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mit ihrer unvollständigen und hin und wieder lückenhaften Philosophie der Geschichte im Zusammenhange ständen. Ein Irrthum über die Kar lovingische Revolution, über den Anfang des Feudal-Wesens, über das dreizehnte Jahrhundert, über Philipp den Schönen ist keinesweges so harmlos, wie de Sacy meint. Heutzutage führt man die Folge auf das Prinzip zurück, von dem man ausgegangen. Fußend auf die abstrakte Idee einer rationellen, zum höchsten Wohl der Nation ausgeübten Souverainetät konnte die liberale Partei ihren Beruf nicht darin sehen, die Rechte Aller zu schüßen und die Initiative eines Jeden zu entwickeln. Die Noth der Dinge führte sie dahin, zu viel zu regieren. Mit Recht sah fie ein, daß eine Gesellschaft, die blühen will, stark sein müsse; nur täuschte sie sich, wenn sie meinte, daß das Stärtungsmittel das Vielregieren sei. Troh unzähliger Vorsichts- Maßregeln brach die Ordnung, die sie nicht ohne Ruhm hergestellt und aufrecht erhalten hatte, durch die unerhörteste Ueberraschung jählings zusammen. Die liberale Partei soll damit für eine Situation, die sie nicht geschaffen, nicht verantwortlich gemacht werden. Ein unseliges Prinzip beherrschte sie: die Revolution, an die sie anknüpfte, konnte Administrationen, aber keine Körperschaften erzeugen. Das Prinzip, das Institutionen schafft: die Eroberung und das persönliche Recht, war gerade das Prinzip, das sie zu unterdrücken trachtete.

Die Organisation des öffentlichen Unterrichts dürfte am geeig netsten sein, die schweren Folgen des von der liberalen Schule angenommenen Prinzips begreiflich zu machen und nachzuweisen, wie leicht dieses Prinzip vermöge seiner Natur sich gegen diejenigen wendet, die darauf bauen. England, Deutschland, das alte Frankreich hatten für die Wissenschaft und die Erziehung durch reiche, von der bürgerlichen Gewalt fast unabhängige Körperschaften gesorgt. Das neue Frankreich entschloß sich, nach seiner Gewohnheit, dieselbe Aufgabe durch die Administration zu lösen. Alljährlich erhält jede Stadt in Frankreich aus dem Büreau der Straße de Grenelle Männer, die sie nicht kennt und die damit beauftragt sind, ihre Kinder nach einem Reglement zu erziehen, an dessen Fafsung sie nicht den geringsten Antheil haben. So lautet z. B. das Reglement von 1802:,,Mahlzeiten, Erholungen, Spaziergänge, Schlaf geschieht in Gemeinschaft... Jedes Lyceum bekommt eine Bibliothek von 1500 Bänden; alle Bibliotheken sollen dieselben Werke enthalten; kein Werk darf ohne BewilLigung des Ministers des Innern aufgenommen werden."*) Diese Schöpfung wurde als die schönste der Epoche angesehen, und sie wäre es auch, wenn man die Ueberzeugung hätte, daß die mit der Anwendung eines solchen Reglements betrauten Männer stets von großem, scharfem Verstande sein werden, welche die Aufgabe der Erziehung und Leit der Geister mit feinem Sinne auffaffen. Kann man aber diese Ueberzeugung haben? Und die Folgen, wenn eine derartige Administration in die Hände von Menschen geräth, die keine jener Eigenschaften besigen! Die theuersten Interessen des Geistes, alle literarische, wissenschaftliche, philosophische, felbft religiöse Bewegung verfielen einem um so gefährlicheren Zunftwesen, je vollkommener die Administrations- Maschine, deren man sich zur Ausübung desselben bediente, ausgebildet würde.

Hinweg also mit dem Wahne, daß die Revolution von 1789 uns der Mühe überhebt, tiefer in die Vergangenheit der Menschheit einzudringen! Wie wichtig auch jenes Ereigniß ist, so erzeugt es eine ähnliche optische Täuschung, wie der nächste Gebirgszug uns die weit höheren Berge hinter ihm verdeckt. Die Revolution verführt Anfangs durch ihren stolzen Gang, durch jenen großartigen, leidenschaftlichen Zug aller geschichtlichen Bilder, die sich auf der Straße entrol len. Lange, sagt Renan, hat sie auch mich verblendet; wohl sah ich die geistige Mittelmäßigkeit und die geringe Bildung der Männer, die sie machten, und dennoch steifte ich mich darauf, ihren Werken eine große politische Tragweite beizulegen. In der Folge aber kam ich zu der Erkenntniß, daß, mit wenigen Ausnahmen, die Männer jener Zeit ebenso naiv in der Politik, wie in der Geschichte und Philosophie waren. Da sie nur wenig Dinge auf einmal übersahen, so merkten fie nicht, welch eine komplizirte Maschine der Mensch sei, und wie die Bedingungen seiner Existenz und feines Glanzes von unmerklichen Schattirungen abhängen. Die tiefere Kenntniß der Geschichte ging ihnen völlig ab; eine gewisse geschmacklose Emphase stieg ihnen zu Kopf und seßte fie in den dem französischen Geiste eigenthümlichen Zustand der Trunkenheit, in welchem oft Großes gethan wird, der aber alles Voraussehen der Zukunft und einen nur über das gewöhn, liche erweiterten politischen Blick unmöglich macht.

Darf man aber deshalb an der Entfaltung des Liberalismus-in Frankreich verzweifeln, weil man ihn in der Blüthe zerstört wähnt? Keinesweges; aber zu höherem Ernst und Fleiß sollen uns diese Betrachtungen anspornen, damit wir das ergänzen, was unsere Väter uns mangelhaft hinterlassen haben. In der Politik, wie in der Moral, find die tagtäglichen Pflichten die wahren Pflichten. Nur schwache

*) Man vergleiche mit dieser reglementarischen Zwangsjacke:,,Elu eng lisches Gymnasium", in Nr. 116-119 des,,Magazin“ von diesem Jahre.

Seelen regeln ihre Meinungen nach der Aussicht auf wahrscheinlichen Erfolg in der Zukunft. Ja, man möchte sagen, der ehrliche Mann kümmert sich gar nicht um die Zukunft; denn, um für das Schöne und Gute muthig zu kämpfen, ist die Voraussehung nicht nothwendig, daß sie siegen werden. Hat irgend eine Klasse der französischen Gesellschaft die Aufgabe, zu der sie berufen schien, nicht erfüllt, so ist daraus der einzig richtige Schluß zu ziehen: die Stelle ist neu zu beseßen. Wie der Einzelne den Keim des Uebels vom Mutterleibe mitbringt, so führt jedes Volk durch seine Geschichte einen Krankheitsstoff mit sich, der seine Gesundheit untergräbt; allein, hier wie dort treten eine Menge Zufälle dazwischen, welche die Ereignisse von ihrem Laufe ablenken. Das römische Reich trug schon unter Auguft den Keim der Zersehung in sich und lebte dennoch mit seiner Wunde vier oder fünf Jahrhunderte; ja, es ging, mit dem Tode ringend, durch das Jahrhundert der Antonine. Und so darf uns der tiefe Riß, den Frankreich in seinem Herzen birgt, weder Hoffnung rauben, noch von beharrlichem Streben abschrecken.

