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theils nach Sibirien auswanderten. Uebrigens war das Land, obgleich ohne Anbau, vom Herrn gesegnet. Es fehlte an Nichts. Wild und Fische wären in reichem Ueberfluß; äeberdies lebte man einig: kein Zank, feine Eifersucht, kein Betrunkener. Ich erinnere mich deffen noch, ein wahres Paradies! Die Wirthshäuser und was daran hängt, unbekannt. Das ist nun anders! Was Allem widerstanden hatte, dem Wirthshaus widerstand es nicht. Die damals reichften Dörfer sieht man sich jezt -nicht gern an: die Schenken haben darin Alles verschlungen.

Ich erinnere mich wohl meiner Kindheit. Kaum konnte ich Tefen, und schon war ich ganz in Gott. Das Leben der Heiligen zog mich_besonders an. § Wie oft besuchten mich seltsame Träume in dem Schlaf, dem fromme Lectionen vorausgegangen. Ich sah das Blut der Märtyrer in Strömen fließen, ich hörte ihre erbaulichen Reden, ich glaubte sogar in einem Winkel den schrecklichen Kaiser Diocletian in Person zu sehen. Mein einziger Wunsch war, mein Heil in der Einsamkeit zu suchen, wie es unsere Väter gethan, die den Lärm des Weltlebens mehr als die Höllenqualen fürchteten. Der Himmel hat meine Gebete erhört; ich kann jezt so leben, wie ich es in meiner Kindheit gewünscht.

,,Mein Vater, der nun im Schoße Gottes ruhet, war ein schöner Greis, in deffen Blick sich die Strenge, gepaart mit einer fast kind lichen Sanftmuth, aussprach. Die Weltkinder haben keine solchen Blicke. Wie kommt das? Alles in seiner Person war von einem Heis ligen; wer ihn fah, entblößte unwillkürlich das Haupt und grüßte ihn.... D, es war ein würdiger Manh! Etwa funfzehn Jahre vor seinem Tode war ein heiliger Greis, Namens Agathangel, aus dem Kloster von Starodub, zu uns gekommen und hatte ihn vermocht, sich ganz Gott zu weihen. Seitdem hatte er die Sorge um den Haus. halt ganz meiner alten Mutter, die er seine Schwefter nannte, über laffen und kümmerte sich um nichts mehr. Pilger kamen stündlich in unser Haus; Gott weiß, woher: aus Starodub, von den Ufern des Jrgis, aus Kergeneß und noch von weiter her. Mein Vater nahm sie alle ehrerbietig auf, und Keiner zog mit leeren Händen ab.

,,Damals gab es unter den Christen allerlei Streitigkeiten. Darüber war mein Vater sehr betrübt; er hätte, glaube ich, lieber die Verfolgung gesehen. Die Pilger, die aus Moskau kamen, berichteten auch von dort nichts Tröstliches: die Unsrigen hielten da Konzilien, konnten sich aber nicht verständigen. Diese Nachrichten vermehrten meines Vaters Traurigkeit; er verbrachte alle seine Tage in Gebet und Thränen. Endlich entschloß er sich, nach Moskau zu reisen; allein Gott gewährte ihm nicht die Gnade, dahin zu gelangen; man meldete uns, daß er auf der Straße, in einem Dorfe Popurov, gefährlich erkran fer Meine Mutter reiste zu ihm und nahm mich mit. Ein wackerer Mann, der ihn von langher kannte, hatte ihn bei sich aufgenommen. Mein armer Vater lag schon da, ohne ein Glied rühren zu können; er war mit der Kutte bekleidet, um in dem Gewande der Engel vor Gott zu erscheinen. Eins quälte ihn: er wäre gern in Ketten, unter Henkershänden mit der Märtyrerkrone gestorben. Ich glaube wahrhaftig, daß das der Gründ war, der ihn zur Reise bestimmt hatte.

,,Er starb mit vollem Bewußtsein, betend und uns segnend; die Erinnerung an dieses Ende hat mich in unserem Glauben befestigt. Wie sollten wir im Irrthum sein? dachte ich seitdem oft. Wenn das wäre, wie würde mein Vater, dieser würdige Greis, so voll Gemüth und Verstand, bis an' sein Ende in der Finsterniß beharrt haben? Ueberdies glaubte ich damals an das Hellsehen in der Todesstunde. Wie hätte er in dem Augenblick, wo er vor Gott treten sollte, nicht auf die Stimme feines Gewissens gehört? Ja, das sagte ich mir oft, um mich zu ermuthigen, seinem Beispiel zu folgen."

Man sieht, welchen Stützpunkt die Ausbreitung dieser Lehre in dem von Natur religiösen Sinn des russischen Volkes findet. Die Regierung, die mit Gewalt in diese zarten Saiten greift, stählt sie nur, wie der Verfolg der Erzählung beweist:

,,Kaum hatte mein Vater den lezten Seufzer ausgehaucht, als der Tribunals-Präsident zufällig in dem Dorfe eintraf. Troß unserer Vorkehrungen, bekam er Wind, wie, weiß ich nicht, daß ein Altgläubi ́ger soeben gestorben sei, ohne seinen Glauben verleugnet zu haben, und begab sich in das Haus.

