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ftrengsten kirchlichen Sinne. Was uns vorliegt, führt den Titel: „Le vite de' santi padri volgarizzate" (Das Leben der heiligen Väter in die Volkssprache überseßt); es ist eine Legendensammlung, durchgängig erbaulichen Charakters, wie sie bis heutigen Tages im Katholizismus für das Volk fortdauernd neu herausgegeben werden. Sie fangen recht eigentlich mit dem Mönchsthume selbst an und dienen zu seiner Verherrlichung. Die ägyptischen Anachoreten und Stifter desselben, St. Paulus, St. Antonius u. s. w., eröffnen den Reigen; St. Hilarion, Johannes der Einsiedler, Apollonius u. f. w. folgen. Um diese Legenden, die ziemlich eintönig gehalten sind, genießbar zu finden, dazu gehört eine gewiffe Einfalt im guten, wie im schlechten Sinne - im guten, weil der Grundton wirklich ein rührender, tief zu Herzen sprechender und moralischer ist im schlechten, — weil dem Verftande denn doch manchmal starke Zumuthungen gemacht werden und die Wunder oft sehr sonderbar aussehen. Der Teufel und die Dämonen spielen eine bedeutende Rolle und treten meist sehr materiell auf.

Fra Domenico Cavalca lebte im vierzehnten Jahrhundert und war aus dem Pisanischen gebürtigt. Nach Einigen stammte er aus der Familie Gaetani, nach Anderen aus der Familie Mosca. In das Kloster des Dominikaner- Predigerordens zu Pisa als Mönch aufgenommen, führte er ein streng exemplarisch- asketisches Leben, indem er in Stadt und Dorf predigte, in den Spitälern mit eigener Hand die Kranken pflegte und tröstete, für die Armen von Thür zu Thür betteln ging und Bücher schrieb oder überseßte, nicht aus Ruhmliebe, sondern zur Ehre Gottes und zum Nußen der Laien, die nicht lateinisch verstanden. Durch seinen glühenden Eifer kam ein Konvent der heiligen Martha in Pisa zu Stande, in welchem er für gefallene und im Laster lebende Weibspersonen eine Zuflucht eröffnete. Er starb im Jahre 1342 und wurde unter ungeheurer Theilnahme des Volkes, das in ihm seinen Vater und Wohlthäter verehrte, zur lezten Ruhestätte begleitet. Er hatte eine große Anzahl von Werkchen geschrieben: Lo Specchio di Croce" (Der Spiegel des Kreuzes), ,, Frutti della lengua" (Die Früchte der Sprache), „Trattato delle trenta stoltizie" (Abhandlung über die dreißig Thorheiten), „, Della mondizia del cuore" (Von der Reinheit des Herzens), „La medicina del cuore",,,Lo Specchio de' peccati" u. f. w.

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Die Italiäner stellen ihn als Klassiker und als Meister der Sprache sehr hoch. Ein ernster, würdiger Geist spricht aus seinen Schriften; er redet zum Verstande nur, um dadurch zum Herzen zu gelangen, das sein eigentliches Ziel ist. Sein Stil ift edel und so einfach, als möglich; nie deklamirt er, nie poltert er, sondern mild und lieblich dringt er in die Seele, um Trost, Erquickung und geistige Erhebung darin zu erwecken. Seine Sprache gilt als sehr rein. Sollen wir aus unserer deutschen Literaturgeschichte an eine ähnliche Erscheinung erinnern, so können dies nur Johann Tauler, Heinrich Suso und jene anderen frommen Mönche sein, die einen so wesentlichen Einfluß auf die Ausbildung unserer philofophischen Sprache geübt haben. Doch mit einigem Unterschiede. Auf etwas muß ich noch aufmerksam machen. Wer die altitaliänische Kunst verstehen will, muß diese Legenden in der Ursprache, in der Sprache Cavalca's lesen. In dieser Welt, in diesen Anschauungen erwuchsen und lebten jene alten Meister von Fiesole, Perugia u. f. w., hier tritt die unnachahmliche Einfalt, welche in jenen Bildern verkörpert ist, fast noch reiner und lauterer zu Tage. Gleich im Anfange stoßen uns zwei Erzählungen auf, die unzählige Mal von den Künstlern behandelt worden sind: die Bestattung des heiligen Paulus durch Antonius, seinen Jünger, bei der ihm zwei Löwen halfen ferner die Versuchung des heiligen Antonius, die erst neuerdings auf einer Kunstausstellung in neuer Auffaffung gemalt zu sehen gewesen ist. — Wer sehen will, wie weit moderne Künstler vom ursprünglichen Sinne sich verirren und beim besten Willen, das Frühere zu überbieten, sich verflachen können, der lese die Legende, wie sie Cavalca erzählt.

Mannigfaltiges.

Dupoifat's Topas-Diamant in Venedig. Wir gedachten kürzlich (Nr. 108) unter der Ueberschrift:,,Ein Topas und kein Diamant", eines in der französischen Akademie der Wissenschaften zur Sprache gekommenen Gutachtens des Herrn Professor Haidinger in Wien über einen angeblichen Diamanten von außerordentlicher Größe, welchen der genannte deutsche Mineralog für einen Topas erklärte. Dieser Stein ist seitdem, ebenso wie sein Besizer, der Franzose Dupoisat, in Venedig, wo er ihn zuletzt zum Verkaufe ausbot, von einem höchst tragischen Geschick betroffen worden. Wir geben nachstehende Erzählung nach dem Feuilleton der trefflich redigirten

