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Wir haben mit Absicht einige für das größere Publikum interefsante Punkte hervorgehoben, damit man erkenne, wie die Sammlung der Keplerischen Werke nicht blos für Mathematiker und Aftronomen von Interesse ist. Sie liefern auch wichtige Beiträge zu der Sitten-, Kultur und Literaturgeschichte, und der Sprachforscher dürfte in Kepler einen der besten deutschen Stilisten jener Zeit erkennen. Wir sprechen daher den Wunsch aus, daß das Unternehmen eine recht vielseitige Unterstüßung finde.

Herausgeber hat es . 386 ff. wiedergegeben. Nach einer kurzen reich sein werde. Ich bin der Meinung, er werde ihme eine solche Erklärung der Himmels-Figur giebt Kepler unter der Ueberschrift de vor allen anderen belieben laffen, ob es wohl Himmels halber nit domo geniturae die dreifache Methode, wonach die Constellation beur- so spezifizirt werden kann, denn sein Natur und Neigung gildt bey theilt werden könnte, nämlich die der Chaldäer und Araber, die er mir mehr denn fein Stern. 3m 37. Jahr (1619) gibt es wieder verwirft, die der anderen Astrologen und feine eigene, wonach er das eine Weibergunft." Hierzu die Bemerkung Wallensteins: „,Anno Resultat erhält:,,Weil der Saturnus und Jupiter im ersten Hause 1609 im Majo habe ich diese Heurath gethan mit einer Wittib, die stehen, darauf ich sonderlich sehe, demnach bleibet es dabey, daß Sa- daher ad vivum deskribirt wirdt. Anno 1614, den 23. Martii ift fie turnus und Jupiter das meiste thun." Unter der Ueberschrift: "Von gestorben, und ich mit einer Jungfrau anno 1623 den 9. Junii wieder General - Bedeutung dieser himmlischen Figur“, heißt es: „So derumb geheyrathet." - Jm 39. 40. Jahre (1621, 1622) prophezeit nun dieser Herr geboren ist zu vermelter Zeit (1583 den 14. Seps ihm Kepler eine gefährliche Krankheit. Wallenstein bemerkt: Anno tember Nachmittag um 4 Uhr und 14 Min.), so mag mit Wahrheit 1620 im Julio bin ich uf den Tod krank gewest; aber die Experienz gefagt werden, das es nicht eine schlechte Nativitet sei, sondern hoch- und Fleiß der Medici dem balde bevorkommen."-,,3m 42. 44. 46. wichtige Zeichen habe, als u. s. w. Doch hat sie nebenst einen großen geht es gar lieblich und weibisch zu." Gerade diese Jahre (1624 Fall, das der Mond in das zwölfte Haus verworffen. Ob auch etwas bis 1628) waren die bewegtesten und thatenreichsten seines Kriegerin folgender Erkärung dergleichen lauten möchte, als begebe ich mich lebens. Von 47. biß in 52. wollen wir anfahen an Gütern, uf glückfall, um fortuita oder contingentia zu errathen, solle solches Authoritet und Ansehen treflich zuzunehmen. Doch möchte er daneben nicht anders verstanden werden, den die igige Erklärung vermagk. das Podagra zur Zubuß bekommen." Hierbei bemerkt Wallenstein: Nemlich nach dieser Regul, das welcher Aftrologus einige Sache blos,,Das Podagra habe ich anno 1620 im April bekommen, aber gehet und allein aus dem Himmel vorsagt und sich nicht fundiret auf das biß dato noch guth." big dato noch guth." Bekanntlich ward Wallenstein in seinem Gemüth, die Seele, Vernunft, Kraft oder Leibesgestalt desjenigen 52. Lebensjahre am 25. Februar 1634 in Eger ermordet. Nach der Menschen, dem es begegnen soll, der gehet auf keinen rechten Grund, Vermuthung Kepler's sollte ihn erst in seinem 70. Jahre „ein vierund so es ihm schon gerathe, sey es Glücksschuld; sintemal alles, was täglich Fieber anstoßen oder ein kalter Fluß, welcher bei diesem Alter der Mensch vom Himmel zu hoffen hat, da ist der Himmel nur Vater, schwerlich überwunden wirdt, wo er anders nicht im 20. oder 40. daraufseine eigene Seele aber ist die Mutter darzu. - Solchergestalt mag gehet, wie oben angedeutet." ich von diesem Herrn in Wahrheit sagen, das er ein wachendes, aufgemuntertes, embsiges, unruhiges Gemüth habe, allerhandt Neuerungen begiehrig, dem gemeines mentschliches Wesen und Handel nit gefallen, sondern der nach neuen, unversuchten, selzamen Mitteln trachte, doch viel mehr in Gedanken habe, dann er eußerlich sehen und spüren läffet. Der Saturnus im Aufgange machet müßige, melancolische, allzeit wachende Gedanken, Alchymiam, Magiam, Zauberei, Gemeinschafft zu den Geistern, Verachtung und Nichtachtung menschlicher Gebote und Sitten, auch aller Religionen; macht Alles argwöhnisch und verdechtig, was Gott oder die Menschen handeln, als wenn es alles lauter Betrug und viel ein anderes derhinder wäre, dan man fürgibt. Und weil der Mond verworfen stehet, wird ihme diese seine Natur zu einem merklichen Nachtheil und Verachtung bey denen, mit welchen er zu konversiren hat, gedeihen, das er für einen einsamen, leichtschäßigen Unmentschen wird gehalten werden. Gewaltsam er auch sein wirdt, unbarmherzig, ohne brüderliche oder eheliche Lieb, niemandt achtend, nur ihme und seinen Wohllüften ergeben, hart über die Unterthanen, an sich ziehend, geizig, betrüglich, ungleich im Verhalten, meist stillschweigend, oft ungeftúm, auch streitbar, unverzagt, wiewohl Saturnus die Einbildungen verderbt, das er oft vergeblich Forcht hat. Es ist aber das Beste an dieser Geburt, das" Jupiter darauf folget und Hoffnungen macht, mit reifem Alter werden sich die meisten untügenden abweßen und also diese seine ungewöhnliche Natur zu hohen, wichtigen Sachen fähig werden. Dan sich nebenst auch bei ihme sehen laffen großer Ehrendurft und Streben nach zeitlichen digniteten und Macht, dadurch er ihme viel großer und heimlicher Feindt machet, aber denselben meistentheils obsiegen wirdt. Da diese Nativitet viel gemeines hat mit des gewesenen Canzlers in Polen, der Königin in Engellandt und anderer dergleichen, die auch viel Planeten in Aufund Niedergang und den Horizonten herumber stehen haben, derohalben kein Zweifel ist, wofern er zur hohen dignitet, Reichthumb, und nachdeme er sich zu einer Höflichkeit schicken würd, auch zu stattlicher Heurath gelange. Und weil Mercurius so genau in opposito lovis ftehet, will es das Ansehen gewinnen, als werde er einen besonderen aberglauben haben und dadurch eine große Menge Volks an sich ziehen, oder sich etwa einmahl von einer Rott, so malkontent, zu einem Hauptund Nädelführer aufwerffen lassen."