Gewiß, erstreckten sich über das neuere Europa eine einzige Raçe und eine einzige Herrschaft; bildeten die christlichen Völker eine einheitliche, dem orbis romanus ähnliche Welt, der Verfall wäre unvermeidlich; denn es bestände außerhalb dieses geschlossenen Kreises kein Element der Wiedergeburt. Allein das Prinzip der Verschiedenheit und der eigenthümlichen Lebenskraft, das jeder Allherrschaft in Europa ein unüberwindliches Hinderniß entgegenstellt, wird der neueren Welt zum Heil gereichen. Eine mannigfaltige Civilisation hat Hülfsquellen in sich, die eine einheitliche Civilisation nicht kennt. Das römische Reich ging zugrunde, weil es kein Gegengewicht hatte; hätte es aber neben ihm kräftig organisirte Germanen oder Slaven gege= ben: Nom, genöthigt den Widerständen und der Freiheit von außen Rechnung zu tragen, würde eine ganz andere Richtung eingeschlagen haben. Der Despotismus kann nur unter Einer Bedingung dauern: alle Länder, die ihn umgeben, müssen über Einen Leisten geschlagen sein. Hier liegt der Grund zum Hoffen. Der Stoiker hatte Recht, sich in seinen Mantel zu hüllen und an der Tugend zu verzweifeln; denn aus dem eisernen Reif, in dem er eingezwängt lebte, war kein Ausgang, und selbst am äußersten Rande der damals bewohnten Welt wäre er dem verhaßten Centurionen, dem Vertreter des unversöhnlichen Rom, begegnet. Hundertmal in der Geschichte ist der erhabenste und kostbarste Gedanke untergegangen; hundertmal ist die gute Sache unterlegen, und die Urheber der edelsten Bestrebungen werden in dem Heiligenkalender der Menschheit nicht bei Namen aufgeführt. Das lag daran, daß in den vergangenen Jahrhunderten die Gewalt des Geistes in enge Schranken gebannt war. Seit dem Beginn der Neuzeit aber hat sich das Bewußtsein der Menschheit unermeßlich erweitert. Die Würde des Charakters und der wahre Adel findet nicht bloß in der Sympathie eines zähligen Häufleins schöner Seelen, die stets für die Besiegten Partei nehmen, ihren Lohn, Symmachus hält nicht mehr feine Schußrede für die todten Götter vor leeren Bänken, und Boëthius schreibt nicht mehr feine consolatio philosophiae zwischen Kerkermauern.

China.

Das Leben in China.

Nach dem Missionar W. C. Milne.*)

Herr William C. Milne ist im Jahre 1839 von der Londoner Missionsgesellschaft nach China gesandt worden und mit eine Unterbrechung von zwei Jahren bis 1854 dort geblieben. Seine Kenntniß des Landes und der daselbst herrschenden Lebensweise ist deshalb eine ausgedehnte. Dennoch kann er über die äußeren Gebräuche und Sitten nur wenig Neues sagen; dafür sind sie zu allgemein bekannt, durch ausführliche Schilderungen und Abbildungen veranschaulicht und den unsrigen so entgegengeseßt, daß sie sich dem Gedächtniß jedes Lesers leicht und dauernd einprägen. Es herrscht überdies in diesen Sitten etwas Unliebliches. Das geschorene Haupt mit dem langen vom Scheitel herabhängenden Zopf, die Begrüßung durch einen Nasenkuß, die zusammengeschnürten Füße der Frauen, die unbeschnittenen, langen Nägel, die strenge Feierlichkeit im geselligen Umgange und in der Erziehung, find uns widerstrebend, und erfahren wir auch, daß dies oder jenes falle, die Füße der Frauen sich mitunter freier entwickeln dürfen, ein oder der andere Ort den Europäern zugänglich wird, so ist doch das himmlische Reich für uns noch immer von Mauern umschlossen, welche zu überschreiten wir wenig Verlangen fühlen. Durch dies Alles sind die inneren Seelenzustände der Chinesen uns zum großen Theil gänzlich verschlossen, zum Theil unverständlich, keinesfalls klar, so daß dem Fremden ihre Fehler mehr in's Auge springen als ihre Tugenden. Tritt deshalb Herr Milne in verschiedenen Beziehungen als ihr Vertheidiger auf, so verdient er unstreitig ein auf

*),, La vie réelle en Chine". Von dem ehrwürdigen Herrn William E. Milne. Durch Herrn Taffet in's Französische überfeßt. Mit_einer Einleitung und Anmerkungen von G. Panthier. Paris, Hachette & Comp.

merksames Ohr. Dies gilt vornehmlich von der oft erhobenen Anflage, daß der Kindermord und Selbstmord in China auf erschreckende Weise häufig vorkommen. Die Ueberfüllung des Landes, das kümmerliche Leben der in engen Behausungen auf dem Lande und Wasser wohnenden Familien war und ist Ursache, daß die Anklage leicht Glauben fand. Herr Milne sagt mit Entschiedenheit, sie sei ungerecht, Kindermord werde nicht öfter dort verübt, als in Frankreich und England; Behörden und Bevölkerung wirkten ihm gleich sehr entgegen; es gebe Gefeße dagegen und man habe in den größeren Städten Findelhäuser gleich anderen Wohlthätigkeits-Anstalten.

Zu Ning-po, wo Herr Milne sich längere Zeit aufhielt, hat er ein solches Findelhaus im Jahre 1842 vielmals besucht und sorgfältig geprüft. Ueber deffen Eingangsthür liest man: Zur Pflege und zum Schuß der Kinder", und es werden dort ausgeseßte Kinder und Kinder verarmter Aeltern aufgenommen. Knaben bleiben bis zum zehnten, zwölften, Mädchen bis zum vierzehnten, funfzehnten Jahre und man sorgt bei ihrer Entlassung für ihr Unterkommen. Eine gleiche, 1719 gegründete Anstalt findet man in Shanghai, von Herrn Milne 1852 besucht, und neben diesen bestehen hier wie ander Orten Hospitäler für Männer und Frauen, Erziehungs-Anstalten und Krankenhäuser. Man versorgt die Armen im Winter mit Kleidungsstücken, sorgt für Vertheilung von Holz und Lebensmitteln, für Medizin und Begräbniß; lauter Beweise von minder selbstsüchtiger Gesinnuhg, als man den Chinesen gewöhnlich beimißt.

