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No 114.

für die

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Literatur des Auslandes.

Aegypten.

Berlin, Donnerstag den 23. September.

Neue Entdeckungen in Aegypten.

Die Revue de l'instruction publique veröffentlicht (1. Juli 1858, S. 216 ff.) eine bereits früher in unserer Zeitschrift kurz erwähnte Berichterstattung des Vicomte de Rougé über neue Entdeckungen in Aegypten, welche daselbst durch Mariette in neuester Zeit gemacht worden sind. Es dürfte nicht ungehörig sein, ihnen eine etwas eingänglichere Aufmerksamkeit zu widmen. - Der Vicekönig von Aegypten hatte, da auch jezt die Türken anfangen, sich für Künste, Alterthümer und Museen zu begeistern, sich an die französische Regierung um Ueberlassung des berühmteu Aegyptologen gewandt, damit derfelbe Nachgrabungen anstelle, welche den Reiz der Neuheit hätten und bei einer in Vorschlag gebrachten Reise des Prinzen Napoleon, welche eine vollständige Erforschung des ganzen Nilthales zum Zwecke haben follte, gehörig paradiren könnten.

Die Freigebigkeit des Vicekönigs erlaubte Herrn Mariette, zu diesem Zwecke mehrere Grabestellen gleichzeitig in Angriff zu nehmen, nämlich zu Gizeh, Sakkarah, Abydos, Theben und Elephantine, und als die Reise des Prinzen abgesagt wurde, waren doch durch die geschickt geleiteten Nachforschungen bereits Ergebnisse gewonnen, welche der Wissenschaft zum großen Vortheil gereichen. Die Funde find bestimmt, in eine reiche Sammlung für den Prinzen Napoleon vereinigt zn werden.

Die bei den Pyramiden von Gizeh errichtete Werkstätte hat eine Entdeckung von höchfter Bedeutung für die Wissenschaft gemacht, in dem sie einen großen Sarkophag zu Tage förderte, der aus einem Blocke röthlichen Granits gehauen ist und den Leichnam eines königlichen Beamten aus den Zeiten der vierten Dynastie enthalten hatte. Sein Name allein, Chufu anch, d. i. der lebende Chufu oder Cheops, würde ihn der Zeit zuweisen, als Cheops und seine Dynastie herrschte und die großen Pyramiden bei Gizeh gebaut wurden - also ein Denkmal vom höchsten Alter, etwas älter selbst, als der von dem englischen Obersten Wyse in der dritten Pyramide gefundene Sarkophag des Königs Mykerinus oder Men fe-ura, der leider durch einen Schiffbruch in den portugiesischen Gewässern rettungslos zu Grunde gegangen ist. Nur sein Deckel ist erhalten. Außerdem be sigt das Museum zu Leyden einen ähnlichen, aber von weniger zarter Arbeit. Der Sarkophag des Chufu-anch ist im Gegentheil sehr fein ausgeführt und an einzelnen Stellen find sogar die eingemeißelten Bilder mit Malerei erhoben, die sich erhalten hat. Offenbar soll er einen Tempel mit all feiner äußeren Verzierung darstellen, und bringt uns also jene älteste und einfachste Architektur zur Anschauung, die vor den Zeiten der vierten Dynastie zerstört worden ist. Ein einfaches System von geraden und gebrochenen Linien in einer Abwechselung von Thüren und geschwellten Karnießen. Das einzige zusammen gesezte Motiv bilden zwei mit den Spigen einander zugeneigte Lotusblätter. Der Sarkophag ist für das Louvre bestimmt.

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„Das Grab des Chufu-anch (fagt Herr de Nougé) hat überdies Herrn Mariette mehrere für die Wissenschaft interessante Thatsachen enthüllt. So sieht man z. B. aus den Titeln der Person, daß der Kultus des Apis zu Memphis seit dieser Epoche eingeführt war, daß man außerdem einen weißen Stier anbetete, und daß eine heilige Kuh dieselben Ehren zu Saïs empfing."

Schreiber dieses, dessen Buch über ägyptische Zeitrechnung und Geschichte vor einiger Zeit (Nr. 57, 58) in diesen Blättern angezeigt und besprochen worden, muß gestehen, daß er diese und andere weiter unten anzuführende Daten nicht ohne Genugthuung gelesen hat. Wenn Herrn Mariette's Behauptung nämlich richtig ist, so wäre der Hauptund Kardinalpunkt, von welchem aus er seine Umgestaltung und Her stellung der ägyptischen Chronologie unternommen hat, gesichert und abgethan, und er könnte mit getrostem Muthe weiteren Anfechtungen entgegensehen. Da die Aufklärung einer Frage, die über Jahrtausende von Geschichte entscheidet, ohne Zweifel von höchster Wichtig

1858.

keit ist, so wird man eine kleine Auseinandersehung, die keinesweges eine bloße oratio pro domo sein soll, nicht am unrechten Orte finden. Meine Behauptung, die ich im Einzelnen durchgeführt habe, war, daß eine Hirtenzeit in dem Sinne, wie sie die Chronologen bisher angenommen, gar nicht existirt habe, daß vielmehr diese sogenannten Hyksos in den Dynastieen von der vierten (theilweise schon der dritten) bis zur zwölften (einschließlich) enthalten seien und daß lehtere nicht 5 bis 600 Jahr vor Amoses geschlossen habe, sondern bis in dessen Dynastie hereinreiche. Ich suchte nachzuweisen, daß absichtliche Fälschung vorliege, und gab auch sehr naheliegende Gründe, weshalb man dazu gegriffen, im Einzelnen an; den Zwiespalt aber hob ich auf, indem ich zeigte, daß die Namen der Hyksos in der dreizehnten und folgenden Dynastie nichts seien, als die fremden (semitischen) Namen der Pyramiden- Erbauer, welche die ersten Hirten, gewesen. Darnach mußte der Dynastiestifter der Hirten Affeth, Affes oder Salatis (Saïtes) gleichgesezt werden mit dem ersten Pyramiden-Erbauer Cheops oder Chufu. — Eine Menge Anzeichen, Jahre der Dynastie, der Einzelnregierung u. f. w. stimmten, vor allen aber der Vergleich der Tafel von Karnak mit den Namen der Pyramidenkönige, da der hinter Ases stehende König An nämlich mit dem Pyramidenkönige Rasoser-Au_zusammentrifft, wie bereits anderweitig erkannt ist, so fällt Afes unzweifelhaft in die Nähe des zweiten Vorgängers von An, nämlich Chufu (Cheops), oder ganz mit ihm zusammen. Es ist also nur der Sache angemessen, wenn noch andere Anzeichen hinzukommen, in dem Hyksosfürsten Asses oder Salatis den Pyramiden-Erbauer Cheops zu finden. In Salatis oder Salitis hat man wohl nicht mit Unrecht das semitische Wort Schallit (vhv), „Herr, Herrscher, Tyrann", gefunden.

