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Ball in's Wasser und trinkt sich durch die Röhre an reinem Wasser satt, wenn nichts Besseres zugänglich ist. Auch kann man das Waffer aus einem Gefäße in das andere nach den Gesezen des Hebers und der Kapillaritäts-Anziehung in der porösen Kohle, überfiltriren. Solche Taschenfilter hat die Admiralität für die Marine und für Indien bestellt. Das ist der Sinn und die Moral der TaschenHöllenmaschinen, eine Enthüllung, die natürlich der professionelle Vaterlandsvater-Gefahren-Fänger mit Verachtung zurückweisen muß. (Schluß folgt.)

Nord-Amerika.

Der Krieg gegen die Mormonen.

II.
11. Die Mormonen-Hauptstadt.

Bereits am 17. Juni kamen die Reisenden, welche sich der Post angeschloffen hatten, in der Hauptstadt der Mormonen an, die sie fast gänzlich verlassen fanden. Todtenstille war über die Straßen gebreitet und erst als sie eine Weile in der Stadt geritten waren, fahen fie einen Haufen halbnackter Indianerknaben. - Mancherlei ist über diese Stadt gefabelt worden, und es werden daher einige Züge aus den Schilderungen der Berichterstatter hier vielleicht nicht überflüffig sein. Die Gegend, in welcher sie liegt, ist eine fast allenthalben von Bergen umgebene ungefähr hundert Meilen lange und zwanzig Meilen breite Ebene. In derselben ist nach Osten hin in der Nähe der Berge die Stadt in einem Viereck von sechs Quadratmeilen angelegt. Die Straßen sind 130 Fuß breit und durchschneiden sich rechtwinklich in der Richtung der vier Himmelsgegenden. Sie sind mit Bäumen eingefaßt, ungepflastert und die Seitenwege sind zwanzig Fuß breit. Die Blocks" (die von den Straßen eingeschlossenen, zum Bau der Häuser bestimmten Pläße) sind sehr geräumig und manche enthalten zehn Acres Land. Der Boden ist von Norden nach Süden etwas abschüssig, und in den in dieser Richtung angelegten Straßen Find an den Seiten Gräben gezogen, in denen frisches Waffer läuft und über welche kleine Brücken führen. Von diesen Gräben aus können fast alle Gärten bewäffert werden. Die große, zur Anlage der Stadt bestimmte Fläche, ist nur sehr spärlich mit Häusern befeßt und meist stehen nur zwei oder drei kleine Wohnhäuser auf jedem der geräumigen Blocks, deren übriger Theil aus Gärten und Feldern besteht. Die Häuser sind von Adobes (in der Sonne getrockneten Lehmsteinen) gebaut, deren Farbe als ein helles Schiefergrau erscheint. Sie können durchaus keinen Anspruch auf architektonische Schönheit machen, obwohl ihr Stil verschieden ist, im Ganzen wird aber der Anblick der Stadt als ansprechend geschildert. Sie soll, bevor der Prophet den Auszug der Mormonen anordnete, 15,000 Einwohner enthalten haben. An den meisten Häusern waren die Fenster ausgehoben und die Thüren geschloffen; auch waren, wie man erfuhr, Anstalten getroffen, die Stadt vor Einzug der Truppen in Feuer aufgehen zu lassen, indek zog es der Prophet vor, das Trauerspiel von Moskau nicht zu wiederholen.

Als hervorragende Gebäude können eigentlich nur die Häuser des Propheten bezeichnet werden, nämlich dessen Wohnhaus und das Löwenhaus. Sie liegen im bevölkertsten Theile nahe am Mittelpunkte der Stadt, in dem Viereck, welches an den Tempelhof gränzt. Dieses Quadrat enthält zehn Acres Land, und ist von einer zehn Fuß hohen aus gehauenen Steinen erbauten Mauer umgeben. In kurzen Zwischenräumen der letteren find abgerundete Pfeiler angebracht, welche zwei Fuß über die Mauer emporragen. Dieselbe scheint mit großen Kosten zum Schuß gegen eine etwa ausbrechende Volksbewegung aufgeführt zu sein, vielleicht auch, um die zahlreichen Weiber des Propheten defto beffer eingeschloffen zu halten. An der südwestlichen Ecke jenes ummauerten Vierecks befindet sich ein Gebäude zur Empfangnahme des Zehnten. Dort haben die Mormonen den zehnten Theil ihres Einkommens an die Kirche zu entrichten. Im Ganzen sollen sich deren Abgaben ziemlich auf den fünften Theil des Einkommens belaufen. Das Löwenhaus liegt im Mittelpunkte des Vierecks, ist zwei Stockwerk hoch, 25 Fuß breit und 100 Fuß tief, im gothischen Stil, mit einem spißen Giebel, im Ganzen also nach dem Plane der schmalen amerikanischen Häuser erbant. An der Façade ist ein aus Stein geHauener Löwe mit der Inschrift: „Ruhend aber wachsam", angebracht. Dies soll ein Sinnbild des Propheten fein, der von den „Heiligen“ der Löwe des Herren" genannt wird. Das Haus soll mehr als 30,000 Dollars gekostet haben.

Nahe an der öftlichen Seite des Löwenhauses liegt ein kleines Gebäude im Stile der amerikanischen Landhäuser, welches das Geschäftslokal Brigham Young's und die Zimmer seines Secretairs enthält. - Größer als das Löwenhaus ist das Wohnhaus des Propheten, dreistöckig, zwar nur von Adobes gebaut, aber mit glattem Bewurf versehen und weiß angestrichen. Auf der Höhe desselben ragt eine Warte hervor, welche mit einem Bienenkorbe gekrönt ist, der als Sinn

bild der Mormonen auch als Wappen des Territoriums dient. In dem Wohnhause lebte Brigham Young mit seiner ersten Frau und deren Kindern, in dem Löwenhause aber wohnten die meisten seiner übrigen Weiber, deren er mehr als achtzig haben soll. Andere mögen wohl in der Stadt zerstreut gewohnt haben. Das Löwenhaus diente also zum Harem des Propheten.

