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In der Einleitung zu dem unten angezeigten,) nenaufgelegten Werke von Isaak Disraeli giebt sein Sohn, der jeßige Schaß-Kanzler Benjamin Disraeli, außer einer Charakteristik des Verfassers, auch interessante Nachrichten über Herkunft und Schicksale seiner Fa milie, die wir auszüglich meist mit seinen Worten hier wiedergeben wollen.

,,Mein Großvater", fagt der Herausgeber,,,der fich 1748 in England niedergelassen hatte, war aus Italien hierher gekommen. Er stammte aus einer jüdischen Familie, die, am Ende des funfzehnten Jahrhunderts durch die Inquifition aus Spanien vertrieben, in der toleranten Republik Venedig eine Zufluchtsstätte gefunden hatte. Seine Vorfahren ließen bei ihrer Niederlaffung auf Tierra firma ihren gothischen Zunamen fallen und legten sich, aus Dank gegen den Gott Jakob's (Ifraels), der ihnen in beispiellos harten Prüfungen beige standen und fic in unerhörten Gefahren beschüßt hatte, den Namen Disraeli bei, den keine Familie vor und nach ihnen geführt,**) damit ihr Stamm für immer kenntlich bleibe. Ungestört und unbelästigt blühten sie als Kaufleute mehr denn zwei Jahrhunderte unter dem Schuße des Löwen von St. Marcus; was nicht mehr als recht und billig erschien, da der heilige Schußpatron der Republik selber ein Kind Israels war. Allein um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts lenkte der veränderte politische Zustand Englands, der für Handel und religiöse Freiheit sich so günstig zeigte, die Aufmerksamkeit meines Großvaters auf dieses Eiland, und er beschloß, daß sein Jüngster, Benjamin,,,der Sohn seiner rechten Hand", sich in einem Lande niederlaffen sollte, wo das Haus Hannover, nach dem verfehlten Zug des Prinzen Karl Eduard, auf die Dauer gegründet und die öffent liche Meinung der Verfolgung wegen Glaubens- und Gewiffenssachen entschieden abgeneigt schien.

,,Die damals in England ansässigen jüdischen Familien waren der Zahl nach gering, obgleich in Betracht ihres Reichthumes und anderer Umstände nicht unbedeutend. Alle waren Sephardim, b. h. Ifraeliten, die niemals die Küften des Mittelmeeres verlaffen hatten, bis sie, von Torquemada aus ihren freundlichen Wohnungen und reichen Befizungen in Arragonien, Andalusien und Portugal verjagt, nach dem Wanderstab griffen, um die größeren Segnungen als selbst ein klarer Himmel und eine glühende Sonne, in den Sümpfen Hollands und den Nebeln Britanniens zu suchen. Die meisten dieser Familien, die sich von den nur gelegentlich in England eingeschlichenen NordEuropa's, als von einer niedrigeren Klaffe, fernab hielten, sind jest erloschen; die Synagogen, die ausschließlich dem sephardischen Ritus geweiht waren, find eingegangen; während der Zweig der großen Familie, auf die fie, troß der eigenen Leiden unter dem Vorurtheil, hochmüthig herabsahen, sich zu einem Grad von Reichthum und Anfehen erhob, den sie selbst unter dem Patronat Pelham's nicht für erreichbar hielten. Dennoch fanden sich zur Zeit, wo sich mein Großvater in England niederließ und der den Juden sehr geneigte Pelham Premier-Minister war, unter den jüdischen Familien die Villa Neal's, die von ihren Küsten einen Reichthum mitbrachten, der ebenso groß wie ihr Name war, obgleich dieser dem Range nach der zweite in Portugal ist und sie sich zweimal mit der englischen Aristokratie verschwägert hatten; die Medina's, die Lara's, die mit uns verwandt waren; die Mendez da Cortas, die, wie ich glaube, noch existiren.

„Meine Großmutter, die schöne Tochter einer Familie, die unter

*),, Curiosities of Literature". By Isaac Disraeli. A new edition, edited with Memoir and Notes, by his Son, the Rt. Hon. B. Disraeli, Chancellor of Her Majesty's Exchequer. In Three Vol. (Routledge.)

**) Disraeli ist offenbar eine Zusammenschweißung der Präpofition de mit dem hebräischen nomen gentilitium: jisraeli (der Ifraelit), und diesen Beinamen hatte schon ein sehr gelehrter Rabbi, Isaac ha-jisraeli, Arzt und Verfaffer mehrerer philosophischen Werke um die Mitte des elften Jahrhunderts. Der Vater des Schaßkanzlers schrieb auch seinen Namen immer D'Israeli, und die jeßige Schreibart ist erst von seinem Sohne beliebt worden. D. R.

1858.

den Verfolgungen viel gelitten, hatte dadurch gegen ihren Stamm einen Widerwillen eingefogen, für den der Eitle nur zu empfäng lich ist, wenn er findet, daß seine Geburt ihn der öffentlichen Verachtung preisgiebt. Das empörende Gefühl, das dem Verfolger vorbehalten bleiben sollte, sucht nur zu oft das verfolgte Opfer in der Kränkung gereizter Empfindlichkeit heim, und die Ursache dieser. Quä» lerei wird nicht in der dummen Bosheit des Mächtigen, sondern in dem demüthigenden Selbstbewußtsein des unschuldig Leidenden er

fannt."

... Mein Großvater war ein Mann von feurigem Charakter, sanguinisch, muthig, ein spekulirender Kopf und ein Glückskind; kein Verdruß vermochte seine Gemüthsruhe zu stören, und mitten unter Widerwärtigkeiten wußte sein fruchtbarer Verstand neue Hülfsquellen zu entdecken. Er gründete sein Glück im Mannesalter, ließ sich in der Nähe von Enfield nieder, legte einen ́italiänischen Garten an, bewirthete seine Freunde, spielte Whist mit Sir Horace Mann, seinem vornehmen Umgang, der seinen Bruder, den Banquier, in Venedig kennen gelernt hatte; aß Maccaroni, die beim venezianischen Konsul zuberei tet wurden; sang Canzonette, und mit einer Frau, die ihm nimmer feinen Namen verzieh, und mit einem Sohne, der alle seine Pläne durch kreuzte und der ihm bis zur leßten Stunde ein Räthsel geblieben war, lebte er fast neunzig Jahre und starb 1817 im Vollgenuß eines langen Daseins."