Aus diesem Prognosticum erkennen wir, daß Kepler, wie er selbst andeutet, mehr aus psychologischen, als aus astrologischen Datis die Zukunft des Mannes vorherbestimmt habe, und wir müssen gestehen, daß ihm die Psychologie eine bessere Führerin gewesen sei, als die Aftrologie; denn in dem lezten Abschnitte:,,Von unterschiedlichen Zeiten", heißt es: Im 28 Jahre des Alters, anno 1611, wirdt er vermuthlich zu einem Kriegsbefehlich oder sonst politischer dignitet befördert werden. Er mag aber zusehen, das er nicht hißigk oder droz sey, das er mit dem Haupt bezahlen muß, oder fellet er sonsten in eine higige Krankheit." Hierzu macht Wallenstein die eigenhändige Bemerkung:,,Anno 1611 bin ich nit krank geweft, auch zu keinen Kriegsbefehlich erhoben worden; aber Ungelegenheit hab ich vollauf gehabt. Anno 1615 im September bin ich krank worden und gar kümmerlich mit dem leben davon kommen. In diesem Jahr, etlich wenig Monat vor meiner Krankheit bin ich zu einem Kriegsbefehlich promovirt worden."- Im 33. Jahr (1615) ift directio medii coeli ad Lunae corpus; das möchte Gelegenheit geben zu einer stattlichen Heurath. Die Astrologi pflegen hinzuzuseßen, das es eine Wittib

"

England.

Korrespondenz - Berichte aus London.

M.

Die Hochlands- und Hebriden-Tour.") Früher war es blos in lebensgefährlichen Booten und Segelschiffen möglich, gelegentlich die eine oder die andere der Hebriden zu besuchen. Jezt giebt es zwei regelmäßige Eisenbahn- und DampfschiffsLinien, welche nach der Uhr pünktlich alle die sehenswerthen HauptInseln bestreichen und mit ganz England in Verbindung erhalten: Eisenbahn bis Inverneß, mit Dampfschiffen in den Caledonian-Kanal bis in die weftlichen Inselpunkte und nördlichen Extremitäten, oder durch den Clydefluß nach den Inseln und zurück durch den CaledonianKanal. Am besten ist es, vom Kontinente aus von einem englischen Hafen per Eisenbahn sich nach Glasgow zu begeben und sich dort einem der Hutchesonschen Dampfschiff-Salons anzuvertrauen. Alles Uebrige findet sich dann wie von selbst. Man wohnt in den prachtvollsten Hotels, in welchen man Hunderte von Meilen zwischen prachtvollen Inseln zurücklegt, ohne einen Fuß naß zu machen. Aber man vergesse nicht Glasgow und die Clyde. Welch eine Stadt, welch ein Dampfschiff- und Seeschiffleben auf diesem einft gemeinen Kahnflusse, an welchem sich jezt Glasgow wie eine Riesenblüthe von Häusern, Villa's, Palästen, Gärten und Parks in das Unendliche `hinzuziehen scheint. Die Clyde ist die Geburtsstätte der Dampfschiffe, deren Erftling man auch dann noch, als er schon laufen konnte, thatsächlich durch Spott und Hohn umbrachte, so daß man erst von Amerika aus wieder an die Möglichkeit des Dampfschiffes glauben lernte. Jezt ist der zum Seehafen ausgeweitete Fluß der reichste Tummelplag lokalen Dampfschiffverkehrs. Sie fliegen hin und her, herüber und hinüber, und halten das reiche Leben an den malerischen Felsen-, Hügel- und Waldufern mit Villen, stolzen Residenzen und Schlöffern in lebendig und regelmäßig pulfirender Verbindung. Dieser Verkehr auf dem malerischen Fluffe und die regelmäßige, elegante Circulation zwischen den ehemals unzugänglichen, entlegenen und mit „Thule“ zusammenliegenden Hebriden-Inseln ist die Schöpfung und das Geschäft von David Hutcheson, einem Manne, der unter die Helden gehört. vierzig Jahren als Diener in einem Dampfschiff-Geschäft seine Laufbahn beginnend, ward er bald mit den westlichen Inseln bekannt, welche gelegentlich von den Dampfern der Gesellschaft besucht wurden, ohne daß dabei etwas herauskam. Man überließ deshalb die Hebriden dem David Hutcheson auf eigene Rechnung. Mit enthufiaftischer Bewunderung der westlichen Hochlande und der Inseln verband er einen praktischen Blick für das Poetische dieser unermeßlichen, erhabenen Einöden und deren Werth für Vergnügungs-Reisende, wie für Verwerthung derselben in wirthschaftlicher Beziehung. So ließ er große, elegante Dampfer für die Hebriden bauen und fing 1851 damit zu *) Vergl. Nr. 103 des,,Magazin" den Bericht über die Reiseluft der

Vor

arbeiten an. Wir übergehen die Schwierigkeiten, die er zu überwinden batte, ehe sich Güter und Menschen für seine neue Welt in rentabler Quantität einstellten, und skizziren sofort die jeßt regelmäßig pulfirende, verwickelte und malerische Circulation, die feine Dampfer unterhalten. Auf einer guten, modernen Karte Schottlands wird man sofort bemerken, daß die lange, mit dem Mull von Cantire endigende Halbinsel die ganze untere Clydegegend von der westlichen Küfte abschneidet. Der Crinan-Kanal ftellt die Verbindung durch den neun Meilen langen Hals der Halbinsel für kleinere Schiffe her. Im westlichen Wasser an der Spiße des Linnhe Loch angekommen, bemerken wir den Cale donian-Kanal, der bis Inverneß führt. Für die verschiedenen Wege, die Hebriden zu erreichen, giebt es verschieden und angemessen gebaute Schiffe Hutcheson's. Alle zwölf haben ihre bestimmten Touren und sind danach sorgfältig gebaut und geformt worden. Der „, Clansman" und der „Stork" find starke Seedampfer à 220 Pferdekraft, breit und flach gehend, innerlich wie das glänzendste Hotel eingerichtet und mit 50 eleganten Schlafkajüten versehen, da die Passagiere Nächte auf dem Schiffe zubringen müffen. Der „, Clansman" verläßt jeden Montag und Donnerstag Glasgow, um den Mull von Cantire zu umfahren und Oban, Tobermary, Portree u. s. w. zu besuchen und bis Stornaway auf der nördlichen großen Hebriden-Jusel Lewis zu führen. Zuweilen dringen beide Dampfer in die westlichen Theile des Endes von Schottland ein, bis Lochinvar, die Lieblings-Residenz des Herzogs von Sutherland, Ullapool und Gairloch, um die Passagiere mit den malerischsten Küsten-Formationen bekannt zu machen. Jährlich zweimal umdampfen beide Fahrzeuge den Norden von Schottland bis Thurso im Interesse der Härings-Aerndte. Es ist der verwickelteste, malerische Weg, durch welchen uns diese beiden schwimmen den Hotels leicht, sicher und schnell führen. Erst passiren fie Islay und Jura, winden sich dann durch den verworrenen Sund-Mull, umgehen die Spiße von Ardnamurchan, schlängeln sich hierauf geschickt durch den verwickelten Sleat-Sund zwischen Skye und dem Festlande, laffen uns dann offenes Meer im „Minch" genießen und landen uns in Stornaway. Unterweges kommen und gehen Paffagiere und Güter an vielen Halteplägen, von denen aus wir die einzelnen Insel-Formationen etwas näher und mit Muße ansehen können. Die Haltepläße sind auch insofern jegt gerade von besonderem Intereffe, als sich hier die ersten Saaten der Civilisation im Aufteimen zeigen, dazwischen aber noch Spuren und Ueberbeibsel der ältesten keltischen Bewohner und ihres Unterganges.

