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Die Einnahme von Breslau, die Gefangennehmung so vieler Offiziere und Soldaten, die Belagerung von Schweidniß und sogar auch von Olmüß, wovon man spricht, vollenden in Deutschland die Herstellung des Gleichgewichts, das unsere Armeen vergeblich zu stören suchten. Frankreich wird, ohne es zu wollen, vortrefflich bedient und müßte sich bei dem Könige von Preußen dafür bedanken, daß es von ihm geschlagen worden. Seßt dieser seine Siege noch etwas fort, so wird Desterreich zuerst um Frieden bitten müssen. Es soll mich gar nicht wundern, wenn der Arm der Ruffen und der Schweben wieder erschlafft, und wenn dann der König von Preußen mächtiger wird, als jemals vorher.

Das ganze Franken ist jezt von Truppen überschwemmt. Wir müssen nun dieses Land verzehren, nachdem wir die anderen bereits aufgegessen haben. Es ist jezt sehr schwierig, Briefe von Baireuth mit der früheren Regelmäßigkeit zu bekommen. Ich habe mich in meinen Briefen im Allgemeisen darauf beschränkt, Wünsche für den Frieden auszusprechen. Es wäre nicht übel, wenn ich mir am Ende Gewissensbisse darüber machen müßte, dieses schreckliche Wort gebraucht zu haben. Ich habe es der ganzen Welt gewünscht. Sollte der Sollte der Fürst von Sachsen-Hildburghausen wirklich darüber böse sein, daß man ihm auch seinen Antheil Frieden wünscht? Er streift jest in der Nähe von Baireuth umher. Es ist ein Mann von üblem Humor, und wenn er meine Briefe öffnet, so ist er im Stande, die Wünsche eines guten Schweizers für Verrath zu erklären.

XVII. Voltaire an Tronchin.

Lausanne, 13. Januar 1758.

Beiliegend die Antwort an Se. Eminenz. Die Briefe kommen jezt nicht ohne Schwierigkeit an. Die Frau Markgräfin meldet mir, daß ein Brief ihres Bruders an mich und einer von mir an ihn von den Husaren des Fürsten von Hildburghausen aufgefangen worden, die Alles wegnehmen, was ihnen in den Weg kömmt. Glücklicher Weise schreibe ich nichts, was nicht der Hof von Wien, wie der von Versailles, mit Erbaulichkeit lesen könnte.

Die Frau Markgräfin sagt mir, daß sie Sr. Eminenz sehr viele ,,Coquetterien", aber keine,,Coquinerieen" geschrieben. Es ist in der That jezt sehr schwer, Coquinerieen zu begehen. Man fürchtet, seine Verbündeten zu verleßen; man fürchtet, sich isolirt zu sehen, und ich glaube, daß jede Partei ein wenig in Verlegenheit ist. Es steht mir gewiß nicht zu, vorherzusehen, es steht mir kaum zu, zu sehen, aber Leute, die Augen haben, sagen, daß es nach den unerhörten Heldenthaten des Königs von Preußen moralisch unmöglich sei, daß Desterreich wieder prävalire.

Wir haben hier ein schönes Beispiel, was militärische Disziplin und was die Gegenwart eines Königs vermag, der vor der Schlacht selbst sich zwischen den Reihen seiner Truppen bewegt und Viele seiner Soldaten bei ihren Namen nennt. Er hat nicht weniger als vierzigtausend Gefangene,) wie mir auch seine Frau Schwester bestätigt. Seine Blizesschnelle und seine Waffen haben also in weniger als vier Monaten das Gleichgewicht wieder hergestellt, das wir so gescheidterweise zerstören wollten. Allerdings hat er dies durch Wunder bewirkt, aber wir konnten doch diese nicht vorhersehen, und es ist nicht unsere Schuld, wenn das Haus Oesterreich jezt nicht allmächtig in Deutschland ist.

Frankreich erschöpft sich und hat in zwei Jahren 300 Millionen außerordentliche Ausgaben gehabt. Ich bin von den Unterschleifen und der Plünderung der Finanzen im Kriege von 1741 Zeuge gewesen; aber dieses Talent ist seitdem, und besonders im jezigen Kriege, noch sehr vervollkommnet worden. Der Frieden wird nur allzubald der ganzen Welt als nothwendig erscheinen.

Wenn Se. Eminenz schreiben will, und wenn sich die Sachen so ftellen, daß Ernst gemacht werden soll, so wird sich der Brief auf einem fichereren Wege, als dem bisherigen, besorgen lassen, und zwar wird dieser Weg bald praktikabel sein.

*) Durch die Capitulation von Breslau kamen 17,635 Mann in Gefangenschaft, und in der Schlacht von Leuthen verloren die Desterreicher, wie Friedrich in seiner Geschichte des fiebenjährigen Krieges erzählt, 23,500 Mann an Todten, Verwundeten und Gefangenen. Ju der Schlacht von Roßbach warne 7000 Gefangene gemacht worden. D. R.

XVIII. Voltaire an Tronchin.

Lausanne, 17. Januar 1758.

Ungeachtet der Husaren von Hildburghausen, kann ich Ihnen doch beikommend wieder einen Brief überreichen, und sind Maßregeln genommen, daß dieser kleine Galanterie-Handel nicht unterbrochen werde. Wenn etwas Schlimmes daraus entsteht, so wasche ich meine Hände in Unschuld. Ich gleiche jener guten Alten, welche sagte: Es ist wahr, daß ich sie alle Beide zu Bett gebracht, aber ich mische mich in gar nichts.

Der Bischof von Breslau ist nach Mähren geflüchtet und hat feine Heerde verlassen. Die Kaiserin macht alle Prozessionen mit und hält neuntägige Andachten, statt des Karnevals. Der König von Preußen hat einen gewissen Kyau, Infanterie-General, den Tag nachdem er zum General ernannt war, ins Gefängniß stecken lassen.

Der hochachtbare Mann, dem mein lieber Korrespondent die Beilage zustellen wird, erfährt bei Lesung dieses Schreibens vielleicht auch noch eine andere Nachricht, nämlich, daß man den Frieden sehr aufrichtig wünscht. Der Frieden und Schlesien sind zwei gute Dinge; das eine hat der König von Preußen schon, und wer weiß, ob es Sr. Eminenz nicht gelingen werde, das andere zu schaffen. Sollten seine Rathschläge nicht gehört werden? Ist er nicht in der Lage, sie zu ertheilen? Und hat man nicht ein Bedürfniß danach, das alle Tage größer wird? Was mich betrifft, so rechne ich auf seine Klugheit und seine Einsichten.