„Ich wünschte“, sagte er beim Hereintreten, „die Umstände dieses Sterbefalls zu kennen. Wer ist dieser Greis? Zeigt mir seinen Paß."

17 Mein Vater hatte keinen; er hielt es für eine Sünde, einen zu haben. Ein Paß und das Siegel des Antichrifts, das sei Eins, behauptete er, so oft die Rede darauf kam. Aber der Präsident war nicht der Mann über diesen Punkt Vernunft anzunehmen.

,,Gebet seinen Paß her!" wiederholte er.

Wo sollen wir ihn hernehmen? Er hat keinen."

,,Also keinen Paß! das läßt sich hören. Jeßt handelt es fid darum, zu wissen, wer von euch diesen Alten vergiftet hat. Und dann möchte ich das Gefeß kennen, das einem Menschen erlaubt, ohne die Sakramente zu sterben."

„Nach diesen Worten trak er an den Hingeschiedenen und füg an, auf ihn zu schmähen. Ich war jung, hatte heißes Blut, es fri mir zu Kopf. ,,Wie viel Gehalt bekommen Ew. Gnaden, um die Todten zu beschimpfen?" sagte ich zu ihm. Er lachte, der Gottlose, und gab mir einen leichten Backenstreich.”

Mit dem Opfer von 1000 Rubeln, seinen leßten Ersparnissen, erlangt der Sohn von den Behörden die Bewilligung, seinen Vater why altgläubigem Brauch zu beerdigen. Er ist einziger Sohn; seine the Mutter, mit der er zusammenlebt, dringt in ihn, eine Frau zu nehmen. In Erinnerung an den Rath seines sterbenden Vaters, widersteht der junge Fanatiker volle drei Jahre, giebt endlich nach und wählt eine Witwe, die ihm seine Mutter als sehr fromm angepriesen hat. Wegen der Trauung erhebt sich eine neue Schwierigkeit: soll sie nach altgläubigem, oder nach orthodoxem Ritus geschehen? Das Leßtere heischt die Klugheit; man muß sich zu einem Mittelweg entschließen. Sie werden in einer orthodoren Kirche getraut, und nach der Feier treffen, wie gerufen, altgläubige Pilger ein, die den Neuvermählten die Absolution ertheilen. Die Honigmonate verlaufen ziemlich ruhig; aber eine Reihe trauriger Vorgänge folgt ihnen.

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,,Einige Zeit ging Alles gut. So oft Bettelmönche bei uns einkehrten, ließen wir was draufgehen, fie gaftlich zu bewirthen, und an Braga") war kein Mangel. Nach jedem geleerten Krug hielten unsere heiligen Gäfte eine kleine Predigt. Meine Frau und ich hörten andächtig zu. So verging einige Zeit, wir waren glücklich. Aber es gefiel dem Herrn, mich zu prüfen, und ich erlag der Versuchung.

"Ich war ohne Erfahrung, ich kannte die Welt nicht, in der ich lebte. Mein Vater war ein würdiger Mann, und Seinesgleicher giebt es viel, voll des Glaubens, wahre Chriften. Sie kommen nicht zu uns, um unser Halleluja anzustimmen oder das Zeichen des Kreuzes wie wir zu machen; nein, sie ziehen sich von der Welt zurück, weil sie dort den Antichrist und seinen Troß geistlich walten sehen, weil das-Andenken ihrer Vorfahren ihnen theuer ist. Es sind die wahren Nachfolger der Fürsten Myschezki.) Zur Verbreitung ihres Glaubens find sie bereit, Alles, selbst den Tod zu dulden. (Fortseßung folgt.)

Mannigfaltiges.

-Gräffe's Bücherschaß. Die zweite Lieferung des bereits in diesen Blättern angezeigten bibliographischen Lerikons von Grässe ist kürzlich ausgegeben worden. °**) Es reicht diese Lieferung bis zu dem Namen,, Argaiz", so daß noch fast die ganze dritte Lieferung dem Buchstaben A gewidmet sein dürfte. Hiernach zu schließen, würde das Ganze aus fünfundfiebzig Lieferungen (à 2 Thlr.) bestehen, doch da das A in allen Wörterbüchern zu den am reichhaltigsten ausgestatteten Buchstaben gehört, so möchte sich das Werk wohl auf sech"zig Lieferungen beschränken. Wir wiederholen, daß dieses, die orien talischen, wie die alten klassischen, die mittelalterlichen, wie die modernen, die germanischen und flavischen, wie die romanischen Literaturen umfaffende Werk nach einem viel vollständigeren Plane angelegt ist und zur Ausfährung gelangt, als die bekannten Vorgänger desselben, gleichwohl aber, was den Preis betrifft, hinter diesen zurückbleiben wird. Zu den zahlreichen, auf dem Umschlage der zweiten Lieferung genannten Organen des In- und Auslandes, die auf dieses bibliographische Lexikon bereits mit Anerkennung hingewiefen, ist auch noch die Pariser Revue de l'instruction publique zu nennen, welche, obs wohl bedauernd, daß der französische Text nicht für die Franzosen noch etwas mehr geglättet worden (worauf es im Grunde dem Bibliographen gar nicht ankömmt); voch vem beutschen Herausgeber, was die Vollständigkeit und Gründlichkeit seines Werkes betrifft, unbedingte Gerechtigkeit zu Theil werden läßt. Binnen drei bis vier Jahren glaubt der Verfasser sein allen größeren Büchersammlungen, sowie allen Bücherhändlern, unentbehrliches Werk, deffen Vorarbeiten schon beendigt find, fertig herstellen zu können.