Die zweite Klasse der Hutchesonschen Schiffe, leicht, elegant, scharf und flach über das Wasser schießend, beherrschen die Tour von Glasgow, Ardrishaig und den Kanal bis Inverneß. Die elegante, schnellfüßige „Jona“ verbindet Glasgow und Ardrishaig, 19 Meilen per Stunde. Auch durch seine Struktur und seine beiden, getrennten vszillirenden Maschinen ist dieser eleganteste und schnellste Dampfer Englands eine Merkwürdigkeit. Das 21 Fuß breite und 234 Fuß lange Deck ist wie der splendideste Prachtsaal mit Sammetpolstern und Sopha's und weichen Bequemlichkeitsstühlen, der obere Salon mit Spiegeln, Mahagoni-Möbeln, Vergoldungen und Decorationen aller Art ausgestattet. Der größte Reichthum von erhabener und üppiger Landschaftlichkeit gleitet vorüber und unterhält das Auge, wie kaum irgendwo auf einem Dampfschiffe. Für Personen, die auf die angenehmste Weise Gesundheit einathmen und dabei mit gutem Appetit ftets gut effen wollen, besonders frischen Lachs und frische Häringe direkt aus der Duelle, giebt es nichts Besseres, als die,,Jona" auf ihrem ruhigen, malerischen Weg zwischen den Argyleshire-Hügeln 2c. an neuen, lachenden Villa-Städten vorbei, anmuthige Inseln befuchend und endlich vor einigen Häusern und einem Hotel- genannt Ardrishaiglandend. Hier nimmt der,,Sonnenstrahl" (das Kanalboot,, Sunbeam") die Paffagiere auf und zieht sie im Galopp dreier natürlicher Pferde zwischen knorrigen Hügeln und Höhen und HochlandResidenzen hindurch (Portaloch's Haus, das über 100,000. Pfund koftete) über den Kanal hin, dessen Schleufen oft Gelegenheit zu kleinen Fußpartieen geben. Am Ende des Kanals wartet der donnernde „Mountaineer", um die Passagiere aufzunehmen und in das Herz der Hebriden zu bringen. Bald thürmen sich die Gebirge von Mull, einer der größten Hebriden-Inseln, vor uns. Die zackige, aber grüne Kerrera kommt in Sicht. Endlich bohrt sich das Schiff in die schein bar oft ganz verschloffene, wundervolle Bucht von Oban hinein, mit dem Orte gleiches Namens, der künftigen Hauptstadt der westlichen Hochlande und Hebriden.

Von Oban dringt der ,,Mountaineer” hinauf durch Linnhe Loch, vor Fort William vorbei bis Corpach, wo Omnibus bis in das NachtQuartier Benavir führen. Von hier geht den folgenden Morgen ein Hutchesonsches Schiff durch den Caledonian-Kanal nach Inverneß. Ueberall bieten fich Extratouren, Aufforderungen zu individuellen Ausflügen, besonders von Benavir aus, um Naturmerkwürdigkeiten, historische Stellen (Glenfinnar, wo Karl Stuart 1745 zuerst seine Fahne erhob) u. s. w. zu besuchen.

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Oban ist das Rendezvous für die Hebriden. Der „Pionier“ fährt von hier aus speziell nach den Inseln Jona und Staffa und anderen merkwürdigen Punkten, auch Glencoe, der unermeßlichen Mördergrube und Naturschönheit.

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Zwei andere Dampfer Hutcheson's, Cygnet" und „Lapwing", verkehren stets zwischen Inverneß und Glasgow mit Gütern und Menschen, Sommer und Winter. Durch diese regelmäßige und be queme Circulation ist viel neues Lebensblut in diese nordischen ThuleInseln und die schottischen Küsten gekommen. Dies hat Städte und Dörfer, Gasthöfe und Post-Anstalten, Leuchtthürme und Landungsbühnen, Luft und Leben in erhabene Einöden gebracht, die seit Jahrhunderten unbekannt schlummerten und nur den legten Ueberbleibseln der alten Kelten zum allmählichen, langsamen Absterben dienten. (Schluß folgt.)

Rußland.

Die Altgläubigen der ruffischen Kirche.
(Schluß.)

Die Altgläubigen sind keine religiösen Reactionaire, fie kleben weniger, als es den Anschein hat, an den alten Zerten und Ceremonien; das Wort steht ihnen höher, als der Buchstabe, wie die heutigen Meinungsverschiedenheiten in ihren eigenen Reihen bezeugen. Die Verschiedenheiten drehen sich freilich nur um Punkte der Moral und des Kultus, die Grundlehren der orthodoxen Kirche werden durchaus nicht davon berührt; nichtsdestoweniger jedoch bezeugen fie eine glühende Neigung zur Kontroverse. Nicht nur im Geheimen unter sich besprechen fie Fragen des Kultus und der religiösen Moral, sondern auch öffentlich kämpfen sie gegen die Orthodoren mit geistlichen Waffen. Früher versammelten sie sich zu diesem Behufe zur Winterzeit auf dem Kremlinplage zu Moskau. Ueberdies haben sie Alle Schulbildung und ihre Schriften find des Studiums werth. Ihr Lesedurft ist so groß, daß sie, allen polizeilichen Nachsuchungen zum Troß, selbst in den Hauptstädten geheime Bücher-Niederlagen, ja Druckereien haben. Und endlich, wäre diese Spaltung rein formaliftischer Natur, wie erklärte es sich, daß sie noch heute in die Reihen der orthodoren Kirche dringt und hier wissenschaftliche Männer ergreift? Die Beispiele sind nicht selten, und aus Allem stellt sich entschieden heraus, daß die Richtung, die sie seit zwei Jahrhunderten so beharrlich und einmüthig verfolgen, als ein wirklicher Protest zu Gunsten der religiösen Unabhängigkeit anzusehen ist.