,,Triester Zeitung", dieses vorgeschobenen Postens deutschen Geistes und deutscher intelligenter Bestrebungen. Man schreibt diesem Blatte nämlich aus Venedig vom 17. September:,,Die Angelegenheit des Dupoisatschen Steines hat eine unerwartete Lösung gefunden, welche einem Siege der deutschen Gelehrsamkeit über die apodiktischen Urtheile des französischen „Athenäums" gleichkommt. Der Major in portugiesischen Diensten, A. Dupoisat, hatte, gestüßt auf das Urtheil der Prüfungs-Kommission des gedachten Pariser gelehrten Institu tes (?), verschiedene Versuche zum Verkaufe des durch dasselbe als Diamanten qualifizirten Steines ohne Erfolg gemacht. Neue Bemühungen in dieser Richtung führten ihn nach Laibach, wo er mit dem dortigen Geschäftsmanne A. einen Gesellschaftsvertrag einging demzufolge Leßterer für den Verkauf des Diamanten seine thätige Mitwirkung zusagte, und durch, nicht unbedeutende Vorschüffe die nöthigen Operationen einleitete. Der Vertrag seßte fest, daß der Kaufpreis wenigstens 2,500,000 Franken zu betragen habe; von denselben sollten gewiffe Pariser Persönlichkeiten, die für die Sache ein nach. haltigeres Interesse an den Tag gelegt hatten (darunter Profeffor Boillot, Berichterstatter der Prüfungs-Kommission des,,Athenäums", der Pariser Polizei-Kommissär Leduc 2c.) einen Antheil von 8 pCt erhalten; der Major Dupoisat beanspruchte für seinen Theil mindestens 1,600,000 Francs. Diese Hoffnungsträume wurden durch das ver nichtende Urtheil der vom Herrn Sectionsrath Haidinger präsidirte Kommission, welche dem Steine die Eigenschaften des Diamante energisch abstritt und ihn höchstens für einen Topas von gegen 100 f Werth gelten laffen wollte, arg erschüttert. Der Laibacher Betheiligte suchte sich auf möglichst gute Weise aus der zweifelhaften Affaire zu ziehen und trat seine Ansprüche größtentheils an den Ingenieur L. in Udine ab, der vor einigen Tagen mit diesem ,,Kleinode" und dessen Eigenthümer in Venedig eintraf, um es, wozu bei dem hier ziemlich schwunghaft betriebenen Juwelenhandel einige Aussicht vorhanden war, an den Mann zu bringen und dem Urtheile der Sachverständigen zur Prüfung vorzulegen. Man wandte sich zuerst an den Juwelier R., der sich bereit erklärte, den Stein, falls er sich als echt ausweise, im Vereine mit einer Gesellschaft käuflich zu erwerben. Allein sein scharfes Auge entdeckte rasch, daß er es mit keinem Diamanten zu thun habe, da er sich vom Corindone rigen ließ. Unter solchen Umständen blieb nur die Probe des sogenannten,,Diamantenrades" übrig, um die Identität des Kleinodes" festzustellen. Am 13. d. M. wurde sie in Gegenwart mehrerer Zeugen vorgenommen. Da die Maschine nicht zur Aufnahme eines so großen Steines eingerichtet war, so mußten an ihr die nöthigen Vorkehrungen & troffen werden. Der Stein wurde glühend gemacht und der Pre ausgefeßt, die leider die Hoffnungen seines Besizers auf eine grausame Weise vernichtete, denn unter dem ungeheuren Drucke sprang der Stein in ein größeres und ein kleineres Stück; ersteres zeigt überdies eine Spiegelflächenbildung, welche wir an einem mit einem harten Körper gestoßenen Stückchen Eise beobachten, mit Einem Worte er zersplitterte an der dem Preffen ausgeseßten Seite. Dupoisat, der den Stein in den Händen eines der Betheiligten zurückgelaffen hatte, verfügte sich in sein Hotel, entfernte fich aber aus demselben, unter dem Vorwande, frische Luft schöpfen zu wollen. In seiner Verzweiflung stürzte er sich gegen 11 Uhr deffelben Abends von der Riva degli Schiavoni in die dort tiefe Lagune. Stock und Hut hatte er am Ufer zurückgelassen; unter diesem fand man einen Brief an L., in welchem er erklärte, daß er die grausame Enttäuschung nicht überleben wolle. Allein im Rathe des Schicksals war es anders beschlossen; einigen entschloffenen Männern gelang die Rettung des mit dem Tode Ringenden, der sofort in's Spital gebracht wurde, f er sich vollständig erholte. Seine Baarschaft bestand aus nicht zr Zwanzigern, und seine Bagage enthielt kaum das Nothwendigste. T Diamant endlich hat sich in einen einfachen Bergkrystall verwandel der einen Werth von wenigen Zwanzigern repräsentirt. Da Dr poisat sich im Spitale in Haft befindet, so dürfte man daraus de: Schluß ziehen, daß die weitere Verfolgung der Angelegenheit in die Hände der Justiz übergegangen ist.“

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Das mit dieser Nummer zu Ende gehende Abonnement wird Denjenigen in Erinnerung gebracht, die im regelmäßiges Empfange dieser Blätter keine Unterbrechung erleiden wollen.

Böchentlich erscheinen 3 Nummern. Preis jährlich 3 Thlr. 10 gr., hal bjährlich 1 Iblr. 20 Sgt. und vierteljährlich" 25 Sgr., wofür das Blatt im Inlande portofrei und in Berlin frei ins Haus geliefert wird.

No 118.

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Literatur des Auslandes.

Berlin, Sonnabend den 2. Oktober.

Das Duell, als Beitrag zur Kulturgeschichte. Je mehr das Duell mit der gesunden Vernunft und dem Gesez des tugendhaften Lebens in Widerspruch steht, desto weniger befremdet der Gegensaß, welchen dasselbe in der schriftstellerischen Welt gefunden. Dieser Gegensah taucht auch auf in der Schrift, welche von dem Oberlehrer der Breslauer Realschule, Herrn Ludwig Müller, unter folgendem Titel zu Breslau im Jahre 1858 veröffentlicht ist: „Das Duell im Lichte christlich-germanischer Bildung, eine Schmach des neunzehnten Jahrhunderts 2c." Diese literarische Erscheinung hat allerdings nicht den Stempel einer bedeutenden Selbständigkeit des Gedankens. Es werden vielmehr, wie schon der Titel andeutet,,,aus den Schriften älterer und neuerer Gegner des Zweikampfes" nicht wenige Beläge mitgetheilt für die Ansicht des Verfassers,,,das Duell sei und bleibe einmal ein arger Schimpf und böser Schandfleck unseres Jahrhunderts, vom Standpunkt unserer Bildung aus betrachtet, im christlich-germanischen Staate") (S. 41). Ferner bedient sich Müller, indem er die Unhaltbarkeit der Ehrenrettung durch rohe Waffengewalt nach den Begriffen unserer Zeit“ darzuthun sucht (vgl. S. V), gern starker Ausdrücke, welche nicht geeignet sein dürften, diejenigen Corporationen, in welchen die Ehrenrettung durch rohe Waffengewalt angestrebt wird, für die Müllersche Ansicht, es sei diese Ehrenrettung unhaltbar, zu gewinnen.) So sagt der Verfaffer (S. 47), indem er die,,Studenten- Duelle" bespricht: Hielte doch jeder junge Schlagetodt und Bramarbas seine Fakultätsstudien vor Augen; er würde erschrecken, in welchem Kontrast diese zu seinem falschen Ehrgefühl stehen." Inzwischen offenbart sich in der Müllerschen Schrift eine männliche Gesinnungstüchtigkeit, welche im Allgemeinen das schöne Gepräge christlicher Menschenliebe und sittlicher Erbitterung gegen eine beklagenswerthe Verirrung der Gegenwart hat. Und gar manche Momente, gegen diese Verirrung, d. h. eben gegen das Duell, von Müller vorgetragen, sind bei ihrer großen Vortrefflichkeit würdig, von solchen Ständen, in welchen dasselbe vollzogen zu werden pflegt, auf eine Weise berücksichtigt zu werden, welche die allmähliche Ausrottung des Duells zur erfreulichen Folge hätte. Diese Lichtseite der Schrift wird für mich ein Anlaß, fie öffentlich zu besprechen und so dahin zu wirken, daß sie in weiteren Kreisen bekannt wird.

