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könnte man glauben, daß ein Dritter nachträglich diesen Todtenkanz" hinzugefügt habe.

Die Herausgeber der vorliegenden Schrift haben den Lavaterschen Briefen an die Kaiserin Maria Feodorowna eine Uebersicht der vorgedachten Sammlung, physiognomischer Zeichnungen in der Schloß Bibliothek von Pawlowsk vorangeschickt, und dafür können wir ihnen nur dankbar sein, da man in Deutschland von dem Vorhandensein dieser jedenfalls zur Geschichte der deutschen Kultur im achtzehnten Jahrhundert gehörenden Sammlung wohl kaum irgend eine Kunde bisher gehabt hat..

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Noch größeren Dank verdient jedoch die Mittheilung der Briefe in Pawłowsk, die, wenn sie auch nur ähnliche poetische Ergüffe und Darstellungen enthalten, wie wir sie in Lavater's „Vermächtniß; an^ Freunde" und in seinem Tagebuch eines geheimen Beobachters seiner selbst besigen, doch einen besonderen kulturhistorischen Werth durch die Persönlichkeit erhalten, an welche sie gerichtet waren. Unstreitig hat die fromme Kaiserin Maria Feodorowna an diesen Briefen, welche der Seele die Aussicht eröffnen, in dem Grade dereinst der göttlichen Seligkeit theilhaftig zu werden, als sie sich auf Erden durch Ber edlung ihrer selbst derselben, würdig macht, ihr kummervolles Herz aufgerichtet. Und wenn auch die Einwirkung auf den Kaiser Paul die sich Lavater an einer Stelle dieser Briefe verspricht, nicht statt. gefunden, so ist doch fast mit Sicherheit anzunehmen, daß dem damas ligen Großfürsten Alexander die an seine Mutter gerichteten Briefe nicht unbekannt geblieben, und daß der gemüthvolle junge Mann nicht gleichgültig gegen die eindringlichen Ermahnungen des Predigers der Liebe, wie gegen die phantasievollen Aussichten geblieben, die Lavater den sogenannten,,Lichtnaturen eröffnet. Hat doch Alexander durch feine ganze Lebensrichtung bewiesen, wie sehr seine Natur nach Veredelung, nach,,Licht" gestrebt, und selbst seine Hinneigung zu den Schwärmereien der Frau v. Krüdener, einer Schülerin Lavater's und Jung Stilling's, weist darauf hin, wie die Lehren, die der Theosoph von Zürich einst an seine Mutter gerichtet, nicht unbeachtet an ihm vorübergegangen. *) :9

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Es sind im Ganzen sechs an die Kaiserin direkt gerichtete Briefe Lavater's über den Zustand der Seele nach dem Tode, die uns hier mitgetheilt werden. Diesen Briefen find drei Schreiben eines abgeschiedenen seligen Geistes an seinen zurückgelassenen Freund hinzugefügt, und zwar 1),,über den Zustand abgeschiedener Geister", 2) über das erste Auschauen des Herrn und 3) über den Zufammenhang der Seligen mit den zurückgelassenen Geliebten"; La vater sagt der Kaiserin ausdrücklich, daß diese Schreiben erdichtet feien, doch erdichtet im Geiste deffen, was er für die Wahrheit halte. Die unsichtbare Welt so erklärt es der abgeschiedene selige Geist selbst in einem seiner Schreiben – hänge mit der sichtbaren dadurch hänge mit der sichtbaren dadurch zusammen, daß von jedem guten, strebsamen Menschen ein Licht ausgehe, das die im Lichte befindlichen Abgeschiedenen anziehe, die auf diesem Wege ihm auch ihre Gedanken, ihre auf ihn einwirkenden Inspirationen mittheilen. Und daher kömmt es, so schreibt ebenfalls der Abgeschiedene,,,daß unsere Seligkeit oft, wenigstens dem Grade nach, von der Gemüthsverfassung der Zurückgelassenen abhängt, mit welchen wir in ein, unmittelbares Verhältniß geseßt find. Ihre Religiosität hat etwas Anziehendes, ihre Irreligiosität etwas ZurückstoBendes für uns. Wir freuen uns ihrer reinen und edeln, d. i. geistigen und uneigennügigen Freuden. Ihre Liebe ist unsere Seligkeit. Wir fühlen — we nicht etwas Leidenähnliches, doch weniger Freuden, wenn sie sich durch Sinnlichkeit, Eigenliebe, thierische Leidenschaften, oder anedle Begierden verfinstern".

Doch wir wollen, um diese dankenswerthe Publication aus Rußland beffer zu charakterisiren, einen Brief Lavater's vollständig mit theilen und wählen dazu den ersten der Sammlung, weil dieser zugleich auf das Verhältniß der Kaiserin zu ihrem theosophischen Freunde ein so schönes Licht wirft:

Verehrenswürdige Maria von Rußland!

Lassen Sie mich, mit Weglaffung des Ihnen vor der Welt geziemenden Titels Ihrer Majestät der sich zu der heiligen Materie, von welcher ich einige Worte sprechen soll, nicht sehr zu schicken scheint, frei und unbefangen Ihnen schreiben.

Sie wünschen einige Gedanken von mir über den Zustand der Seelen nach dem Tode zu vernehmen.

So wenig auch der Wiffendste und Weiseste davon zu sagen weiß, weil keiner noch in dies Land der Unerkennbarkeit hinübergegangen und von dort wieder zurückgekommen ist, so kann dennoch ein Nach

*) General La Harpe, Jung- Stilling und dessen Freundin, Frau v. Krüs bener, hatten im Jahre 1814, wie der alte E. M. Arndt (,,Meine Wanderungen und Wandlungen mit dem Reichsfreiheren Heinrich Karl: Friedrich v. Stein", Berlin, 1858) erzählt, den milden Kaiser Alexander so empfindsam und weichherzig gemacht, daß hauptsächlich in Folge dieser Einwirkung den befiegten Franzosen so unerwartete Zugeständnisse bewilligt wurden und die deutschen Sieger dagegen mehr als billig zu kurz:kamen.. D. R.