Nur schwer konnten die Reisenden in der verlassenen Stadt ein Unterkommen finden. Die damals dort sich aufhaltenden ,,Heiden", etwa dreißig oder vierzig, speisten im Globe-Saloon und schliefen auf Wagen oder in dem Säulengange des genannten Hauses. Rur Gouverneur Cumming mit wenigen Anderen war es gelungen, eine Wohnung zu finden, auch konnte man an Lebensmitteln nichts kaufen, als einiges Grünzeug. -Die Mormonen selbst befanden sich aber damals ebenfalls in keinem behaglichen Zustande. Bekanntlich waren fie auf Befehl des Propheten in südlicher Richtung nach Provo ausgezogen, einer Stadt, die ungefähr siebentausend Einwohner hat und halb so groß ist als die Salzseestadt. Dieser Auszug konnte nicht in der Absicht geschehen sein, sich etwa dort militärisch festzusehen, denn Provo ist ein offener Ort in einer gut bewäfferten Ebene. Die Friedens-Kommissäre, die der Armee vorausgingen und am 2. Juni nach der Salzseestadt kamen, begaben sich am 14. Juni auch nach Provo. Sie fanden dort eine große Menge Volk, zum Theil in kläglicher Weise zusammengedrängt. Die Meisten waren nicht in Häusern untergebracht, sondern lebten auf ihren Wagen oder in Erdhöhlen, die nur dürftig mit Reis bedeckt waren. An Kleidern schienen fie großen Mangel zu leiden und manche Weiber konnten ihre Blöße nur unvollständig bedecken. Der größte Theil dieses Volkes schien aus aufrichtigen Fanatikern zu bestehen, indeß beklagten sich doch Einige bei den Friedens-Kommissären und sagten, es gäbe eine große Anzahl, welche fortzuziehen und das Mormonenthum zu verlassen wünschten. Kommiffär Powell hielt in einer aus Männern und Weibern bestehenden Versammlung eine Rede, die wohl aufgenommer ward. Diese Weiber der Mormonen schienen sich keinesweges in einer glücklichen Lage zu befinden und waren nichts weniger als anziehend. Man sah weder schöne Augen noch blühende Wangen, sondern melan. cholisch, ungesund und niedergeschlagen aussehende Personen. Man könnte dies allerdings ihrer damals bedrängten Lage zuschreiben, ich habe aber auch in anderen früheren Schilderungen der Mormonen ge lesen, daß deren Weiber einen keinesweges erfreulichen Eindruck machen.

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Durch die Zeitungen wird man erfahren haben, daß die Truppen inzwischen am 26. Juni in die Salzseestadt eingerückt sind. Die Friedens-Kommissfäre waren General Johnston entgegengeritten und hatten sich seinem Stabe angeschloffen. Jeder Abtheilung folgte dern langer Wagentrain, so daß die Truppen zehn Stunden brauchten, un durch die Stadt zu marschiren, welche immer noch wie ausgestorben erschien; indeß waren doch einige Mormonen von Süden herbeigekommen, um das ungewöhnte Schauspiel dieses militärischen Einzuges zu sehen, sie begnügten sich aber, ihre Neugierde durch die Rißen und Zwischenräume der Bretter zu befriedigen, womit die Fensteröffnungen der verlassenen Häuser gefchloffen waren. Nur an den Ecken des Tempelhofes sah man einige Zuschauer auf der Straße. Andererseits verfolgten die wenigen Arbeiter, die in Gärten und Feldstücken beschäftigt waren, ihr Lagewerk mit einer Gleichültigkeit gegen das militärische Geräusch, die man versucht war, für affektirt zu halten. Die Truppen, einschließlich der Offiziere, zogen in der rauhen, aber bequemen Kleidung des Marsches einher, es ward aber gute Mannszucht und Ordnung gehalten; man hörte weder Schreien noch Lachen und Alles schien vermieden zu werden, was die Mormoner hätte verlegen können. Die Musik spielte auf, schwieg aber, als de Zug vor der offenen Säulenhalle vorbeiging, wo der Gouvernem Cumming stand; auch salutirten die Truppen nicht vor ihm. Es waren nämlich verschiedene Mißhelligkeiten zwischen dem Gouverneur und General Johnston vorausgegangen.

Die Truppen marschirten durch die Stadt und bezogen ein Lager außerhalb derselben, das sich ungefähr zwei Meilen am Ufer des Jordan ausdehnte. Später ward ein großer Theil derselben dreißig Meilen von der Stadt entfernt, indeß doch von Washington aus angeordnet, daß 2500 Mann im Territorium stehen bleiben follen. Damals, kurz nach dem Einmarsch, reiste Gouverneur Cumming nach Provó und kehrte am 1. Juli mit dem Propheten zurück. In der Nacht vom 1. zum 2. Juli kamen ungefähr 30 Wagen, welche die Aeltesten zu enthalten schienen, sowie sie auch eine Menge Hausgeräth zurückbrachten. Hiermit begann die Rückkehr der Mormonen nach der Salzseestadt, die in den darauf folgenden Wochen fortdauerte. Die ganze 25 Meilen lange Straße von Provo her war von Wagen Karavanen der Heimkehrenden bedeckt. Manchen dieser Wanderer war die äußerste Armuth anzusehen; viele Weiber gingen barfuß einher, in die elendesten Lumpen gekleidet, kaum hinreichend, um ihre Blöße zu decken, aber eingehüllt von den Staubwolken, welche von den Wagen

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zügen auffstiegen. Dagegen hatte der Prophet seinen Haushalt bald wieder eingerichtet und verwahrte seinen Harem sorgfältig vor den Blicken der Heiden“. Viele wanderten auch durch die Stadt hindurch nach Norden in dort gelegene Ansiedlungen, welche vorher ebenfalls waren verlassen worden. Berichterstatter amerikanischer Blät ter sind aber der Ansicht, daß ein nicht unbeträchtlicher Theil der früheren Einwohner der Salzseestadt nicht im Stande sein werde, zurückzukehren. Die Kirche oder mormonische Regierung besorgte nämlich für manche unbemittelte Familien die Fahrt nach Süden, zum Theil durch das den Truppen geraubte Vieh, auch sollen einige Fa milien so fanatisch gewesen sein, vor ihrem Abzug ihre Häuser zu verbrennen oder doch unwohnlich zu machen. Mehreren dieser Leute sollen nun die Mittel zur Rückkehr oder zu einer neuen Einrichtung fehlen. Offiziell wird zwar behauptet, Ruhe und Ordnung sei im Terri torium wieder hergestellt, auch traten die Friedens-Kommissäre am 4. Juli ihre Rückreise an; gleichwohl scheint die Pacification des Territoriums nichts weniger als geordnet zu sein, wie man aus verschiedenen Korrespondenzen ersehen kann, die jezt (15. August) bis zum 17. Juli reichen. Hiernach bezeigen sich Brigham Young und dessen Anhänger widerspenstig und hochmüthig. Schon beim Einmarsch der amerikanischen Truppen hatte der General-Quartiermeister der mormonischen Armee die Unverschämtheit, für den Play, wo das Lager geschlagen ward, einen täglichen Pacht von 150 Dollars zu fordern, obgleich alles Land in Utah den Vereinigten Staaten gehört und die Mormonen keinen anderen Rechtstitel haben als den der Occupation. Manche Mormonen prahlten mit der Behauptung, sie hätten im vorigen Herbst jeden Transport können vernichten und die Truppen davon jagen, aber die Großmuth des Propheten habe es verhindert. Cumming ist nur dem Namen nach Gouverneur, Brigham Young aber thatsächlich nach wie vor Regent.