Von Asses wird nun beim Syncellus (in einem Scholion zu Plato theilweis dasselbe von Salatis) berichtet, daß er das Hundsternjahr von 360 monatlichen und fünf Einschubtagen eingeführt, und daß unter ihm der vergötterte Ochs — Apis genannt worden sei.

Nach Mariette beweist der Sarkophag des Chufu-anch, daß der Apisdienst seit Cheops eingeführt war, und auch Brugsch hat Spuren, die das gleiche bewahrheiten, zu Tage gebracht (Reiseber. S. 344, Anm. 12).

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Wenn also Cheops daffelbe thut, was dem Asseth beigelegt wird, so darf man schließen, daß beide eine und dieselbe Person feien, daß der Pyramiden-Erbauer Chufu wirklich identisch ist mit dem Ases der Tafel von Karnak. Ein dritter Name, welcher die Einführung des Stierdienstes im Gedächtniß behalten sollte, war Meri-hapi oder Mihapi (Miabis), „der apisliebende“. Eratosthenes überseßt den Namen richtig mit stierliebend". Freilich steht dieser König Miabis (oder gar mit seinem griechischen Genitiv Miabidos) in der ersten Dynastie; aber dies beweist nur für die Verderbtheit der manethonischen Listen. Der König hieß also mit vollem Namen ägyptisch: Ases Chufu Meri- hapi (Manetho: Usaphaios Miabis); seine semitischen Unterthanen nannten ihn Schallit (Salitis), und es dürfte nur noch geringer Zweifel sein, \ob die Könige der vierten Dynastie, wirklich die ersten Hirten gewesen. Steht die Gleichheit von Asses mit Cheops fest, so wird man die der übrigen Hirtennamen mit den entsprechenden Pyramidenkönigen bei so leichter Ausgleichung der Regierungszahlen nicht füglich mehr beanstanden können.

Bewährt sich aber unsere Hypothese, so ist auch die darauf gegründete Zeitrechnung, welche nun auf positivem Grunde steht, gesichert. Das Jahr des Auszuges unter Thutmoses III. als Ende der Amenenche-Dynastie, 1575, dürfte man nicht leicht wankend machen, nachdem ich es durch eine Gleichzeitigkeit aus der affyrischen Geschichte geftüßt, deren Voraussegungen selbst Gegner anerkennen. Danach fällt die einhundertsechsjährige Dauer der Bedrückung unter den ersten Hirten, d. h. die Cheops- und Kephren Dynastie, unter welcher die größten Pyramiden gebaut wurden, von 2120 bis 2014 v. Chr. und unser. Sarkophag wird also in dieselbe Zeit zu sehen sein.

Herr Mariette bemerkt ferner, daß in dieser ältesten Zeit die ägyptische Macht und ihre großen Anstalten in Unterägypten konzen

trirt gewesen zu sein scheinen, weil man in der Thebaïs kein Werk ähnlichen Alters entdecken könne, obgleich der in Syene gebrochene rosenrothe Granit beweise, daß sich die Herrschaft dieser Fürsten bis an die Katarakten erstreckt habe. Er schließt demnach, daß, entgegengesezt der bis vor kurzem noch gültigen Annahme, die Kultur in Unterägypten begonnen und den Fluß aufwärts gewandert sei.

Die Annahme verdient eine nähere Prüfung; der Ueberlieferung nach ist der erste König von Aegypten, welcher Memphis baute, ein Oberägypter, ein Thinit. — Woher kommt es aber, daß der gefundene Sarkophag uns ein Bild einer gänzlich untergegangenen Architektur geben soll, daß keine Werke der Baukunst oder Skulptur über die vierte Dynastie hinaufreichen? Das wäre wunderbar! Es erklärk sich daraus, daß Cheops und Kephren Hirtenkönige waren, daß sie wirklich alle Tempel, Städte und sonstigen Gebäude (wie von Salatis berichtet wird) eingeäschert und dem Boden gleichgemacht hatten. Wenn Memphis dabei erhalten blieb und sogar den höchsten Glanz eines ägyptischen Hofes entfaltet, so beweist das vor der Hand weiter nichts, als daß die memphitische Priesterschaft gefügig genug war, dem Fremden Aufnahme und Förderung zu verstatten. Ja, ist es denn unmöglich, daß z. B. dem Hirten-Einfalle innere Kämpfe, viel leicht Religionskriege, vorausgingen und daß die Memphiten nicht blos Mitschuldige, sondern Rathgeber und Leiter der Verfolgung waren, welche die Osiris-Religion betraf?

Die Einführung des Thierdienstes gebührt also den Hirten, und wenn ich den König Kaiochos, dem dieselbe in der zweiten Dynastie zugeschrieben wird, zu den Hyksos zog, so that ich es auf die angegebenen und andere Anzeichen hin; er entspricht dem Denkmalnamen Kekeu, der auf dem Pyramidenfelde gefunden worden ist.

(Schluß folgt.)

Nord-Amerika.

Heine in Amerika und der amerikanische Heine.

(Schluß.)

Die Presse Englands und Amerika's hat diese Uebersehung, sowohl ihrer selbst als des Originals wegen, meines Wiffens ohne Ausnahme auf das freudigste begrüßt, und dem Ueberseher wie dem Originale die höchste Anerkennung erwiesen. Dabei hat sich gezeigt, daß man in Amerika wie in England dem gewaltigen Wige und Humore Heine's gegenüber auch mit seinen diabolischen blauen Schwefelflammen Nachsicht gehabt und sie als wesentliche Ingredienzien eines beinahe unantastbaren Genius mit in den Kauf genommen hat, ohne die bei den Anglosachsen sich sonst so häufig auch in der ästhetischen Kritik geltend machenden kirchlichen, theologischen und dogmatischen Schrullen als Angriffswaffen zu versuchen. Dies ist einem Heine gegenüber viel. Nicht, als ob die Anglosachsen diesen Standpunkt in der ästhetischen Kritik schon ganz überwunden hätten, aber sie geben diesem göttlichen Teufelskerl von einem Poeten einmal alle seine Individualität, da fich überall gleichsam instinktmäßig die Ueberzeugung geltend gemacht hat, daß just bei ihm mit sonst üblichen kritischen Maßstäben sich doch nun einmal nichts ausrichten lasse.

Leland hat den Heine durch eine meisterhafte Untersuchung aber auch durch eigene Productionen bei den Engländern und Amerikanern eingeführt. Sein,, Meister Karl's Sketch Book") besteht aus Heineschen Reisebildern, die blos nicht Heine, sondern Charles Leland geschrieben hat. Sie sind ganz in dem zerfahrenen, willkürlichen, eigenund leichtsinnigen Geifte Heine's gehalten, freilich nicht mit dessen gepfefferten und zweischneidigen Pointen, nicht mit dem reichen historischen, persönlichen, literarischen und kritischen Hintergrunde des Driginals. Auch wird Mr. Leland oft geradezu „labberig", wo er mit Heine lüderlich genial tändeln will.

