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In Eile und ohne Feile überseßt, würbe das etwa so lauten:
Ist Englands Politik nach. Außen

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Zuhause fehlt's auch nicht. Die civilifirenden, christianisirenden
Helden zu Wasser und zu Lande, die Chartiften, die Betrogenen,
Betrüger, Verbrecher, Napoleon, die regierenden Klaffen u. f. w., Alles
wird in seinen Effekten und Defekten cenfirt. Und endlich.
What England, as a nation, wants, is taste"?

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Sie haben blos „Kunst-Monstrositäten“ und der Mangel an Geschmack erschöpft sich seit Jahren in ewiger Reproduction des Pferdes von Wellington. Die Regierung zuhause ist zusammengefeßt aus „, force, fraud, accident."

tunft, von der fettigen Stange in's Meer zu fallen, ausgeübt ward.
Einige liefen ganz einfach und ruhig ein paar Schritte auf der Stange
in und waren dann verschwunden wie weggeblasen. Andere riefen
orher den Himmel mit Händen und Beinen an, die in der Luft
mherzappelten, als wär tein einziger Knochen darin. Die Hände v
ägten und fäbelten in allen Richtungen, bald-kam das rechte, bald pu
as linke Bein über Kopfeshöhe hinaus, um die verbotene Balancir-
lange zu ersehen. Der ganze Körper schlug rechts und links, nach
orn und hinten, Hände und Füße arbeiteten dabei, wie die eines
Zappelmannes für'n Silbergroßchen, dessen Bindfaden man nicht schont,
is eine verhältnismäßige: Ruhe und Sicherheit eintrat und das
Schwein beinahe in den Bereich der vorgestreckten Arme kam. Da
vird der Schwerpunkt wieder wahnsinnig und spielt um den Schweine.
kandidaten mit tolleren Sprüngen umber als je Hände und Beine
urchkreuzen sich; erstere find unten, leßtere versuchen eine Himmel-
ahrt, das ganze phantastische Bild zwischen Himmel und Wasser ver-
ucht nach tausenden von Pofitionen noch eine neue und verschwindet
ndlich nach langer unerhörtester Gymnastik in den kühlen Armen des
Meeres mit einem dramatischen Plump unter einem weithinverhallen-
en Halloh und Hohne. Zwischen diesen Extremen von Stangen
Tänzern, welch' ein Reichthum von Charakteren! Der Pfiffige, Be-
onnene, Schwerfällige, Leichtsinnige, der im vollsten Ernste. den Schaß
Erstrebende und daher mit genauer, prosaischer Berechnung jeden
Schritt vorher Ueberlegende, der verliebte junge Fischer, der, um der
Angebeteten willen mit Grazie und Kühnheit Auftretende, der alte
Familienvater und sein Enkel, Jeder zeigt auf seine ganz eigene Weise,
wie man in's Meer fällt, bis endlich ein dreimal Gefallener und wie
der Auferstandener wüthend gradezu auf das „, Meerschwein“ zuläuft,
mit ihm ins Waffer herunterspringt und von frohlockend herbeieilenden
Kähnen aufgefischt, ans Ufer triumphirt und nachhause begleitet wird,
wo das Schwein als feltene Delikatesse den folgenden Tag
geschlachtet und unter dem Zuspruch zahlreicher Liebhaber beiderlei
Geschlechts verzehrt und vertrunken wird... bra

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Ich war nicht dabei, denn am folgenden Morgen mußte ich schon nach London zurück, wo ich aus der russischen und englischen Volkspoesie in die der eigentlichen Poeten von Profeffion geführt ward. Der neueste Band des Dichters des Festus" war angekommen, das Zeit alter",*) unsere Zeit, eine Satire. Was könnte sie auch sonst noch sein? Der Festus (Verdünnung des „Fauftus", des bearbeiteten alten Puppenspieles von Goethe) war eine poetische Ueberraschung von einem jungen, unbekannten Menschen, genannt Bailey, der das ganze Universum, die weitesten und geheimnißvollsten Wege der Vorsehung auf kühne, eigene Weise zu poetischer Anschauung brachte. Er wollte auf seine eigene Weise wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält". Es war die etwas bedeutend abgeschwächte Wiederspiegelung des,, Faust" in einem jungen, poetischen Kopfe, für die Engländer aber ein Ereigniß, wie es in der ganzen Literatur, etwa mit Ausnahme des „, Endymion" von Keats, nicht vorgekommen war. Keats starb nach seiner gigantischen ersten That, Bailey überlebte sie und schuf weiter. Aber die Zeit" hat ihm die Poesie vertrieben und ihm blos Satire erlaubt, ein Prozeß, zu welchem unter gesunderen Verhältnissen viele Jahrzehende gehören. Die Zeit". Bailey's ist eine Satire in Gesprächen zwischen einem Schriftsteller, einem Freunde und einem Kritiker, in ziemlich losen, echt profaischen, selten scharfen, wißigen, schlagenden Pointen, mehr schwerfällig und ernst, als satirisch und komisch. Es ist keine Schöpfung, blos eine sehr reiche Anhäufung von Betrachtungen und Urtheilen über alle möglichen englischen Verhältnisse, politische, soziale, kulturgeschichtliche, literarische, ästhetische. Was dem Buche, and Poefte abgeht, wird durch das Intereffe, ersegt, welches das Urtheil eines selbständigen, noblen, klar sehenden EngLänders über England in Anspruch nimmt. Er fängt mit John Bull und der „auswärtigen Politik“ an, über die ich mir auch gelegentlich ein Urtheil erlaubt habe, weil sie nach meiner Erfahrung der eigentLiche Krebsschaden ist, durch welchen Großbritannien mit Haut und Haar fich mit der Zeit selber auffreffen wird....

Aber wer konnte auf das geächtete Urtheil eines der „Londoner deutschen Korrespondenten" etwas geben? Nun, hier ist eins von Bailey, einem Engländer, und eins, was verschiedene Zeitungen schon als sehr treffend zitirt haben.

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Eine ungeheure Bücherkenntniß, von den alten Griechen und Römern bis auf die neueste Zeit, mit versifizirter Inhalts-Angabe — sehr gelehrt, aber sehr an den Haaren herbeigezogen. Theorie über den Dichter, wie er sein, denken, dichten, schaffen soll und wie es Bailey selber nicht gethan, insofern man sein Zeitalter" als eine Composition" auffaßt. Endlich viele Parabeln und Fabeln zur Illustration verschiedener fauler Verhältnisse. Einzeln genommen find viele scharf, dichterisch und treffend, z. B. die von dem CompagnieGeschäft, das „Weisheit und Wahrheit“ in London etabliren und in Gang zu bringen suchen, bis sie von den vereinigten Behörden und Klassen angeklagt, verurtheilt und eingesteckt werden. Freigelassen, suchen sie sich durch allerlei kleine versteckte Arbeiten gegen den Hunger zu schüßen, aber heraus darf es nicht kommen. Das würde alle übrigen Geschäfte stören. Vielleicht ist diese Parabel der eigentliche Kern und die Moral des Ganzen. Als Ganzes und als Composition hat es mir nicht gefallen, aber Detail an Detail geben einmal eine Perspektive auf England, die sehr von der aus Leitartikeln erzerpirten abweicht, weil sie mit,,an eagle's eye by day, a lynx' by night" aufgefaßt ist.