Der kaiserliche Präfekt zu Ning-po vernahm mit großem Verwundern, daß es in Europa noch andere Christen gebe, als die Katholifen, deren Bräuche er denen der Buddhisten sehr ähnlich fand. Herr Milne hatte ihm seinen Stand eines Missionares nicht verborgen und weder hierdurch noch als Engländer Anstoß erregt, obschon diese Nation im himmlischen Reiche zu allermindest wohl gelitten ist. Er mußte sich nur gefallen laffen, daß man ihn sehr neugierig anstaunte.

nern tobenden, nach außen drängenden Kämpfe gewinnen und welchen Einfluß dagegen die innere aufs neue mit selbstverleugnender Ausdauer versuchte Verkündigung des Evangeliums ausüben wird, können erst kommende Tage lehren. Wieviel aber England hierfür, wieviel es that, um Land und Volk näher kennen zu lernen, dafür ist Herrn Milne's Buch ein starker Beleg. Die von ihm dazu gezeichneten Karten, sein Schilderung der einzelnen von ihm in chinesischer Tracht bereiste Provinzen, liefern so viel Neues, bis dahin ganz Unbekanntes, def sein Werk mit Recht für ein klassisches gilt, welches Herr Panther in der französischen Uebersetzung noch durch schägbare Anmerkunge bereichert hat. - Den Boden kennen zu lernen, auf welchem Millionen von Menschen seit Jahrtausenden in eng begränzter & geschloffenheit erhalten, gefreut und betrübt, wo sie gute und bö Thaten vollbracht haben, ist unfehlbar wichtig, jede auch nur mangų haft vermehrte Kenntniß ihrer Zustände lehrreich, und je weniger a uns möglich scheint, gerade dort einen richtigen Maßstab an das z legen, was wahr ist und sein wird, desto dankenswerther erscheint Alle was uns dafür Hülfsmittel bietet, Straßen und Wege zeigt.

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Mannigfaltiges.

Die orientalische Frage. Bekanntlich hat Herr Dr. J. W. Zinkeisen, der als Schriftsteller ebensowohl mit der Geschichte der Osmanen, als mit dem Freiheitskampfe der Griechen sich beschäftigt hat,) seit einigen Jahren die orientalische Frage in mehreren fort laufenden Auffäßen in Friedrich v. Raumer's „Historischem Taschen buche" behandelt. Der neueste Jahrgang desselben für 1859 (dritt Folge, zehnter Jahrgang) bringt den Schluß dieser interessanten unt lehrreichen historisch - politischen Darstellung unter der Aufschrift ,,Das vierte Stadium oder das jüngste Jahrhundert und die Zukunf der orientalischen Frage". Besonders die Politiker par excellence und die Diplomaten können daraus für die richtige Behandlung dieses Die Mauern von Ning-po sind mit Anzeigeblättern und Zetteln,,Brennpunktes der europäischen Politik“ viel lernen, und sie möbedeckt, wie dies in den größeren europäischen Städten der Fall ist. Die Chinesen lieben Journalistik und sind darin sehr gewandt. Sie lieben den Thee, den sie ohne Milch und Zucker trinken, über Alles, haben Thee-Cabarets, wie die Orientalen Kaffee-Cabarets, leben und laffen leben auf eine Weise, welche in mancher Beziehung sich der unsrigen mehr nähert als man glaubt.

Ihr höchstes Fest ist Neujahr. Lichter, Feuerwerke, rauschende Musik und Gastmahle verherrlichen es. Man bezahlt feine Schulden und empfängt, was Andere einem schulden. Seine Freunde besucht man in Person, Fremden schickt man Karten, kurz, es ist ein Fest der Verbrüderung, von welchem wir in Herrn Milne's Buch genaue Schilderung finden. Die vielen übrigen Feste jenes Volkes haben Beziehung zu dem Wechsel der Jahreszeiten und scheinen ein Gebet an die Natur zu sein, deren Walten sie in ihren wechselnden Erfcheinungen sowohl, als in den verschiedenen lebenden Geschöpfen mit andächtiger, richtiger abergläubischer Andacht betrachten.

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gen, ja sie müssen es! Eine vorzügliche Anerkennung verdient die Ruhe und Milde, womit der Verfasser namentlich über die Reformversuche in der Türkei urtheilt, und das Wohlwollen, welches er besonders für den Sultan Abdul-Medschid ausspricht, hat in der That etwas Rührendes. — Ein etwas unangenehmer und in sachlicher Beziehung ftörender, historischer Fehler hat sich S. 610 in die Darstellung eingeschlichen. Der Verfasser feßt nämlich den Sturz des Ali Pascha von Janina, der am 5. Februar 1822 stattfand, in das Jahr 1821 in die Zeit vor dem Ausbruche des griechischen Freiheitskrieges, un das, was er dabei in das Jahr 1821 verseßt und mit der ope jenes Tyrannen in Zusammenhang bringt, entbehrt in Folge weser ganz und gar der geschichtlichen Grundlage.

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Normalstimmung in der Musik. Der kaiserl. franzö fische Minister des Unterrichts hat bekanntlich vor einigen Monates, auf Befehl des Kaisers Napoleon III., eine Kommission ernannt, um Das Wesen des Buddhismus völlig kennen zu lernen, scheint auch über die Mittel zu berathschlagen, wie für alle Orchester Frankreichs Herrn Milne nicht gelungen zu sein. Formenwesen verdeckt den Kern eine gleiche Stimmung (un diapason musical uniforme) festzusehen und die Verfassung der chinesischen Schulen und Universitäten gestat sei. Der Präsident der Kommission, Herr Pelletier; hat zur Erreichung tet dem Ausländer nur geringen Einblick. Diese haben in ihrer äu- dieses Zweckes die Mitwirkung aller Autoritäten im Fache der Musil ßeren Anordnung und der Stellung der mehr oder minder Eingeweih in Frankreich, Deutschland und Italien in Anspruch genommen und in ten und Vorgesezten einige Aehnlichkeit mit den englischen gelehrten einer Ansprache auseinandergesezt, daß durch die immer fortschreitende Schulen, das Ziel aber, auf welches sie hinarbeiten, ist ein so völlig Erhöhung des Kammertons (diapason) die Stimmen der Sänger zu verschiedenes, daß jene Aehnlichkeit geringe Bedeutung haben würde, Grunde gerichtet werden, die Verschiedenheit der Stimmung in den wenn nicht einzelne denkende Reisende und Missionare hierin und in Orchestern Schwierigkeiten bei der Ensemble-Aufführung hervorrufe verschiedenen religiösen Gebräuchen China's und der umgränzenden und in kommerzieller Beziehung bei Fabrication der Instrument Länder, eine Vermischung alten Priesterthumes und eines vordem rei, Schaden erwachse. Der General-Intendant der königl. Oper und nen, später ganz ausgearteten Christenthumes erkennen wollten und Schauspiele in Berlin, Herr v. Hülsen, hatte bereits im Jahre 1855 den Gedanken einer fortschreitenden geistigen Erweckung daran knüpf die Aufmerksamkeit der Sachkundigen auf diesen Gegenstand gerichtet, ten. Lassen wir diese Erwartung dahingestellt sein, bis sie durch Tha- in Folge deffen der königl. Musik-Direktor Wieprecht am 22. Noten gerechtfertigt erscheint, beachten aber, was besser Unterrichtete über vember 1855 eine Denkschrift der königl. General-Intendantur in die Zustände des himmlischen Reiches melden, und wir empfehlen des- Berlin vorgelegt hat. Da das französische Ministerium auch den königl. halb hier vornehmlich, in Herrn Milne's Buch zu lesen, was er nach Musik-Direktor Wieprecht zur Mitwirkung aufgefordert, so veranlaßte einem längeren Aufenthalt in Shanghai über Buddhismus, Judenthum, derselbe den Akustiker Dr. Jurke, seine Forschungen,,Ueber NormalMuhammedismus, Katholizismus und Protestantismus in China sagt. ftimmung in der Musik" der Denkschrift beizufügen. Die Berliner Die dortige gouvernementale Organisation ist gleichaltrig mit Musikzeitung,,Echo" giebt in Nr. 4 die beiden wichtigen Arbeiten der der Pharaonen und der von Ninive und Babylon. Ihre lange, und fordert alle Sachkundigen auf, im Interesse dieser, die Kunst der ftillstehende Dauer weckt dem in fortschreitender lebendiger, geistiger Musik tief berührenden Angelegenheit, ihre etwaigen Bedenken ausEntwicklung begriffenen Europäer Staunen und Unbehagen. Er sieht sprechen zu wollen. Der Titel der Wieprechtschen Denkschrift lautet: einen mächtigen, dicht bevölkerten Staat, in welchem bei geistigem,,Wirkungen und Ursachen einer übermäßig nach der Höhe getriebenen Schlaf eine unablässig emsige Betriebsamkeit für Nothwendiges und Stimmung, Mittel über Zurückführung derselben und Feststellung einer Ueberflüssiges Sorge trägt, hat sich seit Jahren verleiten laffen, Beides allgemeinen Normal-Stimmung für alle Zeiten". (S. 3.) auf seine Weise zu eigenem Gewinn zu nußen, und dadurch eine leise schleichende Erbitterung gegen fremdes Eindringen hervorgerufen, die sich in blutigen Thaten kundgiebt. Welches Ende diese im In