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Abgesehen von dem Vorworte, worin der Verfaffer über Veranlassung und Absicht der Schrift freimüthig sich ausspricht, enthält dieselbe vier Abschnitte. Der erste (S. 8 ff.) hat den Titel: "Zur Geschichte des Duells und feiner Straf-Gefeßgebung". Der Titel ist sehr paffend; denn eine eigentliche Geschichte beider Erscheinungen, deren Gepräge ein pragmatisches ist, bietet sich hier nicht dar. Der Abschnitt liefert sehr anziehende Notizen, betreffend den Ursprung und den Entwickelungsgang, so des Duells, wie der Straf-Gesezgebung, die daffelbe zum Gegenstande hat. Herr Müller zeigt insbesondere, wie es mit der gegenwärtigen Gefeßgebung in Deutschland, bezüglich der Strafen, welche das Duell treffen, gewaltig kraus und bunt aussehe, und zwar so unsicher, daß hier eine Einigung der verschiedenen deutschen Groß- und Kleinftaaten unumgänglich nothwendig erscheine" (S. 14).

Der zweite Abschnitt (S. 17 ff.) schließt, die Würdigung des Zweikampfes nach verschiedenen Gesichtspunkten in sich."

Die Kritik muß gegen einzelne Behauptungen dieses Abschnittes Widerspruch erheben, z. B. gegen die (S. 23):,,Den einzig richtigen und praktischen Gesichtspunkt, von dem aus es (d. h. das Duell) rechtlich gewürdigt werden kann, gewährt uns die Betrachtung seines

*) Müller benußt vorzugsweise die Publicationen des Dr. F. Meyer, des Prof. V.......i, des Dr. Volkmann, vergl. S. III ff., S. 43 ff. Der Erste hat eine Schrift: Der Zweikampf", der Zweite hat,,Gespräche und Briefe über die Ehre und das Duell", der Dritte eine,, Feftrede" heraus gegeben, welche fich als Beitrag zur moralischen Würdigung des Zweikampfes darstellt.

**) Doch will Herr Oberlehrer Müller nicht die Ehrenhaftigkeit dieser Corporationen antasten oder verunglimpfen (S. V).

1858.

möglichen oder wirklichen Erfolges. Mit oder ohne Absicht, jedenfalls möglich ist die Vernichtung des Gegners, die durch Affekte des Rachegefühls und den Trieb der Selbsterhaltung, wie durch Gebrauch` tödtlicher Waffen, besonders des Stoßdegens, oder auch durch unglückliche Zufälligkeiten und Fehler der Waffenführung zur Wahrscheinlichkeit werden kann. Mag man daher immer sagen: Volenti non fit injuria, so ist das blutige Waffenspiel als freigewollt und selbst begonnen auch strafbar." Auch folgende Betrachtung gewährt uns ja einen richtigen und praktischen Gesichtspunkt, von dem aus das Duell rechtlich gewürdigt werden kann. Das Duell ist strafbar, weil daffelbe, indem es die Wiederherstellung der verlegten Ehre durch die rohen Waffen anstrebt, das Gesez des Staates verhöhnt, welchem zufolge diese Wiederherstellung durch die Obrigkeit vermittelt werden soll. Wer diesen Gesichtspunkt, von welchem aus das Duell rechtlich gewürdigt werden kann, für einen falschen und unpraktischen erklärt, geht willkürlich zu Werke. Inzwischen kann die Kritik Herrn Müller nur beistimmen, wenn derselbe am Schluß des zweiten Abschnittes sich so ausläßt:,,Je mehr wahre christliche Gesittung, welche die Feindesliebe als die höchste Blüthe aller Pflichtenlehre und den Grundsaß anerkennt, lieber doppelt Unrecht leiden, als es einmal zu thun; je mehr die wahre Humanität, wie wir sie aus den Alten schöpfen, die Geister durchdringt, desto mehr wird auch die rohe Waffenluft und falsche Ehrliebe jenen Tugenden das Feld räumen; alle Gebildeten und Vernünftigen werden sich zusammenschaaren und es sich zum obersten Grundsaß machen, jeden bedeutsamen Zwiespalt mit der Gründe Schärfe und des ehrlichen Wortes Waffen, die allein dem Menschen und zumeist dem Christen ziemen, lieber durchzufechten, als mit dem Degen in der Fauft." In der That dürfte schwerlich ein „bedeutsamer Zwiespalt" unter Menschen vorhanden sein, welcher nicht,,mit der Gründe Schärfe und des ehrlichen Wortes Waffen" sich durchfechten ließe (vgl. S. 36).

Der dritte Abschnitt (S. 38 ff.) liefert,,kurzgefaßte Vorschläge zur Verminderung der Duellmanie." Mancher Vorschlag des Verfaffers scheint an großer Härte zu leiden, z. B. folgender:,,Was bezüglich des Duells als Grundsaß aufgestellt worden, muß unter allen Umständen mit der unerbittlichsten Strenge und der konsequentesten Rücksichtslosigkeit durchgeführt werden.“ Der Vorschlag zeugt nicht von christlich-germanischem Geist. Wo dieser Geist eine Macht ist, da wird, was bezüglich des Duells als Gefeß aufgestellt worden, mit einer Gerechtigkeit, welche durch Menschenliebe gemäßigt ist, und mit einer Weisheit durchgeführt werden, welche den eigenthümlichen Umständen, unter welchen das Duell vollbracht worden, Rechnung trägt. Daß Herr Oberlehrer Müller jenen Vorschlag macht, überrascht umsomehr, als er, wie er (S. 40) bemerkt,,,aus der Betrachtung der Vergangenheit gelernt, daß es kaum möglich sein dürfte, so eingewurzelte Vorurtheile und durch das Alter geheiligte Mißbräuche, wie er sie bekämpft, durch die allerstrengste Gesezgebung mit einem Schlage zu bannen." Andere Maßregeln, von dem Verfaffer empfohlen, verdienen es dagegen vermöge ihrer Beschaffenheit, von der Gegenwart beachtet zu werden. So die folgenden: „Der Staat unterstüße auf jede mögliche Weise die Bildung von Antiduell-Vereinen, zumal im Offizier-Corps und bei der Studentenschaft, deren Mitglieder es sich zur Aufgabe stellen, nicht nur selbst keine Satisfaction mit den Waffen zu geben, sondern auch durch Wort und Schrift für ihre Ueberzeugung auf Andere zu wirken. Vor allen Dingen müßten die hochwürdigen Freimaurerlogen, die ja das Prinzip allgemeiner Humani tät und christlicher Ehre im Auge haben, es in die Hand nehmen, mit ihren Mitteln in engen und weiteren Kreisen dieser Barbarei zu steuern" (S. 40).

