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zu heilen, genießt man jest Fastenspeisen, als da find: Kohl, ohne die Fleischzulage, Gurken, Erdschwämme, Leinöl (ein Leckerbiffen, den der gemeine Mann nur selten haben kann), Fische, und dergleichen mehr, womit das Leben so lange hingeschleppt wird, bis das Osterfest die Kost und den Lärmen der Masleniza wiederbringt. In der Fastenzeit muß Alles beichten, da büßt Jeder für die Sünden eines ganzen Jahres, spendet dem Popen, soviel er vermag, erhält dafür Abfolution, genießt das heilige Abendmahl, und ist nun wieder in der Verfassung, von neuem fündigen zu können.

Der Ruffe ist im Ganzen sehr bigott. Er bekreuzt sich häufig, fegnet sich auf jedem Schritte und beobachtet alle ihm vorgeschriebenen Gebräuche mit großer Gewissenhaftigkeit. Gegen Arme ist er mildthätig und läßt einen Bettler nicht ohne Almofen von seiner Thür. Auch giebt es manche Redensart, in welcher die Frömmigkeit des Volkes sich kund giebt. Will Einer z. B. den Anderen höflich fragen, wohin er gehe, fo fagt er:,,Wohin führt Dich Gott?" Bei Erwähnung eines Verftorbenen sezt der wahre Gläubige allemal hinzu:,,Gott schenke ihm das Himmelreich!" Wenn genoffene Speise ihm aufstößt, so sagt er: ,,Eine Seele spricht mit Gott". Gewisse Redensarten, wie jej bógu (Gott helfe), bogs' tobói (Gott sei mit dir), s' bógom (mit Gott), mischen sich in jedes Gespräch; allein eben der beständige Gebrauch hat die ursprüngliche Bedeutung einiger ganz abgenugt, ja, sie haben eine entgegengesette Bedeutung erhalten. So find bog s' tobói und 'bógom gewöhnlich nur Euphemismen für geh' zum Henker!" Vor wenigen Jahren begab es sich, daß ein höherer Polizeibeamter in Petersburg auf die Kanzlei (Geschäftsstube) eines dortigen finnischen Predigers kam, um über irgend eine Sache Auskunft zu erhalten. Der Adjunkt des Predigers, welcher damals den Dienst versah, konnte die Sache nicht gleich erledigen; als nun der Beamte, darob erzürnt, vor der Erledigung fortzugehen drohte, entließ ihn der etwas beleidigte Adjunkt mit einem bógom! Das verlegte den Herrn Poliziften in solchem Grade, daß er den Adjunkten sofort beim Konsistorium verklagte, als vornehmsten Grund angebend, er habe gegen ihn, den Kläger, einen Mann von diesem und jenem Range und Inhaber so vieler Orden,,,unziemliche Ausdrücke" gebraucht. Das Konsistoríum verhörte den Adjunkten, konnte ihn aber in keiner Weise be ftrafen, und wahrscheinlich ließ man die Sache fallen.

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Ich hatte oft Gelegenheit, mich zu überzeugen, wie wenig oder gar nichts Bigotterie und strenge Beobachtung religiöser Gebräuche zur Veredelung des Herzens wirken. In einer großen russischen Stadt war ich am Ofterabend in der Kirche, ging aber vor den Anderen wieder hinaus. Draußen angekommen, ließ ich mir's einfallen, bei einem der vor dem Kirchenthor sißenden Höker ein halbes Dußend geføttene Eier zu kaufen. Der Höter nahm mir das Doppelte oder Dreifache des gewöhnlichen Preises ab und versicherte dabei, daß die Eier vortrefflich seien. Als ich ihm das Geld gereicht hatte, wendete der Mann sich der Kirche zu und verneigte sich unter Bekreuzungen eine gute Weile. Beim Weggehen fragte ich ihn nochmals, wie die Eier beschaffen seien, und erhielt wieder die eidliche Versicherung, daß es,,in der ganzen Welt keine noch frischeren gäbe". In meinem Quartier angekommen, klopfte ich die Eier auf da waren alle ohne Ausnahme so schwarz und faul, daß ein Wolf sie verschmäht haben würde. Warum bekreuzte der Verkäufer sich so andächtig, als er mir die Eier verkauft hatte? Gewiß dankte er Gott für den guten Anfang, den er heute Abend (ich war offenbar der erste Käufer) mit dem Absaß schlechter Waare gemacht, und flehte um Gottes oder der heiligen Jungfrau gnädigen Beistand, damit er alle feine faulen Eier um ebenso guten Preis loswerden könne. - In Ardatov kaufte ich Milch bei einem alten Weibe und zahlte ihr dafür einen höheren Preis als Andere, unter der Bedingung jedoch, daß sie nicht Wasser einmengte. Troß deffen bekam ich die Milch wohl gewässert und konnte daher nicht umhin, dem Weibe seinen Betrug vorzuhalten. Sie bekannte ihre Schuld, aber nicht etwa in reuiger Weise:,,Was ist denn da. bei?" fagte fie: "Ihr seid ein reicher Mann; gesezt nun auch, ich übervortheilte Euch um einen oder ein paar Kopeken, so hätte ich doch den Nugen davon, daß ich ein Wachslicht mehr kaufen könnte, um es in der Kirche vor dem Gnadenbilde der heiligen Jungfrau aufzustellen: für Euch dagegen haben einige Kopeken gar keinen Werth."

Der Hang zum Betrügen ist, wie mir scheint, bei den Oft-Europäern überhaupt vorzugsweise heimisch, während uns unverbrüchliche Redlichkeit und Festhalten an einem gegebenen Versprechen vorzugsweise im Westen (Nordwesten?) begegnen. Neben aller sonstigen Armuth hat der Schöpfer namentlich uns Finnen diese Tugend in reichem Maße zugetheilt, und der finnische Spruch:,,am Worte den Mann, am Horne den Ochsen“ (sanasta miestä, sarvesta härkää) ist mehr werth als zehn liftig erworbene Grundstücke; denn obschon man auch fagt:,,Redlichkeit erbt das Land" (rehellisyys maan perii), so erbt doch nicht Jeder auf redliche Weise. Selbst die offinnischen Stämme

besißen noch viel von dieser lobenswürdigen Eigenschaft, daher auch die russischen Beamten der betreffenden Gouvernements in einen Mordwinen, Tscheremiffen, oder Wotjaken größeres und begründeteres Vertrauen seßen, als in ihre slavischen Stammesgenossen. Mannigfaltiges.