Da ich einmal in die versifizirte Literatur gekommen war, sah ich mir auch noch andere Poeten in ihren neuesten Leistungen an, zunächst den Dichter der „Poetical Tentatives", der bei Newby in London mit „Amian and Bertha, and other Poems" sich aufgefrischt hat: Edward For. Das Titular-Gedicht ist das längste, kommt aber nach meinem Eindrucke poetisch am kürzesten. Er liebt in den anderen Gedichten die Natur, zeigt sich aber auch als begeisterter Liebhaber der auswärtigen Politik Englands.

Man lese,,The Holly of Plymouth".,,Glorie des Flottenlebens". Ungeheure Courage der Matrosen, Glorie Englands. Drauf! Es gilt die Ehre Englands. Was wollen sie denn? Da ist die spanische Flotte, deren Helden für die Kirche, die Heiligen und sonstige ideale Güter kämpfen. Der englische Commodore schreit: dort ist das Geld-Schiff der spanischen Flotte, drauf! Und Begeisterung und Courage find allgemein. Einer springt mit einem Beile auf das spanische Geldschiff, haut drei rechts und drei links nieder mit dem Beile und dreißig mehr wirft er in's Meer. Denkt an das Geld unten!" schreit der Commodore und die Spanier werden alle mit Beilen u. s. w. zerhackt.

,,And ere another hour had passed, the Holly sailed the main,

And with her, towards England's shores, the treasure-ship of Spain.” Das ist echtes Leitartikel-Englisch, wie es die deutschen Zeitungen so gern erzerpiren und die Engländer so gern lesen. Was kömmt auf den ersteren Poeten, Bailey, an?

Auch im westlichen Canada ist ein neuer Dichter erstanden, den fich die Engländer gut schreiben: Charles Sangster. Er besingt die poetische Hauptader Canada's, den St. Lawrence mit seinen tausend Inseln, den Saguenay und in anderen Gedichten noch andere NaturSchönheiten.") Die Majestät und grandiose Herrlichkeit des Lorenzostromies sind weltberühmt. Er verdient einen Dichter. Und Sangster ist es genug, um mit Jugendliebe und sonstigem Zubehör sich als solcher geltend zu machen. Aber ein ganzer Band Naturpoesie, so glücklich sie sich auch durch tausend herrliche Inseln und andere Herrlichkeiten hindurchwindet, war mir zu viel. Ich habe blos Theile und Stellen gelesen und mag auf Grund derselben noch nicht über den ganzen Sänger urtheilen.

Nord-Amerika.

Eine deutsche Zeitung aus dem fernen Westen.

Ein namhafter Theil der Bevölkerung der vereinigten Freistaaten von Nord-Amerika besteht aus Deutschen, und obwohl diese uns räum

*),,The St. Lawrence and the Saguenay; and other Poems". By Charles Sangster. Kingston, C. W.: John Creighton. New York: Miller, Orton & Mulligan. London: Trübner & Co. Berlin, Asher & Comp

lich fern stehen, so gewährt doch jedes Lebenszeichen, welches uns von unseren Landsleuten von jenseits des Oceans zukommt, Intereffe, und dann um so mehr, wenn es aus Gegenden stammt, welche erst durch die Art deutscher Ansiedler aus tausendjährigen Urwäldern in fruchtbare Striche umgewandelt und für die Kultur gewonnen worden. Solch ein Lebenszeichen ist ein Zeitungsblatt, dessen Inhalt, Tendenz, eigenthümliche Streiflichter auf das Leben und Trachten der Deutschen in Nord-Amerika werfen.

Im Territorium von Minnesota, vom oberen See und etwa 200 deutsche Meilen von New-York gelegen, wurde vor beiläufig sechs Jahren eine Niederlassung, „Neu-Ulm“, gegründet, welche gegenwärtig schon 95 Häuser mit 440 Einwohnern zählt, und in welcher seit dem 1. Januar d. J. eine deutsche Zeitung,,,Neu-Ulm Pionier", erscheint, deren erstes Blatt uns durch die Freundeshand eines der Begründer dieser Niederlaffung und des Blattes zugesandt wurde.

Der Neu-Ulmer Pionier") erscheint jeden Donnerstag in groß Quart-Format, kostet jährlich 2 Dollars und hat als Motto: „Alle Menschen find gleichgeboren und Natur stattete sie mit gewissen, unveräußerlichen Rechten aus, zu denen Lebèn, Freiheit und das Streben nach Glückseligkeit gehören" (Unabhängigkeits- Erklärung vom 4. Juli 1776) und „Unabhängig in Allem, neutral in Nichts". Die erste Quartseite des Blattes enthält Adreßkarten und das Feuilleton. Unter jenen ist uns nur eine echt amerikanische Ankündigung aufgefallen: „Dr. C. H. Blecken, deutscher Arzt, verbindet mit der ärztlichen Praxis zugleich den Kauf und Verkauf von Ländereien, Einkaffirung von Geldern, Anfertigung von Urkunden u. f. w.; auch ist derselbe gerichtlich befugt, Copulationen vorzunehmen." Das Feuilleton hat an seiner Spiße ein Gedicht: „Zum neuen Jahr“, von J. K. Hebel. Der gemüthreiche alemannische Dichter bachte es sich gewiß nie, daß dereinst eines seiner sinnigften Lieder an der Spige eines radikalen deutsch-amerikanischen Blattes stehen werde; sonst enthält das Feuilleton noch eine unbedeutende Erzählung radikaler Tendenz und ein paar matte Anekdoten.

