen Schriften über Seidenzucht folgt, dessen Zweck uns noch weniger einleuchtet. Auf einem Umwege über Frankreich, dessen Seidenproduction nebft Allem, was daran hängt, umständlich besprochen wird, gelangen wir nach dem Kaukasus zurück, zur Ersteigung des lesghischen Berges Salvat bei Nucha und zur Beschreibung einer unweit dieser Stadt, mitten unter einer muhammedanischen Bevölkerung gelegenen, alten christlichen Kirche. Die Kirche selbst ist von alten Maulbeerbäumen, vierundzwanzig an der Zahl, ganz maskirt, so daß man nicht einmal die Thurmspiße von ihr sieht, da sie sehr niedrig ist. Man nennt den Punkt, wo diese höchft merkwürdige alte Kirche fteht, ebenfalls Kisch (nach dem Flusse gleichen Namens) und die Kirche die des Apostels Foma (Thomas), von dem man sagt, daß er

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hier gewesen sei, gepredigt habe und die Kirche habe aufbauen laffen. Es hat sich sein Name sogar bis zu den Tscherkessen verbreitet, die ihn Tamassa nennen. Die Kirche ist eine armenisch-gregorianische und in dem Baustile erbaut, wie er zur Zeit der Christenverfolgungen üblich gewesen ist. Sie ist gut erhalten, jedoch gar nicht eingerichtet, ohne Altar, ohne Bilder und ohne Glocken. Die Wände sind von außen ganz grün von Moos und von den sie überziehenden Konferven. Diese Kirche soll viel über 1000 Jahre alt sein und stand meist unter dem Schuße der Khane; ja die Tataren erbauten sogar aus Achtung vor diesem Alterthum eine Mauer in Gestalt eines oblongen Sechsedes um dieselbe. Das Baumaterial besteht durchweg aus Quadersteinen, felbst das Dach ist aus Quadern. Die Kirche bildet ein oblonges Viered, welches gegen den Eingang rund ausgebaucht ist; der Eingang ist nur mannshoch und breit gewölbt; sie hat nur drei Spaltfenster in Gestalt von Schießscharten, von denen eines am Eingange vorhanden ist. Der runde Thurm hat fünf solche Fenster und trägt das Doppelkreuz. Die Wände find ungemein dick. Sie hat im Ganzen 47 Schritt obec 100 englische Fuß im Umfange, ist im Innern nur 4 Sajen oder 28 engl. Fuß hoch, auswendig dagegen 7 Sajen oder 49 engl. Fus hoch. Seitwärts am Eingange ist eine in neuerer Zeit von den Armeniern, welche alle Sonnabende hierherkommen, Vieh schlachten, es unter die Armen vertheilen und den ganzen Tag da bleiben, erbaute bretterne Vorhalle und dabei ein ebenfalls sehr altes, verfallenes, aber aus Quadern erbautes Wohngebäude ohne Dach. Der Thurm geht in das Innere der Kirche und sein Eingang ist auch im Innern der Kirche. Zwischen dem Thurm und den Kirchenwänden, welche hier winklig vorspringen, ist ein so enger Durchgang auf jeder Seite, daß nur ein Mann durchgehen kann. Jedenfalls ist diese Vorrichtung zum Zweck der Vertheidigung gemacht worden."

Einige Notizen über die Bewohner von Lesghien und der Tschetschnja find nicht ohne Werth; ebenso die statistischen Angaben über die Bevölkerung der Kaukasusländer, deren Genauigkeit indeß bei der Mangelhaftigkeit der vorhandenen Quellen zweifelhaft bleibt. Es beläuft sich nach denselben die Einwohnerzahl von Transkaukasien auf 2,034,604, die von Kaukasien auf 518,006 und die von Ciskaukasien auf 139,570, die Gesammtbevölkerung also auf 2,692,180 „Männer“, womit wahrscheinlich Individuen männlichen Geschlechts gemeint find. Hiervon find 1,098,053 Christen, 1,446,607 Muhammedaner und 7834 Juden; demnach verbleiben gegen 140,000, über deren Religion nichts Näheres bekannt ist. Wenn man“, heißt es ferner,,,die Bevölkerung hinsichtlich ihres Glaubens und ihrer friedlichen oder feind lichen Gesinnungen übersichtlich betrachtet, so stellt sich heraus, daß der Gesammtbevölkerung Chriften (Griechen und Georgier), Halbe Christen und halbe Muhammedaner, friedliche Muhammedaner, halbfriedliche oder unzuverlässige Muhammedaner und feindliche Muhammedaner der Gesammtbevölkerung ausmachen." Wir müssen es dem Verfasser überlassen, diese Zahlen, die vielleicht durch Schreiboder Druckfehler entstellt sind, mit den obigen Angaben und mit sich selbst in Einklang zu bringen.

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Den Schluß des ersten Bandes der Reise-Erinnerungen", bei dem Herr Kolenati noch einmal auf die im Eingang erwähnte Jagd auf den kaukasischen Steinbock zurückkömmt, bildet seine Ersteigung des Kasbek, über welchen er schon in dem Bulletin der Petersburger Akademie einen ausführlichen Bericht veröffentlicht hat, der auch in Erman's „Archiv für wissenschaftliche Kunde Rußlands“ übergegangen ist. Da indessen die jest mitgetheilte Schilderung dieser Expedition, von den speziell wissenschaftlichen Betrachtungen absehend, an ihrer Stelle manche Einzelheiten giebt, die in jenem Berichte nicht enthalten sind, so wollen wir sie hier folgen lassen.

