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188Schentlich erscheinen 3 Nummern. Breis jährlich 3 Xbir. 10 Bgt., balbjährlich ↑ Lble, 20 Sgr, und vierteljährlich 25 Ogr., wofür das Blatt im Julande vortofrei und in Berlin frei ins Haus geliefert wird.

No 134.

für bie

Deftellungen werden ́in jeder deutsceu Buchhandlung (in Berlin bei Beit a. Comp., Jägerstraße Nr. 25, und beim Spediteur Neumann, Niederwall fit. Rr. 21), sowie von allen tönigl. Poft-Wemtern, angenommen.

Literatur des Auslandes.

Frankreich.

Berlin, Dienstag den 9. November.

Die liberale Schule der Franzosen. *)

Die Ehrlichkeit ist die wahrhafte Aristokratie unserer Lage; sie bedarf keines Schußes; denn versucht man es auch, ihre Maske vor zubinden, fie fich widerrechtlich anzueignen es gelingt niemals. Der Adel paart sich zulegt immer mit den Eigenschaften, die zu gewiffen entscheidenden Perioden zum Heil der Menschheit in die Erscheinung treten. Die bevorrechtete Klasse, hervorgegangen aus dem Lehnswesen, das bis zur Revolution 1789 das germanische Element vertrat, ärndtete nach mehr denn tausend Jahren die Frucht der großen Revolution, die an die Stelle des Verwaltungs-Despotismus des römischen Reiches die scheinbare Barbarei, aber wirkliche persönliche und örtliche Unabhängigkeit brachte. So scheint es, wird der Adel der Zukunft aus den Männern bestehen, die, unter einer oder anderer Form, den falschen Nichtungen unserer Zeit widerstanden haben; die fich freigehalten von jener allgemeinen Erniedrigung der Charaktere; jener politischen Gewissenlosigkeit, die, was ihr auch geboten wird, herzhaft zugreift; jenem gemeinen Materialismus, unter deffen Einfluß die Gesellschaft einem ungeheuren Aehrenfelde gleicht — ein Windstoß, und alle Halme fenken ihre Häupter. Ein verhängnißvoller Zustand, der zu einer gewaltsamen Reaction der einzelnen Kräfte gegen die versumpfte und sich aufgebende Trägheit führen muß!

Eines der wichtigsten Ergebnisse der ersten Hälfte unseres Jahr, hunderts ist die Thatsache, daß der erwähnte moralische Widerstand besonders unter den Männern angetroffen wird, die sich den Arbeiten des Geistes geweiht haben. Die alten Stände haben ihren Antheil beigesteuert, keiner aber kann die Ehre eines wirksamen Verfahrens für sich besonders in Anspruch nehmen. Es konnte auch nicht anders sein; denn die Revolution hat in Frankreich alle Bande des Zusammenwir kens und der Gegenseitigkeit zerrissen, und überdies hatte hier die vorwaltende Thätigkeit der Regierung von jeher mehr Widerstand in den Einzelnen als in den Körperschaften gefunden. Die Männer von Kopf find der wahre Adel in der französischen Geschichte; die französische Ritterschaft, besonders seitdem das Haus Valois auf den Thron kam, kannte nur Tapferkeit, Leichtsinn und Zierlichkeit, wodurch ihr eine so glänzende Rolle in der Welt beschieden war.. Es fehlte ihr meist an Ernst und Sittlichkeit; fie vergaß den wesentlichen Beruf einer Aristokratie; die Vertheidigung ihrer, d. h. in vielem Betracht Aller, Nechte gegen das Königthum. Seit dem siebzehnten Jahrhundert insbesondere drängten sich alle Pflichten des Adels in Einem Punkte zu. fammen: dem Könige dienen; in seinen Vorrechten sah er nur das Uebergewicht über das Bürgerthum und einen Grund, auf dieses herabzusehen. Daher die Mischung von flüchtigem und schwerfällig konservativem Sinn, von Frivolität und Routine in dem Charakter des französischen Adels; daher seine Unfähigkeit, Prinzip einer freien Regierung zu werden, und daher kam es, daß, als diese Regierung ohne ihn in's Leben trat, er, anstatt ihr Gründer und Stüßpfeiler zu sein, ihr entschiedenster Gegner wurde.

Wo war also der Widerstand, der in der französischen Geschichte, tros des Mangels aller geregelten Einrichtungen, so oft die Staatsgewalt beschränkt hat? Wo stieß der König von Frankreich auf die einzige Macht, die ihn zwang, mit der öffentlichen Meinung zu rech nen? Nur bei den Männern der Wissenschaft. Es läßt sich durch das ganze Mittelalter nachweisen, daß der Schriftgelehrte das Königthum an der Hand führte, selbst dann, wenn sich dasselbe am heftigsten gegen diese Leitung fträubte. Der einzigen Epoche der Tyrannei im Strengsten Sinne, die Frankreich durchgemacht hat, der Schreckenszeit, mußte erst die Unterdrückung der denkenden Männer vorausgehen. Sie war die wahre Versunkenheit der Gesinnung, welche den Ausgang des achtzehnten und den Anfang des neunzehnten Jahrhunderts kenn

* Nach einem Referat in der Revue des deux Mondes von dem geistvollen Gelehrten Erneft Renan über Sylvestre de Sach's,,Variétés litté raires, morales et historiques". 2 vol. Paris, 1858.

1858.

zeichnet. Gewiß, wären die Generationen der Jahre 89 und 92 nicht durch das Beil dezimirt oder durch die Aechtung aus Rand und Band gerathen; hätten so viele hervorragende Vertreter des achtzehnten Jahrhunderts, denen es nach den ordentlichen Gefeßen zukam, bei der Einweihung der neuen Gesellschaft den Vorsiß zu führen, die Revolution überlebt: so konnte, was erfolgt ist, nicht erfolgen. Zwischen der Zeit, in der wir leben, und dem Anfang unseres Jahrhunderts ist durchaus keine Vergleichung anzustellen. Die Gesellschaft, die unmittelbar aus der Revolution hervorging, war servil, weil der ganze geistige Adel verschwunden war; weil die ganze Beschäftigung des Gedankens sich auf Uebersehungen nach Horaz und auf die Verfertigung lateinischer Verse beschränkte. Dem ist zu unserer Zeit nicht so: der Geist hat seine anscheinende Niederlage überdauert; die Mittel, ihn zu entbehren, sind nicht entdeckt worden, und es sieht nicht danach aus, trog den großsprecherischen Verheißungen, daß man das Geheimniß gefunden habe, ohne Talent zu gefallen und ohne Herz zu feffeln.