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Ein Getränk aus Gerste und Hirse.

**) Diefe Fürstenfamilie gab den Altgläubigen mehrere Häupter. Der erste dieses Namens zog sich im Anfange des siebzehnten Jahrhunderts in die Wälder des Gouvernements Archangel zurück.

***) Trésor des livres rares et précieux, ou nouveau dictionnaire bibliographique, contenant plus de cent mille articles de livres rares curieux et recherchés, d'ouvrages de luxe &c., avec les signes connus pour distinguer les éditions originales des contrefaçons, des notes sur la rareté et le mérite des livres cités et leurs prix dans les ventes les plus fameuses comme dans les magasins des bouquinistes les plus renommés de l'Europe. Par Jean George Théod. Graesse &c. Deuxième livraison: Amarasinha Argaiz. Dresde, Rudolf Kuntze, 1858.

Wöchentlich erscheinen 8 Rummern. Breis jährlich 3 Thlr. 10 gr., balbfährlich 1 Thlr. 20 Sgt. und vierteljährlich 25 Sgr., wofür bas Blatt im Inlande portofrei und in Berlin frei ins Haus geliefert wird.

No 103.

für die

Bestellungen werden in jeder deutschen Buchhandlung (in Berlin bei Beit u. Comp., Jägerstraße Nr. 25, und beim Spediteur Neumann, Niederwallfir. Nr.21), sowie von allen königl. Post-Uemtern, angenommen.

Literatur des Auslandes.

England.

Berlin, Sonnabend den 28. August.

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Die Engländer find das reisegierigste Volk auf Erden. Die Meisten von ihnen scheinen stets unterweges zu sein, theils auf den Eisenbahnen, Dampfschiffen und Omnibus, Droschken oder eigenen Equipagen zuhause oder in anderer Herren Ländern. Die ,,obersten zehntausend" haben ihre Schlösser, Landfiße und Stadt-Residenzen und fahren zwischen denselben umher. Die größeren Geschäftsleute und Fabrikanten kommen jeden Morgen aus entlegenen Landsißen und fürstlichen Wohnungen außerhalb der Städte in ihre Geschäfte und jagen jeden Tag zwischen 4-6 Uhr wieder nachhause. Die wohlhabenderen Familien in den Provinzen kommen so oft nach London, als fie irgend etwas Bedeutenderes einzukaufen haben. Die Londoner besuchen so oft, als es irgend gehen will, Freunde und Bekannte auf dem Lande draußen. Exkursionen per Eisenbahn oder Dampfschiff treiben auch die großen Maffen hunderttausendweise nach und von allen möglichen Richtungen hin und her. Geschäftsleute, Agenten, Kommissionäre durchziehen England täglich in ganzen Armeen, um Kunden zu gewinnen und Waaren abzusehen. Jeder, der einmal ordentlich,,vors Thor" will, fährt. So scheint die größere Hälfte Englands ftets zu reifen. Was nicht reist, zieht wenigstens aus und ein. Die paar Leute, die wirklichen Grund und Boden als Eigenthum befigen, kommen der großen, bodenlosen Maffe gegenüber gar nicht in Betracht. Die Unruhe der Befiglosigkeit, der Mangel an moralischer und materieller Gravitation, welche durch tausendfachen Grundbesig anderen Völkern, die den Feudalismus überwunden haben, als So. lidität der verschiedenartigsten Gestalt zugute kommt, giebt den Engländern jenen eigenthümlichen, unzuverlässigen, lockeren, gehaltlosen, ausweichenden Charakter, den man im Auslande so schwer begreift, wo man überhaupt die Vorstellungen von England aus Idealen und alten verschwundenen Tugenden zusammenzusehen scheint.