*),, Geschichte des vomanischen Reichs in Europa“ (3 Bde.), 1840-1855 und Geschichte der griechischen Revolution" (2 Bde.), 1840.

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Bō.Hentlich erscheinen 3 Nummern. Brets jährlich 3 Thlr. 10 Egr., Halb jährlich 1 Ttlr. 20 Ogr. und viertel jährlich 25 Ggr., wofür das Blatt im Inlande vortofrei und in Berlin frei ins Haus geliefert wird.

Ng 137.

für die

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Literatur des Auslandes.

Nord-Amerika.

Berlin, Dienstag den 16. November.

Thomas Jefferson, sein Leben und sein Briefwechsel. *) Streng genommen ist in Bezug auf Jefferson die Ueberschrift ,, fein Leben und sein Briefwechsel", grammatisch zu sprechen, eine Hendiadys; denn sein Briefwechsel ist der treue Spiegel seines politifchen Lebens, mit dem allein wir es zu thun haben, und von dem wir nach einem umfangreichen Aufsaße des geistvollen Cornélis de Witt in der Revue des deux Mondes in möglichst gedrängtem Auszug unseren Lesern einen Abriß geben wollen.

1.

Jefferson war für die Reize und Vorzüge der diplomatischen Laufbahn sehr empfänglich. „Das Anziehende in meinen gegenwärtigen Functionen ist", schrieb er als Bevollmächtigter der Vereinigten Staaten zu Paris,,,daß ich meine Schuldigkeit thun kann, ohne von denen gesehen zu werden, zu deren Nugen ich sie thue". Und es gehörte zu seinen Wünschen, niemals aus diesem liebgewonnenen Halbdunkel herauszutreten; er mußte sich daher eben so unangenehm überrascht, wie angenehm geschmeichelt fühlen, als er bei seiner Landung zu Norfolk (20. November 1789) erfuhr, daß der Präsident ihn an die Spize seines Kabinets berufen habe. Haben Sie die Güte", schreibt er an Washington,,,und geben mir ausdrücklich Ihren Wunsch zu erkennen, und ich werde mich ihm von ganzem Herzen fügen. Wenn Sie mir befehlen, in New-York zu bleiben, so wird es mir ein Haupttroft sein, unter Ihren Augen zu arbeiten, und als einzige Schußwehr wird mir die Autorität Ihres Namens und die Weisheit der Maß regeln dienen, die Sie nur zu diktiren haben, um von mir pünktlich ausgeführt zu werden".

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Seine scheue Besorgniß vor der übernommenen schwerverantwort lichen Aufgabe mußte sich bald verlieren. Er kam in Amerika gerade in dem Moment nach einem glücklich geschlossenen Frieden an, wo die Völker sich mit sich selber und mir ihren Führern zufrieden fühlen, wo die öffentliche heitere Stimmung, so zu sagen, ansteckend ist. Der Hemmnisse entledigt, welche die Ohnmacht des Kongreffes ihrem Aufschwunge so lange angelegt; befreit von dem Föderalpakt, der sie in dreizehn kleine Republiken zersplitterte, traten die Vereinigten Staaten, zu einer Nation verschmolzen, voller Kraft, Jugend und Gesundheit, eine neue Aera an. Die von der Convention zu Philadelphía angenommene Verfassung war in voller Geltung; Washington und seine Freunde, durch die Revolution, die sie hervorgerufen hatten, zur obersten Gewalt berufen, gaben der Union eine Regierung. In diesem Lande, wo die englische Preffe noch vor kurzem nichts sah, als sittliche Fäulniß: Rechtsverachtung, unfruchtbare Wühlereien, Ruin, Trug und Gewalt in diesem Lande wachte das Staatshaupt über die geseßliche Ausführung der Verträge, verschafften die Gerichtshöfe den PrivatUebereinkünften Achtung, bürgte der Kongreß für die Bezahlung der öffentlichen Schuld, hielten die städtischen Behörden die Ordnung aufrecht; die Gerechtigkeit, die Sicherheit, der Wohlstand erblühten, und als Washington die Staaten durchzog, die der Schauplag der Aufstände gewesen, wurde er mit einer an Anbetung gränzenden Begeisterung begrüßt, so daß ein Zuschauer ärgerlich äußerte: „Wir haben eine Reihe papistischer Heiligen-Verehrungen hinter uns, und nun zieht der Präsident in New-York ein, ganz von Weihrauch umduftet!" Was Jefferson sah, glich so wenig dem Amerika, das er vor Jahren, und dem Frankreich, das er so eben verlaffen hatte, daß er die Nothwendigkeit fühlte, sich in den Ton hineinzufinden, den man bei einer langen Abwesenheit verlernt. Ich kenne nur die Amerikaner von 1784, d. h. die von 1789 find mir faft ganz fremd".

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*),,The Writings of Thomas Jefferson, being his Autobiography, Correspondence, Reports, Messages, Addresses and other Writings, of ficial and private; published by Order of the Joint Committee of Congress on the Library, from the original manuscripts, deposited in the Department of State". New-York, 1853-1854.