In Deutschland heißt es, daß, wenn der König von Preußen 15,000 Mann von der Kaffeler Seite zur Armee der Verbündeten schickt, das zerrüttete französische Heer in die Klemme zwischen den Herren Preußen und Hannoveranern kommen möchte. Offen gestanden, es wäre doch gar zu demüthigend, von dem „Marquis" zweimal ausgehauen zu werden.

Wahrlich, es wäre Sr. Eminenz würdig, aller der Schmach vorzubeugen; doch ich muß mich darauf beschränken, Wünsche zu äußern und mich an die Rolle der guten Alten zu halten.

Inzwischen habe ich doch noch etwas Wichtiges mitzutheilen und worauf sich Se. Eminenz verlassen kann: dies ist, daß der König von Preußen die Engländer durchaus nicht liebt und aus Hannover sich sehr wenig macht.

XIX. Voltaire an Tronchin.

Lausanne, 26. Januar 1758.

Die Abreise des Abbé von St. Germain des Prés") und die neuen Maßregeln, die man ergreift, lassen kaum glauben, daß man auf die weisen Rathschläge eines Mannes eingehen wolle, dessen Geist, Einsichten und Erfahrung wohl verdienten, daß man auf ihn hört. Laune einerseits und ein gewiffes Intereffe andererseits, die sich in der Nähe geltend machen, tragen natürlich über die Raison, die aus der Ferne kömmt, den Sieg davon.

XX. Voltaire an Tronchin.

Lausanne, 5. Februar 1758.

Sie begreifen, wie ich mich für eine Sache intereffiren muß, die früher oder später doch eintritt, die man vielleicht eines Tages mit sehr großem Nachtheil ausführt, während es heutzutage mit einem vielfach anerkannten Nugen zu machen wäre. Möchten doch nicht Privat-Intereffen sich einer dem allgemeinen Wohl gewidmeten Bestrebung entgegenstellen! In jedem Falle aber wollen wir ruhig fortleben und die Menschen ihrerseits so thöricht, so schlecht und so unglücklich sein lassen, als sie wollen. Aus den Briefen, die ich von Petersburg empfange, entnehme ich, daß die Russen den Krieg neu beginnen werden; andererseits hat sich aber auch ganz England für den König von Preußen erklärt. Das Parlament hat ihm bereits ein. stimmig die Subsidien bewilligt. Man müßte ein Gott sein, um unter diesen Umständen den Frieden herbeizuführen.

XXI. Voltaire an Tronchin.

Lausanne, 9. Februar 1758.

Das traurige Schreiben ist abgegangen. Wagte man es, so würde man Ihnen sagen, daß zu fürchten sei, Frankreich werde bei der Kriegführung der Geprellte sein, werde viel Geld und Menschen verlieren, ohne daß es irgend etwas profitire, während es seine natürlichen Feinde kriegsgewohnt mache und vergrößern helfe. Beffer wäre vielleicht gewesen, für das Geld Kriegsschiffe zu bauen und zehntau= send Mann über das Meer zu schicken, um die englischen Besigungen zu erobern; der Gewinn würde dann wenigstens die Ausgabe kompensirt haben.

Wahrlich, ohne unsere Kaufleute, die unaufhörlich beschäftigt sind, die Verluste, welche die Regierung dem Lande verursacht, zu decken, würde Frankreich lange schon ruinirt sein. Sie werden mir diese kleine Betrachtung wohl nicht übel deuten.

*) Graf von Clermont, der eben ein Kommando erhalten hatte (ein Abbé!). (Anm. des franzos. Herausgebers der Briefe.)

XXII. Boltaire an Eronchin.

Lausanne, 12. Februar 1758.

Wenn ich es nicht der außerordentlichen Güte Sr. Eminenz bei messen darf, daß er mir die Abschrift seines Briefes anvertraut, so möchte ich faft ein wenig Eigenliebe dabei vermuthen. Man kann in der That nicht mit mehr Würde und Weisheit oder mit befferen Intentionen schreiben. Doch über die Eigenliebe ist ja der Verfaffer dieses Schreibens weit erhaben! Mein Beifall wird ihm weniger Vergnügen machen, als ihm die Lage der Dinge schmerzlich sein muß. Man befindet sich in einem Labyrinth, aus welchem man nur herauskommen kann, indem man durch Ströme Blutes über Leichen hinwegschreitet. Es ist wahrlich ein trauriges Ding, einen ruinirenden See krieg wegen einiger Morgen Eises in Acadia®) unterhalten zu müssen und Armeen von 100,000 Mann über Deutschland sich ergießen zu sehen, ohne auf einen Morgen Landes dort Anspruch zu haben. Ich könnte über diese doppelte, mißliche Lage Bände von Betrachtungen anstellen, aber sie führen zu nichts, und darum unterlasse ich es. Ich begnüge mich, die Schwester und selbst den Bruder aufzumuntern, fich gelegentlich wieder meiner Vermittelung zu bedienen. Verlaffen Sie sich darauf, daß, bevor anderthalb Jahre vergangen sind, der Hof von Versailles der ungeheuren, in fremdem Interesse und im Widerspruch mit dem des Landes verschwendeten Ausgaben überdrüffig sein wird · Ausgaben, die obendrein durch die schändlichsten Unterschleife vermehrt werden.

Sie werden bereits gehört haben, daß um den rothen Halskragen des Abbé de Bernis das Ordens-Halsband gehängt worden. Dieser Halskragen wird bald einem Barret Plaß machen.")

der Fluth verloren. Bei Kap Barnegal liegen ganz kürzlich gefällte Bäume schon unter Waffer, und ähnliche Fälle hat man am Raritan auf Staten Island und zu Hempstead beobachtet. Die Raschheit des Sinkens zeigt sich an den Wiesen, die früher durch Deiche mit Schleusen vor der Fluth geschüßt waren, jeßt aber überschwemmt werden, indem die Schleusen drei bis vier Fuß unter der Fluthhöhe liegen. Ein Müller an einem der Bäche von New-Jersey hat acht Zoll seines Wafferfalles durch das Steigen der Fluthhöhe verloren, bei einer anderen Mühle beträgt der Verlust 12 bis 15 Zoll, und eine dritte, vor hundert Jahren gebaute, hat 2 Fuß eingebüßt. Auch das Bett des Raritan-Fluffes soll nach der Aussage einiger Piloten tiefer als früher sein. Dr. Lynch bezweifelt das allgemeine Sinken der Küfte und glaubt die angeführten Thatsachen lokalen Veränderungen zuschreiben zu müssen. Er habe selbst absterbende Bäume in den unterliegenden Triebsand einsinken sehen und bei Charleston in Süd-Karolina würde dieser Sand allmählich ausgewaschen, so daß er bisweilen in Strecken von mehreren Ackern einsinke und es den Anschein habe, als fände eine allgemeine Senkung der Küste statt. - Auch Oberst Forshey hat solche lokale Einfandungen im Mississippi-Thale beobachtet, wo kein Zweifel obwalten kann, daß seit hundert Jahren keine Veränderung im Niveau der Ufer vor sich gegangen ist. Der Geologe Cook wendet dagegen ein, daß jene Erscheinungen von denen in Newa Jersey verschieden seien, und wird dabei von Ramsay unterstügt, der auf die Wichtigkeit von Cook's Beobachtungen in Bezug auf die allmähliche Bildung von Kohlen-Lagern hinweist.