Ueber seine Anhänger soll Brigham Young in gewohnter despotischer Weise herrschen. Viele seiner blindgläubigen Mormonen bestimmt er, ihr Eigenthum der Kirche zu „weihen“, und dies besteht darin, daß sie den Besißtitel ihrer Grundstücke auf seinen Namen ausfertigen lassen. Findet er es dann gerathen, so nimmt er dergleichen Eigen thum einfach weg und die Gläubigen können von den Gerichten keine Hülfe erwarten. Nach anderen Berichten soll aber das Ansehn des Propheten bei vielen Mormonen doch einen merklichen Stoß erlitten und er sich mit einer Art Leibwache umgeben haben.

Das Verfahren der Mormonen der Bundesregierung gegenüber scheint ein Gemisch von Schlauheit und Kurzsichtigkeit, Frechheit und Feigheit zu sein, wie es wohl anderwärts auch bei Schwindlern, Demagogen und Barbaren gefunden wird. Gleichwohl läßt sich nicht voraussehen, ob sie damit nicht irgend etwas erreichen, denn sie haben es mit einer kurzsichtigen, schwachen und durch gar mancherlei Rück fichten gehemmten Regierung zu thun; nur mag man sich in Europa nicht verleiten laffen zu glauben, daß jenes schwankende Verfahren des Gouvernements aus einer durch Humanität bestimmten Milde ente springe, welche in den Vereinigten Staaten nicht gerade heimisch ist. Uebrigens hat die bei dieser Gelegenheiten offenkundig gewordene Dürftigkeit der geistigen und materiellen Mittel der Mormonen manche Illusionen zerstört, die man auch hier zu Lande über deren Macht, Streitbarkeit und Reichthum hegte. Im Allgemeinen ist die Stimmung hier gegen sie.

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Nicht minder wird die Erpedition der Bundestruppen ebenfalls der Vorstellung nicht entsprechen, die in Deutschland vielleicht noch Viele von der Macht der Vereinigten Staaten hegen, und augenfällig machen, wie dieselbe durch Zerfahrenheit und Kurzsichtigkeit der Parteipolitik, durch die großen Flächen unbewohnter Gegenden und durch die Schwierigkeit, Truppenkörper von einiger Bedeutung unter den ob waltenden Verhältniffen aufzustellen, gelähmt wird, so daß die durch so mancherlei Phrasen aufgeblähte Vorstellung von Onkel Sam's Streitbarkeit gar sehr zusammenschrumpfen muß.

Ich übergehe die Beschuldigungen über enormen Betrug bei den Armee-Lieferungen, welche jezt schon laut werden, ohne Zweifel um eben so erfolglos zu verhallen, wie andere dergleichen Anklagen. In einer Korrespondenz des New-York Tribune werden die bisherigen Kosten der Expedition nach Utah auf zwanzig Millionen Dollars angegeben, was ich freilich muß dahin gestellt sein laffen, indeß ist es ausgemacht, daß keine Macht der Erde so kostspielig Krieg führt oder Truppen marschiren läßt, als die Vereinigten Staaten. New-York.

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Albr. Böhme.

Die literarisch Der Globe und die Doctrinairs. Die Wahlen. Weit entfernt, im Jahre 1823 so richtig, wie jezt, die Schwierigkeiten, die unserer bei der Arbeit der verfassungsgemäßen

Drganisation warteten, zu ermeffen, fühlte ich dennoch, daß unsere Vorgänger 1789 das alte Frankreich, seine gesellschaftlichen Elemente, feine Ueberlieferungen, feine Sitten zu tief unterschäßt: hatten, und daß, um in unser Vaterland die Harmonie mit der Freiheit zurückzuführen, man seine Vergangenheit höher anschlagen mußte. Als ich demnach dem französischen Publikum die Geschichte und die Urkunden der englischen Institutionen und Umwälzungen vorführte, ging ich zugleich mit Eifer an das Studium und die Darstellung der alten französischen Gesellschaft, ihrer Anfänge, ihrer Gefeße, der verschiedenen Stadien ihrer Entwickelung. Es lag mir am Herzen, uns die Lehren einer großartigen fremden Geschichte anzueignen, und zumal unter uns die Neigung und das Verständniß unserer eigenen Geschichte wieder zu beleben.

Meine Arbeiten müssen wohl mit den Instinkten und Bedürf nisser der Zeit in Einklang gewesen sein; denn sie wurden von der allgemeinen Bewegung, die im Publikum, wie in der Umgebung der so angefochtenen Regierung sich Luft machte, freundlich aufgenommen und unterstüßt. Es ist eine glückliche Gabe des französischen Geistes, leicht seine Richtung zu ändern, ohne an Geschwindigkeit abzunehmen. Er ist ausgezeichnet gelenk, elastisch und erfindungsreich. Stößt er hier auf Hindernisse — bahnt er sich einen anderen Weg; legt man ihm Hemmketten, an lernt er mit der Hemmkette gehen; drückt man ihn hier nieder - weicht er und schnellt dort auf. Die Regierung der Rechten beschränkte das politische Leben und die politische Thätigkeit auf einen sehr enggezogenen Kreis; das herangereifte Geschlecht, das jezt in die Welt trat, suchte nicht ganz außerhalb, sondern neben der Politik, die Anwendung seiner Kräfte, die Befriedigung seiner Wünsche; die Literatur, die Philosophie, die Geschichte, die Dichtkunst, die Kritik nahmen einen neuen, einen mächtigen Aufschwung.

Während eine erklärliche und unglückliche Reaction das achtzehnte Jahrhundert mit seinen veralteten Waffen in die Arena zurückführte, entfaltete das neunzehnte Jahrhundert seine naturfrischen Ideen und Bestrebungen. Ich nenne keine Namen; an diejenigen, die es verdienen, nicht vergessen zu werden, braucht man nicht zu erinnern; mir ist es ja nur darum zu thun, den allgemeinen Charakter der geistigen Bewegung dieser Epoche ins Licht zu seßen. Diese Bewegung warf sich weder ausschließlich noch unmittelbar auf die Politik, und doch ging sie von der Politik aus; sie war literarischer und philosophischer Natur: der menschliche Gedanke, sich ablösend von den Interessen und Kämpfen des Tages, eilte, auf allen Wegen, das Wahre und Schöne zu suchen, zu genießen; aber von der politischen Freiheit kam der erste Impuls und die Hoffnung auf ein freies Regiment ließ sich aus den abstraktesten Arbeiten, wie aus den hochgestiegenen Flügen der Poesie durchblicken. Als wir, meine Freunde und ich, im Jahre 1827 die Revue française gründeten, gaben wir ihr zum Motto das Ovidische: „Et quod nunc ratio est, impetus ante fuit" (Was jezt vernünftig erscheint, früher galt es für Wahn). Wir drückten damit richtig den herrschenden Sinn um uns und unsere eigene Stimmung aus. Die Revue war der Philosophie, der Geschichte, der Kritik, moralischen und wissenschaftlichen Abhandlungen geweiht, und dennoch durchwehte sie der politische Athem, der seit vierzig Jahren Frankreich beseelt. Wir erklärten uns verschieden von unseren Vorgängern des Jahres 1789, fremd ihren Leidenschaften, nicht knechtisch ergeben ihren Ideen, aber Erben und, Fortführer ihres Werkes. Wir unternahmen es, die neue französische Gesellschaft zu reineren Prinzipien, zu edleren und gerechteren Gesinnungen, zu festeren Grundlagen zurückzuführen; der Erfüllung ihrer gerechten Hoffnungen und der Sicherung ihrer Freiheiten gehörten unsere Wünsche, unsere Arbeiten.