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Interessanter ist der politische Theil dieser Nummer, aus welchem ersichtlich ist, das der Neu-Ulm Pionier" zur Propagirung radikaler Grundsäge bestimmt ist und daß seine Aufgabe eine soziale, ein radikaler Kampf für thatsächliche Ausführung der Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit in Staat und Leben ist. Die Schäden in Staat, Schule, Kirche und Gesellschaft sollen aufgedeckt und die Heilmittel unter dem Gesichtspunkte der reifften (?) wissenschaftlichen (?), radikalen Welt-Anschauung angegeben werden. Der einzige Glaube, den der,,Pionier" hat, ist der an die humane Offenbarung (!) des freien Menschen. Dies find extravagante Aussprüche, welche eben nur in einem Lande, wo, wie in den Vereinigten Staaten, der unbeschränteften Entfaltung der Individualität keine Schranke gesezt ist, vorkommen können. Als besonders charakteristisch für die gegenwärtige Lage der Freistaaten erscheinen uns die Worte:,,Der Weg (zur Realifirung der oben gestellten For derungen) ist der der Reform.... Der Pionier" wird jedoch nicht zurückschrecken, das Schlachtfeld des Bürgerkrieges zu empfehlen und felbft zu betreten, sobald der Süden mit der That die Errungenschaften der Unabhängigkeits-Erklärung und der Constitution entschieden ver wirft. Und es scheint kaum unvermeidlich (!), nicht mehr fern, daß die eisernen Würfel des Kriegsgottes rollen, und über unsere Zukunft entscheiden." Ferner:,,Der Pionier" wird sich nicht zum Partei ritter der politisch-, sozial- und kirchlich korrupten Enkel Deutschlands erniedrigen, er steht über allen Parteien und verachtet und verwirft fie", obwohl er sich bei Wahlen der am wenigsten verwerflichen Partei, der radikalen, anschließen wird; der „Pionier" kämpft für einen vernünftigen und gerechten Sozialismus gegen die Auswüchse des Kommunismus, denn nur dadurch kann jener Ausspruch der Unabhängigkeits-Erklärung, daß jeder Mensch ein Recht auf Glückselig. keit habe, zur Wahrheit werden; aber so wie dieser, so sind auch viele andere §§ der Constitution nicht zur Ausführung gekommen und es besteht eine lange Reihe von Gesezen, welche gegen Geist und Wort laut der Verfassung verstoßen, und um dieses große Ziel der Verfaffungsreform zu erreichen, sind vor allem zwei durchgreifende Maßregeln nöthig: Einführung einer progressiven Einkommen- und Vermögenssteuer und Erziehung und Bildung Aller.

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Dies ist das politische Programm der Deutschen in Minnesota; ob sie durch Verwirklichung dieser Gesinnungen zum gewünschten Ziele gelangen und ob sie dadurch in der Ferne das finden, was sie in der Heimath verlassen, ist eine Frage, welche sich jeßt und hier nicht beantworten läßt, doch daran zu zweifeln, mag wohl jest schon gestattet sein. Sicher ist nur, daß sich der deutsche Radikalismus durch solche

*) Dieser Neu-Ulmer scheint mit dem New-Yorker,, Pionier" des Herrn Karl Heinzen sehr nahe verwandt zu sein.

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1 -Literarische Industrie. Die treffliche Novelle:,,Cla Vere", von Friedrich Spielhagen,) die in deutschen und schwein Zeitungs Feuilletons vielfach nachgedruckt worden, hat in den Auge einer deutschen Novellistin, der Verfasserin der von der Westermannschen Monatsschrift preisgekrönten Asperula adorata", ein wides Wohlgefallen gefunden, daß sie von ihr, nach Stoff, Anlage, Cha teren, Situationen und Einleitung der Katastrophe, vollständig in eine andere deutsche Novelle übertragen worden, der sie den Lite Die Grafen von Hochburg", gegeben hat, unter welchem Gewande fe theilweise in Nr. 25 und 26 der Westdeutschen Blätter" abgebrufi ist. Diese zuerst von den „, Nordischen Blättern" gerügte Induftri sollte von jedem deutschen Journal als das bezeichnet werden, was st ist, nämlich als literarische Freibeuterei, damit nicht andere, an Shi und Gedankenmangel Ueberfluß habende, schreibsüchtige Damen Herren das Beispiel: der preisgekrönten Verfasserin der,,Asperult adorata" nachahmen. Der Verfaffer der „,Clara Vere", Herr Frie Spielhagen, ist zugleich der talentvolle Bearbeiter von Emersa English Traits", die unter dem Titel Charakteristiken (ebenfa in Hannover bei Karl Meyer) im vorigen Jahre erschienen Wir bemerken leßteres zur Berichtigung einer Angabe in Nr. 106 t Magazin", wo in dem Artikel über Emerson, Herr Hermann Grimn als Verfasser dieser gelungenen Uebertragung genannt ist, während derselbe nur die Bearbeitung zweier Kapitel aus Emerson's „Representative Men" (,,Göthe“ und „,Shakespeare". Hannover, Rümpler) geliefert hat. Ebenso ist, wie uns von zuverlässiger Seite versichert wird, dem Ueberseßer von Emerson's Essays")" Unrecht geschehen, wenn er in jenem Referat als literarischer Spekulant oder Tagelöhner bezeichnet wird, da, wenn auch seine Ueberseßung in formeller Hinsicht Vieles zu wünschen übrig läßt (wie schon der unrichtige Titel, Versuche" beweist, indem der Begriff des „Essay" ein himmelweit verschiedener ist), doch seine Intentionen jedenfalls die ehrenwertheften waren, und das ganze Unternehmen lediglich aus perfönlicher Verehrung des Uebersegers für den amerikanischen Autor hervorgegangen war.

دو

Franz von Medici.) So heißt ein französischer Roman im eleganten Renaissancestil. Gleich im Anfang werden wir in das chemische Laboratorium des Großherzogs Franz von Medici eingeführt, der am Feuer fist und, wie wir hinterdrein erfahren, vor Liebesme lancholie nicht dazu kommen kann, seine chemischen Versuche anzich len. Drei Höflinge und Vertraute von sehr romantischem Aeuß à la Titian und Caravaggio und sehr zweideutiger Moral, ein wenig à la Bandito, geben sich Mühe, den Herrn aufzuheitern und hinter sein Geheimniß zu kommen. Im Halbdunkel des Hintergrundes hoft ein Hofnarr, der im conventionellen Stile aller Hofnarren gehalten ift. Giuntone di Casentino heißt der würdige Mann in dem Kostüme, wie es eben die Clowns in den heutigen großen Kunstreiterbuden tragen. Er spielt Mandoline und versucht Wiz, Humor und Freimuth gegen seinen Herrn und die drei Höflinge zu vereinen, was ihm aber etwas schwer zu werden scheint. Endlich tritt ein würdiger Spanier, Namens Mandragone, ein, ein stattlicher Mann, von dem wir erfahren, daß er den Einfluß der anderen Höflinge bedroht. Mandragone hat das Vertrauen des Herzogs; dieser gesteht ihm, daß er verliebt ist in eine Unbekannte, die ihm entschwunden, und Mandragon verspricht, sie mit Hülfe seiner Frau Beatrix aufzufinden, unter aller Umständen. Die ausgestochenen drei Höflinge, für ihren Einfluß wsorgt, bestechen den Hofnarren, wo möglich das Geheimniß zu ents decken, das der Großherzog dem Spanier anvertraut hat. — So, nun ist die Intrigue eingefädelt. Wer wiffen will, wie's weiter kommt, der mag es im Buche selbst lesen.