Insofern diese Unruhe und Unsolidität als Reiseluft auftritt, kommen dazu freilich noch andere Triebkräfte. England hat 50 Kolo nieen, Geschäftsverbindungen mit aller Welt, Töchter und Söhne in Belgien, am Rhein u. f. w., ein schweres, dumpfes Klima mit furcht barer Langweiligkeit und Einförmigkeit der Boden-Oberfläche (wenig ftens für den, der nicht die Extremitäten des Nordens und Südens, die Schönheiten von Wales und der Inseln, mit in den Bereich seiner Reisen im Inlande ziehen kann) und der Lebens- und Umgangsformen, außerdem Geld, und alle Jahre eine unwiderstehliche Zugvögel-Leidenschaft, der man fölgen muß, auch wenn sie zu überwinden wäre, weil Jeder von Stand und gesellschaftlicher Stellung, der nicht vom Ende Auguft bis zum Herbste mindestens,, ont of town" ist und alle Fenster seiner Stadtwohnung geschloffen und verhangen hält, sofort als zweifelhafter Charakter oder als ruinirter Mann in Verruf kommen und mit Rechnungen, Kreditkündigungen, gebrochenen Freundschaften und sonstigen bösen Folgen überschüttet werden würde. Das tägliche Zu- und Abreisen der höheren und reichen Klassen in solchen Kolossen, wie London, Manchester, Liverpool zc., erklärt sich speziell durch den Schmuß, Rauch und Gestank innerhalb, so daß Jeder, der es irgend möglich machen kann, weit außerhalb wohnt. Dies giebt dem Familienleben außerhalb, wie dem innerhalb etwas Gebrochenes, Zerstreutes, Ungemüthliches und Unsicheres. Außerdem wird dieses Leben sehr theuer: der Mann muß alle Tage weit fahren, Frauen und Töchter halten es draußen im Paradiese nie lange aus und brauchen Kleider, Spigen, Juwelen, Handschuhe und müffen deshalb alle Woche mehrmals in die Stadt fahren, natürlich in eigener Equipage und sollte der Mann das Geld dazu auf die verbrecherischfte Weise schaffen was auch sehr häufig geschieht. Das Leben wird

1858.

dadurch äußerst kostspielig. Es hat sich daraus eine Tendenz zu ultraluxuriösen Sitten und Gebräuchen entwickelt, in sich selbst ein großes Uebel und Bater vieler größeren. Noch schlimmer find die Folgen für die an die Stadt gebannten arbeitenden und ärmeren Klaffen, die fich jeden Tag nach 4-5 Uhr, vollständig von den höheren, reicheren, gebildeteren Klaffen abgeschnitten und inmitten von Rohheit und Trunkenheit, Lüderlichkeit und Noth aller Art eingeschlossen finden. London und andere große Städte sind deshalb bei Abend und Nacht faft durchweg plebej, roh, gemein, betrunken und allerlei Arten von gemeinen Lüderlichkeiten hingegeben. Das moralische, intellektuelle, feinere Element des Lebens fehlt ihnen, so daß sie nichts finden, sich zu schämen oder zu erheben. Auch die Sympathieen trennen sich.. Das eigentliche Stadtvolk und die höheren und reicheren Klaffen, die blos am Tage der Geschäfte wegen rasch hindurchfahren, werden zwei antipodische Menschenarten, die nichts mit einander gemein haben und von einander nichts wissen oder wiffen wollen.

Welch ein Unterschied auf dem Kontinente! In Berlin, Wien ze. kann es vorkommen, daß alle Bildungs- und Standesklaffen in Einem Hause vertreten sind. Ein Fürst, General, großer, weltberühmter Gelehrter, Dichter oder Künstler kann über einem Band- und SchuhLaden wohnen. In London darf eine Familie von hoher gesellschaftlicher Stellung gar nicht mehr in einer Straße wohnen, wo Verkaufsläden vorkommen. Dies hat noch manche andere böse Folgen, auch die, daß die höheren und verzehrenden Klaffen sich in der That nicht um die eigentlichen Volksmaffen bekümmern, sie nicht kennen wollen. Lestere sind auch so abstoßend, so lüderlich und unsauber geworden, daß Seder, der sorgfältig weiße Wäsche trägt, fich es mit zur täg lichen Hauptpflicht macht, darüber hinzusehen und das Auge ganz zu verlieren für dieses Lumpenthum, diese Noth und diese Völlerei des eigentlichen Stadtvolkes. Als Mayhew in seinem großen Werke: ,,London Labour and London Poor", den höheren Klaffen zum ersten Male verkündigte, wie es eigentlich unter den Armen und Arbeitenden ausfähe, lief ein allgemeines Schrecken und Staunen durch die höheren Klaffen über die nie geahnten Mysterien einer Welt, in der sie sich bisher täglich ein paar Stunden bewegt hatten, ohne mehr davon zu sehen, als von den Volksklassen im Innern China's. Die obersten Klassen vermehrten zum Theil ihre üblichen Beiträge für hunderterlei wohlthätige Anstalten, womit sie sich ein für allemal mit ihren Antipoden abgefunden haben wollen (Armen steuer bezahlen nur die Armen, insofern jede Stadt-Abtheilung ihre eigenen Armen ernähren muß, so daß die Zahlungsfähigen in den ärmsten Stadttheilen natürlich das Meiste zu zahlen haben, während die reichen Extremitäten Londons faft gar nichts von dieser Abgabe merken). Aber die Wohlthätigkeits- Anstalten find Noth in Noth, Misere in Misere; sie können nie und nimmer den lebendigen und humanen persönlichen Verkehr der sozialen Antithefen ersehen. Es ließe sich über diese Trennung und Abgeschloffenheit der verschiedenen englischen Lebensschichten Vieles sagen, wodurch England verständlich und unter die meisten, unfreieren Verhältnisse Deutschlands tief herabsinken würde. Hier ist es blos ein Zwischensaß in dem Thema der englischen Reiseluft und Zugvögel-Passion nach jedem Parlamentsschluffe. Es sind andere Richtungen in diese Passion gekommen, seitdem sich durch traurige Erfahrungen die Ueberzeugung ausgebildet hat, daß die Furcht vor englischen Kriegsschiffen den besten und stolzesten Engländer nicht mehr vor Quälerei und Schikanen wegen des Paffes auf dem Kontinente schüßt und die englische Regierung in Bezug auf Frankreich sogar als gefeßliche Bestimmung firirt hat, daß nur Personen, die Magistrats-Behörden persönlich bekannt sind oder durch persönlich Bekannte als unschädliche Individuen für die Person des Kaisers empfohlen werden, Pässe nach Frankreich bekommen können.