Das nächste Bild ist Isaak Disraeli's in feinen frühesten Jahren: „Ein blasses, sinniges Kind, mit großen, dunkelbraunen Augen und wallendem Haar, wuchs er unter diesem Dache weltlicher Thätigkeit und Lust auf und zeigte schon in der Kindheit, was er durch den ganzen Verlauf seiner Bahn bewährte: daß er einer ganz anderen Wesenordnung angehörte, als diejenige war, in der er lebte. Schüchtern, empfindlich, träumerisch, zog er sich gern in die Einsamkeit zurück oder suchte, als seine liebste Gesellschaft, ein Buch. So schlichen die Jahre dahin, bis er an der trüben Epoche des Knabenalters stand, wo feine Excentrizitäten die Aufmerksamkeit, aber keine Sympathie erweckten. Da begann die Zeit der häuslichen Kritik. Seine Mutter, zwar nicht unempfänglich für tiefe Zuneigung, aber durch ihre gesellschaftliche Stellung so verbittert, daß fie achtzig Jahre alt wurde, ohne jemals einen Ausdruck von Zärtlichkeit über ihre Lippen zu bringen, erkannte in ihrem einzigen Sprößling kein mit dem Vermögen begabtes Wesen, das ihm bevorstehende Geschick zu meistern oder zu besiegen. Diese Existenz diente nur dazu, ihre mannigfaltigen Demüthigungen noch zu vermehren. Er war für sie keine Quelle der Freude, der Sympathie, des Troftes. Sie sah für ihr Kind nur eine Zukunft der Herabwürdigung voraus. Mit ihrem starken, klaren Verstande, ohne alle Einbildungskraft, glaubte sie ihren Sohn ohne Einspruch der Verurtheilung der Gesellschaft verfallen. Die scharfen, höhnenden Bemerkungen ihrerseits reizten die poetische Empfindlichkeit von der anderen Seite. Wenn sie nun bis zur Wuth gegen einander aufwallten, ohne daß ein gewöhnlicher Verstand, wenn er auf den Grund ging, irgend eine ausreichende Ursache gefunden hätte, dann trat mein Großvater mit seinen gutmüthigen Gemeinplägen dazwischen, um den Sturm zu befchwichtigen und Frieden zu vermitteln. Für das einzige Mittel aber, die Menschen zufrieden zu stellen, hielt er, ihnen ein Geschenk zu machen. Er nahm es für ausgemacht an, daß der Zorn ei nes Knaben am besten durch ein Spielzeug oder eine Guinee geftillt wird. Als später mein Vater einmal aus dem Hause entlief und, nachdem er sich einige Zeit umhergetrieben, von dem Kirchhof zu Hackney, wo man ihn auf einem Grabstein liegend fand, heimgeholt wurde, umarmte ihn mein Großvater und schenkte ihm ein Pony.“

Ein Herr Morison war der erste Privatlehrer Isaak's; da aber die öffentliche Schule dem älterlichen Hause nahe war, so hörte allmählich der Privatunterricht auf. Er machte zunächst ein Gedicht, und der Vater, darüber ernstlich beunruhigt, überschickte ihn wie einen Ballen Waaren an einen Handelsfreund in Amsterdam. Hier wurde der Knabe in ein College gethan, und unter der Leitung eines glühenden Anhängers der Philosophie des achtzehnten Jahrhunderte las er Voltaire und Bayle und kehrte als Rouffeau's Jünger nach England zu

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rück. Der Auftritt Emile's so nennt ihn der Herausgeber mit seiner Mutter, als er mit hagerem Gesicht, langem Haar, fahrigem Wesen und unleidlichem Anzuge vor ihr erschien, wird mit lebhafter Färbung beschrieben. Man machte ihm den Vorschlag, in ein Kaufmannsgeschäft in Bordeaur zu treten; er antwortete, er habe bereits ein Gedicht gegen den Handel,,,den Verderber des Menschengeschlechts", geschrieben; seine Freunde betrachteten ihn als verrückt. Nachdem er fein Gedicht Dr. Johnson überschickt und sich vergebens bemüht hatte, sich ihm persönlich vorzustellen, da der große Kritiker auf dem Sterbes bette lag, verließ er wieder England und suchte hauptsächlich Unter haltung in den Buchhandlungen zu Paris.

Bei seiner Heimkehr, ärndtete er seinen ersten Erfolg durch ein anonym herausgegebenes und dem Dr. Wharton gewidmetes Gedicht, in welchem Peter Pindar, damals auf der Höhe feines Rufes, schimpf lich angegriffen wurde. Der verwundete Satiriker, der Hayley für den Verfasser hielt, rächte sich durch eine Schmähschrift an dem Verfaffer der,,Triumphs of Temper" und trug so zu dem Nuhm des unbekannten Dichters bei. Der wirkliche Verfasser des „, Abuse of Satire" konnte nicht lange verborgen bleiben und Isaak Disraeli machte bald darauf Bekanntschaft mit drei verwanden Geistern: Pye, damals Parlaments-Mitglied für Berkshire und später poeta laureatus, James Pettitt Andrews und Samuel Rogers. Sie begannen gemeinschaftlich die Sammlungen, die in die berühmten,, Curiosities of Literature" ausliefen, da nach diesen Leckereien mehr, als nach gesunder Kost der Literatur die Nachfrage stets im Wachsen war. Dr. Wolcot, der den Namen des Verfassers des „, Abuse of Satire" erfahren hatte, beglückwünschte diesen in einem Schreiben und sprach darin den Wunsch aus, seine Bekanntschaft zu machen. Er folgte der Einladung, und sie wurden vertraute Freunde. Durch Dr. Wolcot's Vermittelung zog er zu seiner Wiederherstellung in das gesunde Klima von Devonshire und wurde hier in den ausgezeichneten Kreis wissenschaftlicher Männer, wie Jackson, der Tonkünstler, Hayter, der Alterthumsforscher, Hobbs und Andere, die damals in Exeter lebten, eingeführt.

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Ueber das poetische Talent seines Vaters äußert sich der Herausgeber: Es fehlte ihm nicht an Phantasie, Gefühl und auserlesenem Geschmack, aber wohl an der schöpferischen Macht, die sich nur unter den Einfluß einer mit dem Zeitgeist sich gattenden eigenthümlichen Organisation vollkommen zu entwickeln vermag; der Mangel jener Macht wird in den Uebergangsperioden allgemein anerkannt und schmerzlich vermißt; aber wenn sie eintritt, dann erobert sie, so zu sagen, durch Ueberrumpelung"...

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Seine Schriftstellerlaufbahn begann er erst in seinem fünfund vierzigsten Lebensjahr, und doch lieferte er von 1812-1822 eine Menge Werke. Den Curiosities of Literature" folgten „, Calamities of Authors", „Essay on the Literary Character", „Memoirs of Literary Controversy", Inquiry into the Literary and Political Character of James 1." Das „The life and Reign of Charles I." war eine durch gearbeitete Schrift, die ihrer Zeit großes Aufsehen machte, obgleich die darin ausgesprochenen Ansichten den später herrschenden und gegen= wärtig fast allgemein gewordenen schnurstracks entgegenlaufen. Dieses Buch hat dem Verfasser auch den Grad als L. L. D. (Doktor der Rechte) erworben, den ihm die Universität Orford mit der rhetorischen Schmeichelei ertheilte: „Optimi Regis optimo Vindici" (des besten Königs bestem Anwalt).