"Zwischen der Station Kobi und Kasbek eröffnet sich dem von Tiflis Reisenden bei günstiger Witterung nur einmal die Aussicht nach dem füdlich vom Berge Kasbek gelegenen Schneeberge Tot-Chog und zweimal nach dem Gipfel des Kasbek selbst. Es fiel mir diesmal die veränderte Gestalt des letteren auf, da bei meinem Besuce im vorigen Jahre (1843) das öftliche Horn des Gipfels spizig und nach Südost geneigt, jest aber auffallend abgerundet und viel niedri ger war, so daß es mit dem westlichen beinahe gleiche Höhe hatte. Dies zeigte an, daß der Kasbek gegenwärtig weniger alten und noch gar keinen frisch gefallenen Hochschnee trägt. Das war ein Hoffnungskriterium mehr, während der Zeit des Schneeminimums den Zweck zu erreichen. Doch den folgenden Tag schon wurde die Stirn des Eishauptes umwölkt; es regnete von nun an und schwere Gewitterwolken entluden sich täglich. Da jedoch von Tiflis eine ganze Gefellschaft nachkam und auch von Wladikawkas einige Compagnons herbeireisten, so war die Unterhaltung eine nicht uninteressante. Die Bewohner des Dorfes Kasbek und Görgeti's sprachen zu mir: „Zwei volle Monate hindurch regnete es hier nicht; jeßt aber, weil du den Kirwan - Zweri besteigen willft, regnet und donnert es; dadurch will dir Zani ftai zeigen, daß dein Vorhaben Frevel ist." Ich erinnerte mich aber der im vorigen

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Wenn du fasten wirst und Opfer bringst, so läßt dich der reine Mensch (Zani stai) hinauf“, welche Worte ich mir nach meiner Art kommentirte und geduldig ein besseres Wetter abwartete. Während dieses Unwetters fing auch am 8. (20.) August die sogenannte tolle Schlucht unterhalb des Ortes Kasbek, von den Ruffen bjeschenaja balka, von den Offen Kuro genannt, ihre Zerstörungen an. Diese 14 Werst östlich von der Festung Kasbek gelegene Schlucht stellt sich von der Ferne als eine halbmondförmig konkave Felswand dar. In der Nähe betrachtet, besteht sie aus drei Schluchten, von denen sich die zwei näher gelegenen nach Norden unter einem fast rechten Winkel einbiegen. Zu den verheerenden Strömungen der genannten Balka giebt die Vereinigung der drei Schluchten und ein über ihnen liegendes abschüssiges Schneefeld die Veranlassung. Sobald also eine starke Schneeschmelze, oder Regengüffe eintreten, sammelt sich das Wasser hoch oben in den drei Schluchten an und wird durch das hier auf gehäufte Geröll von losgerissenem, verwittertem Gestein des Schiefergebirges gedämmt, bricht endlich mit Gewalt durch und reißt Alles mit sich in den Terekfluß. Das Ganze ist oft das Werk einiger Minuten und es ist zu verwundern, daß diese Prozedur bei der Schroffheit der Schluchten und der sie begränzenden Felsen, so wie der großen Abdachung der Balka (auf Werft 30-40 Fuß Fall), 4 nicht mit Pfeilesschnelle vor sich geht. Der Umstand der Verzögerung ist darin zu suchen, daß das vom zerriebenen Ur-Thonschiefer zu einem grauschwarzen, dicken Schlamme gewordene Waffer, überall von dem anstehenden Gerölle in seinem reißenden Laufe abtheilungsweise gestaut, sich hinter den endlich in Gestalt eines Walles vorgeschobenen Schuttmaffen zu Arschin-, ja zu Sajen-Höhe ansammelt und diese dann langsam vor sich hindrückt, bis sie erweicht und durchbrochen sind. Der Andrang der Masse ging diesmal besonders langsam und so mächtig vor sich, daß der Terek, von ihr für einige Minuten in feinem Laufe an einer Stelle, wo er kaskadenartig ist, gehemmt, auf die entgegengesezte Seite austreten mußte. Zu dem grausenhaft schönen Schauspiel gesellte sich der Untergang einer Posttelege sammt Gespann.

Nachdem so eine für die Reisenden gefährliche Katastrophe, welche sich meist viermal des Jahres wiederholt, vorübergegangen ist, fließt durch den zurückgebliebenen Schlamm und das angehäufte Gerölle ein unbedeutendes Bächlein, Kurotskali genannt.

An Rettung der Menschen in der Posttelege lebhaft theilnehmend, zog ich mir durch die Erhizung und Durchnässung, vielleicht auch durch den zu schnellen Uebergang aus der transkaukasischen Hize hierher, ein heftiges rheumatisches Fieber zu, das mich zwei Tage hindurch an das Lager fesselte.

Als sich den 11. (23.) August das Wetter und mein Zustand gebessert hatten, unternahm ich, ungeachtet meiner Schwäche, mit meinen vier auserwählten Begleitern und Führern: David Ziklour, Iwan Ghigo, aus dem Dorfe Gösgeti, Radewan und Gregor Pizchelauro, aus Stepan Ziminda, begleitet von den Herren der Gesellschaft, die Reise zu den Bergen. Fricke blieb in Stepan Ziminda und botanisirte unterdessen, machte aber zugleich barometrische Beobachtungen. Diese vier Führer, Leute von großer Ausdauer, Gutmüthigkeit und Ortskenntniß, hatte mir der jüngere offetisch-grusinische Edelmann Stepan Ziminda aus dem gleichnamigen Dorfe, in dem er seinen Siß hat, zur Verfügung gestellt. Derselbe führt dort die Aufsicht über die Gränzdörfer, und seine Vorfahren haben von dem Zar dem Titel eines Kaz-Beg erhalten. Wir gingen nach dem der Station Kasbek gegenüberliegenden Dorfe Görtscheti, dessen Einwohner sich Kewsureti und ihren Distrikt am linken Ufer des Terek Soni oder Mekewani nennen. Sie genießen kein Schweinefleisch, laffen auch die Schweineheerden nicht über den Terek und noch weit weniger in die Nähe Görtschett's und Sameba's. Auch mich ersuchten David Ziklour und Jwan Ghigo, welche aus Görtscheti stammten, kein Schweinefleisch mitzunehmen, da die ihnen heiligen Orte des Kasbek dadurch verunreinigt würden.

Die Mädchen Görtschett's verheiraten sich nicht an die Männer der grusinischen Dörfer, viel häufiger aber an Osseten und Inguschen. Sie sind weder Christen noch Muhammedaner, nehmen nach Umständen auch zwei Frauen, halten es aber der Regierung geheim, schlagen das. Kreuz und enthalten sich vom Genuß des Schweinefleisches.

