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derjenige besißt, dem Sie dieselben mitgetheilt. Was mich außerdem noch glauben läßt, daß diese Träume zu Wirklichkeiten werden können, ist der Umstand, daß ich Grund habe, zu glauben, es werde bereits an dem gearbeitet, was ich vorgeschlagen. Man spricht, wie ich höre, von einer Unterhandlung zwischen dem Könige von Preußen und dem Marschall von Richelieu, und diese könnte leicht zu etwas Aehnlichem, wie die mit dem Herzog von Cumberland führen.) Sie können hierüber mit Sr. Eminenz sprechen, der vielleicht schon davon unterrichtet ist.

IV. Voltaire an Tronchin.

Delices,*) 5. November 1757.

Diejenigen Personen, über welche ich Ihnen in meinen lezten Briefen schrieb, scheinen mir immer noch in großer Verzweiflung und rühmen sich ertremer Entschlüsse. Gleichwohl nehmen sie, wie Sie sehen, überall, wo sie etwas finden, wahrscheinlich, um sich zu trösten. Die Kriegshelden machen es in dieser Beziehung wie die Einbrecher, die, wenn sie erst das Ihrige haben, auch sehr großmüthig thun. Ich bin über die Affaire von Berlin noch immer nicht recht im Klaren. Ich weiß nicht, ob der General Haddik von dieser Stadt ebenso viel Geld mitgenommen, als die Preußen aus Leipzig gezogen haben.

Uebrigens werde ich wohl erst in einem Monat neue Nachrichten von den Hauptpersonen bekommen. Man war (in Baireuth) so in Anspruch genommen, daß man beim Siegeln des Pakets ein Quiproquo gemacht und mir einen unrechten Brief, statt des rechten, geschickt ein Beweis, daß man Ursache hat, etwas zerstreut zu sein.

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Delices, 17. November 1757.

Abermals erhalten Sie einen Auftrag von meiner Nichte, Madame Denis. Diese unersättlichen Pariserinnen haben nie genug; fie erschöpfen die Geduld und die Güte des Herrn Tronchin, während sie ihren Onkel an den Bettelstab bringen. Dahin hat inzwischen, wie ich glaube, der König von Preußen auch bereits die Armee des Herrn v. Soubise gebracht. Man flieht nach allen Seiten, wie es heißt, ohne Lebensmittel und ohne Gepäck. Das ist wieder einmal ein außerordentliches Glück! Diese Schlacht kann den König von Preußen zum unumschränkten Herrn von Sachsen machen und ihn bis zum Frühjahr in den Stand seßen, nach allen Seiten hin Front zu machen. Unseren Truppen kann es so ergehen, wie im Jahre 1742 in ihren Quartieren. Ich zweifle, daß man jezt noch nachgeben werde.

*) In einem Briefe vom 26. Oktober an den Pastor Vernes in Genf schreibt Voltaire jedoch:,,Ich glaube nicht an den Waffenstillstand, von dem man spricht. Kömmt ein solcher zu Stande, so ist er gewiß nicht im Ge= schmacke desjenigen (Convention von Kloster-Seven), den der Herzog von Cumberland abgeschlossen. Ich müßte mich in dem König von Preußen sehr täuD. R. schen, wenn er einen solchen Vertrag unterschriebe.“

**),,Aur Delices", so nannte Voltaire bekanntlich sein reizendes, am Genfer See, in St. Jean, zweihundert Schritt vom Genfer Thore gelegenes Landhaus. Erst im Jahre 1763 vertauschte Voltaire diesen Wohnsiz mit dem im Schlosse des von ihm erkauften Gutes Ferney im Ländchen Ger (Dep. de l'Ain). In der Stadt Lausanne hatte er eine Winter- Wohnung.

D. R.

***) Sechs Tage vorher war die Schlacht von Roßbach geschlagen worden, aber damals bedurfte es längerer Zeit, um von Thüringen eine Nachricht nach D. R. dem Genfer See gelangen zu lassen.

VIII. Boltaire an Tronchin.

Delices, 23. November 1757.

Von Ihren Genfer Korrespondenten werden Sie wohl bereits die Berichte über den Kriegsschauplag erhalten haben, in Folge deren jezt feststeht, daß man die französische Armee in einen Engpaß, zwischen zwei mit Artillerie besezten Plateaus, geführt hatte. Es giebt in der Geschichte kein Beispiel von einem solchen Fehler.

Die Sachen haben sich natürlich sehr geändert, und Sie brauchen jezt auf jenen schönen Brief nicht zu warten, von welchem früher die Nede war. Ich kann Ihnen sagen, daß man jest sehr stolz ist. Wir wollen sehen, ob der Marschall Richelieu etwas dazu beitragen wird, diesen Stolz zu vermindern oder noch zu erhöhen.

Nachschrift. Der König von Preußen gesteht, daß er hundert Todte und 260 Verwundete in unserer ritterlichen Schlacht gehabt. Das kömmt von der Malice, Artillerie auf Hochebenen aufzustellen, ohne daß unsere Generale etwas davon merken!

IX. Voltaire an Tronchin.

Delices, 2. Dezember 1757

Unser achtungswerther, gerade und richtig denkender Freund hat gewiß bereits seine Betrachtungen über das Abenteuer vom 5. November (die Schlacht von Roßbach) angestellt. Sie können sich darauf verlassen, daß Alles einen anderen Ausgang genommen haben würde, wenn man sich der Höhen bemächtigt hätte, die der König von Preußen mit Kavallerie und Kanonen besezt hatte, ohne daß man diesseits irgend etwas davon merkte. Wir standen ja diesen Anhöhen dreimal so nahe, als er. Der General von Marschall war in Sachfen mit 15,000 Mann eingerückt. Alles ist in Folge eines einzigen, großen Fehlers verloren gegangen. Die preußische Artillerie fegte unsere Soldaten reihenweise fort, und man floh nach allen Seiten. Am Abende machte sich der König von Preußen das Vergnügen, eine Dame in einem benachbarten Schloffe, in welchem er soupirte, um leinene Tücher zu bitten, um den franzöfifchen Verwundeten Bandagen machen zu laffen. Wahrlich, mit mehr Großmuth kann man uns nicht demüthigen! Die Königin von Polen) ist vor Verdruß geftor= ben. Frankreich ruinirt sich. Hier sind abermals 40 Millionen in Leibrenten.