*) Hannover, Karl Meyer.

**),, Versuche", philofophische Abhandlungen von Emerson. Neberfett von Fabricius. Hannover, Meyer.

***),,François de Médicis". Roman historique par Alfred des Essarts. Paris, Hachette, 1858.

Herausgegeben und redigirt von J. Lehmann.

Im Verlage von Beit & Comp.

Berlin, gedruckt bei A. W. Hayne

Wöchentlich erscheinen 3 Nummern. Preis jährlich 3 Tblr. 10 gr., halbjährlich 1 Thlr. 20 Sgr, und vierteljährlich 25 gr., wofür das Blatt im Inlande portofrei und in Berlin frei ins Haus geliefert wird.

No 122.

für die

Bestellungen werden in jeder deutschen Buchhandlung (in Berlin bei
Beit u. Comp., Jägerstraße Nr. 25, und beim Spediteur Neumann,
Rieberwallfir. Nr. 21), sowie von allen königl. Post-Remtern, angenommen.

Literatur des Auslandes.

England.

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aber ist es wieder der fränkische, der denr Ganzen sein Gepräge aufgedrückt hat und bewußt oder unbewußt zum Muster und Vorstreiter geworden ist. Karl der Große ist sein Höhepunkt; er ist, wenn man ung cum grano salis verstehen will, der Vater des mittelalterlichen Europa's: Deutschland und Frankreich, unter ihm vereint, find ihrer inneren staatlichen und gesellschaftlichen Entwickelung nach Zweige eines und desselben Stammes, der durch Chlodwig gepflanzt wurde und bis nach Karl's des Großen Tode gemeinschaftliches Wachsthum hatte; die Wiedererweckung des römischen Reiches, die Ausbildung des bis heute nachwirkenden Feudalwesens, des Adels und des Ritterthums, die Stellung des Feudalstaates zur Kirche, welche unter Pipin dem Kurzen bereits begründet wurde, und demgemäß unser ganzes gesellschaftliches Wesen, ja der Kreis unserer Anschauungen, unseres Denkens und unserer Sprache läßt sich auf die fränkische Eroberung Galliens als ihren Hauptstock zurückführen, und es ist wirklich nicht ohne innere Wahrheit, wenn die Morgenländer von der Türkei bis nach Indien hin uns West - Europäer insgesammt mit dem Namen thum und die lateinische Kirche vermittelt in das Germanenthum hinein und die Franken waren der erste und mächtigste Stamm, der den befruchtenden Saamen in sich aufnahm; die Taufe Chlodwig's zu Rheims ist ohne Zweifel ein weltgeschichtliches Ereigniß erster Größe, und nicht mit Unrecht nannten sich die alten fränkischen Könige die erstgebornen Söhne der Kirche. Wenn auch die Wiedererweckung des alten römischen Kaiserthums durch Karl den Großen zu keiner festen und gesunden staatlichen Bildung geführt hat, wie wir Deutsche, deren Väter noch,, im heiligen römischen Reiche" geboren find, am besten wissen, wenn es auch selbst unter den kräftigsten Kaisern, z. B. den Hohenstaufen, mehr eine Erinnerung aus alter Vorzeit als eine Wirklichkeit geblieben ist, so darf man den geistigen Einfluß nicht unterschäßen, den diese Vorstellung auf die europäische Menschheit geübt hat. Es war in der That der Ausdruck einer inneren Wahrheit, denn wir haben das alte Römerthum noch heutzutage in allen Gliedern, es ist uns, freilich mannigfach modifizirt, in Fleisch und Blut übergegangen.

Die Geschichte der Franken, nach W. C. Perry.*) Die ersten Grundlagen unserer europäischen Gesittung, welche wir jezt in voller Blüthe, vielleicht theilweise in Verfall erblicken, find in jenen rauhen Zeiten gelegt worden, die wir durch den Namen der großen Völkerwanderung kennzeichnen. Die geschichtlichen Völker der alten Welt hatten sich ausgelebt; das Heidenthum, innerhalb dessen die ganze große Entwickelung vor sich gegangen, war, nachdem es seine gänzliche Unfähigkeit weiteren Bestandes an den Tag gelegt, dem Christenthum gewichen, das im fünften Jahrhundert bereits wesentlich das Unterscheidungszeichen zwischen dem gebildeten Römer thume und den barbarischen Stämmen bildete. Doch mit der allgemeinen Erschlaffung und Erstarrung, in die dieses Römerthum verfunken war, bei der blos geschäftsmäßigen Routine, mit welcher alles aus besseren Zeiten überkommene geistige Gut gehandhabt und weiter gegeben wurde, hatte auch die junge Religion viel von ihrer beleben-Franken" bezeichnen. Das alte Römerthum wächst durch das Christen, den und neugestaltenden Kraft verloren, und es stand zu befürchten, daß auch hierin Alles in den geistlosen Mechanismus versinken würde, wie dies später im Byzantinerthum wirklich geschah. Die germanischen Stämme sollten den Erwerb des gesammten Alterthums für die Nachwelt retten und eine neue lebendige Civilisation begründen dies ist die Erkenntniß, zu der wir jest nach einem vollen Jahrtausend gelangt sind aber welche Zeiten trüber Gährung mußten — vorangehen, ehe sich der Weg der Vorsehung hierin offenbarte! Als die germanischen Stämme, als Hunnen und Alanen von Osten herein brachen, als wandernde Kriegerhorden ringsum die blühenden Provinzen verwüsteten, über die Meere segelten und ihre barbarischen Sprachen, Sitten und Geseze geltend machten, da glaubte man das Ende der Zeiten gekommen; denn Gog und Magog waren losgebrochen von den Enden der Welt und Alles schien sich zum Untergange zu neigen. Die ersten Jahrhunderte nach der Völkerwanderung sind es, in welchen die materiellen Grundlagen zu dem neuen Europa gelegt wurden, in welchen sich die Entwickelungen anspinnen, die wir dann im Mittelalter verlaufen fehen und die theilweise heute noch fort. wirken. Es ist ein neuer weltbeherrschender Geist, der sich, so zu sagen, einen Leib zu schaffen sucht; der geistige Erwerb des Alterthums soll nicht umkommen, er soll das lebende Besißthum des Volkes der Zukunft werden, das aus den civilisirten Romanen und den der Gefittung gewonnenen Barbarenstämmen zusammenwachsen soll. Es muß in jedem Falle der Mühe lohnen, diesen Bildungsprozeß so weit als möglich zu verfolgen, wie schwer es auch sein mag, in dieser trüben Mischung überall klar und scharf zu sehen.

