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mag. Die Sonne fleht sie an, welche die Elemente und den Himmel erleuchten; sie wünscht deren strahlende Quelle und so den Trank zu erreichen, der ihrem Durst angemessen ist.

Bertha Arndts hat es unternommen, den größten Theil der Dichtungen der Vittoria Colonna in's Deutsche zu übertragen.") Sie benußte die 1840 zu Rom erschienene Prachtausgabe, welche P. E. Visconti unter dem Titel: ,,Rime di Vittoria Colonna" veranstaltet hat. In großer Bescheidenheit erklärt die Ueberseßerin: Da ich meine Arbeit als keine von selbständigem Werthe betrachte, steht der italiänische, im Buchhandel fast erloschene Tert daneben, um für das Verständniß derjenigen wohl nicht wenigen Leser eine Brücke zu dem schönen Original zu bilden, welche zwar diese Sprache erlernt, aber, weil sie vom Strome der Zeit abweicht, nicht genug gepflegt haben, um ihr in klassischer, wenngleich viel zugänglicherer Poefte, als z. B. die eines Dante, nachzugehen“. Bertha Arndts hat das Verständniß der herrlichen Dichtungen in einer Weise gefördert, die nicht genug gerühmt werden kann. Die zu überwindenden Schwierigkeiten waren übergroß, aber Bertha Arndts scheute vor denselben nicht zurück; ihr Geist, ihr Gemüth ist dem Geist, dem Gemüth der großen Dichterin nahe verwandt, das zeigt die Uebersehung auf das deutlichste, und nur so konnte es ihr gelingen, ein Werk zu liefern, welches deutschem Fleiß und wahrhaft christlicher Frömmigkeit entsprungen ist, und des fen Ertrag der leidenden deutschen Kinderwelt zugute kommen soll. Hier gilt es nicht, an Einzelheiten zu kritteln und zu rütteln, hier gilt es, ein Verdienst anzuerkennen, das nur wenige unserer gegenwärtig schriftstellernden Frauen sich erringen möchten, da es ihnen oft genügt, der flüchtigen und ruhelosen Neugier durch fadeste Koft Befriedigung zu gewähren. Welch ein Unterschied zwischen dem literarischen Trei ben einer Louise Mühlbach, die das Publikum mit angeblich histori schen Romanen regalirt, und der sinnigen, gottbegeisterten Arbeit unserer Bertha Arndts, die einem der köstlichsten Schäße echt chriftlicher Dichtkunst in Deutschland eine neue Heimat zu gründen bezweckt. Mögen recht viele Herzen diesem Schaß die neue Heimat erschließen!

Aus den weltlichen Sonnetten, denen der Triumph Chrifti bei gefügt ist, wählen wir eines, das zweiundzwanzigste, in welchem Vittoria ihrem verstorbenen Gatten zuruft:

Bist auf des Zieles Höhe nun getragen,

Du edler Geist, vom Wahren stets entzündet;
Gefallen ist die Last, Dich nicht mehr bindet,
Was geltungslos dem Willen und dem Wagen.
Auf jeder Stufe sahst Du überragen

Als lezten Preis den Himmel; leuchtend findet
Dort Ahnung Sieg, die leis' sich nur verkündet
Dem Streben hier, um ewig neu zu tagen.
Der Tugend Licht ließ Dich in jenem heben
Den Blick stets über diese enge Hülle,
Spornt' Dir Vernunft und zügelte die Sinne.

Und mindert's Seligkeit in jenem Leben
Dir nicht, dann, wie hienieden einst, o, stille
Beherrsch' dies Herz, das krank an Deiner Minne.

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Legen wir aber auch nicht zu freigebig den vergangenen Jahrhunderten eine sittliche Stärke bei, die stets nur das Erbtheil eines zähligen Häufleins gewesen ist. Es giebt ein unbemerktes Geschlecht, das den Hochadel der Menschheit vertritt, und je nach der mehr oder minder günstigen Atmosphäre, in der es lebt und sich fortpflanzt, nimmt die Tugend in der Gesammtheit zu oder ab. Nun ist nicht zu leugnen, daß die große Entwickelung der Industrie, welche von den Nicht-Industriellen, d. h. von denen, die man sonst die Aristokratie nannte, eine ungeheure Schußsteuer erhebt, diese gewissermaßen nöthigt, sich mit ihr in Einklang zu sehen. Und so zwingt ein verhängnißvolles Schuzzoll-System allmählich Jeglichen, das Talent oder das Kapital, das ihm zugefallen, auszubeuten, und macht demjenigen, der Nichts produzirt, was einen klingenden Werth hat, das Leben unmöglich. Einige Anhänger des gedachten Systems räumen diese Folge ein und erkennen es an, daß die Industrie gewissen Klassen so lange schädlich sein werde, bis sie selber in ihrer Weise zur industriellen Fahne geschworen haben. Ein solcher Zustand der Dinge, auf das Aeußerste getrieben was hoffentlich niemals eintreten wird müßte der nicht zulegt unsern Planeten unbewohnbar machen für Alle, deren Pflicht es gerade ist, ihre innere Freiheit nicht einem materiellen Vortheil zu opfern? Wollt ihr aus dem Künstler einen Handwerker machen, der seine Statuen und Gemälde für den Markt arbeitet? Fällt ihr denn nicht mit Einem Schlage die wahre, die erhabene Kunst, die mit derjenigen, die der Höhlheit und dem schlechten Geschmack fröhnt, nicht konkurriren kann? Wollt ihr aus dem Gelehrten einen Industriellen machen, der für das große Publikum produzirt? Aber in der Wissenschaft ist ja ein Werk verdienstlicher, je weniger Leser es hat. Abel, einer der größten Mathematiker unserer Zeit, und nicht minder groß als Mensch, ist in Dürftigkeit gestorben. Es ist also klar, daß gerade bei den herrlichsten Arbeiten der Menschheit ein schreiendes Mißver hältniß zwischen Werth und Preis besteht. In einer Gesellschaft folglich, in welcher das unabhängige Leben immer schwieriger, wo der Nicht-Produzent von dem der Nachfrage des Publikums entsprechenda Produzenten erdrückt wird, muß zuleht alles Edle, d. h. alles Uneinträg liche tief im Werthe sinken. Das Mittelalter, von dieser Wahrheit durchbrungen, trieb die Konsequenz auf die Spize, schuf die Bettelei zu einer Tugend um und verurtheilte den den geistlichen Pflichten ge= weihten Menschen zu einem Leben von Almosen. Wenigstens erkannte es, daß es Dinge in der Welt giebt, die sich nicht bezahlen lassen;

Aus den geistlichen Sonnetten möge gleichfalls eines, das siebente, daß der Geist keinen materiellen Werth darstellt, und daß, wo es sich

hier eine Stätte finden:

Sieht hungrig junge Brut die Mutter schweben
Um's warme Nest, hört rauschen sie die Schwingen,
Da die sie liebt will liebe Nahrung bringen,
Die Vöglein froh des Dankes Zeichen geben:
Verlangend sie die nackten Flügel heben
Und suchen lechzend sich zu überspringen;
Schon mit Gewalt das Zünglein möchte singen,
Im Eifer mit der Mutter Flug zu streben.