Es ließen sich leicht Vergleichungspunkte zwischen den Altgläubigen und der ältesten Schule Luther's nachweisen: dieselbe Verachtung der Ordensgeistlichkeit, derselbe Hang zu religiösen Erörterungen, dieselbe tiefe Ehrfurcht vor Bibel und heiligen Schriften mit dem Vorbehalt des Rechtes, den Text auszulegen, dieselbe Berechtigung der Gemeinden, ihre geistlichen Hirten zu ernennen und ihre Aufführung zu überwachen. Ein Augenzeuge erzählt, daß er eines Tages in einer Dissidenten-Gemeinde es mit angesehen habe, wie Einer unter ihnen ein weltliches Buch, das er auf dem Tische des Priesters bemerkte, unwillig ergriff und ins Feuer warf, ohne daß dieser ein Wort dazu sagte. Endlich behilft sich ein großer Theil derselben ohne ordinirte Geistliche und betrauet Laien mit der priesterlichen Gewalt. Der Schluß jedoch, daß diese Spaltung mit dem Protestantismus zusammenhänge, wäre übereilt; denn sie reicht über das sechzehnte Jahrhundert hinaus und bis in die Zeiten nach der Einführung des Christenthums hinein. Schon im vierzehnten Jahrhundert bekannte sich eine Partei in der untersten Volksschichten zu denselben Grundsäßen. Mit vollem Recht weisen sie die Bezeichnung Schismatiker zurück und nennen sich vorzugsweise Christen; denn, wenn sie sich auch nicht zu den von Nikon eingeführten Abänderungen verstehen, so hängen fie doch mit größerer Treue, als die orthovore Bevölkerung, durch Sittenftrenge, lebendigen Glauben und freien Geist an dem Wesen des Christenthums. Ihnen geht nichts über die religiösen Pflichten; diesen ordnen sie alle Intereffen unter. Die rechtgläubigen Bauern erkennen mit großer Naivetät diesen Unterschied zwischen fich und den Altgläubigen an. Wenn die Mitglieder der oftgenannten Inspection in die isby (Stuben) der Landleute traten, so beeilten sich diese, ihnen zu bemerken: „Wir sind keine Chriften!" "Was heißt das? Ihr glaubt doch wohl an Christum?"-,,Ja, gewiß; aber wir gehen in die Kirche, wir leben mit der Welt. Die Christen find die vom alten Glauben: sie gehen nicht in die Kirche, beten aber doch andächtiger, als wir. Uns würde das zu viel Zeit wegnehmen.“

In dem russischen Volke scheint ein inneres Feuer zu glühen; das gemeine Volk sucht es in der Bewußtlosigkeit der Trunkenheit zu löschen; die edleren Naturen wenden sich der Religion zu und treiben den Opfermuth, den sie anspricht, bis zum Aeußersten. Anstatt die Altgläubigen zu verachten, sollte man sie als die leßten Vertreter des Urchriftenthums ansehen, die, wie jene Neubekehrten, jene Kloftermönche der alten Zeiten, sich mit Abschen von der sie umgebenden

Sittenverberbniß und Niederträchtigkeit abwandten. Bis zu welchem Grad von Wahnsinn die altgläubigen Apostel, die als Bekehrer das Land durchziehen, den Hang des gemeinen Volkes, der Welt zu entsagen, zu steigern vermögen, davon nur ein Beispiel aus neuester Zeit: In einem Dorfe des Guberniums Pensa verschwanden plößlich mehrere Bauern spurlos. Endlich entdeckten die ausgesandten Polizeidiener eine benachbarte Höhle, und ein gräßliches Schauspiel bot sich ihren Augen, als sie hineindrangen: unter einem Haufen Erwürgter kauerte ein fremder Mensch; er hatte das blutige Opfer vollbracht, dem die Unglücklichen freiwillig ihren Hals hinstreckten, in der Hoffnung, schneller die himmlische Seligkeit zu genießen.,,Warum aber haft du dich selber verschont?" ,,Um einen schmerzhafteren Tod zu dulden.“ — Zum Tode durch Spießrüthen verurtheilt, erlitt er die Strafe mit einem Lächeln auf den Lippen und unter Anstimmung frommer Lieder.

Derartige Thatsachen kommen jahraus, jahrein der russischen Polizei zu Ohren und bilden einen schreienden Widerspruch zu den Behauptungen Schtschedrin's, der den Altgläubigen Sitten-Erschlaffung zum Vorwurf macht. Zugegeben, daß die Klöster der Altgläubigen nicht immer Zufluchtsstätten des Friedens und der Tugend find; sind denn die rechtgläubigen Mönche und Nonnen ohne Ausnahme Muster makelloser Tugend? Die Trunksucht z. B., vor der die Altgläubigen einen so gründlichen Abschen haben - schändet sie nicht oft die Zellen der ruffischen Klöfter? Ueber den Skandal, den die Mauern der Nonnenklöfter verbergen, schweigen wir lieber......

Wenn es der Regierung gelingt, die Abschaffung der Leibeigenschaft zu einem glücklichen Ziel zu führen, so wird sie auch nicht umhin können, den Altgläubigen freie Ausübung ihrer Bekenntnisse zu bewilligen.) Sie verfolge immerhin die Sekten, deren Lehre der öffentlichen Moral widerspricht; unter anderen z. B. die Origenisten Duchoborzyfie verwerfen die Ehe und fröhnen der unnatürlichsten Unzucht — obgleich fie, da ihre gnostische Grundlage zu unseren Zeis ten verrottet ist, in kurzem von selbst erlöschen werden; die Altgläubigen aber im Allgemeinen verdienen keinesweges mit Härte behandelt zu werden. Wenn fie gegenwärtig gewissermaßen einen Staat im Staate bilden, so ist die Schuld nur dem auf sie angewandten Unterdrückungssystem beizumeffen. Man wirft ihnen vor, daß sie in ihre Gebete nicht den Kaiser einschließen, d. h. die Altgläubigen treiben die chriftliche Demuth nicht so weit, die Segnungen des Himmels auf ihre Unterbrücker herabzurufen; aber halten sich alle anderen Christen an die Lehre ihres Meisters: Segnet die Euch fluchen? Das wahre Mittel, fie hierin zum Gefühl ihrer Pflicht zurückzubringen, bleibt, ihrer Gereiztheit keinen neuen Anlaß zu geben. Sind sie ein mal frei, fo werden sie nach und nach in Berührung mit anderer Bevölkerung treten und allmählich die verleßenden Ecken abschleifen. Die herrschende Kirche allein konnte an dieser Freiheit Anstoß nehmen: verdient fie aber die Rücksichten, die man ihr zollt? Sind es nicht großentheils die orthodoren Pfaffen, die durch ihre Mißführung und Unwissenheit der schismatischen Heerde Schafe zugetrieben haben, gegen die nun die Staatskirche die weltliche Gewalt aufruft? Daß die Verfaffung der freien Gemeinden ihren Stolz verlegt, begreift sich; indeß fteht nicht zu fürchten, daß diese Schismatiker die Fundamentallehren derselben verleugnen, besonders wenn sie, die Kirche, auf sich selber etwas von der Ueberwachung anwendet, die sie den Dissidenten so schwer auf den Nacken gelegt hat. Das päpstliche Joch wird schwer lich Menschen verlocken, die mit solcher Kühnheit die religiöse Freiheit ansprechen; der Protestantismus mit seinen gemeffenen, verstandeskühlen Formen wird in dem begeisterungsvollen Gemüthe der flavischen Raçe ein stetes Hinderniß finden. Und sollte auch die orthodore Kirche bei der Emancipation der Altgläubigen verlieren, das religiöse Gefühl würde an Kräften gewinnen, und zu einer Zeit, wo die materialistische Bildung, die im westlichen Europa eine so allüberwältigende Richtung nimmt, auch das Zarenreich zu überfluthen droht, kann jenes edle Gefühl nicht sorgfältig genug gepflegt werden.