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Die sichtbare Welt, denk ich, wird der entkörperten Seele verschwinden, wie sie ihr, wenn sie in dem Schlafe träumt, verschwindet. 2. Oder die ihr vorher in dem Körper so und so erschienene Welt wird der entkörperten Seele unerkennbar anders erscheinen... Sollte sie eine Zeit lang körperlos fein, so wäre die materielle Welt völlig Nichts für sie. Oder sollte sie sogleich, was ich so wahrscheinlich finde, mit einem geistigeren Körper, der sich mit ihr aus diesem materielleren loswinden würde, umhüllt sein, so würde auch der eine total andere Ansicht aller Dinge nothwendiger Weise mit sich führen, würde, wie es leicht sein kann, dieser Körper eine Zeit lang, und besonders, bei einer unreinen Seele, unreif und unausgebildet sein, so würde der Seele die Welt wie durch ein unausgeschliffenes Glas erscheinen müssen.

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widerstehlichen Hang haben, nach dem, was ihr ähnlich ist, hinzufire ben, und sich von allem dem, was ihr unähnlich ist, zu entfernen. Sie wird gleichsam durch ihr eigenes inneres Gewicht, wie das Schwere zum Schweren, in furchtbare Tiefen (so wenigstens wird es ihr vorkommen) niedergezogen oder, wie die Funken durch ihr natürliche Leichtigkeit in die Höhe fliegen, in lichte, druckfreie, äthe rische Regionen empor gehoben werden.

Die Seele giebt sich selbst, durch ihren inneren Sinn, ihr eigen thümliches Gewicht; ihr innerer Gehalt treibt sie aufwärts, abwärts oder seitwärts, ihr eigener sittlich religioser Charakter giebt ihr eine bestimmte Tendenz oder Richtung. Wer gut ist, wird zu den Guten: emporgehoben. Sein Bedürfniß nach Gutem treibt ihn den Guten zu. Niedergedrängt wird der Böse zu den Bösen; wie ein Ambos, wenn er von Nichts aufgehalten wird, schnell und geradezu in die Tiefe stürzt, so unaufhaltbar wird der Fall roher, unfittlicher, irreligioser Seelen zu ihres gleichen seyn.

Soviel diesmal.

Zürich 1. VIII. 1798.

Johann Kaspar Lavater. Wöchentlich, so Gott will, folgt eine Fortseßung.

Griechenland.

Die Jonischen Inseln, nach der Gräfin Doria d'Istria.

(Schluß.)

Die gemeinfamen Befirebungen ber Warteien fiuo Flar: abgefebent von den rein theoretischen Fragen in neuester Zeit, die gegenwärtig keine Anwendung finden können, verlangen Alle, denen die Zukunft und das Glück ihres Vaterlandes am Herzen liegt, mit Recht, Reformen und Verbesserungen, die von unbestrittener Nothwendigkeit find. Zuvörderft fällt die Verwirrung in den Regionen der obersten Gewalt dem Beobachter in die Augen. Die Verfassung von 1817, ein Werk der Gewalt und Lift, hatte wenigstens das Verdienst der Logik, was dem gegenwärtigen Regime, einem wunderlichen Gemisch von Autokratie und Liberalismus, nicht nachgesagt werden kann.. Auf der einen Seite gewährt man Preßfreiheit und ein Wahlgefeß auf ausgedehntester Grundlage, und auf der anderen steht eine ausübende Gewalt mit schrankenlosen Vorrechten, die jede Freiheit ausschließen.

Der Senat, der sie gemeinsam mit dem Lord Ober-Kommiffär, dem Ein und Alles (10 kv xai nāv) handhabt, scheint auf den ersten Blick Garantieen für die Unabhängigkeit zu bieten. Die fünf Senatoren bekleiden die Ministerien. Der Ober-Kommissär ist verpflichtet, drei Senatoren aus dem legislativen Körper zu wählen; zwei kann er außere halb dieser Versammlung nehmen, unter der Bedingung jedoch, daß von den vier großen Inseln jede durch einen Senator vertreten werde, und daß das fünfte Mitglied einer der drei kleinen Inseln angehöre. Bon fünf zu fünf Jahren muß der Präsident des Senates nach der Reihe ein Eingeborner der vier großen Inseln sein. Alle diese Hemmketten jedoch halten das Gefährte des Lord Ober-Kommissärs nicht auf. Denn, da der Präsident zwei Stimmen hat, da die zwei außerhalb der Legislative Gewählten nothwendig dem Lord Ober-Kommissär ergeben sind: so bleiben diesem vier Stimmen gesichert und die drei anderen stehen ebenso unzweifelhaft zu seiner Verfügung. In einer Kammer von zweiundvierzig Mitgliedern, selbst wenn sie kraft eines noch so liberalen Gefeßes gewählt sind, sollten sich nicht drei Deputirte herausheben lassen, die Hand in Hand mit der obersten Gewalt gehen?

,,Aber ist nicht der geseßgebende Körper da, um die ausübende Gewalt zu überwachen?" Leider ist seine Thätigkeit faktisch vernichtet durch zwei Vorrechte, die der Senat besißt. Der Senat ist unvers antwortlich, und insofern bedarf er nicht der Majorität im Parlamente. Er kann der Opposition troßen, die Legislative durch den Lord OberKommiffär vertagen laffen oder, im Nothfalle, einen Auflösungsbefehl von der Königin erwirken. Ueberdies hat er, wie der Lord OberKommiffär, wie das Parlament, nicht nur das Recht, Gesegesvorschläge einzubringen, sondern er kann, wie der Kommiffär, allen in der Legislative votirten Geseßen die Bestätigung verweigern. Ein so zurückgewiesenes Gesez kann nur Einmal während der Session, in fünf Jahren also, vorgeschlagen werden. Angenommen, daß Lord Ober-Kommissär, Senat und Legislative einverstanden sind, so bleibt es der Königin vorbehalten, im ersten Jahre der Promulgation, alle von den Jonischen Gewalten ausgegangenen und von dem Vertreter der Krone bestätigten Geseße aufzuheben.

