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zusammengescharrt haben, um deffen Aenderung es sich handelt, und die auf die Fortdauer ihrer skandalöfen Erpressungen nur insoweit sich Hoffnung machen dürfen, als die Mißbräuche fortbestehen, denen sie ihre Schäße verdanken? Müßten sie nicht im Besiße einer übermenschlichen Tugend sich befinden, um aufrichtig und mit Ueberzeugung einer Aenderung des Systems sich anzuschließen, die mit ihrer Erziehung, ihren Vorurtheilen, ihren Gewohnheiten und ihrer Habsucht im Widerspruch steht?

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,,Von der anderen Seite führt die offenbare Unkenntniß, welche eine Folge der falschen Berechnungen dieser angeblichen Staatsmänner ift, zu einer Machtlosigkeit, die, ähnlich dem bösen Willen dieser Lehteren, nur Ihren eigenen Intereffen schadet, welche mit denen Ihres Volkes unauflöslich verbunden sind. Nicht nur in ihrer öffent lichen Wirksamkeit, sondern auch in den Bestrebungen der Einzelnen zu Gunsten des Fortschrittes giebt sich die Unerfahrenheit dieser Menschen zu erkennen. In Allem, was sie zu schaffen vermeint haben, ist nichts. Wahres und nichts Vernünftiges, und man hat wohl Namen von der Civilisation erborgt, aber von dem selbst, was diese Namen bezeichnen, ist nichts, auch gar nichts vorhanden!

,,Ew. Majestät wechselt häufig die Personen, denen Sie die Angelegenheiten des Staates anvertrauen; allein unter verschiedenen Benennungen, find es immer die Nämlichen, die den Staat verwalten; die Verblendung bleibt fortwährend dieselbe.

,,Und doch, Sire, könnten Sie mit leichter Mühe selbst unter Ihren muhammedanischen Unterthanen loyale und einfichtsvolle Mi nister finden, wenn nicht gerade unter den gegenwärtigen Verhältnissen wirkliches Talent und Reinheit der Absichten unglücklicherweise ein Grund der Ausschließung in den Augen aller derer wäre, die das Vertrauen Ew. Majestät besißen.

„Endlich haben unter den zahlreichen Gefahren, die den Thron Ew. Majestät bedrohen, die Kabinette noch nicht einmal die nahe Gefahr eines allgemeinen Aufstandes Ihrer chriftlichen Unterthanen, die in Europa die Anzahl der Bekenner des Islam um ein Vierfaches überschreiten, in Anschlag gebracht; gegenwärtig aber fangen alle Staatsmänner Europa's an, diese Gefahr für Ihre Dynastie, die mit der Zeit nur zunehmen kann, um so lebhafter ins Auge zu fassen, und Ihre eigenen Rathgeber, von dem Umsichgreifen dieser Gefahr erschreckt, haben es nicht wagen dürfen, Ew. Majestät auch ferner in einer trügerischen Sicherheit hierüber zu erhalten.

,,Bei dem guten Willen, der den Ruhm Ew. Majestät ausmacht, haben Sie auch sofort freisinnige Reformen beschlossen, die von der europäischen Civilisation entlehnt worden sind; aber der nothwendige Widerspruch, welcher zwischen dem Geifte dieser Reformen und dem der Religion Ew. Majestät sich ergiebt, hat in Ihrer Umgebung Zweifel an Ihrem freien Willen hervorgerufen; der böse Wille hat sich hinter den muhammedanischen Fanatismus gesteckt, und dies wird auch fortwährend der Fall sein, so lange nicht der Herrscher, um den vollen Gewinn von der christlichen Civilisation mit Weisheit ziehen zu können, Christ sein wird.

,,Sire! Die Reformen, die Sie beschlossen haben, sind nur wie ein erster Entwurf, und sie sind an und für sich ein todter Buchstabe; alle diese Versuche aber haben blos dazu beigetragen, die Verwirrung und die Unordnung zu vermehren und die Katastrophe näher zu rücken, welche alle Beffergesinnten voraussehen! Ihre chriftlichen Unterthanen, die in ihren gerechten Hoffnungen sich getäuscht sehen, beunruhigen sich umsomehr, da diese Reformen den Schleier des alten Zaubers Ihrer Rage für alle Zeiten zerrissen haben. Dieser Schleier, hinter dem die Ausartung der Osmanen und ihre Schwäche sich verbarg, sicherte der Herrschaft den Schein der Macht und der Größe, erhielt die Christen in der Furcht und täuschte die europäischen Mächte über den wahren Zustand Jhres Reiches.

In der That muß es auch anerkannt werden, daß Ihre Dynastie durch dies Alles ihre eigenthümlichsten Grundlagen verloren hat; die geringe Sicherheit in ihrem Bestande, die sie besigt, verdankt sie allein dem Auslande. Sollte die Ruhe in Europa gestört werden, so würde nichts das Verschwinden des Phantoms des Staates und der Dynastie der Demanen verhindern.

,,Die Stärke und Macht eines Staates beruht allein auf dem Einssein eines ganzen Volkes. Wenn das Volk glücklich lebt unter dem Schuße der nämlichen Geseze, wenn es zu denen, die es beherrschen, Zutrauen hat und Ein guter Gedanke es leitet, dann ist ein Staat glücklich: Frankreich, England, Rußland beweisen dies;) ist aber das Volk unglücklich, herrscht Willkür statt der Geseze, steht 28 in seinen Herrschern nur Unterdrücker, so ist ein solcher Staat unglücklich, und er geht seinem Untergange entgegen. In dieser Lage ist das byzantinische Reich.

*) Armes Deutschland! wo aber bleibst du? Was giltst denn du diesem

,,Welche Sicherheit können einem solchen Staate die Einzelnen, die Unterthanen gewähren, die in seinen Gränzen wohnen? Ehe der Herrscher an den Feind draußen denkt, muß er nicht in einem solchen Falle vor Allem gegen seine eigenen Unterthanen sich sicherstellen? ,,Sire! Ew. Majestät haben in Allem auch vor allen Anderen das erste Recht des Gedankens; aber zu der Freiheit des Gedankens muß die Freiheit der That kommen, wenn nicht jede Verbesserung eine Unmöglicheit werden und auch außerdem Ihre Dynastie bei der ersten politischen Erschütterung verschwinden soll! Der Muth und die Festigkeit Ihres ruhmwürdigen Vorgängers, des Sultans Mahmud, Ihres Vaters, hat den Damm nicht niederreißen können, den die Jahrhunderte, die Vorurtheile und die niedrigen Leidenschaften gegen einen jeden Gedanken der Neuerung errichtet haben.