Dieselben Intentionen, die man früher hatte, befißt man noch immer:,,Ich werde nächstens dem Herrn C. (Kardinal) de T. (Tencin) ,,schreiben. Versichern Sie ihn meiner ganzen Achtung und sagen ,,Sie ihm, daß ich noch bei meinem System beharre."

Dies sind die eigenen Worte, die man mir unterm 23. November schreibt. Ich bitte, daß man auf direktem Wege schreibe, wenn dies angeht, ohne zu ristiren, daß die Briefe unterweges geöffnet werden. Nur die Klugheit Sr. Eminenz vermag diese sehr kizliche Sache zu leiten und unter so schwierigen Umständen, wo es sich darum handelt, andere Mächte nicht zu verlegen, den angemessensten Rath zu ertheilen.

Ich versehe dabei keine andere Function, als die eines Briefträgers. Aber mein Herz erledigt sich zugleich einer Pflicht, die ihm vor Allem theuer ist: der Liebe nämlich zu seinem Könige, seinem Vaterlande und dem öffentlichen Wohl. Fern sei es von mir, mich in irgend Etwas einzumischen; ich hege nur Wünsche für die Wohlfahrt Frankreichs und möchte mir die Achtung desjenigen verdienen, den ich ebenso seiner Einsichten wie seiner Person wegen schäße.

X. Voltaire an Tronchin.

Delices, 7. Dezember 1757. Sie kennen wahrscheinlich bereits die Nachricht von dem Schlachttage, an welchem siebzehn Brücken zugleich über die Oder geschlagen, dreizehn Angriffe gleichzeitig auf die preußischen Verschanzungen unternommen wurden und sechs Stunden lang Blut gefloffen ist, die Preußen geschlagen und ihre Kanonen erobert worden, wobei sie sich nach Breslau zurückgezogen, das seitdem blokirt wird. °°) Ich erwarte von Wien die näheren Details. Vorstehendes hat man mir im Allgemeinen und in größter Eil bei dem Einzuge von blasenden Postillonen, gemeldet, welche am 25. November nach Wien die Nachricht von dieser großen Affaire des 22ften brachten, wodurch die Franzosen gerächt und zugleich beschämt werden.

Ich würde höchlich erstaunt sein, wenn man jest in Versailles den Vorschlägen des Königs von Preußen Gehör schenkte. Was man dort, nächst dem Kanonendonner, am meisten fürchtet, das ist die Erregung des leisesten Mißtrauens der Kaiserin. Man vermag nicht mehr zu lösen, was ein Moment verbunden hat. Der König von Preußen kann allerdings noch eine Schlacht gewinnen, Bonmots sa

*) Sie starb in Dresden, während ihr Gemahl, der Kurfürst von Sachsen, D. R. nach Warschau geflüchtet war.

**) Es ist hier der Tag von Gabiz bei Breslau (22. November 1757) gemeint, wo der österreichische General Nadasdy den Prinzen von Bevern angriff und schlug, in Folge dessen Leyterer gefangen wurde und Breslau kas D. R. pitulirte.

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Ich vermuthe, daß das Schreiben der Frau Markgräfin bereits unterweges sei; dieser erste Brief wird jedoch ein blos formeller mit einigen Komplimenten sein. Wenn Sie mir die Antwort wollen zu gehen lassen, so werde ich sie sicher und rasch nach Franken befördern. Auch werde ich Ihnen die mir aus diesem Lande zugehenden Depe= schen übersenden, falls dieser Weg dem hochachtbaren und einsichtsvollen Manne recht ist, dem ich meine Achtung zu bezeigen bitte.

Ich weiß positiv, daß Versailles ganz für das Haus Desterreich ist, und daß es eine kisliche Sache, irgend welche Verhandlungen anzuknüpfen, die den Argwohn derjenigen erregen könnten, welche das mächtigste Interesse haben, den Wiener Hof blindlings zu unterstützen. Ich glaube überdies nicht, daß man ohne Lesteren wird unterhandeln können. Wie könnte man sich in Hannover behaupten, wenn man einen so neuen Verbündeten verlegte, der noch obendrein täglich an Macht gewinnt? Das Alles hat seine großen Schwierigkeiten. Ich hege blos Wünsche für das öffentliche Wohl. Warum hat sich doch der König von Preußen nicht bereits entschlossen, Opfer zu bringen! Indessen ich hätte mancherlei zu sagen, was man nicht dem Papier anvertrauen mag jedoch leben Sie wohl!

XII. Voltaire an Tronchin.

Delices, 11. Dezember 1757.

Die Ratification der Capitulation von Stade (Kloster-Seven) seitens des Hofes ist dem Marschall Richelieu erst am 12. November zugegangen. Die Hannoveraner haben sich berechtigt geglaubt, fie nicht zu halten, besonders nach der schönen Geschichte, die dem Soubiseschen Heere pasfirt ist (Schlacht bei Noßbach). Graf v. Lynar zeigte jedoch erst am 28. November dem Marschall Richelieu die vollständige Aufhebung des Vertrages an. Die Hannoveraner, die Heffen und die Braunschweiger, die sich mit fortreißen ließen, waren am 28sten in Harburg, 38,000 Mann stark, und Richelieu hatte noch nicht 30,000 Mann. Man spricht von einem Corps von 10,000 Mann Preußen, das die feindliche Armee noch verstärken soll. Die Jahreszeit ist sehr rauh für die Franzosen, die Gefahr groß, die Abwesenheit von Chevert beklagenswerth und das Beispiel des Soubiseschen Heeres sehr traurig. Illiacos intra muros peccatur et extra.

Die Frau Markgräfin schreibt mir unterm 29. November, sie glaube nicht, daß in sechs Monaten auch nur noch ein einziger Franzose in Deutschland übrig sein werde; sie kann sich inzwischen irren und ihr Bruder ebenfalls.

Von allen Seiten wird die Krisis drohender. Guten Adend, lieber Freund!