,,n,, Meister Karl's Sketch Book" findet man den Autor, wie er selbst in der Vorrede sagt,,,ganz ungenirt dem Strome von Gedanken hingegeben. Er hat nie den leisesten Versuch gemacht, ihren Gang aufzuhalten oder in eine bestimmte, beabsichtigte Richtung zu treiben. Wurde er von einem grotesken oder selbst absurden Einfalle gefaßt, schrieb er ihn sofort ohne Bedenken nieder, und gab ihm Leben durch den Druck, ohne zu versuchen, ihn zu korrigiren oder zu revidiren. Er hat weder aus Erfahrung noch aus Lektüre etwa Auffallendes und Eigenthümliches ausgesucht, sondern alle möglichen Dinge, bedeutende und kleinliche, gescheidte und unsinnige, eben niedergeschrieben.

,,Sucht man in einem alten Hause, einer Stube oder Pulte umher, das vielleicht ein Dußend oder zwanzig Jahre unbeachtet in einem Studirzimmer stand, welche Menge seltsamer Artikel kommt dann zum Vorschein? Muscheln, Mineralien, Bilder, Siegel, Federmesser, Kleinodien, seltsame und merkwürdige Productionen von Anderen → Alles sorgsam weggepackt gewesen und verschüttet in alten Kasten *) Philadelphia: Parry & Mc. -Millan. London: Trübner & Co.

und Fächern

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eine groteskes, aber nicht nuglofes oder belehrungs. loses Gemisch auf dem Tische. ,,Jeder, der einigermaßen fleißig gelesen, hat wenigstens eine Ab. theilung in dem großen Waarenlager feiner Erinnerung, das mit einem ähnlichen Gemisch ausgestattet ist einer Sammlung von allerhand Spänen und Splittern der Wissenschaft, aus allen möglichen Sphären zusammengestoppelt und auf die phantastischste und launischste Weise in Verbindung gebracht. Aus dieser Abtheilung haben wir unser Skizzenbuch genommen und bieten es nun unseren Lesera in der Hoffnung, ihnen nicht nur Amusement in müßiger Stunde, sondern auch Belehrung über manche interessante Themata des Lebens, der Gesellschaft, der Sitten und Gebräuche in der Heimat, wie in der Fremde zu verschaffen.“

Dies sagt er selbst von dem Werth und Wesen seines Buches. Es reicht aber zu einer richtigen Vorstellung nicht hin und hat fir Deutschland unßtreitig sein besonderes Interesse erstens durch den Heineschen Geist, der sich in dem Amerikaner wiederspiegelt, zweitens durch die Themata, die er aus dem deutschen Leben zog und die Ansichten, die er darüber ausgesprudelt und oft hinfafelt. Uns wollte es scheinen, als seien ihm die deutschen Themata am besten gelungen. Ich erinnere mich nicht, je so etwas Treffendes, Schlagendes und Genremalerisches gelesen zu haben, als seine Schilderung Nürnbergs. ,,Diese malerische Unordnung, diese lyrische Konfusion in der ganzen Stadt umher sind ganz unwiderstehlich. Thürmchen schießen in allen möglichen Wegen hervor, bei allen möglichen Gelegenheiten, auf allen möglichen Arten von Häusern und kleine Kaften mit niedlichen gothischen Fenstern halten sich an ihren Seiten fest, wie Muscheln an einem Schiffe, während die Häuser so umher geworfen und gerichtet find, daß man sich nur wundert, warum nicht auch einige auf dem Dache liegen oder auf dem Kopfe stehen, um die originellen Arrangements oder Nicht-Arrangements vollständig zu machen. Mir schien es immer, als ob die Nürnberger Häuser, wie die Möbel in Irving's Erzählung, sich einmal des Nachts einem wilden Tanze hingegeben und plöglich in der komplizirtesten Konfusion still gehalten hätten und so stehen geblieben wären. Originelle Galerien, eigensinnige Treppen und Thürme mit überhängenden Obergeschossen, erzentrische Schorn steine, närrische Thorwege, wahnsinnige Wetterfahnen und höchst geniale Auswüchse bilden die alltäglichen Ideen in der Architektur Nürnbergs. Deffen Architekten können ihre Prinzipien weder von der Universität, noch aus Vitruv, Hope, Whewell, Berty, Hübsch oder Baumgärtner geschöpft haben, sondern verdanken sie wahrscheinlich de merkwürdigsten Inspirationen eines romantischen Scenen - Malers. Während der leßten zwei Jahrhunderte haben die Menschen sich mit dem unverzeihlichsten Eifer über die ganze Christenheit bemüht, jede Spur des Gothischen zu vertilgen. In Nürnberg allein hat man mit religiöser Gewissenhaftigkeit konservirt und kultivirt, was es Originales in häuslicher Architektur gab, und namentlich neuerdings hinzu gefügt und bereichert, daß es, nach Fortoul, vielleicht schon in einem Jahrzehnt wieder die gothischste und allein gothische Stadt sein wird.“

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Es folgen Schilderungen des Skulpturenwerkes an der Nürnberger Architektur mit prächtigen, sich daran knüpfenden Sagen und Märchen, Vergleiche mit Avignon, Schilderung des Heidenthurms" mit der Teufelssage, die an deffen Säulen hängt, Nürnberger Bilder, Gemälde und Schnitzereien Peter Vischer und Adam Kraft, der Gänsemarkt und ein lustiges Ende in einem gemüthlichen, „föffigen“ Nürnberger Bierkeller.

,,Das Gasthaus in Frankfurt am Main",,,ein Maskenball in Heidelberg" und andere deutsche Städte, Themata und Schilderunger lesen sich zwar ganz heiter und lustig, aber sie sind und bleiben un- I bedeutend im Material, dem durch etwas forcirten und Heinesch erkünftelten Humor eher Geschmack entzogen, als Würze verliehen wird. Aber der Verfasser hat sich auch in Rom, Venedig und in allen möglichen, wirklichen und poetischen, Kreisen herumgetrieben, so daß er Vieles und Manchem etwas bringen wird.