So hat der Engländer die Luft verloren, nach dem Kontinente auszufliegen und sich umgesehen, ob sich zuhause kein Ersaß biete. Dadurch entdeckte man Wales und viele kleine Inseln um England

als Ausflugsziele, besonders die Hebriden. Die Hebriden werden dieses Jahr wahrscheinlich die Hauptpaffion für die, welche sich nicht bis nach Rußland (denn auch dies wird Mode), der Türkei, Aegypten und den Nil hinauf (fsehr fashionabel) oder einer entlegeneren KolonialInsel wagen können. Die Hebriden gehören jest zu den schönsten Naturwundern der Erde, die man außerdem auf das bequemste und comfortabelste von herrlichen Dampfschiffdecks in weniger Tagen sehen und besuchen könnte, als Johnson vor 85 Jahren Wochen von Gefahr und Mühsal zu seiner damals berühmten Hebriden-Reise brauchte. Sie machte damals viel mehr Aufsehen, als jezt die gefahr vollste und abenteuerlichste Nordpol-Expedition. Jezt kann man von London aus Alles in vierzehn Tagen abmachen, ohne je in Unbequemlichkeit oder gar Lebensgefahr zu gerathen.

Da auch der Deutsche wahrscheinlich auf keinem kürzeren und wohlfeileren Wege mehr Meerwunder, geologische und geognostische Merkwürdigkeiten, erhabene und reichere Landschaftsmalerei in natura genießen kann, als durch eine der jest fabrikmäßig eingerichteten Er kursionen, so wollen wir in unserem nächsten Schreiben eine Vorstel lung von Inhalt und Umfang einer solchen Hebriden-Reise zu geben suchen.

Rußland.

Die Altgläubigen der ruffischen Kirche.

(Fortseßung.)

,,Warum muß es nun neben diesen wahren Gläubigen so viele geben, die im Grunde an gar nichts glauben und die nur eine Rolle spielen, um daraus Nußen zu ziehen? Und doch hört man auf sie, folgt ihnen: die Menge ist immer und überall dieselbe.

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,,Ohne Mühe schickte ich mich in die vorgeschriebene Lebensregel. Einen Theil unseres Tagewerkes füllte das Gebet, den anderen das Abschreiben der Manuskripte aus. War das Wetter schön, so gingen die jüngsten unter uns aus, um gegen die Abschriften Mundvorrath einzutauschen. Bisweilen blieben wir Monate lang in unseren Hütten eingeschlossen, ohne ein menschliches Gesicht zu erblicken; denn allmählich wird die Einsamkeit ein Bedürfniß. Nie hatte ich mich so glücklich gefühlt, und ich glaubte schon, hier meine Tage zu beschließen; allein der Himmel fügte es anders, ich sollte noch Kämpfe bestehen in jener Welt, die der Antichrist nach seiner Weise beherrscht.

,,Wir hatten unter uns einen Einsiedler, Namens Martemian, der mir gar nicht gefallen wollte. Es fehlte ihm an aller Demuth und er gehorchte nicht ohne Murren den weisen Vorschriften des Vaters Affafa. Eines Tages trat er mit einem Bauern in die Wohnung des Greises.

,,Was willst du, woher ist der Mann!" fragte Affafa. —,,Er ist aus Tscherdyn". Was verlangt er?"Ich will mich hier „Ich niederlaffen, heiliger Bater. Die Abgaben sind schwer, und ich fürchte, man wird mir meinen Sohn zum Rekruten nehmen“. ,,Du hast also Familie?" - "Ja, eine alte Frau, zwei Töchter und einen Sohn".,,Also die Abgaben treiben dich zu uns?" "Ich kann nicht nein sagen", antwortete der Bauer etwas verlegen.