,,Dieser Ruhm war Jhnen vorbehalten.

„Die Ausrottung der Dere-Bey's und die Vernichtung der Janitscharen haben Ew. Majestät die Wegräumung der sichtbaren Hindernisse erleichtert; aber die noch mächtigen moralischen Hindernisse widerstehen allen Anstrengungen. Zum Angriffe auf sie und zu ihrer Vernichtung in dem Abgrunde selbst, der sich vor ihnen aufthut, mit aller Kühnheit Sie ermuthigen, das, Sire, heißt nur das Wohl Ew. Majestät und Ihres Reiches wollen. Diejenigen sind Ihre Feinde, die, indem sie von unzusammenhängenden Reformen eitel Rühmens machen und die unheilvollen Wirkungen dieser Reformen Ihnen verhehlen, nichtsbedeutende und gewiffenlose Maschinen zu Staatsmännern machen wollen.")

„Ich weiß es, daß ich mich durch meine Freimüthigkeit und Kühnheit um die Möglichkeit gebracht habe, mit Sicherheit je wieder in das Land meiner Geburt zurückkehren zu dürfen. Aber es ist mir gleichgültig, an dem Werke, deffen Vollendung ich während meines ganzen Lebens geträumt habe, nicht mit arbeiten zu dürfen, wenn nur ein Anderer, mit Hülfe der Lehren der Vergangenheit und der Ergebnisse meiner Bestrebungen, das byzantinische Reich endlich wieder herstellt! Auch in meiner Verbannung würde ich mich der Genu thuung wohl freuen dürfen, indem ich den Leuchtthurm auf der Klippe errichtet, dadurch die Gefahren gezeigt und von fern zu dem Heile unseres Landes und Ihrer Dynastie beigetragen zu haben. Hierauf allein beschränkt sich mein Ehrgeiz. "Ich habe die Ehre zu sein, Sire

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"Ohne es zu wollen, hat sich unser Dichter nach einigen Seiten hin am anschaulichsten in einem der geschichtlichen Charaktere seiner "Hypatia“ gezeichnet. Bischof Synesius aus Cyrene ist dort ge= schildert, wie er nach seinen Gedichten und Briefen war: ein klassisch gebildeter Dichter und Denker, der in Alexandrien ein gläubiger Christ wird, und später, ohne die Frau zu verlassen und ohne die Philosophie abzuschwören, auf dringendes Verlangen seiner Mitbürger ihr Bischof. Sein Herz schlug für alles Menschliche, und er findet es mit seinem geistlichen Amte nicht unverträglich, seine Freundschaft mit der berühmten Heidin Hypatia, seiner ehemaligen Lehrerin und Genoffin in Plato, fortzusehen und ihr freundliche Briefe zu schreiben. Es ist ganz in seinem Charakter, daß Kingsley ihn als einen rüftigen Jäger keinen Anstand nehmen läßt, eine wilde Jagd über Berg und Thal (wie die englische Fuchsjagd) mit rechtem Behagen zu leiten, um sich und der Gemeinde Unterhalt zu verschaffen. Aber ein doppelter Unterschied zwischen dem Bischofe der Landschaft von Cyrenica (der jeßigen Regentschaft von Tripolis) und dem Domherrn und Predige der englischen Landeskirche tritt bald sehr bedeutend hervor, wenn wi die beiden Männer uns näher befehen. Kingsley steht nicht allein da wie Synesius, dem Frau und Kinder bald starben, er hat in seiner Frau eine gebildete und hülfreiche Christin zur Seite, welche er mit Recht seinen besten Hülfspfarrer (curate) nennen darf, und mit welcher vereint er der Gemeinde das Musterbild eines chriftliche Hausstandes vor Augen stellt. Zweitens aber fühlt man auf jede Seite, daß Kingsley der Bürger eines freien Volkes ist, dessen Sor gen wie deffen Ruhm er theilt, und an deffen weltgeschichtlich - chriß

*) Wer und wo find in Europa diese Feinde des Sultans Abdul-Medfchi nach der Ansicht des Verfassers? Meint er etwa die, welche noch vor kurzes

lichen Beruf im Reiche Gottes er glaubt, während Synesius, eben wie sein gelehrter und tiefsinniger Freund,: Augustinus, kein Vaterland mehr hat auf dieser Erde und an kein Reich Gottes in der Wirklichkeit in dieser Welt mehr glauben kann,

Und da befinden wir uns auf dem Standpunkte, von welchem aus ich mir die Erlaubniß erbitte, einige Worte über „Hypatia“ zu sagen. Das Werk selbst ist so fern von allem Schein der Gelehrsamteit, und die Forschung ist in ihm so ganz verklärt in die Freiheit der schaffenden, dichterischen Darstellung, daß man das ganze Buch lesen und Menschen und Zeit verstehen kann, ohne eine Ahnung zu haben, daß Allem eine durch Forschung gefundene historische Wahre heit einwohne. Das gilt zuvörderft von allen historischen Charakteren des Buches: von Hypatia und Theon, ihrem Vater, dem berühmten Mathematiker, und von des Synefius gewaltigem Amtsbruder, Cyrill, dem Patriarchen Alexandriens. Von Drestes wissen wir gerade genng, um Kingsley's Auffassung zu rechtfertigen, obgleich deffen Betheiligung an der Empörung Heraklian's, des Grafen von Afrika, nur eine dichteris sche Begründung hat. Aber das Ganze bewegt sich treu in dem Rahs men der Weltgeschichte während der ersten dreißig Jahre des fünften Jahrhunderts unserer Zeitrechnung. Damals auch lebten und wirkten Augustinus, Synesius und der tugendhafte Erzieher des unwürdigen Sohnes des Theodofius, Arsenius, welcher den Hof des Arcadius verließ und sich als Büßer in die Laura zurückzog, in welcher wir ihn in „Hypatia“ finden. Alle diese find Lebensbilder aus jener Zeit, höchft anmuthig und leicht gezeichnet, und jedem gebildeten Leser verständlich ohne Gelehrsamkeit. Aber auch die tiefen Gedanken und Erwägungen, welche bei den genannten Personen und namentlich bei Hypatia und ihrem Vater vorkommen, sind aus tiefer Kenntniß, wie der helleni schen Bildung und Weltanschauung überhaupt, so insbesondere auch der neuplatonischen Philosophie und ihres wirklich wissenschaftlichen Vorbildes, Plato's, geflossen. Wie vertraut Kingsley mit diesem Gegenstande sei, zeigt sein aus Vorlesungen in Edinburg entstandenes Büchlein: „Alerandrien und seine Schulen" (1854), und nicht minder das meisterhaft platonische Gespräch:,, Phaeton“ (1852), wo der attischen Grazie und der fokratischen Fronie jener angelsächsische Humor beigemischt ist, welcher den englischen und amerikanischen Sprechern gar wohl ansteht. Was die Darstellung des Patriarchen Cyrill betrifft, so hat der Dichter mit wahrem Geschmacke jene hassenswürdi gen Eigenschaften des herrschsüchtigen Hierarchen allerdings mehr verhüllt als hervorgehoben. Dieses ist ihm, wie er es selbst in seiner rechtfertigenden Einleitung ausspricht, aus einer künstlerischen Nothwendigkeit hervorgegangen. Da man doch (sagt er) gegenüberstehende Grundübel der Zeit, die heillose Versunkenheit und Verlogenheit der untergehenden griechisch-römischen Welt nicht in ihrer Nacktheit und unverhüllten Scheußlichkeit darstellen kann, so muß auch die gegen überstehende dunkle. Seite etwas gemildert werden. Wie wenig übrigens Kingsley, tros des Lobes, welches er in jener Einleitung der kirchlichen Dogmatik zu Anfang des fünften Jahrhunderts wegen der Erhabenheit des Gegenstandes ihrer Speculationen ertheilt, von ihrer unevangelischen und übereinkömmlichen Sophistik hält, und wie sehr er die byzantinische Hofkirche mit ihren frömmelnden Prinzessinnen und ehrgeizigen Eunuchen verabscheut, zeigt viel besser als jenes theologische Urtheil der Einleitung das geniale Kunstwerk selbst. Da erkennt man deutlich, daß ihm das Bleibende und wahrhaft Christliche in der Kirche jener Zeit das Gegentheil der kezermachenden Dogmatik ist......