Mitten in dieser einförmigen Fläche, welche die Gleichheit geschaffen, blieb nur eine einzige Burg: der Geist. Man macht der Literatur oft ihren Hang zur Politik zum Vorwurf, und mit Recht, wenn hier unter Politik die eiteln Bewegungen eines gemeinen Ehrgeizesverstanden werden. Ein Mensch von überlegener Bildung, der sich zu einem kleinlichen Geschäft hergiebt, feine Kräfte zu den Einzelhei ten eines Administrativ-Faches verbraucht, begeht thatsächlich eine Heiligthumsschändung und einen Unverstand; das praktische Leben fordert ganz andere Eigenschaften, als abstraktes Denken. Die hohen Bestrebungen und die tiefen Anschauungen gehören nimmer in eine Ordnung der Dinge, wo das Niedrige und Platte bei weitem mehr Aussichten auf Glück hat, als das großartig Gefaßte und Empfundene. Soll sich aber deshalb die Literatur auf ein Geistesspiel beschränken, ohne die gesellschaftlichen Fragen, die in unserer Zeit gähren, zu bes rühren? Das würde zugleich die Politik und die Literatur herabseßen und uns auf den Standpunkt der Grammatiker im Alterthum zurückführen. Die Literatur, wenn ernster Natur, faßt ein Gedankensystem über Göttliches und Menschliches in sich; die Politik sezt einen bestimmten Gesichtspunkt über das Ziel der Gesellschaft, also eine Philosophie voraus. Die Literatur und die Wissenschaft können also nicht, wie die Schauspiele und öffentlichen Vergnügungen, verwaltet werden. : Die wahrhaft großen Werke können nicht auf Bestellung gearbeitet werden; der Denker wird nie ein Joch aufnehmen, das bei denen, die es tragen, die Mittelmäßigkeit als unerläßliche Bedingung vorausseßt, und der Versuch einer amtlichen Literatur wird stets an der doppelten Unmöglichkeit scheitern: denen, die keine Originalität haben, welche zu geben, und diejenigen, die sie haben, zu schulen.

"Ich gestehe es offen", sagt de Sacy in der Einleitung zu seinen Auffäßen,,,ich habe mich nicht geändert. Sei es ein Verdienst, sei es ein Fehler, ich bin derselbe geblieben. Weit entfernt in mei nen Ueberzeugungen schwankend geworden zu sein, haben mich vielmehr Nachdenken, Alter und Erfahrung darin befestigt. Ich bin ein Libe raler, wie ich es vor dreißig Jahren war. Ich glaube an das Recht und an die Gerechtigkeit, wie ich in meiner harmlosesten Jugend daran geglaubt habe. Dieses Prinzip der Freiheit, das Zeit und Umftände in der Politik vertagt haben, halte ich glücklicherweise fest in der Literatur, in der Philosophie, in Allem, was in das Gebiet des reinen Gedankens einschlägt. Das haben wir in dem Journal des Débats versucht.") Die Geschmacksrichtungen, die Meinungen können auseinanderlaufen, in dem Geiste kommen wir Alle zusammen; und den Geist wird man hoffentlich in jeder Zeile der kritischen und literarischen Artikel dieser beiden Bände wiederfinden"...

Das Gebiet des Gedankens läßt sich in zwei Lager theilen: in dem einen stehen diejenigen, die ihre Meinung nach der besonderen, analytischen Anschauung eines jeden Gegenstandes bilden; in dem anderen diejenigen, die ihr Urtheil auf eine Art gefunder Vernunft und auf den Glauben an die Gewandtheit ihres Instinktes bauen.

*) Die,,Variétés littéraires" be Sacy's bestehen hauptsächlich aus_Artifeln, die er früher für das Journal des Débats geschrieben. D. R.

Zu den Lezteren zählt entschieden de Sacy. Er ist weder Historiker, noch Philosoph, noch Theologe, noch Kritiker, noch Politiker: er ist ein ehrlicher Mann; seine Meinungen über alle Fragen, die Andere durch die Wissenschaft und die Philosophie zu lösen suchen, schöpft er aus seinem gefunden, sicheren Verstand. Der Geschichtschreiber, der Philosoph, der Dichter werden oft mit Recht gegen seine Urtheile Einspruch thun; aber auch der gesunde Menschenverstand hat seine Rechte, vor ausgeseßt, daß er nicht unduldsam ist und sich es nicht beikommen läßt, die Originalität zu beschränken. Und so erscheint er in de Sach: feine abgeschlossenen Ansichten sind nicht die eines beschränkten Kopfes, der Alles von sich abweist, was hin in seinen Gewohnheiten stört, gegen Alles, was er nicht begreift, fest zugeknöpft ist: es sind Pakte, die ein ehrliches Gemüth mit sich geschlossen hat, nur das in sich aufzuneh men, was zu seiner Veredlung beitragen kann. Der wirklich beschränkte Kopf hat keine Augen für seine Kleinheit: er hält die Welt in den Gesichtskreis gebaunt, den er umfaßt, und das ärgert uns, wie Alles, was anspruchsvoll und eingebildet auftritt; bei de Sach dagegen ist es die selbstbewußte, gewollte Beschränkung, die sich keinem Anderen aufzudrängen sucht. Vorurtheile, die weder aus der Trägheit, noch aus dem Zwang hervorgehen, sind die sicherste Bürgschaft für die Erhaltung einer Menge trefflicher, zum Wohl der Welt nothwendiger Eigenschaften. Die Kraft einer Gesellschaft läßt sich nur um den Preis einer gewissen Zahl auf Treue und Glauben angenommener, nicht erst durch die Logik zu erhärtender Grundsäße gewinnen...