Wohin wir auch in unserem West-Europa blicken mögen, überall finden wir die Wurzeln und Grundlagen unserer Entwickelungen in der Völkerwanderung; überall sehen wir, wie germanische Stämme in die Mitte des ausgelebten Römerthums geworfen werden und, durch das Christenthum mit ihnen geistig verbunden, neue lebensfähige Gestaltungen anfeßen, die bis heutigen Tages in steter Wechselwirkung geblieben sind, und durch das Bestreben, Altes mit Neuem zu verbinden und auszugleichen, den geschichtlichen Fortschritt bewirken; in Spanien sind es die Westgothen und Vandalen, in Italien die Ostgothen und Longobarden, in Frankreich die Westgothen, Burgunder und Franken, in England die Angeln, Sachsen und andere norddeutsche Küstenstämme, in Deutschland die verschiedenen Urstämme selbst, welche das Römerthum hereinzogen, die in Verbindung mit der von einem bestimmten Punkte an alle vereinenden Religion jene Reihe von geschichtlichen Zuständen ermöglicht haben, die wir das Mittelalter nennen. Die der Kultur unfähigen Elemente, wie Hunnen und Alanen, sind spurlos verschwunden; unter allen diesen Stämmen

*) ,The Frauks, from their First Appearance in History to the Death of King Pepin". By Walter C. Perry, Barrister-at-law, Doctor in Philosophy and Master of Arts in the University of Göttingen. London: Longman, 1857:

Man muß sich nur, wenn man dieses recht verstehen will, nicht von Nebengedanken irren laffen, namentlich aber nicht einem blinden Stammeseifer huldigen, der, wenn auch im Besonderen löblich, doch in der Geschichte vielfach vom Uebel ist.

Die Thatsache ist, daß sich barbarische Stämme auf dem Boden des römischen Reiches niederließen und durch Vermischung mit römischem Wesen civilisirten, und daß alle neueren Völker aus dieser Mischung hervorgegangen find. Man kann sehr wohl alle die großen Vorzüge, die gesunde und glückliche Naturanlage der germanischen Stämme anerkennen, man kann sich glücklich schäßen, diefem Stamme anzugehören, und man wird doch bei genauerer Betrachtung der Geschichte zu der Einsicht kommen, daß sein eigenthümliches Wesen gewaltsam gebrochen werden mußte, ehe er zur höheren Kultur und jener Entwickelung fähig wurde, die ihn heute so hoch gestellt hat. Die ganze alte Welt des Heidenthumes, d. h. eine seit Jahrtausenden genährte, festeingefahrene Denk nnd Vorstellungsweise mußte gebrochen werden und untergehen, ehe der deutsche Geist die Fähigkeit erhielt, in den lebendigen Prozeß der Geschichte einzutreten und das Erbgut ausgelebter Völker zu übernehmen, und das will viel fagen. Wie lange ist es her, daß das moderne Deutschthum, daß der christliche Germanismus, daß jener germanische Raçenstolz erfunden worden und in's Bewußtsein getreten ist, auf den gerade diejenigen am meisten pochen, die (wie z. B. die Amerikaner) am wenigsten dazu Anlaß haben? Alle diese Dinge sind in ihrer einzig maßgebenden Auffaffung durchaus jung, und zwar einzig darum, weil ganz Europa das Mittelalter hindurch bis auf neuere Zeit thatsächlich dem Geiste des Römerthumes, und zwar ziemlich in allen Lebensbeziehungen, unterthänig war, und wo war das durchgehender der Fall, als in Deutschland? Auch England bildet keinesweges davon eine Ausnahme; wie die Engländer eine ausnehmend gute Dressur und Drillung in politischen Dingen u. s. w. haben, so wird nur ein beschränkter Ultra

germanismus Alles dieses aus dem ältesten Deutschthume ableiten; im Gegentheil ist wohl kein Stamm in so harter Zucht gewesen, als der englische unter dem romanischen Normannenthume. Es ist dieses Sich selbstbewußtwerden des deutschen Geistes in neuerer Zeit also vielmehr gerade ein Beweis dafür, wie stark und dauernd uns der römische Geist unterworfen hatte, und wie erst jezt eine eigentliche germanische Bildung, die dem Stammescharakter entsprechen würde, ermöglicht ist. Daß diese Unterwerfung aber eine geschichtliche Nothwendigkeit war, die wir nicht empfindsam beklagen dürfen, lehrt nähere Betrachtung unwiderleglich.

Wir haben vorhin eben die Franken als dasjenige deutsche Volk hingestellt, deffen Schöpfung vor allen übrigen die tiefsten und ausgedehntesten Wirkungen gehabt hat. Die Anfänge ließen das keinesweges erwarten. Die Völkerwanderung war feine angenehme Zeit, die kühnen germanischen Sieger aller Stämme erschienen dem gebrandschaßten Römer wohl. weniger interessant und liebenswürdig, als sie ihren späten Enkeln großartig und bewundernswerth vorkommen. Mord und Verwüstung zogen vor ihnen her, Brand und Verödung waren im Gefolge dieser Wanderschaaren, welche der hercynische Wald und die weiten Steppen Skythiens hinausgesandt hatte. Doch von allen diesen brutalen Barbaren waren die Franken die brutalsten und rohesten. Die erste Mischung, die nach ihrem Zusammentreffen mit der römischen Kultur in Gallien zu Tage tritt, ist die widerwärtigste, abscheulichste, die man sich denken kann, die Zeit der Merovinger von Chlodwig an bis Karl Martell ist eine Zeit, die so voll Gräuel und Verworfenheit, wie sie zum zweiten Male in der ganzen Geschichte kaum wiederkehrt; die Gräuel der Atriden von Argos find reines Kinderspiel gegen die, welche die Geschichte der Merovinger aufüllen; aus den ersteren lassen sich noch Tragödien machen; dies ist bei den lezteren nicht mehr der Fall, weil der lezte Funke des Edlen erloschen scheint und nur gränzenloser Ekel und Abfcheu die Seele füllt.

Unbegreifliches Räthsel! Das war die Zeit unmittelbar nach der Befehrung der Franken, das die Zeit in welcher das Christenthum in den Gemüthern Wurzeln faffen sollte und auch wirklich faßte, wie der Verfolg zeigt; das war die Zeit, wo die Grundlagen zum neueren Staatsthume gelegt wurden.