1839 traf ihn ein Nervenschlag, der ihn des Gesichts beraubte und seinen großen Plan zu einem Werke über die Geschichte der englischen Literatur vereitelte. Von da ab verdankte er die Möglichkeit, fich mit seinen Lieblingsstudien zu beschäftigen, der Pflege einer liebe vollen Tochter. Er starb, zweiundachtzig Jahre alt, und nahm noch die freudige Nachricht mit in's Grab, daß alle feine Werke vergriffen feien und eine neue Auflage nothwendig machten.

Die einleitende Denkschrift schließt mit einer Beschreibung Isaak Disraeli's. Er wird geschildert als ein hübscher Mann mit einer Bourbons- Nase, braunen, glänzenden Augen von feltener Schönheit. Seinen Charakter stellt der Sohn, vielleicht mit einiger Parteilichkeit, die uns nicht überraschen darf, neben Goldsmith's und fügt hinzu: „Nur in Einem Zuge glich mein Vater nicht Goldsmith: er war ohne alle Eitelkeit; vielmehr gehört zu seinen wenigen Schwächen der völ lige Mangel an Selbstschäzung.“

Daß der Sohn nicht die Probe dieser Schwäche geerbt hat, da von kann der Leser sich in jeder Zeile überzeugen, ohne daß dadurch fein Genuß an der gewandten Darstellung des talentvollen Schrift stellers im geringsten geschmälert werden dürfte.

Nord-Amerika.

Thomas Jefferson, sein Leben und sein Briefwechsel.

III.

Schon beim Beginn der französischen Revolution hatten die föderalißischen Staatsmänner deren verborgene Schwächen durchschaut,

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Zweifel über deren Erfolg gehegt und unverhohlen widerstrekt Union mit einem Volke zu verbünden, deffen Kraft sie durc Anarchie für gelähmt und dessen Beispiel ihrem eigenen kan verderblich hielten. Unter dem 19. April 1790 schrieb Adan Richard Price:,,Seit 1760 habe ich mein ganzes Leben der theidigung und Verbreitung des Freiheitsfinnes geweiht. Die fische Revolution fann mir daher nicht gleichgültig sein; allen schreckliche Erfahrung hat mir die Lehre gegeben, mich mit 3zu freuen; die Encyklopädisten und die Dekonomisten Ty d'Alembert, Voltaire und Rousseau haben mehr zu diesem Umschwung beigesteuert, als Sidney, Locke, Handley, ja mehr als die amerikanische Revolution, und ich gestehe Ihnen, mit wissen, was aus einer Republik von dreißig Millionen Gotteslen zu machen ist“. Auch Hamilton beglückwünscht La Fayette unter 6. Oktober 1789 zu den flüchtigen Siegen der constitutionellen mit jener Mischung von Freude und Furcht:,, Als Freund der M heit und der Freiheit, freue ich mich über Ihre Bestrebunger, doch voll Besorgniß für den endlichen Ausgang des unternomme Werkes, wie für das Loos der Männer, die Hand daran gele Wenn beim Empfang dieses Briefes Ihre Angelegenheiten noch Fortgang haben, werden Sie mich fragen: woher diese trüben Aha da ja aller Anschein für Sie günstig ist. Ich will es Ihnen sa weil ich Zerwürfnisse unter denen fürchte, die jezt noch vereint f weil ich den Ungeftüm Ihres Volkes, die Hartnäckigkeit Ihres S die Träumereien Jhrer politischen Philosophen fürchte“... Auch Jefferson hatte seine Besorgnisse über den Ausgang der französischen Revolution; jemehr aber die Thaten sie reinigen, desto kecker wies er sie zurück, als unwürdig eines guten Republikaners. Die jakobinische Peft arbeitete zu sehr seiner Partei in die hind als daß er die Verwüstungen, die sie in Europa anrichtete, beflage mochte. Es paßte in seinen Kram, zwischen seiner Partei und h Pariser Demagogen eine gewisse Solidarität herzustellen, und erst für ihre Ausschweifungen die optimistische Nachsicht, die er ehe für die Tollheiten der amerikanischen Gleichmacher (Levellers) kannt hatte. Selbst die September-Mezeleien fanden Gnade v seinen Augen. Dem jugendlichen Diplomaten, Herrn Short, Sec tair der amerikanischen Gesandtschaft in Frankreich, verweist er väterlichem Tone die allzulebhafte Sprache gegen den Henker da Abtei:,,Kaum dürften diese Aeußerungen nach dem Geschmacke Jhrer Landsleute sein. Seit einiger Zeit ist mir der Ton in Ihren Briefen peinlich... Freilich fallen in einem nothwendigen Kampfe unter vieler Schuldigen auch einige Unschuldige. Ich beweine sie, wie irgen Einer, und werde sie bis zu meinem Todestage beweinen, aber so, wi ich es thäte, wenn sie in der Schlacht gefallen wären. Man muß von dem Arm des Volkes Gebrauch machen, und dieses Werkzeug, wen auch nicht so blind, wie Kartätschen und Bomben, ist doch bis a einen gewiffen Grad blind. Eine kleine Zahl seiner wärmsten Freun hat durch daffelbe das Loos erlitten, das dem Feinde zugedacht # die Zeit aber und die Wahrheit werden ihr Gedächtniß in unget tem Glanz wiederherstellen, ihre Nachkommen werden die Freiheit ş nießen, für die sie ohne Zaudern das Leben geopfert hätten. D Freiheit auf der ganzen Erde hing von dem Ausgange des Kampit ab. 3ft jemals eine solche Eroberung um den Preis von so wer unschuldigem Blut gemacht worden? Mein persönliches Gefühl litt unter dem Sieg dieser Sache; aber ehe ich es dulde, daß sie verloren gehe, wollte ich lieber der Verwüstung einer halben Welt zuen! Müßte in jedem Lande nur ein Adam und eine Eva, ein freier om und eine freie Eva, übrig bleiben, Alles würde besser stehen, als jest!" - 1793 war die rothe Müge Mode zu Philadelphia. Freilich rückt Jefferson später in seinen Memoiren den Föderalisten vor, sie die Unverschämtheit gehabt, ihn mit den blutdürftigen französisten Jakobinern zusammenzuwerfen"; freilich behauptete er 1821, er würde als Konventsmitglied nimmer für den Tod Ludwig's XVI. geftimmé haben: und doch klingt der leichte Ton, womit er an Madison über den Eindruck berichtet, den der Tod des Königs in Philadelphia her. vorgerufen, weit grausamer, als selbst der Fanatismus mancher Könige mörder: Die Monokraten sprechen sich weit weniger offen aus, als „Die ich erwartet hätte. Die Frauen in der guten Gesellschaft lassen frei lich ihrer Zunge freien Lauf gegen die Henter eines Fürsten und sprechen die Gefühle aus, welche der vorsichtige Gemahl flüglich unter drückt. Ternant (der Gesandte des franzöfifchen Königs zu Phils. delphia) hat endlich offen die Fahne der Monarchie aufgesteckt und um seinen Fürsten Trauer angelegt. Ich vermuthe, daß das Einstellen seiner Besuche bei mir ein nöthiges Zubehör zu dieser frommen Pflicht sei. Zwischen Hamilton und ihm scheint sich ein Bündniß machen "

wollen"...