Der vierte Abschnitt (S. 42 ff.) enthält,,Aphorismen über Studenten-Duelle"; doch ist die Nothwendigkeit des vierten Abschnittes nicht wohl abzusehen. Was der Verfaffer über Studenten-Duelle zum Theil im Auszuge aus anderen Schriften Gutes sagt, hätte in den beiden ersten Abschnitten recht wohl gesagt werden können. So ließen sich die von dem wackeren Müller mitgetheilten,,,historischen und

psychologischen Gründe für Entwickelung und Einführung eines so verwerflichen Brauches bei wissenschaftlicher Corporationen und an Staats-Instituten, wo das Duell ganz und gar nicht hingehört", (S. 42) im ersten Abschnitt mittheilen. Indeß bietet der vierte ein zelne schöne Ideen dar, die dem Dr. Meyer, aus dessen Feder sie ursprünglich geflossen sind, zur Ehre gereichen. So lieft man (S. 49 ff.): ,,Die Reform eingewurzelter Gewohnheiten und Sitten, die vollständige Läuterung zum dauerhaften Frieden aus der Kampfesluft heraus, muß von Innen kommen. Begriff und Willen, zwischen beiden das Gewiffen als untrüglicher Leitstern: das sind die Seelen- und Geistes kräfte welche das Morgenroth des schönen Versöhnungsfestes uns bringen müssen." Es würde ein goldener, klarer Morgen sein, und glücklich Alle, die ihn schauten! Breslau.

England.

Wilhelm Böhmer.

Ein englisches Gymnasium. (Fortsegung.)

Noch ein Beispiel. Tom Brown mit einigen Mitschülern kehren eines Tages von einem botanisirenden Ausflug aufs Land heim. Ein altes Perlhuhn läuft ihnen in den Weg und sie belustigen sich damit, es zu jagen. Es gehörte einem Pächter in der Nachbarschaft und auf sein Geschrei kommt er mit seinen Knechten herbei und faffen die Verfolger: man habe schon mehr als einmal seinen Hühnerhof und seinen Garten verwüstet, gewiß seien sie die Frevler, und er wolle endlich sein Recht haben. Er schicke sich an, sie vor den Doktor zu führen. Die Kinder zittern vor der drohenden Geißelstrafe. In diesem In diesem Augenblicke kommen glücklicherweise zwei Schüler der Serta auf den Schauplah, und eine Scene entwickelt sich, in der unser Verfasser die Art der Polizei, des Schußes und des moralischen Ansehens der höheren Klassen über ihre jüngeren Mitschüler mit lebensfrischen Farben darstellt.

,,Holla!" ruft Holmes, entschlossen, für die Kinder einzuschreiten, bis ihre Strafbarkeit erwiesen ist,,,was giebts hier?"

,,Was es giebt?"- entgegnete der Pächter außer Athem — ,,ich habe endlich diese junge Brut auf der That ertappt. Da schleichen fie in meinen Hof und stehlen mir mein Federvieh. Und wenn ich sie nicht dafür ausgepeitscht sehe, will ich nicht Thompson heißen."

Holmes wird ernst und Diggs sieht verlegen drein. Wohl sind fie in der Stimmung, die Fäuste spielen zu lassen; tein Sertaner in der Schule ist rascher zur That, als sie; allein fie find praeposters, kennen ihre Pflicht und wissen, daß sie für eine schlechte Sache nicht auftreten dürfen.

,,Schon über ein halbes Jahr bin ich der alten Kothe nicht nahe gekommen," versicherte East. „Auch ich nicht, auch ich nicht", riefen Tom und Martin im Chor.

,,Wirklich? Nun Willum (wandte sich Thompson zu seinem Knechte) sprich du: hast du sie nicht die lezte Woche gesehen?"

,,Gewiß und wahrhaftig", sagte Willum, indem er nach einer Heugabel griff und sich zum Kampfe fertig machte.

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,,Mir ganz gleich", schrie der Pächter. „Ich habe sie heute dabei ergriffen, wie sie das Huhn verfolgten, und damit genug. Willum, halt mir den anderen Buben fest. Sie sind hier seit zwei Stunden herumgeschlichen, sag ich dir, sie haben mir über ein halbes Dußend Hühner todtgeschlagen."

,,, über das Lügenmaul!" sagte East,,,wir waren über hun dert Schritte von seinem Hause; wir waren kaum zehn Minuten hier und haben nur die alte Schindmähre von Perlhuhn gesehen, das wie ein Windhund rannte."

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,,Das ist Wort für Wort wahr, Holmes, auf Ehre!" sagte Tom. Wir haben das Geflügel nicht verfolgt, das Perlhuhn ist aus einer Hecke gekommen und uns unter den Beinen weggelaufen, nicht eine Feder sonst sahen wir.“

,,Genug geschwaßt. Willum! packe den Anderen und Marsch fort." ,,Pächter Thompson", sagte Holmes, indem er mit seinem Rohr Willum's Heugabel parirte, während Diggs den anderen Schäfer in Schach hielt, indem er seine Finger wie einen Pistolenhahn knacken ließ, Pächter Thompson, nehmen Sie Vernunft an; die Knaben ha ben Ihr Federvieh nicht verfolgt, das ist klar."

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„Ich hab es gesehen, sag ich dir. Ei, wer bist denn du? das

„Das thut nichts zur Sache, Pächter. Und nun will ich Ihnen sagen, was ich meinerseits davon denke. Sie müßten sich schämen, Ihr Federvieh unbewacht zu lassen und wohnen doch so nah an der Schule. Sie verdienten, daß man es Ihnen ganz stiehlt. Woller Sie Alle zum Doktor gehen, gut, ich gehe mit und werde ihm sagen. was ich davon denke."

Der Pächter kam nun auf die Vermuthung, Holmes sei ein Lehrer; überdies mußte er an seine Arbeit gehen. An eine körper liche Züchtigung war nicht zu denken, das Spiel lag zu ungleich. Er zog daher gelindere Saiten auf und sprach von Schadloshaltung in Gelde. Arthur griff begierig nach diesem Rettungsanker und erbot sich, Alles zu bezahlen; das ermuthigte dann den Pächter, den Ehr den an seinem Perlhuhn auf einen halben Sovereign anzuschlagen.

,,Einen halben Sovereign" - rief East, jest aus den Kralle des Pächters erlöst — „nun, das muß ich sagen! Das alte Huhn ha nicht eine Feder verloren, hat wenigstens sieben Jahre auf der Rücken, ist zäh wie Leder und nicht im Stande, das kleinste Ei zu legen."