Wozu alle diese Fragen?" unterbrach Martemian barsch.,,Nimm die Lämmer alle, die zu deiner Heerde kommen, willig auf, welche Gründe auch sie herführen."

Man trat zu einer Berathschlagung zusammen. Vater Affafa sprach gegen die Zulassung dieser Familie, und Martemian widersprach ihm mit Bitterkeit. Die Debatte zog sich in die Länge.

,,Du bist zu alt, um uns zu leiten", sagte endlich Martemian.

„Du hast Recht", antwortete Assafa seufzend; „ich sehe, daß ich für euch nicht mehr tauge; ich bin zu alt. Ich weiß wohl, Vater Martemian, wo du hinaus willst. Die Einsamkeit langweilt dich. Gut, es sei, ich scheide. Nehmt einen anderen Führer und laßt mich in Frieden sterben!"

,,Ein solcher Mensch kam zu unserem Unglück in das Dorf. Er,,Ist das ein Leben, das wir hier führen? Man wagt ja kaum zu niesen. gehörte zu denen, die mit heiligen Bildern und Schriften handeln, Siehe nur, wie die Einsiedler von Pilwa leben. Das ist ein ander von Ort zu Ort wandern und ihre Waare bei den Altgläubigen im Ding: fie fürchten nichts und haben sich zu Herren der ganzen GeGeheimen an den Mann bringen. Dieser Handel ist ziemlich einträg- gend gemacht." lich; man muß es aber verstehen, in allen Sätteln gerecht zu fißen. Andriaschka so hieß mein neuer Freund schien zu diesem Gewerbe wie gemacht. Es war ein gewandter, mit allen Hunden gehester Bursche, der, Gott weiß, wie viele Professionen getrieben hatte, er war sogar bei einer Schauspielertruppe angestellt gewesen. Er deklamirte Gedichte, welche meist das Leben unserer Einsiedler behandeln. Bei mir machte er sich darüber luftig; die Anderen begegneten ihm aber mit Achtung. Das war der Mensch, an den ich mich zu meinem Unglück anschloß. Jedesmal, wenn er kam, zog er mich mit sich, und wir trieben uns in der Gegend umher. Nach und nach verleitete er mich zum Genuß des Tabacks und des Branntweins. Als meine Frau und meine alte Mutter diese Veränderung in meiner Lebensweise bemerkten, überhäuften sie mich mit Vorwürfen; allein meine lasterhaften Neigungen hatten eine unwiderstehliche Gewalt über mich gewonnen. Die Auftritte, die mich jedesmal im Hause erwarteten, machten es mir zum Ekel, und eines schönen Tages nahm ich all mein baares Geld zusammen und suchte Andriaschka, der in einem benachbarten Dorfe weilte, auf, um mit ihm in Gesellschaft seinen Handel zu treiben.

,,Bald nahm ich alle seine Gewohnheiten an und spielte meine Rolle vor dem Publikum so gut wie Einer. Man hielt mich für einen wahren Heiligen, und unter vier Augen, Gott verzeihe es mir, lebte ich wie der verworfensten Ungläubigen Einer; nur wußte ich mein Leben, besonders vor den Augen der Frommen, geschickt zu verbergen. Mein Ruf verbreitete sich bis Moskau, und ein Kaufmann in dieser Stadt ließ mir sagen, da er von meinem Glaubenseifer und meiner Klugheit gehört, so schlage er mir vor, in einem entfern ten Gubernium, wo unsere Brüder viel zu leiden haben, um unserer heiligen Sache zu dienen, ein Gasthaus, als Zusammenkunftsort und Zufluchtsstätte für unsere Glaubensgenoffen, auf seine Kosten zu eröffnen. Ich stellte es meinem Gefährten vor, und da es mit unserem Geschäfte keinen rechten Fortgang hatte, rieth er mir, den Vorschlag anzunehmen. Der Kaufmann schickte das nöthige Geld, und ich wurde in einer Stadt jener Gegend Gastwirth.“

Jakov's Gasthaus, der Einkehrort für die Diffidenten, die vor die Behörde geladen waren und oft Tage lang hier, ihr Geld verzehrend, verweilen mußten, kam bald in Blüthe. Allein, von dem schurkischen Andriaschka, dem nach dem fetten Bissen gelüftete, an die Ortsobrigkeit verrathen, mußte er flüchten und ein elendes Wanderleben führen. Er ertrug es als gerechte Strafe für seine Sünden. Seine religiösen Triebe erwachen, und er entschließt sich, in eine der noch heute in Rußland so zahlreichen Einsiedlergemeinden zu treten. Hier werden wir nun in einen neuen Kreis der Altgläubigen eingeführt. Das geistliche Haupt der Gemeinde, die Jakov aufnimmt, ist der fast hundertjährige Vater Affsafa. Die Hütten der Einsiedler, die seine Obergewalt anerkennen, liegen zerstreut um sein Häuschen in der