Mannigfaltiges.

Friedrich der Große über den Charakter der Franzofen. In einem Briefe an Voltaire) spricht Friedrich nachstehendes Urtheil über den französischen National-Charakter aus, das noch heute, sowohl in politischer als in sozialer Beziehung, vollkommen anwendbar ist:

,,Eure Nation ist von allen in Europa die inkonsequenteste; sie hat sehr vielen Wiß, aber keine Folgerichtigkeit der Ideen. So erscheint sie uns auch überall in ihrer Geschichte. Es muß dies ein character indelebilis sein, der ihr aufgedrückt ist. Abgesehen von einigen Jahren Ludwig's XIV., giebt es keine Ausnahme in dieser langen Reihe von Regierungen. Die Regierungszeit Heinrich's IV. war weder ruhig, noch lang genug, um in Betracht kommen zu können. Während der Verwaltung Richelieu's nimmt man wohl eine gewiffe Verbindung in den Regierungsplänen, einen gewiffen Nerv in der Ausführung wahr, doch sind dies wahrlich nur allzu kurze Epochen der Weisheit für eine so lange Geschichte von Thorheiten. Frankreich hat zwar einen Descartes, einen Malebranche, aber keinen Leibniz, keinen Locke, keinen Newton hervorbringen können. Dagegen was den Geschmack betrifft, so übertreffet Ihr darin alle anderen Nationen, und ich reihe mich sofort unter Eure Fahnen, sobald es sich um eine feine Unterscheidung, um eine richtige und gewiffenhafte Hervorhebung der wahren Schönheit, im Gegensaße zu derjenigen, die nur den Anschein derselben hat, handelt. Es ist dies ein großer Vortheil mit Bezug auf die schöne Literatur, aber dies ist nicht Alles."

Mit dem vorstehenden Briefe endigt die durch Vermittelung des Banquier Tronchin geführte Korrespondenz Voltaire's mit dem Kardinal v. Tencin, zur Herbeiführung eines Separatfriedens zwischen Frankreich und Preußen. Der Kardinal starb in demselben Monat (Februar 1758), und Voltaire erzählt in seinen Memoiren, daß dieser plößliche Tod eine Folge des Verdruffes gewesen, den Herr v. Tencin darüber empfunden, daß Ludwig XV., dem er einen sehr schönen Brief geschrieben und zugleich das Schreiben der Frau Markgräfin von Baireuth gesandt, darauf sehr trocken geantwortet habe, daß der Staatssecretair der auswärtigen Angelegenheiten ihn über seine Intentionen in Kenntniß feßen werde. Voltaire fügt in seinen Memoiren hinzu: „Ich habe niemals recht begreifen können, wie man vor Verdruß sterben kann und wie Minister und alte Kardinäle, die ein so abgehärtetes Gemüth haben, gleichwohl noch soviel Empfindlichkeit befigen, daß ihnen eine kleine Kränkung den Tod zuzieht." Wenn je doch Voltaire in diesen Memoiren zugleich so thut, als habe er durch diese ganze Verhandlung den Kardinal nur zum Besten haben wollen, so that er damit, wie Herr St. Marc Girardin richtig bemerkt, nicht blos der Wahrheit, sondern auch seinem eigenen Charakter und sei nem politischen Scharfblick, die beide in dieser Korrespondenz in einem sehr günstigen Lichte erscheinen, entschiedenes Unrecht. Voltaire hat diese ganzen Verhandlungen augenscheinlich nur darum dementiren wollen, weil er, bei dem unfruchtbaren Ausgange derselben, nicht ebenfalls, wie der Kardinal v. Tencin, als ein beschämt mit Neue Gedichte von einem alten Poeten. Der dreiundseinen Plänen Zurückgewiesener erscheinen wollte. So groß war allerdings seine Eigenliebe, daß er, um ihr zu dienen, selbst seinen Charakter achtzigjährige Walter Savage Landor, der schon vor einigen und seinen politischen Scharfsinn preisgab. Glücklicherweise sind die Jahren seine leßten Gedichte" in die Welt sandte, ist jest mit Dokumente der Nachwelt erhalten, durch welche seine Ehre gewahrt allerleßten“ hervorgetreten, die er dem Publikum sehr bescheiden als wird und sein Verhältniß zu Friedrich dem Großen eine neue fittliche,,dürres Reisig" präsentirt und dem von ihm hochverehrten Kossuth Unterlage erhält.

Nord-Amerika.

Amerikanische Beobachtungen über Baumlager unter Waffer. An der Küste von New-Jersey sind Bäume und Baumstumpfe im Boden vergraben, die offenbar an derselben Stelle gewachsen sind. An manchen Punkten zählt man Laufende, und man findet sie tief in den Sümpfen längs der Ufer des Delaware und an mehreren Orten längs der Küste des Atlantischen Meeres. Bei der Raritan-Bai bleiben sie nur bei sehr niedriger Fluth unbedeckt. Da diese Stämme die Eigenschaften frischer, kürzlich gefällter befißen, so wird ein ausgebreiteter Handel mit ihnen getrieben, und zu Dennisville hat man einen Sumpf schon seit 50 Jahren auf Bauholz bearbeitet. Einiger der Stämme, die jest unter dem Niveau der hohen Fluth liegen, kann sich die gegenwärtige Generation noch als lebender Bäume erinnern. Bei Salem befindet sich an der Stelle eines ehemals dicht bewaldeten Landstriches eine der Fluth ausgeseßte Wiese. Ein Gutsbefizer hat wenigstens 1000 Acer Waldung durch das Vorschreiten

*) So wurde damals Neu-Schottland in Nord-Amerika genannt. D. R. **) Der Abbé de Bernis wurde noch im Jahre 1758, nach seinem AbD. R. gange vom Minifterium, zum Kardinal erhoben.