Der Grundgedanke des Dichters ist in diesem Werke wie in allen seinen Hervorbringungen dieser. Das Christenthum steht in keinem Buchstaben der Lehre und in keiner spekulativen Formel: es ist eine Kraft der ewigen Liebe zum göttlichen Leben, eine Kraft, welche den selbstsüchtigen Sinn des Einzelnen bricht, und nothwendig auch die Selbstsucht von Klassen, Völkern, Staaten und Dynastieen. Allein diese Umwandlung der Maffen geht nach den Gefeßen des geistigen Kosmos nur langsam vorwärts, und meist nur durch gewaltige und zerstörende Geschicke, welche brechen was nicht biegen will; aber der Gott in der Geschichte segnet auch im Sturmwind und im Donner. Das Christenthum also ist unserem Kingsley göttliche Kraft und gött liches Leben und erprobt sich nur im Leben selbst.

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"Dieser Grundgedanke allein dürfte uns auch, wohl das Räthselhaftefte des Werkes erklären, den Titel: Neue Feinde mit altem Gesicht". Der Titel wäre vielleicht weniger zugespigt, wenn das Werk nicht zuerst in einer Zeitschrift zu erscheinen gehabt hätte: doch es ist weder aus dieser Zufälligkeit entstanden, noch auch blos des wegen gewählt, weil der Verfasser seinen weiten Leserkreis nicht durch einen gelehrten und alterthümlichen Schein abschrecken wollte. Es lag ihm vielmehr daran, sogleich nicht allein das Werk als eine schöpferische Dichtung hinzustellen, sondern auch, nach guter englischer Sitte, als ein praktisches Lebensbild, als einen Spiegel für die Gegenwart. Aber vor welchen Feinden will der Dichter warnen? Ohne Zweifel

vor solchen, welche das gegenwärtige englische Leben bedrohen. Aber etwa nur dieses? Keine Ansicht kann falscher und niedriger sein. Hätte er einen so beschränkten, insularisch-egoistischen Blick, so wäre er kein Prophet, weder der Vergangenheit, noch der Gegenwart, kein wahrer Dichter; auch „Hypatia" wäre nie geworden, was sie ist: ein ungeheurer Weltenkampf, der uns vorgeführt wird. Aber man blicke nur tiefer in das Gemälde, und man wird sehen, daß es seinen Zweck wesentlich in sich selbst hat, daß es viel tiefere Züge enthält, als eine Zweckschrift zu geben vermag. Allerdings findet dort der englische Pharisäer sich gezeichnet, heiße er Evangelischer oder Puseyit; aber ebensowohl der Pietist und Pfaff des Festlandes und der Welt. Bei der Schilderung der Unfähigkeit der neuplatonischen Schule, etwas zu schaffen, die Wirklichkeit zu ergreifen, den Strom der Weltgeschichte zu finden, und bei der inneren Leerheit ihrer Formel, fällt allerdings der erste Seitenblick auf das Formelwesen der deutschen Speculation, welche Kingsley nicht unbekannt ist. Aber der Wink findet nach dem Sinne des Werkes auch in einem Formelwesen ganz entgegengesetter Art seine Anwendung, von welchem England und Frankreich voll find. Ja gewiß ist nicht blos der Seher und Dichter, sondern auch der reflektirende Philofoph Kingsley, der Ansicht, daß unserer Speculation doch eine ganz andere, höhere und edlere Kraft einwohnt, als den Schülern oder Verehrern von Bentham und Comte. Suchen wir nun einen allgemeinen Ausdruck für die Antwort auf jene Frage, so werden wir alle seine Werke zu Zeugen anrufen können, eben wie die erhabensten und schlagendften Gemälde in unserem Romane und die ganze künstlerische Anlage dieser großen Dichtung, wenn wir den räthselhaften Titel etwa folgendermaßen auszulegen uns erlauben. Es sind immer dieselben Elemente, welche sich in allen Zeitaltern großer sozialer Krisen zeigen, und eine solche Zeit ist die unsrige. Es geht in ihnen zum Leben oder zum Tode; ohne Gebrechen, ohne Sünde ist keine der in ihr kämpfenden Parteien; aber das, was innere Wahrheit hat und Kraft der Aufopferung offenbart, was der Sehnsucht der Ernsten und Guten und dem Bedürfnisse der Menschheit und ihrer ewigen Bestimmung entspricht, das gewinnt die Welt: ja, wenn es scheinbar untergeht, erobert es die Zukunft im Tode durch die inneren Lebenskeime, die in ihm verborgen und geborgen sind."

Griechenland.

Die altgriechische Literatur.