Ein anderes periodisches Blatt, der Globe, schon 1824 ausgegeben und populärer als die Revue française, trug, bei einer lebhafteren und mannigfaltigeren Polemik, dasselbe Gepräge. Junge Doktrinäre, im Verein mit anderen Schriftstellern derselben Generation und, um diese Zeit, von demselben Geiste beseelt, obwohl von sehr verschiedenen Grundideen ausgehend und nach sehr abweichenden Endzwecken ftrebend, waren die Herausgeber und Redaktoren. Ihre ausgesteckte Fahne war in der Philosophie: der Spiritualismus; in der Geschichte: ein verständiges, unparteiisches Erforschen des Alterthums und der verschiedenen Zustände der menschlichen Gesellschaften; in der Literatur: der Sinn für das Neue, Mannigfaltige, Freie, Naturwahre selbst in seinen seltsamen Formen und seinen rohesten Mischungen. Um diese Fahne schaarten sie sich, fie trugen sie vorwärts mit allem Feuer und Stolz der Jugend, und hatten bei diesen Reformversuchen in Philosophie, Geschichte, Poesie und Kritik den zumal persönlichen und selbstlosen Genuß, der die süßeste Belohnung geistiger Thätigkeit ist: fie versprachen sich, wie das so immer kommt, einen zu umfaffens den und zu leichten Erfolg. Zwei Fehler schlichen sich in diese edle Bestrebungen ein: die im Globe entwickelten Ideen ermangelten fo wohl der festen Basis, wie der starken Schranke; die Form war entschiedener, als der Inhalt; sie entsprangen aus Köpfen, bie, von einer schönen Bewegung angefeuert, weder nach einem einigen, noch

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bestimmten Ziel steuern, und in diesem Sichgehenlaffen gefährdet waren, auf dieselbe Klippen zu gerathen, die fie signalisirt hatten. Dann übte auf den Kameradschaftsgeist eine zu große Macht: jener Hang, dem kleinen Kreise, in dem man lebt, zu gefallen und sich, ohne es zu merken, von dem großen Publikum, für das man arbeitet und zu dem man spricht, abzuschließen. Turgot hatte mehrere Artikel für die „Encyklopädie" schreiben wollen; d'Alembert kam eines Tages, ihn daran zu mahnen; Turgot entgegnete: Ihr sprecht immerfort Wir; bald wird das Publikum sagen Ihr; ich will mich in dieser Weise nicht anwerben und einschachteln lassen." Allein diese Fehler des Globe, die jest so offen am Tage liegen, waren vor dreißig Jahren verdeckt durch das Verdienst seiner Opposition; denn die politische Opposition war ein Hauptelement dieses Blattes, das ihm in der, der Restauration feindlichen Partei viele Anhänger gewann, denen seine Philosophie und Literatur auch nicht zusagte. Im Februar 1830 unter dem Ministerium Polignac wurde der Globe, im Verfolg seiner wesent lichen Richtung, eine große politische Zeitung. Augustin Thierry schrieb damals an mich:,,Was sagen Sie zu dem Globe, seitdem er seine Gestalt verändert? Ich weiß nicht, warum es mich so unangenehm berührt, all diesen kleinlichen Neuigkeitskram, alle diese tagtäglichen Nergeleien darin zu finden. Sonst sammelte man sich, um ihn zu lesen, jezt ist das nicht mehr möglich und die Aufmerksamkeit zer, ftreut und zersplittert sich. Es ist wohl derselbe Geist, es sind die felben Artikel, es ist aber unangenehm, an ihrer Seite Dinge zu finden, die überall sind." Thierry hatte Recht; der Globe verlor viel dadurch, daß er eine politische Zeitung, wie viele andere, wurde; er war aber von hausaus wesentlich politisch, nach Inspiration und Tendenz. Es war der allgemeine Zeitgeist, der Globe wehrte sich so wenig dagegen, daß er vielmehr davon ganz durchbrungen war.

Selbst unter dem herrschenden Einfluß der Rechten ließ es sich die Restauration nicht beikommen, diese thatsächliche obwohl mittelbare, beschwerliche, doch nicht feindselige Opposition zu ersticken. Die Gerechtigkeit verlangt es, das zur Ehre jener Zeit anzuerkennen: unter den lebhaften Besorgnissen, welche die politische Freiheit der Gewalt einflößten und trog den versuchten Anstrengungen, sie zu beschränken, blieb die geistige Freiheit unangefochten und geachtet. Diese erfest freilich nicht die andere, fie macht ihr aber Bahn und rettet wenigstens die Ehre der Nation, die es nicht verstanden hat, jene zu erwerben oder zu bewahren.

Während diese Bewegung der Geister sich von Tag zu Tag entfaltete und steigerte, verfolgte das Villèlesche Kabinet seinen Lauf, je mehr und mehr bedrängt von den Zumuthungen und Zwiftigkeiten der Partei, die das Haupt mit Mühe im Zaume hielt. Ein Freund, ein ebenso unbefangener wie scharfsinniger Kopf, schrieb mir im De zember 1826:,,Die Männer, die an der Spiße einer Partei stehen, sind so recht dazu verurtheilt, vor ihrem eigenen Schatten zu zittern. Ich zweifle, ob die herrschende Partei jemals in einem so vollständigen Nichts dagestanden hat. Keine Theorie, keine Ueberzeugung, keine Hoffnung auf die Zukunft; die Declamation selbst ist abgenußt und lächerlich. Gewiß hat Herr v. Villèle das Verdienst, die Jämmerlich. keit seiner Partei zu kennen, daher sein Erfolg; allein es ist, glaube ich, eine blos dunkel geahnte Kenntniß; er vertritt dieses Volk mehr, als er es beurtheilt. Er würde ja sonst wissen, daß er ihnen Alles, nur nicht Stellen und Gehälter, verweigern kann.“