So ich, fühl' warm ich mir zum Herzen dringen
Göttlichen Sonnenstrahles süße Speise,
Mehr Licht mir spendend als an andern Tagen:
Dann rührt die Liebe meiner Feder Schwingen,
Daß ohn' Bewußtsein selbst der Art und Weise
Ich Gottes Lob nur fingen kann und sagen.
Damit man selbst beurtheile, welche Schwierigkeiten bei der
Uebersehung zu bewältigen waren, theilen wir das Original des vor-
ftehenden Sonnetts mit:

Qual digiuno angellin, che vede ed ode
Batter l'ali alla madre intorno, quando
Gli reca il nutrimento: ond egli, amando
Il cibo e quella, si rallegra e gode;
E dentro al nido suo si strugge e rode
Per desio di seguirla anch' ei volando;
E la ringrazia in tal modo cantando,

Che par ch'oltre 'l poter la lingua suode;

#),.Sonnette der Vittoria Colonna, mit deutscher Ueberseßung", von Bertha Arndts. Erster Theil. Weltliche Sonnette. Zweiter Theil. Geistliche Sonnette. Schaffhausen, Fr. Hurtersche Buchhandlung. 1858.

um der Seele geleistete Dienste handelt, keine Schadloshaltung für einen Sold gelten kann. Die Kirche hat mit vielem Takt dasselbe Prinzip festgehalten: sie läßt sich niemals bezahlen; verkündet stets ihre Armuth, und besäße sie die Welt, sie würde dennoch sagen, daß fie in der Ordnung der materiellen Dinge mit Paulus oder dem Erz= vater Jakob nur ,,Brod zu effen und ein Kleid anzuziehen" verlange.

Die wachsende Gewalt des Menschen über die Stoffwelt ist ein augenscheinliches Gut, und wer möchte die Fortschritte unseres Jahr hunderts in dieser Richtung nicht freudig begrüßen? Allein diese Fort schritte haben nur dann einen hohen Werth, wenn sie, indem sie den Menschen über die Widerstände, die ihm die Nntur entgegenseßt, wegheben, zugleich beitragen, ihm die Ausführung seiner idealen Aufgabe zu erleichtern. Ein schöner Gedanke, eine edle Empfindung, eine tugendhafte That machen den Menschen weit eher zum Könige der Schöpfung, als die Macht, seine Befehle und Wünsche von einem Ende der Welt zum anderen mit Blißesschnelle zu senden. Diese königsgewalt liegt in unserer Seele. Ein Asket in der Wüste der The bais, der beschauliche Einsiedler auf den Gipfeln des Himalaya, Sklaven der Natur in so vielem Betracht, waren dem Geiste nac ihre Meister und Dolmetscher weit mehr, als der Materialist, der des Erdkreises Fläche umkehrt, ohne den göttlichen Sinn des Lebens j finden. Die Traurigkeit jener Weltabgeschiedenen, voll Gedankentiest und innerer Freudigkeit war mehr werth, als unsere gemeinen Genüfft. selbst ihre Verirrungen machen der menschlichen Natur mehr Ehre, alt manche sogenannte verständige Existenz, die nur von Berechnunge des Interesses oder von den bedeutungslosen Kämpfen der Eitelfa ausgefüllt ist.

Mit Recht beklagt es demnach de Sacy, daß so viele herrlic

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Dinge aus unserer Gesellschaft geschwunden sind. Freilich sind das nicht Dinge des täglichen Bedarfes, und man bemerkt ihre Abwesenheit nicht; mit der Zeit aber wird die Lücke, die sie in der Welt zu rückgelassen, sich fühlbar genug machen. Demselben Irrthum in der Erziehung, der es übersieht, daß außer den speziellen Kenntniffen, die ihre handgreifliche Anwendung finden, es noch eine höhere, allgemeine Bildung giebt, die den geistig-sittlichen Menschen zum Gegenstand haben demselben Frrthum verfällt unser Jahrhundert in den sozialen Theorieen. Alles, was sich nicht in den Nüglichkeitspferch hineinzwängen läßt, erscheint ihm als Lurus und Schmuck. Gewiß ist kein Grund vorhanden, den Edelmann zurückzuwünschen; denn das ist eine Sache der Geburt, und die ausgezeichneten Menschen unserer Zeit gehen in ziemlich gleichem Verhältniß aus allen Reihen der Gesellschaft hervor; was wir aber schmerzlich vermissen, das ist, den ehrenwerthen Menschen (l'honnête homme) in dem Sinne, den das siebzehnte Jahrhundert mit dem Namen verband: den Mann, der frei ist von den eingezwängten Anschauungen irgend welchen Berufes, frei von den Manieren und dem geistigen Zuschnitt irgend welcher Klasse. Das Wesen des Adels besteht aber eben in der Befreiung von diesen Schranken; die Auszeichnung kann nur von Leuten vertreten werden, die gar keinen Stand haben und nicht unter dem Einfluß des Standesgeistes mit seinen Gewohnheiten und Eigenthümlichkeiten stehen. Diese Leute müssen nicht gerade reich sein, da sie der Gesellschaft keis nen nach Geld abzuschäzenden Dienst leisten; sie sollen nur die Aristokratie in dem sehr beschränkten Sinne bilden, daß die allgemeine Bewegung der Menschheit ihre Würde bewahren, und daß die Freiheit der verschiedenen Auffassungs-Arten des Lebens aufrecht erhalten

werde...

Der Mensch ist nur durch die Seele ein Göttliches: verwirklicht er in gewissem Maße die geistige und sittliche Vollkommenheit, so hat er das Ziel seines Daseins erreicht. Nichts, was zu diesem erhabenen Ziele führt, ist gleichgültig. Die äußeren Dinge erhalten ihren Werth nur durch die menschlichen Empfindungen, denen sie entsprechen. Der gemeinste Garten heutzutage hat Blumen aufzuweisen, die früHer nur in königlichen Treibhäusern prangten. Aber die Feldblumen, wie sie der liebe Gott geschaffen, sprachen sonst inniger zum menschlichen Herzen und erweckten darin einen zarteren Sinn für die Natur. Die Frauen unserer Tage können sich, wie früher nur Fürstinnen, herauspußen; sind sie darum schöner, liebenswürdiger? Die Genußmittel haben sich in's Unendliche verfeinert und vervielfältigt. Aber wenn Sorge und Ueberdruß sie vergiften, war die Armuth unserer Väter nicht glücklicher und heiterer? Hält der Fortgang der Intelligenz gleichen Schritt mit dem Fortgang der Industrie? Können wir uns, was den Sinn für das Schöne betrifft, mit dem uns vorangegangenen Geschlechte messen? Hat die Erziehung eine liberalere Richtung eingeschlagen? Haben die Charaktere an Stärke und Aufschwung viel gewonnen? Findet man bei den Menschen der Neuzeit mehr Würde, mehr Adel, mehr Geistesbildung, mehr Achtung für ihre eigenen Meinungen, mehr Festigkeit gegen die Verlockungen des Reichthums und der Macht? Nur dann können wir von Fortschritt sprechen: bis dahin bleibt es ein schwacher Trost, für die Tugenden der Vergangenheit nur eine Vermehrung des Wohlstandes, die nicht glücklicher, eine Befestigung der Ruhe, die nicht besser macht, eingetauscht zu haben.......