An den Herausgeber des „Magazin 2c.“

"

Das Interesse, welches die Entwickelung des neubegründeten Griechenlands inmitten der orientalischen Wirren überall erregt und welchem Sie zum öftern im Magazin" Rechnung getragen haben, läßt mich hoffen, daß Sie den folgenden Erörterungen, die sich an Karl Otfried Müller's „Geschichte der griechischen Literatur bis auf das Zeitalter Alexander's") anschließen, gleichfalls eine Stätte gönnen werden.

Kein Volk der Welt kann sich einer Literatur rühmen, wie sie dem griechischen die größten unter den erdgebornen Geistern zu einem unvergänglichen Eigenthum gemacht haben. An die Fortdauer des ungeschwächten Einflusses dieser Literatur knüpft sich alle wahre Bildung, knüpft sich alle wahrhafte künstlerische Production, deren Verständniß und der wahrhafte Genuß an derselben. Ohne die Einsicht in das Wesen der griechischen Tragödie und Komödie würde uns Deutschen noch heute Shakspeare unbekannt und unerkannt sein, und Goethe würde nicht das größte moderne Epos:,,Hermann und Dorothee", geschaffen haben, hätte sich ihm nicht die jugendliche Phantaste Homer's erschlossen, welche,,die Bilder eines erhabenen Heldenalters mit dem heitersten Behagen und einem unersättlichen Vergnügen in allen Partieen ausmalt und zu den schönsten Gestalten, über die kein Wunsch mehr hinausgehen kann, abrundet", Mit Ausnahme unserer „Nibelungen“, eines Epos, welches leider nicht in echt künftlerischer Gestaltung auf uns gekommen ist, entbehren fast alle unsere mittelalterlichen epischen Dichtungen des festen Grundes und Bodens, fie schweben in der Luft und können nur denjenigen ein Gefallen bereiten, welche Fabeleien für tiefsinnige Mythen und matte Erfindung sowie mangelhafte Composition für dichterische Begeisterung halten. Unter allen den gerühmten Epen aus unserem deutschen Mittelalter ist nur der erste Theil der altniederländischen Bearbeitung der deutschen Thiersage ein vollendetes, eines altgriechischen Dichters würdi ges Kunstwerk, und wir finden es eben deshalb erklärlich, daß Goethe der abgeschwächten niederdeutschen Uebertragung dieses Gedichtes seine Theilnahme zuwenden konnte. Wäre ihm das altniederländische zugänglich gewesen, so würde er der deutschen Thiersage das ihr gebührende Gewand gegeben haben. Die lyrischen Dichtungen aus dem

*) Nach der Handschrift des Verfafters herausgegeben von Dr. Eduard Müller. Zweite Ausgabe. 2 Boc. Breslau, Verlag von Josef Mar & Co. 1857.

deutschen Mittelalter enthalten in den eigentlichen Minneliedern zu meist ermüdende Wiederholungen barocker Albernheiten und Schilderungen unwahrer, erheuchelter Gemüthszustände in einer allerdings von späteren Dichtern kaum erreichten Form, so daß sie, außer den Liedern Walther's von der Vogelweide und einiger Anderen, lediglich einen Werth für die Sprachforschung und Sittengeschichte haben. Wir stimmen bezüglich der vollendeten Form dem Ausspruch Goethe's aus vollem Herzen bei:

Ein reiner Reim wird wohl begehrt, Doch den Gedanken rein zu haben, Die edelste von allen Gaben,

Das ist mir alle Reime werth.

Neuere Dichter, die sich, wie z. B. Hoffmann von Fallersleben, viel mit mittelalterlicher deutscher Dichtung beschäftigt haben, sind nur zu oft in ihren Liedern in eine langweilige Monotonie gerathen, weil es unmöglich ist, sich einer solchen zu erwehren, wenn man sich einmal in das matte Wefen jener alten Dichtungen vertieft hat.

Für Lüther war es ein Glück, daß er sich nicht mit den in neuester Zeit so eifrig betriebenen deutschen Sprachforschungen befaßte; seine Bibelübersehung hätte nicht den wunderbaren Einfluß erlangen können, einen Einfluß, den fie feinem und seiner Gehülfen gott begeisterten Sinne und der klaren Anschauung göttlicher und mensch licher Verhältnisse verdankt, die damals durch die humanistischen Studien der Welt eröffnet wurde. Schiller und Goethe haben die deutsche Sprache in dieser Bibelüberseßung studirt, aber sie haben tichten und trachten mit und von den Griechen des Alterthums erlernt, weil sie bei ihnen die Wahrheit und Schönheit, soweit sie menschlichem Ver. mögen darstellbar waren, in vollendetster Form vorfanden. Griechischer Bildung verdankte Goethe, verdanken die Humboldt's ihre meister hafte Prosa, deutscher Sprachforschung verdankt Jakob Grimm die oft so ungelenke Rede, die sich, wir hoffen es, nicht bei uns einbürgern wird. Die deutsche Grammatik, die deutsche Literaturgeschichte, wir erkennen beide als wichtige und würdige Bildungsmittel an, aber die Grundlage aller Bildung muß das Erkennen und Erfaffen des griechischen Alterthums sein, und wir können das Verfahren derjenigen; Regierungen nur billigen, welche ernstlich dabei beharren, daß das Griechische einer der Hauptunterrichtsgegenstände auf den Gymnasien sein müsse. Wenn von hundert Schülern auch nur stets eine geringe Zahl dem wirklichen Verständniß altgriechischer Herrlichkeit gewonnen wird, so wird dieselbe, da sie dadurch zur Erkenntniß des wahrhaft und rein Menschlichen gelangt, eine größere und belebendere Wirkfamkeit in der im Leben zu erreichenden Stellung fich ermöglichen, als die Tausende, die mit mehr oder minder oberflächlichen und fragmen tarischen naturwissenschaftlichen Kenntnissen in die verschiedenartigen Berufskreise eintreten. Diesen mangelt aller feste Halt, jene schauen mit sicherem Blick auf das wogende Leben und wiffen die schwankende Meinung des flüchtigen Tages zu würdigen. Deshalb wünschen wir, daß recht viele Deutsche mit Goethe auf die Frage:

"

Von wem auf Lebens- und Wissens Bahnen

Wardst du genährt und befestet?

Zu fragen find wir beauftragt.“

antworten möchten:

Ich habe niemals 'danach gefragt,
Von welchen Schnepfen und Fasanen,
Kapaunen und Welschen Hahnen
Ich mein Bäuchelchen gemästet.
So bei Pythagoras, bei den Besten
Saß ich unter zufriedenen Gästen;
Ihr Frohmahl hab' ich unverdrossen
Niemals bestehlen, immer genossen.