Als die Partei von Zumuthung zu Zumuthung, und das Kabinet von Schwäche zu Schwäche bis zu dem Punkte gelangte, wo beide nicht mehr wußten, wie sie mit einander auskommen sollten; als Villèle im November 1827 einen Aufruf an die Wähler erließ, um sich seiner Nebenbuhler in der Kammer und am Hofe zu erwehren: da nahmen. wir entschloffen Theil am Kampfe. Alle Oppositionen machten gemeinschaftliche Sache. Unter der Losung: „Hilf dir, so wird dir der Himmel helfen", bildete sich eine öffentliche Gesellschaft, in welcher Männer, sehr verschieden an allgemeinen Ideen und endlichen Absich. ten, sich einander näherten und über den gemeinsamen Zweck verständigten, durch gefeßliche Mittel eine veränderte Majorität in der Depu tirten-Kammer und den Sturz des Kabinets herbeizuführen. Ich stand so wenig an, mit meinen Freunden einzutreten, wie ich 1815 angeftanden hatte, mich allein nach Gent zu begeben und dem Könige Ludwig XVIII. die Ansichten der verfassungsgetreuen Royalisten zu überbringen. Die andauernden Revolutionen erzeugen die entgegen gesezten sittlichen Gebrechen: Tollkühnheit und Kleinmuth; die Men fchen lernen theils, sich blindlings in das unsinnigste Unterfangen ftürzen, theils vor der rechtmäßigsten und nothwendigsten That feig zurückzutreten. Wir hatten die Kabinetspolitik offen bekämpft, fie felbft forderte uns heraus, auf dem Schlachtfelde der Wahlen den Streit auszufechten: wir nahmen die Herausforderung mit derselben Offen heit an; entschloffen, nichts als gute Wahlen zu erstreben, die Schwierig, keiten des Kampfes nicht zu scheuen und des Ausgangs in Ergebenheit gewärtig zu sein.

In der Selbstbiographie Béranger's lese ich: "3u jeber Zeit habe ich zu sicher auf das Volk gerechnet, um die Geheimgesellschaften zu billigen; es find thatsächlich andauernde Verschwörungen, die unnüß viele Leben gefährden, eine Menge Nebenbuhlerschaften kleinlichen Ehrgeizes hervorrufen und persönlichen Leidenschaften Prinzipfragen unterordnen. Aus ihrem Schoße gehen nur zu bald Mißtrauen, Abfall und Verrath hervor und wenn sie die arbeitenden Klassen in sich aufnehmen, enden sie damit, sie zu verderben, anstatt sie aufzuklären. Die Gesellschaft: „Hilf dir so wird dir der Himmel helfen", allein hat durch offenes Handeln unserer Sache wahre Dienste geleistet." Die Sache Béranger's und unsere waren sehr verschieden: welche nun von beiden Sachen wird von den durch die bezeichnete Gesellschaft geleisteten Wahldiensten Nugen ziehen? Die Lösung dieser Frage sollte bald von Karl X. abhängen.

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Die Wirkung der Wahlen von 1827 war eine unberechenbare: sie übertrafen bei weitem die Besorgniffe des Kabinets, wie die Hoffnungen der Opposition. Ich war noch in der Provinz, als die Refultate bekannt wurden. Ein Freund schrieb mir aus Paris:,,Die Bestürzung des Ministeriums – die Nerven-Anfälle Villèle's, die den Arzt um drei Uhr des Morgens herbeirufen Corbière todtkrank — Polignac in seinem Stillleben auf dem Lande, daß er trog allen Bitten nicht verlassen mag der Schrecken im Schloffe die stets glänzenden Jagden des Königs diese unerwarteten, über raschenden, betäubenden Wahlen: fürwahr, das ist mehr, als Eine: braucht, um ein Prophet zu sein, mehr als genug, sich wahrscheinlich über die Ergebniffe, die man vorausberechnen wollte, zu täuschen." Der Herzog von Broglie, wie ich, von Paris abwesend, sah mit mäßigem, aber doch mit Vertrauen in die Zukunft:,,Es ist undenkbar", schrieb er mir,,,daß der allgemeine gesunde Verstand, der bei diesen Wahlen den Vorsiz hatte, nicht ein wenig auf die Gewählten rückwirken sollte. Das Ministerium, das aus dem ersten Konflikt hervorgehen wird, wird gewiß schwächlich genug aussehen; man wird es aber unterstüßen und dahin trachten müssen, daß Keiner ängstlich wird. Stoße ich ja schon hier auf Manchen, der in großen Schrecken über den Ausfall der Wahlen ist; täusche ich mich aber nicht, so ist es nur der Schreck vor der Gefahr des Augenblicks; gelingt es uns, nach dem Sturz des gegenwärtigen Ministeriums, über das Jahr ruhig hinaus zu kommen, dann haben wir gewonnen."

Mannigfaltiges.

Victor Hugo. Ein neuer Band Gedichte von der Feder dieses herühmten Verbannten soll demnächst im Druck erscheinen. Er führt den Titel:,,Les petites epopées", und das Verlagsrecht deffelben ist von einer Pariser Buchhandlung für eine sehr bedeutende Summe erworben worden. Künftiges Jahr hofft Victor Hugo feinen längst angekündigten Roman: „, Les Misérables", vollenden zu können. Von den beiden Söhnen des Dichters, die das Eril ihres Vaters in Guernsey theilen, ist der jüngere mit einer französischen Uebersehung von Shakspeare beschäftigt, dessen Gedichte er bereits nicht ohne Erfolg bearbeitet hat. Die erste Botschaft, die mit dem neuen unterseeischen Telegraphen von Jersey nach Guernsey überfandt wurde, war ein Gruß an den Dichter von seinen auf ersterer Insel lebenden Freunden. Victor Hugo antwortete darauf mit folgenden Versen aus feinen vor vier Jahren erschienenen „Châtiments”:

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Mêle au courant des flots le courant des idées."

- Münchener Kommission für deutsche Geschichtsforschung. Die seit einigen Jahren in München niedergefeßte historische Kommission zur Durchforschung bayerischer und deutscher Gerichtsquellen ist durch eine allerhöchste Verfügung für aufgelöst erklärt und der ihr jährlich aus der k. Kabinetskaffe gewährte Beitrag von 500 G zurückgezogen worden. An ihrer Stelle soll eine neue Kommission zu dem genannten Zwecke gebildet, dieser die bereits in Arbeit befindli chen Werke übertragen und zu diesem Zwecke ein größerer Zuschuß aus der k. Kabinetskasse im Betrage von 15,000 G. jährlich gewähri werden. Die Oberleitung diefer neuen Kommission werden Ranke in Berlin und Sybel in München haben. Als bereits ernannte Mitglieder derselben werden u. A. die Professoren Waiz, Häusser und Dropfen genannt. Ferner vernehmen wir, daß sämmtliche Kommis sionsmitglieder jährlich einmal in München zusammentreten folles Die erste Versammlung derselben dürfte noch in diesem Jahre zu er warten sein. (R. 3.)

Böchentlich erscheinen 3 Nummern. Preis jährlich 8 Thlr. 10 gr., halbjābelich 1, Thlr. 20 Sgt, und viertel jährlich 125 Sgr., wofür das Blatt im Julande portofrei und in Berlin frei ind Haus geliefert wird.

No 121.

für die

Bestellungen werden in jeder deutschen Buchhandlung (in Berlin be Beit u. Comp. Jägerstraße Nr. 25, und beim Spediteur Neumann, Niederwallfir. Rr, 21), sowie von allen fönigl. Bofl-Hemtern, angenommen.

Literatur des Auslandes.

Frankreich.

Aus Guizot's Memoiren.