Von Görtscheti, dessen Einwohner sich versammelten und beglückwünschten, erstiegen wir den 235 Toisen über der Station Kasbek sich erhebenden Berg, auf dem eine vor 787 Jahren von der georgischen Fürstin Tamara der heiligen Dreifaltigkeit zu Ehren erbaute Kirche, Zminda Sameba genannt, steht. An dem nördlichen Abhange des Berges, nahe am Reitwege, ist eine Partie krüppelhafter Stämmchen von der Zwergbirke und eine außerordentliche Menge Heidel- und Preiselbeeren (Vaccinium arctostaphylos et vitis idaea), welche Halbsträucher von sehr schmackhaften, eigenthümlich aromatischen Beeren froßten; die kaukasische Scabiose und Centauree standen in der schönften Blüthe und verliehen den grasreichen Abhängen durch ihre schönen blauen und gelben Scheibenblumen einen prächtigen Anblick. Die ge

sunde Bergluft, der Genuß der Beeren, zu denen mich der Instinkt trieb, der Genuß frischer Schafmilch, das Streben nach der höchst möglichen Ersteigung, gaben mir nach und nach die vorigen Kräfte. wieder; doch mußte ich noch bis Sameba geführt werden. In dem Thurme Sameba's übernachteten wir und die sich anschließende Gesellschaft. Herbeigeholte Alpenrosensträucher, Rhododendron caucasicum, (georgisch: Theka), dienten uns zur Feuerung. Mancher europäische Gärtner und Blumist würde darüber die Hände zusammengeschlagen haben. Auch den folgenden Tag waren wir wegen der Gewitter und des anhaltenden Regens, ich außerdem noch durch Schwäche genöthigt, daselbst zuzubringen. Das Warten, das Wetter, das unangenehme Nachtlager, die daselbst viel persisches Insektenpulver erfordernden Thierchen, die in der Nacht herumschwirrenden und schreienden Fledermäuse und Eulen verscheuchten die Gesellschaft, welche sich angeschlossen hatte. (Schluß folgt.)

Italien.

Zur Geschichte der Typographie.

,,Wer war Francesco da Bologna?" ist der Titel eines 42 Seiten starken, italiänisch abgfaßten, als Manuskript gedruckten und dem Herzog von Aumale zugeeigneten Schriftchens von Herrn Panizzi, Oberbibliothekar am British Museum. Der Verfasser sagt: Am Schluß der kurzen Vorrede von Aldus zu seiner ersten Ausgabe des Virgil (1501) in der, nachmals unter dem Namen der Aldinischen bekannten Schriftart, befinden sich folgende drei Verse:

In grammatoglyptae laudem.
Qui graiis dedit Aldus, en latinis
Dat nunc grammata sculpta daedaleis
Francisci manibus Bononiensis.*)

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Francesco da Bologna war demnach der Künstler, der die Typen schnitt, die unter dem Namen der Aldinischen so berühmt geworden. Durch sie sah sich Alles in den Stand gefeßt, wohlfeile Bücher zu drucken, indem er die größte Menge Buchstaben in den kleinsten Raum brachte und die an Schönheit und Zierlichkeit niemals übertroffen worden sind.

,,Etwas über zwei Jahre", fährt Panizzi fort,,,nachdem der Virgil gedruckt worden, ging Gerson, oder vielmehr Girolamo Soncino - er war die größte Zierde eines ruhmvollen Druckerbundes, welcher nächst Soncino die Städte Brescia, Barco, Casalmaggiore, Neapel, Fano, Pesaro, Rimini, Ortana, Theffalonich und Konstantinopel durch ihre Preffen berühmt gemächt hatten nach Fano und veranstaltete hier im Juli 1503 eine sehr zierliche Ausgabe der lyrischen Gedichte Petrarca's. Dieser oft beschriebene Band ist höchst selten, er hat das Aldinische Format, ist in einer feineren, etwas größeren und, nach meinem Dafürhalten, saubereren Kursivschrift, als der Aldinische Text, gedruckt. Girolamo widmete die Ausgabe dem Herzog Valentino und erklärt ohne Anstand, daß Aldus die dem Francesco da Bologna gebührende Ehre der Erfindung und Ausführung des Kursivs für sich in Anspruch nimmt. Er und kein Anderer hat die von Aldus angewandten Lettern geschnitten, da ihm in dieser Kunst, nicht blos griechische und lateinische, sondern auch hebräische Buchstaben zu schneiden, Keiner gleich kam."

Francesco that aber mehr. Er stellte in Bologna eine Preffe auf, und im Laufe von drei Monaten vom 20. September bis zum 20. Dezember 1516-druckte er fünf Bände in Sedez, die jeßt zu den größten Seltenheiten zählen: am 20. September „, II Canzoniere", von Petrarca; am 3. Oktober „L'Arcadia", von Sannazaro; am 30. DEtober,, Gli Azolani”, von Bembo; am 9. Dezember,, Il Corbaccio", am 20. Dezember „Epistolae ad familiares”, von Cicero. Die Typen in all diesen Werken haben den Kursiv-Charakter, sind kleiner, als die Aldinischen und von Francesco selber geschnitten.

In einem der Ausgabe Petrarca's vorgedruckten Briefe beklagt sich Francesco, daß er der Ehre und des Nußens von den Typen, die er geschnitten, verlustig gegangen: Beides habe sich Aldus zugeeignet. Dem war in der That so: Päpste und andere Potentaten wetteiferten, ihm alle Vortheile dieser Erfindung, die ihm zugeschrieben wurde, zu sichern; während sie Francesco das Schneiden der Lettern für Andere, außer Aldus, und den Gebrauch derfelben bei Strafe verboten. In der ganzen Geschichte der Monopole und Privilegien ließe sich schwerlich ein hassenswürdigeres und ungerechteres Beispiel auffinden.

Albus und Francesco scheinen sich schon 1503 entzweit zu haben. Ob die Freundschaft zwischen Francesco und Soncino der Grund oder die Folge dieses Zwiespaltes gewesen sei, läßt sich jeßt nicht ermitteln; genug, nach Panizzi gab Soncino das Kapital her, um die Aldinischen Ausgaben, und zwar mit den von Francesco geschnittenen Let

ten) verwendet hat, verwendet nun zu lateinischen die Buchstaben, geschnitten *) Zum Lobe der Buchstabenschneiderei: Albus, der zu griechischen (Schrifvon den kunstfertigen Händen des Bolognesers Franciscus.

tern, nachzubrucken. Soviel ist gewiß, daß nach dem Streit mit Francesco für den älteren Aldus keine neuen Typen geschnitten wurden: eine Thatsache, welche der Behauptung Soncino's, daß alle Aldinischen Typen, ohne Ausnahme, von Franeesco geschnitten worden, keine geringe Stüße giebt.