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Es ist eine durchaus anerkannte Thatsache, daß barbarische Völker, wenn sie mit gebildeteren zusammentreffen, reißend schnell die Laster und Gebrechen ihrer Kultur annehmen, daß dagegen das Gute der selben außerordentliche Schwierigkeiten hat, Verständniß und Annahme zu finden. Dies war auch bei den Germanen der Fall, und die Beweise liegen offenkundig vor in der Geschichte der Völkerwanderung. Die Tugend des Barbaren ist nicht freie sittliche That, sie ist Instinkt, und Gewohnheit; sobald er in andere Lebensverhältnisse versezt wird, und die früheren Gewohnheit durchbrochen ist, fällt er mit reißender Schnelligkeit seinen wilden Trieben anheim. Die Germanen der Völker wanderung sind von denen des Tacitus wesentlich verschieden und machen auf uns einen ganz anderen Eindruck, wenn auch immer noch sehr viel des Ursprünglichen erhalten ist. Welche Vorstellung ist uns geläufiger, wenn wir unserer Vorfahren mit Liebe gedenken, als die der, deutschen Treue", jener Treue, von denen unsere Schulknaben so pathetisch deklamiren, welche die Teutschen" einst in das höchste Entzücken verseşte! Man lese nun einmal die Geschichte der Franken, dieses echt germanischen Stammes, und man wird staunen, was aus dieser deutschen Treue, deren Vorhandensein keineswegs geleugnet werden soll, geworden ist. Der Franke schwört Meineid mit lachendem Munde", sagt ihr Geschichtschreiber, Gregor von Tours, und wahrlich, seine Erzählungen sind ein zusammenhängender Kommentar dieses Sages. Die Schamlosigkeit, die kalte gewissenlose Frechheit, mit welcher jede erdenkliche Art von Wortbruch, Meineid, Treulosigkeit und Verrath zu den Zeiten der Merovinger von den Königen, Königinnen und Großen (Bischöfe nicht ausgenommen) geübt wird, übersteigt allen Glauben; der treulose Hagen" des Nibelungenliedes, eine im echten Merovingerstile gedachte Figur, ist ein unschuldiges Kind verglichen mit Ehrenmännern, wie Guntram Boso, von dem Gregor sagt:,,Er war dem Meineide allzusehr ergeben, so daß er keinem seiner Freunde einen Eid schwur, den er nicht sofort gebrochen." Man glaube nicht, daß diese Erscheinungen vereinzelt waren: es war der herrschende Geist; die Geschichte dieser Zeiten ist ein wüster Klumpen von Gräueln, einer immer scheußlicher als der andere. Und mit welcher Feierlichkeit wurden diese Eide auf die Reliquienkäften geschworen!

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Wie mit der Treue, so ist es mit der Keuschheit der Frauen 2c. beschaffen. Ehebruch von Seiten der merovingischen Königinnen ist das Gewöhnliche, und giebt häufig zu Morden Veranlassung, zu Mor den des Gatten oder des Nebenbuhlers. Ein Ungeheuer, wie die neuftrische Fredegunde, steht unerreicht in Scheuslichkeit da in der Geschichte: unser Verfaffer sagt von ihr: „Ueber die Schönheit, das Talent und die ungewöhnliche Thatkraft dieses merkwürdigen Weibes

kann kein Zweifel abwalten; doch wenn wir nur die Hälfte der Geschichten glauben, die ihr Zeitgenosse, Gregor von Tours, von ihr erzählt, und zwar gelegentlich und ohne irgend welchen Anschein von Widerwillen oder Leidenschaft, so müssen wir der Fredegunde einen Charakter beilegen, der in den Jahrbüchern der Geschichte bei beiden Geschlechtern an Grausamkeit und Gemeinheit nicht übertroffen wird. In diesem Charakter erscheinen die Sünden, welche die Gesammtheit des weiblichen Geschlechts zur Schande verurtheilen würden, Unenthaltsamkeit vor der Ehe, und zehnfacher Ehebruch hinterher, nur geringfügig." (Fortsehung folgt.)

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In meinen Vorlesungen von 1828 bis 1830 war der herrschende Gedanke, gegen diese Krankheit der Gemüther anzukämpfen, sie zu einer verständigen und unbefangenen Würdigung unseres alten sozialen Zustandes zu leiten und so meinestheils dazu beizutragen, unter den verschiedenen alten und neuen, monarchischen, aristokratischen und demokratischen Elementen unserer Gesellschaft jene gegenseitige Achtung, jene Harmonie herzustellen, die ein Anfall revolutionairen Fiebers wohl unterbrechen kann, die aber bald wieder für die Freiheit wie die Wohlfahrt der Bürger, für die Macht wie für den Ruf des Staates unumgänglich nothwendig werden.

Ich hatte einiges Recht, zu denken, daß mein Streben nicht ganz erfolglos sei. Meine zahlreichen Zuhörer verschiedenen Alters und Volkes, Jünglinge und Männer, Franzosen und Ausländer nahmen an den Ideen, die ich vor ihnen entwickelte, lebhaften Antheil. Ohne ihre Selbständigkeit zu verleugnen, fügten sich diese der allgemeinen Geistesverfasfung der Zuhörer und hatten sonach für diese den Reiz der Sympathie und der Neuheit zumal. Sie fühlten sich nicht zurückgeworfen in rückläufige Bahnen, sondern zurechtgewiesen und vorwärts gedrängt auf den Bahnen eines vernünftigen und freien Gedankens. Ohne Verabredung, ja tros tiefer geistiger Klüfte, die uns trennten, gaben meine bei den Freunde, Villemain und Cousin, ihrem literarischen und philosophischen Unterricht ein ähnliches Gepräge, einen ähnlichen Impuls. Der Hauch war verschieden und blies doch denselben Athem in die Geister. Es lag uns daran, diese zu beleben, ohne sie aufzuregen. Die Er eignisse und Fragen des Tages ließen und unberührt und wir empfanden nicht den geringsten Beruf, das uns umgebende Publikum daran zu mahnen. daran zu mahnen. Wir dachten frei und laut über die großen Interessen, die großen Erinnerungen und die großen Hoffnungen des Menschen und der menschlichen Gesellschaft; unser einziges Streben war, diese Ideen zu verbreiten; nicht gleichgültig gegen ihre möglichen Ergebnisse, aber auch nicht ungeduldig, schon die Früchte der Saat zu sehen; wir fühlten uns glücklich über die geistige Bewegung, in deren Mittelpunkt wir lebten, vertrauten der Macht der Wahrheit, die wir zu besigen uns schmeichelten, und der Freiheit, deren Genuß uns gewährt wurde.