Wenden wir uns jezt von de Sacy, dem Moralisten, zu de Sacy, dem Kritiker.,,Ich bekenne es", sagt er,,,daß mein Geschmack in der Literatur ein ausschließender ist. Da mir die Zeit fehlte, soviel zu lesen, wie ich wünschte, so las ich uur das Beste und las es unaufhörlich. Kein Zweifel, daß es eine Menge in ihrer Art guter Bücher giebt, die alle Welt kennt, mit denen ich aber keine Bekanntschaft machen werde. Das ist vielleicht ein Uebel; allein, wenn ich eine Bibliothek betrete, greift meine Hand unwillkürlich nach den Büchern, welche die Kinder schon auswendig können." Um Geschmackssachen streitet man nicht; man erlaube mir jedoch, bemerkt Renan, hier etwas altfränkischer zu sein, als de Sacy; ich liebe das Mittelalter, ich liebe das entlegene Alterthum. Das Schöne wie das Gute ist in der Vergangenheit zu suchen; man muß aber nicht auf halbem Wege stehen bleiben; man muß über alles Rhetorische weit hinausgehen; das Uranfängliche allein ist das Wahre, es allein hat das Recht, uns an sich zu feffeln.

Dem siebzehnten Jahrhundert ist die Klaffizität nicht abzusprechen, jene Verbindung der abgerundeten Form mit dem Maßhalten des Gedankens, durch welche eine Literatur die Zierde aller folgenden Zeiten und das Vermächtniß der Schulen war. Allein die Gränzen, die den Schulen zusagen, dürfen nicht dem menschlichen Geiste anfgedrungen werden. Weil manche Literatur das nöthige Werkzeug aller Erziehung geworden, und weil Jeder von ihr sagt: puero mihi profuit olim, so ist das noch kein Grund, ihr den ausschließlichen Charakter der Trefflichkeit und Schönheit beizulegen; am wenigsten dürfte er den Schriften. des siebzehnten Jahrhunderts einzuräumen sein. Die nichtfranzösischen Rationen abgerechnet diejenigen, die keine eigene Literatur besigen

begreifen nicht den Reiz, den die Werke jener Zeit für den Franzosen haben, die, so zu sagen, nur eine tertiäre Formation sind, ein Echo der lateinischen Literatur, die wiederum nur ein schwacher Nachhall der hellenischen Literatur ist. Die Deutschen, die mit solcher Leidenschaft alle Literaturen umfaffen und die geringsten Einzelheiten des Italiänischen, Spanischen, Provenzalischen zu beleuchten suchten, ließen unser großes Jahrhundert fast ganz beiseite liegen und können ihm kein Interesse abgewinnen. Diese Hintanseßung, wie ungerecht auch, hat einen trif tigen Grund: seine Literatur ist zu ausschließlich französisch. Träte nun eine Kritik an sie heran, deren Vaterland der menschliche Geist und deren Wesen es ist, keine ausschließende Liebhabereien zu haben, so würde jene dabei sehr zu kurz kommen. Der Titel des Klaffischen bleibe ihr unbestritten; man lasse sie im Besit der Schulen als angemessene Nahrung der Jugend, als Quelle eines formell mustergültigen Stils. Allein, daß die hervorragenden Geister aller Zeiten zu ihr wallfahrten werden, bei ihr Erhebung, Trost, Licht über die menschliche Bestimmung zu suchen das steht sehr zu bezweifeln. Der Standpunkt dieser Literatur ist für uns ein überwundener; wir sehen tausend Dinge, welche die scharfsichtigsten Männer des siebzehnten Jahrhunderts nicht gesehen haben; das Kapital von Kenntnissen, wovon sie zehrten, reicht für uns nicht mehr aus. Das Publikum, das nicht, um sich mit seinem Gewissen abzufinden, sondern aus innerem Drange liest, kann sich schwerlich unbedingt von Büchern gefeffelt fühlen, worin sie über die Probleme, die uns vorzugsweise beschäftigen, blutwenig erfahren, die unser sittliches und religiöses Gefühl oft genug verlegen, worin wir bei jedem Schritte auf Irrthümer stoßen, unbeschadet der Bewunderung, die wir dem Genie derer zollen, die fie begangen.

Auch in der Geschichte findet Renan, daß de Sach sich zu wenig um die Uranfänge kümmert. Treu seinem literarischen System, fürch tet de Sach, die Erörterung der Thatsachen und die Verschiedenheit der Meinungen könnte dem schönen Stil schaden. Ich bekenne", sagt er,,,daß beim Anblick des erschrecklichen Folianten-Haufens, der den Eingang unserer Geschichte versperrte, ich mich mehr als einmal versucht fühlte, die Gelehrsamkeit zu verwünschen und es zu bedauern, daß wir uns nicht schlechtweg an unseren trojanischen Ursprung und an unseren guten König Francion, den Sohn Hektor's und Gründer der französischen Monarchie, gehalten haben." Kaum verzeiht er es den beredtesten Historikern unserer Zeit, daß sie zugleich Gelehrte und Kritiker sind; er möchte die Geschichte in eine durch Uebereinkommen für wahr angenommene Erzählung verwandeln, welche die rhetorischen und moralistischen Geschichtschreiber, die Livius' und Plutarche, zu freien Themen verwenden. Das siebzehnte Jahrhundert — mit Ausnahme der großen Schule der Benediktiner faßte die Geschichte in diesem Sinne auf; wer mag ihm aber darin folgen? (Schluß folgt.)

England.

Die Bibliotheken des Drients.