Wenn aber alle Stränge reißen, bleibt dem Senat noch ein leßtes Mittel, seine Ansichten, gegen die Opposition geltend zu machen: die Handhabe der Ordonnanzen. Er thut, was Karl X. im Juli 1830 vergeblich versucht hat. Da das Parlament nur alle zwei Jahre zus sammentritt, so sorgt der Senat in den Zwischenzeiten der Sessionen ür dringende Fälle durch Dekrete. Die Sigungen dauern nur drei Monate, vom 1. März ab; er hat also 21 von 24 Monaten eine

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unbequeme Ueberwachung vom Halfe und kann diese Frist benußen, Gefeße, die aus dem Zusammenwirken der anderen Gewalten hervorgegangen, auszulegen, abzuändern, ja abzuschaffen. Wohl hat das Parlament das Recht, die Ordonnanzen, die der Senat seiner Zustimmung unterbreiten muß, zu kassiren; allein, wenn die Deputirten zu ihrem Heerd heimgekehrt sind, dann bleibt demselben freie Hand, das angefochtene Reglement unter einer anderen Form- durchzusegen. Und sind denn alle Bevollmächtigten der Nation kühn und selbstverleugnend genug, um durch ihre ausgesprochene unabhängige Meinung ihre Wohlfahrt aufs Spiel zu feßen?. Hat, nicht der Lord OberKommiffär, der ja mit dem Senat nur Eins ist, die Macht, Alle zu verbannen und einzukerkern, die ihn die eingeführte Ordnung zu bedrohen dünken? So lange die oberste Macht sich unter dem Namen hohe Polizei" die wahrhaft diktatorische Gewalt vorbehält, find die gerühmtesten Freiheiten nichts als hohle Worte.

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Mit diesen Gebrechen in der Organisation der Regierung, über die sich die sieben Jnseln beklagen, vereinigt sich eine bedauernswerthe Fahrlässigkeit derselben in Allem, was die materiellen und moralischen Interessen des Landes betrifft. Es fehlt an aller Industrie; dem Ackerbau geht alle Aufmunterung, aller Fortschritt ab; die sonst so blühende Schifffahrt von Zante ist in gänzlichem Verfall; die SchulAustalten, zur Zeit des Grafen Guilford in vortrefflichem Zustande, laffen jest viel zu wünschen übrig. Der Graf Lungi,, der sich mite Eifer und Umsicht Alles angelegen sein läßt, was: zum Wohle seines, Vaterlandes beisteuern kann, hat diesen Gegenstand in einer Monographie beganbelt: Περὶ τὴν ἐν Ἐπτανήσω διοργανώσεως τῆς δημο olas naudevonws (Ueber die Reorganisation des Volks-Unterrichts in den sieben Inseln). Der gelehrte Edelmann theilt mit den Engländern den Grundsag: Knowledge is power (Kenntniß ist Macht). Mit feltenem Scharfblick gewahrt und bezeichnet er die Unvollkommenheit und Lücken in dem waltenden System, das dem Gymnasial- und Ele= mentar- Unterricht keine Rechnung trägt; ohne zu bedenken, daß eine Universität nur dann blühen kann, wenn die jungen Leute zu den höheren Studien gut vorbereitet kommen. Es ist zu wünschen, daß die Jonier ihre Kräfte nicht in unerfprießlichen Diskussionen, in persönlichem Wortgezänk aufreiben. Nichts bringt eine Nation so sehr in Verruf wie diese unselige Polemik; das Gute, das die Parteien von sich selber sagen, glaubt Keiner; dagegen findet das Böse, dessen sie einander bezüchtigen, überall offene Ohren: Wer aber die Ueberzeugung hat, daß die hellenische Nage einen mächtigen Keim der Wiedergeburt und des. Fortschrittes in sich trägt, der muß von Herzen Alles freudig begrüßen, was zur Wohlfahrt und zum Ruhm eines so lange und hart geprüften Volkes beißteuert. Nach dem Plane der Vorsehung ist das Leiden Völkern wie Einzelnen von gleichem Nugen. Es allein führt sie zu beharrlichem Selbststudium, daß sie die Ursachen ihrer Schwäche und ihrer Uebel aufsuchen und die strengen Lehren der Erfahrung benußen.

England.

Herodot und seine neuesten englischen Erklärer.

F

Seit den neuen Entdeckungen im Orient ist auf viele Theile der alten Geschichte so bedeutendes Licht gefallen, daß man im Verlaufe so kurzer Zeit dieselbe kaum wieder erkennt. Was man Geschichte der Aegypter, Babylonier, Affyrer u. s. w. nannte, was war es anders, als ein klägliches Konglomerat ganz verschiedenartiger Bruchstücke, so gut oder so schlecht zusammengeflickt, als es eben ging. Wie die Gelehrten damals den Muth haben konnten, diese elenden Reste zusammenzuschweißen und sich im Stande zu glauben, Geschichte herstellen zu können, begreift man schon jezt nicht mehr. Heutzutage find wir, wie gesagt, durch jene großen Entdeckungen wenigftens dazu gelangt, daß wir einsehen, wie unendlich viel verloren gegangen, wie das, was uns schriftlich aus dem Alterthume überliefert worden, gegen dasselbe gar nicht in Betracht kommt, Jahrtausend lange Entwickelungen weitgreifender Civilisationen, umfangreiche Literaturen, das Geistesleben langer Generationen ist der Vergessenheit anheimgefallen, und nur mächtige Schutthaufen zeugen von ihrem einstigen Dasein. Es gilt, aus dem allgemeinen Einsturze zu retten, was gerettet werden kann, daher ist Nichts so geringfügig, daß man es übersehen oder bei Seite stellen dürfte.

Nächst dem alten Testamente ist das Geschichtswerk des Griechen Herodot, der bekanntlich um die Mitte des fünften Jahrhunderts v. Chr. blühte, offenbar die Hauptquelle, ein bewundernswerthes Werk, das seines gleichen in der ganzen späteren griechischen Literatur nicht wieder gehabt hat. Herodot war der Erste, der die in den Perserkriegen auf die größere Weltbühne getretenen Griechen zum ersten Male über ihre Weltstellung, über ihr Verhältniß zu den anderen, theilweise großen und mächtigen Völkern in umfassenderer Weise aufzuklären unternahm; bis dahin war Griechenland Alles sich selbst gewesen, und was draußen war, bildete gewissermaßen nur die phantasti sche Randverzierung zu dem eigenen Bilde, in welchem Dichtung und