(R. d. d. M.)

) Neuere Maßregeln scheinen darauf hinzudeuten. Vor einigen Jahren gefiel es dem Gouverneur der Stadt Rjewsk, eine Kirche der Altgläubigen, die sich gegen die Annahme der Jedinowjerie sperrten, niederreißen lassen zu wollen. An dem Tage aber, der zur Zerstörung angesetzt war, lag die gesammte Dissidenten - Bevölkerung, Männer, Frauen und Kinder, auf den Knieen vor dem Tempel und schrie:,,Unsere Väter haben dieses Gotteshaus gebaut, wir wollen auf seinen Trümmern sterben". Dieser Widerstand machte denn doch den Gouverneur flußig, und er hielt es für angemessen, erst neue Inftructionen einzuholen. Da ging der Befehl ven Petersburg ein, sofort die Verfolgungen einzustellen. Im lezten Jahre schärfte die Regierung den OrtsBehörden ein, die von den Altgläubigen geschlossenen Ghen und die Kinder daraus nicht als illegitim zu bezeichnen. Zu bedauern ist, daß die mit der Ausführung der kaiserlichen Befehle betraute Verwaltung nicht diesen Geist der Duldung befundet. So verweigert sie z. B. den Dissidenten noch -immer Reisepasse ins Ausland, obgleich für andere russische Unterthanen dieses bes schränkende Gesez aufgehoben ist.

Mannigfaltiges.

Die deutsche Philosophie in der französischen Akademie. In der Gedächtnißrede, die der Historiker Mignet, als beftändiger Secretair der französischen Akademie der moralischen und politischen Wissenschaften, in deren nenlicher öffentlicher Jahressißung zum Andenken Schelling's hielt, verglich er die philosophische Diver genz zwischen Schelling und Hegel, welche die Denker in Deutschland und in ganz Europa so lange in zwei Lager getheilt habe, mit dem Ideenkampfe zwischen Aristoteles und Plato. Mit Eleganz und zugleich mit Klarheit wüßte Herr Mignet dem zahlreich versammelten Herren- und Damen-Publikum den Unterschied zwischen dem Schelling schen und dem Hegelschen System zu erklären. „Wie bei dem Zuge der Ifraeliten durch die Wüste“, sagte er,,,umgiebt uns, wenn wir das Gebiet der deutschen Philosophie betreten, eine dunkle Wolkensäule neben der leuchtenden Feuersäule, und wer in die erstere einzubringen wagte, hat zu befürchten, daß sie sich hinter ihm schließe und er, troß der leuchtenden Feuersäule, nicht mehr sich herausfinde." Allzu tief wagt sich also Herr Mignet in die dunkle Wolkensäule nicht hinein, und wenn er darum auch von der glänzenden Feuersäule nur schwach beleuchtet wurde, so war doch die Helligkeit für die Augen des akademischen Publikums von Paris noch stark genug, um es zu blenden und um sowohl für den Belobten, als für den Lobenden, ein Gefühl der Bewunderung zu erregen. Die Freunde Schelling's dürfen mit feinem „éloge" in der Pariser Akademie ganz zufrieden sein.

- Carlo Troya. Dieser geachtete italiänische Geschichtschreiber ist am 28. Juli in Neapel, 74 Jahr alt, mit Tode abgegangen. Besonders ist es seine Geschichte des Mittelalters", die seinen Ruf begründet hat und seinen Namen auch der Nachwelt überliefern wird.") Aber so stolz auch das ganze Italien auf ihn war die neapolitanische Regierung sehte ihn in jeder Weise zurück und behandelte ihn wie einen Schuldigen. Sein Verbrechen war die liberale Gesinnung, die er nicht blos in feinen historischen, sondern auch sogar in politischen Schriften darlegte. Er war ein Freund Poerio's, der noch jezt wegen seiner Theilnahme an der Regierung und an der Verfassung von 1848 im Gefängniß schmachtet. Bis nach seinem Tode feßte fich diese Verfolgung des freisinnigen Geschichtschreibers fort. Polizeiwachen standen vor dem Hause Troya's, um den Andrang des Volkes zu verhindern, das ihn in seinem Sarge sehen wollte. Ebenso schloß man jede Theilnahme des Publikums, wie der zehn gelehrten Körperschaften, deren Mitglied der Verstorbene war, am Leichenbegängniß aus, und selbst in der Kirche, wo die Leichenfeier stattfand, waren fast nur Polizeibeamte, die nicht zugaben, daß an seinem Grabe ein Wort zu seinem Lobe gesprochen ward.

-Wegebauten in Portugal. Die portugiesische Regierung feßt mit einem für ihre beschränkten Mittel bedeutenden Aufwande den Bau der Landstraßen und Eisenbahnen, sowie die Stromregulirungs-Arbeiten mit Eifer fort. Daß die Unternehmungen nur langsam vorschreiten, liegt in dem Mangel ausreichender und entsprechend vorbereiteter Architekten, in der mangelhaften Vertheilung und Benußung der Arbeitskräfte und in der Koftbarkeit der Hauptstraßen. Leztere werden, zur Erlangung der möglichst kürzesten Wege, in schnurgerader Richtung, durch Sümpfe und Thäler, über Berge und Schluchten geführt. Diese konsequente Richtung erfordert bedeutenden Aufwand an Mühe, Zeit und Geld. Mehr noch werden aber die Bauten vertheuert und verzögert durch die Unbeholfenheit und Bequemlichkeit der Handarbeiter. Sand, Lehm, Kies, Steine werden meist in runden Körbchen transportirt, deren Füllung und Ausschüttung mit der dem portugiesischen Arbeiter eigenthümlichen Langsamkeit und Bedächtigkeit bewirkt werden. Die Kostbarkeit der öffentlichen Bauten wird durch die erwähnten Uebelstände natürlich gesteigert. Im Monat Juni die ses Jahres find verwendet für Landstraßen 46,102,002, für Eisenbahnen 88,591,005, für Brücken, Dämme, Telegraphen, Kunst- und Strombauten 53,511,908, also im Ganzen 188,004,915 Reis oder 290,000 Thaler. (P. C.)

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*) Außer seiner,, Storia d'Italia del medio evo" haben auch noch der von ihm herausgegebene,, Codice diplomatico Longobardo" und sein Werk: Ueber den Zustand der von den Longobarden besiegten Römer“ („, Della condizioni dei romani vinti dai longobardi") in Italien Epoche gemacht. Lestgedachtes Werk, und namentlich der darin geführte Beweis, daß das ri mische Recht von den Longobarden ganz unterdrückt worden und diese die von ihnen unterworfenen Völker als Sklaven behandelten, hat im nördlichen Italien eine große Kontroverse hervorgerufen, zu der auch Manzoni einen Beitrag geliefert. D. R.