Ein russisches Tendenzstück. Ueber das Luftspiel: „Es giebt noch gute Leute in der Welt",") das jeßt in Petersburg wegen seiner drastischen Schilderungen des russischen Beamtenwesens so großes Aufsehen erregt, finden wir in der Sjéwernaja Ptschel folgende Bemerkungen: "Theatralische Erfolge find in Rußland außerordentlich selten, so daß wir in einem funfzigjährigen Zeitraum uns nur weniger Fälle erinnern können. Gegenwärtig aber hat ein ruffisches Original-Lustspiel in drei Aufzügen die Aufmerksamkeit aller nur einigermaßen gebildeten Einwohner Petersburgs auf sich gezogen. Und aus welchem Grunde? Ohne komplizirte Ver- und Entwickelung, ohne Theater-Coups, ohne hervortretende Charaktere gefällt das Stück. Es gefällt, weil es wahr ist, weil es die Wirklichkeit darstellt. Der Held des Drama's, Wolkov, ist ein armer Kanzellist, der mit seiner Frau, Olga, ein bescheidenes, aber rechtschaffenes Leben führt. Auch sein Freund Prostota, Registrator in einem RegierungsBureau, ist ein guter und ehrlicher Mensch. Alle anderen Personen des Stücks, dreizehn an der Zahl, find Charaktere, wie man sie tåglich bei uns antrifft, darunter Jwantschikov, ein aus Staatsdiensten entlaffener Polizei-Direktor, ein geborner Schuft und frecher Ränkeschmied. Die Intrigue besteht darin, daß der Kanzellist Wolkov die Akten über die gegen Jwantschikov eingeleitete Untersuchung zur Abschrift nachhause nimmt, wo ihm dieser die Akten abkaufen und ver nichten will. Wolkov weist ihm die Thür, worauf Iwantschikov zum Fenfter in das Quartier einsteigt und die Akten stiehlt. Der arme Kanzellist ist auf dem Punkt, unglücklich zu werden, da man ihn selbst für den Dieb hält, aber sein Freund Prostota kommt dem Räuber auf die Spur, bringt die Akten zurück, und Alles nimmt ein glückliches Ende. Wie man sieht, ist die Geschichte ziemlich einfach, allein die handelnden Personen sind alle so meisterhaft gezeichnet, in ihren Reden, ihrem Benehmen und ihrem Ideengange spiegeln sich unsere Zustände mit folcher Treue ab, daß sie unwillkürlich unser Intereffe erregen und unsere Aufmerksamkeit fesseln. Mehr als zehnmal hat man das Stück schon gegeben, und stets war das Haus gefüllt. Bei jeder Vorstellung wird der Verfasser zu wiederholten Malen gerufen, und der Beifall nimmt kein Ende. Es ist dies ein Beweis, daß unser Publikum die Wahrheit, nichts als die Wahrheit, verlangt. Allerdings hat das Stück auch Gegner, aber nur unter folchen Leuten, welche es ungern sehen, daß Mißbräuche veröffentlicht werden." Es verdient übrigens Bemerkung, daß dergleichen „Tendenzstücke“ in der russischen Literatur nichts Neues find. Schon vor mehr als einem halben Jahrhundert schrieb Kapnist seine „, Jabedy" (,,Schikanen") und Sudowschtschikov,, das unerhörte Wunder, oder der ehrliche Gerichtsschreiber", in welchen die Bestechlichkeit und die Willkür der Büreaukratie mit grellen Farben gemalt werden, und auch Gogol's berühmter,,Revifor“ (der von der Censur zurückgewiesen wurde und deffen Aufführung nur auf ausdrücklichen Befehl des Kaisers Nikolaus stattfinden konnte), behandelt dasselbe Thema. Leider haben diese Versuche, die aus einer despotischen Staatsform hervorgehenden Uebel mit literarischen Waffen zu bekämpfen, bisher nur geringe praktische Erfolge gehabt.

- Felice Orsini. Aus dem Leben dieses italiänischen Flüchtlings, der sich durch seine Theilnahme an dem verwegenen Attentate gegen Napoleon III. neuerdings berüchtigt gemacht, hat das,,Magazin" vom 27. Oktober 1857 (Nr. 130) eine Episode mitgetheilt, welche seine Flucht aus dem Gefängnisse von Mantua zum Gegenstande hat. In diesem von anderen deutschen Blättern uns vielfach nachgedruckten Artikel wurde bereits von ihm gesagt: Felice Orsini, geboren in der Romagna 1819, gehört zu jenen raftlosen, verblendeten Verschwörern, die nur das unglückliche Italien erzeugt. In seinem zweiundzwanzigsten Lebensjahre schon (1841) ließ er sich in die geheimen Gesellschaften aufnehmen; 1844 wurde er zu lebenslänglicher Galeerenftrafe verurtheilt, von der er zwei Jahre darauf durch Pius IX. amnestirt wurde, um in den Jahren 1847-1849 an den Aufständen in den Abruzzen und dann in Rom an Mazzini's Diftatur Theil zu nehmen." Sein Leben ist ein beständiges Gewebe von Wühler-Versuchen, Aufständen, Gefängniß-Abenteuern und Entweichungen nach dem Auslande.

*) Свѣтъ не безъ добрыхъ людей. Воп П. И. 'web. m Drud erschien dasselbe bereits in den Otétschestwennyja Sapiski vom März v. J., doch gelangte es erst am 13. (25.) November zur Aufführung.

Wöchentlich erscheinen 3 Nummern. Preis jährlich 3 Thlr. 10 gr., halbjährlich 1 Thlr. 20 Sgr. und viertel jährlich 25 Sgr., wofür das Blatt im Inlande portofrei und in Berlin frei ins Haus geliefert wird.

No 14.

für die

Bestellungen werden in jeder deutschen Buchhandlung (in Berlin be Beit u. Comp., Jägerstraße Nr. 25, und beim Spediteur Neumann, Niederwallstr. Nr. 21), sowie von allen königl. Post-Aemtern, angenommen.

Literatur des Auslandes.

Türkei.

Reschid - Pascha.

Berlin, Dienstag den 2. Februar.

Nachstehende Angaben über das Leben und den Charakter des verstorbenen Großwesirs sind einer Privat-Korrespondenz der Daily News aus Konstantinopel entlehnt:

„Reschid-Pascha wurde im Jahr 1802 zu Konstantinopel geboren und war der Sohn Mustafa-Efendi's, des damaligen Verwalters der reich ausgestatteten Moschee Sultan Bajasid's. Mustafa starb, während der künftige Sadr Asem noch ein Kind war, und da sein Amt, welches bisher in der Familie erblich gewesen, von dem Sultan Mahmud an einen seiner Lieblings-Eunuchen verliehen wurde, so blieb der kleine Reschid mit seiner Mutter und seinen Schwestern fast unversorgt zurück. Wie nicht wenige türkische Matronen aber, ersezte die Witwe das, was ihr an Bildung abging, durch natürliche Einsicht und angeborene Energie des Charakters, und sie hielt ihre schwachen Hülfsmittel so gut zu Rathe, daß sie dem Sohn, der sich früh durch Talent auszeichnete, eine sorgfältige Erziehung geben konnte. In seinem funfzehnten Jahr verlor Reschid die Mutter, er fand jedoch einen neuen Beschüßer in seinem Schwager, Ali-Pascha, dem Gouverneur einer asiatischen Provinz. Als Privat - Secretair dieses Würdenträgers begleitete er ihn 1821 aus Anatolien nach dem im Aufstande begriffenen Peloponnes und im folgenden Jahre nach Konstantinopel, wohin Ali berufen ward, um den Posten eines Großwesirs einzunehmen. Indeffen blieb Ali nur kurze Zeit im Genuß seiner neuen Würde, denn da er versöhnliche Maßregeln gegen die Griechen befürwortete, während die Majorität im Divan zum Gegentheil ricth, so wurde er bald abgefeßt und nach Gallipoli verbannt. Die wieder holten Niederlagen der Türken in Morea bewirkten jedoch binnen kurzem, daß er wieder zu Gnaden angenommen und nach der Halbinsel geschickt wurde, um das Kommando gegen die Insurgenten zu führen. Reschid folgte ihm, allein da der neue Oberbefehlshaber ebenso unglücklich war als seine Vorgänger, so wurde er abermals von feinem Poften entfernt und blieb in Ungnade bis zu seinem Tode. Die Talente des jungen Secretairs hatten jedoch in amtlichen Kreisen einen so günstigen Eindruck gemacht, daß er nicht, wie gewöhnlich, in den Sturz seines Gönners verwickelt wurde. Er ward in das Gefolge des damaligen Großwefirs Selim-Pafcha aufgenommen, mit dem er dem Feldzuge von 1828 gegen die Ruffen beiwohnte. Selim wurde bald durch Izzet-Pascha ersegt, und Reschid trug seine Anhänglichkeit auf den neuen Wesir über, dem er, als Secretair der türkischen Bevollmächtigten, bei der Unterhandlung des Friedensver trages von Adrianopel zur Seite stand.

,,Für seine bei dieser Gelegenheit geleisteten Dienste wurde Reschid vom Sultan Mahmud zur Würde eines Amedzi oder Großreferendars erhoben und bald nachher mit Pertev - Efendi auf einer Mission nach Aegypten geschickt, wohin er 1833, nach der Niederlage der Türken in der Schlacht von Konich, zum zweitenmal mit Halil-Pascha ging und den Vertrag von Kjutahia mit Mehemed-Ali abschloß. Zur Belohnung der hierbei bewiesenen Thätigkeit ward er als Botschafter nach Paris gefandt und bald darauf in gleicher Eigenschaft nach London. Während der zwei Jahre, die der junge Diplomat in den Hauptftädten von Frankreich und England verbrachte, benuste er, wie seine spätere Laufbahn gezeigt hat, jede Gelegenheit, sich mit den Wohlthaten der westlichen Civilisation bekannt zu machen, und er begeisterte fich mehr als je für die reformatorischen Pläne, welche Mahmud II. schon in Stambul auszuführen begann. Sein ehemaliger Vorgesezter, Pertev, war jest Großwesir, und er berief Reschid nach Konstantinopel zurück, um ihm das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten zu übertragen. Als er den Bosporus erreichte, fand der designirte Minister seinen Gönner todt; auf Anstiften der Feinde des Wefirs hatte Mahmud einige Tage vorher in crunkenem Muth den Befehl zu seiner Erdrosselung gegeben. Nach Allem, was in solchen Fällen herkömmlich, war auch Reschid jest verloren; statt aber sich durch

1858.

diesen plöglichen Schlag betäuben zu lassen, appellirte er muthig an den nüchtern gewordenen Monarchen, bewies die Grundlosigkeit der gegen Pertev erhobenen Anklagen und bewirkte, daß seine Mörder ihm ins Paradies nachgeschickt wurden. Nachdem er also den unvermeidlich scheinenden Untergang in einen Triumph verwandelt, erwarb Reschid schnell die hohe Gunft des Sultans, der in ihm ein bereitwilliges Werkzeug zur Ausführung seiner beabsichtigten Reformen fand. Allein Beide, Herr und Diener, versuchten zu viel auf einmal, und die Schuld des Mißlingens wurde natürlich dem künftigen Wefir zu Last gelegt. So verfeindete er sich nicht nur die Stock-Konservativen, sondern auch die gemäßigte Reformpartei, und der unglückliche Ausgang der erneuerten Feindseligkeiten gegen Mehemed - Ali, zu welchen der Sultan sich hauptsächlich auf seinen Antrieb entschloffen hatte, war Veranlassung, daß er in Ungnade fiel und zum zweitenmal als Botschafter nach London in ein ehrenvolles Eril geschickt wurde. Hier versuchte er, eine antirussische Allianz zu Stande zu bringen, indem er überzeugt war, daß nicht nur der ägyptische Aufstand vornehmlich durch moskowitische Intriguen geschürt worden, sondern daß die Zukunft der Türken überhaupt durch den Zaren auf das ernsteste gefährdet sei. Seine Bemühungen blieben ohne Erfolg, und er verließ England, um eine Vergnügungsreise auf dem Kontinent zu unternehmen. nehmen. Auf dieser für einen Türken noch so ungewöhnlichen Reise besuchte er Rom und hatte die Ehre, der erste unter den Anhängern des Propheten zu sein, der dem Papst vorgestellt wurde. Von Rom begab er sich nach Paris, und dort empfing er die Kunde von den Unfällen, die Schlag auf Schlag über sein Vaterland eingebrochen waren von dem Tode Mahmud's, dem entscheidenden, von JbrahimPascha bei Nisib gewonnenen Siege und der verrätherischen Uebergabe der türkischen Flotte an die Acgypter durch den Kapudan- Pascha. Dies war zu Anfang des Jahrs 1839. Nach London zurückeilend, bot Reschid Alles auf, um die thätige Mitwirkung der Großmächte zur Schlichtung des ägyptischen Konflikts zu erlangen, und mit solchem Erfolg, daß die Quadrupelallianz zur Rettung der Türkei vor ihrem siegreichen Vasallen bald darauf unterzeichnet wurde. Kaum war dies geschehen, als Reschid, dem Rufe des neuen Monarchen folgend, nach Konstantinopel zurückeilte, und in kurzer Zeit ftand er bei Abdul Medschid in noch höherer Gunst, als früher bei Mahmud. Von dem jungen Sultan beauftragt, die Reformen ins Werk zu sehen, die ihm bisher mißlungen waren, machte Reschid sich ohne Zögern an die Ausarbeitung eines großen Organisations-Entwurfs, der die Uebel des türkischen Verwaltungs-Systems mit der Wurzel ausrotten sollte, und erließ zu diesem Ende am 3. November 1839 den berühmten Hattischerif von Gülhané, der die Grundlage des ganzen Reformgebäudes bildet, welches seitdem unter dem Namen des Tanzimat errichtet