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Wahrheit vielfach ineinanderschwamm. Während der Grieche früherer Zeit den übrigen, ihm nur sehr engen Gesichtskreis mit lauter Abkömmlingen einheimischer Heroen bevölkerte, die Perser von seinem argivischen Perseus, die Meder von der Medea u. f. w. stammen ließ, so traten ihm nun die Thatsachen von Wirklichkeit entgegen, vor denen sich die dichtende Sage scheu zurückziehen mußte. Ueber Xerres, deffen Heere man mit Augen gesehen, ließ sich nicht mehr fabeln und dichten, wie über König Aeetes von Kolchis oder den grausamen Bu firis in Aegypten. Herodot hatte langjährige und für jene Zeit sehr bedeutende Reisen in die meisten der Gegenden gemacht, die er später in seinem Werke beschrieb; er war selbst in Aegypten, in Syrien, Affyrien, ja selbst im Skythenlande (Südrußland) und in Italien gewesen, hatte alle diese Völker aus eigener Anschauung kennen gelernt, hatte auf Sitten, Gebräuche derselben, die Natur des Landes genau Acht gegeben und bei ihren Priestern und Gelehrten sich nach den alten Geschichten erkundigt. Von diesem Erkundigen hat denn auch die Geschichte ihren bis in unsere Zeiten gültigen Namen erhalten; denn "Historie" heißt griechisch:,,Erfragung, Nachforschung durch Fragen". Wenn auch Einige vor ihm, z. B. Hetatäus von Milet, denselben Weg eingeschlagen, so ist er doch jedenfalls der Erste, der mit klarem Bewußtsein und im weitesten Umfange dieses Verfahren angewandt hat. Sein Werk, dessen Hauptkern die Erzählung der Perserkriege bildet, ist in seiner ungezwungenen Grazie einzig in seiner Art: Erzählung und Beschreibung, Geschichte, Geographie, Naturkunde wechfeln darin auf das anmuthigste mit einander ab, und überall, wo der Verfaffer selbst mit Augen und Ohren Zeuge gewesen, tragen die von ihm aufgestellten Gemälde den Charakter voller Naturwahrheit.

Es liegt auf der Hand, daß dieser Schriftsteller zu verschiedenen Zeiten sehr verschieden verstanden worden ist. Die von ihm so anschaulich geschilderten Länder sauken in's Dunkel zurück; die Völker darin erlitten bedeutende Veränderungen; kein Wunder, daß man in vielen Fällen nicht wußte, was man aus seinen Angaben machen sollte. Im Verkehr mit den orientalischen Priestern und Gelehrten hatte er Nachrichten erhalten, die dem gewöhnlichen Verständnisse als abgeschmackte und sinnlose Märchen vorkommen, die aber Sinn und Zu sammenhang erhalten, wenn man die symbolische Sprache der Neli gion, die abfichtliche Räthselhaftigkeit des Ausdrucks und überhaupt die Eigenthümlichkeiten jener alten Völker in Betracht zieht. In einzelnen Fällen mag er absichtlich hinters Licht geführt und mit Erdichtungen bedient worden sein - allein dafür konnte er nicht. Noch vor nicht gar langer Zeit war man nur allzu geneigt, in Herodot, was seine ethnographischen Nachrichten betrifft, mehr einen leichtgläubigen Märchen-Erzähler als einen besonnenen Beobachter zu erblicken, und je gescheidter man sich dünkte, desto weniger verstand man ihn. Die würdigen Gelehrten in ihrer Studirstube waren natürlich nicht im Stande, sich den weiten, freien geistigen Horizont in ihrer Phantasie zu vergegenwärtigen, der dem Herodot auf seinen langen und vieljährigen Reisen aufging und aufgehen mußte; auch hatten sie wichtigere Dinge zu thun, als sogenannte,, Realien" zu betreiben und ethnographische Studien anzustellen, um den Herodot sachlich zu erklären, sie hatten an dem Jonismus seiner Schreibart herum zu pügeln und schnigeln, womit sie wahrscheinlich in fünfhundert Jahren noch nicht fertig sein werden.

Die neuere Zeit läßt dem Herodot immer mehr und mehr sein gutes Recht widerfahren: die Entdeckungen, die man im indischen, affyrischen, ägyptischen u. f. w. Alterthume gemacht hat, geben oft ungesucht den Schlüffel in die Hand, durch welche ein scheinbares Märchen seine Erklärung findet und die Auffassung des Herodot beftätigt wird. Um ein Beispiel anzuführen, so erzählt er von gold suchenden Ameisen in Nord-Indien, die so groß wie Hunde wären. Jezt weiß man, daß die Inder allerdings von Ameisengolde sprachen und unter den Ameisen ein großes Murmelthier verstanden, das in den Steppen des Landes der Darada Erdhügel aufwarf, in denen man das Gold suchte. Allerdings giebt er auch Märchen und Fabeln, und es wäre zu verwundern, wenn dies nicht geschähe, aber er giebt fie treu nach den Berichten seiner Gewährsmänner, und sie sind nicht ohne Werth für uns, weil sie Refte von Mythologieen und Literaturen fremder Völker enthalten. Herodot ist also eine Hauptquelle für die Forscher, welche mit den neuen Entdeckungen beschäftigt sind, und es ist daher natürlich, wenn man ihm eine besondere Sorgfalt zuwendet und ihn namentlich nach der Seite hin zu erklären sucht, die bisher so sehr vernachlässigt war. Die Mittel, ihn ausreichend zu illustriren, hat der Forscher jezt in der Hand.

Eine Arbeit, welche diesen Zweck verfolgt, im großartigsten Maßstabe unternommen, kommt gegenwärtig in England heraus.")

*),,The History of Hero dotus. A New English Version. Edited with Copious Notes and Appendices illustrating the History and Geography of Herodotus, from the most Recent Sources of Information".

Sir Henry Rawlinson, der berühmte Entzifferer der Keilschriften, dessen Bruder die Uebersehung in's Englische besorgt hat, und Si Gardner Wilkinson, der große Aegyptologe, haben ihre geistigen Schäße vereint, um den Herodot bis in's Einzelne in den entsprechenden Gebieten zu kommentiren und zu illustriren. Der erste Band umfaßt nur das erste der neun Bücher des Herodot; der zweite bis jezt herausgekommene nicht viel mehr; er ist besonders dadurch interefsant, daß das zweite Buch Herodot's bekanntlich ausschließlich von Aegypten handelt und also Herrn Wilkinson volle Gelegenheit gebo ten war, die in seinen ,,Customs and Manners of Old Egyptians" und sonst niedergelegten Kenntnisse und Zlluftrationen neu zu ver werthen. (Schluß folgt.)

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Mannigfaltiges.