Die Bibliotheken des Orients sind in früherer und späterer Zeit vielfach von Reisenden untersucht worden, namentlich in der Absicht, griechische Handschriften daselbst aufzufinden.") Die diesfallsigen Untersuchungen wurden jedoch nicht selten nur ganz oberflächlich vorgenommen; häufig war man von Seiten derer, welche die Aufsicht über die Bibliotheken hatten und die Erlaubniß zu deren Untersuchung geben und verweigern konnten, so sehr zurückhaltend, daß eine solche gar nicht möglich war oder nur obenhin geschehen konnte, und ebenso beschränkten sich viele von denen, die Gelegenheit gehabt hatten, folche Bibliotheken wirklich zu sehen und zu untersuchen, in ihren Berichten, welche sie später darüber erstatteten, auf allgemeine Angaben und auf die bloße Bemerkung, daß sie nichts Bemerkenswerthes gefunden hätten. So ist es denn gekommen, daß unsere Wissenschaft über die Schäße in den Bibliotheken des Orients, besonders in Betracht der dort befindlichen griechischen Handschriften, bisher noch sehr mangelhaft geblieben ist, und daß wir nicht wissen, was eigentlich diese Bibliotheken enthalten, und in wiefern von ihnen für die altgriechische Literatur Aufschlüffe in der oder jener Beziehung zu erwarten seien.

Inzwischen haben wir in dieser Hinsicht einen neuen interessanten und hochwichtigen Beitrag erhalten. Die englische Regierung hatte nämlich vor kurzem den Unterbibliothekar der Bodleianischen Bibliothek, Namens Core, beauftragt, alle jene Bibliotheken des Orients zu untersuchen, die noch nicht oder nur unvollkommen untersucht worden waren, oder, wenn eine Untersuchung stattgefunden hatte, von denen man nicht mit Bestimmtheit wußte, was sie enthielten. Der genannte Core hat nunmehr seinen Bericht erstattet, und derselbe ist

Lebarbie, deshalb nach dem Drient, und von Rusland aus geschah dies purch *) So fandte die französische Regierung vor einiger Zeit einen Gelehrten, einen gewissen Sewastjanov.

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öffentlich im Druck erschienen.")} Aus ihm ergiebt sich, daß er mehr als funfzehn Bibliotheken in Klöstern und Kirchen des Orients, auch die des Serails in Konstantinopel, untersucht hat, und daß ihm dabei die vorhandenen Handschriften nicht nur nicht vorenthalten wurden, sondern daß man sie ihm sogar bereitwillig zeigte und ihm ihre Untersuchung auf jede mögliche Weise erleichterte. Er rühmt dies ausdrücklich von dem Abte eines Klosters in Kahira, sowie in Ansehung der Bibliothek des heiligen Grabes in Jerufalem, und auch der Patriarch in Alexandrien ertheilte ihm mit Wohlwollen die Erlaubniß zum Besuche zweier dortiger Bibliotheken.

Seine Mittheilungen über die Ergebnisse seiner Untersuchungen find zum Theil neu und überraschend. Die Patriarchats-Bibliothek in Alexandrien enthält außer den gedruckten Büchern, von denen einige bis zu den ersten Jahren nach Erfindung der Buchdruckerkunst hinaufreichen, vier bis fünfhundert guterhaltene Handschriften, die sorgfältig hinter Glasschränken aufbewahrt werden. Er verzeichnet davon gegen hundert und macht darüber nähere Angaben. Es finden sich darunter ein Hesiod, Aristoteles, Demosthenes, Sophokles, Apollonius Rhodius, Hermogenes und Galen, ferner viele Scholien zu griechischen Schriftstellern aus dem vierzehnten und funfzehnten Jahrhunderte, von denen angenommen werden dürfte, daß sie zur Vervollständigung und zum besseren Verständnisse der einzelnen Texte dienen können. So hatte z. B. der Ruffe Sewastjanov auf dem Berge Athos eine Handschrift entdeckt, die einen vollständigeren Text des Strabo als bisher enthält. Ebenso befinden sich in der erwähnten Bibliothek zu Alexandrien Handschriften der Evangelien und anderer Bücher des Neuen Testaments, sowie von Werken der Kirchenväter, die bis zum elften Jahrhundert hinaufreichen.

Die Bibliothek des heiligen Grabes zu Jerusalem enthält zwar nicht mehr, wohl aber wichtigere und ältere, besonders kirchliche Handschriften, darunter einen Pentateuch, den Core namentlich als beachtens werth bezeichnet, außerdem Handschriften der Evangelien, der Apostel geschichte, der Episteln und der Offenbarung, ferner des Gregor von Nazianz, des Chryfoftomus u. f. w., aus dem neunten, zehnten und elften Jahrhundert. Die dort aufbewahrten Manuskripte der Iliade, der Cyropädie, des Demosthenes, Herodot, Hippokrates, Euripides zc., meistentheils mit Scholien versehen, sind neueren Ursprunges. Eine Handschrift aus dem elften Jahrhundert, mit den Reden des Gregor von Nazianz, enthält auf jeder Seite die schönsten Bilder. Alle diese Handschriften der Bibliothek des heiligen Grabes fand Core in einem schönen Saale mit eisernen Thüren sorgfältig verwahrt; aber weder hier noch sonstwo fand er die geringste Geneigtheit, die Handschriften zu verkaufen.,,Vor einigen Jahren", sagte man ihm in dem Kloster des Kreuzes in Jerusalem, „hätte man sie eher hergegeben, weil man ihren Werth' nicht kannte; aber nun, da man ihn kennt, ist dies unmöglich.",Und wenn du sie mit Gold aufwögest", sagten die Mönche des Klosters Saba am Todten Meere zu dem Engländer Core, ,,wir würden sie dir doch nicht überlassen." Ebenso äußerten sich auch die Mönche der Insel Patmos. In Ansehung der vorhandenen 131 Handschriften übertrifft die Kloster-Bibliothek dieser ebengenannten Insel alle übrigen, theils was das Alter, theils was die Schönheit derselben betrifft; aber mit Ausnahme sehr weniger, wie des Diodorus Siculus (Buch XI—XVI), der Physik des Paulus Argineta, des Ajar und der Elektra von Sophokles, und einiger anderer, sind es nur kirchliche Handschriften. Besonders bewunderte der Unterbibliothekar der Bodleianischen Bibliothek daselbst eine Handschrift vom Buche Hiob auf Pergament in Groß-Folio, aus dem siebenten oder achten Jahrhunderte, mit Figuren und mit Uncialbuchstaben, auch mit Scholien aus den Kirchenvätern, jedenfalls eine der werthvollsten Handschriften dieser Gattung.

Unter jenen Handschriften der Kloster-Bibliothek auf der Insel Patmos, die Core namentlich verzeichnet, sind zwei aus dem elften Jahrhunderte, die durch ihre Aufschriften das Intereffe der Forscher erregen. Die erste, deren Verfaffer sich nicht genannt hat, ist zwar nach ihrer Aufschrift kirchengeschichtlichen Inhalts, es steht aber ein Kapitel voran:,,εqì tŵv 'Ayaqıŵv tidnμovvwv v Korçaruvovлóλɛi”, welches also anhebt: „0 ovv Mavoúhμas, nadŵs ȧvwikow eïgntai, tñv Aßvdov zaraĥaßwv” („Nachdem aber Mánsalmas, wie im Obigen erzählt worden, Abydos eingenommen hatte"), und es hat also den Anschein, als diene daffelbe zur Aufklärung eines Theiles der mittelgriechischen Geschichte. Der Verfasser der anderen merkwürdigen Handschrift versucht darin den Beweis zu führen, „,öu ov γάμος αὔξει τὸ ἡμέτερον γένος.”