Eine liebenswürdige Eigenschaft — man könnte sie den Sinn für das Alte nennen giebt den moralischen Auffäßen de Sacy's eine feltene Anmuth. Hier erhebt er sich fast bis zur Poesie, obgleich dies nicht ganz genau das angemessene Wort für seine natürlichen Gaben ist. Dichtung und Sittenlehre find thatsächlich verschieden, beide aber fegen voraus, daß der Mensch kein Eintagewesen sei, ohne Band mit der unendlichen Vergangenheit, ohne Verantwortlichkeit für die unend liche Zukunft. Was giebt den Dingen Intereffe und Schönheit? Das ihnen aufgedrückte Siegel des Menschen, der durch fie gegangen, geliebt, gelitten hat. Ein Land ohne Urkunden, ohne Alterthümer, ist für das Gemüth eine dürre, troftlose Wüste. Ein Marktflecken Umbriens mit seinen etruskischen Mauern, seinen römischen Trümmern, seinen mittelalterlichen Thürmen, seinen Landhäuschen aus der Renaissance, seinen Jesuiten-Kollegien aus dem achtzehnten Jahrhundert, wird für uns stets einen höheren Reiz haben, als unfere unaufhörlich umgebauten Städte, wo die Vergangenheit nicht von Rechts wegen, sondern aus Gnade und Barmherzigkeit nur als Theaterschmuck stehen gelaffen wird. Die Tünche, welche die Spur der Zeit überstreicht, das Abtragen und Ebenmachen der Schichten des menschlichen Lebens sind die natürlichen Feinde aller Poesie. — Ebenso ist die Ehrlichkeit ein Ding, das sich nicht aus dem Stegreif machen läßt; sie ist die Frucht der Generationen. Kein abstraktes, weder philosophisches noch religiöses Prinzip hat die Macht, einen ehrlichen Mann zu schaffen. Mancher rühmt sich, er habe erst am Tage seiner Bekehrung ange fangen, etwas rechtschaffen zu sein. D, über die große Täuschung! Ich würde mich vor diesem Mann sehr in Acht nehmen, wenn ich nicht glaubte, daß er, einer Rednerblume oder seiner Sache zu Liebe, sich selber verleumdet hat. In der Ordnung der Geisterwelt find viele und vortreffliche Dinge jung; nicht also in der moralischen Weltordnung: hier ist Nichts zu erfinden, Nichts zu entdecken. In der Moral ist das Alte das Wahre; denn das Alte ist das Ehrenhafte; das Alte ist die Freiheit.

Uebrigens hat de Sacy guten Grund, die Vergangenheit zu lieben; er kennt sie nur von der schönsten Seite. Sein Vater, der berühmte Silvestre de Sach, gehörte jener Gesellschaft, für die der Name Jansenist nicht das Losungswort dogmatischer Spaltung, sondern das Zeichen eines fittenstrengen, religiösen Bekenntnisses war. Die unstreitig anziehendsten Blätter in seinem Buche hat de Sach dem Andenken einer ehrwürdigen Welt geweiht, in welcher er seine Jugend verlebt hat.,,Die Brüder de Bure, diese von den Bücherfreunden so hochgeachteten Buchhändler, waren die Vertreter der alten, durch Handel reichgewordenen Pariser Bourgeoisie, jener Familien, die dasselbe Gewerbe vom Vater auf Sohn, wie einen Abel vererbten; in einem oft rauchgeschwärzten Magazin des Urahnen, mit dem Schilde, das es ́ mit jedem Adelswappen aufnehmen konnte. Welche ungeheuchelte und anmuthige Güte sprach sich in ihrer Haltung, welche Offenheit und Rechtlichkeit in ihrem Gesichte aus! Die gute alte Zeit athmete ganz in ihnen. Keine Spur von Anmaßung, von finsterem Ernst, von kriechendem Wesen der Habgier, oder von Hochmuth auf den Geldsack. Durch die sanfte, ruhige Gleichförmigkeit ihres Lebens, durch eine Eintracht, die sich keinen einzigen Tag verleugnete, durch das Glück, das sie um sich verbreiteten, waren sie so glücklich, wie man es nur auf Erden sein kann... Zählt der Familiensinn auch zu den altfränkischen Moden, die wir abgeschafft haben? Ich weiß nicht, ob, weil ich selbst alt werde, es mich bedünken will, daß die Menschen, die ich in meiner Jugend gekannt, etwas Originelles und Anmuthigeres in

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Physiognomie und Charakter hatten, wie man es heutzutage nicht mehr findet. Ich habe die ganze Akademie der Inschriften jener Zeit gese. ben. Ich will Keinem zunah treten; aber man dürfte Mühe haben, & jezt eine ähnliche zusammenzubringen. Gott und die neue Akademie verzeihen es mir, wenn ich irre! Soviel steht fest, daß die Frühlinge und die Sommer dazumal schöner waren als jest. Wer das Gegen theil sagt, der lügt. (!) Warum sollten nur die Gelehrten an den allgemeinen Verfall nicht auch ihren Theil haben?"...

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Die entschiedene Vorliebe de Sacy's für die Vergangenheit mußte ihn nothwendig zu strenger Beurtheilung der Gegenwart führen. Er ist, und mit Recht, Pessimist. Es giebt Zeiten, wo der Optimist in uns den Verdacht eines beschränkten Kopfes und eines niedrigen Eis nes erweckt. Jedoch sind hier einige Erklärungen am Orte. Wir geben Herrn de Sach zu, daß der Verlust der Solidität des Charakters, welche die Stärke der alten Welt ausmachte, die Neuzeit mit ernsten Gefahren bedroht, weichen aber in der Art, die geistige Bewegung unserer Epoche zu würdigen, einigermaßen ab. Kein Jahrhundert, glauben wir, hatte einen so weiten Blick in die Theorie des Weltalls und der Menschheit, wie das unsrige; allein die reiche Bildung, der keine Geschichts- Epoche eine ähnliche an die Seite zu stellen hat, steht außerhalb unserer Zeit und übt nur einen geringen Einfluß auf fie Ein roher Materialismus, der die Dinge nur nach ihrem unmittel baren Nuzen schäßt, strebt allmählich, sich an die Spiße der Menschheit zu stellen und Alles in den Hintergrund zu weisen, was nur den Sinn für das Schöne, den reinen Wiffensdrang zu befriedigen dient. Jede Religion, jede Philosophie steckt dem Menschen hienieden ein ideales, über Genuß und Intereffe hinausgehendes Ziel. Tragen nun die materiellen Fortschritte dazu bei, uns diesem Ziel näher zu brin gen? Ist die Welt, feit ihrer Umgestaltung, in ihrer Gesammtheit verständiger, ehrlicher, um ihre Freiheit besorgter, für das Schöne empfänglicher geworden? Das ist die Frage. Wer kann an den Fortschritt glauben, ohne den gefährlichen Optimismus zu theilen, der die Erniedrigung des Geistes, wenn sie gewissen materiellen Verbesserungen günstig erscheint, ohne Scham mit ansehen kann.