"

widmet.) Sie tragen dieselben Eigenthümlichkeiten zur Schau, die feine früheren Geistesprodukte bezeichnen: Kraft und Schärfe des Ausdrucks, leidenschaftliche Heftigkeit in der Bekämpfung alles Gemeinen und Philisterhaften, und eine jugendliche Schwärmerei, die in dem hochbetagten Greife oft seltsame Formen annimmt. Indessen fehlt es nicht an zarten, wahrhaft poetischen Gedanken, und zwischen den Satiren und Epigrammen findet sich manchmal eine allerliebste kleine Jdylle, von welchen wir folgende,,,Unter den Linden" betitelt, als Probe auswählen:

Under the lindens lately sat
A couple, and no more, in chat;
I wondered what they would be at
Under the lindens.

I saw four eyes and four lips meet,

I heard the words,,,How sweet! how sweet!"
Had then the Fairies given a treat
Under the lindens?

I pondered long and could not tell
What dainty pleased them both so well:
Bees! bees! was it your hydromel
Under the lindens?

*) Nr. 377 im 23sten Bande der neuen,,Oeuvres de Frédéric le Grand."
Der Brief ist aus Meißen, 12. Mai 1760 datirt.
**) Dry Sticks, fagoted by W. S. Landor. Edinburgh: Nichol

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Berlin, Sonnabend den 30. Januar.

Confin's,,Philofophischer Spaziergang durch Deutschland“.

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11. Der Epilog.")

Rehl, 15. Rovember 1817.

,,So ist nun der viermonatliche Spaziergang durch das nördliche Deutschland abgeschloffen. Das Ziel, das ich mir gesteckt, habe ich erreicht. Ich habe viele Universitäten, viele berühmte Philosophen und Theologen gesehen: in Marburg Tennemann, die anerkannteste Autorität für die Geschichte der Philosophie **) — in Göttingen: Stäudlin, einen Theologen aus der Kantschen Schule, Eichhorn, den gelehrten Eregeten; geistreiche Philosophen, wie Schulze und Bouterweck; — in Berlin: Ancillon, einen mittelmäßigen, aber besonnenen Metaphysiker; Schleiermacher, eben so kühn in der Metaphyfik wie in der Theologie: Solger, der auf die Philosophie die tiefe Kritik und den feinen Sinn überträgt, wovon er in dem Studium der Dichtkunst und der antiken Tragödie Proben gezeigt hat; de Wette, Theolog und Philosoph aus Fries' Schule; in Dresden: den Prediger Ammon, einen helldenkenden Protestanten, der den Katholizismus kennt und würdigt; in Leipzig: den alten Plattner, den lezten Vertreter einer anderen Zeit, einen Leibnizianer, der sich in die neue Philosophie verlaufen hat; Suabediffen, der mit unsicherem Schritt einen Weg zwischen den verschiedenen Systemen fucht; Krug, einen ehrlichen Kantianer, der an der Philosophie seiner Jugend treu hält; in Jena: Fries, Schöpfer eines bekannt gewordenen Zwitters von Kantischer und Jacobischer Theorie; in Würzburg: den katholischen Wagner, einen früheren Schüler Schelling's, der sich in eine mystische Begattung der Mathematik mit dem Pantheismus versenkt hat; — endlich in Heidelberg: Paulus, das Haupt der Rationalisten, Herausgeber der Werke Spinoza's; Daub, Mystiker und Pantheist zumal; Hegel, an der Spiße einer neuen Entwickelung des Schellingschen Systems. Der rasche Lauf durch die deutsche Theologie und Philosophie ist nun zurückgelegt. Diesen Morgen noch war ich in Heidelberg, morgen gehe ich über den Rhein, und in acht Tagen höchstens werde ich in Paris meine gewohnten Arbeiten wieder aufnehmen, und diese Reise wird als Erinnerung an einen bewegten und angenehmen Traum in meinem Geifte leben.

Ich müßte in der That jünger sein, als ich bin, wollte ich in die Geburt der spiritualistischen Schule ftörend eingreifen, indem ich fie veranlaßte, sich über Hals und Kopf in das verfrühte Studium Fremder Theorieen zu stürzen, deren Verdienste und Mängel nicht Leicht zu faffen und deren richtige Tragweite nicht genau zu ermeffen ist. Laffen wir vielmehr die neue französische Philosophie sich naturgemäß entwickeln durch die inwohnende Kraft, durch die Macht der psychologischen Methode, die in Deutschland verlassen oder hintangeseßt worden, und die in meinen Augen die einzige Quelle aller wahren Erkenntniß ist; fie folge dem angebornen Drang des NationalGeistes, wie er sich in der glänzendsten Epoche seiner vergangenen Größe und in dem, was gewissermaßen als die Seele der neuen Zeit erscheint, ich meine in den Prinzipien der Revolution von 1789, kundgegeben.

Es ist beschlossen: ich werde den Faden meines Unterrichts wie der aufnehmen, wo ich ihn abgebrochen, ohne ihn mit fremdartigen Elementen zu vermischen; ich werde ihn erweitern, unabläffig vervollkommnen, ohne an deffen Charakter etwas zu ändern; er soll immer fort und fort spiritualistisch in der Theorie, eklektisch in der geschichtlichen Darstellung und vor Allem freifinnig und französisch bleiben.

Bevor ich jedoch von Deutschland scheide, will ich suchen, einige Ordnung in meine Erinnerungen und mir zum Bewußtsein zu brin

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1858.

gen, welche Spuren der flüchtige Verkehr mit so vielen Ausgezeichne ten in meinem Geiste zurückgelassen und wie ich daraus für die Richtung meiner Studien und Gedanken lernen kann.

Ich komme auf die interessanten, seit meinem Eintritt in Deutschland wie im Fluge erhaschten Gespräche zurück und will in der Stille der Reflerion Schau darüber halten und den Schleier lüften, in welchen sich der deutsche Gedanke so gern hüllt, um gleichsam vor sich selber den Anblick des Abgrundes zu verbergen, der zu seinen Füßen gähnt. Zu sehr Franzose, um mich mit Worten abspeisen zu lassen, zu vertraut mit der Geschichte, um mich vom Scheine blenden zu lassen und nicht dieselben Meinungen unter anderen Formen zu erkennen, empfinde ich ein peinliches Staunen über das durch seine Arbeiten in der Theologie und Philosophie so berühmte Deutschland, daß es in einem Kreise verdächtiger Theorieen sich herumbewegt Theorieen, die einen Moment täuschen, aber keinem gefunden Sinn für die Dauer genügen können."...