In einem Kloster auf der Insel Kreta fand Core eine Handschrift aus dem sechzehnten Jahrhundert mit Lebensbeschreibungen der

*),,Report to Her Majesty's Government on the Greek Manuscripts yet remaining in Libraries of the Levant". By H. O. Coxe, M. A., Sub-librarian of the Bodleian Library. London: 1858.

Kirchenväter und einer voranstehenden Abhandlung über einen Zauberer Kynops, der zur Zeit des Evangelisten Johannes auf der Insel Patmos lebte und dort als Nekromant sein Wesen trieb, es auch dabei mit dem Evangelisten felbft zu thun hatte, bis es dieser durch seine wiederholten Gebete von Gott erlangte, daß jener im Wasser seinen Untergang fand. Bekanntlich knüpfen sich noch gegenwärtig solche und ähnliche Legenden und Sagen, in die der Name und die Wirkfamkeit des Evangelisten Johannes eingewebt ist, an manche Punkte in und um Patmos.

Der Engländer Core besuchte einige Theile des Königreiches Griechenland. Namentlich auf der Insel Milos sah er bei Privatler ten einige Handschriften, von denen er sogar einige durch Kauf an fié brachte. Nach seiner Angabe gehören jene Handschriften dem zehnten, elften, zwölften, dreizehnten, vierzehnten und sechzehnten Jahrhunderte an. Ebenso sah er in Athen, außer den sehr wenigen der öffentlichen Bibliothek, deren mehrere bei einem Griechen Namens Komnos, welche er zum Verkauf nach England zu senden beabsichtigte. (Die griechische Regierung war öffentlich mehrfach darauf aufmerksam gemacht und dazu aufgefordert worden, diese Handschriften für die National-Bibliothek in Athen anzukaufen!)

Die Serails-Bibliothek in Konstantinopel enthält nur zweiundzwanzig griechische Handschriften, aber unter diesen einen Pindar mit Scholien, Hesiod und Homer mit Kommentaren, Aristoteles, Diogenes Laertius, Ptolemäus, Dionysius Periegetes und Andere.

Die in Athen erscheinende Zeitschrift, Nea Iavdwga, die Einiges aus dem obengedachten Berichte des Engländers Core und über denselben bemerkt, beschwert sich dabei zugleich wiederholt und nach. drücklich über die griechische Regierung und über ihre Sorglosigkeit in Ansehung der Anschaffung, der Untersuchung und der Abschrift der Handschriften, und daß sie dies Alles unterlaffe. „Wir unsererseits“, erklärte jene Zeitschrift offen, sind roth geworden vor Scham, alt wir es lasen, daß der Beauftragte einer fremden Regierung Hard schriften gekauft habe, die in Milos verkauft worden waren, und mit Schmerz müssen wir es gestehen, daß überhaupt die Gleichgültigkeit unserer Regierung in Betreff der Bücher einen hohen Grad erreicht hat. Als wir vor einiger Zeit die öffentliche Bibliothek in Athen besuchten, fanden wir einen Haufen Bücher auf dem Boden umherliegen, und die Bibliothekare klagten, daß sie keinen Plaz hätten, um fie aufzustellen. Nach ihrer Erklärung brauchten sie zu diesem Zwecke acht. bis zehntausend Drachmen. Es ist in der That unerklärlich. Die Griechen und die Philhellenen schenken uns fortwährend Bücher, so daß wir bereits eine werthvolle Bibliothek von mehr als hundert tausend Bänden besigen, aber sie sind dem Verderben ausgefeßt.“ K.

Mannigfaltiges.

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Calderon's Haus in Madrid. Im Londoner Athenaeum lesen wir: „Die Spanier, die selten oder niemals lesen, kümmern sich auch wenig um ihre literarischen Berühmtheiten, mögen diese nun lebend oder todt sein. Deshalb wundert es uns auch nicht, zu erfahren, daß die Regierung in ihrem Eifer, Madrid zu verschönern, das Haus Nr. 95 in der Calle Mayor ein Haus, das jeder englische Ver gnügungsreisende aufsucht und vor dem er den Hut abzieht, weil hier ein unvergänglicher Genius gewohnt ein unvergänglicher Genius gewohnt — abzureißen befohlen hat. Man braucht eine nene Straße, und darum kann man Calderon's Haus nicht länger brauchen. Inzwischen ist ein Aufruf an die Preffe ergangen, daß sie sich dieser Reliquie eines Mannes annehmen möge, der dem spanischen Namen so viele Ehre gemacht. Wir wollen sehen, welchen Erfolg dies haben wird.“

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Neue Erwerbungen der kaiserlichen, öffentlichen Bibliothek von St. Petersburg. Diese Bibliothek ist kürzlich mit einer Anzahl sehr seltener Werke und Handschriften bereichert worden. Unter Anderem befindet sich darunter eine zu Venedig im Jahre 1506 gedruckte Huffiten-Bibel in tschechischer Sprache. Ferner ist in die Bibliothek eine literarische Zeitschrift aufgenommen worden: „Die Ameise", die bisher für das große Publikum nicht vorhanden war und im Jahre 1831 (also im Jahre der polnischen Revolution) „von einer unbekannten Gesellschaft von Nichtgelehrten" herausgegeben wurde. Der eigentliche Gründer und Herausgeber dieses kleinen Journales war jedoch der berühmte Dichter Jukowskji, damals Lehrer des Großfürsten Alerander, des jeßigen Kaisers. Seine Mitarbeiter waren mehrere Mitglieder der kaiserlichen Familie und einige bevors zugte Männer des kaiserlichen Hofes. Es versteht sich von selbst, daß diese Blätter bisher auch keine anderen Leser als die vertrautesten Personen aus den Umgebungen der kaiserlichen Familie gehabt haben. Deshalb bilden fie denn auch jezt einen der gesuchtesten Gegenstände der großen öffentlichen Bibliothek von St. Petersburg.

TVS Dentlich erscheinen 3 Nummern. Drets fährlich 3 Thlr. 10 gr., bal bjährlich 1 Thir. 20 Sgr, und vierteljährlich 25 Sgr., wofür Das Blatt im Inlande portofrei und ́in Berlin frei ins Haus geliefert wird.

No 136.

für die

Bestellungen werden in jeder deutschen Buchhandlung (in Berlin ber Beit u. Comp., Jägerstraße Nr. 25, und beim Spediteur Neumann, Niederwallstr. Rr. 21), sowie von allen königl. Best-Aemtern, angenommen.

Literatur des Auslandes.