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Der politische Muth der Regierungsfreunde hatte bei dem Stande der öffentlichen Meinung keine leichte Probe zu bestehen, die unter dem 22. April vom Präsidenten proklamirte Neutralität in dem Kriege zwischen dem republikanischen Frankreich und England streng aufrecht

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zu erhalten. Nichts schien den Schwung der Gemüther zu Gunsten Frankreichs hemmen zu können.,,Die monokratischen Zeitungen selbst", schreibt Jefferson an Monroe, sind genöthigt, die wüthendsten Phi Tippiten gegen Großbritannien in ihre Spalten aufzunehmen. Neulich hatte eine französische Fregatte ein englisches Fahrzeug auf der Höhe der Delaware-Vorgebirge aufgebracht und die Prise hierher geschickt. Kaum war sie in Sicht, als Tausende und aber Tausende, die zu der Stadtmiliz (yeomen) gehören, die Kais bedeckten und beim Anblick der gesenkten englischen Farben und der hochflatternden französischen Flagge die Luft mit ihrem Jubelgeschrei erschütterten. Gott gebe, daß wir das Gefühl des Volkes in den Schranken einer gerechten Neutralität halten können."

Genet, der neue, Seitens des Konvents akkreditirte französische Gesandte, hatte gewiß nicht die Mission, ihnen diese Aufgabe leichter zu machen; vielmehr glaubte er, Amerika im Interesse seines Vater Landes in den Krieg gegen England hineinziehen zu müssen. Kaum also war er in Charleston gelandet, so hatte er nichts Eiligeres zu thun, als Kaperbriefe auszutheilen, Korsaren zu bewaffnen und Amerikaner zu werben, um sogar in den Gewässern der Union Jagd auf englische Schiffe zu machen. Als ihm aber, wahrscheinlich durch einen heimlichen Freundeswink, bemerklich gemacht wurde, daß dieses ungestüme, polternde Treiben eben nicht geeignet sei, bei Washington Glück zu machen, zog er sanftere Saiten auf und suchte bei Ueberreichung seiner Kreditive, durch übertriebene Schmeicheleien und durch einen Schwall von Betheurungen, wie die französische Republik, fern,,Die republikanische Partei würde klug thun, den Stand der Neutra

1 von allen persönlichen Zwecken und der Absicht, die Union in Krieg zu verwickeln, nur für deren Wohlfahrt die aufrichtigsten Wünsche 1 hege, den Präsidenten günstig zu stimmen. An diesem prallten freis lich die ungeschickten Ueberschwänglichkeiten ab; er blieb kalt und mißtrauisch; desto tieferen Eindruck machten sie auf den Staats-Secretair:,,Seine Sendung", schrieb er an Madison,,,ist die liebevollste und großherzigste, die sich denken läßt. Er bietet Alles und verlangt Nichts, und doch werden seine Anerbietungen zurückgewiesen werden. Sie können sich von dem, was in unserem Konklave vorgeht, keinen Begriff machen; es ist klar, daß es unter den Gliedern des Kabinettes mindestens Einem, wo nicht Zweien, keine große Ueberwindung kosten wird, unter dem Vorwande, den Krieg mit der einen Partei zu vermeiden, über die andere herzufallen und mit den Fürsten einen Bund gegen die menschliche Freiheit zu schließen". Er sei zwar im Kabinetsrath dem Neutralitätsmanifest vom 22. April beigetreten, aber nur aus Klugheit, um die Hamiltonsche Politik desto erfolgsicherer zu bekämpfen. Er tadelte bitter das Aktenstück, „die engherzige Sprache des Abfassers; die Scheu, den leisesten Ausdruck von Sympathie für Frankreich einfließen zu lassen". Er erkenne es auch durchaus nicht als eine wahre Neutralitäts-Erklärung an, welche die Politik des Landes binden könnte. „Die exekutive Gewalt hatte nicht das Recht, den Krieg zu erklären, und war folglich auch nicht berechtigt, zu ers Elären, daß es keinen Krieg geben solle".

Diese seine aufreizenden Vertraulichkeiten beschränkten sich aber nicht auf die Führer der Opposition; auch der französische Agent wurde, wenn man ihm glauben will, in diese Mysterien eingeweiht. Hatte sich nun Jefferson nicht deutlich gegen ihn ausgesprochen, oder hatte Genet schlecht gehört, genug, er warf in seinen Gedanken Washington mit den Föderalisten zusammen und der Präsident erschien ihm end. lich als Spielball in den Händen einer englischen und monarchischen Camarilla, ohne Wurzel im Lande und ohne Wirkung auf die Meis nung; die demokratischen Vereine und die republikanischen Blätter, vor allen die Zeitung von Fréneau, die ihn unablässig aufmunterten, fest und kühn aufzutreten, ihm unablässig zuriefen, das Volk sei für ihn, das Volk allein sei souverain, Washington habe sich der Usurpation schuldig gemacht, indem er, ohne Rücksprache mit dem Kongreß, Die Neutralität erklärt die dünften ihn als die einzigen wahrhaften Organe der Nationalgesinnung. Kein Wunder, daß er sich im Recht und in der Fassung glaubte, Alles zu unternehmen. Aber gerade die Bermessenheit, zu der er sich dadurch verleiten ließ, mußte einen Umschlag in der Meinung hervorrufen, die ohnehin durch die Nachricht von der Schlacht bei Neerwinden und dem Abfall Dumouriez' in dem Bertrauen auf den Sieg der Revolution und auf die Weisheit der amerikanischen Demagogen, die deren Sache zu der ihrigen gemacht, zu warten begonnen hatte. „Wenn der Feldzug unglücklich für die Franzosen ausfällt", rief Jefferson,,,so fürchte ich, die republikanische Hiße des neuen Kongresses, von der ich mir soviel versprochen, werde fich bald abkühlen“. Das schaugestellte Troßbieten gegen das Rezierungsreglement, womit der französische Gesandte gerade in dem Hafen von Philadelphia, unter den Augen der Staatsgewalt, einen Kaper ausrüstete, und seine Drohungen, vom Präsidenten an das Volk zu appelliren, wenn man es wagte, ihm Hindernisse zu machen, empörten den Stolz und den gefunden Sinn der Nation. Hamilton und feine Politik gewannen wieder eine Stüße in der Meinung. UmSonst suchte der beunruhigte Jefferson den unbequemen Bundesgenossen,