Und so finden wir denn auch mehr, als man aus einmaliger Lektüre nur dem Namen und Titel nach behalten könnte. Wir begnügen und daher im Uebrigen mit einer Reminiscenz im Allgemeinen. An erster Stelle zeigen sich Erinnerungen an hunderterléi größere und kleineni Gedichte, Verse und gereimte Citate aus allen möglichen Sprachen, theils im Original, theils in Ueberseßung, theils in beidem. Dies giebt schon dem Terte ein gebrochenes, zerfahrenes Wesen für das bloße Auge. Offenbar hat er diese vorher aus funterbunter Lektüre erzerpirt und in seinem alten Pulte verpackt gehabt, um sie nun hier im Skizzenbuche möglichst alle anzubringen und loszuschlagen. Ic glaube, daß kein einziges Original von ihm drunter war. Auch passer fie oft so wenig in irgend einer Weise an den Ort, wo sie sich plöslich einstellen, daß sie manchmal nur mit den Worten eingeführt sind: Hier will ich auch ein Gedicht herseßen, das sehr schön ist und das ich hier abschreibe, weil ichs grade im Manuskripte fand, und weil

Doch das fünfunddreißigste Kapitel:,,Ein Kranz von Balladen" (,,Was ein Jüngling sah in Broadway") scheinen Originale sein zu sollen, obgleich sie sich leicht als ziemlich faloppe Reimereien in Heinescher Manier", womit eine Zeit lang Deutschland so fürchterlich ennüyirt ward, erkennen lassen. Man sieht wohl den guten Willen, pikant, lüderlich und genial zu sein, aber es fehlt stets am Besten, womit der Original-Heine auch seinen unglücklichsten Verseleien (und deren sind nicht wenige unter seinem goldenen Weizen) noch Cours zu verschaffen weiß.

Aber unser amerikanischer Heine ist doch auch nicht auf den Kopf gefallen. Er hat in Deutschland viel gesehen, erlebt und gelernt, befißt ungemein viel Volubilität und Wiß für einen Amerikaner, ist auch in Italien und wo nicht sonst überall gewesen und weiß zu fingen und zu sagen. Und so erfreut, erheitert und beflügelt uns gar manche Paffage und Schilderung. Der kleine Prophet von Böhmischbroda" ist ein geschlossenes, echt humoristisches Produkt, und die gemeine, gäng und gäbe moderne Oper kann nicht empfindlicher gegeißelt werden vor dem Richterstuhl des Schönen und der wahren Kunst, als durch die Betrachtungen und Refrains des kleinen Propheten.

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Von Charakteren und Personen sind zwei Onkels: Wolf Short und Bill Dumble der Art, daß man nur einen Umstand bereut, näm lich, daß wir nicht auch solche Onkels haben. Welche geniale, lebensfreudige Lüderlichkeit und Neckerei im Hause Wolf's in Wien mit allerhand hohen, genialen, übermüthigen Damen und Mädchen, die den Onkel für alle seine Anekdoten und gaftfreundschaftlichen Generositäten nur necken und quälen. So verkleidet sich z. B. ein junger Hanslaffe in eine Dame, dringt in des Onkels Schlafzimmer ein, und stellt sich als sein natürliches Kind in großer Noth vor, da die Alimente für die Mutter ausgeblieben seien. Venedig, Ferrara, die Melancholie Roms, dessen Karneval, Legenden dus der vlaemischen Kunst- und Künstlergeschichte, Yankee-Geschichten und mehrere andere Kapitel enthalten die glücklichsten und trefflichsten Schilderungen, die sich der von Nürnberg oft nähern. Namentlich hat der gebildete, mit der alten Welt so intim vertraute Amerikaner den Vortheil vor uns voraus, daß er mit dem geschichtslosen Hintergrunde seines GeburtsLandes, wo die Häuser, Straßen und Städte gedanken- und geistlos aus bloßer, brennender, moderner Speculation in die Höhe schoffen, ohne nur ein einziges armseliges Nürnberger Fensterchen und ErkerChen, ein schärferes Auge, eine begeistertere Bewunderung, einen poeti scheren Genuß für die historischen Gewächse der alten Welt gewann, und dies dem Leser durchweg wundervoll zugute kommt.

So ist uns Heine in Amerika und der amerikanische Heine im Ganzen eine liebenswürdige, unserem alten Deutschland Ehre und neuen Werth in unseren eigenen Augen verschaffende Erscheinung. Wir sind nicht so frei und groß, wie die Amerikaner. Aber der gebildete Mensch kann es in Amerika nicht aushalten - vor Freiheit und Größe. Sobald der gebildete Amerikaner Geld genug hat, wandert er aus. Diese Art von Amerikaner nehmen mit jedem Jahre zu in Europa. Wollen sie Poesie, Geschichte, Leben und was sonst dem nobleren Menschen Bedürfniß wird, müssen diese ftolzen, freien Republikaner nach Europa kommen. Bei ihnen gedeihen diese Artikel nicht. Leland ist in unseren Augen kein großer Held der poetischen Production, aber für die amerikanische Literatur ein wahres Wunderkind. Wo wäre es hergekommen, wenn es nicht mit natürlicher, reicher Begabung in Deutschland wiedergeboren worden wäre? Jezt, wo Mancher in Deutschland in idealistisch-stupider Ideen-Firation mit Neid und Bewunderung auf das große, freie Amerika oder England und mit Scham und Schande auf sein eigenes Vaterland blickt, kann uns Leland sehr viel Gutes thun und uns Augen für unsere eigene unsterbliche Größe und Kultur verschaffen.

Frankreich.

Memoiren des Herzogs von Richelieu. *)

Die Bibliothek der Memoiren, welche zu Paris bei Didot erscheint, bringt nun auch die Memoiren des Herzogs von Richelieu, jenes Höflings, der um den Beginn des siebenjährigen Krieges eine glänzende, aber kurze und schnell absteigende kriegerische Rolle spielte, worauf er wieder in's Dunkel zurücktrat. Seine Lebensgeschichte ist kurz etwa folgende: Ein Großneffe des berühmten Kardinals gleiches Namens, wurde er, als erst siebenmonatlicher Fötus, den 13. März 1696 geboren und nur mit Mühe am Leben erhalten. Seine Laufe fand erst drei Jahre später, 1699, statt und Ludwig XIV. selbst und die Herzogin von Burgund standen dabei zu Pathen; 1710 wurde er bei Hofe vorgestellt und hatte noch den Vortheil, den lezten Schimmer der Tage des großen Königs zu sehen. Was er von dessen Tode erzählt, ist eben nicht erbaulich. Wie der glänzende Monarch hülflos auf dem Todtenbette lag, verlassen von allen den grinsenden, geBibliothèque des Mémoires, relatifs à l'histoire de France pendant le XVIII siècle.". Paris, Firmin Didot frères, fils & Co.