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,,Nachdem er so eine neue Aera politischer Verbesserungen eröffnet hatte, fuhr Reschid fort, die auswärtigen Angelegenheiten zu verwalten, bis er im Frühjahr 1841, als der Krieg gegen Mehemed Ali beendet und die verlorene Flotte aus Alexandrien zurückgekehrt war, ein Opfer russischer Intriguen wurde und sein Portefeuille niederlegen mußte. Indeffen wurde seine Ungnade zum zweitenmal in den ehrenvollen Schleier einer diplomatischen Mission gehüllt, und er erhielt wieder den Auftrag, die Pforte in Paris zu vertreten. Hier arbeitete er, wie früher, daran, Frankreich und England für eine antirussische Politik zu gewinnen, aber auch diesmal mit geringem Erfolg. Ludwig Philipp war halsstarrig, und welches auch die geheimen Neigungen unserer eigenen (der britischen) Regierung sein mochten, so konnte sie natürlich allein nicht vorgehen. Im Herbst 1846 zurückkehrend, wurde Reschid zum Großwefirat erhoben, und während er die Functionen dieses hohen Amtes ausübte, lich er, wie bisher, das ganze Gewicht feines Einflußfes der Beförderung von Reformen in allen Zweigen der Verwaltung. Von dieser Zeit bis zum Anfang des lehten Krieges fuhr er, mit wenigen Unterbrechungen, fort, das Amt eines Premierministers oder eines Chefs der auswärtigen Angelegenheiten zu bekleiden, und in beiden zeigte er sich konsequent der russi

schen Politik feindlich und der britischen in der Person Lord Stratford's geneigt. Die Festigkeit und Würde, mit der er dem drohenden Gebahren Menschikov's im Jahr 1853 entgegentrat, wird den meisten Lesern noch erinnerlich sein, wie auch die administrative Geschicklichkeit, die er in den folgenden zwei stürmischen Jahren an den Tag legte. Durch diese Gefahren, wie durch so manche geringere, Steuerte er das Staatsschiff mit fefter Hand und gewann neue Ansprüche auf die Dankbarkeit seines Vaterlandes und die Achtung Europa's. ,,Dies war in kurzen Zügen die amtliche Laufbahn von ReschidPascha, fechsmal Großwefir der Türkei. Nach so vieler Auerkennung, wie obige Schilderung derselben in sich schließt, wird es vielleicht ein Widerspruch scheinen, wenn wir sagen, daß bei allen feinen Berdiensten er mindestens eine Schwäche hatte, welche seinen Ruhm als Staatsmann und Patriot nicht wenig schmälert. Aber wenn die Aber wenn die Wahrheit es verlangt, daß man den wichtigeren Akten seines öffent lichen Lebens aufrichtigen Beifall zollt, so erfordert sie auch, ihn der gröbsten Feilheit und Corruption zu bezüchtigen. Welche angeborenen Laster er in seinem langen Verkehr mit den Westen abgelegt und welche fremden Tugenden er sich angeeignet haben mag, der echt orientalische Schandfleck der Bestechlichkeit blieb bis zulegt an ihm haften. Es sind mir persönlich Fälle bekannt, in welchen er seinen Einfluß so schamlos an den Meistbietenden verkaufte, wie der gemeinste Kawaß in Stambul. In jeder anderen Hinsicht den übrigen türkischen Beamten weit überlegen, war Reschid-Pafcha im Punkte der Corruption nicht um ein Haar besser als seine Kollegen und hiermit ist Alles gesagt.

,,Von Person war der Großwefir von mittler Statur, kräftig, aber symmetrisch gebaut, mit regelmäßigen Zügen, hellbraunen Augen von seltener Klarheit und einem Teint von echt asiatischer Oliven farbe. Mit diesen äußerlichen Vorzügen und mit ausgebreiteten wissenschaftlichen Kenntnissen verband er die feinste französische Politur des Benehmens und die elegantesten Formen, die ihn in den Stand gesezt hätten, bei jedem beliebigen Hofe Europa's eine Rolle zu spielen. Seine vollendete Meisterschaft der franzöfifchen Sprache hatte ihm die besten Schriftsteller des Westens zugänglich gemacht, während er in genauer Kenntniß der arabischen, persischen und türkischen Literatur von wenigen, vielleicht von keinem seiner Landsleute übertroffen wurde.“

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Ich werde mich demnach, vorderhand wenigstens, an den schlichten und klaren Gedanken halten, den mich meine französischen Meister, den ich selber meine Schüler gelehrt, worin mein Geist und Gemüth gleich sicher ruhen: Die Philosophie ist ein Ding, die Religion ift ein ander Ding; man muß jede an ihrem Plaze laffen mit ihren besonderen Organen und der einer jeglichen eigenen Autorität. Das Christenthum anzugreifen, war eine Aufgabe des vorigen Jahrhunderts; fangen wir dies nicht von neuem an, denn es war vom Uebel. Fern davon, wünschen wir, daß die chriftliche Religion in ihren verschiedenen Bekenntnissen, mehr und mehr geläutert von den Kleinlichkeiten und dem Aberglauben, die nur zu oft aller Religion anhangen, sich befestige und von Tag zu Tag weiter ausbreite; denn mit ihr halten und verbreiten sich heilige Glaubenslehren, die der wahren Philosophie, der Tugend, der Vaterlandsliebe, mit Einem Worte, Allem Vorschub thun, was die Größe des Menschen auf Erden ausmacht. Seien wir aber auch konsequent: wenn wir das Christenthum in den Gemüthern der Menschen nicht zerstören wollen, achten wir auch die heiligen Schriften, auf denen es ruht, und ohne die Kritik auszuweisen, zügeln wir fie, in ihrem eigenen Intereffe. Halten wir be sonders die Philosophie davon ab, sich in Streitigkeiten zu mischen, die sie nichts angehen und wo sie nur ihre berechtigte Unabhängigkeit gefährden könnte.

Sehen wir nun zu, wie weit die Philosophie selbft jenseits des Rheins jezt ist und ob ihr Frankreich viel Ersprießliches entleh.

nen kann.

Wie fich Solger in Berlin und Bouterweck in Göttingen gegen mich ausgesprochen, ist die deutsche Philosophie in einer Krisis, deren Ausgang ungewiß ist. Der mehr oder weniger durch Jacobi modifizirte Kantianismus ist im Kampfe mit der Naturphilosophie, der Schöpfung Schelling's. Ehrenhafte, verständige und vorsichtige Männer, wie Tennemann, Schulze, Bouterweck, Ancillon, Fries, de Wette, halten es mit dem Ersteren, der ihnen die Sache der Vernunft und der Tugend zu vertreten scheint; die andere Partei zählt in ihren Reihen die Jugend, die Kraft, Alle, denen die Zukunft gehört. Der hervorragendfte Denker, dem ich noch begegnet bin, Hegel, ist ein mehr oder weniger origineller Jünger der Naturphilosophie. Der