den er sich aufgeladen und den er früher so sehr herausgestrichen hatte, zu mäßigen: Die Wahl dieses Menschen zum Gesandten an uns ist ein wahres Unglück" schrieb er. „Ein bißiger Kopf, lauter. Imagination und kein Verstand; in seinen mündlichen, wie schriftlichen Mittheilungen gegen den Präsidenten leidenschaftlich, unehrerbietig bis zur Großheit. Der wüthendste Jakobiner würde sein Benehmen nicht gutheißen. Er macht mir die Stellung entseßlich schwer; auf Augenblicke läßt er sich von mir leiten, bei erster Gelegenheit geht er aber wieder durch: er ist unverbefferlich". — Nicht weniger unlentsam geberdete sich die demokratische Preffe; Jefferson konnte sie fürder weder aufhalten, noch ihr in ihren Tollheiten folgen; obgleich sie aber seinem Zügel nicht mehr gehorchte, hörte fie doch nicht auf, seinen Ruf bei allen rechtschaffenen Leuten zu gefährden. Er mußte nun von Amts wegen mit allem Nachdruck gegen den wühlerischen Agenten Genet verfahren, und fand sich auf diese Weise zugleich bei der Opposition und der Regierung verantwortlich. Da brach ihm der Muth, und troß den Vorstellungen Madison's:,, eine Gelegenheit abzuwarten, um mit Ehren und in den Augen aller guten Bürger gerechtfertigt abzutreten“, überreichte er dem Präsidenten seine Dimission. Das sah aus, wie ein Ausreißer am Vorabend einer Schlacht, und Washington gab es seinem Minister zu verstehen. Bei der Krisis, die bevorstand, bedurfte. der Präsident Jefferson's Namen, und er drang daher in diesen, zu bleiben. Nach reiflicher Ueberlegung nahm ex dann (11. August 1793), seine Dimission zurück und fandte sofort folgende Parole an Madison: lität unvorbehaltlich zu billigen; alle kleinlichen Närgeleien an der Kompetenz der Gewalt, die sie erklärt hat, aufzugeben; den Herrn Genet mit reichlichen Freundschaftsbetheurungen für sein Vaterland vollkommen im Stiche zu lassen. So bringen wir das Volk auf unsere und stellen uns zugleich auf die gute Seite". Er ließ sofort durch den Gouverneur Morris beim Konvent den Zurückruf Genet's verlangen, und als dieser, über die Maßregel erbittert, die Unverschämtheit verdoppelte, sagte ihm Jefferson seine Meinung in dem wegwerfendsten Tone. Seine Freunde riefen ihm Beifall, seine Feinde schwiegen; Washington wußte ihm Dank für den Nachdruck, mit welchem er die Sache der Regierung geführt. Zu seinem großen Glücke geriethen die Anhänger des englischen Bündnisses durch die drückenden Akte Großbritanniens in Betreff des Matrosenpressens und der Verproviantirung Frankreichs bei den Neutralen in eine ähnliche Stellung, wie fie Genet den Freunden der französischen Rapublik bereitet hatte. Jefferson gewann wieder das entschiedene Uebergewicht im Nathe; in fast allen Diskussionen ging seine Meinung durch, und als nun der Tag, den er zum voraus zum Schluß seiner Amtsführung festgesezt hatte, da war, schied er im Triumph, nahm das Vertrauen der Nation und ihres Hauptes mit sich und hinterließ seiner Partei einen großen Bericht an den Kongreß zu Gunsten eines Repressaliensystems gegen Großbritannien auf dem Wege von Handelsmaßregeln, eines der Lieblingsthemen der republikanischen Politik (31. Dezember 1793).

Atlas der Alpenläuder. *)

Wir begrüßen hiermit ein Werk, das sich den zahlreichen, ebenso durch wissenschaftliche Studien, wie durch künstlerische Ausführung, werthvollen Unternehmungen des kartographischen Justituts von Juftus Perthes in Gotha würdig anreiht. Der Atlas der Alpenländer", welcher aus neun großen Blättern bestehen wird, liegt uns in seiner ersten Lieferung vor, die das Titelblatt mit einer Gesammt-Uebersicht des Alpengebietes, sowie die Blätter I und IV enthält.

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Vom 23. bis zum 34° östl. L. von Ferro und von 43° 30′ bis 48° 30' N. Br., reicht die Ausdehnung dieser zehn große Provinzen umfaffenden Karten, während sich der eigentliche Gebirgsstock der Alpen, der auf dem Titelblatte mit klarer Uebersichtlichkeit angegeben ist, von Wiener Neustadt und Gloggniß im Nordosten bis Grenoble und Monaco im Südwesten erstreckt. Wien, Linz, München, Sigmaringen und Basel liegen in ziemlich gleicher nördlicher Entfernung von diesem Gebirgsstock; dagegen befinden sich ziemlich nahe am südlichen Rande desselben Laibach, Udine, Verona, Brescia, Bergamo und Como, sowie am Rande des Mittelmeeres, bis wohin sich der Savoyen und Piemont umringende südliche Ausläufer des Alpenstocks erstreckt, Genua und Nizza. Von den Niederösterreichis schen Alpen und den Karawanken im Nordosten bis zu den Meer- und Ligurischen Alpen im Südwesten reiht sich eine Gebirgskette an die andere, und die Zahl dieser Gebirgsketten mit ihren geographischen Begränzungen giebt uns die Uebersichtskarte auf dreiunddreißig an.