Panizzi zeigt uns ferner, wer Francesco war:

" Seit der Erfindung des Druckens bis zu einer von unserer Zeit nicht fernen Periode waren die Bunzenschneider Goldschmiede, Münzer, Silbergraveure vollendete Meister in der Kunst. Fuft und Schöffer waren, nach Zani, Goldschmiede; auch Guttenberg foll Goldschmied gewesen sein. Zani ist auch der Meinung, daß Giovanni Dunne,,,bravissimo orefice" (sehr geschickter Goldschmied), die erste Anleitung gab, Metalltypen zu formen. Emiliano Orsini von Foligno, der Compagnon Numeister's, war ein Münzer, aus einer MünzerFamilie. Bernardo Cennini, der die Bunzen zu den Typen geschnitten, mit welchen der ,,Servio" zu Florenz 1471-1472 gedruckt wurde, war Goldschmied, und Jenson zu Tours, bevor er Typenschneider wurde, war Münzer.... Pomponio Gaurico in seinem Büchlein „De sculptura”, zum erstenmal in Florenz 1504 gedruckt, erwähnt als berühmte Steinschneider zwei Zeitgenossen: Carudosso und Franciscus Furnius Bononiensis. Hat jemals ein Schriftsteller von einem Francesco Furnio, oder von einem Forni Bolognese gesprochen, der als Künstler neben Caradoffo gestanden? Eigennamen werden von Gaurico und seinen Druckern jämmerlich zugerichtet. Mariette (in seinem ,,Traité des pierres gravées", p. 116) bezeichnet den Namen Furnius als Druckfehler und vermuthet, daß dafür: Francia" gefeßt werden müßte. Allbekanntlich war Francia ausgezeichnet in der Goldarbeit, seiner ersten und hauptsächlichsten Kunst, und oft unterzeichnete er seine Gemälde mit den Worten: „, Franciscus Francia, Aurifaber", oder „Aurifex". Vasari in seinem „Leben Francia's" sagt: deffen schöne Denkmünzen halten mit Caradoffo's einen Vergleich aus; spricht aber kein Wort von dem aus der Luft gegriffenen „Furnius“ Gaurico's. Lange hatte ich die Vermuthung, Francesco da Bologna wäre kein Anderer, als der Bologneser Francesco Raibolini, bekannt unter dem Beinamen:,, Francia". Einige Jahre nachher durchblätterte ich ein „Il Werk: ,,Speculum Lapidum... Camilli Leonardi, Venetiis, Sessa", 1502. 4. Nachdem der Verfasser verschiedene alte Skulptoren gerade in der Weise wie Gaurico benannt hat, kommt er auf die neueren zu sprechen:,,,,Bei den neueren "", sagt er,,,,bemerke ich ein Verfahren, deffen die Alten keine Erwähnung thun: es ist eine Art von Skulpturen in Silber, die man Niello nennt. Ich kenne einen Mann, der in dieser sehr geschickt und sehr berühmt ist, mit Namen Franciscus Bononienfis, genannt Fraza (frāzā=franzam), der auf eine kleine silberne Kugel oder Platte allerlei Menschenfiguren, Thiere, Bäume, Berge, Schlöffer in so mannigfaltigen Weisen und Stellungen zeichnet und eingräbt, daß es wundervoll zu erzählen und zu schauen ist."" Francesco Raibolini war also seiner Zeit als Francesco da Bologna, al. Francia, oder im bolognesischen Dialekt Franza bekannt. Hier könnte ich stehen bleiben, wenn das unmittelbare Zeugniß Leonardi's nicht durch einen unwiderleglichen Umstand bestätigt würde. In der Vorrede zu seinem ,,Petrarca" verspricht Francesco da Bologna mit gleichen Typen und in ähnlichem Format die italischen Dichter und die lateinischen Klassiker zu drucken. Und doch besißen wir von ihm nur fünf kleine Bändchen, vier italiänische und ein lateinisches, der chronologischen Ordnung nach das lezte, mit dem Datum 20. Dezember 1516; wie es auch nicht anders sein konnte: denn Francia ftarb den 5. oder 6. Januar 1517. Ich schließe nun mit der Beantwortung der Frage, die ich mir vorgelegt: Francesco da Bologna war Francesco Raibolini, genannt 1 Francia, der würdige Zeitgenosse und Landsmann Leonardo's, Raphael's, Michael Angelo's; groß als Maler, Kupferstecher, Medailleur, Silbergraveur; unvergleichlich als Typenschneider, ein leuchtender Schmuck des ruhmvollen und gelehrten BoJogna."

dem Welthandel einen neuen Aufschwung verleihen kann, erhobenen Einwendungen mit Sachkenntniß und Urbanität widerlegt werden. Die Quelle, aus welcher Herr Szarvady hierbei geschöpft, ist hauptfächlich das von dem unermüdlichen Begründer und Verfechter des großartigen Planes, Herrn Ferdinand v. Lesseps, zu diesem Zweck herausgegebene französische Journal,,L'Isthme de Suez", worin der Gegenstand von allen Seiten auf das gründlichste erwogen und feiner gegenwärtig nahe bevorstehenden Lösung durch ein Actien-Unternehmen mit Ausdauer und allen Widerstrebungen zum Troß zugeführt worden. Uns Deutschen könnte das Zustandekommen des Unternehmens nur höchft erfreulich sein. Es würde mit Hülfe der Eisenbahnen, die jezt von der Nord- und Ostsee bis an das Adriatische Meer führen, die deutsche Welthandels-Straße wiederherstellen, die bis zur Entdeckung des Weges um das Vorgebirge der guten Hoffnung die deutschen Reichs- und Hanse-Städte des Mittelalters zu den wohlhabendften Emporien Europa's gemacht hatte. Wir begreifen daher auch nicht, warum ein mit solcher Sachkenntniß geleitetes geographisches Journal, wie das von Herrn Dr. Petermann in Gotha, den Leffeptschen Plan nicht mit allen ihm zu Gebot stehenden reichen Mittela unterstüßt. Im Gegentheil hat dasselbe sogar in einer feiner leßten Nummern nicht allein behauptet, daß ein Actien-Unternehmen zu jenem Zwecke unmöglich rentiren könne, sondern auch darzuthun gesucht, daß der projektirte Kanal sehr bald durch den Wüstensand wieder unfahrbar gemacht sein würde. Allerdings hat ein Botaniker aus Defterreich, Herr Ferdinand Kotschy, in einer Schrift: Die Vegetation und der Kanal von Suez", die Möglichkeit einer solchen Versandung aufgestellt, doch ist auch diesem Einwurfe bereits durch Herrn v. Lesseps, wie durch Herrn Szarvady, begegnet, indem es ein jedem Botaniker bekanntes, einfaches Mittel giebt, den flüchtigen Sand in der Nähe des Ifthmus durch Beförderung einer sich leicht ausbreitenden Vegetation festzuhalten. Jedenfalls haben die franzöfifchen gelehrten Mitglieder der Suez-Kommission den Wüstensand ebenso genau gekannt und berücksichtigt, als Herr Kotschy. Oesterreichischerfeits wird übrigens das Suez-Unternehmen auf alle Weise unterstüßt. Und gewiß mit Recht. Denn kein anderer Hafen würde bei dem Zustandekommen deffelben soviel gewinnen, wie Triest. Aus der der vorliegenden Schrift beigehefteten Karte der Entfernungen der verschiedenen europäischen und amerikanischen Häfen von Bombay auf dem Wege über Suez und auf dem über das Kap ergiebt sich, daß die Entfernung von Triest nach Bombay über Suez nur 2340 Lieues betragen wird, was gegen das Kap eine Abkürzung von 3620 Lieues ist. Gerirger wird diese Abkürzung für Marseille sein (3276 Lieues) md noch geringer für London und Liverpool (2850 Lieues). Es is aber wohl nicht denkbar, daß dieses Moment von bestimmendem Einfluß bei der Opposition der Engländer fein sollte, da sie ja durch die Abkürzung des Weges nach ihren Besißungen in Ostindien um nahezu die Hälfte mehr als jede andere Nation der Welt gewinnen würden. Bemerkenswerth ist übrigens, daß der Weg von New-York nach Bombay, der bis jest 6200 Lieues beträgt, um 2439 Lieues und der von New-Orleans um 2726 Lieues abgekürzt werden wird.