geistreiche, beredte Verfasser der „Gespräche über die Religion an ihre denkenden Verächter" hat sich, gegenwärtig wenigftens, offen für Schelling erklärt und, troß seiner Behutsamkeit, sich deutlich auszulassen, neigt Solger, wie sein Freund Schleiermacher, nach dieser Seite hin. Nach Kant sind unsere Einsichten unfähig, die Wahrheit selbst, die Natur der Dinge (das „Ding an sich") zu erkennen; sie geben uns nur die Außenseiten, die Erscheinungen, die aber unter sich verbunden sind und gemäß der Logik, den Gefeßen unseres Denkens, eine feststehnde Ordnung bilden. Die Vernunft, wesentlich subjektiv, faßt die Objekte: Seele, Welt, Gott nur, indem sie dieselben außer ihr selber mit Hülfe einer Art geistiger Spiegelung entwirft. Die Bernunft ift demnach, und ist sich auch deffen bewußt, zum Skeptizismus verurtheilt. Sie heiße, statt reiner Vernunft, praktische Vernunft, fie werde vorzugsweise auf die Idee der Pflicht angewandt - das ändert nichts an ihrem Charakter, erweitert nicht ihren Bereich und verseht sie nicht über ihre natürliche Sphäre hinaus. Wenn nun die Vernunft nicht durch sich selber verlässige Beurtheilerin des Wahren, wenn sie schlechterdings unvermögend ist, aus sich herauszugehen und das Wesen der Dinge zu erkennen, so giebt es gegen das Uebel kein Heilmittel. In ihrer umfassendsten Entwickelung kann sie wohl die Zahl der Phänomene anwachsen sehen und sie ihren Geseßen unter= werfen; sie kann ihre Anwendungen vervielfachen und sich in das Unendliche ausdehnen die Schranke aber, die ihr Kant gesezt, kann sie nimmer überschreiten. Die Idee der Pflicht erhebt allerdings die Vernunft in eine höhere Welt; aber diese Welt ist ja wieder nur eine Verwandlung der Vernunft. Fügt nun mit den neuen Kantianern zu der Vernunft das Gefühl, was thut ihr denn mehr, als daß ihr zu den Täuschungen, mit denen sich die Vernunft abarbeitet, eine neue hinzufügt? Sie ist schon ohnehin in Versuchung, ihre eigenen Entwickelungen für die Dinge an sich zu nehmen; mit der neuen Instanz, auf die sie sich berufen kann, steigert sich diese Versuchung: das ist Alles. Das ganze Unternehmen des Herrn Fries reduzirt sich darauf, den Kantschen Skeptizismus zu maskiren und ihm den Schein eines Gefühls-Dogmatismus zu geben.

-

Wie kann aber das Gefühl einen Dogmatismus gebären? In der That, Kant müßte über diese Erfindung lächeln. Er würde seine Verbefferer belehren, daß das Gefühl selbst ja nur ein Phänomen, und zwar das subjektivfte sei, und daß demnach nur die äußerste Inkonsequenz ihm zumuthen könne, der Subjektivität der Vernunft abzuhelfen. Die Subjektivität der Vernunft das ist der verhängnißvolle Ausgangspunkt der deutschen Philosophie. So lange sie als Grundlage bleibt, wankt das Gebäude, und die geschicktesten Nachbesserungen, die glänzendsten Ausschmückungen können nur ein unaufmerksames oder ungeübtes Auge täuschen. — Es scheint, daß nur eine wahrhaft Platonische Theorie der Vernunft allen diesen Gefahren entgehe und keine derartigen Rückläufe zu besorgen haben müßte. Die Vernunft mit ihrem ersten und bescheidensten Auftreten in unserem Bewußtsein giebt uns das Sein zugleich mit dem Wissen, enthüllt uns durch die absolute Macht, womit sie bekleidet ist, unter den wahrgenommenen verschiedenen Phänomenen das reale, mit sich identische und einige Sein: das Jch, das eben die Phänomene wahrnimmt. In einem anderen oder vielmehr demselben Akt entdeckt uns dieselbe Vernunft noch ein reales Objekt dieser wahrgenommenen Phänomene: die Welt, die etwas Anderes ist, als das Ich (das,,Anderssein“), aber doch existirt nie das Ich. Ueber die äußere, unermeßliche, aber endliche Welt hinaus, über die innere Welt unseres Bewußtseins hinaus, die unermeßlich, aber endlich ist wie jene, unvollkommen, voll Größe und Schwäche zumal, offenbart uns die Vernunft etwas später das unendliche, vollkommene und ewige Sein, den Urgrund aller Existenzen. Das lehre ich, und ich bin, bei all meiner Bewunderung Kant's und Jacobi's, entschloffen, den so begonnenen Unterricht ruhig fortzuseßen, ihn zu entwickeln und auszudehnen, aber immer auf derselben Straße zu bleiben.

Die Naturphilosophie hat das vor der Philosophie Kant's und Jacobi's voraus, daß sie dogmatisch ist und an die Vernunft glaubt, und diese beiden unermeßlichen Vorzüge ziehen mich zu ihr hin. Aber andererseits will mir der Name „Naturphilosophie“ nicht recht ge= fallen. Wohl bezeichnet er eine Umkehr zur Realität; aber zu welcher Realität? Zur Realität der Welt; ich gestehe aber, daß mir die Realitäten der Seele und Gottes weit wichtiger sind. In der Schule tann die Existenz der Welt in Zweifel gezogen werden; außer der Schule ist dieser Zweifel eine harmlose Schrulle. Berkley's und Fichte's Idealismus ist nicht die Klippe, an der unser Jahrhundert scheitert. Keinem Menschen unserer Zeit wird es einfallen, an seinen Sinnen und an den Gegenständen seiner Sinne zu zweifeln. Im Mittelalter, da wäre eine Naturphilosophie am rechten Drte, gewefen. Im dreizehnten Jahrhundert hatte Roger Bacon den Gedanken der Naturphilosophie gefaßt und sie in dem Franziskaner-Klofter es nahm einen Theil der Rue de l'École de Médecine ein, und die Kirche deffelben besteht noch einige Zeit gelehrt. Die Geister, die

das,,Itinerarium mentis ad Deum" durch alle Stufen der Beschaulichkeit, des Gebets, des Schweigens, der Verzückung bis in den neunten Himmel entführt hatte, wieder zur Natur zurückzuführen, das war ein neues und kühnes Unterwinden, das Roger Bacon mit seiner Lebensruhe und einer langen Gefangenschaft bezahlt, das aber feinen Namen unsterblich gemacht hat. Im neunzehnten Jahrhundert das gegen gemahnt die Schellingsche Naturphilosophie unwillkürlich an Robinet's:,,Traité de la Nature", an Diderot's:,,Interprétation de la Nature", und Gott verhüte, daß dieser ganze Naturalismus nicht auf Holbach's: „,Système de la Nature" hinauslaufe! Wie traurig, wenn die so gerühmte deutsche Philosophie nichts weiter wäre, denn eine Rückkehr auf mühsamen und dunklen Pfaden zu dem flachen Encyklopädismus! Welche Demüthigung für den Stolz Deutschlands! Und wie schön wäre ich da angeführt! Ich hätte mit großen Kosten eine Reise von dreihundert Lieues von meiner Heimat gemacht, um das zu suchen, worauf ich, Gott sei es geklagt, bei den ersten Schritten meiner Laufbahn gestoßen und was ich entschloffen bin', bis zu meinem leßten Hauche zu bekämpfen.