Die beiden Blätter Nr. I und IV umfaffen zunächst die nord

*),,Schweiz, Savoyen, Piemont, Süd-Bayern, Tirol, Salzburg, Erzherzogthum Desterreich, Steiermark, Illyrien, Ober-Italien sc." Nach den neuesten Materialien bearbeitet von J. G. Mayr. Neun Blätter. Maßstab 1:450,000. Gotha, Justus Perthes, 1858.

westlichen Gränzlande des Alpengebietes, den franzöfifchen Jura, die burgundische Ebene mit einem Theile von Lothringen, die Vogesen, die oberrheinische Tief-Ebene, den Schwarzwald und das daran stoßende schweizerische Berg- und Hügelland. Das Alpengebiet selbst beginnt auf unserer Karte erst am Vierwaldstädter See, und das Blatt 1 enthält davon nur die Umgebungen dieses Sees mit dem Rigi-Kulm, sowie weiter westlich den Neuenburger See, woran sich auf dem Blatte IV die Urner und die Schwyzer Alpen (Tödi, Lukmanier, St. Gotthard), die Berner Alpen (Jungfrau, Finftëraarhorn, Diablerets), der Genfer See, die Lepontinischen (Simplon und die Teffiner Alpen), die Penninischen (Mont Blanc, St. Bernhard) und die Grajischen Alpen (Aiguille de la Vanoise, Mont Cenis) schließen. Mit dem Lago Maggiore und den Flußthälern, die zur piemontesischen und lombardischen Ebene hinabführen (Olona, Ticino, Po zc.), schließt das Blatt IV ab, das in technischer Hinsicht als ein kartographisches MeisterStück bezeichnet werden darf. Die verschiedenen Höhen und Berg kuppen, die Gletscher und die Pics, die Seen und die Flußthäler bieten sich hier dem Auge als ebenso viele Gegenstände künstlerischer Betrachtung dar, so sehr hat der Darsteller es verstanden, durch sein nüanzirte Schräffirung, durch Licht- und Schatten-Vertheilung und endlich auch durch geschickte Farbengebung ein in allen Details genaues und doch auch harmonisches Ganzes zu liefern. Es versteht sich von selbst, daß überall die neuesten Ergebnisse der orographischen Forschung benugt sind.

Mannigfaltiges.

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- Eduard Vogel. In Leipzig sind am 10. November direkte offizielle Mittheilungen vom englischen General-Konful in Tripolis an Alex. v. Humboldt in Betreff der weiteren Nachforschungen nach dem Schicksal Ed. Vogel's in Wabai d. d. 22. Oktober- angelangt. Die betreffende Depesche sagt, daß im Frühjahr ein offizieller Courier von Murzuk aus an den Sultan von Bornu abgesandt sei, mit dem Auftrage, Alles aufzubieten, um über das Schicksal Dr. Vogel's Gewißheit zu erlangen. Da aber zu der Reise 12 Monate erforderlich seien, so fehle es noch an Nachrichten über den Erfolg der Sendung. Der ehrwürdige Veteran deutscher Wissenschaft, an welchen diese Mittheilungen auf ausdrückliche Anordnung des englischen Ministeriums gerichtet sind, begleitete, obgleich noch krank, diefelben mit folgenden freundlichen Zeilen an Vogel's Vater, den Direktor Bogel in Leipzig:

,,Was mir heute, auf Befehl von Lord Malmesbury, unmittel bar von dem Konfulat zu Tripolis gefandt ward, hat insofern großes Intereffe, weil es das unverkennbarste Zeugniß darbietet, man verfäume kein denkbares Mittel, um endlich die sichere Nachricht selbst durch die Chefs der Luariks zu schaffen. Der Vorschlag, die Gefäng nisse des Wadai untersuchen zu lassen, ist sicher; aber freilich am vielversprechendsten die Versicherung: keine Geldersparniß!" da wird nichts scheitern. - Laffen Sie uns fo rufe ich Ihnen und der theuren troftbedürftigen Mutter zu - laffen Sie uns noch nicht an Gottes und durch ihn an der Menschen Hülfe ganz verzweifeln. Der kranke König war, auch noch von Tegernsee zurückkehrend, ganz mit Ihrem Eduard warm beschäftigt. Ihr treuer, kaum halb genesener Berlin, 7. November. Humboldt."

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Erman's Russisches Archiv". Diese Zeitschrift, die so reichhaltige Materialien zur Kenntniß eines Landes liefert, das noch immer in gewiffer Beziehung eine terra incognita für das übrige Europa bildet, ist jezt bis zum ersten Hefte des achtzehnten Bandes gediehen.") Dasselbe enthält unter Anderem einen Bericht des Reifen den Semenov über seine Expedition nach dem Thian-Schan, der mit einer Karte versehen ist, welche die Fortschritte zeigt, welche die Erforschung Central-Asiens in neuester Zeit gemacht hat und zugleich bedeutsame Fingerzeige über das allmähliche, aber konstante Vordringen Rußlands in jenen entlegenen Landstrichen giebt. Von besonderem Intereffe ift ferner eine nach amtlichen Quellen bearbeitete Statistik der Leibeigenschaft, aus welcher hervorgeht, daß sich im europäischen Rußland (mit Ausschluß von Polen und dem Groß fürstenthum Finnland) von einer Bevölkerung von 28,613,380 männ lichen Seelen 10,844,902 im Zustande der Leibeigenschaft befinden. Auf 100 Einwohner kommen mithin 37,90 Leibeigene ein Verhältniß, das jedoch in den verschiedenen Landtheilen so ungleich ist, daß, während im Gouvernement Smolensk der Prozentsaß der Leibeigenen 71,67 der gesammten Einwohnerschaft beträgt, dieselben im Gouvernement Archangel nur 0,01 Prozent der Bevölkerung bilden. Im asiatischen Rußland (Sibirien und Transkaukasien) hat, wie es scheint, die,, domestic institution" der Leibeigenschaft keinen rech*)

Archiv für wissenschaftliche Kunde von Rußland". Herausgegeben von A. Erman. Berlin, Druck und Verlag von Georg Reimer.

ten Boden gefaßt; die Zahl der Hörigen beläuft sich dort nur auf 1844 männliche Seelen oder 0,06 Prozent der Bevölkerung. Sehr auffallend ist übrigens der Umstand, daß die leibeigene Bevölkerung in den leßten zwanzig Jahren fast stationär geblieben ist, während die Gesammtbevölkerung des ruffischen Reiches sich um etwa 18 Prozent vermehrt hat. Man schreibt diese Erscheinung, außer den partiellen Freilassungen, vorzugsweise den starken Rekrutirungen zu, welche dem Leibeigenschaftsverbande alljährlich eine Menge Individuen entführen, die, wenn sie auch ihre funfzehn- bis zwanzigjährige Dienstzeit überleben, doch jedenfalls für denselben verloren find, indem sie nach ihrer Entlassung aus der Armee oder Marine nicht wieder in das Hörigkeitsverhältniß zurückkehren.