1858.

Indeß hatten sich nur Lage und Institutionen geändert; die Sitten waren dieselben. Die Verfassung, die noch heute in der Union zu Recht besteht, ging aus einer Reaction gegen den Geist der demokratischen Ungebundenheit und der engherzigen Spießbürgerlichkeit hervor; so dauernd aber auch die Ergebnisse dieser Reaction waren, fie selber verlor sich schnell, wie alle Reactionen. Nachdem das Land sich den Zügel angelegt, um sich vor allen Seitensprüngen zu wahren, wußte es sich von neuem, mit erhöhter Zuversicht, dem raschen Gang zu überlassen. An die Gefahren dieses Dranges nach vorwärts hatte Jefferson nie geglaubt; niemals hatte er in dem Vertrauen auf die naturgemäße Entwickelung der nationalen Kräfte und Leidenschaften gewankt. Die demokratischen Uebergriffe, die den Urhebern der Verfassung die Gefahren zeigten, gegen welche die amerikanische Gesellschaft geschüßt werden müßte — Gefahren von solcher Größe, daß sie Madison zu dem Ausruf veranlaßten:,,Wenn die Lehren, die wir bekommen, auf den öffentlichen Geist nicht den entsprechenden Eindruck machen, so wird das den Beweis geben, daß unser Zustand ein verzweifelter ift!" die demokratischen Uebergriffe, sagen wir, schrieb Jefferson einer glücklichen Lebensüberfülle zu. Diese allzugute Meinung von der menschlichen Natur, um welche die Erfahrung die Gründer der Unabhängigkeit gebracht hatte, war das Prinzip des politischen Glaubens bei Jefferson, das ihn unter allen Staatsmännern seiner Zeit zum eigentlichen, wahrhaften Vertreter der demokratischen Schule in seinem Lande machte. Seine künftige rechte Hand, Madison, sowie seine künftigen Gegner: Washington, Hamilton, Jay, John Adams, die von dem Gedanken beherrscht waren, daß die Regierungen dazu da sind, um zu regieren, gehörten, nach Jefferson's Ausdruck, zu der großen Familie der Melancholiker, der Pflanzschule der Aristokratie. „Die Menschen theilen sich nach ihrem Temperamente in zwei Gruppen: zu der einen gehören die schüchternen, schwächlichen, krankhaften, die das Volk fürchten, ihm mißtrauen, ihm alle Gewalt nehmen möchten, um sie in die Hände der höheren Klaffen zu legen. Die andere begreift die starken, gefunden, kühnen Menschen, die sich dem Volke innig anschließen, ihm vertrauen, es für den ehrlichsten, zuverlässigsten wenn nicht weiseften Wahrer der öffentlichen Intereffen halten. In allen Ländern bestehen diese beiden Parteien; in allen, wo Gedanke, Wort und Schrift frei sind, treten sie in die Schranken, sich mit einander zu messen. Man nenne fie Liberale und Servile, Jakobiner und Ultras, Whigs und Tories, Republikaner und Föderalisten, Aristokraten und Demokraten — es sind immer dieselben Parteien, die stets das nämliche Ziel verfolgen. Die lezte Benennung ist die richtige, fie drückt am bezeichnendsten ihr Wesen aus". Seine Ansichten über die Vertheilung der Gewalten zwischen der Unions-Regierung und den Staats-Regierungen, sowie auch sein Vertrauen auf die natürliche Unbestechlichkeit des Volkes entsprachen den Leidenschaften und LieblingsNeigungen seiner Landsleute. Keiner wußte besser, als er, wie sehr der Hang zu dem provinziellen Abschließen, die Abneigung gegen eine Gewalt und eine Kontrole, die außer ihrem Gesichtskreise geübt wird, das Mißtrauen in den Kongreß, die Thätigkeit geschwächt und den Ruhm der Union in der Welt geschmälert hatte und dennoch, gerade um die Zeit, wo seine auf dem diplomatischen Gebiete gewonnene Erfahrung ihn von der Nothwendigkeit überzeugen mußte, dem Geiste der örtlichen Unabhängigkeit stärkere Schranken als Conföderations-Artikel entgegen zu sehen, schlug er vor, der Regierung, die mit der Obhut der allgemeinen Intereffen der Union beauftragt war, alle Gewalt über die inneren Angelegenheiten zu nehmen. In den Verfassungs-Entwürfen, die er 1787 von Paris aus an die Convention von Philadelphia sandte, sagte er: Meine allgemeine Idee ist: in allen Fragen, welche die äußere Politik betrifft, eine einige Nation, in allen aber, die häusliche Angelegenheiten berühren, getrennte Nationen aus uns zu machen“. Eine allerdings einfache, großartige und dem politischen Geiste der Amerikaner gemäße Idee, die in dem Maße, wie die Union in der neuen Welt um sich greifen und zahlreiche Nationen und verschiedenartige Raçen in sich aufnehmen wird, zur Geltung kommen muß, die aber 1787 nur den Fehler hatte,

daß sie zu früh kam, und den fernen Aussichten die nächsten Bedürfnisse opfern wollte.

In der Verfassung, die zustande kam, lebt ein ganz anderer Geist: die Bürger der Union nahmen sie an,,,um", wie die Einleitung lautet,,,die Gerechtigkeit zu gründen, die innere Ruhe zu sichern, für die gemeinsame Vertheidigung zu sorgen, den allgemeinen Wohlstand zu fördern, und sich selber wie ihren Nachkommen die Segnungen der Freiheit zu bewahren“. So schnurstracks dieses Verfassungswerk seinem Plan entgegen lief, so bezeichnete Jefferson es dennoch als,, das weiseste, das jemals den Menschen vorgelegt worden, als den größten Anspruch auf Ruhm für die erlauchten Gesetzgeber zu Philadelphia". Und bis auf zwei Ausstellungen: die uneingeschränkte Wiederwählbarkeit des Präsidenten und die Auslaffung der Erklärung der Menschenrechte, ist er von der wesentlichen Uebereinstimmung der Verfassung mit seiner Idee so vollkommen überzeugt, daß er sie, am Ende seiner Laufbahn, der Auslegung zweifelhafter Stellen zum Grunde legt, und sich auf sie beruft, wenn er z. B. der Bundesregierung das Recht, Kanäle und Straßen zu bauen, abspricht: „Der Bundesregierung sind die föderalen und auswärtigen, den Staaten alle rein häuslichen Vollmachten übertragen worden. - Die BundesDie Bundesregierung ist, streng genommen, nur unsere diplomatische Regierung; die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten allein ist den souverainen Staaten genommen worden". So lange es der politischen Thätig keit des Landes an einem Mittelpunkte fehlte, blieben ihre diffentirenden Elemente, wie die Staatsgewalten, zerstreut; so lange es Lokalregierungen gab, gab es auch nur Lokalparteien. Als aber durch die Convention von Philadelphia der Verfassungs - Entwurf der Volksstimme unterlegt wurde, da theilte sich die Gesammtnation in zwei einander gegenüberstehende Lager; hüben die Vertheidiger der unbedingten Annahme, die sich Föderalisten nannten, drüben ihre Gegner, die sich als Antiföderalisten bezeichneten. Während des Verlaufs der Abstimmung war der Kampf heiß genug; sobald aber die Verfassung votirt war, lösten sie sich zwar auf, indessen blieben tiefe Spuren des Parteienkampfes in den Gemüthern zurück. Zeigte sich ein großer Theil der Antiföderalisten zu einer systematischen Opposition gegen die verfassungsmäßige Regierung geneigt, so schlossen sich doch Viele unter ihnen redlich an; waren hinwiederum die Föderalisten größtentheils entschieden, die Bundesgewalt zu unterstüßen, zu stärken, so bereiteten sich doch nicht Wenige und Einflußreiche, die Reihen ihrer früheren Gegner zu vermehren. In diesem Momente der Gährung, wo die Elemente sich schieden, zusammenschossen, um neue Organismen zu gestalten, traf Jefferson zu New-York ein, um seine Stelle im Kabinet anzutreten. (21. März 1790.)