Die Naturphilosophie anerkennt die reale Existenz des Menschen, der Welt, Gottes. Sehr gut, das that aber Spinoza auch; nur täuschte er sich über den Charakter dieser drei Existenzen und ihre Beziehungen zu einander. Nach Spinoza ist der Mensch nicht frei; denn sein Wille ist nur eine Metamorphose der Begierde. Was wird aber ohne Freiheit aus der menschlichen Persönlichkeit? Spinoza's Gott ist ferner eine Substanz, keine Ursache; er ist ebensowenig frei, wie der Mensch; er hat nicht den Geist und die Materie gemacht, sondern Geist und Materie sind seine gleich ewigen Formen. Sie find in ihm, und er ist in ihnen, aber außer ihnen ist er nicht; er ist also nicht an und für sich: er ist keine Person, kein reales und bestimmtes Sein, das sich und Andere erkennt; er ist real und be stimmt nur in der Welt und im Menschen; seine Persönlichkeit ist die menschliche Persönlichkeit; er erkennt nur in uns und durch uns. Gott behüte, daß ich Schelling, auf Treu und Glauben seiner Feinde, ein solches System aufbürde! Ich kann es aber nicht verschweigen, daß Hegel meinem ihm geäußerten Vorhaben, die Philosophie des achtzehnten Jahrhunderts zu bekämpfen, wenig Theilnahme bezeigte. Wir fingen erst an, einander zu verstehen und einander zu gefallen, als wir von der französischen Revolution und der constitutionellen Monarchie sprachen. Beim Scheiden gab er mir seine,,Encyklopädie der philosophischen Wissenschaften", die soeben aus der Druckerei kam, mit auf die Reise. Ich fiel darüber her; aber es blieb mir ein verschlossenes Buch; ich konnte ihm nicht beikommen. (Schluß folgt.)

Italien.

Das Erdbeben in Neapel.

Zweiter Bericht.")

Neapel, 29. Dezember 1857.

Die Bewegungen des Vesuvs werden mit angstvollster Spannung beobachtet. Als wir aus den Häusern, wo die Mauern hin- und herwogten, die Schellen klangen, das Zimmerwerk krachte, hinausstürzten in die schauerliche Nacht; als wir die offene Straße gewannen, wo Viele platt auf ihren Gesichtern hingestreckt lagen: da war jedes Auge zum Vesuv erhoben. Allein nichts begegnete da dem Blick, um Hoffnung einzuflößen; nichts, als die schon erwähnte schmale leckende Flamme, statt der stroßenden Feuergarbe, die in den lezten Monaten kühn in die Höhe schoß und ihr Licht über die See in die HauptStadt sandte.,,Um Mitternacht jedoch", sagt Cozzolino, der alte Vesuvbewohner,,,öffnete sich an der Basis des Kegels, der sich in dem neuen Krater erhebt, in der Richtung von Torre del Greco, ein rundes Loch wie die Mündung einer Kanone, aus dem sich gluthrothe Steine entluden. Am folgenden Tage drang eine ungeheure Rauchmaffe hervor, die seitdem ununterbrochen fortdauert und aus der nur leichte Flämmchen zucken. Dienstag den 22ften ließ sich auf dem Berge eine Kanonade hören, lauter als eine Artillerie-Salve, und eine Säule von Steinen und Dampf stieg mit großer Gewalt hoch in die Lüfte. In der Nachbarschaft vernahm man ein fortwährendes Poltern, und die ganze Umgegend von Refina war in zitternder Bewegung." In diesem Augenblicke ist das erwähnte Loch verstopft, und zwei andere Deffnungen sind am Gipfel aufgebrochen, wovon die eine Rauch und Steine ausstößt. Auf der Spiße des Kegels, der in dem Krater von 1850 fich gebildet hatte, war eine Deffnung, die Steine auswarf: seit dem 21ften hörte das Auswerfen der Steine auf, dafür brach ein Lavafrom aus.,,Vorgestern", sagt Cozzolino,,,bestieg ich mit einer Gesellschaft den Berg; der Geruch von Salzsäure war aber so stark, daß ich mit Mühe um den Berg herumkam und die Richtung nach Pompeji einschlug. Im Allgemeinen machen uns die Ausdünstungen von Schwefelsäure viel zu schaffen. In lezter Zeit aber wurde eine beträchtliche Masse falz

*) Vgl. Nr. 12 des „Magazin“.

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saures Eisen, Gips und Schwefel ausgeworfen. In einer Höhlung fand ich in der Bildung begriffene Arsenikkryftalle, die ich einschloß, um zu sehen, ob sie sich weiter entwickeln; fie finden sich auch in der Solfatara." Die ganze Gegend ist offenbar in einem Zustande ungewöhnlicher Aufregung. In der Nähe von Bajä öffneten sich einige ,,fumarole" (Effen), aus denen Dampf hervorbrach; daffelbe gilt von der Solfatara, und wir dürfen mit Recht sagen, daß wir buchstäblich auf einem Feuerboden wandeln.

In dem Maße, wie der panische Schrecken über das jüngste Erdbeben sich legt, werden die Beobachtungen seines Charakters und seiner Wirkungen immer genauer und vollständiger. Während indeß die Wissenschaft mehr Data für weitere Forschungen gewinnt, fühlt sich jede menschliche Brust schmerzlich bewegt von den Nachrichten, die man für unwahr zu halten wünschte. Die Hauptrichtung des Stoßes scheint die von Norden nach Süden gewesen zu sein, obgleich wiederum die vulkanische Strömung Anfäße gemacht zu haben scheint, den Lauf von Often nach Westen zu nehmen. Recht deutlich zeigte sich diese Doppelrichtung in Neapel selbst, wo einige Freunde mit der Uhr in der Hand die abwechselnden Schwingungen an den schweren Hängeleuchtern in ihren Zimmern beobachteten. Nicht so genau, aber desto merklicher, ward die Strömung in der Bodenbewegung gefühlt. Die westöstliche Richtung war indessen weder von langer Dauer, noch von großer Ausdehnung, vielleicht, weil die Apenninenkette den Lauf unterbrach; soviel ist gewiß, daß diesseit der Apenninen der Stoß größten Theils von Süden nach Norden ging und daß in dem hier belegenen Theil der Basilicata und des Principato citeriore der große Schauplah der Verwüstungen war. Einen ferneren Beweis dieser Richtung giebt die Thatsache, daß die Pendeluhren in der Stellung von Nord nach Süd stillstanden, während andere unangefochten blieben. Die eingelaufenen Berichte geben den beiden Stößen in Potenza, der Hauptstadt der Bafilicata, gleiche Dauer; bei uns jedoch, in Neapel, hielt der zweite länger an. Hier wie dort ging dem ersten Stoß ein unbeschreibliches unterirdisches Dröhnen oder Donnern voran, um so erschrecklicher, da der Himmel vollkommen klar und die Luft ruhig war. Der erste Stoß selber war wellenartig; der zweite, nach Verlauf von drei Minuten, fügte zu den noch heftigeren Wellenschlägen vertikale und hüpfende Bewegungen. In Folge dessen stürzten die Mauern oberst zu unterst, flogen die schweren Geräthschaften, wie im Wirbel sich drehend, von ihrem Plage, wurden die leichteren Sachen bis zu beträchtlichen Abständen geschleudert. Diese entseßliche Gewalt ist denen wohlbekannt, die das Erdbeben zu Lissabon, Murcia, Valencia, Guadaloupe und besonders dasjenige, das in Kalabrien 1783 im Nu über hundert Gemeinden verwüstet, mehr denn 130,000 Menschen getödtet hat, aus der Beschreibung kennen. Der zweite Stoß vollendete in Potenza, was der erste begonnen.