Berlin, Sonnabend den 9. Oktober.

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Als das Ministerium Villèle gefallen und das Ministerium Martignac eingefeßt war, wurde ein neuer Versuch gemacht, mit dem Centrum zu régieren; allein mit weit weniger Kräften und mit weit weniger Aussichten auf Erfolg als in der Periode von 1816 bis 1821. Damals, unter der bald gemeinsamen, bald abwechselnden Leitung Richelieu's und Décazes, hatte die Regierung der Mitte Frankreich und die Krone gegen die Rechte und Linke vertheidigt. Die Partei der Mitte, 1810 in dringender Gefahr des Vaterlandes gebildet, hatte aus eben dieser Gefahr eine große Kraft geschöpft und hatte es überdies nach der Rechten wie nach der Linken mit feurigen zwar, aber noch unbeholfenen, schlecht organisirten Oppositionen zu thun, die das Publikum für unfähig zu regieren hielt. 1828 aber war der Stand der Dinge ein ganz anderer. Die Rechte, kaum der Macht entkleidek, die fie sechs Jahre beseffen, getraute sich, sie wieder zu ergreifen und hielt sich für tüchtig, sie auszuüben; sie griff daher ihre Nachfolger, die ihr unerwartet die Macht entriffen hatten, mit sieghoffendem Ungestüm an. Die Linke und das linke Centrum dagegen, durch die sechsjährige gemeinsame Opposition einander näher gerückt und fast verschmolzen, hemmten sich gegenseitig in ihren Beziehungen zu einem Kabinet, das, obgleich es nicht aus ihren Reihen hervorgegangen, fie zu unterstüßen berufen waren, und, wie es in solchen Fällen besonders zu gehen pflegt, die Higköpfe lähmten und gefährdeten die Besonne nen weit mehr, als diese im Stande waren, ihre unbequemen Gefähr ten zu lenken und im Zaum zu halten. Von ehrgeizigen und mächtigen Rivalen in den Kammern bedroht, sah das neugeborene Kabinet nur laue, oder in ihrem guten Willen behinderte Bundesgenossen an feiner Seite. In der Kabinetsperiode 1816 bis 1821 überdies gewährte Ludwig XVIII. der Regierung der Mitte seine aufrichtige und thätige Mithülfe; 1828 dagegen betrachtete Karl X. das Kabinet, das ihm an Stelle der Hauptführer der Rechten aufgenöthigt worden, wie eine bittere Arznei, die er mit Widerstreben nahm, weil er an keinen Erfolg glaubte und mit dem festen Vorsaß, den Versuch nicht weiter als irgend nothwendig, zu treiben.

Zwei Männer nur, Martignac, als thatsächliches Haupt des Kabinets, ohne den Vorsiß zu führen, und Royer-Collard, als Präfident der Deputirten -Kammer, gaben bei dieser schwachen Stellung der neuen Gewalt einige Stärke und einigen Glanz; aber sie waren weit entfernt, den Schwierigkeiten und Gefahren gewachsen zu sein.

Martignac hat in seinem öffentlichen, wie in seinem Privatleben, bei Allen, die ihn gekannt, Freunden oder Gegnern eine achtungsvolle und wohlwollende Erinnerung hinterlassen. Mit einem nachgiebigen, liebenswürdigen, großmüthigen Charakter verband er einen geraden, leichtfaffenden, scharfen, ruhigen und unbefangenen Verstand; er besaß von Natur eine gewandte, lichtvolle, schmuckreiche und einschmeichelnde Redemacht; er gefiel selbst denen, die er bekämpfte. Ich hörte einmal, wie ihm Dupont de l'Eure von seiner Stelle aus leise zurief: ,,Schweig, Sirene!" In gewöhnlicher Zeit, bei einem festgestellten conftitutionellen Regiment, wäre er ein ebenso nüßlicher, wie beliebter Minister gewesen; allein in Wort und Benehmen war mehr Einschmeichelndes, als Gebietendes, mehr Anmuth, als Ansehen. Treu seiner Sache, wie seinen Freunden, fehlte es ihm an jener schlichten, leidenschaftlichen, beharrlichen Energie, die, mit unftillbarem Durst nach Erfolg vereint, vor Widerständen oder in Niederlagen fich höher spannt und den fremden Willen mit sich fortreißt, selbst wenn sie den Verstand nicht überzeugt. Mehr rechtschaffen und genußliebend, als ehrgeizig, lagen ihm seine Pflicht und sein Vergnügen mehr am Herzen, als seine Macht. Und so kam es, daß er, obgleich dem Könige, wie den Kammern willkommen; weder in den Tuilerieen, noch im Palais Bourbon die Gewalt, ja nicht einmal den Einfluß geltend machte, die ihm sein trefflicher Verstand, wie sein seltenes Talent hätten 'ge-ben müffen.

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1858.

Royer-Collard war auf den Präsidentenstuhl gelangt und saß darauf mit einem Ansehen, das ihm zwölfjährige parlamentarische Kämpfe gewonnen, die kurz vorhergegangene, siebenfache, gleichzeitige Wahl befestigt und dieses Zeichen der Achtung von der Kammer und dem Könige besiegelt hatte. Allein dieses Ansehen, von so hohem sittlichen Werthe an sich, blieb in der politischen Ordnung der Dinge thatlos und unwirksam. Seit dem Sturz des Regierungssystems, das er unterstügt hatte, und seit seiner durch de Serre 1820 bewirkten Ausscheidung aus dem Staatsrathe, war er in tiefe Muthlosigkeit, ich will nicht sagen, versunken, aber doch nahe daran, zu versinken. Einige seiner Briefe an mich - ich hebe die kürzesten heraus — mögen als Belege dienen:

,,Am 1. Auguft. 1823. Es ist hier keine Spur von einem Manne; ich weiß nicht, was man aus unseren Zeitungen lernen soll, glaube aber auch nicht, daß es noch etwas Wissenswerthes giebt. Mags doch, mich kümmert es nicht. Ich bin nicht mehr neugierig, und weiß auch recht gut, warum ich es nicht bin. Ich habe meinen Prozeß verloren und fürchte sehr, Sie werden auch den Ihrigen verlieren; denn Sie werden ihn an dem Tage verlieren, an welchem er schlecht geworden. Unter diesen traurigen Gedanken zieht sich das Herz zusammen, ergiebt sich aber nicht."

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,,27. August 1826. Bis diese Woche, die den Herrn v. Talleyrand nach Valençay geführt, habe ich in einer Einsamkeit gelebt, die nicht abgeschloffener und unschuldiger sein kann. Ihr Brief und feine Unterhaltung sind das Einzige, wodurch ich noch dieser Welt angehöre. Ich habe niemals diese Lebensweise mit so viel Genuß gekostet; einige Studien, die davon genährten Beschauungen, ein Spaziergang mit den Meinigen, das Interesse einer kleinen Wirthschaft. In diesem tiefen Frieden jedoch, beim Anblick dessen, was vorgeht und dessen, was uns bevorsteht, läßt sich die Ermattung von einem langen, in ohnmächtigen Wünschen und trügerischen Hoffnungen aufgezehrten Leben, hin und wieder verspüren. Ich hoffe, ihr nicht zu erliegen: fehlen die Täuschungen, sind noch Pflichten da, die ihre Herrschaft üben."