Zum näheren Verständniß griechischer Literatur eine Anleitung zu geben, das beabsichtigte K. D. Müller mit dem oben angeführten Werk, dem jedoch selbst,,die Unterrichtetsten und Gereifteften" lebendige Theilnahme zugewandt haben; denn es ist, wie die GesammtEntwickelung altgriechischen Lebens, ein dem Stoff entsprechendes Kunstwerk, welches mit griechischer Klarheit und Einfachheit die Geschichte der griechischen Poesie und Profa bis auf die Zeiten Alexander's darstellt. Der Tod hat den Verfaffer inmitten seines erfolgreichen Wirkens uns entriffen, ihn, der sich berufen fühlte, eine Geschichte Griechenlands zu schreiben, und der deshalb hinüberfchiffte nach dem Lande, welches die Heimat feines Geistes geworden war. Die gewaltigen, erhabenen Geister, die von seiner frühsten Jugend an mit ihm auf das innigste verkehrten, harrten ihres Freundes am Gestade und zogen ihn mit sich fort in ihr Schattenreich:

Möge Müller's Buch einen immer größeren Kreis aufmerkender Leser finden, wir können es nicht genug allen denen empfehlen, die

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eine der unerschütterlichen Grundlagen für ihr ganzes Leben gewinnen und sich erhalten wollen. Jung und Alt rufen wir mit Goethe zu: Halte das Bild der Würdigen fest! Wie leuchtende Sterne Theilte sie aus die Natur durch den unendlichen Raum. August Geyder.

Mannigfaltiges.

Griechische und römische Klassiker in Frankreich. Ein in der Revue de l'instruction publique enthaltener Artikel liefert eine kritische Uebersicht von Ueberseßungen griechischer und römischer Klassiker, die in der neuesten Zeit in Frankreich erschienen find. La der Spize steht die Anzeige einer lateinischen metrischen Uebersezung der Ilias des Homer (Ilias Homeri Latino carmine reddita) von J. P. J. Lallier. Der Referent rühmt an ihr die Treue und Eleganz und giebt als Beispiel die Stelle aus dem sechsten Buche, den Abschied des Hektor und der Andromache enthaltend. Wir können, soviel wir aus der Probe schließen dürfen, dem Referenten nur beistimmen. De Uebertragung, die sich dem Original faft überall eng anschmiegt, en behrt dennoch nicht des römischen Kolorits. Nur ein prosodisches Versehen ist uns in dem Verse: non uxoris amor; facto simul impetu Graeci,

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aufgefallen. Von demselben Verfasser ist auch eine Ueberseßung ausgewählter Oden des Horaz in französischen Versen angezeigt. Als Probe wird die vierundzwanzigste Ode des dritten Buches gegeben. Der Sinn der Worte ist größtentheils richtig wiedergegeben; nur können wir Deutsche einmal den alten Klassikern im modernen franzöfischen Gewande keinen Geschmack abgewinnen. — In ähnlicher Weise hat ein Herr J. Ransou die Eklogen des Virgil überseßt. Der Referent schreibt es der französischen Sprache zu, wenn der Uebersezer die prägnante Kürze des lateinischen Originals nicht hat wiedergeber können; daß aber an einzelnen Stellen der Sinn des Tertes nicht ganz getroffen sei, davon trage der Uebersezer selbst die Schuld. Die Uebersicht schließt mit der Anzeige einer metrischen Ueberseßung der Satiren des Perfius von dem Marquis La Rochefoucauld - Liancourt, früherem Deputirten. Das Verdienst des Verfassers befteht nicht blos darin, daß er eine Ueberseßung geliefert hat, die überall den schwierigen Tert auf eine überraschend treue Weise wiedergiebt, sondern auch in den beigefügten Erklärungen. Ueberall werden die versteckten Beziehungen des Dichters auf Nero und seine Zeit nachgewiesen. Als Auhang ist die Ueberseßung der Satire der Dichterir Sulpicia beigefügt. Am Schluffe des Referats heißt es:,,Was mit, einem geringen Söldling im Heere der Wissenschaft, am meisten gefällt, ist, daß der Erbe eines großen Namens sich solchen beschwerlichen klassischen Arbeiten mit einem Eifer und einer Ausdauer hingiebt, die sonst nur die Nothwendigkeit auflegt, der Reichthum verschmäht. Man zeigt sich auf der Höhe seines angestammten Adels, wenn man ihm durch eine ernste und sorgfältige Pflege der Wissenschaft einen höheren Glanz giebt. Herr von La Rochefoucauld hat das wohl be griffen; denn er schließt seine Einleitung mit den Worten: Jeder von uns muß, meiner Meinung nach, sich in seinen literarischen Lieblingsbeschäftigungen von dem Nußen, der daraus erwachsen kann, leiten lassen und muß sich glücklich schägen, wenn er seinen Zeitgenoffer etwas zu reichen vermag, was auch noch einem folgenden Geschlechte angenehm sein könnte."

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Riesenbäume in Kalifornien. Daß es Bäume von ungeheurer Höhe und einem derselben entsprechenden Umfange in Kalifornien giebt, ist bekannt. Die neuesten Angaben über dergleichen Bäume entnehmen wir einer Korrespondenz des,,New-York Tribune" vom 12. Juli, d. d. Mammoth Tree Grove, Mariposa County in Kali fornien, den 14. Mai d. J. Ich bin", berichtet der. Korrespondent,,,inmitten des Niesenhaines (Mammoth grove) von Mariposa Nach allen Seiten von mir giebt es zahlreiche Riesen des Waldes von 20 bis 34 Fuß im Durchmesser und von einer Höhe von 275 bis 325 Fuß." Weiterhin bezeichnet er den Wald als ungefähr eine Meile lang und drei Viertelmeilen breit, mit 427 stehenden Bäumer welche er klassifizirt wie folgt:

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ein Baum von . . 34 Fuß im Durchmeffer

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Boccalini's Plan einer Welt-Reformation im fiebzehnten
Jahrhundert.*)

Indem ich dem in dieser Zeitschrift (Nr. 63) gegebenen Versprechen nachkomme und einen möglichst übersichtlichen Auszug aus Boccalini's allgemeiner Reformation der ganzen Welt mittheile, bemerke ich gleich von vorn herein, daß der geistreiche Italiäner nach dem zu beurtheilen ist, was er in den Wirren der von ihm wohl verstandenen Zeit erfahren und selbst erlebt hatte; ihr wollte er den Gedanken verdeutlichen, den Bonftetten kurz so zusammengefaßt hat: ,,Gefeße thun viel, Geist noch mehr, Sitten das meiste". Valentin Andreae, der bekannte höchst ehrenwerthe württembergische Theologe, welcher im siebzehnten Jahrhundert lebte, hat durch eine sehr gelungene Ueberseßung dieser Reformation in's Deutsche viel dazu beigetragen, daß des Italiäners Ansichten bei uns Verbreitung fanden zu einer Zeit, in welcher ein verheerender Krieg Elend über Elend in seinem Gefolge hatte, ohne im religiösen, politischen und sozialen Leben eine irgend ersprießliche Reform unmittelbar herbeizuführen. In neuerer Zeit ist Boccalini mehr und mehr in Vergessenheit gekommen, und namentlich seine Landsleute hätten doch soviel von ihm lernen können und könnten es noch heute.