Cousin zollt nun Deutschland einen ironischen Dank dafür, daß es ihm seinen früher in jugendlicher Begeisterung unternommenen Streifzug in das kritisch-theologische Gebiet für immer verleidet hat: ,,Entsagen wir", fährt er dann fort,,,ein für allemal der Eregese und der Theologie. Fassen wir das Christenthum so, wie es aus der Nicäischen Kirchenversammlung hervorgegangen, mit dem abgeschloffenen und vollendeten Dogma der Dreieinigkeit; nehmen wir dieses Dogma wie es ist, ohne uns auf dessen Entstehung, Ausbildung, Geschichte einzulassen. Nehmen wir zum Ausgangspunkt die Niederlage der verführerischen, aber flachen Lehre des Arius, den Sieg des heiligen Athanasius, den dreieinigen Gott, den Plato geahnt, den der heilige Augustin, der heilige Hilarius, der heilige Anselmus, Boffuet und Leibniz festgestellt haben mit einer Gewißheit, die Vernunft und Glauben bezeugen....

,,Wie zerstörend hat die Kritik in Deutschland auf allen Gebieten um sich gegriffen! Von einem Könige in Rom - keine Rede! Homer hat nie gelebt, die Ilias ist ein Geschöpf der Homeriden! Plato ist um seine berühmtesten Gespräche, z B. um sein,,Die Gefeße“ gekommen. Und wer, ich bitte euch, ist denn der Verfasser der „Geseze"? In der Theologie derselbe Wettlauf, wer es in den seltsamsten Konjekturen über das alte und neue Testament den Anderen zuvorthun kann. Da ist es schon ausgemacht, daß die Genesis sehr spät, nach dem babylonischen Eril und einem langen Verkehr mit den Medern und Persern abgefaßt worden; die Evangelien sind höchstens am. Ende des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts entstanden. Weil Paulus allerdings die hervorragendste Persönlichkeit des Ur-Christenthums ist, beschäftigt man sich mit ihm weit mehr, als mit Jesu Christo, und wenig fehlt, daß Jesus Christus zu einer Mythe, zu einem großen Namen, wie Homer, wird. Noch sind mir nicht zwei Theologen begegnet, die mit einander stimmen. Von der Höhe ihrer hebräischen und orientalischen Wissenschaft, über die mir kein Urtheil zusteht, greifen alle einander an, zeihen alle einander großer Irrthümer. In diesem wirren Kampf hat der Rationalismus die meisten Aussichten auf den Sieg; denn er weiß, was er will; ist aber, was er will, recht und billig?

,,Das Ziel, das der Rationalist verfolgt, ist, aus dem Christenthum dàs Uebernatürliche zu bannen; als wenn eine Religion sich nicht gerade dadurch von einem philosophischen Systeme unterschiede, daß sie von einem übernatürlichen, über alle menschlich verständige Einwürfe erhabenen Gegebenen ausgeht, während die Philosophie nur natürliche Wahrheiten beim natürlichen Lichte sucht. Die Herren Rationalisten ahnen gar nicht, daß sie in entgegengeseßter Richtung auf dasselbe Ziel mit den Methodisten und Ultramontanen zusteuern: denn wenn diese auch sonst einander in den Haaren liegen, so find fie doch in dem Einen Punkt vollkommen einverstanden, die Philosophie zu ächten und zu unterdrücken, indem beide Alles daran wenden, fie auf die Religion zurückzuführen, gerade wie der Rationalismus umgekehrt die Religion in der Philofophie will aufgehen laffen. Hier und dort derselbe Irrthum, dasselbe Ueberdieschnurhauen, dieselbe Ge

fahr. Religion und Philosophie sind zwei wesentlich unterschiedene Gedanken - Ordnungen, die seit Weltbeginn auseinandergehen und anseinandergehen werden bis an das Ende der Tage. Wohl haben fie mehr denn Einen Berührungspunkt; aber gerade das Unterscheidende kennzeichnet ihn. In dem Kopfe eines Boffuet und eines Arnauld hatten beide Plaz; sie wohnten hier beisammen in schönster Eintracht, berührten einander, ohne sich zu vermischen, sondern sich, ohne einander zu bekämpfen, und nicht ihre Schuld ist es, daß in des Herrn Paulus Kopf nicht Raum genug ist, sie beide aufzunehmen. Wohl gab es fanatische Higköpfe, wie Diderot und Holbach, die behaupteten, man brauche gar keine Religion, und fürderhin müsse das Menschengeschlecht aus lauter Philosophen, gleich ihnen, bestehen. gewiß eine außerordentliche, aber doch, streng genommen, begreifliche Behauptung. Wenn man aber, wie die meisten Rationalisten, das Christenthum beibehalten will, als deffen Priester und Diener mit seiner Familie davon leben, ihm seine Stellung in der Gesellschaft und im Staate verdanken und zu gleicher Zeit es alles Uebernatürlichen, alles Geheimnisvollen entkleiden will: so erscheint das als ein Widerspruch von grundaus, als ein Unterfangen, dem alle Folgerichtigkeit, alle Philosophie abgeht. (Schluß folgt.)

Spanien.

Neuere Fortschritte

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auf industriellem und literarischem Gebiete. Mit der Entwickelung der Eisenbahnen, dieses Aderngeäftes, in welchem ein gesteigertes Leben des Handels und der Industrie pulsirt, und deffen volle Ausbildung in dem Körper der Pyrenäen-Halbinsel mit jedem Tage empfindlicher vermißt wird, geht es in Spanien sehr langsam. An Anläufen fehlt's nicht, aber es wird viel und lange umhergetaftet; überall mehr Eifer, um Zugeständnisse zu werben, als Hand an's Werk zu legen. Erst die Dazwischenkunft fremder Kapitalien hat etwas mehr Thätigkeit in diese Arbeiten gebracht, und alle Anzeichen scheinen nun auf ernste und vielfältige Anstrengungen hinzuweisen.