Die materiellen Fortschritte sind keinesweges zu verachten, und feßen wir zwei gleich verständige und gleich ehrliche Gesellschaften, wovon die eine in reich entwickelter, äußerer Civilisation sich darstellte, die andere aber dieses Vorzuges entbehrte - wir würden gewiß nicht anstehen, uns für die erstere zu entscheiden. Nur das geben wir nicht zu, daß irgend welcher materielle Fortschritt für einen moralischen Verfall schadlos halten könne. Das sicherste Zeichen der Erschlaffung einer Gesellschaft ist jene Gleichgültigkeit gegen jeglichen edlen Kampi so daß die großen politischen Fragen vor den industriellen und admi nistrativen in den Hintergrund treten. Alle Despoten reden den Gesellschaften ein, sie würden deren Angelegenheiten weit besser beforge, als wenn diese sie selber in die Hände nähmen. So hat jedes Voll in seiner Geschichte eine Stunde der Versuchung, wo Satan an daffelbe herantritt und ihm die Herrlichkeiten der Welt mit den Worten zeigt: „Dies Alles will ich dir geben, so du niederfällst und mich anbetest!“ (Fortsegung folgt.) England.

Gedichte von Edward Quillinan.

Die vor uns liegende Ausgabe (London 1853) enthält in nicht ganz dreihundert Seiten den poetischen Nachlaß eines Dichters, der in seinem Vaterland wenig, in Deutschland, soviel wir wissen, gar nicht bekannt wurde. Ein Freund des Verstorbenen, Herr William Johnston, hat der Gedicht-Sammlung eine kurze Biographie vorangehen lassen. Außerdem hat,,Sir Nathaniel" im New Monthly Maga zine diese interessante literarische Erscheinung besprochen. In nach, folgender Schilderung sind die beiden Aufsäge benut.

Es dürfte für den Leser nicht uninteressant sein, von vorn herein zu erfahren, daß Herr Quillinan der Schwiegersohn des berühmtesten Dichters ber,, Lake-school", Wordsworth, war.

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Wordsworth, welcher anerkannter Weise langsam im Bewundern war und sein Gefallen an einem Werke, selbst wenn er davon durch. drungen war, nicht leicht aussprach, hatte an Herrn Quillinan, lange ehe ihm derselbe durch Familienbande nahe getreten war, auf das anerkennendste über seine Poesieen geschrieben. Ein Brief Wordsworth's an seinen späteren Schwiegersohn, im Jahre 1827, enthält folgende Stelle:

" Dora hat mir heute Ihr Gedicht noch einmal gelesen; dieses sowohl, als Ihre übrigen Schriften, haben mich zu der Ueberzeugung geführt, daß es in Ihrer Macht steht, eine dauernde Stelle unter den Dichtern Englands einzunehmen. Ihre Gedanken und Gefühle, Jhr: Kenntniffe, Jhr richtiger Geschmack und Ihre Gewandtheit in da Behandlung der Versmaße geben Ihnen ein gegründetes Recht darauf. in der Wahl Ihrer Stoffe find Sie dagegen nicht glücklich gewesen und ich erblicke hierin die Ursache dieses noch unerfüllten Anspruchs."

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Troß dieser günstigen Voraussage eines so bedeutenden Dichters hat Herr Quillinan in den darauf folgenden fünfundzwanzig Jahren jene Stelle nicht eingenommen, und wir müssen dem Urtheil des Sir Nathaniel" beistimmen, wenn er sagt: „Seine schönsten Passagen leuchten vom Wiederschein des Sternes von Rydal". (Wordsworth.) Zu der That hatte Quillinan seit seiner Jugend eine große Verehrung für Wordsworth gehabt und sich denselben zum Vorbilde erwählt. Edward Quillinan war 1791. in Oporto von irischen Aeltern, ge boren. Er hatte die militärische Laufbahn erwählt, zeigte aber früh große Vorliebe für die Literatur. Im Jahre 1808 kam er zum zweiten mal nach England, das er als fiebenjähriger Knabe zum erstenmal be. sucht hatte, um seine ersten Schulstudien daselbst zu machen.

Als er nach sieben Jahren heimgekehrt war, hatte er seine Mutter todt und Alles verändert gefunden, und als sein Vater sich bald darauf wieder vermählte, zog er es vor, nach England zurückzukehren, und that im Alter von 16 Jahren unter die schweren Dragoner in London. Eine satirische Broschüre, die er gemeinschaftlich mit einigen Kameraden schrieb, brachte ihm drei Duelle ein. Darauf folgte er sei. nem Regimente nach Spanien, und trat nach beendigtem Feldzug mit seinem ersten Gedicht: The Sacrifice of Isabel", hervor. Es war einem bekannten Literaten,,,Sir Egerton Brydges", gewidmet, dessen Tochter Jemima er im folgenden Jahre heiratete.

Im Jahr 1821 wurde er mit Wordsworth bekannt, und gewann an ihm einen Freund fürs Leben. Um diese Zeit verließ er den Kriegsdienst und siedelte sich an den Ufern der Rotha an einem Strom, dessen Namen er seiner zweiten Tochter gab. Schon ein Jahr darauf verlor er seine Frau, und ging auf Reisen, um seinen Kummer zu zerstreuen. Diesem tiefen Schmerz verdanken wir einige seiner schönsten Verse. Da sie zugleich von seiner gewöhnlichen Weise abweichen, so wollen wir diesen poetischen Ausbruch eines wilden Schmerzes mittheilen, nicht ohne einen versöhnenden Klang folgen zu lassen:

Erinnerung au Jemima Quillinan,
welche im Mai 1822 starb.
Wahnsinn, laß bei dir mich leben,
Wolle Bürgerrecht mir geben
In chast'scher Geisternacht.
Alte Freunde will ich meiden,

Will von Lieb' und Hoffnung scheiden,
Will zerreißen ihre Macht.