Das jüngste Erdbeben scheint also, nach meinen von den Beobachtungen mehrerer Personen bestätigten Angaben, die schlimmsten Züge dieser entseßlichen Erscheinung vereinigt zu haben: die undulirende, vertikale und wirbelförmige Bewegung. Zu Brienza öffnete sich der Boden durch die ganze Länge der Piazza. Dasselbe ereignete sich vor einigen Jahren unweit Neapel, wo die Erde auf zehn Meilen (engl.) aus einander riß; die hinterlassene Kluft, von zwanzig bis dreißig Palmen Tiefe, bei sieben bis acht Palmen Breite, hat sich seitdem nicht geschlossen.

Man will die furchtbaren Zerstörungen, die das Erdbeben in den betroffenen Gegenden angerichtet und dessen verhältnißmäßig schwächere Wirkungen in der Nachbarschaft Neapels aus der verschiedenen Bodennatur herleiten: der sandige Boden dort sei mehr, der harte Tuffgrund hier weniger empfänglich für die verwüstenden Einwirkungen. Es ist jedoch aus apriorischen, wie aus thatsächlichen Gründen zu vermuthen, daß die Hauptstadt der Nähe des Vefuvs die Ableitung der Gefahr verdankt. Ich nehme an, daß die Erdbeben und die vulkanischen Ausbrüche eine und dieselbe Quelle haben. Nun war der Vesuv einige Zeit vorher in ungewöhnlicher Thätigkeit: gewaltige Bewegung in seiner Tiefe, reichliches Auswerfen jener gefährlichen Stoffe, die jüngst in ihren Anstrengungen, sich anderweit Luft zu machen, soviel Unglück erzeugt haben. Neapel blieb verschont, obgleich wir Alle bei den heftigen Stößen für unsere Häuser und unser Leben zitterten. Einige Tage blieb der Berg ungewöhulich still, aber eben in der Nacht des Erdbebens nach den Stößen öffnete sich ein neues Ventil, und eine große Masse Dampf und Steine brach hervor. Wenige Tage darauf ließ sich ein Knall wie von einer Artillerie-Ladung hören, und eine ungeheure Steinsäule schoß in die Höhe. Es führt zu nichts, darüber zu grübeln, was für Folgen es wohl gehabt haben würde, wenn sich jenes Ventil gar nicht oder früher mit gleicher Gewalt geöffnet hätte: die eine Thatsache steht fest, Neapel kam mit wenigen Häuser-Erschütterungen davon, während an Ortschaften in größerem Abstand und innerhalb eines Rayons von 20-25 geogr. Meilen nach dem niedrigsten Anschlag, nicht weniger als 14,000 Seelen zum Opfer fielen. Jedenfalls aber sind die geologischen Gründe,

auf welche die Eingebornen viel Gewicht legen, der ferneren Untersuchung zu empfehlen.

Was die Wirkungen des Erdbebens auf dem Meere betrifft, so versichern Seeleute, sie hätten bemerkt, daß ihre Fahrzeuge in eine heftigere Bewegung geriethen, und daß diese, wie wenn sie über eine Klippe wegfegelten, einen plöglichen Sprung und eine wirbelnde Wendung machten; ein sonstiger Unfall, soviel ich erfahren, hat sich nicht ereignet.

Mancherlei stieß dem Ausländer in jener furchtbaren Nacht auf, was die Gewohnheiten und die Erfahrung eines Volkes bezeichnet, das in einer vulkanischen Gegend lebt. Die Besonnensten drängten fich unmittelbar nach dem ersten Stoß unter der Pforte zusammen, und hier sah man in manchen Häusern die ganze Familie gruppirt. Nun wird die replica (der Gegenstoß), die im Allgemeinen das größte Unheil in ihrem Gefolge führt, mit gespanntester Angst erwartet. Sind dann die Treppen noch fest geblieben, so rennt Alles auf die Straßen; wobei es aber oft vorkommt, daß die Leute die Treppe hinabeilen, ohne sich vorher von deren Haltbarkeit zu überzeugen, und durch den Einsturz derselben Tod oder Verwundung finden. Selbst in den untersten Volksklassen sprechen sie über die Umstände diefer Erscheinung mit einer Kenntniß und Umsicht, deren sich ein Naturforscher von Beruf in England nicht zu schämen hätte. Dieses Wissen haben sie nicht aus Büchern, sondern aus der bitteren Erfahrung geschöpft. In den Stunden schauervoller Spannung, schwebend zwischen Leben und Tod, oder nach den umständlichen Trauerberichten, die aus Ortschaften einlaufen, wo ihnen Freunde und Verwandte gefallen find, haben sie ihren naturwissenschaftlichen Kursus gemacht.

Von der Größe des Verlustes an Eigenthum und Menschenleben läßt sich natürlich bis jezt nur eine annähernde Ziffer geben. Die legte Abendzeitung sagt: „Die einlaufenden Berichte von Einzelheiten der schweren Unglücksfälle, die wir zu beklagen haben, wachsen mit jeder Stunde", nachdem die vorhergehende Nummer zu den schon früher angegebenen noch 46 Ortschaften und Dorfgemeinden zählt, wo Tod und Verwüstung ihr Aergftes gethan; 3655 Individuen waren bereits aus dem Schutte hervorgezogen, und das Werk des weiteren Aus- und Begrabens war im thätigsten Fortgang. Armuth, Hunger, Furcht vor der Pest schweben drohend über dem schwerheimgesuchten Lande.

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God bless our Prince and Bride!
God keep their lands allied,
God save the Queen!

Clothe them with righteousness,
Crown them with happiness,
Them with all blessings bless,
God save the Queen!

Fair fall this hallow'd hour,
Farewell our England's flower,
God save the Queen!
Farewell, fair rose of May!
Let both the peoples say,
God bless thy marriage day,

God bless the Queen!