XIII. Voltaire an Tronchin.

Lausanne, 20. Dezember 1757.

Sie wissen wohl bereits von den neuen Siegen des Königs von Preußen. Die fünften Tage des Monats find ihm besonders günstig.***) Der Marschall Keith, der mir am 8. d. M. mitten aus seinen Bergen schreibt, meldet mir keinesweges, daß die Preußen Breslau wieder genommen haben, wie es allgemein heißt.

Was aber noch viel trauriger ist und ich deshalb nicht glauben mag, ist, daß ein Schreiben von der Armee Richelieu's auch von einer Schlacht spricht, die wir gegen die Hannoveraner verloren haben. Falls sich unglücklicherweise diese Nachricht bestätigen sollte, so würde Frankreich 100,000 Mann und 200 Millionen verloren haben, wie im Kriege von 1741. Sie werden mir unter so traurigen Verhältnissen zugestehen, daß die Angelegenheiten des Staates nicht so leicht in Ordnung zu bringen sind, wie die Beichtzettel. Die Folge von alledem wird wahrscheinlich sein, daß der Hof von Frankreich, der

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vor vier Monaten den Frieden hätte diktiren können, ihn in zwei Monaten kaum wird annehmen dürfen.

Gott gebe, daß die Nachricht von der angeblichen Niederlage Richelieu's ungegründet sei, und daß die Prophezeiungen der Frau Markgräfin sich als falsch erweisen! Ihre Pläne sind viel annehmlicher als ihre Prophezeiungen, denn sie athmen nur Frieden. Aber dieses Chaos zu entwirren! Wie ist es möglich, sich mit dem Könige von Preußen zu verständigen, ohne sich mit der Kaiserin zu entzweien, und Herr von Hannover zu bleiben, ohne es mit dem König von Preußen zu verderben? Ja, die Offat und die Richelieu") würden Mühe haben, ein solches Problem zu lösen. Nun, wer mehr davon versteht, wie sie Alle, der mag es zu Stande bringen. Doch an den Ufern unseres Nhone und an der Kathedrale, in die Sie nicht kommen, giebt es einen Mann, der vielleicht der Einzige in Europa ist, der die Sache klar sieht und das Rechte zu thun weiß. Ich wage zu glauben, daß dieser Mann den rechten Moment ergreifen wird: er weiß, daß man einen Prozeß nicht eher durch einen Vergleich zu schlichten vermag, als bis beide Parteien kein Geld mehr haben, um zu prozessiren. (Schluß folgt.)

Belgien.

Malerei und Musik in Belgien. **)

Die Flamänder, die mit vollem Recht auf ihre ruhmvolle Malerschule stolz find, bleiben nicht bei der trocknen Bewunderung ihrer großen Meister stehen. Unfähig, sich auf die Rolle des Bewunderers zu beschränken, wirft sich der heutige Flamänder in die Rennbahn, um das Talent zu suchen, das er sehr oft findet, die Berühmtheit, auf die er bisweilen stößt und stets von der heimlichen Hoffnung geschmeichelt, daß es auch ihm vielleicht später gelingt, in die Reihe der dii majorum gentium der Malerei einzutreten. Das Kolorit reizt ihn vorzugsweise; keinesweges will er den nothwendigen und unbeugsamen Gesezen der Zeichnung troßen; allein die Reinheit der Formen, die Vollkommenheit des Modells ziehen ihn weniger an, als der Wechsel der Farbentöne, die Mischung der Abschattungen, die Mannigfaltigkeit der Gegensäge. All die Lichteffekte, die den venetianischen Meistern unter ihrem schönen Himmel auf jedem Schritte begegneten, die offenbart dem Flamänder in seinem ungünstigeren belgischen Klima die Einbildungskraft allein. Lebensvolle Traditionen, eine ruhmreiche Vergangenheit, eine feurig thätige Gegenwart sind die Stüßen der vlaemischen Schule, und mehrere Künstler sorgen für die Fortdauer ihres Rufes.

Die Liebe zum Kolorit, die diesem Lande angeboren, hat dem Herrn Calamatta, der seit 20 Jahren die Kupferstecherschule zu Brüssel mit ebenso viel Geschicklichkeit wie Erfolg leitet, einen neuen Gedanken eingegeben, eine Erfindung, die Künstler und Liebhaber als eine nationale freudig begrüßt haben. Die Erfindung besteht in der gleichzeitigen Anwendung aller vier Manieren des Stechens, Radirens und Tuschens. Auf den ersten Blick scheint nichts einfacher; es ist das Ei des Columbus; das ist ja nichts Neues, ist man versucht zu rufen, und dennoch betrachtete alle Welt den Plan als lächerlich utopisch; man fürchtete von den Verbindungen aller Verfahren einen verwirrenden Zusammenstoß; unter der Abwechselung könnte die Harmonie und die Einheit des Ganzen leiden. Herrn Calamatta, im Studium Raphael's und Leonardo's da Vinci gereift, fiel es nicht schwer, diesen ernsten Anstößen auszuweichen. Die drei erschienenen Platten: „Cenci", von Guido Reni;,,Erinnerungen an's Vaterland", vou Alfred Stevens, und,,Oh!", von Madou, zeigen, was man von dieser Erfindung zu erwarten hat, wie sehr sie das Gebiet des Kupferstiches erweitert, und welche Vortheile sie den Koloristen, folglich den Flamändern, den berufenen Koloristen, bietet. In der That hatten diese in dem Kupferstich niemals einen treuen Dolmetsch, nie waren sie von seinen Leistungen vollkommen befriedigt. In der Schraffir- und Punktirgattung waren ihnen die Töne nicht warm genug, die schwarze Kunst fanden sie zu eintönig. Von nun an scheinen ihre Besorgniffe gehoben, der kolorirte Kupferstich ist ein Bruder der Malerei geworden.