Gewiß wäre es für uns, und mich dünkt, auch für das Land, gut gewesen, daß die Geister sich in diesen heiteren Beschauungen erst befestigt hätten, bevor sie in die Leidenschaften und Prüfungen des thätigen Lebens geworfen wurden. Aber, wie das fast immer kommt, die Fehler der Menschen unterbrachen den Fortschritt der Ideen, indem sie den Lauf der Ereignisse beschleunigten. Das Ministerium Martignac übertrug die constitutionelle Politik in das Praktische: zwei Gefeße, aufrichtig vorgelegt und gründlich debattirt, hatten zum Zweck, das eine, den Wahlen Unabhängigkeit und Wahrheit zu geben, das andere, die Freiheit der Preffe wirksam zu verbürgen. Ein dritter Gesezvorschlag wurde bei Eröffnung der Session von 1829 eingebracht. Er sicherte dem Wahlprinzip einen Theil an der Departemental- und Kommunal - Verwaltung, und legte der Centralgewalt in Bezug auf örtliche Angelegenheiten neue Regeln und Beschränkungen auf. Man konnte diese Zugeständnisse entweder zu weit oder zu eng finden; jedenfalls war ein gesunder Kern darin, und die Freunde der öffentlichen Freiheiten konnten nichts Besseres thun, als sie annehmen und sich danach einrichten. Allein in der liberalen Partei, die bis dahin das Kabinet unterstüßt hatte, machten sich zwei Geister geltend, die sehr wenig von der politischen Natur av sich haben: der Geist der Un. geduld und der Geist des Systems; das Haschen nach Volksgunft dort und die strenge Folgerichtigkeit der Logik hier wollten sich mit diesen unvollständigen und langsamen Eroberungen nicht begnügen. Die Rechte, die sich des Mitstimmens enthielt, ließ die Minister sich mit ihren anspruchsvollen Verbündeten herumzerren. Troß den Anstrengungen Martignac's ging ein mehr scheinbar als wirklich wichtiges Amendement durch, das dem System des Gefeßes über die Departe. mental-Verwaltung einigen Abbruch that. Beim Könige, wie bei den

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Kammern, war das Ministerium am Ende seines Kredits; außer Stande, von dem Könige zu erlangen, was die Kammern befriedigt, und von den Kammern, was den König beruhigt hätte, bekundete es selbst seine doppelte Ohnmacht, indem es die beiden Gefeß-Entwürfe barsch zurückzog und stehen blieb, aber mit dem Tode im Herzen.

Wie sollte es ersetzt werden? Die Frage blieb drei Monate offen. Nur drei Männer, Royer-Collard, Villèle, Chateaubriand, schienen im Stande, ohne Erschütterung, obgleich in sehr verschiedenen Schattirungen, ein neues Kabinet zu bilden. Die beiden Ersteren waren von vorn herein ausgeschlossen. Weder der König, noch die Kammern dachten daran, aus Royer-Collard einen Minister-Präsidenten zu machen. Wohl mochte er selbst mehr als einmal daran gedacht haben; denn welche kühnen Gedanken gingen ihm in seinen einsamen Träumen nicht durch den Kopf? Allein das war mehr ein inneres, selbstbefriedigendes Spiel, kein ernstes, ehrgeiziges Trachten. Hätte man ihm die Macht angeboten, er hätte sie sicherlich ausgeschlagen. Er hatte zu wenig Vertrauen auf die Zukunft und zu viel Stolz, um aufs Ungewisse des Gelingens das Wagstück zu unternehmen. - Villèle, noch unter der Anklage, die 1828 gegen ihn angestrengt wurde und vor den Kammern schwebte, hatte ausdrücklich abgelehnt, in der Session von 1829 Sig zu nehmen. Er hielt sich auf seinem Landgute bei Toulouse auf. Es ist klar, daß er nicht wieder ins Kabinet treten konnte in Gegenwart der Kammer, die ihn hinausgedrängt hatte. Weder der König, noch er selber würden in diesem Augenblick die Chancen einer neuen Auflösung der Kammern riskirt haben. Chateaubriand war in Rom. Bei der Bildung des Ministeriums Martignac hatte er diese Gesandtschaft angenommen und verfolgte von dort aus, mit einer Mischung von Ehrgeiz und Wegwerfung, die Schwankungen der Politik und der Stellung der Minister zu Paris. Als er erfuhr, daß sie geschlagen waren und daß sie zum Zurücktritt genöthigt werden dürften, gerieth er in eine lebhafte Aufregung. Sie können wohl denken", schrieb er unterm 13. Februar und 20. April 1829 an Madame Recamier,,,wie groß mein Erstaunen war, als ich die Nachricht von der Rücknahme der beiden Geseße erhielt. Die verlezte Eigenliebe macht die Männer zu Kindern und giebt ihnen schlechten Rath. Was soll nun aus alledem werden? Werden die Minister versuchen, zu bleiben? Werden sie zum Theil oder ins gesammt abgehen? Wer wird ihnen folgen? Wie ist ein Ministerium zusammenzusehen? Ich versichere Ihnen, wäre es nicht um die graufame Pein, Sie nicht wiederzusehen: ich würde mich freuen, hier in der Entfernung zu bleiben und nicht in all die Gehässigkeiten, in all diesen Unverstand hineingezogen zu werden; denn ich finde, daß sie alle Unrecht haben.... Hören Sie das wohl an; ich sage Ihnen etwas ganz unumwunden: Wenn man mir etwa anböte, mir das Portefeuille des Auswärtigen wiederzugeben (was ich freilich durchaus nicht glaube), ich würde es nicht ausschlagen. Ich würde nach Paris gehen, mit dem Könige sprechen, ein Ministerium einrichten, ohne dazu zu gehören; ich würde vorschlagen, mir eine angemessene Stellung anzuweisen, um mich an mein Werk zu fesseln. Ich halte es, wie Sie wissen, meiner Ministerehre geziemend, und um mich für die Beleidigung, die mir Villèle zugefügt, zu rächen, daß mir jenes Portefeuille auf einen Augenblick wiedergegeben werde. Es ist der einzige ehrenvolle Weg, auf dem ich ins Kabinet wieder eintreten kann. Ist das aber geschehen, so ziehe ich mich zur großen Freude aller Bewerber sofort zurück und verbringe in Frieden bei Glanz den Rest meines Lebens."

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Chateaubriand wurde nicht berufen, diese stolze Rache zu genießen und die großmüthige Demonstration auszuführen. Während er noch in den Pyrenäen (wohin er gegangen war, um von den Anstrengungen des Konklave, das dem achten Pius Leo XII. zum Nachfolger gegeben, auszuruhen) darüber brütete, traf Fürst Polignac, vom Könige aus London befohlen, am 27. Juli in Paris ein, und am 9. August, acht Tage nach dem Schluß der Seffion, erschien die Anzeige von der Bildung seines Kabinets im Moniteur.

Die Weigelsche Autographen - Sammlung in Leipzig.