Da die Quellen nicht mehr springen,
Da des Todes dunkle Schwingen
Ueberschattet Edens Flur,

Da ich bin so ganz verlassen,

Ach, vermag ich zu umfassen
Dich, o tiefstes Elend nur.

Oft hat Schmerz mich überfluthet,
Aber immer stark gemuthet,
Widerstand ich seinem Bann.
Menschenstimmen konnt' ich hören,
Die den finstern Gram beschwören,
Und ich kämpfte als ein Mann.
Oft war ich vom Gram verdüstert,
Aber dann hat Ruh' geflüstert
Mir ein süßberedter Mund;
Dir im Auge, theures Wesen,
Durft' ich zarte Liebe lesen,

Und ich ward vom Gram gesund.
Auf die Berge konnt ich streifen,
Mit dem freien Blick ergreifen
Konnt' ich deinen Reiz, Natur;
Deiner Sänger frische Lieder
Stimmten meinen Mißklang wieder,
Wann ich ging auf deiner Spur.
Beten konnt' ich fonnt' erflehen
Gottes Beistand meinen Wehen,
Ahnt' im Dunkel höh'res Licht.

Jezt hat Nacht mich ganz umhüllt,

Härte hat mein Herz erfüllt

Beten, beten kann ich nicht!

Nimm mich auf! Vor dir nicht beb' ich,
Besser ist's, als Irrer leh' ich,

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Die leßte Strophe erinnert in ihrer graffen Seltsamkeit start an Shelley's,,Ode an das Elend", wie denn überhaupt der Grundgedanke derselbe ist.

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Nach England zurückgekehrt, knüpfte er seinen Umgang mit Wordsworth wieder an, und es scheint, daß die zarte Theilnahme Dora's, der Tochter des Dichters, ihn wieder mit dem Leben versöhnte. Darauf besuchte er noch zweimal Portugal, machte sich mit der spanischen Literatur vertraut und überseßte manches schöne Gedicht. Im Jahre 1841 wurde die Neigung, die schon lange zwischen ihm und Dora Wordsworth bestand, durch die Ehe gekrönt." Sie verlebten zwei glückliche Sommer auf der Insel in Windermere, im auregenden Umgang des Professors Wilson und anderer ausgezeichneter Geister. Im nächsten Jahr jedoch wurde ihr Glück durch die Sorge um die Gesundheit der Mrs. Quillinan getrübt. Sie unternahmen deshalb eine Reise nach Spanien, deren Erlebnisse die kranke Frau in einem Reisejournal niederlegte, das 1846 erschien. Schon im nächsten Jahre starb sie. Herr Johnston bemerkt darüber: „Es würde eine unpassende Enthüllung häuslicher Verhältnisse sein, wenn wir die Briefe abdrucken wollten, welche Herr Quillinan in dieser Schmerzenszeit schrieb; es sei uns genug, zu sagen, daß wir nirgends, weder in Schöpfungen der Phantasie noch im Wiederhall des wirklich Erlebten, je Briefe gelesen haben, in welchen sich ein so männlicher Geist mit einer beinah weiblichen Zärtlichkeit verbunden ausspräche."

Nach dem Tode seiner zweiten Frau lebte Herr Quillinan fortdauernd in der Cottage in Loughrigg Holme, die sein Glück. umschlossen hatte. Er ging mehr als je mit Wordsworth spazieren, denn sie hatten jest eine neue, obwohl traurige Sympathie, das Grab auf dem Friedhof in Grasmare, in welchem die zweite Frau neben der ersten ruhte. Das schöne Sonnett „Eine Bitte" befingt diese beiden Gräber. Zwei Gräber, die der Epheu grün umhaugen, Umschließen meines Lebens Kern, mein Lieben; Die Mutter, deren Kinder mir geblieben, Ist in dem ersten früh zur Ruh' gegangen; Das andre hält die Treu und Lieb' umfangen, Die bei mir stand, wenn das Gewölk sich thürmte, Wenn mir's im Innern wie da draußen stürmte, Wo dann als Stern ihr Blick mir aufgegangen. Und zwischen diesen Gräbern sei beschieden Auch mir ein Grab, dort senkt zur Ruh mich ein, Wo auch der Tod mich grüßen mag hienieden. Olaßt in Grasmere mich begraben sein,

In seinem Schooß umfange mich der Frieden,
Dert grüße mich des neuen Morgens Schein.

Es währte nicht lange, so wurde der ältere Dichter auf demselben Friedhof zur Erde bestattet. Der jüngere Poet überlebte seinen Schwiegervater nicht lange, er starb im folgenden Jahr 1851. Noch im Delirium der rasch herannahenden Auflösung sprach er von Litera tur, und versuchte, die Feder in der Hand, seine Uebersehung der Geschichte von Portugal, zum Nußen seiner Töchter", zu vollenden. ,,Am 12. Juli 1851 umschloß der grüne Friedhof Grasmeres einen neuen stillen Bewohner, der dort neben den Lieblingen seines Herzens schläft, im Angesicht der ewigen Berge, die er oft befungen hat. Rastlos war die Aerndte während der lezten Jahre in diesem Friedhof unter den Bergen."

Herr Quillinan war von Geburt und Erziehung römisch-katholisch, aber er hielt sich an die Gebräuche der englischen Kirche. Er war als Mensch allgemein geschäßt und geliebt. Eine große Reizs barkeit und Raftlosigkeit zeigte jedoch an, daß irisches Blut in seinen Adern floß. Deshalb erreichte seine Poesie wohl auch nie die erhas bene Ruhe, welche über der Poesie Wordsworth's wie ein tiefer blauer Himmel liegt. Dennoch ist es für den Leser interessant, zu beobach= ten, wie der Strom seiner Dichtung im Verlauf der Jahre, beschwichtigt durch den Einfluß seines edlen Vorbildes, klarer und ruhiger dahinfließt.

Zu denjenigen seiner Gedichte, welche als Nachahmungen Wordsworth's genannt werden, zählen,,Die wilden Blumen von Westmoreland" und ein liebliches Gedicht, welches, durch seine Beziehung auf das Dichterkind Dora, hier eine Stelle finden mag:

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Die Kluft war grün, verbråmt mit Moos,
Bom Farrnfraut überbogen.

Schildwachen zwei, dies fand ich auch,u nadajalne
Ein Brombeerbusch, ein Dornenstrauch.