Die Kränze, die so wohlverdient der Malerei gewunden werden, gebühren der Musik nicht mit demselben Recht, und doch ist die Musik die Lieblingskunft des ganzen Volkes. Nichts geschieht ohne sie: jede Feierlichkeit wird zur Musik, und jede Musik zur Feierlichkeit. Im Winter läuft Alles in die Konzerte der Konservatorien, der KünstlerVereine, zu den Virtuosen, die Deutschland, Italien, Frankreich hierher schicken, ungerechnet diejenigen, die Belgien selbst erzeugt. Im Sommer sind die Konzerte im Freien eben so stark besucht, wie die deutschen Musikfeste. Troßdem aber hat die belgische Tonschule keinen Rubens aufzuweisen, und, streng genommen, hat es nie eine belgische Tonschule gegeben. Wohl gab es eine Zeit, wo Belgien das Vorrecht besaß, alle Kathedralen in Europa mit seinen Organisten

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alle Höfe der Kaiser und Könige mit seinen Kapellmeistern zu verforgen; wohl zählt Belgien große Tonkünstler: Adrien Willaert aus Brügge war der Vater der venezianischen Schule; Gretry aus Lüttich ist der geistvollste Sezer komischer Opern; Goffee verbesserte die Inftrumental-Musik in Frankreich zu gleicher Zeit mit Haydn in Deutschland. Allein diese Künstler, die fremde Schulen entwickelt oder gegründet haben - ihrem Vaterlande haben sie kein Ganzes an Traditionen hinterlassen. Es sind einzelne schöne Bäume, hochwüchfige Buchen, prächtige Eichen; aber kein Wald. Es hat sich gegenwärtig nichts geändert. Belgien hat eine ziemlich große Anzahl Musiker von Verdienst, fie gehören aber nach Lendenz und Neigung der Fremde. Soubre, einer der Ausgezeichnetsten, ist mehr Deutscher als Belgier, er hat etwas von dem sentimentalen Hauch Weber's und von dem sinn reichen Saz Mendelssohn's; Grifar und Limander, die Paris beffer kennt, als Brüffel, sind Zöglinge der französischen Schule; Gevaert ist der einzige, der in Melodie und Instrumentation einen wahrhaft vlaemischen Charakter hat. Es giebt deren noch andere, die aber vereint nur eine Gruppe vereinzelter Talente bilden. Alle angewandten Mittel blieben erfolglos. Die Konservatorien von Brüffel, Lüttich und Gent, die verschiedenen Musikvereine haben den Geschmack des Publikums ausgebildet, gereinigt; es gingen sogar tüchtige Tonseher und Virtuosen daraus hervor; allein eine Schule bildete sich nicht. Vergebens feßte die Regierung, um die Arbeiten der jungen Leute aufzumuntern, die Römerpreise ein. Nach mehreren in Italien und Deutschland verlebten Jahren kommt der Laureat heim, vergeffen, unbekannt, weiß oft kaum, wovon er leben soll, und um das Maß voll zu machen, gelingt es ihm sehr selten, das Werk, auf das er feine Hoffnungen gegründet, zur Darstellung zu bringen. Soubre's „Isoline" ist erst nach sieben Jahren in Scene gegangen. Laffen, müde, zwei Jahre in Bittstellen verloren zu haben, ging endlich nach Deutschland, um hier etwas weniger Gleichgültigkeit, etwas mehr Aufmunterung zu suchen, und die Verlobung des Landgrafen Lud wig" feierte einen schönen Erfolg zu Weimar. Man könnte glauben, daß der Komponist, der nicht um die Gunft der Regierung gebuhlt hat, beim Publikum auf geringere Hindernisse stößt, dem ist nicht immer also. Franz Lebeau blieb die Bühne des königlichen Theaters zu Brüffel unzugänglich. Erst im Theater,, des Galeries", nachdem ihm der Beifall in Antwerpen und Lüttich vorgegangen, erlebte seine Esmeralda" zwölf Vorstellungen, eine beträchtliche Zahl für eine einheimische Oper, die von keinem ausländischen Publikum die Weihe des Beifalls empfangen hat. Einige Tage darauf hörte man auf der felben Bühne „Karl V.", eine Oper von Miry, einem Genter Tonseger, der, nach der Aufführung in feiner Geburtsstadt, sein Werk dem Urtheil der Brüffeler unterwerfen wollte. Neben diefen bedeutenden Leistungen her laufen noch mehrere Operetten, frostige und dürftige Machwerke, die nur zur Welt kommen, um zu sterben, und fterben, ohne gelebt zu haben.

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Mannigfaltiges.

Virtus post nummos. Dieses Wort des alten Horaz, das für seine eigene Zeit charakteristisch war und, recht verstanden, den baldigen Untergang der alten Herrlichkeit ahnen ließ, ist leider auch für unsere Zeit die herrschende Devisé geworden. Erst das Geld und dann die Tugend! d. h. die materiellen Interessen beherrschen die Welt. Ein kürzlich in Paris in einer Sammlung satirischer vierzeiliger Epigramme (,, Fabulettes en quatrains") veröffentliches Sinngedicht bezeichnete die gegenwärtige Zeitrichtung in Frankreich, sowie anderswo, mit folgenden Worten, die an das lateinische: Virtus post nummos, erinnern, sehr treffend:

Contre les moeurs du siècle en vain l'on deblatère,
Et, grâce au ciel, il est encor

Quelque chose, qui se préfère

La vertu?

Non pas, ma foi! Mais l'or.

A l'argent. Noch stärker äußerte sich neulich ein französisches Blatt, indem es sagte: „Eine Art von Faulheit ist an die Stelle der früheren regen Begeisterung getreten, und diese Faulheit könnte man fast Feigheit nennen; man hat die Fahne des Geistes verlassen, um unter das Banner der Intereffen zu eilen. Man denkt nicht an den Ruhm, man denkt an's Geld. Die invalide Intelligenz hat ihre Entlassung gegeben und läßt den gemeinsten Lüften freien Lauf. Man möchte sagen, ein Bedürfniß nach Schmach liegt in der Luft. Die großen und kleinen Niederträchtigkeiten sind an der Tagesordnung. Das Gold ist die allgemeine Religion; wer seine Feder nicht verkaufen kann, verkauft sein Wort. Es ist ein Heimweh nach Erniedrigung.“. An Stoff zu einem eingehenden Kommentar zu diesem Terte fehlt es nicht. Der Sturm der Handelskrise hat aller Orten den Schmuß des bobenlosesten Leichtsinns bloßgelegt und große und kleine Nieder

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trächtigkeiten", sowie ein gottloses und frevelhaftes „Heimweh nach Erniedrigung“ offenbar gemacht. Virtus post nummos.