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Literatur des des Auslandes.

Nord: Amerika.

Berlin, Sonnabend den 4. September.

,,Bis in die Wildniß", von Armand. *)

Unter diesem Titel liegt uns der Roman einer Reise nach Amerika und einer Reihe der wunderlichsten Abenteuer in den Vereinigten Staaten vor. Kein Wort der Vorrede, die von einem Herrn Philipp Hoffmeister unterzeichnet ist, fagt uns etwas Näheres über den Verfasser, der in dem Buche zwar stets, wie Cäsar, von sich in der dritten Verson spricht, sich dabei aber auch nicht anders als „Armand" be zeichnet. Nur gelegentlich erfahren wir durch die Erzählung, daß Herr Armand ein Deutscher sei; aus seinen Anschauungen und nationalen Auffassungen ist dies nicht zu entnehmen; nach diesen zu urtheilen, nach diesen zu urtheilen, könnte er ebenso gut ein Franzose, ein Engländer oder ein Yankee sein. Herr Armand schifft sich in Rotterdam auf der „Medina“, Cap. Chase, ein und trifft dort mit der Familie Brillot, einer Mutter mit zwei Töchtern aus Neu-Orleans, zusammen, die nach ihrer Heimat zurückkehren. Fast vom Momente der Einschiffung an beginnt jene Reihe von merkwürdigen, wunderlichen und auch - was zugestanden werden muß — unterhaltenden Abenteuern, welche durch alle vier Bände gehen und in dieser Aufeinanderfolge wohl niemals einem Menschen wirklich begegnet sind. Herr Philipp Hoffmeister sagt in dem Vorworte zwar, der Verfasser habe,,das, was er hörte, sah und erlebte, ohne Zuthat der ausschmückenden Phantasie, oder der sinnenden Betrachtung", wiedergegeben; diese Phrase wird jedoch durch jedes der einunddreißig Kapitel des Buches zehnmal Lügen gestraft.

Schon das zweite Kapitel beginnt mit einem heftigen Sturm auf der Nordsee und hat einen Zusammenstoß der „Medina" mit einem anderen Schiffe aufzuweisen. Es folgt dann, als das Fahrzeug das Atlantische Meer erreicht hatte, eine gluthvolle Windstille und mit dieser der vollständigste Waffermangel auf dem schlecht versorgten Schiffe. Eine Meuterei war eben unter der Mannschaft gegen den harten Capitain ausgebrochen, als zum Glück Herr Armand die Erfindung, das Seewasser trinkbar zu machen, zur Anwendung bringt und damit den Passagieren, wie dem gesammten Schiffsvolk, das Leben rettet. - Nichts ist natürlicher, als die unbegränzte Dankbarkeit der Geretteten und besonders der schönen Kreolin Eugenie Brillot gegen ihren Retter. Ein Liebesroman comme il faut ist angesponnen und wird nun mit allen romantischen Begegnissen der Leihbibliothekenwelt durchgeführt. Auf der „Medina" war keinesweges schon alle Noth zu Ende. Der Genuß des destillirten Seewassers hatte Krankheiten im Gefolge, die ebenso verderblich, wie der Wassermangel, hätten werden können, wenn nicht glücklicherweise mit einem Orkan eine Wafferhose über das verschmachtende. Fahrzeug gestürzt wäre, welche mit einem Male alle Fäffer an Bord mit köstlichem Naß anfüllte. Derselbe Orkan und dieselbe Wasserhofe fassen jedoch eine an der Seite der „, Medina“ segelnde Brigg und reißen sie in die Tiefen des Meeres. Wallfische kommen bis dicht an Bord des Schiffes, das inzwischen in der Nähe der Bahama-Inseln von einer furchtbaren Böe heimgesucht wurde, welche drei Matrosen und beinahe auch den Capitain über Bord spülte, wenn Lesterer nicht von Herrn Armand gepackt und auf dem Verdeck gehalten worden wäre. Viel hätte auch nicht gefehlt, so würden die geplagten Reisenden in die Hände der lauernden See räuber von Key-West (Florida) gefallen sein. Mit genauer Noth erreichte man den Golf von Mexiko, wo man in dem schmalen Fahr waffer, in welchem sich unzählige Schiffe in dichtem Nebel bewegten, beinahe übersegelt worden wäre. Auch führte die Nähe der Küste den Reisenden eine neue Plage zu, nämlich ein Heer von Mosquito's, vor deren Stichen sie sich nur dadurch bergen konnten, daß sie sich in Hängematten legten, welche von großen Florneßen dicht eingeschloffen waren. Und in ein solches Flornet kam Herr Armand mit seiner Eugenie zugleich, was für die Liebenden natürlich eine sehr romanti sche Situation war.

*) 4 Bånde. Breslau, Eduard Trewendt, 1858.

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1858.

Endlich hatte man eine der Mündungen des Mississippi erreicht, auf welchem die,,Medina" durch einen Dampfer nach Neu-Orleans bugfirt wurde. Hier aber war man aus dem Regen des Leidens in die Traufe des Schreckens gerathen. In Neu- Orleans wüthete ebeh das gelbe Fieber in seiner fürchterlichsten Gestalt. Herr Armand sieht rings um sich auf allen Straßen die Menschen wie Fliegen hinsterben und sofort von Verwefung (!) ergriffen werden. Er, der niemals in diesem Klima gewesen war, troht doch allen feinen Gefahren und weiß sie auch, wie die auf der Medina“, glücklich zu besiegen. Im Hause des reichen Herrn Brillot, dessen Familie er so wunderbar gerettet hatte, wird er auf das glänzendste empfangen, und nichts scheint mehr dem Glücke der beiden Liebenden entgegen zu stehen aber der Verfasser hätte dann ja sein Buch mit Einem Bande abschließen müffen (Alles, was wir bisher erzählt haben, kommt nämlich allein im ersten Bande vor), und Herr Armand hatte ja noch die ganze neue Welt mit ihren Wundern, Schrecknissen und Abenteuern vor sich!