Die gesammten Naturwissenschaften." Der zweite Band dieses bei Bädeker in Essen erscheinenden, mit dem Bildnisse Humboldt's (in ganzer Figur) geschmückten, encyklopädischen Werkes ist vor einigen Wochen uns zugegangen.") Der Inhalt desselben ist so reich daß wir nicht im Stande waren, wie wir gewünscht, noch in diesem Monat eine vollständige Uebersicht desselben zu liefern. Indem wir uns daher eine nähere Anzeige für den nächsten Monat vorbehalten, können wir doch nicht unterlaffen, dieses Buch als eine würdige und reiche Weihnachts-Gabe zu empfehlen. Ausstellungen gegen einzelne Auffaffungen lassen sich zwar in einem höheren, als rein naturwiffenschaftlichem Sinne auch gegen dieses Buch machen (und wir denken dies auch bei unserer ausführlichen Anzeige des zweiten Bandes Eine illustrirende Zugabe zu dem reizenden mit Aldinischen Let pflichtmäßig zu thun), aber im Vergleiche mit vielen anderen, neaetern gedruckten Schriftchen sind sieben Seiten Facsimile von Harris ren Darstellungen der Natur sind diese Auffassungen immerhin harmin seiner besten Manier ausgeführt: sie zeigen die verschiedenen Ty-los und nicht, wie jene, als direkte Verlegungen religiöser Ueberzeugun= penschnitte von Francesco da Bologna.

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gen zu bezeichnen.

*) Die gesammten Naturwissenschaften, populär dargestellt von Dippel, Gottlieb, Koppe, Lottner, Mädler, Mafius, Moll, Nauck, Nöggerath, Romberg, Quenstedt, v. Rußdorf. Zweiter Band. Verlag von Bädeker in Essen.

Das mit dem 31sten d. M. zu Ende gehende Abonnement wird Denjenigen in Erinnerung gebracht, die im regelmäßigen Empfange dieser Blätter keine Unterbrechung erleiden wollen.

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Die französische Philosophie des achtzehnten Jahrhunderts. Nach Charles de Rémusat.*)

Die Philosophie des achtzehnten Jahrhunderts ist nicht in Gunst. Es gehört zum Ton, von ihr als von einer abgerufenen Münze zu sprechen. Auch die äußerste Beschimpfung: der Eselstritt gegen den ohnmächtis gen Löwen, wird ihr nicht gespart. Mancher schmäht sie auf guten Glauben, ohne sich die Mühe zu nehmen, sie zu kennen, und ohne zu ahnen, daß Dreiviertel feiner Ideen der Schule gehören, die er verlästert. Mit Einem Worte, man hat sich so völlig von ihr losgesagt, daß die Zeit nicht mehr fern erscheint, wo die Philosophie des achtzehnten Jahrhunderts wieder in Aufnahme kommen wird.

*In der Neuzeit giebt es keinen Ostracismus für Ideen. Sie fteigen oder fallen, verschwinden aber nicht. Der menschliche Geist hat einen Vorrath von allerlei Theorieen: er wechselt damit, wirft aber keine weg. Dreimal haben sich in unseren Tagen jene Meinungsstürme gegen Voltaire und seine Zeitgenossen erhoben. Beim Untergang der ersten Republik und beim Aufgang der Restauration grollte daffelbe Wetter. Zu zwei wiederholten Malen ließen ähnliche Interessen und Leidenschaften daffelbe Geschrei hören. Zu zwei wiederholten Malen glaubte man den Prozeß beendigt, und jedes Mal gelang es den Klägern, das Publikum auf die Seite des Verklagten hinüberzuführen. Die Reaction erzeugte richtig eine entgegengeseßte Reaction. Der gegenwärtigen Wiederholung derselben Verhöhnungen oder derselben Berechnungen - scheint kein dauernder Erfolg vorbehalten. Das Ana. them empfiehlt, was es brandmarkt. Man braucht also nicht gerade wie ein Geächteter zu denken, um die Philosophie zu vertheidigen. Man kann weit davon entfernt sein, zu glauben, daß Locke und Condillac die Wissenschäft des menschlichen Geistes erschöpft haben, und dennoch, wenn man billig denkt, sich zu ihren blinden Haffern wenig hingeneigt fühlen. Uebrigens ist jeder Angriff auf die Philosophie, der nicht mit philosophischen Waffen geführt wird, ein unberechtigter, und ihn abwehren, wäre es selbst, um einen Irrthum zu vertheidigen, ist ge wissermaßen ein der Wahrheit geleisteter Dienst. Als vor einigen Jahren ein junger Schriftsteller es unternahm, eine im Stich gelaffene Sache zu vertreten und vom philosophischen Standpunkte das Frankreich vor 1789 zu rechtfertigen, da konnte keine Meinungsverschiedenheit einen Unparteiischen abhalten, der muthigen Aufrichtigkeit Beifall zu zollen und dem Herrn Lanfrey einen feinem Talent entsprechenden Erfolg zu wünschen.