Das Brandenburger Viertel auf St. Thomas. In dem von der Zeitschrift für allg. Erdkunde“ mitgetheilten ,,amtlichen Bericht" des königl. preuß. Geschäftsträgers Dr. Hesse über die Zustände und Handelsverhältnisse Jamaika's lesen wir folgende intereffante Notiz über ein brandenburgisches Etablissement auf der dänischen Insel St. Thomas: In St. Thomas überwiegt der deutsche Handel jeden anderen, und auch die deutsche Zunge überflügelt in diesem wichtigen Eilande allmählich die französische, englische und spanische Sprache. Das Westende der malerisch auf drei Inseln sich ausbreitenden, vom Meere bespülten Stadt heißt noch das Branden, burger Viertel, an den großen Einfluß erinnernd, den brandenburgische Handelsbestrebungen auf die gegenwärtige Blüthe dieses interessanten Eilandes hatten. Christian V. von Dänemark schloß am 24. November 1685 mit dem Kurfürsten von Brandenburg eines Staatsvertrag, wodurch eine brandenburgische Handelsgesellschaft die Erlaubniß bekam, sich in St. Thomas zu etabliren. Diese Compagnie legte eine große Faktorei an, die schon nach zwei Jahren funfzig Beamte bedurfte. Sie hatte fünf Handelsschiffe der größten Gat tung, erregte aber die Mißgunft der dänisch-westindischen Compagnie, welche die dänische Regierung zur allmählichen Beschränkung der Privilegien der Brandenburgischen Compagnie zu bestimmen wußte. Im Jahre 1716 erloschen die Privilegien ganz und mit ihnen die Compagnie selbst, deren Mitglieder und Einwanderer, wenn sie auf dem Eilande bleiben wollten, den Dänen den Unterthanen-Eid leisten mußten. Damals beabsichtigte die Brandenburgische Compagnie, das noch heute wüstliegende, oft genug dem Sklavenhändler als Zuflucht dienende Crab-Eiland zu erwerben und zu einer besonderen, unabhängigen brandenburgischen Kolonie zu er heben; aber die Eifersucht der Dänen wußte das zu verhindern, and außerdem konnte die Brandenburgische Compagnie den Schaden nicht überwinden, den ihr der Ueberfall der Seeräuber im Jahre 1687 z gefügt hatte. Ein großer Theil der Actien der Brandenburgischen Compagnie war in den Händen der Holländer. Während des Krieges, den Holland mit England und Frankreich führte,*) überfiel die Mannschaft eines französischen Kaperschiffes deshalb die brandenburgische Faktorei in St. Thomas, plünderte sie aus, nahm sogar ihre Handelsbücher mit, vergaß aber einen eisernen Kasten, der 100,000 Doll. ent hielt und den die Brandenburger retteten. Als historische Thatsache kann es gelten, daß die Einsicht und die glücklichen Geschäfte der Brandenburgischen Compagnie der größte Segen für dieses kleine Eiland geworden sind, welches sich zu einer bemerkenswerthen Stellung im Welthandel erhoben hat, indem es den Austausch der Produkte zwischen Europa, Nord- und Süd-Amerika hauptsächlich (3) vermittelt".

- Sir William Reid. Am 31. Oktober verstarb in London, im achtundsechzigsten Jahre seines Alters, der britische General vom Geniecorps, Sir William Reid, der sich in der wissenschaftlicher Welt einen Namen gemacht durch die von ihm zuerst aufgestellte und demnächst vom Profeffor Whewell in Cambridge, sowie vom Pro feffor Dove in Berlin, erweiterte Theorie eines Gefeßes der Stürme. Im Jahre 1832 hatte Sir William Reid den Auftrag erhalten, die durch einen Orkan umgestürzten Regierungsgebäude auf der Infel Barbados wiederherzustellen, und dieser Umstand brachte ihn auf die Idee, den Gefeßen der Stürme nachzuforschen. Seine Erfahrungen in Westindien sind es hauptsächlich, auf denen die von ihm aufgestellten Bewegungsgeseße der tropischen Wirbelwinde gegründet sind. Vor einigen Jahren erschien eine verbefferte, durch neue Erfahrungen bereicherte Ausgabe seines bekannten Buches, unter dem Titel: Fortschritt der Entwickelung des Gefeßes der Stürme", das, da es keine bloße theoretische Untersuchung ist, auch für die praktische Schifffahrt, besonders in den west- und ostindischen Gewässern, ver außerordentlichem Nußen ist.

*) Dies scheint ein Anachronismus zu sein. Der lepte Krieg zwische der Republik Holland einer- und England und Frankreich andererseits fand in den Jahren 1672 bis 1674 statt. D. R.

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No 140.

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Literatur des Auslandes.

England.

Berlin, Dienstag den 23. November.

Oliver Cromwell, nach Merle d'Aubigné.

Es ist eine der schönsten Aufgaben des Historikers, große Männer der Vergangenheit von den Flecken und dem Schmuße, womit sie leidenschaftliche Parteisucht oder unabfichtliche Verkennung ihres Strebens . verunziert hat, zu reinigen. Wenn aber irgendwo, so ist hier die Befangenheit in einem politischen, religiösen oder philosophischeu System ein Hinderniß der Wahrheit. In dem Helden den Triumph des Systems, dem er huldigte, feiern, heißt nicht des Helden, sondern des Systems Ehre retten, und eine solche Ehrenrettung wird zur Parteischrift, welche die Wissenschaft einem ihr fremden Zwecke dienen läßt. Als eine solche Parteischrift erscheint uns der Protektor oder die Republik Englands zur Zeit Cromwell's", von J. H. Merle d'Aubigné, aus dem Französischen übertragen von Dr. K. T. Pabst.*)

Der Verfasser hat die Tendenz, in der Ehrenrettung Cromwell's zugleich die Form, die das Christenthum in England unter den da maligen Parteibestrebungen angenommen hatte, als die einzig berechtigte, ja, als das Christenthum oder die Religion selbst, zu verherrlichen. Die Schrift ist, wie es der Verfaffer selbst in der Vorrede ausspricht, ein Zeugniß gegen das Papstthum, und dieses Zeugniß, meint er, ist an der Zeit. Gegen einen solchen Mißbrauch der Geschichte zu konfessionellem Hader und propagandistischen Zwecken können wir im Namen der Wissenschaft, wie im Namen echter Religiösität, nicht ernst genug protestiren.

Mit Recht rühmt sich der Puritanismus feiner damaligen Erfolge; aber jede Religion, die im Volke wurzelt, hat Perioden gehabt, in denen sie Wunder wirkte. Es war der lebendige Glaube des Olymps, welcher der kleinen Schaar der Marathon-Kämpfer den Sieg über das mächtige Heer der tempelschänderischen Perser verschaffte; es war die fromme Zuversicht auf den Gott der Väter, der das kleine Häuflein der Makkabäer über die starken Syrer triumphiren ließ; es war der Befehl Allah's durch den Mund feines Propheten Muhammed, auf den die Araber die Welt stürmten; es war der Wille Christi, verkündet von seinen Statthaltern, der die katholische Christenheit in den Kampf gegen die Ungläubigen nach dem Morgenlande trieb; es war endlich der Hülferuf des bedrohten Evangeliums, der die Schaaren der,,Heiligen in England und Schottland gegen ihren König Karl I. bewaffnete und ihnen den Sieg verlieh.