Man verständigte sich endlich, zwei Shilling dem Pächter und Einen Shilling dem Knecht zu zahlen, und so endigte die Sache zu großer Herzens-Erleichterung Tom's, der kein Wort hatte hervor bringen können, aus Angst, was der Doktor von ihm denken würde. Die Knaben traten nun den Weg nach Rugby an. Holmes, eine der besten Burschen in der Schule, ergriff die Gelegenheit, ihnen ein Vorlesung zu halten.

"Junge Leute", sagte er,,,Ihr seid nun außer Gefahr. Streicht mir nun nicht mehr um Thompson's Hühnerhof herum! Habt ihr verstanden?" Alle Schüler, namentlich East, gaben ihr Wort mit einer Fluth von Betheuerungen.

,,Hört", fuhr der Mentor fort,,,ich lege euch keine Fragen vor, ich denke aber, so Mancher unter euch hat mehr denn einmal mit sei nem Hühnerstall Bekanntschaft gesucht. Wisset nun, daß frems Federvieh tödten und wegtragen stehlen heißt: ein garstiges, aber tas richtige Wort für eine solche That. Lägen die Hühner, geschlachtet, in einem Fleischladen aus, ihr würdet, ich weiß es, sie nicht anrühren, ebenso wenig, wie Ihr der Griffith, der Hökerin, Aepfel aus dem Korbe nehmen würdet; es ist aber kein wesentlicher Unterschied zwischen Hühnern, die auf dem Felde umherlaufen, oder Aepfeln, die am Baume hangen und denselben Dingen, wenn sie in einem Laden zum Verkaufe liegen. Ich wünschte, daß euere Grundsäge über diesen Funkt etwas fester wären. Nichts ist so schändlich, wie jene Unterscheidunge die in unseren Augen Handlungen rechtfertigen, für die arme Ter in's Gefängniß wandern müssen."

So sprach der wackere Holmes auf dem Wege nach der Schr und brachte sie mehr oder weniger zum Nachdenken, ja auf einige Stunden zur Neue; aber zur Steuer der Wahrheit sei es gefag: kaum nach einer Woche hatte East die guten Rathschläge vergesser und nur der erlittene Schimpf vom Pächter Thompson war ihm in Gedächtniß geblieben. Um dafür Nache zu nehmen, machte er sic einige Zeit nachher mit der Kaulquappe und einigen anderen Tolköpfen auf und zogen nach dem Hühnerstall, um zu plündern; allein, von den Pächterjungen ergriffen, wurden sie weidlich durchgebläut und um acht Shillinge, ihr Gesammtvermögen, gebüßt, damit man sie nur nicht beim Doktor verklage.

Ein anderer merkwürdiger und richtiger Punkt in den Sitten der englischen Schulen ist das fagging) system. Die Alten sind ein natürlicher Beschüßer der Kleinen, sie müssen bei eigener Vertretung über deren Aufführung wachen, sie leiten, ihnen rathen, bei ihre/ Arbeiten helfen. Dafür sind die Jüngeren ihren Mentoren dien pflichtig, ihre fags (Packesel), in dem Schuljargon, oder im gewöh lichen Sinne, ihre grooms (Burschen). Diese Dienstbarkeit hat durd aus nichts Verknechtendes und Herabwürdigendes und die Kindesnatu rechtfertigt diesen Brauch, der auf den ersten Blick abstoßend erscheint Kinder gehorchen gern älteren Kindern, fie fühlen sich durch diesen Gehorsam größer und wichtiger. Die Kleinen können es nämlich nich: erwarten, so groß zu sein, wie die älteren; mit Beihülfe der Ein bildungskraft verschafft ihnen der Gehorsam die täuschende Verwir lichung dieses Wunsches. Sich in die Angelegenheiten eines ält ren Mitschülers mischen, in seine Studierstube kommen, seine Büche besehen, dünkt ihn, dasselbe Leben führen, dieselben Gedanken the len. Ueberdies ist es gut, daß, wenn man einft befehlen will, geber. fam Ierne; das ist die beste Schule der Gleichheit. Es ist gut, das die Kinder früh erkennen, das Leben sei ein Wechsel von Gehorder und Befehlen, die Welt bestehe nicht aus einem Theil Robinsen? hüben und einem Theil Freitag's drüben, sondern derselbe Menit sei, nach Zeit und Umständen, abwechselnd Robinson und Freitag. D fags werden praeposters werden, und dieselben Dienste verlangen,

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fie geleistet haben. Der Dienst des fag ist nicht sehr mühsam: er holt des Morgen etwas Wasser nach, wenn der Vorrath zum Waschen nicht ausreicht; er bringt das Abendbrod, pußt die Leuchter, bringt das Pult in Ordnung, führt die aufgetragenen Bestellungen aus. Dieser Obliegenheit kann sich kein Schüler entziehen.

Früher hatte die Serta allein das Recht, das fagging service zu fordern; aber in Rugby wie sonstwo kann die Freiheit die Ungebundenheit erzeugen und bald zur Anarchie, bald zum Despotismus führen. Die Quinta ließ sichs beikommen, dieselben Rechte anzusprechen. Warum soll sie nicht auch ihre fags und warum die Sexta vor ihr etwas voraus haben? An Jahren und Stärke stehe sie ihr kaum nach; das Leztere könnten sie erforderlichen Falles beweisen. Hatten die Quintaner auch nicht das Recht, so hatten sie doch die Gewalt. Von dem brutalen Flashman angeleitet, erzwangen fie die Dienste ihrer jüngeren Mitschüler. Tom, nichts weniger als geduldig, ertrug diese Knechtung mit knirschenden Zähnen und Empörungspläne finnend. Da eine Klage bei den Lehrern verpönt ist, so gab es in der That kein anderes Mittel, das Joch abzuwerfen, als eine Empörung. Tom theilte seinem Stubenburschen Harry East, einem entschlossenen, gefügigen und verschlagenen Knaben, den Plan mit. East suchte ihn davon abzubringen, indem er ihm alle Gefahren des Unternehmens vorstellte. Man mußte einen allgemeinen Bund schließen; wird man damit zu Stande kommen? Es gäbe vielleicht nur ein einziges Auskunftsmittel, sich diese ungeseßliche Tyrannei vom Halfe zu schaffen, und das hätte er selber, East, ergriffen: er verrichtete seinen Dienst auf eine Art, um ihn seinem Tyrannen zu verleiden. Er vergaß die Leuchter zu puhen, ließ die Seifenreste auf dem Fußboden liegen, schüttelte die Teppiche nicht aus, kehrte die Studierstube nur zur Hälfte; da aber der Dienst dem Anschein nach verrichtet wurde, wußte es der Tyrann niemals genau, ob er seine Sklavenpflichten erfüllt habe oder nicht. Mehrere Mal hatte ihm sein Peiniger Schlingen gelegt; allein East, schlau wie ein Ulysses, kam immer dahinter. Einmal hatte er kleine Papierschnigel unter die Pultdecke verborgen; fanden sie sich am anderen Morgen unter die Decke wieder, so war East auf Nachlässigkeit und Insubordination frisch ertappt und mußte einer derben Züchtigung gewärtig sein. Hören wir den Erfolg, wie ihn der Tyrann selbst erzählte:

Am anderen Morgen, nach dem Frühstück, gehe ich in mein Zimmer, hebe die Decke auf, und hui, fliegen die Papierschnigel in der Stube umher. Ich war wüthend. Ah, nun habe ich dich endlich, dachte ich. Ich ließ ihn rufen und legte meinen Stock zurecht. Er tritt herein, die Hände in den Taschen, als wenn nichts vorgefallen wäre. Habe ich dir nicht gesagt, alle Morgen meine Decken auszuschütteln? Ja wohl. Und du hast es natürlich diesen Morgen gethan? Ja wohl. Oh, du kleiner Lügner! Ich habe gestern Abend diese Papierstreifen auf den Tisch gelegt; hättest du nun die Decke abgenommen, so mußtest du sie bemerken. Dafür sollst du nun eine tüchtige Tracht bekommen. Und was sagte mein Schlingel dazu? Die Hand zog er ruhig aus der Tasche, bückte sich, hob zwei Papierstreifen auf und überreichte sie mir. Mit großen Buchstaben stand darauf: Harry East. Er hatte meine Falle entdeckt, die Papier schnigel weggenommen und dafür andere, mit seinem Namen hingelegt. Ich hatte große Lust, ihn für seine Unverschämtheit mein Rohr fühlen zu lassen; doch unterließ ich es; denn eigentlich hat man kein Recht, Jemanden Fallen zu legen, und ich war im Unrecht.“

Indeß sagte die geduldige Lift dem heftigen Temperament Tom's nicht zu: „Ich dulde diese Tyrannei nicht länger!" rief er, und ging sofort ans Werk. Die Stimme des rohen Flashman erschallt im Gange. Die beiden Knaben verbarrikadiren sich in ihrer Arbeitsstube und hielten eine regelmäßige Belagerung aus. Am Morgen darauf beriefen fie die ganze Quarta, aber es ging bei der Versammlung, wie bei der Berathschlagung der Natten. Man kommt zu keinem Entschluß und ist nah daran, den Schuß der Sexta anzurufen. „Thut 1: das nicht", ließ sich auf einmal ein Knabe vernehmen, der als bloßer a Zuschauer der Versammlung beiwohnte,,,haltet ganz allein Stand; sie werden schnell genug müde werden. Ich selbst habe es früher mit ihren Vorgängern versucht. Wir revoltirten und sie ließen uns endlich in Ruhe." Der Rath wurde mit allgemeinem Beifall angenommen. Ach, die Kinder gleichen darin den Männern! Eine Zeit lang widerstanden sie kräftig: man hörte von nichts, als von Schlach ten, Belagerungen, zerschlagenen und überschwemmten Betten. Allmählich aber erlosch das schöne Feuer. Flashman und Genoffen schlugen die Liga truppweise; Einer nach dem Anderen ergab sich und nur Tom, East und die Kaulquappe blieben auf dem Kampfplag., Aber da lernten die drei Helden kennen, was alle wackere Herzen zu dulden haben. Während sie sich tapfer schlugen, wurden fie von ihren undankbaren Kameraden, die den Muth verloren hatten, angeschwärzt, und man hörte sie unter sich murren:,,Wozu die unnüßen Schläge reien? Immer beffer, der Quinta die Leuchter zu pugen und die Decken auszuklopfen, als sich fortwährend mit Füßen stoßen zu lassen.“

Zuviel Tugend erweckt Neid, ist eine Erfahrung, die alle Helden gemacht haben. Indeß blieben Tom und seine beiden Genossen standhaft, und eine tüchtige Schlägerei, die den brutalen Flashman für immer von seiner despotischen Laune heilte, machte der Tyrannei ein Ende.

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Bei einer solchen Erziehung entwickelt sich der Charakter der Kinder rasch und läßt leicht errathen, was der künftige Mann sein wird. Unsere Erzählung bietet eine ganze Sammlung Originale: den tapferen Tom, feurig, zum Widerstand gerüstet wie Achilles pfiffigen East, schlau wie der Laertide die gutmüthige Kaulquappe, ein zuverlässiger Kamerad, ein besserer Soldat als General, der sich nie an die Spige stellt, aber ergeben und treu folgt wie Achates den brutalen Flashman, der unverschämt die fremde Schwäche ausbeutet, wie Thersites. Zwei Schüler jedoch übertreffen Alle an Originalität: Diggs, einer der besten in Quinta, der der Quarta jenen Rath zum Widerstande gegeben hatte. Seine Gewohnheiten und sein lüderlicher Anzug hatten ihm den Spottnamen Schmugfink zugezogen. Seine Hosen waren zu kurz, seine Jacken stets zu eng, seine Schuhe nie sauber. Er hatte ein eigenes Talent, seine Kleider zu zerreißen und zu besudeln, aber ein noch größeres, seine Finanzen in Unordnung zu bringen. Sowie er Geld in die Hände bekam — und er erhielt soviel, wie die Anderen wurde er es los, man wußte nicht wie. Dann borgte er auf allen Seiten und wenn die Schulden sich gehäuft hatten und die Gläubiger zu dringend wurden, veranstaltete er einen Ausverkauf seiner ganzen Habe. Alles kam dann unter den Hammer: Leuchter, Pult, Tisch, Bücher, Papier. Arm wie Hiob, streifte er von Zimmer zu Zimmer, schrieb seine Auffäge auf Papierstreifen, die er aus dem Kehricht aufraffte und lernte seine Lectionen aus fremden Büchern über die Schultern seiner Kameraden weg. Uebrigens ein guter Kopf, eine schlagfertige Zunge, die alle Spötter und Wigreißer zügellos machte. Er war fleißig, lebte für sich, trug seine Dürftigkeit mit Stolz und kümmerte sich wenig um die öffentliche Meinung. Er faßte Zuneigung für East und Tom, die, aus Dankbarkeit für seine guten Rathschläge, bei Gelegenheit eines seiner häufigen Konkurse, sein Mobiliar erstanden und es ihm freigebig zurückstellten. Aber welch ein Mobiliar! Mapfen ohne Schloß, Schlösser ohne Schlüffel, eine verkümmerte Nattenfalle, ein Rost ohne Griff. „Ihr seid ein paar gutherzige Knaben, ihr Beiden", sagte der gerührte Diggs,,,mein Herz hing an dieser Mappe, ich hatte sie von meiner Schwester; ich werde es euch nicht vergessen!" Und er vergaß es nicht; er half ihnen redlich, die Tyrannei Flashman's los zu werden.