Oppert's Erklärung der assyrischen Inschriften. In der Sigung der Pariser Académie des Inscriptions vom 6. August überreichte Herr Guignaut im Namen des Verfaffers, Herrn Dr. Julius Oppert, die zweite Lieferung des zweiten Bandes der,, Wissen. schaftlichen Expedition in Mesopotamien", eines Werkes, das bekanntlich unter den Auspizien des kaiserlichen Staatsministeriums erscheint. Herr Oppert, welcher der vorhergehenden Lieferung eine historisch-kritische Auseinandersehung der Methoden zur Entzifferung der keilförmigen und insbesondere der assyrischen Inschriften gegeben, geht in dieser neuen Lieferung, die aus 17 Bogen in Quart besteht, zur Entzifferung der Inschriften mit Hülfe seiner eigenen Methode über. Er giebt eine Analyse der affyrischen Texte, erläutert durch persische und das, was man skythische Terte nennt. Sieben Kapitel einer sehr eingehenden, paläographischen und philologischen Untersuchung haben sämmtliche bisher bekannte Denkmäler, von dem des Xerres zu Van bis zu dem des Darius in Persepolis deffen ursprüngliche Form nicht mehr vorhanden ist - zum Gegenstand. Die berühmte dreisprachige Inschrift von Bihistun spielt dabei eine sehr bedeutende Rolle. „Auf diese Weise ist", wie Herr Guignaut hinzufügte, „die Erklärung epigraphischer Denkmäler von rein affyrischem Ursprunge nunmehr vollständig eingeleitet; dieselbe wird in der nächsten Lieferung dieses interessanten Werkes zu erwarten sein“. Herr Dr. Oppert, der in der Sißung der Akademie anwesend war, empfing die Danksagungen dieser gelehrten Körperschaft.

Die christliche Frauenwelt. Im Jahre 1857 erschien zu Hamburg in der Agentur des Rauhen Hauses ein kleines Schriftchen: ,,Der Dienst der Frauen in der Kirche, von Dr. Wichern", das im Wesentlichen den Vortrag enthält, welchen der Herausgeber im Ser tember 1856 auf dem Lübecker Kirchentage gehalten hatte, und wora er seinen Gegenstand aus dem philosophischen Gesichtspunkte betractet, indem er den hohen Beruf der Familie im christlichen Sinne und die wichtige, bis in die Ewigkeit hinüberragende Aufgabe darlegt, die der Frau in ihrem Hause zu Theil geworden ist". Eine weitere und tiefere Ausführung dieses Gegenstandes nach Thatsachen der Ge schichte enthält ein Vortrag, den der Professor Lange in Bonn am 8. April 1858 auf Veranlassung des Gustav-Adolf-Vereins in Bre men gehalten hatte, und welchen die,,Protestantischen Monatsblätter für innere Zeitgeschichte", herausgegeben von Dr. Heinr. Gelzer,` August-Heft 1858, S. 87-122 (Ueber den Antheil des weiblichen Geschlechts an der Entwickelung und Geschichte der christlichen Kirche“), mittheilen. Wir möchten Frauen und Männer, die sich für das christliche Leben im Allgemeinen und besonders in den Beziehungen der christlichen Frau zur Kirche warm und lebendig interessiren, auf diefen Vortrag dringend aufmerksam machen. Der Verfaffer schließt ihn mit folgenden Betrachtungen, Ermahnungen und Wünschen:,,Dan. ken wir dem Herrn für die Anfänge einer reicheren Mitwirkung un ferer Frauenwelt für die christlichen und kirchlichen Zwecke. Erwecken und beleben wir aber noch mehr die chriftlichen Frauenvereine, die schon so Großes gewirkt haben und noch Größeres verheißen, aber ja nicht zur Förderung des Marthadienstes auf Kosten des Mariensinnes, der seine Lieblingsstelle hat zu den Füßen des Herrn. Trauen wir der evangelischen Frau mehr zu, damit wir ihr mehr zumuthen dür fen in der Erbauung der Schule, der Kirche, des Staates durch die Erbauung des Hauses. Soll aber das Haus die Schule, die Kirche den Staat noch reichlicher erbauen, so muß auch der Mann noch mehr Schule, mehr Staatsbürgerfinn, mehr Kirche in das Haus tragen. Wenn die Alten und die Jungen auseinanderfallen und verschieden Geisteswege gehen, so ist das sehr schlimm, aber schlimm ist es nicht minder, wenn die Sozietät des Mannes und das Haus der Frau fið scheiden und verschiedene Altäre haben. Jeder Aufbau müßte dabe verkümmern." -d.

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Wöchentlich erscheinen 3 Nummern. Preis jährlich 3 Thlr. 10 gr., halbjährlich 1 Thlr. 20 Sgt. und vierteljährlich 125 Sgr., wofür dae Blatt im Inlande portofrei und in Berlin frei ins Haus geliefert wird.

No 131.

für die

Bestellungen werden in jeder deutscher Buchhandlung (in Berlin bei Beit u. Comp., Jägerstraße Nr. 25, und beim Spediteur Neumann, Niederwallftr. Nr. 21), sowie von allen königl. Post-Remtern, angenommen.

Literatur des Auslandes.

Frankreich.

Berlin, Dienstag den 2. November.

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in den Archiven des Kaiserreichs zerstreut 40,000
64,600 Stück.

Der kaiserliche Staatsminister, Herr Achille Fould, und seine Kollegen versprechen, in dieser Riesensammlung ein treues Bild aufzustellen der täglichen Gedanken Napoleon's während seiner sturmbewegten Laufbahn; seiner Pläne, vom Momente ihres Entstehens bis sie zur Ausführung kamen oder beiseite gelegt wurden; des philosophischen Geheimnisses feiner Politik, bis in ihre fernsten Fafern bloßgelegt. In einer glänzenden mit verdächtigen Anspielungen auf den römischen Purpur geschmückten Zueignung an den Machthaber, der jest jenes Geheimniß in Anwendung bringt, versichern die Herausgeber, daß diese Briefe die wunderbaren Geschicke jenes Artillerie-Offiziers erklären, der mit den Armeen der Republik die morschen Kriegessysteme Europas über den Haufen warf und mit der Revolution als Rückhalt eine Reihe von Dynastieen in Schatten stellte.