-Eine höhere Lehr-Anstalt in Algerien. In der Stadt Algier hat die französische Regierung ein,,kaiserliches arabisch-französisches College" gegründet, das mit dem Jahre 1858 seine Wirksamkeit beginnen sollte. Es wird mit dieser höheren UnterrichtsAnstalt zugleich ein Alumnat verbunden sein, in welchem die jungen Leute nach ihren verschiedenen (chriftlichen, muhammedanischen und mosaischen) Religionsgebräuchen werden leben können. Der Unterricht wird zunächst im Studium der arabischen und der französischen Sprache, nach den Regeln der Grammatik, bestehen. Beide Sprachen werden abwechselnd die Lehrsprache des Institutes sein. Mathematik, Geschichte, Geographie, Naturwissenschaften, Zeichnen 2c. bilden die übrigen Gegenstände des Unterrichtes, der die Zöglinge befähigen soll, sich dem Kaufmannsstande oder den Gewerben, dem Militair- oder dem Civil-Dienste zu widmen. Für die muhammedanischen Zöglinge wird ein Imam und für die jüdischen ein Rabbiner den Religions: Unterricht leiten und die Kultus-Vorschriften überwachen. Ebenso wird für die Gymnastik und die Gesundheitspflege in jeder Beziehung Sorge getragen werden.

Das Neugriechische in seiner Bedeutung für das Altgriechische, sowie für vergleichende Sprachenkunde. Ueber diesen Gegenstand enthalten die Göttingischen Gelehrten Anzeigen", 1857, S. 293-316, einen interessanten Auffah aus der Feder des Professor Ernst Curtius in Göttingen. Daß die königliche Sozietät der Wissenschaften zu Göttingen, welcher der Aufsaß vorgelegt worden, den Gegenstand selbst, sowie die in dem Artikel enthaltenen Winke, Vorschläge und Wünsche, soweit dies möglich ist, gehörig ins Auge faffen und beachten werde, darf vorausgesetzt werden. Aber zunächst kommt es denen, die sich mit dem Altgriechischen und mit der Vergleichung der Sprachen beschäftigen, zu, den Gegenständen, um welche es hierbei sich handelt, die gebührende Aufmerksamkeit zu schenken und namentlich das Vorurtheil abzulegen, mit dem man noch immer auf die neugriechische Sprache herabfieht und die Meinung festhält, als sei dieselbe zu nichts nühe. Allerdings ist schon manchmal auf die Vortheile hingewiesen worden, die das Studium und die Kenntniß des Neugriechischen zum besseren Verständnisse des Altgriechischen und der alten klassischen Schriftsteller gewährt, und einzelne Beispiele haben dies in verschiedenen Beziehungen klar und einleuchtend gemacht; aber es heißt nun einmal in dem Sprüchworte: Ars non habet osorem, nisi ignorantem! Nun läßt sich aber hier ein anerkannter Meister der Wissenschaft selbst über jeue Gegenstände vernehmen, die man in gewissen Kreisen so verächtlich zu behandeln gewohnt ist, und er spricht über dieselben mit einer solchen Unbefangenheit und Klarheit und mit soviel Sachkenntniß, daß die Bedeutung. und Wichtigkeit des Neugriechischen für das Altgriechische und für vergleichende Sprachenkunde fortan nicht mehr bezweifelt werden kann, und daß es nunmehr an den Hellenisten und Linguisten ist, ihre ausschließliche Stellung aufzugeben. Wenigstens mit der ignorantia juris können sie sich fernerhin nicht mehr schüßen. TH. K.

Was heißt Buddha? Im zweiten Theile des Artikels über Buddhismus (nach Köppen), Nr. 6 des Magazin", wird das Wort Buddha unrichtig durch Glänzender erklärt. Diese Bedentung hat es nie beseffen. Die Sanskrit-Wurzel budh heißt vornehmlich erkennen und wissen, daher buddha, ein zur Erkenntniß Gekommener, Weiser, Gelehrter (Bopp's,,Glossarium sanscritum", S. 239). Da die erwähnte Wurzel übrigens auch für erwachen (f. ebendafelbft) vorkommt, so mag man den Buddha im buddhistischen Sinne, wenn es einem so beffer gefällt, als Erwachten denken, und es ist dann die Erkenntniß nur bildlicher ausgedrückt.

Bei Veit & Co. in Berlin sind erschienen:

Leopold Schefer
Ausgewählte Werke.

Novellen. Gedichte. Laienbrevier.

Mit dem Bildniß, dem Facsimile und der Biographie des Dichters. (Leytere von W. von Lüdemann.)

12 Bde. Klassiker-Format. Geh Preis 3 Thlr. 10 Egr. Die neue Ausgabe erschien in 25 Lieferungen (à 4 Sgr.) während des Jahres 1857. Seit Ende desselben vollständig, ist dieselbe compl. in 12 Bånden, wie auch lieferungsweise zu beziehen.

Wöchentlich erscheinen 3 Nummern. Preis jährlich 3 Thlr. 10 gr., halbfährlich 1 Thir. 20 Sgr. und viertel jährlich 25 gr., wofür das Blatt im Inlande portofrei und in Berlin frei ins Haus geliefert wird.

No 12.

für die

Bestellungen werden in jeder deutschen Buchhandlung (in Berlin bei
Beit u. Comp., Jägerstraße Nr. 25, und beim Spediteur Neumann,
Niederwallfir. Nr. 21), sowie von allen königl. Post-Aemtern, angenommen.

Literatur des Auslandes.

Italien.

Das Erdbeben in Neapel.

Berlin, Donnerstag den 28. Januar.