Eine nicht weniger wunderliche Persönlichkeit ist Martin, der wegen seiner naturwissenschaftlichen Schrullen den Beinamen Madman (der Verrückte) erhalten hatte. Er lebte abgeschlossen in seiner Studierstube, wie Roger Bacon in seiner Mönchszelle. Seine Kameraden besuchten ihn nicht, denn sie konnten nicht wissen, auf welches Ungeheuer sie hier stoßen würden. Auf funfzehn Schritte roch man schon die widerlichen chemischen Mischungen. Trat ein Unbesonnener in diese Höhle, empfing ihn das Gekreisch einer alten Elster, die ihn. mit Schimpfnamen überschüttete, spürte er eine Schlange, die sich ihm vertraulich um das Bein wand, während ihn aus einer zerbrochenen Schale ein Frosch mit seinen unbeweglichen Augen anstierte. Das Pult lag voll Ratten und Igel. Die Klassiker waren nicht zahlreich vertreten, dafür standen die Tische voll Flaschen, chemische Präparate, Elektrifirmaschinen, die er selbst verfertigt hatte. Das Mobiliar war dürftig; denn Martin verwendete sein ganzes Geld auf Vögel, Eier, Nester und andere naturgeschichtliche Artikel. Um das Licht zu sparen, zündete er einen Hanfdocht, mit einer übelriechenden Composition getränkt, an; seine schriftlichen Aufgaben schmierte er beim Feuer in dem Konferenzsaal. Die Klagen Andromache's, die Schmerzen Hekuba's, die Liebeswuth Dido's ließen ihn theilnahmlos; dafür kannte er alle Geheimnisse der Moräfte und Wälder. Er wußte prächtig, wo der Sperber horftet, auf welcher Fichte die Wannenweihe hauset, an welchem Teich der Auerhahn nistet. Die Zahl der Eier und der Jungen wußte er aufs Haar. Er hatte gehört, daß das British Museum eine Belohnung von 100 Pfund Sterling für das unverlegte Neft eines Eisvogels ausgesezt habe, und Martin sann über die Mittel nach, diese Prämie zu gewinnen und berechnete schon, wie viel naturgeschichtliche Artikel man für diese ungeheure Summe kaufen kann. Keiner störte ihn in seinen Untersuchungen, selbst nicht der Doktor Arnold. Einmal wollte dieser in die unheimliche Höhle dringen, wäre aber fast von Uebelgeruch erstickt oder um ein Haar von einer durch eine unvorsichtige chemische Mischung erfolgten Explosion getödtet worden. Mit dieser wissenschaftlichen Leidenschaft verband Martin eine ziemlich harmlose Grille: er hatte sich wie ein Wilder tätowirt und war ganz stolz auf die schönen Schnörkel, die sich auf seinen Gliedern zeigten. Er ruhete nicht, bis er einem vertrauten Mitschüler, einem schwächlichen, zarten Knaben, einen Anker in den Arm gestochen hatte. (Schluß folgt.)

Frankreich.

Die französische Rednerbühne, nach Villemain.*)

Chateaubriand.

Wir wollen über dieses neueste Werk des Akademikers Villemain einen französischen Kritiker (in der Revue de l'instruction publique), Herrn J. E. Alaur, hören. Der Rezensent vermist mit Recht an der Darstellung Villemain's die Rücksicht auf den Dichter Chateaubriand. Villemain schildert Chateaubriand's Wirksamkeit als Staatsmann, als Publizist, als Redner; aber", sagt Herr Alaux,,,mag fich auch Chateaubriand selbst in seinen „Mémoires d'outre-tombe" mit dem Farbenglanze und der Gluth, die ihm die Eigenliebe eingab, für einen großen Politiker, für einen der Regierung des Königreichs nothwendigen Minister halten; er ist in unseren Augen etwas Anderes, weniger als dies und mehr als dies: er ist Dichter! Wer denkt noch bei dem Namen Chateaubriand an den Minister? Aber welcher Minister hat jemals einen Namen hinterlassen, der mit dem seinigen zu vergleichen wäre? Er hat eine wichtige Rolle gespielt; aber ist es nicht hauptfächlich der Ruhm des Dichters, welcher der Rolle des Staatsmannes, des Publizisten, des Redners die Wichtigkeit gegeben hat?

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,,Wir würden es gern gesehen haben, wenn Herr Villemain ebenso von „René", von „Atala", vom „, Génie de christianisme", von den „Martyrs" gesprochen hätte, als von „Buonaparte et les Bourbons", von „La Monarchie selon la charte", von,, Le Congrès de Vérone". Der Autor der „,Monarchie selon la charte", wie ihn der alte Chef des Kabinets des Herrn Decazes nennt, ist doch immer noch bekannter unter dem Namen des Autors des Génie du christianisme" und der „Martyrs". Eine dieser lezten Schriften, die berühmte Brochüre Buonaparte et les Bourbons", von der Ludwig XVIII. fagte, daß sie für seine Sache mehr gethan habe, als eine ganze Armee, erinnert uns, daß Chateaubriand weit milder gegen den Ruhm Bonaparte's wurde, nachdem er von dem Gefangenen von St. Helena gelobt worden war und Prinz Louis von Arenenberg aus an ihn den schmeichelhaftesten Brief gerichtet hatte. Haben die Bourbons mir jemals einen Brief wie diesen geschrieben!" ruft er in seinen Memoiren aus. Ihm wurde selbst zu Arenenberg ein Empfang, womit er sich zufrieden zeigte. Herr Vieillard, Zeuge der Zusammenkunft, fand nur, daß Herr von Chateaubriand sich hierbei ein wenig schüchtern benommen habe.