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,,22. Oktober 1826. Nachdem ich dieses Jahr die Genüffe des Landlebens und der Einsamkeit ausgekostet, werde ich mit Vergnügen wieder in die Gesellschaft mit Menschen treten. Sie ist heutzutage sehr still, diese Gesellschaft, aber ohne einen Schuß abzufeuern, gewinnt fie Boden und befestigt unmerklich ihr Reich. Ich habe keine Vorstellung von der nächsten Seffion. Ich glaube, man schenkt der Deputirten-Kammer nur aus Gewohnheit und NückerinneTrung noch einige Aufmerksamkeit. Sie gehört einer anderen Welt an. Unsere Zeit ist noch sehr fern. Das Geschick hat Sie in das einzige Leben geworfen, das heutzutage edel und nüßlich ist. Es hat wohlgethan für Sie und für uns.“

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Royer-Collard war zu ehrgeizig und zu niedergeschlagen. Die menschlichen Dinge gestatten nicht soviel Ansprüche, und bieten mehr Hülfsquellen. Man darf nicht soviel erwarten und nicht sobald verzweifeln. Die Wahlen von 1827, die Ernennung des Ministeriums Martignac und seine eigene Erhebung zu dem Vorsiz in der Deputirten-Kammer zogen ihn etwas aus seiner trüben Stimmung, ohne ihm aber großes Vertrauen wiederzugeben. Zufrieden mit seiner perfönlichen Stellung, unterstüßte er in der Kammer das Kabinet, ohne sich jedoch der Politik desselben innig anzuschließen, in der Haltung eines wohlwollenden Bundesgenossen, der aber keine Verantwortlichkeit übernehmen will. In seinem Verkehr mit dem Könige beobachtete er dieselbe Zurückhaltung: er sagte ihm dieselbe Wahrheit, gab ihm die weiseften Rathschläge, ohne den Gedanken in ihm aufkommen zu lassen, daß er selber bereit sei, die starke und durchgreifende Politik, die er anrieth, praktisch auszuführen. Karl X. hörte ihn wohlwollend, erstaunt, feiner Loyalität vertrauend, an, verstand ihn aber kaum und betrachtete ihn als einen Menschen, der sich in unanwendbare, ja gefährliche Ideen verbisfen hatte. Ein treuergebener Unterthan des Königs und Freund des Kabinets, leistete Royer-Collard beiden nügliche Dienste in ihren Angelegenheiten oder bei den Gefahren des Tages; hielt sich aber abseits von ihrem Geschick und ihren Handlungen, ohne Ihnen durch seine Mitwirkung die Kraft zuzuwenden, die ihm die

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Ueberlegenheit seines Geistes und der Klang feines Namens zu geben schienen.

verhältnisse noch auf der Insel Wight. Ich sahe eine ganze Masse Namen, die wie Gortschakov, Woronzov, Pawlowitsch u. s. w. klangen, einer war an Herrn Müller" adresfirt, und an andere Deutsche von prätenfiöseren Namen. Die „'ski's“ und „,'ti's" fehlten auch nicht. Mehrere Namen endigten auf „in”, also Franzosen. Ich fand über ein Dußend Bekannte, auch mehrere Berliner, darunter einen sehr berühmten. Der Doktor begegnete mehreren gesundgewordenen Pa(von der Denmark - Hill - Kolonie im Süden), der bei Ventner ein eigenes großes Sommerschloß hatte, lud ihn ein, bei ihm zu logiren. Solche Töne von Gastfreundschaft waren uns neu. Gie klangen wie Stimmen aus einer längst unter die Füße getretenen patriarchalischen Zeit.

Um diese Zeit übernahm ich keinen Staatsdienst: ich suchte ihn nicht, und das Kabinet trug mir keinen an. Wir hatten beide Recht; Martignac kam aus den Reihen der Partei Villèle und mußte ihn schonen; es wäre "unschicklich gewesen, wenn er sich deffen Gegnern genähert hätte. Ich, meinestheils, wenn ich sie auch als nothwendig gutheiße, eigne mich schlecht für eine schwankende Politik, die nach_tienten und Patientinnen. Ein deutscher Kaufmann aus London Vermittelungen und Aushülfen greift, anstatt entschiedene und aus gesprochene Grundsäge in die That zu übertragen. Aus der Ferne wollte und konnte ich das neue Ministerium unterstüßen. In der Nähe hätte ich es bloßgestellt. Ich hatte jedoch meinen Theil am Siege: ohne mich zu den Functionen des Staatsrathes zurückzurufen, gab man mir wenigstens den Titel wieder, und der Minister des öffentlichen Unterrichts, Herr v. Vatismenil, gestattete mir die WiederEröffnung meiner Vorlesungen.

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Von der Sorbonne, in die ich damals eintrat, und von dem Unterricht, den ich darin zwei Jahre ertheilte, bewahre ich eine schöne Erinnerung. Diese Zeit bildet Epoche in meinem Leben und, wenn ich es sagen darf, ist nicht ohne Einfluß für mein Vaterland geblieben. Noch sorgfältiger als 1821 blieb ich in meinen Vorlesungen außer halb aller Politik. Ich wollte dem Ministerium Martignac keine Opposition machen, und würde mir sogar ein Gewissen daraus gemacht haben, ihm auch nur eine Verlegenheit zu bereiten. Ueberdies hatte ich mir ein Ziel gesteckt, das mich ausschließlich in Beschlag nahm. Ich wollte die verschiedenen Elemente der französischen Gesellschaft, die römische Welt, die Barbaren, die christliche Kirche, das Feydalwesen, das Papfithum, das Ritterthum, die Gemeinden, den dritten Stand, die Renaissance, die Reformation in ihrer gegenüber laufenden Entwickelung und wechselseitigen Einwirkung ftudiren und darstellen nicht blos zur Befriedigung des wissenschaftlichen und philosophischen Publikums, sondern zu einem doppelten, praktischen und gegenwärtigen Zweck. Ich wollte zeigen, daß die Bestrebungen unserer Zeit, im Staate ein verbürgtes und politisch freies Walten zu gründen, weder neu noch fremd find; daß Frankreich im Verlauf seiner Geschichte, mehr oder weniger bewußt, mehr oder weniger unglück lich, zu wiederholten Malen einen Ansah dazu genommen; daß das Geschlecht von 1789 Recht und Unrecht hatte: Recht, den großartigen Versuch seiner Väter wieder aufzunehmen; Unrecht, daß es sich die Erfindung und die Ehre beilegte und sich für berufen hielt, durch seine bloßen Ideen, durch sein bloßes Wollen, eine nagelneue Welt zu schaffen.