Das Werk eines Weisen aber war es nicht. Es wäre weiser, es wäre, um es mit Einem Worte zu sagen, philosophischer gewesen, sich über beide Parteien zu stellen, die blinden Verkeßerungen zurückzuweisen, aber auch die vermeffenen Rückgänge zu vermeiden und, ohne die bestrittenen Systeme in Bausch und Bogen weder anzunehmen noch zu verdammen, fie ruhig zu studiren, sie kalt zu beurtheilen, ih ren Ursprung zu erklären, ihre Gründer zu kennzeichnen und ihnen burch die Analysis ihrer Schriften, wie durch die Schilderung ihres Lebens, in der Geschichte der neueren Gesellschaft und des menschlichen Geistes ihre angemessene Stelle anzuweisen. Dieser Aufgabe ent sprach ein beharrlicher und gemäßigter Denker, der sein Leben der Wissenschaft und der Wahrheit geweiht hat. Fast dreißig Jahre lehrte Herr Damiron den aufeinanderfolgenden jungen Geschlechtern, die sich um ihn schaarten, im Tone durchbrungener Ueberzeugung und mit einer gewiffen strengen Salbung eine untadelhafte Philofophie, und gab ihnen die Grundsäße und die Muster einer Kritik, die mit den Waffen der Vernunft ausgerüstet ist gegen Vorurtheil, Zweifel und Täuschung. Während er seine Lehren in einer Reihe von Spezialwerken niederlegte, studirte und beschrieb er zugleich die verschie

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1858.

denen Epochen der französischen Philosophie. Seinen Ruhm begründete er durch ein Werk über die Anfangsepoche unseres Jahrhunderts; dann ging er auf den Ursprung der neueren Schule zurück und zeichnete die Bilder der Zeitgenossen und der französischen Gegner Des cartes'. Es war ein vollständiges Gemälde der einen Seite des sieb zehnten Jahrhunderts. Noch blieb ihm das achtzehnte Jahrhundert zu schildern, und er that es in einer Reihe biographischer und kritischer Memoiren, die er soeben in zwei Bänden veröffentlicht hat.

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Auf den ersten Blick könnte man die Nothwendigkeit, sich mit den dii minorum gentium des philosophischen Olymps zu beschäftigen, in Abrede ftellen. Wer lieft heutzutage d'Argens over Lamettrie? Selbst an Helvetius denkt faft Keiner. Man weiß einige Verse aus den Saisons" von Saint-Lambert, aber seine moralischen Schriften find vergessen. Wer kennt Holbach, Naigeon, Sylvain Maréchal, Lalande, Robinet? Indeß an der Unerschrockenheit, mit der sie ihre Meinungen aussprachen, die wir gegenwärtig beffer zu verbergen verftehen, erkennt man Männer, die ihres Publikums gewiß waren und nur die Staatsgewalt zu schonen hatten. Die Gemüthsruhe, mit der fie fich durch ihre verhöhnenden Negationen über die älteften Glaubenslehren der Menschheit wegfesten, erweckte den Neid bei manchem Leser und rief die Nachahmung hervor. Eine Sprache, die klar scheint, weil fie wenig Schattirungen hat, macht Allen solche Lehren zugänglich, die ihrer Natur nach dem gemeinen Verftande leicht faßlich sind. Diese Schriftsteller kennzeichnen daher ihre Epoche weit treffender, als die Schriftsteller ersten Ranges. Damiron hat also bei der mühseligen Arbeit, oft mittelmäßige, meist vergessene Werke zu analyfiren, seine Zeit nicht verloren: fie waren zur Zeit bedeutend und hatten ihre Wirkung. So zeichnete er den geistig-sittlichen Zustand, in welchem die fran zöfifche Gesellschaft durch die Regierung Ludwig's XIV. zurückgelassen wurde. So wies er nach, von welchen Uebeln unsere Väter sich um jeden Preis zu heilen fuchten, zu welchen gewaltsamen Mitteln, zu welchen gewagten Verordnungen sie Zuflucht nahmen.

Kein Mensch zweifelte damals, daß das Vernunftreich gekommen. Die tollkühnsten Ideen machten Keinen stußig und man ließ dem Denker die vollen Zügel schießen. Diese Schriftsteller, die größtentheils sicherlich nicht hoch zu stellen sind, haben dennoch im Allgemeinen den Vorzug vor ihren jeßigen Tadlern, daß sie von dem menschlichen Geifte eine gute Meinung hatten und viel von ihm erwarteten., Sie schrieben nicht, um das Denken einzuschüchtern. Nicht so ängstlich, wie unfere Zeitgenossen, wollten sie bis zur Wahrheit vorbringen; anstatt die Festung zu umgehen, legten sie die Sturmleitern an. Ein seltsamer Gegensaß das, den uns der Schauplaß des achtzehnten Jahrhunderts bietet! Der Philosophie fehlte es an Größe, und doch fühlte sich der menschliche Geift niemals größer. Die Theorie ohne Schwung, und die Absichten so erhaben! Die Wissenschaft sinkt, und der Mensch richtet sich auf. Diese namenlosen Förderer eines gemeinen Materialismus, die Damiron uns so gründlich kennen lehrt, glühen für die Menschheit, die sie herabseßen; glauben an den Sieg des Gedankens, dem sie seine Würde entreißen, ja das Dasein absprechen. Damiron übersieht diese unvermittelten Widersprüche nicht, ja bisweilen entwaff nen sie seine Strenge. Indeß unterordnet er seine Urtheile keinem gelegentlichen Intereffe: er zieht nur seine Vernunft zu Rathe. Echter Philosoph genug, um die Philosophie selbst philofophisch aufzufafsen, sucht er die Wahrheit und sagt fie, auf die Gefahr hin, daß die Wahrheit die Philosophie bloßstellen könnte. Seine ruhige Weisheit will Keinem gefallen, Keinem schaden; hat er gesprochen, wie er denkt, so ist er zufrieden. Daher könnten ihn manche Leser für streng halten, wo er uneingenommen ist; andere ihn der Inkonsequenz bezüchtis gen, weil er, die Theorieen verurtheilend, die Absichten freispricht; weil er unter den verderblichen Irrthümern ein löbliches Streben hervorhebt; weil er, den Eroberungen des Jahrhunderts freudig huldigend, über die Systeme den Stab bricht. Wir aber rechnen ihm die Unparteilichkeit hoch an, die über dem Uebel das Gute nicht verkannt: das ist der unausbleibliche Ruhm eines guten Richters. Eins dürfte vielleicht zu bedauern sein, daß er, die Verwirrungen einer Metaphys