So findet sich also in Neu-Orleans ein methodistischer (?) Tartuffe, Namens Naillier, der mit seiner Scheinheiligkeit und seinen Jutriguew die Familie Brillot beherrscht und der mit einem Spieler von Profession sich verbindet, um Herrn Brillot dahin zu bringen, daß er Armand nicht zu seinem Schwiegersohn mache. Als der wackere, dankerfüllte Mann widersteht, werden zwei Bravo's gedungen, die dem andersgläubigen Eindringling den Garaus machen sollen, aber Armand weiß ihnen durch seine gewohnte Besonnenheit und Tapferkeit zuvorzukommen. Von Neu-Orleans geht Armand mit der Familie Brillot nach deren paradiesischem Landsiz am See Pontchartrain, in dessen Nähe er das Vergnügen hatte, jenen Spieler von Profession in einem Kampfe mit Bowie-Meffern niedergestochen zu sehen. Inzwischen trägt die Saat der Zwietracht, die der scheinheilige Raillier ausgestreut, doch noch ihre Früchte. Nachdem Herr Brillot auf einer Fahrt, die er mit Armand auf einem Dampfboot macht, welches bei dieser Ges legenheit in Feuer aufgeht, verunglückt war; nachdem Armand seiner Eugenie, die eben von einer giftigen Schlange gebiffen werden sollte, abermals das Leben gerettet, wird diese gleichwohl ihren Eidschwüren, die Raillier's Absolution gelöst hatte, untreu und verbindet sich nachher mit einem Herrn Wells. Armand begiebt sich nach New-York, wo er ein glückliches Etablissement begründet. und in dem anderen Städtchen auch ein anderes Mädchen findet. Jndessen läßt es seine. Ruhelosigkeit und das unvergessene Bild Eugeniens nicht zu, daß ers sich hier fessele und für immer niederlaffe. Er verläßt die neue Braut und stürmt fort nach dem fernen Westen. Er will die Menschen fliehen, kann aber doch nicht umhin, auf dem Wege nach der Wildniß mit allen möglichen Staatsmännern, Helden, Gelehrten, Glücksrittern, Farmers, Frontiers, Rowdies, Pflanzern und Wilden in nahe Berührung zu kommen. Jeder Staat und jede Stadt, durch die err kommt, führt ihn in neue Abenteuer, 'Kämpfe, Verwicklungen und Gefahren, die er sämmtlich überwindet und auf das genaueste: uns schildert. Nach langem, langem Umherirren erreicht er endlich das Ende der civilisirten Welt, an den Gränzen von: Mexiko, undƐ nachdem er sich allein mit seinem Pferd und Hund eine Stätte gegen die Indianer erkämpft, deren er zu Dußenden mit seinem Revolver ers legt, findet er endlich, am Ziele seiner Irrfahrten und im Schlußtapitel des vierten Bandes Eugenie Brillot wieder, und zwar als das Weib Otayo's, des wilden Häuptlings der Mescaleros- Ina dianer, der, nachdem er den ersten Gatten Eugeniens, Herrn Wells, in deffen Blockhaus überfallen und ihm das Skalp über die Ohren gezogen, sich in den Befiß der,,weißen Blume" gebracht und mit ihr zwei roth-weiße Kinder gezeugt hat. Diese Situation ist so tragisch lächerlich, daß es uns, nachdem wir davon überrascht worden, Mühe kostet, an die Fähigkeit des Verfaffers zu glauben, ein Buch im Geschmack unserer Lesewelt zu schreiben.

Gleichwohl kann man dem Autor das Talent nicht absprechen, Länder-, Volks-, Sitten-, Thaten- und Unthaten-Beschreibungen geschickt an einander zu reihen und das Unglaubliche selbst als glaublich

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darzustellen. Des unwahren und abgeschmackten Schluffes seiner Erzählung ungeachtet, trägt dieselbe doch fast durchgehends den Charakter des Naturwahren. Man lernt in seinem Buche wirklich ein gutes Theil von Land und Leuten der Vereinigten Staaten kennen. Ueberall ist die Darstellung zwar etwas leichtfertig, an die Feder eines Alerander Dumas erinnernd, aber auch nicht minder lebendig und unter haltend, wie das, was dieser z. B. über das Mittelländische Meer øder über Rußland geschrieben.

Wir wollen zur Probe seiner Schilderungsweise hier eine Skizze, zum Theil nach dem ersten und zum Theil nach dem vierten Bande, zusammenstellen.

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Das St. Charles-Hotel in Neu-Orleans.

,,So durchschritten sie noch mehrere breite Straßen, gingen ‚So dann an Lafayette-Square vorüber und langten in der St. CharlesStraße an, in welcher sie nach dem Riesengebäude, dem Hotel gleichen Namens, eilten. Die ungeheure Fronte dieses aus Granit aufgeführ. ten Meisterwerkes der Architektur, welche die Breite zwischen zwei Straßen einnimmt, enthält zu gleicher Erde Kaufläden aller Art, die aber jest geschloffen waren, und nur die großen Schilder über den Eingängen nannten die leßten Inhaber derselben. In der Mitte dieser Fronte hebt sich die breite, sehr hohe Treppe mit einigen zwanzig Stufen über diese Läben empor zu dem Vorplage, der von einer Reihe der riesenhaftesten Granitsäulen nach der Straße hin begränzt wird, die das ungeheure Portal stüßen, welches diesen Plaz beschattet, wenn die Sonne im Zenith steht.

Armand war über diesen Vorplaß geschritten und in die weite Rotunde eingetreten, die sich wie eine Kirche in runder Kuppel über ihm wölbte, und holte tief Athem, denn eine unbeschreiblich wohlthuende Kühle empfing ihn in diesen Granitmauern. Eine große Anzahl kleiner Tische stand in dem kühlen Raum auf dem glatten, marmornen Fußboden umher, wovon viele mit Zeitungen bedeckt, andere mit leeren Gläsern und Flaschen besetzt waren und wieder andere von Personen benußt wurden, die daneben saßen und, in die Zeitungen vertieft, Cigarren rauchten, Branntwein und Eiswaffer tranken oder sich wortkarg mit einander unterhielten. Zur Linken des Einganges befand sich die Office oder das Comtoir des Hotels, welches mit einem hohen Gitter umgeben war, und in dem der Buchhalter und einige Gehülfen arbeiteten. In weiß angestrichenen Fächern vor ihnen standen die großen und kleinen Bücher des Hauses, an den Wänden umber hingen Courszettel, Schiffslisten, Marktberichte, Eisenbahn- und Dampfschiff-Pläne, und neben dem Eingang war der nummerirte Plag zum Aufhängen der Schlüffel der vermietheten Zimmer, während auf dem Tisch in der Gitter-Oeffnung, welche nach der Rotunde zeigte, neben dem großen Fremdenbuch eine Riesen-Schnupftabacks-Dose stand. Zugleich lag dort ein Adreßbuch an einer eisernen Kette befestigt, und ein kolossales hölzernes Dintenfaß, mit einer Reihe Stahlfedern gekrönt und mit Oblaten versehen, stand daneben.

Armand trat an diese Gitter-Oeffnung und bat den dort befindlichen Clerk oder Commis um ein Zimmer, aber womöglich ein kühles und luftiges.

„Ich will Ihnen ein Zimmer anweisen, womit Sie zufrieden sein werden, und welches seit einem halben Jahre nicht dewohnt war; wir haben jezt die Auswahl, denn das Haus ist leer, und wir können die wenigen Fremden, welche sich noch her wagen, um so beffer bedienen."