Die hatten die Wacht bezogen.

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,,Die Kunst des deutschen Uebersegens aus neuerer Sprachen", so heißt eine kürzlich erschienene Schrift von Tycho Mommsen."). Ein interessantes Büchelchen gewiß für Jeden, der einige Bekanntschaft mit neueren Sprachen und Literaturen hat, zumal, wenn er versucht haben sollte, metrische Uebertragungen daraus zu machen. Denn vorzugs weise von metrischen Uebersehungen ist hier die Rede. Da in Deutschland die Uebersehungskunst (leider auch das Uebersehungshandwerk) praktisch so ausgebildet ist, wie es ohne Zweifel noch in keiner Sprache und Literatur der Fall war, so ist es nur recht und billig, und deutschem Wesen wohl angemessen, wenn die Regeln dieser Kunst in's Bewußtsein gehoben, wenn eine Theorie, ein System angestrebt wird.

Es ist merkwürdig und für unseren Charakter sprechend, daß wir für Poesie und Prosa, für Uebersehung und Original-Arbeiten einen so ganz verschiedenen Standpunkt haben. Welcher Fleiß, welche Ausdauer, welche haarspaltende, filbenklaubende Sorgfalt wird auf die Wiedergebung fremder Literaturwerke verwandt? Welche Mühe läßt es sich nicht ein Ueberseßer kosten, hier eine Onomatopoesie, dort genau die Silbenzahl, den Tonfall, den Gedanken u. f. w. getreu wiederzugeben? Und wie nachlässig, ja lüderlich, verfährt eine große Zahl unserer Dichter mit ihrer Muttersprache, welchen unkünstlerischen Sudel- und Schmierstil schreiben nicht viele Prosaiker?

Es ist nicht zu leugnen, daß diese ausgebildete Ucbersehungskunst einen vortheilhaften Einfluß auf unsere Muttersprache geübt hat; sie ist unendlich dehnbar und geschmeidig geworden und hat viel von ihrer ursprünglichen Steifheit und Härte verloren. Das gewaltige Das gewaltige Philologendeutsch (nicht blos griechisches und lateinisches), welches die Sprache vielfach auf ein Prokruftesbett spannte, ist allmählich gezähmt und gemildert worden; manches der gebrochenen Gelenke ist biegsam geblieben und nur der Kundige merkt noch das Fremdartige heraus. Selbst in Originaldichtungen erkennt man leicht den Einfluß der Uebersehungskunst: der Kenner weiß zu entscheiden, welche Wendung, welcher Ausdruck aus dem Englischen, aus dem Französischen, oder aus dem Griechischen afklimatisirt fei.

Also nochmals heißen wir diese kleine Schrift als einen Beitrag zur Orientirung in den literarischen Bestrebungen unserer Zeit will kommen. Vorangeschickt wird eine übersichtliche Geschichte der Ueberseßungskunft in deutscher Sprache, die erst eigentlich in derselben mit Opig anfängt. Denn die Luthersche Bibelüberseßung und alles Frühere gehören einer wesentlich verschiedenen Geistesrichtung an. Die Franke deutsche Literatur øder, beffer gesagt, der kranke deutsche Geist bedurfte der Stüßen, um wieder gehen zu lernen, um sich selbst wieder zu finden.

Holländische, italiänische, französische, englische Muster wurden der Reihe nach benußt, um der eigenen Literatur einen Halt zu geben; aber erst seit Klopstock und Lessing wurde es möglich, wirklich künftlerische Nachbildungen des Fremden zu versuchen. Herder eröffnete das weite Gebiet der Volks-Poesieen und seitdem ist aus allen möglichen Sprachen, Sanskrit, Arabisch, Persisch, Chinesisch u. s. w. überseßt worden, von Griechisch, Lateinisch, Spanisch u. f. w. ganz zu schweigen.

*) Leipzig, bei Adolph Gumprecht, 1858.

Der Verfaffer charakterisirt nun die Schwierigkeiten beim Ueberseßen aus den einzelnen Sprachen, welche bei jeder wieder verschieden find: das Englische z. B. ist zu kurz im Ausdrucke; das Deutsche kann mit seinen zweisilbigen Wörtern den einfilbigen des Englischen nicht überall folgen; seine lautliche Gedrängtheit und sinnliche Energie find unerreichbar. Ganz anderer Art sind die Schwierigkeiten bei Uebertragung aus den romanischen Sprachen, die sich durch Breite des Aus druckes und sinnlichen Wohlklang auszeichnen. Der Verfaffer unter fcheidet eine dreifache Art von Nachbildung: die ftillose Ueberseßung, die Originaldichtung in fremdem Stil und die strenge, over ftilhafte Ueberseßung. Die erstere giebt die Form verloren, bewahrt aber den Inhalt desto treuer, die zweite bezieht sich auf das Einbürgern frember Formen, z. B. des französischen Alexandriners, des griechisch-lateinischen Herameters in's Deutsche; die dritte Gattung ist eben ein Er werb aus der zweiten; Rammler's Ueberseßungen des Horaz, Voffens Homer u. A. m. find stilhaft; ebenso Schlegel's Shakspeare, Stred fuß' Dante u. s. w. Im Ganzen läuft das Ergebniß darauf hinaus, daß man eigentlich vollkommen erschöpfend und befriedigend nicht überseßen, daß man nur immer etwas Annäherndes geben kann.

Angefügt ist ein Schlußwort über den Einfluß des Sprachenlernens auf den menschlichen Geist und den sprachlichen Unterricht auf Gymnasien und Realschulen, der viel Beherzigenswerthes enthält. ,,Wie die Sachen stehen, ist der Gelehrtenschüler, der auf einem ungesattelten Pferde reiten gelernt hat, so viel sicherer und gewandter, daß er dem Realschüler im geistigen Wettrennen um mehr als eine Pferdelänge voraus ist; tausend Begriffe, die mit dem deutschen Leben unauflöslich verwachsen sind, hat er bereits erfaßt, während dieser einen mehr materiellen Schah hat. Zu lezterem fann aber der Gelehrtenschüler immer noch gelangen u. s. w." Mit Recht dringt der Verfasser auf Tiefe und Solidität der sprachlichen Grundlage.

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Mannigfaltiges.