Türkei.

Berlin, Sonnabend den 13. November.

Der Muhammedanismus in Bosnien. *)

Die Einwohner Bosniens zerfallen, nach ihrer eigenen Eintheilung, wie nach der offiziellen Classification, in drei „Nationen“, obgleich sie alle zu demselben slavischen Volksstamme gehören nnd dieselbe Sprache reden. Die drei Nationen sind: Türken, d. i. Muselmänner, Lateiner, d. i. Katholiken, und Serben oder Orthodoxe.

Den Kern der muselmännischen Bevölkerung bildet die Aristofratie die Begs (Gutsherren) und die Aga's (Herren im Allgemeinen). Dem Adel, der nach der Eroberung des Landes durch Muhammed II. zum Islam überging, schloß sich eine zahlreiche Dienerschaft an, die noch jest jeden reichen Beg oder Aga umgieht, obwohl fie der persönlichen Freiheit genießt; von den Landleuten folgte nur ein kleiner Theil dem Beispiel des herrschenden Standes. Endlich besteht die Mehrzahl der städtischen Bevölkerung in Bosnien aus Mufelmännern, die aber keine eigene Klasse bilden; die Städter find gleichfalls Begs oder Aga's, die das Stadtleben dem Aufenthalt auf ihren Gütern vorziehen, und ihre früheren Hofbedienten und Bauern, die nach der Stadt übergesiedelt sind und sich dort mit dem Handel beschäftigen oder ein Gewerbe treiben.

Der Muhammedanismus in Bosnien ist eine höchst merkwürdige und eigenthümliche Erscheinung. Nur zwei Länder in der Welt, Albanien und Bosnien mit der Herzegowina, bieten das Beispiel eines europäischen Volkstammes dar, der sich zum Islam bekennt. Aber zwischen Albanien und Bosnien ist in dieser Beziehung ein wesentlicher Unterschied. Für den Albanesen, dem jede Religion gleichgültig, ist der Islam nur eine äußere Form, die er acceptirt hat, um den Machthabern gefällig zu sein. Der albanesische Muselmann ist vor Allem Albaneser, und der muhammedanische Glaube ist für ihn blos Nebensache. Der bosnische Slave hingegen, der im Anfang gleichfalls nur des weltlichen Vortheils halber sich dem Islam zuwandte, ist von feiner neuen Religion in so hohem Grade durchdrungen worden, daß fie das Haupt-Element seines Lebens bildet; für sie hat er jeglicher Gemeinschaft mit seinen Stammverwandten entsagt und eine Nationalität angenommen, die ihm völlig fremd war; der Slave ist Türke geworden.

Nachdem der Islam so tiefe Wurzel in diesem Boden gefaßt, mußte er auch seine Früchte zeigen. Raum dazu hatte er genug; seit beinahe vier Jahrhunderten herrscht er unumschränkt über ein großes und schönes Land, in seinen Händen find alle Befihungen, alle Reichthümer und alle Gewalt, und er verfügt über die Arbeit von 600,000 ihm unterworfener Chriften. Wodurch hat sich nun der Islam-auf slavischem Boden gekennzeichnet? Durch Fanatismus und Mangel an geistiger Kraft. Die slavische Rage ist im Allgemeinen vielleicht nicht sehr zum Fanatismus geneigt, aber sie hat eine leidenschaftliche Anhänglichkeit au den Glauben, den sie zu dem ihrigen gemacht. Ist dieser Glaube seinem Wesen nach fanatisch', so bemächtigt der Fanatismus sich auch der Slaven und steigert sich dann bei ihnen bis zu den kolossalsten Verhältniffen. So wußten die Jesuiten einst Polen zu fanatifiren, und so hat der Islam aus den Bosniaken vielleicht noch größere Fanatiker gemacht, als es die Araber oder Türken je gewesen sind. Außer diesem Einfluß des muhammedanischen Glaubens selbst auf den slavischen National-Charakter, hat möglicherweise noch eine andere Ursache dazu beigetragen, den Fanatismus der bosnischen Muselmänner anzustacheln der Geist des Renegatenthums. Ein Renegat wird unwillkürlich zum Fanatiker seiner neuen Religion, um feine Abtrünnigkeit in seinen eigenen Augen zu rechtfertigen, und die bosnischen Muselmänner erkennen sich noch heute als Renegaten, obgleich ihre Apostasie schon vor einigen hundert Jahren stattfand; sie erinnern es sich noch lebhaft, daß ihre Vorfahren Christen

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1858.

gewesen. Indeffen kann dies nur als ein untergeordnetes Motiv ihres Fanatismus betrachtet werden, wie das Beispiel der Albanesen zeigt, welche ebenfalls Renegaten sind und zwar viel spätere als die Bosniaken, ") welche aber, wie schon gesagt, keinesweges denselben Fanatismus an den Tag legen. Die Hauptquelle ist ohne Frage in dem Naturell des flavischen Volksstammes zu suchen. Die unglaublichen Grausamkeiten, die in der legten Zeit in Bosnien begangen wurden, entsprangen einzig und allein religiösem Fanatismus. Im Gegensaß zu den Arabern und Osmanli, wehrten die bosnischen Muselmänner den Christen, Kirchen zu haben und ihren Gottesdienst zu verrichten. Die alten Kirchen wurden fast alle zerstört; nur wenige blieben in Gegenden übrig, wo die Muselmänner nicht sehr zahlreich waren, z. B. in der Herzegowina und in einigen Theilen des nördlichen Bosniens; neue durften nicht gebaut werden, bis die türkische Regierung im Jahre 1851 ihre Autorität in Bosnien wieder herstellte und die Eigenmächtigkeit der dortigen Muselmänner zügelte. Vor dieser Zeit kamen in den mittleren Distrikten Bosniens, wo das muhammedanische Element am stärksten ist, d. h. in den Sandschaks Sarajewo und Trawnik, auf 140-150,000 Christen nur eine einzige orthodoxe Kirche und drei katholische Klößter, die sich kraft besonderer Privilegien erhalten hatten. Die bosnischen Muselmänner bemühten sich in jeder Weise, die Christen zu ihrem Glauben zu bekehren, indem sie Knaben und Mädchen mit Gewalt raubten und ihre Hartnäckigkeit nöthigenfalls durch die Folter brachen. Aber nicht allein in Bezug auf Andersglaubende zeigt sich dieser Fanatismus der muhammedanischen. Slaven. Da sie sich selbst für die Säulen des Islam halten, blicken sie auf alle übrigen Moslem mit Verachtung, als auf ungetreue Diener des Propheten. Der Domanli, besonders in seiner neuen, halb-europäischen Kleidung, ist in ihren Augen nicht viel besser, als ein Giaur; wenn er nur die geringste Duldsamkeit gegen die Christen an den Tag legt, so hassen sie ihn als einen Verräther an seinem Glauben. Das Eindringen des chriftlich-europäischen Elementes, vor dem die alte muselmännische Abgeschlossenheit allmählich zusammensinkt, halten sie im Ernst für ein Anzeichen des nahenden Kiamet oder Weltunterganges, der nach ihrer Meinung in dem Augenblick eintreten wird, wo die Giaurs völlig die Oberhand über die Muhammedaner gewinnen, was, wie die gläubigen Bosniaken sagen, am Schluffe des jeßigen, dreizehnten, Jahrhunderts ihrer Zeitrechnung zu gewärtigen ist (gegenwärtig befinden wir uns im Jahre 1273). Es ist seltsam, daß der Islam in diesem, von seinem Mittelpunkt so entfernten Winkel Europa's, auf slavischem Boden, sein leßtes Bollwerk gegen die ihn zernagende Macht der Zeit gefunden hat; noch im Jahre 1851 kämpfte Bosnien gegen die türkische Regierung im Namen des muselmännischen Glaubens.