Der gegenwärtige Stand der spanischen Eisenbahnen ist folgen der: die dem Verkehr bereits eröffnete Hauptbahn geht in einer Strecke von 36 Meilen von Madrid bis Albaceta; von hier ist der Bau bis Almansa und Alicante vorgerückt, während ein anderer Zweig, von Valencia kommend und schon bis Jativa befahren, sich nächstens wird bei Almansa anschließen können. Die Madrid-AlicanteLinie gehört jezt einer französischen Gesellschaft mit Herrn v. Nothschild an der Spize; ihr ist auch die Linie Madrid-Saragossa zugestanden, die einerseits sich mit Barcelona und Katalonien vereinigen, andererseits Frankreich an einem noch nicht bestimmten Punkte der Pyrenäen berühren soll. Ein anderer nicht minder wichtiger Schienenweg, die eigentliche Nordbahn, jest Eigenthum der Hauptgesellschaft des spanischen Mobiliarkredits, soll von Madrid aus über das Guadarrama-Gebirge nach dem Escorial, von da ihren Lauf durch Kastilien über Avila, Valladolid, Burgos, Briviesca, Miranda bis Vittoria nchmen; hier den einen Arm nach San Sebastian, den anderen nach Bayonne über Irun reichen. In diese Hauptarterien mündet ein Zweig, der sich von San Isidro de Dueñas nach Alar del Rey streckt, um sich der Bahn anzuschließen, die von lezterer Stadt nach Santander läuft, so daß der Atlantische Ocean mit dem Mittelmeer bei Madrid seine Verbindung feiern wird. Andere Verästungen gegen Salamanca, Zamora, Leon und Oviedo find im Entwurf, aber eben nur im Entwurf da, und vorderhand ist erst eine kleine Linie von vier Meilen, von Gijon bis Langreo, ausgeführt. Auf die Hauptlinie zurückzukommen, so sind hier alle Zeichnungen geprüft und angenommen; die größten Schwierig keiten drängen sich an zwei Punkten, am Guadarrama und dem Pyrenäen-Gebirge; doch sind sie nichts weniger als unübersteiglich. Nach Abzug des von der Regierung bewilligten Hülfszuschusses, sind die Kosten des Baus auf 155 Millionen Frcs., 205,000 Frcs. das Kilometer, veranschlagt. Der spanische Mobiliarkredit-Verein ist ferner Konzeffionär der 130 Kilometer Schienen-Linie Sevilla-Cordova. Die an den beiden Enden bei Sevilla und Cordova bereits begonnenen Arbeiten mußten, aus Mangel an vollständigen und geprüften wissenschaftlichen Vorarbeiten, eingestellt werden. Jezt scheinen diese Hinderniffe gehoben; die Regierung hat übrigens für den Bau dieser Bahn eine zweijährige Frist bewilligt.

Das ist aber nicht die einzige zugestandene oder projektirte Linie im Süden Spaniens. Abgesehn von den verschiedenen Zweigen, die von der Sevilla Cordova Bahn in gegebener Zeit nach Huelba drüben und nach Malaga und Granada hüben auslaufen werden, ist einem zu Madrid gegründeten Kreditverein die Linie Sevilla-Xeres bewilligt worden, die sich an die, bis jezt in Andalusien einzige, bereits eröffnete 3 Meilen lange Bahnstrecke von Xeres nach Cadir oder uerto Santa Maria anschließen wird. Wenden wir uns nach

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dem mehrere, bereits dem Gebrauch übergebene, kleine Linien ausstrahlen: die eine nach Granoller, die zweite nach Mataro und Arenas de Mar, die dritte nach Martorell. Damit sind übrigens die katalonischen Eisenbahnen nicht abgeschlossen. Die Linie Barcelona - Saragossa ist einer Barcelonaer Kredit-Gesellschaft zugestanden worden und die Arbeiten haben ihren Anfang genommen. In gegebener Zeit wird Barcelona unfehlbar den Anschluß an Frankreichs Bahnsystem bewirken, während es sich andererseits mit Valencia und Alicante in unmittelbare Verbindung sehen wird. Gegenwärtig ist an dieser Küste des Mittelmeeres nur die kleine, 14 Meile lange Bahnstrecke von Tarragona nach Reuß dem Verkehr geöffnet. Am meisten hint angesezt bis jest ist die Bahn, welche die Richtung nach Portugal zu nehmen bestimmt ist. Kein Anzeichen ist vorhanden, daß, wenigstens auf Seiten Spaniens, ernste Vorarbeiten gemacht worden.

Wir haben hier nur eine rasche Stizze von dem Neze gegeben, das in der Folge das Land umspannen soll, und das, vollständig ausgeführt, ein Element zu höherer Blüthe und neuer Größe desselben liefern wird, mit der Bedingung jedoch, daß Spanien sich nicht herbeiläßt, aus unfruchtbaren Revolutionen und Krisen zu rein materiellen Speculationen überzugehen, und daß es zur Einsicht komme, den politischen Sinn, der eine Nation erhebt, und die Intelligenz, die sie in den Augen der Welt adelt, höher als alle Bewegung der handgreiflichen Interessen anzuschlagen.

Unglücklicherweise ist das intellektuelle Leben in Spanien nicht die Sphäre, in welcher sich die größte Thätigkeit entfaltet. Es fehlt dazu uicht etwa an guten Köpfen, sie wenden aber ihr Wirken meist der Politik zu. Nur Wenige ergeben sich ernsten Arbeiten, dem Studium der Geschichte, den Forschungen in Literatur und Kunst. Hin und wieder indeß taucht eine Erscheinung höheren Ranges auf, und als eine solche bezeichnen wir die 1856 herausgekommene,,Geschichte der Regierung Karl's III." in vier Bänden. Der Verfasser, Antonio Ferrer del Rio, ist ein gewandter Schriftsteller und von glühendem Eifer für historische Studien beseelt. Er wollte eine Zeit schildern, die, so nahe sie uns auch liegt, wenig bekannt ist, und die man dennoch kennen muß, wenn man wissen will, wie Spanien die Zeit des neunzehnten Jahrhunderis verlebt hat; die Zeit, die eine Art Uebergang bildet zwischen dem Verfall am Ende des siebzehnten Jahrhunderts und den Anläufen zu einer Wiedergeburt, die unsere Epoche bezeichnen. Karl III. war der beste König im achtzehnten Jahrhundert; noch lebt er im Gedächtniß des Volkes jenseits der Pyrenäen. Er war ein reformatorischer Fürst, um den sich alle jene hervorragenden Männer: Aranda, Campomanes, Florida Blanca, Feijoo, Jovellanos, schaarten. Von dieser Epoche giebt Ferrer del Rio ein Bild, das sich durch Gewandtheit, Wissenschaftlichkeit, oft durch Neuheit empfiehlt. Dieses Werk sichert ihm eine Stelle unter den ersten Historikern Spaniens und unter dem Gelehrten, die eine gewiffenhaft genaue Erzählung anziehend zu behandeln verstehen.