Die Korrespondenz wirft ein helles Licht auf den Charakter und die Beweggründe Napoleon's aus verschiedenen Gesichtspunkten. Von besonderer Wichtigkeit ist es aber dadurch, daß sie den Bonapartischen Volkssagen über das Verhältniß des Kaisers zur Armee den Garaus macht. In der Einbildung manches Schriftstellers jener Periode bestand zwischen dem ersten Konsul und dem französischen Krieger ein gewiffer gegenseitiger Herzensbund; der General lenkte seine Truppen durch die Macht feiner Heldengröße und den Zauber brüderlicher Traulichkeit. Das Wahre ist, daß er vollen und freien Gebrauch von den Mitteln machte, die allem Feldlagern gemein sind: da waren ein Generalprofos, ein Galgen, ein zur Execution beorderter Trupp, ein sauber gehöhlter Graben und erbarmungslose Befehle aus dem Hauptquartier. Und er selbst erzählt uns am Rande des Grabes, daß die Krieger, mit denen er die Erstlinge seines Ruhmes erfochten, nichts Besseres als Auswürflinge und Räuber waren. Für unsere Zeit haben derartige Angaben noch eine besondere Bedeutung. Die Engländer haben drei oder vier Jahre mit den Franzosen Hand in Hand gefochten; Jene borgten von Diesen Fourage in der Krim, ohne zu wiffen, daß Diese sich noch schlechter als Jene versorgt hatten; Jene haben gesehen, wie leicht die Franzosen mit den tatarischen Eisenfreffern zu Canton verkehrten und mit welchem Maß sie die Leute maßen, die so unglücklich waren, in der Nachbarschaft von Mördern zu wohnen. Kurz, Beide sind Verbündete zu Waffer und zu Lande, und jeßt, da wieder ein Bonaparte in GeneralsUniform an der Spige der Franzosen steht, da kaum die leiseste und entfernteste Möglichkeit vorhanden ist, daß die internationalen Be ziehungen einen Wechsel erleiden könnten, liegt Allen daran, zu wiffen, welcherlei Männer die Napoleonischen,,Tapferen" waren, als sie von dem Verwüfter angeführt wurden. Sicherlich ist kein Zeuge zu verlässiger, als der Bonaparte von Arcole und Lodi, doch ist es peinlich, zu denken, daß er, der die Ehrenlegion gestiftet, seine KriegsKameraden für nichts Besseres denn als Kehlabschneider und Einbrecher angesehen habe. Inzwischen können wir uns beim Durchlesen dieser Briefe des Eindruckes nicht erwehren, daß Napoleon um seine,,Theil

» Correspondance de l'Empereur Napoléon &c.", T. I.

1858.

haber am Ruhme", um die Ruffen bei Eilau, um seine Marschälle, um die Siechen und Verwundeten, um die Gefangenen zu Jaffa sich ge= rade so viel als um ein Aas kümmerte. Und ist nicht die Kasuistik, womit er in Bezug auf die Lezteren sein Gewissen beschwichtigte, wo möglich noch verabscheuungswürdiger, als sein Verbrechen? Die menschliche Regung eines Vespasian erstickte unter dem Hintergedanken eines Nero.

Der erste Band umfaßt den Zeitraum vom Oktober 1793 bis September 1796. Den Hauptinhalt bildet Militärisches; indeß fehlt es auch nicht an reichen Zügen politischer Anschauungen, an Andeutungen seiner unter krampfhaften Vive's! verborgenen Verachtung republikanischer Freiheit, seines ehrfüchtigen Troßes gegen Gewissensmahnungen, seiner gänzlichen Unfähigkeit, irgend eine ehrgeizige Mitbewerbung neben sich zu dulden, oder das Glück oder die Verantwortlichkeit des Privatlebens zu faffen. Oft macht sich der Ekel und Verdruß Luft gegen eben die Heere, die er in's Feld führen. follte. Im Jahre 1793 kommandirte er die Artillerie im Süden und war, wie seine Mittheilungen nach Paris bezeugen, unermüdlich in der Verbefferung der Einzelheiten des Dienstes; er betonte darin stets die Fehler, die er entdeckte und mit besonderem Nachdruck die Methoden, die er angewandt, sie gut zu machen. Außer im Selbstlob ist er selten beredt, und doch werden wir unwillkürlich zur Bewunderung hingeriffen, nicht blos von der vollendeten Meisterschaft in allen Punkten seines Dienstzweiges, sondern auch von dem Feuer, womit er andere Gebiete umfaßte, Pläne für die Zukunft entwarf, Karten prüfte, Gemeine und Offiziere jedes Ranges fund jeder Waffe überwachte und sich für eine sichere Stellung durch allerlei schlaue Mittel Bahn brach. Sein erster Bericht entwickelt die getroffenen Anordnungen bei der Belagerung von Toulon, die ihn bis zum Jahresschluß beschäftigt. Januar und Februar 1794 leitete er die Befestigung Marseille's und anderer wichtiger Küstenpunkte. Dann eröffnete sich die düstere Aussicht auf den italiänischen Feldzug, und mit Seitenblicken auf Paris rollt die Korrespondenz, ein Schlachtgesang, mit Jubelrufen und Verwünschungen wechselnd, donnernd über Montenotte, Mondovi, Lodi, Mailand und Mantua. Wenige Briefe sind von Klagen und Beschwerden frei. Der allgemeine Eindruck ist der eines von Lastern unbefleckten Riesengenius, in einem nicht ganz unparteiisch gezeichneten Bilde, umgeben von Erschlaffung, Unfähigkeit, Barbarei und Ehrlosigkeit. Man bedenke indeß, daß, als er diese Horden nach Italien führte, er sie auf ein luftiges Leben vertröstete und sie zu Thaten anreizte, wofür mancher Schelm dem Strang oder der Kugel verfiel. Die Proclamation vom 27. März 1796 aus dem Hauptquartier Nizza lautete:

,,Soldaten! Ihr seid nackt und hungert; die Regierung schuldet euch Alles und kann euch nichts geben. Eure Geduld und eure Seelenstärke, die ihr mitten in diesen ungaftlichen Felsenöden entfaltet habt, sind bewundernswerth; allein sie verleihen euch keinen Ruhm, ihr habt keinen Glanz gewonnen. Ich werde euch in die fruchtbarsten Ebenen der Welt führen. Reiche Provinzen, große Städte werden in eurer Gewalt sein; dort sollt ihr Ehre, Ruhm und Wohlfein genießen. Soldaten der Armee von Italien, werdet ihr es an Muth und Standhaftgkeit fehlen lassen?“