Wir theilen über dieses furchtbare Ereigniß, welches so vielen Menschen das Leben gekostet (man spricht von 25,000 Verunglückten) und so viele bisher wohlhabende Ortschaften und Familien ruinirt hat, nachstehende Auszüge aus einem Schreiben aus der Hauptstadt Neapel vom 20. Dezember 1857 mit, welches das Londoner Athenaeum enthält. ....,,Seit dem legten Dienstag ist kein Tag ohne einen oder mehrere Erdstöße vorübergegangen, und das Publikum war in einem solchen Zustande des Schreckens, daß bei der leisesten Schwingung alle Gesichter erbleichten und in den Straßen beständig der Angftruf: „,Terremuoto!" erscholl.

1858.

Leidenschaften, die in deffen Gefolge sich einzustellen pflegen. Die armen Leute rannten unter Zetergeschrei aus den engen Gäßchen in die mehr offenen Durchfahrten, die Mutter Gottes und die Heiligen um Schuß anrufend. Weislich hatte man die Kirchen geschlossen, aber die Eingänge waren von Leuten auf den Knieen belagert, die inbrünftig das göttliche Erbarmen erflehten. In einigen Stadtvierteln gaben die Priester diesem mächtigen religiösen Drang des Volkes nach, und die Bilder der heil. Anna, des heil. Antonius und anderer Heiligen wurden in Prozession umhergetragen, gefolgt von Haufen Litaneien fingender Andächtigen. Es war ein Schauspiel, das, gepaart mit dem Gefühl der furchtbaren Lage, in der wir uns befanden, auf jedes Gemüth besänftigend wirkte.

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Aber auch an düsterem Schatten fehlte es dem Bilde nicht. Die Bande der Gesellschaft begannen sich zu lockern: in dem Gesindel erwachte die Begier, zu rauben und den Frieden zu brechen; die Diebe benußten die Gelegenheit der von ihren Bewohnern verlassenen Häuser und ließen republikanische Rufe hören, um die Unordnung zu steigern und im Trüben zu fischen. Indessen hatten die Behörden die kluge Vorforge getroffen, starke Scharwachen durch die Stadt ziehen zu lassen, und als diese hie und da drohten, mit ihren Feuerwaffen Ernst zu machen, war die Ruhe bald hergestellt. So verlebten wir die Nacht vom 16ten zum 17ten. Um 3 und 5 Uhr nach Mitternacht jedoch wiederholten sich die Stöße, und der Schrecken wuchs. Mit Anbruch des Tages ftellte sich aber heraus, daß fie in der Stadt wenig Schaden gethan hatten. Hin und wieder war eine Treppe gewichen, sehr wenige Häuser hatten Riffe, keines war zusammengestürzt und kein Menschenleben verloren. Der Direktor der königlichen Sternwarte berichtete, die Grundmauer des Thurmes, in welchem der AequatorialApparat aufgestellt ist, sei geborsten, und die beiden Pendeluhren in der Richtung des Stoßes, von Süden nach Norden, feien still ge= standen. Eine Pendeluhr, die auf meinem eigenen Tische in westöftlicher Richtung stand und seit 10 Tagen nicht im Gange war, wurde in Bewegung gefeßt. Neapel war mit dem Schrecken davongekommen. Der erste Stoß hatte fünf, der zweite fünfundzwanzig Sekunden gedauert. Sekunden gedauert. Hätte sich diese Dauer nur noch um wenige Sekunden verlängert, so war ein allgemeiner Zusammensturz unausbleiblich.

Am 7. Dezember stürzte unter einem leichten Stoß der Kegel des Vesuvs nieder. Eine andere bemerkenswerthe Erscheinung war, daß ein Wetter, so schön, wie wir es nur im Sommer gewöhnlich haben, seit zwei oder drei Monaten anhielt. Ich saß Dienstag Abends, um 10 Uhr zehn Minuten, an meinem Schreibtisch, als dieser, wie von gewaltiger Fauft gefaßt, heftig hin und her gezerrt wurde. Die Lampen hüpften auf dem Tische, die Gemälde schlugen gegen die Wände. Die Balken im Zimmer knackten, gleich den Schiffsrippen auf fturmgepeitscher See, und die Wände wogten sichtbar. Das ist ein Erdbeben! schrie ich und rannte zur Thür, als die Schelle heftig ertönte, wie wenn Jemand daran riß, um eilig eingelaffen zu werden. Vor meinem Zimmer, das im vierten Geschoß liegt, traf ich eine Menschengruppe, wovon Einige aus den Betten gesprungen waren und ihre Nachtkleider umgeworfen hatten. Der Schrecken schien sie übermannt zu haben: einige kreischten, andere riefen die Heiligen an, noch andere lehnten ohnmächtig gegen die Wand. Kaum zwei Minuten nach dem ersten Stoß kam die „replica”, die in vulkanischen Gegenden mit so spannender Angst erwartet wird, und sie kam über ans mit Riesenftärke. Die Steine flogen vom Dache und all die früher beschriebenen Wirkungen erneuerten sich mit wachsender Gewalt. Zwei Thatsachen indeß vor allen machten auf mich einen überwältigenden Eindruck: zuerst tönte meine Schelle ununterbrochen fast eine Minute lang fort, und es war schauerlich, dieses Zeichen der Verbindung mit der Geisterwelt (?) zu beobachten; dann wurden die in Ohnmacht Wie sah es aber in den Provinzen aus? Die Unruhe unter de gegen die Wand Lehnenden hin und her, ohne Kraft des Wider- nen, die aus den Provinzen sich zur Zeit in Neapel aufhielten, war standes, wie in einer Wiege, geschaukelt. Im Nu befanden wir uns aufs Aeußerste gestiegen, und das Telegraphen-Bureau war am Morgen auf der Straße. Der Vefuv, der hier stets für ein Sicherheitsventil des 17ten so belagert, daß eine Schildwache davor gestellt werden gilt, sah sehr finster und tückisch aus - nichts zeigte sich, als eine mußte. Am Abend verkündete die offizielle Zeitung, man habe zwar leckende Flamme auf dem Gipfel, als wenn er seine ganze Kraft zu- zu Salerno auf telegraphischem Wege nachgefragt, es sei aber aus fammennehme, um nach einer anderen Richtung zu wirken. Ganz Ganz La Lola, Lagonegro und aus den kalabrischen Provinzen keine Antwort Neapel war taghell erleuchtet und ich trat meinen Zug durch die erfolgt. Die Ursache der Unterbrechung sei unbekannt. In der CamStraßen an. Menschenhaufen in buntester Tracht, zum Theil faft nackt, pagna war ein Haus eingefallen; in Castellamare waren einige Treppen drängten sich auf die offenen Pläge. Manche waren im Nachtgewande, von der Stelle gewichen; auch in Sorrento waren ähnliche BeschädiManche hatten ein Betttuch um die Schultern geworfen, Andere zeigten gungen vorgekommen, und in Capri hatte sich ein Stück vom Berge sich im vollständigen Anzuge, wie sie sich eben aus einer Gesellschaft abgelöst. Die folgende Nacht verbrachte ein beträchlicher Theil der geflüchtet hatten. In einem Winkel, in der Nähe einer Villa, lag Bevölkerung wieder unter freiem Himmel, und es wiederholten sich eine Matraße ausgebreitet, auf der Kinder schliefen. Die Pläge waren die Auftritte der vorigen Nacht. Einige leichte Erdstöße riefen keine gedrängt voll Wagen, auf welchen Personen saßen, die vor Angst große Unruhe hervor. Die Zeitung vom 18ten meldete, daß die tenicht im Zimmer bleiben mochten. Die Pferde waren ausgespannt, legraphische Verbindung zwischen Elcoli und La Lola unterbrochen sei, und Alles wurde zu einer improvisirten Nachtherberge eingerichtet. daß man aber durch andere Kanäle traurige Nachrichten erhalten Wem kein solcher Lurus zur Verfügung stand, ging auf und ab; die habe: Im leßteren Orte find drei Menschen getödtet, und das Geniederen Volksschichten gruppirten sich um große Feuer, die in Ab fängniß, sowie die Baracken beträchlich beschädigt worden; in Pertosa ftänden von 50 Schritt überall brannten. Unter gewöhnlichen Um- brach die Hälfte der Häuser zusammen, in Canoa hundert Häuser, ftänden wäre ein Maler über die Studien, die sich hier seinem Pinsel wie viel Menschen dabei umgekommen, ist unbekannt. In Polla war boten, hoch erfreut gewesen; wie aber die Sachen standen, waren Alle das Unglück nicht zu ermeffen; in Salerno hatten unter vielen Gevon einem einzigen Gefühle bewegt: vom Gefühl der Angst und des bäuden zwei Kirchen, der Präfekturpalast und die Baracken der GenSchreckens. darmerie am meisten gelitten; der Glockenthurm und die Kirche von Saldina, nahe bei Salerno, ftürzten ein, und zwei Frauen fanden ihren Tod. Am schwersten aber wurde Potenza, die Hauptstadt von Basilicata, heimgesucht. In Bari brachte die Bevölkerung die Nacht im Freien zu. In Ricigliano fielen zehn Häuser ein und vergruben