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Was sind das für Namen: Shanklin, Ventner, Chale? Die malerischen Hauptpunkte an der Südecke zwischen Klüften, Wäldern, fteilen Felsen am Meere, Blumen, Schlingpflanzen, Meeresluft und aufathmender Abgeseztheit und Lebensmüdigkeit. In diesen drei Ortschaften und zwischen und auf den Klüften logirten die verschiedenen, hierher geflüchtetën Nationen, alle (wenigstens in Ventner) mit unbehinderter Aussicht auf das weite, ewig lebendige und gesprächige Meer, da der Magistrat nicht duldet, daß Einer dem Anderen, die Aussicht verbaue. So klettern die Häuser hinter einander in die Höhe und sehen sich einander über die Schultern, ohne daß die hinter stehenden auf die Zehen zu treten oder wüthend zu rufen braucher Hut ab! oder haben sich neben einander aufgestellt, um stets dat grandiose Drama des Meeres, wo der Vorhang nie fällt, vor Augen zu haben. Auch des Nachts und im Winter fällt der Vorhang nicht. Man glaubt nicht mehr auf der Erde zu sein, wenn man von der Küste aus auf das vom Monde beleuchtete Atlantische Meer (?) blickt. Wir saßen manchmal halbe Nächte im Felsen-Amphitheater von Ventner und blickten auf das Meer, und sahen und hörten die Fischer singen und fischen und vergaßen, daß wir Russen, Polen, Deutsche, Franzosen, Engländer u. f. w. waren, und fühlten uns ganz kosmopolitisch und dachten, daß Gränzwächter und Zollhäuser, Eingangs-, Ausgangs- und Durchgangszölle auf der Erde eine Fabel sein müssen und der Eine dem Anderen seine Börse zur Disposition stellen werde, wenn der Andere nur so menschenfreundlich sein wolle, diese Gefällig keit anzunehmen. Wir waren Alle eben nur glückliche Menschen, freis lich mit Unterschieden, so daß ich nur die Russen im vollen Genusse aller Seligkeit schwelgen zu sehen und zu hören glaubte. Andere Nationen waren entweder zu still, oder zu künstlerisch begeistert, oder sie fürchteten fich vor Erkältung, oder daß der Braten (Engländer) : Hause anbrennen und das Publik-Haus geschloffen werden könne. Doch Alle waren gerührt, mit Ausnahme des Berliners und seiner hohen Gattin. Diese zeigten sich entschieden kritisch und Leztere äußerte einmal ganz deutlich, daß es ihr zugemischt“ sei.

Es lag mir demnach am Herzen, während ich der Sache der gegenwärtigen Gesellschaft diente, den Sinn der Gerechtigkeit in uns zu erwecken, den Sinn der Gerechtigkeit und der Sympathie für unsere alten Erinnerungen, unsere alten Sitten, für jene alte franzöfische Gesellschaft, die funfzehn Jahrhunderte eines mühevollen und Alle waren glücklich, doch nur die Russen entwickelten wahre Beglorreichen Lebens daran gewendet, uns die reiche Erbschaft der Ci- geisterung und Frische. Dies zog mich unwillkürlich an fie. Ohne Schwievilisation zu hinterlassen. Die Vergessenheit und Nichtachtung ihrer rigkeit macht' ich deren Bekanntschaft und mit einem nie versiegenden Vergangenheit zeugen von tiefer Entsittlichung und großer Erschlaffung Strome von Beredtsamkeit und Poesie rühmten sie ihr Vaterland und einer Nation. Sie kann in einer revolutionairen Krisis aufstehen gegen deffen Zukunft, bald in deutscher, bald in französischer oder auch engliveraltete und ungenügende Einrichtungen, ist aber das Zerstörungswerk scher Sprache. Wenn ihnen aber das Herz zu voll wurde, sprachen vollbracht und sie fährt fort, ihrer Geschichte den Rücken zu kehren sie Russisch mit einander und vergaßen ihre Umgebung. Deshalb und bildet sich ein, mit den hundertjährigen Elementen ihrer Ci-fing ich gleich damit an: Wer doch jezt Russisch verstände! Es klingt vilisation gebrochen zu haben, so gründet sie nicht eine neue Gesellschaft, nein, sie macht den revolutionairen Zustand dauernd. Wenn die Generationen, die das Vaterland auf einen Augenblick befizen, die lächerliche Anmaßung so weit treiben, zu wähnen, daß es ihnen allein gehöre, daß die Vergangenheit Angesichts der Gegenwart der Tod Angesichts des Lebens sei, wenn sie auf diese Weise die Macht der Ueberlieferungen und der Baude, welche die auf einander folgenden Generationen umschlingen, von sich weisen: so verleugnen sie das unterscheidende und höhere Merkmal des Menschengeschlechts, seine Würde und seine große Bestimmung, und die Völker, die in diesen Wahn verfallen, verfallen zugleich der Anarchie und der Demüthigung, denn Gott duldet nicht, daß die Natur und die Geseze seiner Werke bis zu dem Grade ungestraft verkannt und verlegt werden.

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schon viel schöner, kräftiger, onomatopoetischer, als alle anderen Sprachen, die ich kenne (nur dem Homerischen Griechisch erkenne ich noch einen Vorzug zu). Und welche Literatur, welche Poesie, welcher Humor, welches Leben keimt und brauft in dieser Sprache auf! Ein Ruffe überseßte mir mehreres. Er machte mich mit dem neuester Leben und Streben Rußlands und seiner Literatur fo klar und as führlich bekannt und vertraut, daß ich mir vorgenommen, Ihnen Alls was ich mir notirt und gemerkt habe, in einem besonderen Artika zuzustellen.

Leider mußte ich bald wieder in das rauchige, donnernde, brüllende, versoffene, gelddurftige London zurück, aber nicht eher, als bis ich einmal wieder recht aus vollem Herzen und Halse in das Atlantische Meer hineingelacht hatte. Die Fischer bei Chale hatte sechs große, oben gegabelte Pfähle vom Gestade in das Meer hinar gesteckt, und eine mit Fett beschmierte Stange oben drüber geleg An der leßten Gabel hing ein Korb mit einem hübschen fetten Schweit: darin. Sie warteten, bis die Fluth und der Zuschauerraum ringsur voll waren. Jeßt ging der Spaß los. Wer auf der fettbeschmierte: Stange über dem klatschenden Meere bis an die leßte Gabel fam ohne vorher die Balance verloren oder das Meer gewonnen zu haben. dem sollte das Schwein gehören. Die Götter im Olymp könne in ihrer glücklichsten Zeit nicht so unauslöschlich gelacht haben, a wir Sterblichen von allen Enden der Erde, über alle die Arten vo ,,Pech", welches die Kandidaten hatten, indem sie Schwein“ zu be kommen hangten und bangten in schwebender Pein. In der Natu wiederholt sich nie dasselbe; aber es ist unsäglich, unter welchen Tausenden von Gefticulationen, Verrenkungen und Variationen die einfac:

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