Er zog die Schelle; mehrere ganz in schneeweißes feines Leinen gekleidete schwarze Bediente erschienen und empfingen von ihm die Weisung:,,Das Gepäck auf Nummer Achtundvierzig!" indem er auf Armand's Koffer zeigte. Dann schritt er nach dem Schlüffelbrett und hing den Schlüffel zu Nummer Achtundvierzig auf mit den Worten:,,Dort, mein Herr, hängt der Schlüssel zu Ihrem Zimmer, sollten Sie sehr werthvolle Gegenstände in Ihren Koffern haben, so thun Sie beffer, dieselben uns zum Aufbewahren zu übergeben, da wir dann dafür einstehen können, was in einem solchen Hause, wie dieses, auf den einzelnen Zimmern nicht möglich ist. Verfügen Sie über die Diener nach Belieben, es find deren jezt mehr als Gäfte hier."

Zugleich schob der Clerk das Fremdenbuch zu Armand hin und fragte ihn, ob er sich nicht einschreiben wollte? Als dies geschehen. und Armand sich umwandte, bemerkte noch der Clerk: Um drei Uhr wird zu Mittag gespeist, um sieben Uhr ist die Theeftunde, und um zehn Uhr wird zu Nacht gegessen, Frühstück finden Sie Morgens sieben bis elf Uhr auf dem Tisch, von da bis ein Uhr wird ein snack (Imbiß) gegeben, und wenn Sie außer diesen regelmäßigen Mahlzeiten noch etwas zu haben wünschen, so dürfen Sie nur befehlen." Armand dankte für die Mittheilung und wandte sich nach der Bar (Schenktisch), welche sich unweit des Comtoirs befand.

Der wohl dreißig Fuß lange Tisch war mit einer weißen Marmorplatte bedeckt, aus deren einer Seite sich zwei silberne Röhren einige

Krahn hervorstand. Es war dies eine Röhrenleitung, welche mit Kohlensäure geschwängertes Wasser durch einen Eisbehälter aus dem Keller heraufführte und bei aufgedrehtem Krahn dieses Wasser mit großer Gewalt in das darunter gehaltene Glas sprißte, in welches vorher ein Fruchtsyrup gegossen war, wovon wohl ein Dußend verschiedene Sorten, wie von Ananas, Citronen, Pfirsichen, Himbeeren, Apfelsinen, Erdbeeren, auf der Marmorplatte ftanden. Es giebt dieses so versüßte eiskalte Waffer während der heißen Jahreszeit das kostbarste und zugleich ein sehr gesundes Getränk; es ist dem Champagner ähnlich im Geschmack, ohne zu berauschen. Außerdem befanden sich auf dem Tische eine Reihe von Krystallvasen, mit geriebenem Zucker angefüllt, eine große, mit etwas Waffer versehene Glasurne, in der sich frisches Pfeffermünzkraut befand, und einige Glasbecher mit Fidibus und mit einen Fuß langen Strohhalmen, um die Eis getränke durch sie aus dem Glase zu saugen.")

Hinter dieser Tafel hielten sich nun die Kellner auf, die auf die Befehle warteten, welche Getränke sie anzufertigen hätten, und auf welche Weise sie solche bereiten sollten, während hinter ihnen an der Wand sich, wie ein Amphitheater in immer höher steigenden Terrassen, die Schränke mit Likören, Branntweinen, Weinen und Bieren aller Art und von allen Welttheilen hergekommen aufthürmten. In dem untersten, breitesten Fache standen Gläser aller Formen und Größen, und zwischen ihnen lagen Citronen, Apfelsinen, Ananas, Bananen und Muskatnüffe nebst den nöthigen Instrumenten, um sie auszupressen oder fie abzureiben. Dieses ganze Gerüft war mit reichen, rothen und weißen Draperieen, schweren Goldligen und vielen anderen Verzierungen höchst geschmackvoll bekleidet, während Riesenbouquets von frischen, die ganze Umgebung in ihren köftlichen Duft einhüllenden Blumen zu allen Seiten in großen marmornen Urnen prangten.

Armand folgte gern der Einladung dieser Ausstellung und ließ sich ein Glas des Champagnerwaffers mit Limonensyrup geben, während er sich in einen der weiten, mit rothem Saffian gepolsterten Sessel fallen ließ und eine feine Havannah-Cigarre anzündete.

Nachdem er sich hier erholt und abgekühlt hatte, suchte er das ihm angewiesene Quartier auf und fand dort zwei prachtvoll möblirte große Zimmer an der Nord-Ost-Seite des Hauses, von wo er einen großen Theil von Neu-Orleans übersehen konnte.

Die reichsten Tapeten und ungeheure Spiegel schmückten die Wände, die Fenster waren mit den schwersten rothen Seidenstoffen behangen, die Fußböden mit den herrlichsten Teppichen bedeckt, und Mahagoni-Möbel zeigten in ihrem Schnißwerk und ihren Formen, daß Meisterhand sie verfertigt. Ueber den Kaminen, welche zur Seite mit weißen Marmorsäulen eingefaßt waren, die Gefimse von demselben Material trugen, beugten sich mächtige Spiegel in breiten Goldrahmen nach vorn, so daß man in denselben den ganzen Fußboden übersehen konnte, und auf beiden Enden der Marmorplatten, worauf sie ruheten, standen Vasen mit den prachtvollsten frischen Blumen geschmückt, silberne Armleuchter standen auf den verschiedenen Tischen und Wachskerzen wurden von bronzenen Figuren an den Wänden neben den Spiegeln gehalten.

Die Luft in diefen Gemächern war kühl und angenehm, und hier, wie überhaupt in dem ganzen Hause, vergaß man leicht, daß außerhalb der Tod in seiner greulichsten Form umherzog. (Schluß folgt.)

Emerson und seine Uebersezer.

„Auf uns ist die alte Fabel von der Sphinx anzuwenden. Man erzählt uns von diesem Wesen, daß sie, am Wege fihend, jedem Vorübergehenden Räthsel aufgab; sie verschlang den, der die Näthsel nicht zu lösen vermochte; sie unterlag aber selbst dem Tode, wenn Jemanden die Lösung gelang.

"Flüchtig eilen Thatsachen und Begebenheiten dahin: das ist unser Leben. Der glänzende, bei ihm vorbeiziehende Wechsel richtet Fragen an den menschlichen Geist. Vermögen nun Einige aus Mangel an höherer Weisheit dieselben nicht zu beantworten, so werden die Thatsachen, die Zeitfragen sie zu ihren Sklaven machen. Solche Sklaven find immerdar bedrängt und tyrannisirt; sie sinken zu routinirten Verstandesmenschen herab. Indem sie sich buchstäblich den Thatsachen unterwerfen, löschen sie selbst das Licht, durch welches der Mensch wirklich Mensch ist, bis auf den legten Funken aus.

" Bleibt der Mensch dagegen seinem Instinkt und den besseren Gefühlen in ihm treu, läßt er sich von den Thatsachen nicht beherrschen, steht er da wie Einer, der einem höheren Geschlecht entstammt, der fest hält an dem geistigen Wesen und der nur das Prinzip im Auge behält, so treten die Thatsachen alsbald und ohne Widerstreben

*) D. h. die sogenannten Mint juleps, die aber nicht mit Pfeffer, fon

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