Was die Preffe betrifft, so sind im Laufe des Jahres 1857 die früheren periodischen Schriften um einige neue vermehrt worden: El Orbe kam nur auf die Welt, um die Politik des Grafen San-Luis zu vertheidigen. An dem Tage aber, wo man mit vorsichtiger Taktik übereingekommen ist, es zu vermeiden, alte Zwiftigkeiten wieder wach zu rufen, hatte El Orbe keinen Grund mehr, zu sein, und er verschied nach kurzem Leben. Der Fenix ist, wie es heißt, Eigenthum eines Bruders des Herzogs von Rianzares; Haupt-Redacteur ift Agustin Alfaro, ein früherer Deputirter. Er führt einen Krieg auf Tod und Leben mit dem Karlismus und ist über die auswärtigen Angelegenheiten ziemlich genau unterrichtet. Zwei neue Zeitungen machen sich besonders durch ihre geschickte Redaction bemerklich: EI Estado und La Cronica. Jene ist von Ramon Campamor gegründet, der eine geistreiche, beißende Feder führt. Früher Präfekt und Depu tirter, war er, nachdem sich das gegenwärtige Ministerium gebildet, in den Staatsdienst getreten, den er aber bald wieder verlassen mußte, weil er sich etwas zu unabhängig gebahrt hatte. Indeß hat El Estado einen ziemlich ausgebreiteten Leserkreis. La Cronica gehört einem reichen Banquier, Retortillo, deffen Bruder, ein talentvoller junger Mann, das Journal leitet. Dieses Blatt wird, wie man sagt, von Llorente, einem der Parteihäupter im Parlamente, inspirirt. La Cronica und El Estado vertreten die gemäßigte Politik und sogar das Ministerium des Generals Narvaez, obgleich sie sich eine gewisse selbständige Haltung bewahren. Welchen Einfluß aber wird das Gesez, das die Regierung kürzlich die Ermächtigung erhalten, provisorisch auszuführen, auf die Presse üben? Das haben wir noch zu erfahren. Alles führt demnach auf die Frage zurück, welche die Situation Spaniens beherrscht, auf die Frage: welche Politik wird eutschieden die Oberhand behalten? Wird es die Politik sein, die in dem Preßgeseß ihren Ausdruck hat? Wird es eine minder einzwängende, mehr freifinnige Politik sein, ohne deshalb ihren konservativen Charakter zu verleugnen? Das muß, wie gesagt, die Zukunft

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Rußland.

Bilder aus der ruffischen Provinz.*)

(Von einem reifenden Finnländer.)

Von meinem Aufenthalte in Ardatov**) habe ich nicht viel zu erzählen. Die Zeit, welche meine Beschäftigungen mir übrig ließen, verbrachte ich im Umgang mit den dortigen Beamten, unter welchen besonders der Jsprawnik (Kreishauptmann), ein ehemaliger Kavallerie Offizier und seiner Geburt nach ein Knjäs, eine recht angenehme Persönlichkeit war, wenn man nämlich davon absah, daß er mit seinen Heldenthaten, feiner Vaterlandsliebe und seiner Gunst bei den Frauen gewaltig prahlte. Den Posten eines Gorodnitschji (Stadtvogts) erhalten gewöhnlich verdiente Offiziere zum Lohne; der von Ardatov war ein im Kaukasus verwundeter, noch junger Mann, der nichts Anderes zu sprechen wußte, als von seiner schon lange geheilten Wunde, von dem Gefechte, in welchem er fie bekommen, und wie er und seine Kameraden den Tscherkessen die Köpfe abgefäbelt, als wären es Rübenblätter gewesen. Am prächtigsten unter allen Honoratioren der Stadt Lebte der Postmeister, welcher bei seinem Jahrgehalte von nur 200 oder 300 Silberrubel ein solches Vermögen gesammelt hatte, daß er seine zahlreiche Familie sehr gut unterhielt (seine Frau und Töchter gingen in Sammet und Seide) und ein ansehnliches Grundstück mit Leibeignen (sogenannten,,Seelen") käuflich besaß. Außer diesen und anderen Würdenträgern wohnte in der Stadt ein ganzer Haufe verarmter Edelleute, deren Einkünfte nicht zureichend waren, um den Winter in Petersburg oder Moskau, oder auch nur in der Hauptstadt des Gouvernements hinzubringen, denen aber ihre Gewöhnung an Müßiggang und Kartenspiel den Winter - Aufenthalt auf ihren Landgütchen (sofern sie wirklich dergleichen besaßen) sehr langweilig gemacht hätte. Obwohl manche dieser Herren ihren Stammbaum bis auf Peter's des Ersten Zeit zurückführen konnten (noch weiter hinauf reicht eine russische Genealogie nur selten) und Viele von ihnen sich fogar für Knjäse hielten, so hatten doch Armuth und Ungebildetheit den Meisten ihre adelige Hoffarth benommen, und man sah einen Edelmann den Thee eines gemeinen Bürgers recht gern schlürfen, wenn dieser so gut war, ihm solchen anzubieten. Alltägliche Belästigung ward mir von Seiten eines alten Herrn aus dieser herabgekommenen Klasse. Dieser meldete sich sehr bald nach meiner Ankunft, zeigte Urkunden vor, die ihn als echten Edelmann legitimirten, klagte über seine Armuth und schloß mit der Bitte um ein Almosen, das er auch bekam. Der gute Empfang machte ihn, dem es niemals an Muße fehlte, so dreist, daß er Tag für Tag wiederkehrte, und obschon ich ihm erklärte, wie beschränkt meine Muße sei und wie wenig fein Umgang mich befriedigte, obschon ich den Zudringlichen einmal sogar am Arm faßte und zur Thür hinausschob, so sezte er nichts destoweniger seine täglichen Besuche fort, indem er einmal angeblich ausruhen, ein anderes Mal fich erwärmen wollte. Seine Beharrlichkeit erreichte wirklich ihren Zweck, welcher offenbar darin bestand, einen Theil seines Lebensunterhaltes auf meinen Nacken zu legen: er wurde mein beständiger Gast zu Thee und Abendbrod. Da Herr Nikolai Afonasev in seiner Jugend nichts Anderes gelernt hatte, als „Geographie und Arithmetik“, in welchen er alle und jede Wissen schaft enthalten glaubte, und von der Welt nichts zu sehen bekommen, als einen Theil der Gouvernements Simbirsk und Nijnji Novgorod, so war er ein echter Typus jenes alten Ruffenthums, das mit kindischem und lächerlichem Hochmuth sein Vaterland für das aufgeklärtefte aller Länder und die eigene Nation für die einzige wahrhaft chriftliche hält. Seine armselige Lage hatte ihn übrigens in gleichem Grade verbittert, wie Walter Scott's Sir Mungo Malagrowther, mit welchem er auch die Eigenschaft gemein hatte, daß er gern über Laubheit klagte und nicht gut zu hören vorgab, so oft er etwas hören mußte, das ihm nicht gefiel.