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schmückten Höflingen, die er mit Wohlthaten überhäuft hatte, selbst von der frommen, aber nervenschwachen Madame Maintenon, die so viel mit ihm gebetet; wie er das gränzenlose Elend, das er über das Volk gebracht, mit Schrecken erkannte und von Gewissensbissen gefoltert wurde; wie sein Leichnam endlich ohne Sang und Klang heimlich und auf Umwegen aus Paris gebracht werden mußte, um die Wuth des Volkes nicht zu reizen: das wird uns auf die Angaben dieses Zeitgenossen hin ausführlich erzählt. Was Richelieu unter der Regentschaft und unter der Regierung Ludwig's XV. erlebt, nimmt den größten Theil der zwei Bände ein, die uns vorliegen. Law, Kardinal Dubois, Fleury, Hunderte verbuhlter und verbrecherischer Höflinge und Hofdamen, Lasterbanden, Gaunervereine, nichtswürdige oder beschränkte Geistliche, Pariser Freudenmädchen, Kammerlakeien, Ehebruch und Incest in jeder möglichen Höhe, Giftmischung zc. —wer sich an so etwas ergößen kann, der wird hier seine Rechnung finden, vorausgeseßt, daß die Langweiligkeit nicht ihr Recht geltend macht — denn einmal bekommt man es satt.

In den zwanziger Jahren war Richelieu Gesandter in Wien, wo er den blödsinnigsten, übertriebensten Aufwand machte und hinterdrein Schulden hatte, die ihn zu den verzweifeltsten Mitteln greifen ließen. Sein diplomatischer Pfiff bestand darin, die Gunft der Maitresse des damals hochangesehenen Prinzen Eugen zu erlangen, um so hinter die Staatsgeheimnisse zu kommen. Indessen mißglückte er. Die hingebende Liebe einer anderen Hofdame, einer Gräfin Badiani (? wohl ein bekannter ungarischer Name falsch geschrieben), mußte ihn schadlos halten, so gut es ging.

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Später finden wir den liebenswürdigen Schmetterling wieder in seinem theuren Paris, wo er vordem wegen galanter Abenteuer, bei denen er großen Leuten in die Quer gekommen, bereits dreimal in der Bastille geseffen. Ein unerschöpflicher Adonis, tröstete er, wenn man seinen Worten glauben darf, eine große Zahl von Prinzessinnen, Duchessen, Comtessen u. s. w., die Alle rasend in ihn vernarrt waren; denn blöde (sauvage) waren diese Damen durchaus nicht. Bisweilen erzählt er auch mit großer Selbstgefälligkeit eine geistreiche Replik, ein bon mot, das er bei dieser oder jener Gelegenheit losgelassen; doch bei aller Achtung vor dem französischen Wige können wir nicht umhin, dieses Gewißel unausstehlich fade zu finden. Wenn dies geistreich sein soll, so sind die damaligen gepuderten und wohlgeschniegelten Höflinge troß aller Hochadligkeit und aller feinen Manieren doch eigentlich sehr klägliche Schelme gewesen.

In der Schlacht bei Fontenay (1745) hatte Richelieu sich durch persönliche Tapferkeit rühmlich ausgezeichnet. Durch die Vermittelung seiner damaligen Geliebten, Madame de Lauraguais, die großen Einfluß bei den Ministern hatte, gelang es, troß der Madame de Pompadour, die einen anderen Günstling untergebracht wissen wollte, den König zu bestimmen, dem Herzoge den Oberbefehl über das Geschwader zu geben, das gegen Minorka gesandt werden sollte. Prinz Conti hätte 50,000 Mann verlangt, wenn er die Engländer aus Port-Mahon vertreiben solle, ohne dabei für den Erfolg einzustehen; Richelieu versicherte, er stehe für den Erfolg, auch wenn er nicht mehr als 30,000 Mann habe. Diese Windbeutelei bestimmte den König, und Richelieu hatte in der That dasselbe Glück, das den Ledergerber Kleon bei der Einnahme von Pylos begünstigt hatte; er nahm Port-Mahon und kehrte im Triumph zurück, während der englische Admiral Byng sein Unglück so schwer büßen mußte. - Nicht lange darauf kommandirte Richelieu bei der französischen Armee in Deutschland, und seine Truppen zeichneten sich durch Rohheit und Zuchtlosigkeit so aus, daß Prinz Heinrich von Preußen ihm in harter Sprache die im Halberstädtischen verübten Gräuel vorzuhalten und ihm mit Repressalien zu drohen sich genöthigt fah. Die Schlacht bei Roßbach warf die Franzosen aus Deutschland hinaus und machte diesem Treiben ein Ende. Richelieu ruhte nun aus von seinen Lorbeeren und diente weiter im Heere des Amor und der Venus. Er heiratete, 84 Jahr alt, im Jahre 1780, noch zum dritten Male. Gestorben ist er im Jahre 1788, obgleich dies in dem vorliegenden Buche, so weit wir uns auch umgesehen, nicht angegeben ist.

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Die Memoiren sind nicht von dem Herzoge selbst geschrieben, sondern nach seinen mündlichen Mittheilungen aufgesezt. Der Abbé Soulavie, ein Memoirenschreiber von eben nicht großem Kredite, ist ihr Verfasser. Er war Generalvikar der Diözese Chalons, als die Revolution von 1789 ausbrach, und machte sich unter dem Klerus durch seine Freifinnigkeit bemerkbar. Er heiratete während der Revolutionszeit; später jedoch, als seine Frau gestorben, sagte er pater peccavi und föhnte sich mit der Kirche aus. — Abbé Soulavie ist ein Schwäger, wie ihn diese Stilgattung, wo tausend geringfügige Dinge mit der Ausführlichkeit einer Kaffeeschwester erzählt werden, verlangt; ein Mann, wie ihn Richelieu brauchte; denn es ist kein Zweifel, daß das Meiste, was uns geboten wird, mündlicher Mittheilung von Seiten des alten Herzogs seinen Ursprung verdankt. Es

ift mehr als wahrscheinlich, daß nicht Alles, was dieser erzählt, die reine Wahrheit ist; denn einestheils ist die Pedanterie der Wahr haftigkeit überhaupt nicht Sache des alten Gecken, der sein Leben in einer Welt von Lüge und Unwahrheit hingebracht hat; andererseits besißt er die Eitelkeit, sich allerlei romantische Züge anzudichten, wie fie im Geschmacke des Zeitalters waren. Manches Abenteuer à la Casanova, das er bestanden haben will, namentlich das, wo er als Buchhändler verkleidet die Großherzogin von Toskana, eine fran zösische Prinzessin, besucht und ihrem einfältigen Gatten eine Nase dreht, ist viel zu einfältig erfunden, um wahr zu sein. Abbé Soulavie mag hin und wieder noch etwas gepußt und ausgemalt haben. Im Ganzen genommen ist das Buch eine unerquickliche Lektüre und nur für den Historiker von Interesse, der die Wahrheit der allgemeinen Züge nicht verkennen kann, wie groß auch die Erdichtung im Einzelnen sein mag. - Das Urtheil der Geschichte über diesen ganzen Zeitraum, den Richelieu durchlebte, vom Tode Ludwig's XIV. bis zur franzöfifchen Revolution, wird als nur allzu richtig -bestätigt. So war es in der That; eine allgemeine sittliche Fäulniß, eine Zeit der Gräuel, der Unnatürlichkeit und Gottentfremdung. Vom Anfang bis zum Ende des Buches nur ein Geruch, der immer durchschlägt - der Geruch des Bordells die Personen, die auftreten: Prinz, Graf, Priester, Bankier, Lakei sc. fast durchgängig mit dem Stigma der Gaunerei und Schuftigkeit bezeichnet die guten Elemente stehen im Hintergrunde; Tugend und Sittlichkeit heißt nach dem Mode-Ausdruck sauvage. Angehängt an diese Memoiren ist noch ein Stück: Vie privée du maréchal de Richelieu", angeblich von ihm selbst geschrieben. Wir haben nichts besonders darüber zu sagen es ist fast durchgängig platter, breitmäuliger Klatsch.