Türkei.

Der Muhammedanismus in Bosnien.

(Schluß.)

Der Muhammedanismus hat unter den Bosniaken einen eigenen Charakter erhalten, den er im Orient nirgends besigt den Charakter der Aristokratie. Die alten slavischen Wlasteln (Machthaber), die eine große Aehnlichkeit mit den feudalen Baronen des mittelalterlichen Europa hatten, nahmen den Jolam nur zu dem Zwecke an, sich ihre bevorzugte Stellung, ihre aristokratischen Privilegien unter der Oberherrschaft des Sultans zu sichern; das Feudalsystem behauptete sich in Bosnien bis zur Einführung der türkischen Reformen durch Omer-Pascha im Jahre 1851. Die Städte und Bezirke wurden von Kapitanen verwaltet, deren Gewalt in den alten, vornehmen bos nischen Geschlechtern erblich war; nur einzelne Städte standen, wie im mittelalterlichen Europa, außerhalb der Gerichtsbarkeit dieser FeudalAristokratie. Diese Städte waren Trawnik, wo der Repräsentant des Sultans, der Wefir, lebte, der übrigens fast keine Möglichkeit hatte, fich in die Angelegenheiten des Landes zu mischen und oft von den bosnischen Magnaten verjagt wurde, und Sarajewo, die bedeutendste Handelsstadt Bosniens und das Sṭandquartier der Truppen des Sul

tans

der Janitscharen. Außer den Janitscharen aber gab es in Bosnien ein anderes, rein feudales Heer, das unmittelbar von den Kapitanen in jedem Bezirk abhing; es waren dies die Spahis oder diejenigen Mitglieder der Landes-Aristokratie, die das erbliche Recht genossen, im Namen des Sultans den Zehnten von den Ackerbauern einzutreiben, wogegen sie sich mit einem auf eigene Kosten ausgerüsteten Gefolge zum Kriegsdienst stellen mußten. So war das rein aristokratische, feudale System beschaffen, welches bis auf unsere Tage in Bosnien vorherrschte. Noch zur Zeit der Unabhängigkeit und des Christenthums entstanden, befestigte es sich durch die Apostasie des Adels. Die türkischen Padischahs hätten einen mit dem Geiste ihrer Herrschaft so unvereinbaren und ihren Anordnungen oft so widerspänstigen Feudalismus in ihrem Reiche nicht geduldet, wenn lezterer nicht die Stüße des Moslementhums und zugleich ihrer eigenen Macht in einer entfernten Provinz geworden

wäre, die sie kaum gegen die Angriffe des christlichen Europa häi ten vertheidigen können, wenn sie sich nicht selbst beschüßt hätte. In der That wäre Bosnien, fast jeder strategischen Verbindung mit der übrigen Türkei beraubt, schon längst dem Sultan nicht mehr unterthan; die Destereicher hätten es im vorigen Jahrhundert erobert oder es hätte sich zu Anfang des gegenwärtigen an Serbien an geschlossen, wäre es nicht der Türkei durch seine eigene feudale Aristofratie erhalten worden, die mit unglaublicher Hartnäckigkeit für die Sache des Islam und der Pforte kämpfte, weil sie mit dem Islam und der Pforte ihre eigene Privilegien und ihre eigene Herrschaft vertheidigte. In früheren Zeiten lehnte sie sich nicht selten gegen de vom Sultan eingefeßten Wefire auf, wenn diefe ihrer Zügellosigkeit zu steuern versuchten; aber der Geist des Aufruhrs schwieg augenblicklich, sobald eine Gefahr der allgemeinen Sache des Islam drohte; als Czerny-Georg und nachher Milosch die Fahne der christlichen Unabhängigkeit aufpflanzten, erhob sich die bosnische Aristokratie wie Ein Mann für ihren Padischah.

Seit der Zeit, wo die Existenz der Türkei von der GleichgewichtsPolitik der europäischen Mächte abzuhängen begann, wurde ihr der bosnische Feudalismus unnöthig und lästig. Schon im Jahre 1848 wurde von der Pforte die feste Absicht ausgesprochen, ihm ein Ende zu machen, und im Jahre 1851 ging diese Absicht in Erfüllung. Heutzutage stehen die vornehmen Muselmänner Bosniens mit ihren Glaubensgenossen in den anderen Provinzen der Türkei auf völlig gleichem Fuß, das militärisch-aristokratische Institut der Spahis ist abgeschafft, der von ihnen erhobene Zehnten wird an die Krone entrichtet und die ganze muhammedanische Bevölkerung ist der allgemeinen Rekrutenpflichtigkeit unterworfen. Aber der alte aristokratische Geist lebt noch immer in dem bosnischen Muselmann. Nach wie vor ist er stolz auf seinen Soi, d. h. auf sein Geschlecht oder seine Abstammung, ein Gefühl, das um so mehr auffällt, da den Türken selbst, zu welchen er sich auch zählt und deren Glauben er angenommen hat, die Idee eines Geschlechts-Adels völlig fremd ist. Er redet mit Vorliebe von seinen alten Privilegien und seinen tapferen Vorfahren und blickt mit einer Empfindung von vornehmer Ueberlegenheit auf die türkischen Beamten, die er als Emporkömmlinge, und auf die Christen, die er als einen elenden Pöbelhaufen betrachtet. Der esprit de corps ist in ihm so mächtig als je, und er verficht mit Eifer die Interessen seiner Brüder, die, wie er, zu der alten Feudal-Aristokratie gehören. Ja, dieser Geift der Brüderschaft und der gegenseitigen Unterstüßung ist bei den Muselmännern Bosniens viel stärker, als bei den Christen, obwohl Jahrhunderte lange Leiden die Lezteren hätten belehren sollen, wie nothwendig es sei, gemeinsam zu handeln.