Schenken wir nun dem frischeren Volksleben einige Aufmerksamkeit. Das merkwürdigste Ereigniß während meines Aufenthaltes in Ardatov war die Butter - Woche (másleniza), ein auch bei uns nicht völlig unbekanntes Feft. So heißt die erste Woche der,,langen Fasten", in welcher das Fleischeffen schon verboten ist, aber Milch, Butter, Eier und Branntwein noch genossen werden dürfen; sie entspricht also dem Karneval der Katholiken. Fasten ist dem Russen eines der vornehmsten Mittel, um die Seligkeit zu erlangen, und das Volk insonderheit hält mit Strenge alle feine Fasten, von denen die bemerkenswerthesten sind: die um Weihnachten, die langen vor Ostern, das am Peterstage, im Juni, und das am Tage Mariä Himmelfahrt, im September. Rechnet man alle diese verschiedenen Fastenzeiten und die allwöchentlichen Mittwochs- und Freitags-Fasten zusammen, so

*) Aus der zu Helsingfors und nur in finnischer Sprache erscheinenden Zeitschrift „Šuometar". Der obige Artikel ist datirt aus Krasnoslobodsk im Gouvernement Bensa.

**) Ardatov heißt eine kleine Stadt des Gouvernements Nijaji Novgorod.

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ergiebt sich, daß diese Art von Kasteiung mehr als eine ganze Hälfte des Jahres hinwegnimmt. Da der rechtgläubige Russe in solchen Perioden nur von Vegetabilien leben darf (denn selbst Fische zu effen ist eigentlich unerlaubt), da der Genuß geistiger Getränke, ja fogar des Thee's, und der fleischliche Umgang der Geschlechter zur Fastenzeit untersagt ist, so kann wohl auch der Unbetheiligte ermessen, wie sehr Jedermann in der Butterwoche" für alle die bevorstehenden Entbehrungen während der langen Fasten" sich im voraus zu entschädigen bemüht sein müsse. Auch die Bewohner des sonst so stillen Ardatov lieferten den Beweis, daß sie es verstanden, dieser Festwoche die gebührende Ehre zu erzeigen. Alle hielten sich so frei von jeglicher Arbeit, daß, als ich zufällig am Anfang der Woche von meiner Wirthin verlangte, mir ein warmes Bad bereiten zu lassen, sie mir zur Antwort gab, ich müsse mich damit bis zur nächsten Woche gedulden, denn sie könne ihrer Dienerschaft während des Festes eine so harte Arbeit nicht anmuthen.

Der lezte Tag der Masleniza war die Krone des Ganzen, denn an diesem Tage erreicht die Lustbarkeit den höchsten Grad, und so konnten wir Fremde der Versuchung nicht widerstehen, uns in den Gassen etwas umzutreiben, obgleich dies für nüchterne Leute nicht ganz ungefährlich war. Schon auf dem Flure unseres Quartiers tanzten völlig betrunkene Männer mit halb betrunkenen Weibern unter großem Gejauchze. Die beiden Hausdiener taumelten auf uns zu, ergriffen uns an den Kleidern und verlangten ein Trinkgeld, denn "ießt sei Butterwoche!" Nachdem wir dieser billigen Forderung entsprochen hatten, warfen sich Beide auf die Kniee und küßten uns die Füße. Wir entwanden uns eiligst diesen Dankbezeigungen und gelangten glücklich hinaus ins Freic. Da erblickten wir einen Strom von Schlittenfahrern, die wie aus den Wolken kamen; es waren theils Städter, theils Landleute aus benachbarten Dörfern, darunter sogar eine Anzahl Mordwinen mit ihren Familien. Manchem Schlitten waren drei und mehr Pferde vorgespannt, und darin saßen ganze Haufen Volkes. Alle die Fahrenden sangen, wenn man ein Brüllen aus voller Kehle, das gleichwohl in den einzelnen Schlitten einigermaßen Takt hielt, so nennen konnte. Da aber in jedem Schlitten ein anderes Lied gesungen oder gebrüllt ward, da Zurufe, Flüche, Gelächter und ein beständiges Klingeln von Schellen und Glöckchen sich hineinmischten, so fing unser hart geprüftes Ohr schon an, die Butterwoche herzlich satt zu kriegen, als eben - der lezte Schlitten vorübertobte. Aber was für ein gaffenbreiter Haufen kommt nun zu Fuß hinterdrein? Es sind junge Mädchen, die Hand in Hand einherwandeln, schrille Lieder singend zu Ehren der Jugendfreundinnen, welche in diesen Tagen geheiratet und heute sie bewirthet. Der mit Fuchs- oder Hermelinpelz verbrämte fammetne Ueberrock paßt recht gut zu den wohlgerundeten Gliedern und den glühenden Wangen, an deren frischem Hochroth die Jugend, die winterliche Luft, die starke Bewegung und der genossene Branntwein gleichen Antheil haben. An der Spiße des Zuges bewegen sich drei alte Matronen, welche tanzend, in die Hände klatschend, mit den Fingern schnalzend, pfeifend und klopfend ihre Freude kund geben. Ihr Gang und ihre Geberden sind so unverschämt, daß man sie für ausrangirte Bacchantinnen halten könnte, wenn sie nicht in Bastschuhen im Schnee tanzten, und wenn ihr Athem nicht von Schnaps, statt von jungem Traubenblute, geschwängert wäre. Hinter diesem Zuge kamen die Liebhaber der Mädchen, in Sammethosen und rothen Hemden; auch bei ihnen verkündete die ganze Haltung, daß sie nicht dem Gott der Liebe allein opferten. Alles versammelte sich in und vor dem bedeutendsten Wirthshause, das auf dem Markte und nur wenige Schritte von der Domkirche steht. Es waren wohl tausend Menschen, die meisten vom männlichen Geschlechte. An den Wänden lag mancher Held des Festes wie ein Bleiklos und schlief oder schnarchte seinen Rausch aus. Hin und wieder versuchte ein Weib, die schweren Glieder ihres Mannes in Bewegung zu sehen und ihn nachhause zu bugfiren, indem sie entweder beide Fäuste gegen seine Schultern stemmte oder ihn an Bart und Kopfhaaren fortzerrte. Einer schlug sein Pferd mit der Branntweinflasche auf den Kopf und befahl ihm, die Flasche auszutrinken, denn „jeßt sei Butterwoche!" Damit bewies er, daß der Dunst des Getränkes auch das leßte Quentchen Vernunft aus seinem Kopfe getrieben hatte.

So war die Butterwoche in Ardatov, und so mag sie mit wenig Variationen in ganz Rußland begangen werden. Schön ist die Sitte, daß man am lezten Tage der Masleniza zu Freunden und Bekannten geht, um von ihnen Abschied zu nehmen und Verzeihung zu empfangen für alles Leid, was man ihnen etwa zugefügt. Beides bezeichnet die russische Sprache recht artig mit einem Worte: proschtschái, in der Mehrheit proschtscháite, oder prostí, Mehrheit prostite, heißt „lebet wohl“ und „verzeihet”.

Am Morgen des folgenden Montags mahnt ein langsames, gleichsam abgebrochenes Geläute der Glocken den rechtgläubigen Russen zur Buße. Um die vom Rausche gebliebenen Kopfschmerzen

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