Mannigfaltiges.

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Tupper's Sprüche der Lebensweisheit. Vor mehreren Jahren haben wir im ,,Magazin" auf den englischen Dichter Martin F. Tupper und seine damals bereits in zwanzig Auflagen verbreitet gewesenen didaktischen Dichtungen aufmerksam gemacht. Es freut uns, daß das, was wir zu jener Zeit über Tupper gesagt und die kleine Probe, die wir aus mehreren poetischen Stücken desselben mitgetheilt, eine mit der englischen Sprache vertraute deutsche Feder veranlaßt hat, Tupper's Lehrdichtungen vollständig zu übertragen. Dieselben sind in Hannover unter dem Titel:,,Sprüche der Lebensweisheit, von Martin F. Tupper",) im Druck erschienen. Wenn mit irgend einem deutschen Dichter, so ist Tupper mit unserem Leopold Schefer zu vergleichen, zu dessen philosophischem „Laienbrevier“ die,,Sprüche der Lebensweisheit" gewissermaßen ein englisch-kirchliches Seitenstück bilden. Wir glauben fogar, daß Tupper durch das ,,Laienbrevier" angeregt worden, diesem ein Lehrbuch mit ähnlicher, sittlicher Tendenz, doch mit positiverer christlicher Grundlage, gegenüberzustellen. Welchen Anklang dieser Gedanke und seine Ausführung in England gefunden, beweisen die innerhalb weniger Jahre dort erschienenen zahlreichen Auflagen. Und wir zweifeln nicht, daß auch der deutsche Tupper in mehr als Einer Auflage seinen Werth dokumentiren wird, besonders wenn der Ueberseßer, der augenscheinlich mit Liebe an sein Werk gegangen, sich vielleicht veranlaßt sieht, seine,,freie" Bearbeitung in eine, das Original auch in seiner äußeren Form treuer wiedergebende Uebertragung zu verwandeln. Der Bearbeiter hat den englischen blank verse zuweilen durch einen ganz form- und endlosen jambischen Vers wiedergegeben. Mit größerer Treue hat er allerdings den Gedanken des Originals zu bewahren gewußt, doch macht dieser in seinem mitunter unpoetischen deutschen Gewande darum auch lange nicht den von dem Dichter in seiner Muttersprache hervorgerufenen Eindruck.

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Die beiden Reihefolgen von Lehrdichtungen behandeln übrigens die erhabensten, wie die menschlichsten und häuslichsten Themata. Einer Betrachtung über die Dreieinigkeit folgen Betrachtungen über das Denken, das Neden und das Schreiben; Meditationen über ,,Wahrheit im Irrthum", über das Gute im Bösen", über,,Furcht vor zukünftigen Uebeln", folgen solche über gleiche Vertheilung der Güter“, über „Beurtheilung Anderer“ und über,,Grausamkeit gegen Thiere". Gestern",,,Heute" und,,Morgen" geben zu reichen Belehrungen Stoff und bilden den Uebergang zu den Gedanken über ,, Leben, Tod und Unsterblichkeit“. Wir können das Buch als eines der sinnigsten Geschenke für die denkende, mit einem religiös empfindenden Gemüth begabte Jugend empfehlen.

Ueber Vorschußvereine und Associationen. Die höchste Aufmerksamkeit in den Kreisen, die sich für das Wohl der arbeitenden Klassen interessiren, verdient ein kürzlich in Leipzig erschienenes Schriftchen über die, nach dem Muster des im Jahre 1850 in dem

*) Nach der dreiundzwanzigsten Auflage des englischen Originals frei bearbeitet. Hannover, Carl Meyer, 1858.

Städtchen Delißsch gegründeten. Vorschußvereins, in ffünfundzwanzig deutschen, größeren und kleineren Städten entstandenen ähnlicher Associationen zur Gewährung verzinslicher Vorschüsse an Arbeiter und Gewerbetreibende gegen solidarische Verhaftung sämmtlicher Gesell schaftsmitglieder in Bezug auf das eingelegte Kapital und gegen Verbürgung eines dritten Mitgliedes, oder Mehrerer, für die Rückzahlung der den Arbeitern oder Gewerbetreibenden geleisteten Vorschüsse.") Der Verfasser dieser Schrift, Herr Schulze-Delitsch, hat das Verdienst, durch Gründung des ersten dieser, nicht etwa Armen-Unter ftügung, sondern vielmehr Förderung der Arbeitsthätigkeit, welcher es nur an den nöthigen Betriebsmitteln fehlt, bezweckenden Vorschuß vereine, die Anregung zu den S. 92 feiner Schrift aufgeführten fünf undzwanzig Affociationen in den verschiedensten Gegenden Deutschland gegeben zu haben. Neben solchen Vorschußvereinen weist der Ver fasser auch auf die Affociation spezieller Gewerke zum gemeinschaft lichen Bezug der Rohstoffe, sowie auf sogenannte,,Konsumvereine" hin, welche die Anschaffung nothwendiger Lebensbedürfniffe im Game und Großen und den Ablaß kleinerer Quantitäten an die Mitgliede zum Engrospreise bezwecken. Alle drei Arten Arbeiter-Associatione: find solche, welche selbständig durch die eigene Kraft derer, für di fie wirken, bestehen. Sie flößen eben dadurch den Mitgliedern großes Vertrauen ein und verleihen ihnen, bei einem gewissen Selbstbewuß sein, auch eine größere Energie zur Arbeit und zur Sparsamkeit Gewiß ist dies (das schönste Resultat jener menschenfreundlichen Beftrebungen zur Hebung des Wohls der arbeitenden Klassen, und es kann daher auch die Schrift des Herrn Schulze-Delitsch als ein sehr schäzbares Material für die Erwägungen der bekannten internationalen Wohlthätigkeits-Kongresse, sowie eines daran etwa sich knüpfender deutschen Kongresses für das Associationswesen, betrachtet werden.