,,Man bat ihn, zu bleiben, aber die Meisten meinten es mit den Bitten nicht ehrlich. Er beharrte, und man wählte endlich Martemian an seine Stelle. Bald darauf rief Gott den Vater Assafa zu sich. Von dem Augenblick an bekam Alles eine andere Gestalt. Immer mehr Bauerfamilien zogen her; die Einsiedler verkehrten fleißig mit ihnen und vernachlässigten ihre religiösen Uebungen. Zu Affafa's Zeiten war Alles, Geld wie Mundvorrath, Gemeingut; jezt behielt Jeder, was er bekam, für sich und suchte die Weltgenüsse auf; diese Unordnungen ekelten mich an und ich faßte den Entschluß, aus der Gemeinde zu scheiden.. Ich nahm meine Handschriften zu mir, fuhr den Fluß hinunter, kam nach einem Dorfe, Lenav, von dort nach einem kleinen Weiler, Iljinskoje, wo ich mich niederließ. Mein Wirth, ein Altgläubiger, machte aus Furcht äußerlich die Kirchenbräuche mit. Sein Sohn, Michalka, gab sich mit Fälschung der Päffe ab. Die Altgläubigen aus den entlegensten Gegenden wendeten sich in solchen Anliegen an ihn. Da ich mir im Hause ein freies Wort erlauben durfte, machte ich dem Vater Vorwürfe, daß er dem Sohne dieses schändliche Gewerbe gestatte.

,,Wo kommst du denn her, Freund, mit deinen guten Rathschlägen?"

,,Erinnere dich", erwiederte ich,,,was in den heiligen Büchern geschrieben steht. Sagte doch Christus selbst: Ich bin ein Wanderer. Wer einen Paß nimmt, ist kein Christ. Und du, was noch schlimmer ist, giebst es zu, daß dein Sohn gar falsche Päffe macht."

,,Das hast du gewiß bei Vater Affafa gelernt. Mit diesen schö nen Lehren können wir zu Grunde gehen. Was thut ihr Herren Einsiedler in euren Wäldern? Ihr taugt zu weiter nichts, als zum Beten. Das brauchen wir nicht, wir wollen Zufluchtsörter haben für böse Lage. In den Dörfern wird das Leben schwierig, bald kommt der Verwalter, bald die Polizei uns auf den Hals. Nach einer solchen Untersuchung irrt man Tage lang umber, wie eine Seele im Fegefeuer; die Einen werden jämmerlich zerpeitscht, die Anderen, Gott weiß wohin geschleppt, und man sieht sie mit keinem Auge wieder. Wir müssen also in den Wäldern große Gemeinden gründen, bei denen wir in der Noth Zuflucht finden. Wir wollen einen Postdienst von Dorf zu Dorfe einrichten, um vor den geringsten Anschlägen der Behörden beizeiten gewarnt zu werden. Laß fie dann kommen, und sie sollen von den Altgläubigen auch nicht die Spur in den Wäldern finden. Eine kleine Geduld, wir werden das Alles machen."

Jakov begiebt sich endlich nach den Einsiedeleien im Gubernium Orenburg, wo er sein Wallerleben in der Verzückung und im Gebet

In einer anderen Erzählung,,,Marfa“ überschrieben, zeichnet Schtschedrin mit kräftigen Strichen einen anderen, den guten wie schlechten Dissidenten gemeinsamen Zug: die stoische Festigkeit unter Verfolgungen. In der Einleitung verseßt er uns an das Ufer eines Flusses unter eine Gruppe Landleute, die man beim ersten Laut als Altgläubige erkennt. Sie erwarten die Fähre, die sie übersehen soll. Ein Reisender zu Wagen kommt vorbei. Er drückt sich in den Winkel zurück und lauscht der Unterhaltung der Bauern mit gespanntem Dhr. Wer ist es? Ein höherer Polizeibeamter, der sich in einer geheimen Angelegenheit nach der Bezirksstadt begiebt, und die Sorgfalt, mit der er sich den Blicken der Bauern zu entziehen sucht, giebt der Vermuthung Raum, daß die Sektirer seiner Sendung nicht fremd find.