Die allgemeine Reformation enthält nun Folgendes:

Der Kaiser Justinian bittet Apoll um ein Geset wider den Selbstmord. Apoll kann die Nothwendigkeit eines solchen Gesezes nicht begreifen, erkundet den Zustand der Welt und findet denselben so von Grund aus verdorben, daß er Abhülfe zu schaffen beschließt. Allein er geht dabei von dem Gedanken aus, daß die Reformatoren eines,,heiligen und untadelhaften" Lebens sein müffen und ihre guten Erempel viel mehr Nußen und Frommen schaffen, als die besten Regeln und Saßungen"; natürlich fällt es ihm sehr schwer, dergleichen Leute aufzufinden, und er überträgt daher das Reformationswerk den fieben Weisen Griechenlands, denen er Cicero, Cato und Seneca beiordnet, um den Römern ein Genüge zu thun. Zum Secretair mit berathender Stimme wird Jacob Mazzoni von Cesena bestellt. Als sich nun diese Reformatoren, begleitet von einer edeln und auserlesenen Gesellschaft der geschicktesten Leute nach dem Delphischen Palast zur Seffion begaben, liefen viele Pedanten (Schulmeister und Bakkalaureen nennt fie Andreae) mit Schaalen nebenher, um die klugen Reden und schönen Sprüche aufzufangen, welche jene hochverständigen Männer ausspieen.

Thales beginnt mit folgendem Vorschlag: „Um die Menschen zu zwingen, sich eines lauteren Gemüthes und einfältigen Herzens zu befleißen, soll man an ihrem Herzen,,bas Guckfensterlein" öffnen, so daß sie mit offenem Herzen reden und handeln müßten." Die Ver fammlung und auch Apoll sind hiermit einverstanden, und schon find die Barbiere mit ihren Meffern bereit, die Operation zu beginnen, da stellen Homer, Virgil, Plato, Ariftoteles und Andere dem Gott vor, daß die Welt nur regiert werden kann, wenn die Obrigkeit die erforderliche Autorität besäße. Würde man nun mit der Operation fofort vorgehen und könnte man alsdann Allen unverwarnter Sache ins Spiel sehen, so würden diejenigen, welche jest in höchstem Ansehen ftänden, als die lasterhaftesten Personen erscheinen. Apoll möchte daher seinen Unterthanen zuvörderft Zeit laffen, ihre Herzen zu säubern und auszuwaschen". Die Operation wird demgemäß auf acht Tage verschoben, und inzwischen bemüht sich Jeder auf's beste, mit Stroh wischen, Kragbürften, mit Lauge und Seife, auch durch purgirende Arzneien, fein Herz zu reinigen. Hippokrates, Galenus, Celsus und andere Aerzte machen jedoch Apoll darauf aufmerksam, daß die Operation leicht lebensgefährlich werden könnte, und daß nicht allein die scharfsinnigen Köpfe, sondern selbst diejenigen, welche einen nur mittel

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1858.

mäßigen Wig und Verftand befißen, durch den Umgang von nur wenig Lagen leicht eine Person ausforschen,,,auch dem allerverdecktesten und verborgensten Gleißner bis in die Kaldaunen hineinsehen" können. Es ist also nichts mit Thales' Vorschlag.

......

Solon läßt sich darauf also hören: „Ich habe oft der Sache fleißig nachgedacht, welches wohl die Quelle ist, aus der so grausamer Haß und so grausame Feindschaft unter den Menschen entspringen, und ich finde fie in der Ungleichheit der Güter und in dem höllischen Gebrauch des Mein und Dein". "Die ganze Welt ist eine den Menschen hinterlassene Erbschaft von Einem Vater und von Einer Mutter, von denen wir Alle als Brüder unseren Ursprung haben." Es erscheint ihm daher als die größte Unbilligkeit, daß der Eine von dieser gemeinen Erbschaft einen so großen Autheil befißt, dem er nicht vorzustehen vermag, während der Andere so gering bedacht ist, daß er davon seinem Hause nicht vorstehen kann. Die Unbilligkeit wird dadurch noch um so gehässiger, daß „gemeiniglich fromme und tugendhafte Leute Bettler find, dagegen oft böse Buben und ungeschliffene Esel bei gutem Vermögen". Die Welt muß daher auf's neue getheilt und Kaufen und Verkaufen muß auf das ernstlichste verboten werden, um die Gleichheit der Güter aufrecht zu erhalten. Bias, Periander und Pittakus unterstüßen Solon's Meinung, allein Seneca widerlegt sie mit allgemeiner Zustimmung dadurch, daß die neue Theilung „den schlimmen und nichtsnußigen Löwen" (a' ghiottoni) zugute kommen, den ehrlichen Leuten aber nur wenig einbringen würde. Außerdem wären nicht Pestilenz, theure Zeit und Krieg die ärgften Heimsuchungen der Menschen, sondern die grausamste Plage wäre die, wenn Bauern reich und den Herren gleich würden.

Chilo will nun, daß man Gold und Silber für alle Ewigkeit aus der Welt verbannen soll. Dagegen wird eingewendet, daß man des Metalles oder eines diesem gleich gehaltenen Dinges bedarf, um das, was zu des Leibes und Lebens Nothdurft erforderlich ist, sich verschaffen zu können. Würden nun Gold und Silber abgeschafft, so würden die Leute sich eines anderen Werthmittels bedienen und nach demselben ebenso gierig sein, wie nach diesen Metallen.

Kleobulus erklärt sich gegen das Eisen; allein ihm wird erwidert: Will man das Eisen aus der Welt schaffen, so muß man Eisen in die Hand nehmen und sich in einen Harnisch kleiden; es ist aber wider finnig, Schrammen mit Wunden heilen zu wollen.