Junius und Sir Philip Francis. Das Athenaeum bringt in seiner Nummer vom 9. Januar neuerdings Beweise dafür, daß der Verfaffer der Juniusbriefe und der von Lord Campbell, Macaulay und Anderen als identisch mit demselben ausgegebene Sir Philip Francis zwei verschiedene Personen gewesen. Es theilt unter Anderem ein bisher nicht zur Publizität gelangtes Schreiben von Francis aus Rom vom 17. Oktober 1772 über seine Audienz bei Papst Clemens XIV. (Ganganelli) mit, das allerdings nicht unintereffant ist, doch unstreitig mehr als Einen inneren und äußeren Beweis enthält, daß dieses Schreiben nicht von dem politisch und stylistisch strengen Korrespondenten des Public Advertiser abgefaßt sein könne.

Burgen und Schlösser in Frankreich. Einer statistischen Uebersicht zufolge, befinden sich in Frankreich jezt noch zwanzigtausenddreihundertundsiebzehn Ritterburgen und Schlösser (wie die kürzlich erwähnte Birons - Burg), die zum Theil aus dem Mittelalter, zum größten Theil aber aus neuerer Zeit stammen. Dem zwölften und dreizehnten Jahrhundert gehören davon 311 Burgen an, dem vierzehnten und funfzehnten Jahrhundert 894 und dem siebzehn ten Jahrhundert, also der Zeit, wo das Ritterthum bereits gänzlich verschwunden war und den Allonge-Perrücken und Zöpfen Plag ge= macht hatte, 3114. Die übrigen Schlösser, theils in völlig modernem

und theils in bloß nachgeahmtem Ritter- oder Zopf-Stil erbaut, gehören dem achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert an. An zweitausendfünfhundert dieser Schlösser sind noch mit Zugbrücken, Thürmen und krenelirten Mauern versehen. Von einem Leser des,, Magazin" find wir darauf aufmerksam gemacht worden, daß in dem in Nr. 7 nach der Pariser Illustration mitgetheilten kleinen Artikel über die Birons- Burg ein Irrthum und eine mangelhafte Namenbezeichnung sich eingeschlichen. Mornay, der protestantische Rathgeber Heinrich's IV., sei nämlich nicht, wie dort gesagt ist, mit Gontaut-Biron, dem Herrn der Birons-Burg, hingerichtet worden, sondern auf seinem Schlosse Laforet fur Sèvre, wohin er sich zurückgezogen hatte, im Jahre 1623 gestorben. Mit dem Namen „Turenne“ aber, der ebenfalls dort genannt ist, kann natürlich nicht der berühmte franzöfi= sche Marschall (der, wie Jedermann weiß, ein Feldherr Ludwig's XIV. war und im Jahre 1675 bei einer Rekognoszirung unweit Saspach im Badischen von einer Kanonenkugel getödtet wurde), sondern nur ein gleich oder ähnlich-namiger Zeitgenosse Gontaut-Biron's und Heinrich's IV. gemeint sein.

Nachrichten von Dr. Baikie. In London sind neuere Nachrichten von Dr. Baikie eingegangen, der bekanntlich eine zweite Expedition auf dem Seewege und vermittelst der Mündungen des Niger (Quorrah) nach Central-Afrika angetreten hat. Es reichen diese Nachrichten bis zum 30. Oktober, um welche Zeit der unerschrockene Reisende ein Lager bei Yeba aufgeschlagen hatte, wo er sich mit wissenschaftlichen Beobachtungen beschäftigte und Sammlungen von Pflanzen, Vögeln und anderen Thieren veranstaltete. Kurz vorher waren bei einem Schiffbruche fast alle seine Bücher und eine Sammlung von seltenen Fischen verloren gegangen. Dr. Baikie scheint sich einer guten Gesundheit zu erfreuen und ist voll Vertrauen in den Erfolg feines Unternehmens.

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Central-Anzeiger für Freunde der Literatur. Der deutsche Buchhandel besigt schon seit längerer Zeit ein eigenes Organ, welches, außer der Mittheilung offizieller Bekanntmachung und mannigfacher geschäftlicher Notizen, namentlich auch den Zweck hat, den Buchhandel selbst mit den neuen Erscheinungen der Literatur bekannt zu machen und ihn dadurch gewissermaßen auf dem Felde seiner eigenen Thätigkeit zu orientiren. Während es also in dieser Weise schon immer ein Organ des Buchhandels für seine eigenen Mitglieder ge= geben hat, fehlte es bisher gänzlich an einem Blatte, welches in ähnlicher Weise, als Medium zwischen Buchhandel und Publikum dienend, dazu bestimmt wäre, diesem lehteren einen umfassenden Ueberblick über die literarischen Novitäten, wie sie der Buchhandel in täglich steigender Menge in die Welt sendet, zu gewähren und ihm dadurch gleichzeitig das Mittel zu liefern, aus der Fluth des Erscheinenden das Jeden speziell Interesfirende leicht herauszufinden. Ein solches Organ aber ist jeßt begründet; der Central-Anzeiger für Freunde der Literatur",°) dessen erste Nummer soeben erschienen ist, tritt mit dem ausgesprochenen Zweck auf, Vermittler zwischen Buchhandel und Publikum werden zu wollen. Das neue Blatt ist um so freudiger zu begrüßen, als es, wenn auch in bescheidener Form auftretend, doch genügend zu erkennen giebt, daß es seine Aufgabe mit Ernst und Eifer ergriffen hat und bestrebt ist, in Wirklichkeit für das größere gebildete Publikum, an welches es sich zunächst wendet, ein Central-Organ deutscher Literatur zu werden. Das Ganze zerfällt in zwei größere Theile, einen redactionellen und einen Inseratentheil. Während sich für den legteren, wie das Programm an der Spiße des Blattes sagt, die Art der Auffassung aus dem Charakter der literarischen Ankündigung von selbst ergiebt, soll in dem ersten Theile neben kürzeren literarischen Notizen vermischten Inhalts namentlich eine Uebersicht der wichtigen neuen Erscheinungen auf den verschiedenen Literatur-Gebieten gegeben werden, die insofern von Aehnlichem abweicht, als sie außer Titel, Preis, Verleger der Bücher 2. ein kurzes, thatsächliches Refumé von dem Inhalt derselben giebt, welches es dem Leser leicht macht, sich ein Urtheil über Werth oder Unwerth eines Buches für seine speziellen Zwecke zu bilden, und überhaupt vortrefflich geeignet ift, zu orientiren und zurechtzuweisen. Der Ton in diesen Referaten ist besonders gut getroffen, indem sie, bei strenger Vermeidung aller Kritik, leicht und angenehm unterhalten und dennoch mit kurzen Worten darin Alles gesagt wird, was den Inhalt eines Buches dem Leser gegenüber in das rechte Licht stellen kann. Nach dem Vorliegenden kann überhaupt das Blatt allen Freunden der Literatur warm em= pfohlen werden, und zwar um so mehr, als bei einem sehr billigen Preise 5 Sgr. für das Quartal - der weitesten Verbreitung auch äußerlich kein Hinderniß im Wege steht. (Eingesandt.)

*) Leipzig, F. A. Brockhaus.

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