Die Verfälschung der Nahrungsmittel, von Dr. H. Klencke. Mit der kürzlich ausgegebenen siebzehnten Lieferung ist nunmehr das vor etwa zwei Jahren in unserem,,Magazin“ ausführlich angezeigte Werk des Dr. Hermann Klencke vollständig erschienen.") Anfangs nur als eine erweiterte Bearbeitung des bekannten englischen Werkes von Hill Haffal und des franzöfifchen von A. Chevallier angekündigt, ist es nach und nach zu einem Kompendium angewachsen, zu dessen Herstellung der Verfasfer eine ganze Bibliothek von deutschen, französischen und englischen chemischen und gewerbepolizeilichen Schrift. stellern benugt hat. Alle diese, in der dem Buche beigegebenen LiteraturUebersicht namhaft gemachte Autoren sind jedoch mehr oder weniger hinter den Fortschritten der neueren Verfälschungskunft zurückgeblieba Aus Privatmittheilungen, die dem Verfasser noch während des Druckes zugingen, konnte er sein Werk nach allen Seiten hin ergänzen, so daß es jezt nicht blos für Deutschland, sondern auch selbst für England und Frankreich eine Quelle der Belehrung geworden ist. Das Buch zerfällt in sieben Abschnitte: 1) Kolonial- und Materialwaaren; 2) Mehlwaaren und Brod; 3) Gewerbliche und Fabrik- Produkte; 4) Produkte und Ruzstoffe der Dekonomie; 5) Parfümerieen, Konfitüren und Weine; 6) eingemachte Sachen, verkäufliche Saucen, Fleischspeisen und Delikatessen in Büchsen; 7) endlich Droguen und Farbenstoffe (welche leßte Abtheilung allein 200 Seiten füllt). Als Anhang ist ein Kapitel über Verfälschung von Handschriften und Geld geliefert. Ein alpabetisches Sachregister macht das Werk zum bequemen Nachschlagebuch für Kaufleute, Gewerbetreibende, Dekonomen und selbst Hausfrauen, von denen namentlich die Ersteren, insofern die hier besprochenen Gegenstände zu ihrem Geschäftsbereiche gehören, eir solches Werk nicht entbehren können, um sich nicht den spekulativen, skünften der Verfälscher gegen. über empfindlichen Nachtheilen auszusehen. Nicht weniger als zwei hunderteinunddreißig Illustrationen, größtentheils mikroskopische Ansichten der verfälschten Gegenstände, sind in den Text des Werkes eingedruckt.

*) „Die Verfälschung der Nahrungsmittel und Getränke, der Kolonials waaren, Droguen und Manufakte, der gewerblichen und landwirthschaftlichen Produkte". Nach Arthur Hill Hafsal und A. Chevallier, so wie nach eigenen Untersuchungen von Dr. Hermann Klencke. Mit vielen in den_Tert gedruck ten Abbildungen. Ein Band von 1100 S. in 8. Leipzig, J. J. Weber 1856-1858.

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Italien.

Bittoria Colonna.

Bestellungen werden in jeder deutschen Buchhandlung (in Berlin bet
Beit a. Comp., Jägerstraße Nr. 25, und beim Spebiteur Neumann,
Niederwallfir. Nr. 21), sowie von allen königl. Boft-Uemtern, angenommen.

Auslandes.

Berlin, Donnerstag den 11. November.

In dem alten Schloffe des Städtchens Marino, welches zwischen Albano und Frascati belegen ist, wurde Vittoria Colonna 1490 ge= boren. Ihr Vater, Fabrizio Colonna, einer der berühmtesten Kriegskundigen und Kriegshelden seiner Zeit, erlangte die erbliche Würde eines Groß-Konnetabels von Neapel; ihre Mutter, Agnes v. Montefeltro, war die Tochter des Herzogs von Urbino. Das Geschlecht der Colonna's war damals hoch angesehen und mächtig; sein Grundbesig erstreckte sich über einen bedeutenden Theil des südlichen Italiens. Fabrizio Colonna, mit Alfonso d'Avalos, dem einflußreichsten Mitgliede der aragonesischen Partei, eng befreundet, verlobte seine vierjährige Tochter dem einzigen Sohne Alfonso's, Francesco Ferrante, Marchese von Pescara, der mit ihr fast in gleichem Alter war. Die Kinder hatten beide eine vortreffliche Erziehung genossen. Am 27. Dezember 1509 wurden die Verlobten vermählt. Die glänzendsten Feste fanden dabei statt und prunkender Reichthum umgab das junge Paar, welches in dem Haufe der Herzogin von Francavilla auf Ischia, im Kreise der kriegserfahrenen Helden Prospero und Fabrizio Colonna, des Fürften von Salerno, des Marchese della Padula, des Guevra, des Fieramosca und der ebenso gelehrten als kunftsinnigen Männer Cariteo Sanazzaro, Rota, Bernardo Tasso, Mufefilo Filocato, Giovio, Minturno glücklichste Tage verlebte. Allein die kriegerischen Wirren, welche Italien bald aufs neue heimzusuchen begannen, riffen den geliebten jungen Gatten von der Seite seiner Frau, er zog mit dem König von Neapel in's Feld.

Vittoria, die reizende, zu voller Schönheit erblühte Frau, suchte und fand erheiternden Troft in dem Studium der schönen Literatur der Italiäner und des klassischen, römischen Alterthums; auch begann fie selbst zu dichten. Man hatte ihr einen Neffen, del Vasto, anvertraut, der sich keiner Zucht beugen wollte; es gelang ihr, denselben so umzuwandeln, daß er, aller Rohheit abhold, sich dem Studium zuwandte, während ihn sonst nur kriegerische Uebungen ergözt hatten. Wenn man später auf ihre Kinderlosigkeit hindeutete, so rühmte sie sich mit vollem Recht, del Vasto geistig geboren zu haben.