fit, die durch Verstümmelung des geistigen Menschen die Grundlagen der Religion und Moral erschütterte, brandmarkend, nicht vollständig erklärt, wie aus dem Schoße der Irrthümer des Systems die koftbarsten Wahrheiten für die gesellschaftliche Ordnung geboren werden konnten; daß er uns den Nachweis schuldig geblieben, wie man die Philosophie des achtzehnten Jahrhunderts bestreiten und sich dennoch zu dem Geifte von 1789 bekennen könnte. Bersot, deffen Philosophie es nicht scheut, in die Politik hinüber zu greifen, hat auf diese dunkelen Punkte manches Schlaglicht geworfen; versuchen auch wir es, nach ihm etwas zur Lösung des Problems beizusteuern.

(Fortseßung folgt.)

Afien.

Kolenati's Reifen im Kaukasus. (Schluß.)

Am 13. (25.) August des Morgens gingen wir auf dem sich von Sameba westlich hinziehenden, immer steiler ansteigenden Gebirgskamme über Alpenwiesen, die mit der kaukasischen Alpenrose, welche dieses Jahr ihre Fruchtkapseln in Fülle entwickelt hatte, bedeckt waren, nach einem von Ziminda Sameba 4 Werft entfernten, den Georgiern wie den Offen und. Inguschen heiligen Orte, welcher durch eine von aufgehäuften Steinen errichtete Pyramide bezeichnet ist und Bethlem genannt wird. Auf 20 Schritt nur, welche durch einen Kreis von Steinen befest sind, nähern sich die Eingebornen der Pyramide. Wir hielten uns nur so lange auf, als die barometrische Messung, welche eine relative Höhe von 549 Toisen über der Station Kasbek nachwies, dauerte, und stiegen eine sehr steile Strecke von 4 Werst bis zu Nino Zminda, einem zerfallenen, aus aufgeschichtetem, trachytischem Gestein bestehenden kleinen Gebäude, das im vorigen Jahre den Schnee in der Nähe hatte, von dem er aber dieses Jahr noch eine Werft weiter entfernt war. Alle Phanerogamen waren in dieser Höhe verschwunden, und nur Moos- und Flechten-Arten bedeckten das anstehende Gestein der schneefreien Stellen. Ein starkes mit Schneesturm vermischtes Regenwetter, die niedere Temperatur von + 3° R. zwangen uns, ein wo möglich bequemes und vor Sturm geschüßtes Nachtlager aufzusuchen. Wir ließen uns in eine 16 Toisen tiefe Schlucht hinab und schlugen das Nachtlager auf einer in der Nähe des ewigen Schnees noch mit niedlichen Alpenpflänzchen bedeckten Dase auf, welche 568 Toisen hoch über der Station Kasbek lag. Der Gebirgskamm, auf welchem Nino Zminda steht, zieht sich noch 14 Werft südwestlich fort und war daselbst ganz mit Schnee bedeckt; auch in der Schlucht war noch an mehreren Stellen alter Schnee. Durchnäßt und erstarrt von der in dieser Höhe empfindlichen Kälte, wie wir waren, leisteten uns einige von Bethlem mitgenommene Bündel der Alpenrose gute Dienste zum Feueranschüren. Für mich wurde durch Zusammenstellen der Gebirgs ftöcke und Ueberhängen des grusinischen, zottigen Mantelkragens (Na badi) ein Zelt improvisirt, in welchem ich zusammengekauert lag. Das transkaukasische Huhn (Megaloperdix caucasica) stimmte seinen Abendgefang an. Das nahe Geheul der Wölfe und das Herumkreisen der Alpendohle verriethen doch einiges Leben in dieser von Felsen, Gerölle, Schnee, dem Gletscher und dem unter ihm brausenden Tschchari (dem schnellen Waffer) begränzten Einöde.

Der 14. (26.) August begann mit sehr heiterem Wetter. Wir brachen daher schon vor der fünften Morgenstunde, nur mit dem Nothwendigsten versehen, auf, feßten über einen Ursprungsarm des Tschchari und waren nun gezwungen, den Weg quer über einen Gletscher zu nehmen. Mit einem angeschnallten Steig-Eisen überschritten wir den 400 Schritt breiten Gletscher bis zu einer 20 Fuß hohen Endmoräne eines nicht mehr eristirenden Gletschers. Nach Ueberschreitung der Moräne fanden wir, daß sie noch am Gletscher lag, aber keine Gufferlinie ift. Hinter derselben war derselbe Gletscher, doch stark, oft 18 Sajen (126 Fuß) tief, zerschründet. Nach einigen Umwegen gelangten wir zu einer engeren Schrundstelle und überschritten dieselbe. Die Ende moränen wiederholten sich, indem sie immer kleiner wurden, und endlich ging es noch 106 Schritte über dieselbe Gletscherunterlage. Hierauf mußte aber am öftlichen Abhange eine 250 Fuß hohe, sich von Nord nach Süd gegen 1000 Schritt hinziehende. Endmoräne überschritten werden, oberhalb deren wir einen großen und breiten Gletscher fanden, der aus zwei einzelnen mit einander verbundenen Gletschern bestand. An diesem Orte fanden wir auch die Fährte und Losung des kaukasischen Steinbocks, und die Führer bezeichneten mir diese Stelle als Steinbocksweide (Dgschichwi mtha). Deshalb fanden wir auch in der Nähe dieser Dase eine Mauer von auf einander gelegten Felsstücken mit Schießscharten, wo sich die Steinbockjäger verstecken. Die Wölfe heulten, und ich schickte deshalb den Gregor Pizchelauro, aus Besorg niß, daß die 3 Werft entfernt zurückgelassenen Eswaaren und zwei Packesel vielleicht eine Beute der Wölfe werden könnten, an den Urbarmachungsort zurück. Von jezt an ward das Höhersteigen durch das Aufsuchen eines Weges von Schritt zu Schritt schwerer; denn