Aber der Islam, der die reiche Bildung Arabiens und der neueren Perser erzeugte und den Türken eine Periode des Glanzes gab, ist auf slavischem Boden unproduktiv geblieben. Die Hauptursache liegt wahrscheinlich darin, daß der Geist dieser Religion dem Naturell der slavischen Raçe widerstrebt. Einige Inftitutionen des Muhammedanismus, wie die Polygamie und Absonderung des weiblichen Geschlechts, haben sich überhaupt in Bosnien nicht einbürgern können. Die Vielweiberei bildet dort eine Ausnahme, und man kann sagen, daß solche Fälle den ftrenggläubigen Bosniaken ein Aergerniß sind; die Einsperrung der Frauer beginnt bei ihnen erst nach der Verheiratung. (Schluß folgt.)

Frankreich.

Die liberale Schule der Franzosen.
(Schluß.)

Für uns ist die Geschichte die unmittelbare Anschauung des Geschehenen der Vergangenheit; aber diese Anschauung kann eben nur die Erörterung und Auslegung der Denkmäler verschaffen; wie gern gabe man die ganze schöne Prosa des Livius für einige Dokumente

*) Die Befehrung der Albanesen zum Jelam fällt hauptsächlich in das siebzehnte, zum Theil erst in das achtzehnte Jahrhundert.

hin, die ihm vorgelegen und die er auf so seltsame Weise entstellt hat. Briefsammlungen, Depeschen, Ausgaberechnungen, Karten, In schriften sprechen eine zuverlässigere Sprache, als die schmuckreichste Erzählung.

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Der Liberalismus, der sich einzig auf die Prinzipien der Vernunft zu gründen vermeint, glaubt gewöhnlich die Tradition entbehren zu können. Darin liegt sein Irrthum. „Mit den Galliern und Franken sind wir hoffentlich fertig", sagt de Sacy.,,Ob unsere Freiheit von den Germanen, oder anderswoher stamme was liegt daran? Das Kind ist geboren; es ist jest groß und stark. Wenn ein Boulainvilliers heutzutage im Namen seiner fränkischen Vorfahren die Rechte der Eroberung anspräche, so würden wir ihm antworten, daß in den Jahren 1789 und 1830 die Besiegten, die Römer, die Leibeigenen, Wiedervergeltung geübt haben und ihrerseits die Eroberer und Sieger geworden." Aber mit Nichten! Weder 1789 noch 1830 ha ben vermocht, die Freiheit zu gründen, so wenig, wie es eine vor tausend Jahren von den Barbaren ausgegangene Thatsache, wie es eine durch die empörten Barone abgezwungene Magna Charta, wie es eine dem umsichgreifenden Königthume auferlegte Demüthigung, wie es ein tapferer Widerstand der Städte zur Vertheidigung ihrer Gerecht same zur Stunde vermöchten. Wenn Gallien, statt seines angebornen Hanges zur Gleichheit und Einförmigkeit, nur einen Funken Sinn für provinzielles und städtisches Wesen gehabt hätte; wenn starke Körperschaften, wie die italiänischen Gemeinden oder die deutschen Gilden, sich auf dem französischen Boden hätten bilden können; wenn Lyon, Rouen, Marseille ihren caroccio (Heerwagen), das Sinnbild städtischer Unabhängigkeit, beseffen hätten: die Centralisation der Verwaltung wäre nimmer in's Leben getreten; Philipp des Schönen, Ludwig's XI., Richelieu's, Ludwig's XIV. despotische Bestrebungen hätten sich an jenem Damme gebrochen. Die Revolution wäre weder möglich, noch nöthig gewesen. Der Irrthum der liberalen Schule besteht in ihrem zu weit getriebenen Glauben, es sei leicht, die Freiheit durch Reflexion zu schaffen; sie sieht nicht ein, daß eine Stiftung nur dann fest ist, wenn sie in der Geschichte wurzelt. Beherrscht von einer Idee, wie sie seit undenklichen Zeiten China regiert, von der Idee, daß der beste Staat der zu seiner höchsten Wohlfahrt verständig organisirte fei vergaß sie, daß die Achtung vor den Individuen und dem bestehenden Rechte so hoch über dem Glück der Gesammtheit stehe, wie ein moralisches Interesse ein rein zeitliches Intereffe überwiegt. Sie sah nicht, daß aus allen ihren Anstrengungen nur eine gute Verwaltung, niemals die Freiheit hervorgehen könne, da die Freiheit ein früheres und höheres Recht, als das Staatsrecht, keine Erklärung aus dem Stegreif, keine philosophische, mehr oder weniger bündige Schlußfolgerung zu ihrer Quelle hat.

Zwei politische Systeme sind es, die sich ewig in die Welt theiIen werden: das eine fußt auf das abstrakte Recht, das andere auf früheren Besit. Frankreich, das Land der Logik und der großmüthigen Ideen, hat das erstere vorgezogen. Wer dürfte ihm daraus einen Vorwurf machen, da es diesem gloriofen Mißgriff den Glanz sei ner Geschichte und die Sympathie des Menschengeschlechts verdankt? Allein gerade dadurch, daß es in aller Ehrlichkeit an der Freiheit der gesammten Menschheit arbeitete, machte es sich die Gründung seiner eigenen Freiheit unmöglich. Leibeigene, die ihre Freiheit pfennigweise erkauften, haben es nach hundertjährigen Anstrengungen endlich dahin gebracht, daß sie in neueren Zeiten freier waren, als die Nation, die schon im Mittelalter die Menschenrechte verkündete.") Die Schritt für Schritt erworbene oder abgerungene Freiheit ist weit dauerhafter, als die Naturfreiheit. Man wollte das abstrakte Recht gründen, und gründete die Knechtschaft, während die hohen Barone Englands, nichts weniger als großherzig und helldenkend, aber unbeugsam, wenn es ihren Vorrechten galt, durch die Verfechtung derselben die wahre Freiheit gründeten.