Englische Geschichts- Publicationen. Außer den im , Magazin" bereits mehrfach erwähnten, Calendars of State-Papers", läßt die für Aufhellung der vaterländischen Geschichte unermüd lich besorgte englische Regierung auch eine Reihe der ältesten groß. britannischen Chronisten und Annalisten neu herausgeben. Bereits ist die Chronik von John Capgrave:,,De tribus Henricis", erschienen, und sind die vollständigen Schriften des Königs Aelfred, in's Englische überseßt und mit Anmerkungen versehen, angekündigt. Einem Verzeichnisse der noch von der betreffenden, unter Leitung des Master of the Rolls arbeitenden Kommission zu erwartenden wichtigen Werk entnehmen wir die nachstehenden Titel:

Chronicon monasterii de Abingdon" (herausgegeben vom Re F. Stevenson);

,, Ricardi de Cirencestria Speculum historiale de gestis regum Angliae. A. D. 467-1066 (herausgegeben von J. B. Mayor): ,, Bernardi Andreae Tholosatis De vita regis Henrici septimi hi storia, nec non alia quaedam ad eundem regem spectantia" (herausgegeben von J. Gairdner);

,,Vita Henrici quinti, Roberto Redmanno auctore"; „Eulogium (historiarum sive temporis) Chronicon ab orbe condito usque ad a. D. 1366, a monaco quodam Malmesbiriensi exarcitum" (herausgegeben von J. S. Haydon);

,,Angelsächsische Chronik“ (herausgegeben von B. Thorpe);

,, Le Livere de reis de Britanie" (herausgegeben von G. Glover); „Bartholomaei de Cotton, monachi norwicensis, historia anglicana. A. D. 449-1295" (herausgegeben von H. R. Luard);

,, Recueil des chroniques et anchiennes istories de la Grant Bre taigne à présent nommé Engleterre, par Jehan de Waurir (herausgegeben von W. Hardy);

Sammlung politischer Gedichte von der Zeit Eduard's III. bis ; Heinrich VIII.; sowie eine Sammlung von historischen Briefen aus der Zeit Heinrich's IV., Heinrich's V. und Heinrich's VI. (herausgegeben von T. Wright und Rev. C. Hingeston).

-,,Soll und Haben" Russisch. In den voluminösen Hefter der Otetschestwennyja Sapiski erscheint jezt auch eine russische Ueber feßung von „Soll und Haben". Die,, nordische Biene“ ist mit der selben sehr unzufrieden, nicht allein, weil der Ueberseßer sein Origina oft mißverstanden, sondern namentlich auch deshalb, weil er sich dami vielfache Abkürzungen erlaubt hat. Was den lehteren Punkt betriff so müssen wir gestehen, daß ein solches Verfahren uns nicht allz tadelnswerth scheint, da es dem Freytagschen Roman ebenso wenig, wie anderen Produkten dieser Art, an Längen und Weitschweifigkeite fehlt, bei denen eine zweckmäßige Kompression, sowohl im Intere der Lesenden, als des Werkes selbst, zu rechtfertigen wäre.

*),,Die arbeitenden Klassen und das Associationswesen in Deutschlan als Programm zu einem deutschen Kongreß“. Von H. Schulze-Delitsch. Br zig, Gustav Mayer, 1858. (Pr. 15 Sgr.)

Wöchentlich erscheinen 3 Nummern. Breis jährlich 3 Thlr. 10 Sgr.,
halbjäbelích 1 Thlr. 20 Sgr, und vierteljährlich 25 Sgr., wofür
das Blatt im Inlande portofrei und in Berlin frei ins Haus geliefert wird.

No 115.

für die

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Literatur des Auslande s.

Rußland.

Berlin, Sonnabend den 25. September.

Ein junger deutscher Arzt in Rußland.

Nach A. Th. v. Grimm.

,,Die Fürstin der siebenten Werft") unter diesem Titel ist foeben bei J. J. Weber in Leipzig ein Lebensbild, ein Roman, erschienen, den wir als eine anziehende, das Leben und die Sitten des fernen Nordens, aber auch zugleich das Herz und den Geist der Menschen treffend schildernde Darstellung empfehlen können.

,,Die siebente Werst", so wird in St. Petersburg gewöhnlich das große kaiserliche Irrenhaus genannt, das an der Straße nach Peterhof, in einer Entfernung von sieben Werft von der Hauptstadt, gelegen ist. Die Fürstin der siebenten Werft" ist eine Bewohnerin dieses Hauses, und ihre Geschichte bildet den Stoff der Erzählung, die, so einfach fie sich auch auf psychologischem Hintergrunde abwickelt, uns doch Gelegenheit giebt, einen Blick in das Leben der höheren und der niederen Stände, der Beamten, Bojaren, Bürger und Bauern, der Moskowiten und der Deutschen, der Befehlenden und der Gehorchenden zu werfen.

Ein junger deutscher Arzt, der in Halle seine Studien vollendet hat und der nach Rußland geht, um sein Glück dort zu versuchen, wohin einst seine leichtsinnige Mutter mit einer jüngeren Schwester gegangen war, ohne jemals wieder dem Gatten, einem Landprediger an der Saale, den sie verlassen, und ihrem Sohne Nachricht von sich zu geben, findet seine Schwester auf der siebenten Werft". Wie fie dahin gekommen und wie es dem Bruder gelungen, sie von dort zu befreien und sie in ein glückliches, beglückendes Dasein zurückzuführen - das bildet eben den anziehend erzählten Stoff dieser Geschichte, deren Verfaffer eben nur ein in Rußland lebender Deutscher sein kann, der mit den staatlichen, sozialen und kirchlichen Verhält niffen des Landes ebenso vertraut ist, wie mit den psychologischen Erscheinungen des von kranken Organen getragenen, oder mit übermächtig eingreifenden Nerven kämpfenden menschlichen Geistes.