Von der Art waren die Scenen an der Riviera di Chiaja, dem vornehmsten Stadtviertel. Im Mittelpunkt der Altstadt wechselten die Gestalten. Alle Pläße waren hier mit Fuhrwerken überfüllt; hier stieß man auf stärkere Zeichen des panischen Schreckens mit allen

fieben Menschen, wovon aber fünf aus dem Schutt lebendig herausgeholt wurden. Sonnabend Morgen verspürte man wieder zwei Stöße in Salerno, einen in Neapel. Im Laufe des 19ten kam genauere Kunde von Potenza: in dieser Stadt von 14 bis 15 Tausend Einwohnern ist nicht ein einziges Haus in bewohnbarem Zustande geblieben. Manches Opfer wurde dem Grabe wieder entriffen, die eigentliche Zahl der Verunglückten ist unbekannt. Tito, eine Vorstadt Potenza's mit 10,000 Seelen, Marsico-Nuovo, Ober-Cuzana und Brienza find faft ganz zerstört, zwei Drittel der Bewohner Vignola's sind umgekommen. Die Verwüstung in Viggiono, Calvello, Anzi und Abriola ift grauenerregend, aber noch mehr der Schrecken und die Verzweiflung der Einwohner.,,Die Feder sinkt uns aus den Händen bei der Schilderung dieser Bilder des Entseßens", sagt der Berichterstatter. Solche Nachrichten waren keinesweges geeignet, die Gemüther in Neapel zu beruhigen, wo nur Ein Gedanke Alle beschäftigte. Am 19ten, zwischen fünf und halb sechs, spürten wir wieder zwei Stöße, und unmittelbar darauf stürzten einige Nachbarn mit der Meldung zu uns ins Zimmer, was überflüssig war, denn das Angstgeschrei: Terremuoto! Terremuoto! drang von der Straße zu uns herauf. Wiederum strömte das Volk auf die Straßen, und wiederum wurden die Fuhrwerke für die Nacht auf den offenen Pläßen aufgestellt, wiederum lagerten die Armen um die Nachtfeuer, die Heiligenbilder wurden erleuchtet und jede Vorsicht genommen, die Furcht und Aberglauben eingaben.