In der Verbindung mit dem Gefühl der aristokratischen Würde, hat der Muhammedanismus bei den Bosniaken einen gewissen starra trägen Hochmuth erzeugt, unter dem sich oft wahrhafte Hèrzensgütt und sogar Seelenadel birgt, der aber noch häufiger mit empörender Nohheit verknüpft ist. Beim ersten Blick erkennt man den bosnischen Muselmann an seinen Manieren und seinem Gang; er sieht auf Alles mit einer Art von stumpfer Verachtung herab und bewegt seinen fleischigen, schläfrigen Körper mit unbeschreiblicher Schwerfälligkeit. Und seltsam genug: obschon die Muhammedaner in Bosnien von Kindheit an gewöhnt sind, Waffen zu tragen und sich niemals von ihnen zu trennen, und obschon sie in früherer Zeit sich unaufhörlich unter einander rauften, so kann man sich doch unmöglich einen furchtsameren Menschenschlag denken; es verbreite sich nur das Gerücht, daß die Montenegriner die Gränze überschritten haben, und sogleich wird die ganze muselmännische Bevölkerung Bosniens von einem so panischen Schrekken ergriffen, als ob der Kiamet wirklich da wäre. Unternehmunge geist hat sie nicht im geringsten; fast alle Industrie, aller Hande befindet sich in den Händen der Christen. Diese Faulheit und Verdroffenheit entspricht auch dem intellektuellen Zustand der musel männischen Bosnaiken. ́Man kann nicht sagen, daß sie völlig ohne Bildung sind; im Gegentheil findet man bei ihnen mehr gebildete Leute, als unter den Christen. Sie haben in jedem Städtchen eine Schule, während die orthodore Bevölkerung bis zum Jahre 1850 nicht eine einzige Lehranstalt besaß und die katholischen Schulen sich noch jeßt in dem traurigsten Zustande befinden. Allein die Bildung, welche der Muselmann in Bosnien erhält, ist eine rein orientalische; er lernt die türkische Schrift, liest den Koran und kann, wenn er sich vervollkommnen will, die arabische und persische Literatur studiren. In allem dem, was er lernt, ist jedoch nicht das Geringste, was auf seine eigene Nationalität Bezug hat. Seine Bildung dient nur dazu, ihn in eine geistige Sphäre einzuführen, die dem Lande völlig fremd ist, in dem er aufwuchs, und dem Kreise, in dem er lebt. Es ist daher begreifliq, daß seine ganze Bildung für ihn nur ein todter Buchstabe bleibt.

Die vornehmsten unter den bosnischen Muselmännern find di Begs, die Nachkommen der alten slavischen Aristokratie. Die Spahis von denen oben die Rede war, gingen aus demselben Stande hervor. Der Beg war Gutsherr in einem Dorfe, und ein zweiter Beg, DE

vielleicht in einer anderen Gegend Ländereien besaß, trieb in sei ner Eigenschaft als Spahi den Zehnten von den Bewohnern des Dorfes ein, ohne daß die Rechte des Einen mit denen des Anderen follidirten. Den Spahis, als Zehntmännern, waren auch die freien Ackerbauer, Muselmänner und Christen, untergeordnet, deren es früher in Bosnien eine nicht geringe Anzahl gab, von denen aber die Christen nach und nach in Leibeigene der muselmännischen Gutsherren verwandelt wurden. Die Christen erinnern sich mit Liebe der Spahis, da sie, wie man nach den Volks-Traditionen schließen kann, sich gewissermaßen als die Repräsentanten des Sultans den Landleuten gegenüber betrachteten und sie vor den Bedrückungen der Kapitane und Janitscharen schützten. Jezt ist, wie gesagt, das Institut der Spahis in Bosnien aufgehoben; der Zehnten ist ihnen abgenommen und habgierigen Spekulanten in Pacht gegeben worden. Die Begs aber find geblieben, da ihre Rechte sich nicht, wie die der Spahis, auf Militairdienst, sondern auf Privatbesig gründeten, die allerdings oft durch Gewalt erworben wurden.

Die Begs, mit welchen die Spahis fich seit dem Verlust ihrer besonderen Privilegien und Einkünfte wieder vollständig verschmolzen haben, betrachten sich selbst als die Abkömmlinge der alten christlichen Plemitsche (Stammhäupter oder Adelige) Bosniens. In ihrem Munde klingt die serbische Sprache ungewöhnlich rein und zierlich; fie gebrauchen die archaistischen Formen, die bei den Chriften im Umgang kaum mehr gehört werden, und nur die türkischen Worte, die sie einzumischen lieben, thun der Schönheit ihres Dialektes Abbruch, der noch ein gewiffes Gepräge aristokratischer Alterthümlichkeit trägt. Es heißt sogar, daß einige von ihnen noch die ihren Ahnen verliehenen Gnadenbriefe der alten bosnischen und serbischen Könige aufbewahren, aber Niemand hat diese Urkunden gesehen, da ihre Befiger ihnen eine geheimnißvolle Bedeutung beilegen und sie sorgfältig hüten, in dem Glauben, daß sie ihnen im Fall einer Revolution nüg lich sein könnten. Die Möglichkeit einer solchen Revolution, bei der es ihnen von Wichtigkeit sein würde, sich auf die von den christlichen Fürsten gewährten Rechte berufen zu können, wird von den bosnischen Begs nicht aus den Augen verloren; ja, sie verbergen es nicht einmal, daß, wenn das „Kreuz“ von neuem triumphiren sollte, sie bereit sein würden, gleich ihren Vorältern, wieder in die Kirche, statt in die Moschee zu gehen.")

Die ältesten Geschlechter Bosniens, die schon in der christlichen Zeit mächtig und angesehen waren, sind die Suleiman-Paschitsche, die für die Nachkommen der in der bosnischen Geschichte berühmten Familie Jablanowitsch gelten, die Wilitsche, Kregitsche u. s. w.; unter der türkischen Herrschaft sind die Familien Turchonowitsch, PhiLippowitsch u. s. w. aufgekommen. Am kräftigsten hat sich das aristokratische Element im nordwestlichen Bosnien, oder in der sogenannten Kraina (Gränze) erhalten, auf deren Höhen man noch die Spuren alter Burgen aus den Zeiten des Christenthumes bemerken kann. Einige von den Begs leben noch jest in den Kulen oder Thürmen ihrer Ahnen, die bei dem früheren Zustande der Kriegskunst eine lange Belagerung aushalten konnten; die meisten sind jedoch unbewohnt und stehen als Denkmäler der Vorzeit, von neuen, in der Regel hölzernen Wohngebäuden umgeben. Nahe bei der Kule oder dem Herrnhause sieht man gewöhnlich einige Hütten, die der muselmännischen Dienerschaft gehören, und in der Ferne liegen, über Berg und Thal zerstreut, die Ansiedelungen des christlichen Dorfes.