(Schluß folgt.) Türkei.

Neuester Plan eines Griechen, den Sultan und sein Reich zu reformiren. (Schluß.)

Der Hauptgegenstand des Buches selbst, dem dieses Schreiben entlehnt ist, find, der Natur der Sache nach, die vom Sultan AbdulMedfchid eingeführten politischen Reformen und namentlich der HattiHumajun vom 18. Februar 1856. Der Verfasser bemerkt in dieser Hinsicht, daß mittelst desselben die europäischen Mächte die,,Chriftiani firung der Regierung des Sultans" beabsichtigt hätten, und daß dies das Prinzip sei, wodurch sie den Wiederaufbau des in voller Auflösung begriffenen Staates“ hätten bewirken wollen. Dieses Prinzip, das zwar der Sultan angenommen und welches er durch die in dem Hatti-Humajun enthaltenen reformatorischen Bestimmungen förmlich proklamirt habe, sei jedoch ungenügend; denn dieses Prinzip beruhe durchaus nicht auf einer so festen Basis, als zu dem Zwecke nöthig sei, zu welchem es von den Mächten selbst bestimmt worden; vielmehr gebe es zu diesem Zwecke nur Ein sicheres Mittel: die Nothwendigfeit für den Sultan, Christ zu werden.

Der Verfasser begründet diese Nothwendigkeit, in Folgendem. Er sagt:

Ist die Unmöglichkeit erwiesen, auf das byzantinische Reich auch nur einen einzigen Grundsaß der chriftlichen Regierungen anzuwenden, so lange der Islam die Religion des Herrschers deffelben ist, so ist

zugleich klar, wie ungereimt es ist, an eine solche Anwendung zu den fen und sie zu unternehmen, so lange nichts der Lestere Chrift geworden ist.

Diese Maßregel der Politik wird ebenso durch die Umstände geboten, als sie gerecht, konsequent und ausführbar ist. Gegen ihre Verwirklichung. sehen wir nur eine ernste Schwierigkeit: das grundlose Mißtrauen der gegenwärtigen Diplomätie in die Wirksamkeit der Mittel, die ihr zu anderen Zeiten gelangen, wenn sie zu handeln wagte. Warum sollten die Mächte, welche die gebieterische Nothwendig keit für den Sultan eingesehen haben, zuvörderst die Grundsäße sei ner Regierung vom Christenthume zu entlehnen, wenn er die europäis→ sche Civilisation auf sein Reich anwenden will, irgendwie Bedenken tragen, ihm zugleich begreiflich zu machen, daß es unter den gegen wärtigen Umständen durchaus nöthig für ihn sei, Chrift zu werden?

Welche ernste Schwierigkeit könnte Se. Majestät den Sultan Abdul-Medschid abhalten, die Erklärung von sich zu geben, daß er auch die äußere Form einer Aenderang annehme, welche er bereits auf die feierlichste Weise und durch unzweideutige' Handlungen ihrem inneren Grunde nach angenommen hat?

Sollte dieses große Werk zu seiner Erfüllung irgend ein besonderes Opfer von Seite des Sultans nöthig machen, außer der (?) unbedeutenden Aenderung feines Namens Abdul-Medschid in den Konstantin's oder jeden anderen christlichen Namen?

Wären die ernsten Gründe, die von dem Sultan diese Aenderung verlangen, von geringerem Gewicht, als die in ganz anderer Bezie hung wichtigen Beweggründe, die ihn bestimmten, seinen muham medanischen Titel: Zuflucht der Welt" (Refuge du monde) gegen den chriftlichen Titel: Kaiserliche Majestät" zu vertauschen, sowie statt der Kleidung der Osmanlis die der Giaurs und statt seiner Roßschweife Krenze anzunehmen?

Haben nicht seine Vorfahren, die Gründer seiner Dynastie, im elften Jahrhundert den Islam angenommen und dessen Annahme auch von den Horden verlangt, welche sie führten, nur um sich die Gunft der Kalifen zu sichern und von ihnen den Titel eines weltlichen Stellvertreters des Beherrschers der wahren Gläubigen zu erlangen?

Aus welchem Grunde sollte nicht der gegenwärtige Sultan dieses Beispiel der Häupter seiner Dynastie nachahmen, indem er sich zum Christen erklärte? Wäre der Ehrgeiz, ein Reich zu gründen, ein mäch tigerer Beweggrund, als die Nothwendigkeit, die bevorstehende Gefahr abzuwenden, um dasjenige nicht zu verlieren, das man besigt? #War es für Konstantin den Großen, den ruhmgekrönten Gründer des byzantinischen Reiches und den ruhmwürdigsten aller Vorgän ger Abdul-Medschid's, leichter, sich zum Christenthume zu bekennen? Hatte dieser große Kaiser wichtigere Beweggründe, als der gegen. wärtige Sultan, das Christenthum anzunehmen? Ward es ihm leichter, auf einmal mit der hohen Aristokratie von Rom und mit der ganzen römischen Nation zu brechen, die fest an der Abgötterei hingen und aus politischen Gründen Heiden waren, wie es dem Sultan Abdul Medschid leicht ist, einer Hand voll ...... Menschen, ohne alle religiöse Ueberzeugungen und ohne politische Grundsäße, sowie einer bestürzten und ohnmächtigen Volksmasse zu erklären, daß das naturgemäße Ziel aller der Schritte, welche er bereits in ihrem eigenen Intereffe und im Hinblick auf das Christenthum gethan habe, kein anderes sei, als daß er selbst Christ werde, und daß er es sei?

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Hatte Konstantin der Große, gleich dem jeßigen Sultan, einen Reformator zum Vater? Hatte er die moralische Stüße eines orientali. schen Krieges und die Aufklärung des Jahrhunderts als Vorbereitung zu dieser Aenderung und als Ausgleichung aller Schwierigkeiten für fich und vor sich?

Standen ihm, wie Abdul-Medschid, drei Viertheile seiner Unterthanen, achtzehn Millionen Christen, zur Seite? Hatte Konstantin einen solchen Stüßpunkt und einen gleich mächtigen Schild gegen jedes Ereigniß?

War dieser Kaiser, wie Abdul-Medschid, von mächtigen Fürsten amgeben, deren lebhafter Wunsch es sein muß, die chriftliche Einheit Europa's durch die Bekehrung des einzigen nicht christlichen Fürsten zum Christenthume begründet und erfüllt zu sehen?