Auf fast allen Punkten, welche die Organisation der bürgerlichen Gesellschaft berühren, scheint die liberale Schule mehr das zu erreichende Ziel, als die Mittel, es zu erreichen, in's Auge gefaßt zu haben. Als sie die individuellen und Corporations-Vorrechte unterdrückt hatte, konnte sie die verschiedenen gesellschaftlichen Dienstverrich tungen nur als vom Staate übertragene Geschäfte ansehen, und da diese Beamten ihre Aemter nicht als Eigenthum und folglich nicht die Macht zum Widerstande besaßen, so ist leicht einzusehen, bis zu welchem Grade der Tyrannei man geführt werden konnte. Die Käuflich keit der Richterstellen z. B. ift, theoretisch betrachtet, das unfinnigste Ding, und dennoch bietet ein solcher Richter, der seine Stelle als Eigenthum inne hat und aller Furcht und Hoffnung in Bezug darauf enthoben ist, mehr Bürgschaft für seine Unbeftechlichkeit, als der

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jenige, der im Auftrage des Staates, und folglich abhängig von seinem Auftraggeber, das Amt verwaltet.

Dasselbe läßt sich von der ausübenden Gewalt behaupten. Die feudale Auffassung, nach welcher der König seine Krone durch, der Unterthan seine Freiheiten gegen das Recht des Schwertes besaß, ist das Widerspiel der Vernunft. Die Geschichte beweist aber, `daß jene Auffassung, troß ihrer Ungereimtheit, den besten Staat, den die Welt gekannt, erzeugt hat, und daß das Uebergewicht der neuen gegen die alte Civilisation gerade davon herrührt, daß das Königthum Jahrhunderte lang als eine große Meierei angesehen wurde, mit der man abgefunden war, wenn man seinen auf Herkömmlichkeit oder Staatsgeseß beruhenden Pachtzins abgetragen hatte.

Um dieses Gefeß der Philosophie der Geschichte in seinem vol len Lichte zu sehen, muß man China studiren. China ist seit den entlegensten Zeiten die fleischgewordene rationelle Gesellschaft, auf Gleichheit, Gesammtmitwirkung und verständige Administration gegründet. Das,, Tscheu-li", eine Art Hof- und Staatshandbuch aus der Zeit der Tschëu, im zwölften Jahrhundert v. Chr., läßt in dieser Beziehung Alles, was nur die bureaukratischsten neueren Staaten versucht haben, weit hinter sich. Der Kaiser und die Lehnfürsten werden durch Religions-Gebräuche und Censur, die Beamten aller Grade durch die hierarchische Abhängigkeit und ununterbrochene Aufsicht, das Volk durch den Unterricht, den zu ertheilen der Staat allein berechtigt ist, in Zaum und Schranke gehalten. Das ganze System beruht auf der einzigen Idee, daß der Staat die Pflicht habe, für Alles zu sorgen, was zur Wohlfahrt Aller beitragen kann. Man denke sich die Akademie der moralischen und politischen Wissenschaften und die franzöfische Akademie in Ministerien umgewandelt, so daß das eine das Geistesleben, das andere das Sittenleben verwalte, und man hat ein richtiges Bild von der Gesammtverfassung China's. Hier war das Ideal, wovon eine gewisse Schule träumte: die administrative Regel für die Thätigkeit der Geister längst eine Wirklichkeit. Als die Je suiten Khien-long die Irrthümer der chinesischen Astronomie nachwiesen, weigerte sich der Kaiser, diese berichtigen zu lassen; denn durch diese Reform wären die klassischen Bücher fehlerhaft und die Einführung neuer Wörter nothwendig geworden. Was ist nun aus dieser anscheinend so vernünftigen Organisation hervorgegangen? Ein Zustand der Verkümmerung ohne gleichen in der Geschichte: ein Reich von 150,000,000 erwartet von etlichen tausend Barbaren, daß sie ihm Lehrer und Wiederhersteller zuführen. China wird das erfahren, was das römische Reich bei dem Hereinbruch der germanischen Barbaren erfuhr. Jeder Staat, der die sittlichen Interessen und die freie That der Individuen dem Wohlstand opfert, entfernt sich schnurstracks in ent gegengeseßter Richtung von dem Ziel, das er sich gesteckt: ein zähli ges Häuflein thatkräftiger Männer, von außen oder von innen, reic hin, ein Land umzukehren, das gegen Alles, außer der Ruhe, gleichgül tig geworden.

,,Wie versessen man auch heutzutage auf die Barbaren und die Barbarei ist", sagt de Sacy, unverkennbar bleibt unsere Civilisa tion römisch, unsere Centralisation römisch, unsere Gefeßgebung und unser Schriftthum römisch; der römische Geist hat endlich den barba rischen überwunden." Richtig. Das ganze Geheimniß der franzöftschen Geschichte liegt in dem Kampf des gallo-römischen gegen den germanischen Geist (den de Sach den barbarischen nennt). Der Gallier verabscheute die getheilte Souverainetät, die dem Feudalwesen zum Grunde liegt, und trachtete unablässig, auf die gleichmachende Verwaltung des Römerreiches zurückzukommen, nicht auf die unter den ersten Cäsaren, wo sie noch ein gewisses aristokratisches Gepräge an sich trug, sondern wie sie in den Zeiten Diocletian's, der ihm stets als Muster vorschwebte, bestanden hatte. Die französische Revolution mit ihrer Folgen ist der lezte Akt dieses Kampfes, der mit dem entscheidender Sieg des gallischen Geistes geendigt hat. Wohl haben sich beim Be ginn der Revolution manche germanische Elemente eingedrängt und ihr eine echt liberale Färbung gegeben; aber diese verlosch in dem fortgefeßten Kampfe und ließ den gallischen Geist mit seiner einheitlichen Verwaltung und seinem Widerstreben gegen alle Unabhängigkeit in aller Schärfe und Ausschließlichkeit hervortreten. Die raison d'état, zuerst von den Rechtsgelehrten Philipp's des Schönen verkündet, be kam die Oberhand über das edle Prinzip des Mittelalters, das nur das Recht der Individuen gelten ließ. Man braucht das Mittelalter gerade nicht als eine Epoche vollendeter Gefittung und Glückseligkeit anzusehen, aber so schwarz, wie es die liberale Schule angemalt, war es höchstens in feiner zweiten Hälfte, wo die Kirche verfolgungsfächtig und der Feudal-Adel blutdürftig wurden; in der ersten Hälfte war jene eine Mutter und dieser herrschte in patriarchalischem Sinne (?): und in den chriftlichen Ländern, die vor den Einfällen der Saraze nen und Normannen sicher waren, lebten die Menschen ziemlic glücklich.

Ich würde mich, sagt Renan, bei diesen geschichtlichen Subtilită ten nicht aufhalten, wenn nicht fast alle Fehler der liberalen Schul

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