Der Einfluß der Fanarioten

auf den gegenwärtigen Zustand der Südflaven.**)

Es ist noch nicht lange her, daß die Südflaven aus einer Lethargie erwachten, welche sich durch vierhundert Jahre hinzog und Zeichen neuer geistiger Regsamkeit gaben. Die 1389 auf dem Kossower Felde erlittene Niederlage hatte das Volk demoralisirt; Zweifel an der eigenen Kraft trat an die Stelle wilden Thatendurftes, Zerrissenheit folgte der Einheit, welche mit der eben erwähnten Schlacht zu Grabe ging und von diesem Zeitpunkte an hingen Wohl oder Wehe der von Südslaven bewohnten Länder einzig und allein von der Willkür der Sultane ab, die denn auch bald darauf Bulgarien besezten und nach der Einnahme von Konstantinopel sich allmählich aller Landstriche vom Schwarzen bis zum Adriatischen Meere bemächtigten. Die Erweiterung ihrer Herrschaft kostete den Siegern durchaus keine Mühe, denn die um Erhaltung ihres Eigenthums besorgten Fürsten beugten sich willig unter das Joch des Muselmannes, traten sogar in verwandtfchaftliche Verhältniffe zu ihm und führten ihm chriftliche Hülfstruppen zu, um die noch unabhängigen Brüder den Fremdlingen unterthänig

*) Eine derartige Acußerung scheint doch mit dem Fanatismus im Wider spruch zu stehen, den der Verfasser oben den bosnischen Muselmännern zuschreibt. D. R. **) Nach der Gazeta Warszawska, von J. N. F.

zu machen. Bojaren erniedrigten sich zu Dienstleuteu des Padischah, und mancher bosnische Magnat ging vom Christenthum zum Islam über. Eine unausbleibliche Folge dieses lezteren Umstandes ist, daß man in Bosnien heute den klassischen Boden der Knechtschaft und Sklaverei zu suchen hat. Die zum muhammedanischen Glauben Uebergetretenen find tausendmal schlimmer, als die echten Türken, ihr religiöser Eifer macht sie zu blinden, grausamen Fanatikern, die nur sich allein als die wahren Söhne des Propheten betrachten, die Moslem verachten und für das arme christliche Volk im weitesten Sinne des Wortes eine Geißel sind.

Nicht besser steht es heute um die Herzegowina, deren Bevölke= rung sich dem Glauben nach in Katholiken, altgläubige Griechen und Muhammedaner theilt. Bosnien zählt unter einer Bevölkerung von einer Million Seelen 150,000 Katholiken, 550,000 Altgläubige und über 300,000 Anbeter des Propheten, in der Herzegowina findet man unter 120,000 Einwohnern männlichenz Geschlechts 25,000 katholischen Glaubens.

Die Zeitungen werden nicht müde, gegen die haarsträubenden Mißhandlungen zu Felde zu ziehen, denen in den genannten beiden Ländern die chriftliche Bevölkerung ausgesezt ist, und der Einfluß, welchen die verbündeten und dem Volke freundlich gesinnten Mächte ausübten, hat nach dem lehten Kriege den Stand der Dinge nur noch verschlimmert. Freilich sind die unter türkischem Scepter stehenden Slaven von dem Charodsch, d. h. der Kopfsteuer, befreit, bezahlen dafür aber in der „Wojnina“ für Enthebung vom Militairdienste eine Abgabe, welche jene fünf- bis zehnmal überwiegt. War der Charadsch früher mit 15 Piaster abgemacht, so beläuft sich die Wojnina heute auf 50, 100, ja selbst auf 150. Diese schöne Neuerung ist seit dem 6. August 1857 in's Leben getreten.

Will man das Mißgeschick Bosniens in der absonderlichen Lage des Landes suchen, welche den Wohlhabenden, Besißenden soweit ge= bracht hat, den mit ihm von gleichem Blute abstammenden Christen aus Religionseifer zu drücken und zu mißhandeln, so möchte es schwer fallen, ein Wort der Entschuldigung für diejenigen Zustände zu finden, denen wir gegenwärtig in Bulgarien begegnen. Dort ist es nicht der Türke, auch nicht der zum Türken umgeschaffene Christ, welcher die eiserne Fauft auf den Nacken des Volkes legt, sondern die christliche Geistlichkeit. In dem während dieses Jahres erschienenen zweiten Bande der Русская бесsдa (Russische Unterhaltung) finden wir einen hierauf bezüglichen, sehr interessanten Artikel, überschrieben: „Wiedergeburt der Bulgaren, oder die Reaction in der europäischen Türkei“.

Der Artikel fällt um so schwerer in's Gewicht, als es bisher nicht nur Niemand wagte, eine ähnliche Meinung auszusprechen, sondern im Gegentheil von allen Seiten darauf hingearbeitet wurde, die Wahrheit durch falsche Auffassung zu entstellen oder gar zu leugnen. Der gelehrte Bulgar Palausov, welcher sich vor einigen Jahren in Warschau befand, wußte damals viel von dem Unglück zu erzählen, von welchem sein Vaterland heimgesucht war und wälzte die Schuld weniger auf die Türken, als auf die Griechen, und ganz besonders auf deren Geistlichkeit. Was ihn bekümmerte, sprach er theilweise in seinem Werke: „Das Zeitalter Simeon's, Königs von Bulgarien“, aus, doch auf sehr vorsichtige Weise. Ungleich freier und rücksichtsloser tritt jezt Daskalov, gleichfalls ein Bulgar, vor die Oeffentlichkeit; er nennt die Sache beim rechten Namen, und die Thatsachen, welche er enthüllt, sind der Art, daß sie das tiefste Mitgefühl für die füdslavischen Christen rege machen müssen.

Es gab eine Zeit, in welcher man die Fanarioten den Homerischen Helden an die Seite stellte und sie als die Erlöser des Christenthumes im Orient pries. Die Griechen wußten auf schlaue Weise aus dieser ihnen günstigen Stimmung Vortheil zu ziehen, und stellten sich gerade damals als unschuldige Opfer türkischer Tyrannei, als Märtyrer des Kreuzes hin, als fie', ihren Glaubensbrüdern gegenüber, noch ungleich schlimmer, unmenschlicher wie die Osmanen verfuhren.

Daskalov's Verdammungsurtheil erstreckt sich jedoch nicht über die Gesammtheit der Griechen. Wenn er von systematischer Verfolgung der Slaven, knechtischer Unterwürfigkeit unter das Joch der Türken, von Niederdrückung des freien, selbständigen Gedankens, des auftauchenden Nationalgefühls spricht, so will er die Bewohner Hellas' und der Jonischen Inseln ausgenommen wissen, welche die Fanarioten gründlich hassen und sich auch in religiöser Beziehung von ihuen losgesagt haben.

In Sachen des Kultus schaaren die Griechen sich um sechs von einander unabhängige Bischöfe, oder vielmehr sie stehen unter zwei Synoden (Hellas und die Jonischen Inseln) und vier Patriarchen (Antiochien, Alexandrien, Jerusalem und Konstantinopel). Das zuleßt genannte Patriarchat ist das ausgedehntefte, und gerade dieses zeigt den meisten Eifer, den slavischen Namen auszurotten. Die zu ihm gehörenden Griechen nennen sich Fanaristen nach dem türkischen fene er,

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