War es einem dummen Dragoner oder einem einfältigen Musketier zu verargen, wenn er in diesem blendenden Gemälde die Ausficht auf Plünderung fah, zumal die Nationen seit Monaten so mager waren? Und doch beklagt sich Bonaparte schon in den nächsten Tagen gegen Carnot über den schlechten Geist, der unter seinen Bataillonen einreißt. In dem Lager zu Nizza brach eine Meuterei aus, die fofort durch rücksichtslose Strenge gedämpft wurde. Der erste Schuß, der in dem Feldzuge fiel, kam aus den Gewehren der zur Hinrichtung beorderten Soldaten. Aber auch das Herz des unbeugsam ftrengen Generals hätte sich erweichen müffen beim Anblick der Kolonnen, die, bleich vor Hunger, wankend vor Erschöpfung sich mühsam nach Albenga schleppten. Hier endlich kosteten sie auf einige Tage gutes Brod, frisches Fleisch und die Süßigkeit der nachgelaffenen Zügel der Manns

zucht. Der Marsch nach Montenotte wurde ohne ernstliche Störung zurückgelegt, und hier, in dem seiner Einbildungskraft noch neuen Lichte und Schwung des Ruhmes, begrüßte Bonaparte die französische Armee mit seinem Ruf: Lange lebe die Republik!" Dabei waren die Truppen halb verhungert und es gab wenig zu plündern. Aus Lafengo erließ Napoleon den Tagesbefehl:

Der General en Chef drückt seiner Armee die Bewunderung ihrer Tapferkeit und ihrer Siege aus, die sie täglich über den Feind erficht; allein mit Abscheu ist er Zeuge der furchtbaren Plünderung, der sich einige unmännliche Elende ergeben haben, die nach vollbrachter Schlacht nur zu ihren Regimentern stoßen, um Ausschweifungen zu begehen, die das Heer und den französischen Namen entehren. Er befiehlt demnach: Der Stabschef hat binnen vierundzwanzig Stunden einen Bericht über die moralische Führung der General-Adjutanten und Stabs-Offiziere anzufertigen. Die Divisions- Generale haben binnen vierundzwanzig Stunden dem General en Chef über die Moralität der höheren Offiziere, die seit der Eröffnung des Feldzuges unter ihrem Befehl gestanden, Bericht einzureichen... Die Divisions-Generale find ermächtigt, die Offiziere, die durch ihr Beispiel die schauderhaften Räubereien begünstigt haben, auf der Stelle zu degradiren, oder sie nach dem Fort Curré in den Antillen zu senden. Sie sind ferner ermächtigt, in Anbetracht der Umstände, Offiziere und Soldaten, die durch ihr Betragen Andere zur Plünderung aufgemuntert, und so die Mannszucht zerstört, Unordnung im Heere hervorgerufen und dessen Sicherheit und Ruhm gefährdet haben, auf den Fleck erschießen zu lassen." Darauf folgte eine heftige Rüge gegen die „Feiglinge“, die sich nicht zu ihren Fahnen gesammelt, aus den Schlachtreihen sich gestohlen haben und die zu nichts weiter taugen, als jenseits des Var beim Wegebau verwendet zu werden. Aber diese Tagesbefehle hatten geringe Wirkung. Zu Mondovi trugen die Franzosen einen ganzen Wald von Lorbeern, aber keinen Bissen Brod davon. Am 24. April 1796 schrieb Napoleon an das vollziehende Direktorium:

,,Sie haben keinen Begriff von dem Zustande der Armee, sei es im militärischen oder im administrativen Betracht. Bei meiner Ankunft fand ich sie unter der Einwirkung jeglicher Art des schlechten Geistes: ohne Haupt, ohne Mannszucht, ohne Subordination. Ich habe Erempel statuirt, ich habe jedes mögliche Mittel angewandt, den Dienst umzugestalten, und der Sieg hat das Uebrige gethan... Indeß wird der Soldat, wüthend vor Hunger, zu Thaten hingerissen, daß man sich schämen möchte, Mensch zu heißen. Die Einnahme von Ceva und Mondovi wird mir gelegene Muße gewähren, und ich bin entschloffen, einige abschreckende Beispiele zu geben. Ich will die Ordnung wiederherstellen, oder aufhören, Führer dieser Räuber zu sein.“ In Cherasco schaffte er Ruhe. Es geht Alles gut. Es wird weniger geplündert. Der erste Hunger der von Allem entblößten Armee ist gestillt. Die unglücklichen Verbrecher müssen aber doch ihre Strafe leiden. Nachdem sie drei Jahre zwischen den Alpenfirnen gefeufzt hatten, betraten sie das gelobte Land und waren gierig, deffen Früchte zu schmecken. Ich habe Drei erschießen lassen und Sechs über den Var geschickt, um an dem Wegebau zu arbeiten."

(Schluß folgt.) England.

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Ein englischer Kritiker in der Literary Gazette beurtheilt die Uebersehung nicht ganz günstig, und in der That sprechen die Beispiele, die er anführt, dafür, daß sie, was Schärfe und Genauigkeit des Sinnes und Reinheit der Form betrifft, Manches zu wünschen übrig läßt. Wir selbst enthalten uns natürlich darüber alles Urtheils. Daß die Kommentare etwas breit, vielleicht zu breit angelegt find, darf uns nicht wundern. Wir sind es von den hochachtbaren englischen Gentlemen, die sich mit Wissenschaften beschäftigen, gewohnt, daß sie Alles recht hübsch breit treten und möglichst weit auseinanderLegen, um ganz und gar verständlich zu werden. Es ist für die Sache recht gut, wenn sie bei dem Leser nur das allergeringste Maß von Vorkenntnissen und Fassungsgabe vorausseßen; aber zulezt macht es doch einen peinlichen Eindruck, wenn man so gar nicht vom Flecke kommt bei diesem leidigen Phlegma. Jch rüge das, weil ich es, wahrscheinlich aus zu großem Respekt, noch nicht gerügt gefunden habe, z. B. Grote's „Geschichte Griechenlands“ leidet bis zum Unausstehlichen an diesem Fehler. Als Vorrathskammer reichen Materials für künftige Forschungen wird das Buch lange seinen Werth behalten, denn was es enthält, ist matter of fact, solide, bisweilen vielleicht pedantisch genaue Untersuchung, denn wenn der Engländer einen Glasscherben in Niniveh oder Theben findet, so läßt er seine Bestandtheile chemisch untersuchen und schreibt eine umständliche Abhandlung darüber.