Um Mitternacht erfolgte ein neuer leichter Stoß, und am Sonntag den 20sten, um 10 Uhr Morgens, fühlten wir die Dielen unter uns sich heben. In der That schien die Erde eben so nervös, wie wir selber, und einige Tage hinter einander lebten wir in dieser gräßlichen Spannung, die der beständig drohende erneute Ausbruch der Gefahr in uns erzeugte. Den lezten Ruck spürte ich gestern Abend, aber von der leichten Art, gegen die wir fast gleichgültig geworden sind. Ich schließe mit den zulegt eingelaufenen Berichten über dieses schauerliche Ereigniß, das in den Provinzen Principato Citeriore und Basilicata feinen Gipfel erreichte. Bis zum 18ten waren in Potenza 19, in Polla 300 Leichen ausgegraben; ein Wachtmeister wurde noch lebend hervorgezogen, ebenso ein Richter in Soponara, obgleich zerquetscht und verstümmelt und den Verlust seiner Frau und seiner beiden Kinder bejammernd. In Lagonegro verspürte man in der Nacht vom 16ten im Verlauf von sieben Stunden drei Stöße, und alle Häuser, öffentliche wie private, wurden abgedeckt. Drei, unter diesen die Kapuziner-Kirche und ein Krankenhaus, sind auf dem Punkte, einzuftürzen. Die Stöße wiederholten sich ununterbrochen bis gestern, und bie ganze Bevölkerung ist zeitweilig in Baracken untergebracht. In der Gemeinde Carbone wurden 21 getödtet und 19 verwundet. Cakelsano ist bis auf den Grund zerstört, und 400 Menschen haben unter den Trümmern ihr Grab gefunden. Auch Sarconi ist fast vom Boden verschwunden, und dreißig Menschen sind dabei umgekommen. Andere Gemeinden von Lagonegro, wie: Maratea, Laauria, Castelluccia, Rotonda, Vigianella, Sant' Arcangelo, Calvera, San Martino, Castronuovo und Senisa, beklagen die Zerstörung der meisten Häuser und besonders der Kirchen und viele Menschenverluste, da nur wenige noch lebend aus dem Schutte ausgegraben wurden. Außer dem vielen zu grundgerichteten Leben und Eigenthum, find Tausende in Mangel und Elend gesunken und lagern, beim herannahenden Winter, auf freiem Felde, und sind für die ersten Bedürfnisse nur auf die Hülfe der Regierung angewiesen. Hier jedoch, wie ftets bei öffentlichen Kalamitäten, Rellten sich recht scharf markirt die Gegenfäße in den Gesinnungen heraus: hier Versuche zu Gewaltsamkeiten und Diebstahl und die Gier, womit sich der große Haufe am leßten Sonnabend zum Lotto drängte - und dort die abergläubische Verehrung, womit die Ankündigung begrüßt wurde, daß das Blut des heiligen Januarius flüssig geworden.“*)

Frankreich.

Ein Briefwechsel vor hundert Jahren.

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Lausanne, 3. Januar 1758.

Folgendes schreibt mir der Vertraute der Frau Markgräfin: ,,Man glaubt, wie Sie, daß Frieden gemacht werden muß. Der König von Preußen wünscht ihn, wie es scheint. Ich möchte Ihnen wohl die Hindernisse mittheilen, die ich zu bemerken glaube, aber die Befehle Ihrer königl. Hoheit nöthigen mich, die Entwickelung ,,meiner Ideen auf einen anderen Posttag zu verschieben. Ich weiß ,,nicht, ob sie Ihnen mit der heutigen Post schreiben werde, aber ich kann Ihnen die Versicherung geben, daß man Sie, bei allen Er,,folgen und Triumphen, nicht vergessen hat."

Das neue Jahr wird vielleicht für die Franzosen ein Unglücksjahr, wie 1757 ein Jahr des Unbestandes war. Wenn der Sieg von Liffa (Leuthen) ein so vollständiger ist, wie der König von Preußen sagt; wenn er 20,000 Gefangene gemacht, wie er sich rühmt (obwohl mir diese Zahl unwahrscheinlich vorkömmt); wenn er von den Engländern kräftig unterstüßt wird, wie es allen Anschein hat, so ist in Deutschland das Gleichgewicht hergestellt und die beiden Schüffeln der Wagschale werden mit Leichen und leeren Geldsäcken bedeckt sein. Deutschland wird getheilt und geschwächt in diesem Falle, und Frankreich befindet sich am Ende dabei noch besser, als wenn es das Haus Desterreich durch unglückselige Siege hätte vergrößern helfen.

Aber wenn andererseits den französischen Heeren neue Unfälle zustoßen, wenn die Hannoveraner, von den Preußen unterstügt, im Jahre 1758 das thun, was die Panduren 1742 thaten, wenn sie die Franzosen vertreiben, wenn unsere Armeen und unser Geld dahin sind, endlich wenn das siegreiche Preußen sich eines Tages mit Desterreich gegen Frankreich verbündete und wenn den alten Abneigungen gegenüber die neuen Verträge den Sieg davontragen, dann hätte Frankreich ebenso viel zu fürchten, als zu bereuen, und nur durch den völligen Ruin seiner Finanzen könnte es alsdann zur See und zu Lande Widerstand leisten.

Fassen wir die Sache jezt von einer anderen Seite noch: Es kann sein, daß der Marschall Richelieu die Hannoveraner schlage, daß die Ruffen und die Schweden den Krieg ernst führen, daß die Oesterreicher, die sich alsdann in ihren Operationen viel freier bewegen könnten, den König von Preußen, ungeachtet seiner Siege, in das Gedränge brächten.

Und nun noch ein anderer, wahrscheinlicherer Fall: daß alle Er. folge balancirt würden, daß der König von Preußen den Frieden wie ich glaube aufrichtig wünscht kann Frankreich dann nicht diesen Frieden mit Anstand schließen?

Aber wird sich in allen vorgedachten Fällen der König von Preußen von den Engländern losmachen können, die ihm eine Statue er richten und die ihm Subsidien zahlen wollen? Kann sich Frankreich, das dann gar keinen Verbündeten mehr haben würde, von dem Hause Desterreich losmachen? Es scheint, daß man sich in ein Labyrinth be geben hat, aus welchem uns kein Faden mehr heraushilft und aus dem man nur mit dem Degen in der Hand herauskommen kann.

Was soll man in der That vorschlagen und wem soll man die Vorschläge machen? Etwa den Hannoveranern, nach dem Bruche ihrer Capitulation? Dem Könige von Preußen, nachdem wir so schmählich von ihm geschlagen worden? Den Desterreichern, nach den eben erst mit ihnen eingegangenen Verträgen? Kann man überhaupt mit einer dieser Mächte Separat-Verhandlungen anknüpfen? Und ist man nicht genöthigt, zu warten, bis alle Parteien, gleich geschwächt und zerriffen, einen ihnen nothwendigen Frieden wünschen?

Die Nachwelt wird Mühe haben, zu glauben, daß ein „Marquis von Brandenburg" allein sich gegen Frankreich, Desterreich, das halbe

Vor und nach den Schlachten bei Roßbach und bei Leuthen. deutsche Reich, Rußland und Schweden zugleich behauptet habe; aber

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