Francesco Ferrante war inzwischen in die Gefangenschaft des Feindes gerathen und sah in dem Kastell von Mailand der Heilung feiner rühmlichst erworbenen Wunden entgegen. Hier schrieb er einen Dialog über die Liebe, der verloren gegangen ist. Lange und heißerfehnt, kehrte der junge Held wieder in die Arme der Gattin zurück; die Königin Ifabella von Spanien soll damals zu ihm gesagt haben: „Ich möchte ein Mann sein, Herr Marchese, um zu erfahren, ob mir die empfangenen Wunden so gut ständen als Euch". Nicht lange blieben die Gatten bei einander; neue Kämpfe brachen aus, fie brachten dem trefflichen Ferrante neuen Ruhm und den Titel eines Oberkammerherrn. Dies hatte sich im Jahre 1515 begeben. Im Jahre 1517 ging er als Abgesandter an Karl V. nach Flandern, war noch in dem nämlichen Jahr wieder in der Heimat, und reifte einige Zeit darauf mit seiner Vittoria nach Rom. Wir finden dann Ferrante in der gewaltigen Schlacht bei Pavia, welche Frankreichs König Franz I. in die Gewalt seiner Gegner brachte. Ferrante hatte sich bei Leitung dieser Schlacht so ausgezeichnet, daß er hohen Lohn zu erwarten berechtigt war; er hielt es aber für seiner nicht würdig, um denselben zu bitten. Da versuchte man, ihn der kaiserlichen Sache abwendig zu machen und bot ihm die Königskrone von Neapel an. Als Vittoria davon Kunde erhielt, schrieb sie ihm: er möge sich seiner be währten Tugend erinnern, deren Ruf und Preis schon das Geschick vieler Könige überflügelt habe. Nicht die Größe der Reiche und Titel bringe die wahre Ehre, sondern sie werde auf dem geraden Wege des Rechts und der Tugend errungen, um dann den ungeschwächten Glanz auf die Nachkommen zu vererben. Sie verlange nicht, das Weib eines Königs zu sein, wohl aber des großen Feldherrn, welcher nicht blos im Kriege durch Tapferkeit, sondern auch im Frieden

1858.

durch jenen Seelenadel ausgezeichnet sei, der die größten Könige befiegt habe.

Ferrante blieb denn auch der kaiserlichen Sache treu und wurde bald zum Feldherrn über ganz Italien ernannt. Er starb am 25. November 1525, erst 35 Jahre alt. Sein Haupterbe war del Vasto; die Witwe erhielt ein glänzendes Auskommen. Sie zog sich in das Nonnenkloster San Silvestro zu Rom zurück. Hier erlebte sie den Kampf ihrer kaiserlich gesinnten Familie wider die Orsini's, suchte nach Kräften während ihres Aufenthaltes zu Neapel und auf Ischia zu vermitteln, wohnte dann meist wieder in Rom und lehnte alle Heirathsanträge, die ihr gemacht wurden, ab.

In Rom, wo sie in dem Palast der Colonna's mit ihrer Schwägerin Johanna von Aragon zusammenlebte, jener Johanna, deren von Rafael gemaltes Bild noch heut eine der größten Zierden des Louvre ist, war sie hochgefeiert. Ariost besang sie (,,Orlando", Gesang 37, Str. 16 ff.); Michel Angelo war ihr mit begeisteter Verehrung zugethan. Wir können nicht umhin, eines seiner ihr geweihten Sonette in der köstlichen Ueberseßung von Carl Witte mitzutheilen:

Hat erst die Kunst, die gottgeborne, reine,
Ein Menschenbild erfaßt, so formt gemach
In niederm Thon fie der Gedanke nach,
Daß ihre Erstgeburt dem Aug' erscheine.
Doch in der zweiten erst, im harten Steine,
Erfüllt der Hammer das, was er versprach:
Verklärt und neugeboren kennt hernach
Begränzung seines Ruhms das Kunstwerk
So kam ich als Entwurf von mir zur Erde,
Bestimmt, daß ich durch Euch, v Frau, voll Hoheit,
Als ein vollkommn'res Werk geboren werde.
Mein Zuviel tilget, es ergänzt die Lücken

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feine.

Eu'r Mitleid; doch verscherzt ich das in Rohheit,
So wendet mir auch alles Heil den Rücken.

Michel Angelo, dieser gewaltige Geist, war kein fader Schmeichler; um so mehr ehrt dies herrliche Sonnet Diejenige, welcher es gewidmet wurde.

Bernardo Tasso dedizirte ihr seine Eklogen und Elegieen, Giovio das lateinisch geschriebene Leben ihred Gatten, der Kardinal Pompeo Colonna das Lob der Frauen, Kardinal Gasparo Contarini seine Abhandlung über den freien Willen; beide Werke waren gleichfalls lateinisch verfaßt. Neuer Zwist zwischen dem Papst und der Familie Colonna nöthigten Vittoria, sich nach dem Nonnenkloster San Paolo zu Orvieto zu begeben. Im Jahr 1541 war sie wieder in Nom und dann zu Zeiten in Viterbo, wo sie Ende Februar 1547 in ihrem fiebenundfunfzigsten Jahre starb.

Jnmitten einer Gesellschaft, die der Wissenschaft und der Kunst ergeben, die herrlichsten Leistungen derselben um sich hervorgehen sah, inmitten einer Sittenlosigkeit, die selbst an heiliger Stätte das Heiligste nicht achtete, die bei den Mächtigen in der Kirche, wie im Staat, dem Verrath, der treu- und ruhelosen Intrigue Thür und Thor öffnete und die niedrigsten Leidenschaften zu gegenseitigem Kampf anspornte, warf sich Vittoria mit reiner Inbrunst dem chriftlichen Glauben, der Hoffnung auf das verheißene Heil, in die Arme, und sind schon ihre weltlichen Sonnette von dieser Inbrunst durchdrungen, so tritt sie noch bei weitem ergreifender in ihren geistlichen Sonnetten hervor. Da ist keine Gefühlständelei wahrzunehmen; es ist die echte, christliche Demuth, mit der sie sich abwendet von der falschen Welt, die ihr doch so viel Glanz und Herrlichkeit darbot, die Demuth, mit der sie, statt auf die neun Musen, ihren Blick auf die neun Engelchöre richtet, welche die ewige, die wahre Weisheit eröffnen. Indem sie die heiligen Nägel als ihre Federn, das kostbare Blut als ihre Dinte, den heiligen Leichnam als ihr Papier ansieht, um die Leiden ihres Herzens aufzeichnenzu können, ruft sie nicht den Parnak, nicht Delos an; es thut anderes Wasser noth, ein anderer Berg ist zu ersteigen, den der Fuß des Menschen allein nicht zu erklimmen ver

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