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„Laune und Eitelkeit, verbunden mit einem edlen Charaker, das ist der ganze Chateaubriand. Er war eine leidenschaftliche Natur, die sich zugleich gelangweilt fühlt; er besaß mehr Phantasie als Verstand, ein frankes, doch edles Gemüth. Seinen Schriften kann man alle möglichen Vorwürfe machen; sein Stil ist schwülftig, affektirt, gezwungen, auf den Effekt berechnet, in dem gesunkenen akademischen Geschmacke der Pseudo-Klassiker des achtzehnten Jahrhunderts, eine schlechte poetische Prosa, wie sie Marmontel in seinen „Inkas" schreibt, leere Declamationen, hohes Wortgeklingel, das im Ohr wiedertönt, aber nicht ins Innere dringt, nichts als Bombast und wieder Bombaft ampullae et sesquipedalia verba und doch verdient dieser Wortkünstler, dieser Rhetor den Ruhm, den er erlangt hat, und der ihn zu einem der erhabensten Schriftsteller, zu einem der bewunderns würdigsten Dichter der Menschheit gemacht hat, und zwar gerade durch seinen Stil. Er ist Dichter durch den Stil. Dieser Stil hat bedeutende Fehler, aber er ist groß; er trägt das originelle, unzerstör bare, ewige Gepräge einer mächtigen Hand. Er ist eine Sprache, geschaffen für den Geist, den er ausdrückt, und deffen sich keiner mehr bedienen wird. Feurig und im prächtigen Farbenschmucke, volltönend und melancholisch, bald herb, einschneidend, bitter, bald stolz, majestätisch, erhaben. Ironie und phantastische Träumerei lösen sich wechselseitig ab oder mischen sich mit einander und üben einen seltenen Reiz aus. Chateaubriand's Schriften bestehen nur aus Schilderungen und Gemälden. Er ist Maler und zwar einer der größten, die es je gegeben hat. Seine Gemälde gehören weniger der Wirklichkeit als der Phantasie an. Darin liegt eben ihr Werth. Der wahre Maler malt nicht das, was ist, sondern seine Empfindung von dem, was ist. Der große Schriftsteller drückt auch mehr die Empfindung, die er von seinen Ideen hat, als die Ideen selbst aus, d. h. er drückt sein eigenes Wesen aus, er zeigt und offenbart sich selbst und die Anderen weniger in dem, was er sagt, als in der Art seines Ausdruckes, in der Sprache, die er zu seinem Gebrauche geschaffen hat. Dadurch wird sowohl sein Wesen und seine Originalität bedingt, denn man ift nur, wie man fich zeigt, als auch seine Schönheit, weil das Bild, das er von sich giebt, die innere Vortrefflichkeit, das Ideal seines Wesens darstellt. So ist der Dichter.

*),,La Tribune moderne". Première Partie, M. de Chateaubriand. Par M. Villemain.

,,Daffelbe gilt aber auch von wissenschaftlichen Leistungen. Auch hier ist die Form von größerer Wichtigkeit als der Inhalt. Warum? Weil die Form der Inhalt ift. Sobald ein Buch einen Stil hat, mag sein Inhalt viel oder wenig werth sein, so ist es der Stil, der ihm einen vorzüglichen Werth giebt. Die wichtigsten Entdeckungen, die richtigsten und tiefsinnigsten Gedanken, Alles verschwindet ver dem höheren Verdienste des Stils. Denn der Stil allein drückt mek aus, als Alles, was man sagen kann; er drückt den Gott aus, den der Dichter, den der Mensch in fich trägt. Warum übertreffen die Werke Byron's die W. Scott's, obgleich dieser mehr Abenteuer er funden, eine größere Mannigfaltigkeit von mehr menschlichen Helden geschaffen hat? Warum ist Pascal mit seiner kaum angefangenen Skizze einer sophistischen Apologie des Glaubens größer als Desca tes? Warum steht Virgil, so schwach in der Erfindung, so mangelhaft in der Composition seiner Gedichte, dem Homer gleich oder übertrifft ihn vielleicht? (!) Wegen der Poesie, wegen des Stiles, dessen Originalität ein Bild jener edelen Seelen, ein schönes Götterbild ift. Und so ist auch ein Götterbild in den Werken Chateaubriand's. In Allem, was er schreibt, in dem, was er Kleinliches, Falsches, Eitles, wie in dem, was er Göttliches hat, ist er Chateaubriand. Betrachtet ihn im Einzelnen, Phrase für Phrase, Wort für Wort: wie viele Ausstellungen werdet ihr an ihm machen können! Betrachtet ihn im Ganzen: welche Macht, selbst in seinem emphatischen Schwulst, in feiner tiefen Melancholie, in seinem hochmüthigen und krankhafte Stolze! So urtheilt das Volk, das sich nicht an das Einzelne hält, das nur auf das Ganze sieht, und es urtheilt hierin richtiger als die Gelehrten. Die Sonne hat Flecken, aber wer sieht sie, ohne ein Werkzeug, das ihre Untersuchung gestattet? Sie verschwinden in dem Glanze.“

Mannigfaltiges.

Verbleib der Schwalben im Winter. Die verschiedenften Völker sind des Glaubens, daß die Schwalbe im Winter nicht auswandere, sondern in stehende oder fließende Gewässer sich versenke und daselbst zu todähnlichem Schlaf erstarre, um im nächsten Frühling wieder aufzuleben. Der chinesischen Naturgeschichte:,,Pen tsao kang mo" (Buch 46) gemäß, sind Höhlen oder tiefe Brunnen die winterlichen Asyle des Vogels; ein alter Denker aber, mit Namen Huai nan tsy, behauptet, die Schwalbe versinke im Meer und werde daselbst den Winter hindurch zu einer Auster, welche dann, sobald Frühlingslüfte wehen, wieder als Schwalbe ihr Wellengrab verlasse. Dem Chinesen geht es, wie manchem Europäer, der, weil er irgend ein Wunder natürlich erklären will, ein anderes, und wo möglich noch größeres, Wunder zu Hülfe nehmen muß. Unser Huai nan tsy fühlt, daß es mit der Natur eines Vogels nicht vereinbar ist, unter dem Wasser sein Dasein zu fristen; er läßt ihn also unbedenklich eine Molluske werden, und das Hinderniß ist beseitigt. Wer aber einmal an die erste Verwandlung glaubt, dem wird auch die Rückverwandlung bald einleuchten.

Die schönste Anwendung von dem erwähnten Volksglauben (sofern er den Slaven angehört) macht unseres Wissens der polnische Dichter Slowazki (Słowacki) in seinem Zauber-Drama: „Balladyna". Ein dienstbarer Sylphe der Fata des Goplo-See's entwirft (Akt 1, Sc. 2) eine reizende Schilderung von seiner Gebieterin, wie fie eben am Frühmorgen eines Spätherbstes aus den Wellen auftaucht. Unter Anderem sagt der Sylphe:

Sie trägt einen Kranz auf dem Haupte...
Sind es Blumen? Sind es Binsen?

nein... auf dem Haar der Fata
Liegen Schwalben tief im Schlummer.
Mit den Füßchen fest verbunden
Früh, an einem Herbstesmorgen,
Sanken auf des Baches Grund sie;
Doch der Bach, er warf das Kränzlein
Kränzlein schwarz wie Ebenbaumholz
Auf das goldne Haar Goplana's.

Die Schwalben sind also hier sehr anmuthig so gedacht, als ob fie, mit den Füßchen sich gleichsam verkettend, in's Waffer fielen und im Zustande der Erftarrung an einander gekettet blieben.

Damit ein Kenner des Polnischen, welchem der Tert nicht zur Hand ist, von unserer wenig eleganten Ueberseßung gleich absehe, laffen wir noch die Tertesworte folgen:

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