Hat nicht Chlodwig, der Gründer der französischen Monarchie, seine Herrschaft erweitert und befestigt, indem er im fünften Jahr hundert das Christenthum annahm?

Sind nicht alle Fürsten des Abendlandes durch das nämliche Mittel groß und mächtig geworden?

Hat nicht Wladimir der Große den Grund gelegt zu dem ungeheuren russischen Reiche, indem er das Christenthum annahm und zu gleicher Zeit alle seine Unterthanen zu gleichem Schritte veranlaßte? Die politische Gesellschaft hängt eng mit der religiösen zusammen. Den religiösen Glauben ändern, heißt bei einem Volke entweder der Auflösung oder einer Wiedergeburt entgegengehen, und eine solche Aenderung führt zum Falle oder zu einer kräftigeren Erhebung, je nachdem der neue Glaube mehr oder weniger mit den Bedürfnissen

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des gemeinen Lebens übereinstimmt. Wer wollte nun aber leugnen,
daß das Christenthum nicht durch und durch mit den Bedürfniffen der
Völker in Einklang stehe, und daß es das sicherste Element sei, um
eine feste Gesellschaft dauernd zu begründen? Alle neueren Gesez-
gebungen sind die Töchter dieser Grundsäge, und es giebt kein civili
sirtes Volk, das nicht als ein solches von dem Tage an feine Er-
hebung rechnet, an welchem seine Anführer Chriften geworden waren.
Von einer anderen Seite ist das politische Leben der Völker fo
unauflöslich mit ihrem religiösen Leben verbunden, daß, in unseren
Tagen, selbst dies in Sachen der Religion noch so gleichgültigen
Staatsmänner die Uebereinstimmung der Konfeffion des Fürsten
der des Volkes, über das er herrschen soll, als unerläßlich gefordert
haben, wie denn eben deshalb zu unseren Zeiten König Otto von
Griechenland, römisch-katholischer Christ, nur unter der Bedingung
den Thron bestiegen hat, daß seine Descendenz in der morgenländi-
schen Konfession soll getauft und erzogen werden.

König Leopold von Belgien, der im protestantischen Glauben geboren und erzogen worden ist, zu welchem er auch noch gegenwärtig fich bekennt, hat nicht auch er, da er den Thron bestieg, feine Ein willigung dazu gegeben, daß seine Kinder im römisch-katholischen Glauben erzogen würden?

Sollte nun das große byzantinische Reich, in dem mehr als drei Viertheile Christen sind, von Seite seines Herrschers nicht die nämlichen Opfer verdienen, wie die kleinen Königreiche von Griechenland und Belgien?

"So würden wir denn auch zu dem gegenwärtigen Sultan sagen: entweder bleibe den Gesezen deiner Väter treu und behalte ihre Verwaltung und ihre Organisation, und - troße der Christenheit; oder wenn du glauben folltest, der im Christenthume begründeten Organisation und Verwaltung und den in ihm wurzelnden Gefeßen folgen zu müssen werde Christ und gründe dich auf den wahrhaft lebendigen und lebenskräftigen Theil deines Volkes..... Schon laffen fis Stimmen vernehmen, die da rufen: Wäre es nicht an der Zeit, daß die unterbrochene Messe in der Kirche der heiligen Sophia vollende werde?.... Wäre es aber nicht beffer, daß dies vielmehr durch die Bekehrung des Sultans zum Christenthume, als durch die Wiederholung der blutigen Scenen geschehe, durch welche einst die Messe in der heiligen Sophia unterbrochen ward?

Endlich soll das große Buch der Wunder, der Vorhersagungen und der Visionen, ebenso wie das der politischen Verträge, für immer verschloffen bleiben dem einzigen Abdul-Medschid?

Dies ist im Wesentlichen das, womit der Verfasser die Noth wendigkeit für den Sultan, Chrift zu werden, hat nachweisen wollen. Auch hier ließe sich vielleicht im Einzelnen Manches gegen den Verfaffer bemerken, und namentlich darf nicht verkannt werden, daß derselbe dabei einem gewissen religiösen Indifferentismus und einer laren jesuitischen Moral das Wort redet, und daß er von allen und jeden Erforderniffen einer inneren Bekehrung zum Christenthume gänzlich absieht. Indef handelt es sich hier nur um eine durch äußere Umstände und durch eine äußere Nothwendigkeit gebotene Maßregel der Klugheit und der Politik, wobei es auf innere Bekehrung nun und nimmer ankommen kann, und wenigstens der Vorwurf des Indifferentismus ergreift hier nicht Plaz. Außerdem aber ist die ganze Frage so eigenthümlicher, verwickelter und kiglicher Art, und das Mittel, welches der Verfasser bei Lösung der Frage und für die Entscheidung vorschlägt, ist ein so kühnes und großes, daß man dabei mit allem Rechte an den gordischen Knoten erinnert wird, der nur mit dem Schwerte zerhauen werden konnte.

Auch mag es im Wesentlichen für einen Jeden wohl nur darauf ankommen, die Ansichten des Verfaffers kennen zu lernen, insoweit fie besonders den äußeren Zuständen und der troftlosen Lage der Dinge gelten, denen durch das Mittel abgeholfen werden soll, das der Leztere als nothwendig und als das einzig mögliche zum Ziele vorschlägt. Einer Widerlegung in Ansehung der Begründung der diesfallfigen Nothwendigkeit kann es um so weniger bedürfen, je mehr man gerade bei der orientalischen Frage an die unmittelbare Führung des götte lichen Weltregierers glaubt und an sie sich hält, beffen Finger zu manchen Zeiten gerade hier gar sichtbar gewesen ist und sich kenntlich gemacht hat. Die Devise des bisherigen Ganges jener Frage ist ja nün einmal keine andere, als das Wort Fénélon's: L'homme s'agite, Dieu le mêne!

Dagegen wollen wir zu weiterer Kenntnißnahme des Ideen garges des Verfaffers noch einige Stellen aus dem Buche selbst hersezen. Nachdem er die von ihm zum Zwecke der gänzlichen Christianifirung (Durchchriftlichung) des byzantinischen Reiches angenommene Nothwendigkeit der Christ-Werdung des Sultans auseinandergesezt hat, tommt er auf gewisse politische Vorurtheile zu sprechen, die dagegen im Einzelnen erhoben werden könnten. Er hält auch diese Vorurtheile für Schwierigkeiten, die sich der Ausführung der Maßregel entgegen. stellen können, aber er erklärt fie geradezu für chimärisch. In erster

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