Wir lassen hier, als Probe der Darstellungsweise, einige kleine Episoden des dritten und vierten Kapitels im ersten Bande folgen. Der junge Hallenser Arzt, der hier mit dem Namen Theodor bezeich net wird, ist in St. Petersburg in die Dienste eines Generals getreten. Der General nimmt sich väterlich des jungen Mannes an, und er sowohl als ein befreundeter Oberst und ein deutscher Baron geben ihm Rathschläge in Bezug auf sein künftiges Fortkommen in Rußland. Doch laffen wir die kleinen Episoden für sich selbst sprechen: Der Oberst beginnt nun folgende Rede an den jungen Arzt: "Ich habe Sie aufs Geradewohl nach Rußland empfohlen und bin darum verpflichtet, Ihnen eine bestimmte Weisung für Ihre Zukunft im fremden Lande zu geben. Im Laufe dieses Winters find Sie verpflichtet, das Examen an hiesiger Universität noch zu machen, damit Sie zugleich die Doktorwürde des Reiches erlangen, dem Sie dienen wollen. Dadurch wird es Ihnen möglich, nicht allein freie Praxis in der Stadt zu führen, sondern in Krondienste zu treten und einen Rang und eine gewisse gesellschaftliche Stellung allmählich einzunehmen. Die Einrichtungen unseres Reiches sind der Art, daß jedem Talente, jedem Verdienste eine weite Laufbahn geöffnet ist, und der Arzt findet hier ein gränzenloses Feld seiner Thätigkeit. Nicht allein die Armee öffnet Ihnen ein großes Gebiet, auch die Hauptstadt; ja, es muß schon jezt Ihr festes Ziel sein, als Leibarzt des allmächtigen Kaisers hier zu enden. Bis jezt ist es den Nuffen noch nie gelungen, am Hofe durch Wissenschaften zu glänzen; das Leben der kaiserlichen Familie war immer Deutschen oder Engländern anvertraut, und troß aller Eigen liebe der russischen Nation, tros des geheimen Neides und Haffes gegen = die Ausländer, bleiben gewiffe Dinge immer in fremden Händen. °) Ich bin zwar selbst russischer Unterthan, aber aus den Ostsee-Provinzen, deutschen Ursprunges und spreche daher mit russischer Kenntniß, aber

J. J. Weber.

*)_Roman in vier Büchern, von A. Th. v. Grimm. 2 Bde. Leipzig, **) Indessen ist der Leibarzt des jezt regierenden Kaisers ein Russe. D. R.

1858.

aber

mit deutscher Unabhängigkeit über das Land und die Regierung, unter
der ich lebe. In dem ganzen Reiche, weder in der Armee, noch in
den Städten, finden sich andere Apotheker, als deutsche, und ich glaube,
das Verbot, das einst der scharfsinnige Peter der Große gab, ist
heute noch eben so nüglich, als vor mehr als hundert Jahren. Seit
einer Reihe von Jahren sind zwar manche russische Aerzte herangebildet
worden, allein Niemand hat rechtes Vertrauen zu denselben. Sie sind
als Deutscher gleichsam bevorrechtet. Als Arzt kann es Ihnen voll-
kommen gleich sein, ob Sie Ihre Wissenschaft in einem despotischen
oder constitutionellen Staate zur Geltung bringen; politische Ansichten
und Meinungen fallen in der Ausübung derselben von selbst hinweg;
meiner Erfahrung nach kann ein russischer General bei einem Lungen-
übel nicht anders behandelt werden, als ein norwegischer oder ein
deutscher; aber die Größe der Stadt und des Reiches geben Ihrer
Wissenschaft hundert Gelegenheiten mehr und werden Ihren Scharf-
sinn anders schleifen, als das ewige Einerlei einer kleinen deutschen
Provinzialstadt. Noch eine Verhaltungsregel: Beobachten, und beob=
achten vom Morgen bis zum Abend, ein Tagebuch führen;
schweigen und immer schweigen. Was man in Petersburg hört, ist
selten wahr, besonders das, was im Winter erzählt wird; was aber
wirklich geschieht, davon spricht Niemand oder wagt Niemand zu
sprechen. Als Arzt ist Ihnen aber manches Geheimniß, manches
Heiligthum aufgeschlossen, in das kein Anderer dringen kann. Sie
werden nicht allein der vertraute Freund, sondern selbst der Beichtvater
manches stillen Herzensergusses werden. Wenn Sie erst in voller
Praris sind, wird man Sie oft fragen: Nun, was giebt es Neues?
Antworten Sie immer darauf: Gott sei Dank, gar nichts Neues.
Sollten Sie auf der Straße einem Unglücksfalle begegnen, daß z. B.
Einer ein Bein gebrochen hat oder in einen Kanal gesprungen ist, um
sich zu ersäufen, weichen Sie aus, ohne etwas bemerkt zu haben; sogar
die Anzeige eines solchen Falles bei der Polizei, bei einem Schuhmanne
wird Ihnen nur Hudeleien verschaffen, während Sie an der Sache
nichts helfen können. Besonders empfehle ich Ihnen, sich nicht durch
den Schein hier blenden zu laffen, der in der Hauptstadt mehr vor
herrschend ist, als in dem Innern des Landes. Die Ruffen lieben
zu glänzen, ja sogar etwas zu prahlen, und oft geschieht es, daß sie
sich selbst mit den Anderen zusammen täuschen, auf die es abgesehen.
Besuchen Sie auch, sobald Sie können, die Familie des Barons; Sie
werden dort manchen deutsch gemüthlichen Abend zubringen, und die
Gastfreundschaft ist die schönste Eigenschaft dieser Hauptstadt. Da
Sie mich bald verlieren, so erinnere ich Sie noch besonders, die
Namens- und Geburtstage aller Personen, die Sie kennen lernen, zu
erfahren und an denselben, sowie am Neujahre und zu Ostern sich
zum Glückwünschen dort einzufinden."

,,Der Baron brachte aber bald das Gespräch auf Theodor's
eigene Verhältnisse, und dieser hatte den Muth, ihm zu gestehen, daß
er ein gewiffes Mißbehagen mitten in Erfüllung aller feiner Wünsche
fühle.,,Das wird sich Alles geben," fiel Jener ein,,,noch ist es
nicht möglich, daß Sie eine so neue, der deutschen Welt so wenig
entsprechende, in allen ihren Theilen und Farben richtig aufgefaßt haben.
Mehr als jede andere Stadt ist Petersburg die der Gegenfäße, Alles
ist hier übergewöhnlich groß oder klein, und die richtige Mitte fehlt
fast durchgehend. Im Sommer ist keine rechte Nacht, im Winter
kaum Tag; die Hize im Juli zum Ersticken, die Kälte im Dezember
und Januar zum Erfrieren; einzelne Stadttheile bestehen nur aus
Palästen, andere nur aus Hütten; einige Straßen werden ängstlich
reinlich gehalten, in den entfernteren kann man im Koth versinken;
während es auf der Perspektive wimmelt, kann man leicht auf den
Inseln, die im Winter wüft sind, von Wölfen angefallen werden.
Sehen Sie die prachtvollen Vierspänner auf der Perspektive und
daneben die zerfallenen Liniendroschken; die reiche Tracht eines herr-
schaftlichen Kutschers und die kalte, kellerähnliche Wohnung eines Dwor-
niks (Hausmanns). Erfahren Sie erst, daß mancher Staatsdiener
kaum tausend Rubel B. Gehalt bezieht, während der Haushofmeister
Ihres Generals gewiß nicht viel geringer lebt, als der Herr selbst.

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