Man ist versucht, das Sammeln von Autographen unter die koft spieligen Liebhabereien des modernsten Lurus zu zählen. Kostspielig in der That und eine zähe Sammellust vorausseßend, doch aber eben so berechtigt, als jede andere Industrie, die am Aufspeichern literarischer, artistischer oder physikalischer Gegenstände vorherrschendes Gefallen findet, wenn auch weniger, als beispielsweise ein Gemälde-, Kupferstich-, Naturalien-Kabinet, das Auge reizend und bestechend oder den Geschmack bildend, oder, wenn dies mir zugegeben wird, die Wißbegierde befriedigend und positives Wissen fördernd, daher auch diese Gattung Dilettantismus auf schwerlich mehr denn eine bescheidene Zahl von Sammlern, Kennern und empfänglichen Betrachtern rechnen dürfte. Herr von Radowiß war ohne Zweifel ein vor

züglicher Kenner, und hat in einem eigenen Schriftchen das Autographen-Sammeln entschieden gebilligt und nachdrücklich empfohlen. Gewiß nicht ein wüßtes Ansammeln ohne Zweck und Plan, ein Aufgreifen und Aufhäufen von Gedenkblättchen an das Alles, was irgend einmal en vogue gewesen und nach Kurzem der Vergessenheit anheim gefallen ist, noch ein blindes Durcheinanderwerfen von Jahrhunderten soweit sich aus diesen etwas Geschriebenes und Papierenes erhaschen läßt, noch ein buntscheckiges Quodlibet, wovor man fragend steht: was soll dies und das Individuum, das nicht einmal einen LückenbüBer abzugeben verspricht. Es versteht sich, daß im Sinne des Herrn von Radowiß und ihm ähnlicher Sammler auch diese Gattung Liebhaberei, nennen wir es immer so oder diese Vorliebe von mehr als oberflächlicher Kenntniß der Spezialgeschichte, ihrer Fakta und Faktoren, sowie von gesundem, besonnenem, mit Kritik verfahrendem Urtheil geleitet und begleitet werden und von beidem Zeugniß ablegen, daß sie ein wirklich künstlerisches Sammeln sich als Aufgabe sezen muß. In dieser Weise und nach diesen Grundsägen ist die Weigelsche Autographen - Sammlung entstanden und rekrutirt sich fort und fort, an ihrem primitiven Plane festhaltend, wonach sie, die zwei leßten Säkula ausschließend, sich auf das funfzehnte Jahrhundert (von Huß ab), das volle sechzehnte (Reformationszeitalter) und die erste Hälfte des siebzehnten (bis zum westfälischen Friedensschluß) beschränkt, aus diesem drittehalbhundertjährigen Zeitraum auch nur in sich aufnimmt, was zur Anlage des Ganzen stimmt und, wie Glieder und Gliederchen einer langen Kette, den inneren Nerus fördern hilft. Man kann auf die Bekanntschaft mit den Schriftzügen selbst der berühmtesten Personen geringen Werth legen und dafür nur ein kühles Interesse gewinnen: fie malen, zumal pure Namensunterschriften, wie dies in der Regel von Notabilitäten höheren Ranges gilt, kaum die Situation, worin sich der Schreibende befand, geschweige Wesen und Charakter des Unterzeichneten. Allein, wenn schon dieses Urtheil nicht maßgebend heißen kann, da es wohl nicht Wenige giebt, für welche auch bloße Unterschriften ohne Weiteres Reiz genug haben, weil sie durch diese, find sie nur authentisch, wenn auch noch so unleserlich, doch immer lebhaft an den in Schrift vergegenwärtigten Gegenstand ihrer Neu- oder Wißbegier erinnert werden, oft genug auch, in Ermange= lung eines Mehr, sich mit der bloßen Namensunterschrift begnügen müssen, so beanspruchen, verdienen und erregen Autographa insofern ein noch allgemeineres und unbezweifelteres Interesse, als und wenn sie sich als Zeugnisse und handschriftliche Ueberreste aus dem Lebenslauf bedeutender oder merkwürdiger Individuen, als Memorabilien, Seltenheiten, Kuriositäten mit historischem Hintergrunde, d. h. geknüpft an irgend eine sachliche oder individuelle Erinnerung, ob auch nur in seltenen Fällen, als für die Geschichtsforschung ertragsfähige Dokumente erweisen, weil dasjenige, was irgendwie dem Quellenstudium Vorschub leistet und Ausbeute verspricht, zum Zwecke wissenschaftlicher Benutzung sorgsam in Bibliothekschränken und Staatsarchiven verwahrt bleibt. Was in der eben bemerkten Hinsicht einer Autographensammlung Reiz und Gehalt verleiht, läßt sich, außer dem oben ihr Nachgerühmten, von der Weigelschen behaupten und nachweisen. Wie ich dieses verstehe, können die zwei in Theil 9 von Bülau's "Geheimen Geschichten und räthselhaften Menschen" von mir mitgetheilten Proben darthun: 1) ein insolenter Brief des französischen Brigadiers Manicamp an den Herzog Eberhard III. von Würtemberg vom Jahre 1636; 2) ein Brief des lezten Grafen von Schauenburg, Otto's († 1640) an seinen Dheim aus Paris. Eine ansehnlich grö ßere Zahl meist eigenhändiger Schreiben wartet noch der Veröffentlichung oder verdient sie wenigstens.

1060 der Weigelschen Autographen waren in dem 1849 herausgegebenen,,Westfälischen Friedensalbum“, welches auch 47 Tafeln Facsimiles und 24 Portraits in Holzschnitt enthält, von mir verzeichnet und mit gedrängten Biographicen oder biographischen Notizen, soweit sich dieses bei einer Anzahl sonst wenig bekannter Persönlichkeiten bewerkstelligen ließ, begleitet worden.") Aus diesem Volumen wurden neulich bei der Gustav Adolphsfeftfeier in Leipzig, 234 Nummern, behufs einer Ausstellung auf dasiger Stadtbibliothek, in Gemeinschaft mit dem Herrn Besißer ausgewählt und von mir katalogifirt, der Katalog auch gedruckt ausgegeben. Die übrigen 141, gleichfalls ausgestellten (in Summa also 375), Autographa gehören einer späteren, nahebei 4000 Nummern betragenden Sammlung an, die Herr Weigel seit Vollendung des weftfälischen Albums erworben hatte und deren Sichtung, Entzifferung, Anordnung und Verzeichnung mir gleichfalls übertragen, und in etwa anderthalb Jahren zu Stande gebracht wurde. Nach Ausscheidung des Werthlosen und einer Menge von Doubletten hat sich mit ziemlicher Gewißheit herausgestellt, daß dem Weigelschen Autographenschaß aus den zwei Jahrhunderten der Kirchenverbesserung und des deutscheu Krieges, wozu jezt auch zahlreiche Dokumente aus dem funfzehnten gekommen sind, anReichhaltigkeit und Vollständig

*) S. den Bericht im „Magazin“ 1849 Nr. 82.

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