auch meine Führer und, wie sie mir erzählten, im Jahre 1811 ein Parrot und im Jahre 1829 Meyer sind nie weiter vorgedrunge bu An massenhaftem, anstehendem, durch Flechtenüberzug glattem Ande mi und Basaltgestein schlüpften wir 14 Werft weit hin, und es wurde ih um uns noch leichter zu machen, nach genauer Revision alle entbe zu lichen Dinge zurückgelaffen; nur die Meßinstrumente, die Art, de mi Hammer, die Stricke, eine zinnerne Flasche mit Rum, etwas offe gef scher Käse und Brod, von welchen lehteren Eßwaaren ein Jeder ve fich uns sich die Tagesportion in die Taschen steckte, wurde mitgenommen a Auf dem von unserem Standpunkte nördlich, vom Kasbek, ger fich hinziehenden Felsenkamme stand ein steinernes Kreuz, welche Stimi 3minda Nino genannt wird und als ein von einem daselbst lebend yo Mönch erstiegener Punkt gilt. Das Kreuz ist an Ort und Stelle du dem Gestein zugehauen worden und ist 2 Fuß hoch. Auf ebendas ich selben Felsenkamme, dem Gipfel des Kasbek um Werst näher, findet sich eine Höhle, welche Monastir genannt wird und in sich die Eingebornen die Wiege Christi, Maria's Kleider und Schäße verseßt denken.

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Plöglich eröffnete sich uns die Aussicht auf eine an 2 Werft la und Werst breite Schlucht, welche füdlich von einem Felsenkam östlich von der großen Moräne, nördlich von dem jezt erwähr Felsenjoche und nordwestlich vom Schneekegel des Kasbek begri w wird. Nach der Höhe der Gränzen und Breite der Schlucht schließen, muß dieser Riesengrund eine bedeutende Tiefe haben h scheint mir ein Krater zu sein. Er ist ganz mit Gletscher-Eis a f gefüllt und an der Oberfläche mit den sogenannten Eisnadeln (thu ähnlichen Eiskoloffen) und Gletschertischen bedeckt. In der Mitte eine Gufferlinie, welche aber zum Theil von herabgeworfenen Schne ni massen, sogenannten Bergschründen des Kasbek, bedeckt ist. Diefe in Jahr waren besonders unförmliche Massen Schnee daselbst, weil der fo Kasbek seine im vorigen Jahre öftlich geneigte Schneekappe abgenom men hatte. Um den uns der Beschaffenheit nach noch nicht bekannten großen Gletscher zu umgehen, wandten wir uns an die von uns nördlich stehenden Felsenwände und stiegen mühevoll über das an stehende Gestein weiter nach Westen. Da wir aber endlich sahen, das bedeutende Gletschertische vorhanden waren, bogen wir gegen der Gletscher und stiegen auf der nun immer steiler ansteigenden mit einer halben Arschin frisch gefallenen Schnees bedeckten Gletschermafi mit gehöriger Vorsicht aufwärts, bis uns unsere eingestochenen Alpenstöcke und die Blendung anzeigte, daß wir auf Firnen wandelten. Ich d sezte Schneegläser an die Augen und die Führer machten sich mit zerriebenem, naßgemachtem Schießpulver schwarze Ringe um die Augen. w Ungefähr in einem Sechstel des Breitendurchmessers dieser Krater- ei schlucht mußten wir an vier Stellen über die tückisch überbrückten vo Firnschründe seßen. Ein Schrund hatte 65 engl. Fuß, der andere & 210 Fuß Tiefe. Lesterer mußte auf einer Brücke, die in ihm 2 (sic) Ar- a schinen tiefer lag, so überschritten werden, daß wir uns an einem n Seile, das Ziflour, indem er es um den Leib band, herüberbrachte, f festhielten, welches der Lezte ebenfalls um den Leib binden mußte, um hinüber zu kommen. Eine Strecke von Werft mußten Stufen in den Firn geftampft, später sogar in das Hocheis mit der Art ein gehauen werden. Den Ausgleitenden drohte ein Firnschrund von 168 Fuß Tiefe zu verschlingen. Die Steilheit war so groß, daß, wenn man aufrecht stehend die Hand lothrecht auf die Neigungsfläche ausstreckte, nur ein Fuß Raumes fehlte, um die Neigungsfläche mit den Fingerspigen zu erreichen; es bildete sich also ein Winkel von 35° zwischen der lothrecht stehenden Person und der Neigungsfläche.

Zweimal versagten die Führer das Weitersteigen; doch folgten fie wieder, als ich selbst, mit der Art voranschreitend, Stufen einhieb. Nach mühevollem Klettern, wobei wir nicht in die Tiefe sehen durften, erreichten wir um 34 Uhr Nachmittags eine Stelle der Kuppe, an der aus dem öftlichen Theil ein kleiner nackter Felsen hervorragte, der uns zum Ruhepunkte diente. Es gab Stellen, die einen Neigungswinkel von 37° und darüber hatten. Die Barometermessung ergas 1393 Toisen über der Station Kashek oder eine Höhe von 2308 Toisen über der Meeresfläche. Die Aussicht erstreckte sich nicht weit, Alles war in Nebel gehüllt. Hierauf wurde eine zinnerne Flasche geleeri, eine Inschrift in dieselbe gelegt, die Flasche zugeschraubt, auf die äußere Seite der Flasche die Jahreszahl und der Tag eingravirt und dann Felsstücke pyramidenartig auf dieselbe gelegt. Ein scharfer Wind blies zum Aufbruch und die unserer beim Hinabgleiten noch harrenden Gefahren mahnten ebenfalls ernstlich zur Rückkehr. Wäre nicht der Firnschrund unter uns gewesen, so wären wir über die Schneefläche auf unseren Gebirgsstöcken hinabgeglitten. So mußten wir in unsere alten Fußstapfen treten, welche bereits zusammengefroren waren. Wir kürzten uns den Weg dadurch ab, daß wir am Firn und Gletscher nach unserer Uebersicht von oben eine Diagonale beschrieben. Dennoch kamen wir erst um 9 Uhr Abends an der Dgschichwi mtha unterhalb Zminda Nino an und übernachteten hier. An einander ge preßt und zusammengekauert erwärmten wir uns. Ziklour wurde von

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