Wer dazu berufen ist, sich an die Spiße einer solchen Volksbewegung zu stellen, der muß von der Wahrheit seiner Mission durch drungen, von der Gerechtigkeit seiner Sache überzeugt sein. Ein Heuchler kann nie ein Glaubensheld werden, und darum war auch Cromwell kein Heuchler, und der Verfasser hat vollkommen Recht, wenn er ihn deshalb gegen die Historiker früherer Zeit vertheidigt. Er war ein aufrichtiger Protestant, und zwar in einem höherem Sinne, als es die deutschen Protestanten je gewesen; denn er protestirte nicht blos gegen die religiöse Unfreiheit des Papstthums und der bischöflichen Kirche in England, sondern auch gegen die politische Unfreiheit, gegen den Absolutismus, den Karl I. nach dem Vorbilde Ludwig's XIII. und Ferdinand's II. in England herrschend machen wollte. Sein Volk in Religion und Politik frei zu machen, das war das Ziel, das er vor Augen hatte, und nach der theologischen Richtung der Zeit, erkannte er in diesem Berufe einen besonderen Auftrag Gottes, den er mit allen Mitteln zu erfüllen trachten müsse, wie jene Streiter Gottes, die Helden des alten Testaments. Aehnlich haben die französischen Revolutionaire des aufgeklärten achtzehnten Jahrhunderts sich als Vollfirecker der Forderungen der Vernunft und der Philosophie betrachtet und ihre Vorbilder in den Freiheitshelden des klassischen Alterthums gefunden. Cromwell hatte jedoch vor den Republikanern, Frankreichs den Vortheil voraus, daß die Form, in der er die Freiheits-Ideen dem Volke hot, die religiöse, also eine allgemein verständliche war, indeß die Prinzipien der französischen Freiheitsmänner in ihrer Abstraktheit

*) Weimar, Hermann Böhlau, 1858..

1858.

nur von den Gebildeteren gefaßt, von der Menge aber mißverstanden wurden.! Cromwell appellirte an den Glauben des Volkes und triumphirte; die französischen Nepublikaner erhoben die Vernunft zur Göttin und unterlagen ihren Leidenschaften. Cromwell war selbst ein Mann aus dem Volke; er theilte die Anschauungen des Volkes und redete die Sprache deffelben. Sein häufiges Beten und Fasten, sein Psalmensingen, seine Reden, voll von Bibelsprüchen und biblischen Ausdrücken, waren nicht berechnete Mittel, sondern sie gingen aus seiner eigenen Ueberzeugung und aus der Richtung der Zeit hervor. Er glaubte selbst an die Wirkung seiner Gebete. Wie alle große Männer, erkannte er in den inneren Antrieben, denen er mehr folgte, als den äußeren Beweggründen, und die ihn meist auch sicher leiteten, die Stimme Gottes.

In einer Rede an das Parlament äußerte sich Cromwell:,,Die Menschen, welche ohne Gott in der Welt sind, und die nicht mit ihm wandeln, wiffen nicht, was es heißt: beten, glauben, Antworten des Herrn empfangen, innerlich durch den Geist Gottes unterrichtet werden, der zuweilen ohne das geschriebene Wort redet, jedoch immer in Uebereinstimmung mit demselben. Gott hat vor Zeiten manchmal und auf mancherlei Weise geredet (Hebr. 1, 1). Man laffe ihn reden, wie es ihm gefällt!"

Als der König verurtheilt worden war, schwankté Cromwell noch, ob er das Urtheil vollstrecken laffen sollte. Der Verfasser erzählt: John Cromwell, damals in holländischen Diensten, war von Seiten der Prinzen von Wales und Oranien nach England gekommen, um die Rettung des Königs zu versuchen. Eingeführt bei seinem Vetter Oliver, erinnerte er diefen an die treuen Gesinnungen, die er ihm vormals in Hampton-Court gezeigt. Dieser, noch ungewiß über die Richtschnur seines Verhaltens, erwiederte, daß er oft gefastet und gebetet habe, um Gottes Willen in Betreff des Königs kennen zu lernen, daß ihm aber Gott noch nicht seinen Weg kund gethan. Als John abgetreten, suchten Cromwell und seine Freunde von neuem im Gebet den Weg, den sie einschlagen mußten. Während dieses nächtlichen Gebets, wo er den Ewigen befragte, fühlte Oliver in sich die Ueberzeugung, daß Karl's Tod allein England retten könne. Von da an war Alles gesagt: Gott hatte gesprochen! Seine Unentschiedenheit hörte auf; er mußte jeßt handeln und diesen Willen erfüllen, wie furchtbar er auch sein mochte. Um ein Uhr des Morgens klopfte ein Bote des Generals an die Thür der Herberge, wo sich John Cromwell befand, und benachrichtigte ihn, daß sein Vetter endlich aus seinen Zweifeln herausgetreten wäre, und daß alle seit langer Zeit von den entschiedensten Republikanern vorgelegten Beweisgründe durch den Willen des Herrn selbst sich bestätigt fänden“.

,,Begeisterung war also, fährt der Verfasser fort, die Ursache von Cromwell's Irrthum. Es liegt hier ein sehr schweres religiöses Vergehen vor; aber mindert nicht das religiöse das moralische? Ist ein Mensch, der Gott zu gehorchen wünscht, ebenso schuldig wie der, der sich entscheidet, nur seiner Leidenschaft zu gehorchen? Ist nicht der Wille Gottes die oberste Richtschnur für das Gute und Böfe?" Wie echt jesuitisch! — Die moralische Schuld des Königsmörders wird gemildert durch den, wenn auch irrthümlichen Glauben an die Eingebung des göttlichen Willens. Als wenn dem wahrhaft Religiösen Gott etwas Anderes wollen könnte, als das Gute! Der religiöfe Schwärmer, wenn er nicht geradezu verrückt und deshalb unzurechnungsfähig ist, hält eben die Stimme der Leidenschaft, die ihm Mord und andere Frevel gebietet, für die Stimme Gottes, und dieser religiöse Glaube macht die moralische Schuld um so größer, als er eine totale Verkennung Gottes vorausseßt, eine wahre Gotteslästerung ist. Und einen solchen Mann stellt der Verfasser als das Muster eines wahren Christen auf, deffen Frömmigkeit, wie er sagt, eine aufrichtige, aber nicht immer aufgeklärte war! Mit demselben Rechte können fanatische katholische Historiker einen Clement, Ravaillac, Guion aufrichtige, aber nicht aufgeklärte fromme Männer nennen!

Um Cromwell als Staatsmannn gerecht zu werden, dürfen wir daher an seine Handlungen nicht den religiösen, sondern müssen den politischen Maßstab anlegen. War der Mord des Königs politisch

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