Wir theilen einige der interessanten Noten mit, welche die von Herodot gegebenen Nachrichten zu erläutern bestimmt sind, z. B.

,,Pomponius Mela nennt Aegypten:,,terra expers imbrium", und Proklus sagt, wenn in Unter-Aegypten Regenschauer fielen, is beschränkten sie sich auf jenen Distrikt, und starker Regen wäre e Wunderzeichen in der Thebais. Herodot bestätigt in der That, das Regen zu Theben ein großes Unheil vorbedeute und man glaubte, dij die Eroberung Aegyptens durch die Perser durch dieses, an jenen Orte ungewöhnliche Natur-Ereigniß angezeigt worden war. Ju Ober Aegypten kommen im ganzen Jahre nur etwa fünf bis sechsmal Regerschauer vor, aber alle funfzehn bis zwanzig Jahre fällt schwerer Regen, woraus sich die tiefen Gießbachrinnen erklären, die in den Thäler der thebanischen Hügel bei den Königsgräbern gerissen sind. I Unter-Aegypten ist der Regen häufiger, und in Alexandrien fällt e während des Winters in ebenso großer Fülle, wie im Süden var Europa. Diese Bachrinnen und die Vorkehrungen, die an den theban schen Tempeln getroffen sind, um die Dächer gegen Regen zu schüßer. beweisen, daß er vor Alters dort ebenso gut fiel, wie heutzutage: doch ein Landregen, der zwei bis drei Tage mit einiger Stärke on dauerte, würde in Ober-Aegypten, ja selbst in Kahira, als ein große Wunder angesehen werden und den Einsturz vieler Häuser bewirken, wie z. B. 1823. (Exod. IX, 18, wo das Hagelwetter nicht als etwai gar noch nicht Dagewesenes bezeichnet wird, sondern als etwas, was man in gleicher Stärke noch nicht erlebt hatte.) Die öftliche Wüste zwischen dem Nil und Rothen Meere wird, wo die Berge höher sind häufig während des Winters von schweren Regengüssen und Gewittern heimgesucht, obgleich das Klima trockener ist, als im Nilthale, und alle vier oder fünf Jahre strömen die Gießbäche hier zum Nothen Meere, dort zum Nile hinab. In Monatsfrist und noch früher sind dann die Betten dieser Gießbäche mit grünen Kräutern und zahlreichen kleinen Blumen bedeckt und die Araber treiben ihre Heerden dorthin, um sie grasen zu lassen, bis die Chamsinwinde und die heiße MaiSonne sie ausgedörrt haben und nichts übrig bleibt, als einige Akazien bäume und die gewöhnlichen harten Sträucher jener glühenden Striche. Quellen giebt es im Nilthale vielleicht gar nicht, und die wenigen, die man findet, entstehen wahrscheinlich durch das Duchsickern des Nilwaffers durch den Boden."

Auch über das jährliche Steigen und Fallen des Niles, welchet bei den Alten bereits zu so vielen Hypothesen Veranlassung gegeben hat, finden wir eine Menge eingehender Erläuterungen und Illustratio nen. So leitet es z. B. Herodot von den starken Passatwinden her, die, von Norden kommend, gegen die Mündung bliesen und so das Wasser zurückstauten. Wilkinson bemerkt, daß diese jährlichen Nordwestwinde, die während der Ueberschwemmung vom Mittelländischen Meere her blasen, gewiß nicht die Ursache vom Steigen des Flußses sind, obschon fie in einem geringen Grade dazu beitragen, seiner Lauf gegen Norden zu hemmen. Auch kann man nicht sagen, sie va ursachten dadurch, daß sie die Wolken nach Abyssinien hinauftrieden, die Ueberschwemmung, da die Nilschwelle vor dem Eintritt des Regens beginnt, obgleich sie das Wasser durch späteren Regen vermehran mögen. Wenn Herodot angiebt, daß die Passatwinde ebensowohl gegen die Mündung der syrischen Flüsse blasen, als der afrikanischen, so hat er nicht Unrecht, insofern diese Winde von einem nordwestlichen Centralpunkte aus blasen und in der That vom Mittelländischen Meere aus alle trockenen Wüstenländer von Syrien und Arabien ebensowohl als von Afrika berühren. Die zweite Erklärung, die er wähnt wird, ist die von Hekatäus, daß der Nil auf die angegebene Weise wirkt, weil er aus dem Ocean kommt und der Ocean rund um die Erde strömt. Auch diese Ansicht verwirft Herodot sehr verständig; aber die Quelle dieses Irrthums war erweislich die, daß man an einer anderen Stelle Afrika's einen großen Fluß entdeckt hatte, in welchem Nilpferde und Krokodile waren, und den man deshalb mit dem Nile in Verbindung glaubte (Niger). Die dritte Erklärung, welche, wie Herodot sagt, sich am weitesten von der Wahrheit entfernt, ist das Schneeschmelzen. Obgleich sich dies nicht am weitesten von der Wahrheit entfernt, so ist diese Ursache dennoch nicht die wahre; denn es ist gewiß, daß nicht die Schneeschmelze, sondern der Regenfall das jährliche Steigen des Nils verursacht.

,,Der tropische Regen erstreckt sich nicht weiter nördlich, als zum Dar Schegieh (Shegéëh, Shaikéëh) und dem großen Bogen des Nils, wo Regenschauer und Stürme nur gelegentlich vorkommen, gewöhnlich um den Anfang der Ueberschwemmung, und wo oft ein ganzes Jahr ohne Regen hingeht. Der tropische Regen beginnt Ende März oder Anfang April am Weißen Nil im 4. Grad n. Br., und sowohl der Weiße als der Blaue Nil beginnen zu Chartum sich in der ersten Woche des Mai zu erheben. Das Klima ist dann daselbst sehr ungesund, selbst für die Eingebornen. Der Regen fällt viele Stunden lang, doch unterbrochen von klarem Wetter und starker Sonnenhige, die durch Erzeugung von Dünften ein bösartiges Fieber verursachen. Die Vegetation ist reißend schnell und üppig. Jener Theil des Thales, der unmittelbar nordwärts an die Region des Regens stößt, wird dann durch Wolken von Fliegen heimgesucht eine vollständige

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