Die mit Ungeduld erwartete Fähre erscheint endlich, sie durch schneidet den Fluß, und die Bauern nehmen den Weg nach ihrem Dorfe. Der Beamte kommt mit Sonnen-Untergang in das Städtchen. Dieses Nest der Altgläubigen zeigt eine eigene Physiognomie, die männliche Bevölkerung scheint daraus verbannt; man begegnet nur Frauen. In langer Tunika von düsteren Farben schreiten sie würdig und ernst einher. Es herrscht eine vollkommene Stille: kein Gewühl, kein Streit, kein Betrunkener auf den Straßen. Der Beamte steigt vor dem Posthause ab. In demselben Augenblick kommt ein Jsprawnik (Polizeibeamter) auf ihn zu.,,Es war ein Mann von kleinem, aber unterseztem Wuchs, mit einem Stiernacken; die Stirn niedrig, die Augen blutunterlaufen. Wenn man ihm einige geheime Mittheilungen in Bezug auf sein Amt macht, streckt er seinen Körper nach vorn, seine Augen stieren wild, wie die eines reißenden Thieres, das eine Beute wittert, und er fängt an, sich in die Lippen zu beißen. Bisweilen kommt es ihm ein, einen Scherz zu machen, oder einen lustigen Schwank zu erzählen; aber selbst in diesen Momenten der Heiterkeit hat sein Gesicht etwas Unheildrohendes." , Wollen Ew. Gnaden sofort an das Geschäft gehen?" fragte er den höheren Beamten. Dieser ist über die Frage verwundert: "Ift dem Jsprawnik meine Ankunft schon vorberichtet? Kennt er die Sendung, die mich hierher führt?" - Und was ist der eigentliche Zweck? Es gilt eine Untersuchung gegen eine gewisse Marfa Kusmowna, früher Superiorin einer dissidentischen Frauengemeinschaft in der Gegend und die, seitdem der Verein auf Befehl der Regierung aufgelöst worden, in diesem Städtchen wohnt. Leider ist es zu spät, um ohne Verzug, wie es der Jsprawnik gewünscht, an das einleitende Verfahren zu gehen, und der Beamte sieht sich genöthigt, den Besuch, den er Marfa in ihrer Wohnung zugedacht, auf morgen zu verschieben. Die gewesene Superiorin bewohnt ein neuerbautes Haus von recht hübschem Aussehen. Als er in die Thür tritt, kommt ihm eine alte Magd entgegen, die bei seinem Anblick erbleicht und an allen Gliedern zitkert; er will an ihr vorüber, da erhebt sie ein durch dringendes Geheul; eine bejahrte Frau, noch kräftig und von hohem Wuchs, in schwarzer Sarafane, den Kopf mit einem Tuche von derfelben Farbe bedeckt, erscheint an der Thüre des anliegenden Zimmers; es ist die Hausfrau. An den ersten Worten, die sie an den Beamten richtet, merkt man, daß seine Ankunft ihr nicht unerwartet sei; sie fragt ihn, ob es ihm gelegen sei, eine Untersuchung vorzunehmen? Sie öffnet Mark Ilarionowitsch (so heißt der Beamte) ein anderes helles und wohlgehaltenes Zimmer. Ein weißes Tuch bedeckt den Fußboden; im Hintergrunde steht ein Bett, mit einem nach russischer Art hochgeschichteten Kissenberg. Mehrere Teller mit gedörrtem Fisch und eine Karafine Branntwein stehen auf dem Tische. Es ist nicht zu verkennen, daß man nicht Zeit gehabt, die Reste wegzuräumen. Ein Mensch im geistlichen Anzuge geht im Zimmer auf und ab, und das Geflüfter, das aus dem Gange zwischen Wand und Bette sich vernehmen läßt, verräth die Anwesenheit noch anderer Personen. Der Mensch ist betrunken und stößt unverständliche Laute aus, unter denen oft das Wort Erzbischof vernehmlich ist. Zulegt entfernt er sich auf Andringen der ängstlichen Hausherrin, und Mark bleibt mit ihr allein, der er vergeblich eine Mittheilung über den Menschen zu entlocken sucht. Sie wiffe weiter nichts, als daß er ein seines Amtes entsetter Priester und in der Stadt wegen seiner Mißführung verrufen sei. Das Gespräch nimmt eine andere Wendung, wobei Mark ihr geschickt zu verstehen giebt, daß der Zweck seiner Mission sei, Nachrichten über den Zustand der Altgläubigen am Orte zu sammeln, bestimmt auf morgen Abend ein Verhör und kehrt nach dem Posthause zurück.

Der Jeprawnik hatte inzwischen eine Mitbeschuldigte Marfa's, Namens Magdalina, befkochen und eine Zusammenkunft der Sektirer im Hause der Leßteren hinter einem Ofen belauscht. Ein Moskauer Kaufmann, Michaïl Trofimitsch, Marfa und der geistliche Trunkenbold Micheïtsch waren zugegen. Aus ihren Reden ging hervor: Micheïtsch, der interdizirte Priester, will um den Preis von 150 Rubeln in zwei Raten und Branntwein auf vierzehn Tage nach Belieben zu den Diffidenten übergehen. Der Moskauer Kaufmann verständigte sich mit den Frauen in Bezug auf die sehnlichst erwartete Ankunft des Erz

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Das angefeßte Verhör sollte nun beginnen, aber ein gewisser Bürger Polownikov, der dabei als Zeuge erscheinen sollte, war seit dem Morgen aus seiner Wohnung verfchwunden, und ohne ihn konnte nach den geseßlich vorgeschriebenen Formen nicht zum Verhör geschritten werden. Diese Widerwärtigkeit verwünschend, durchmißt der Beamte das Zimmer mit großen Schritten, als die Thür aufgeht und ein Soldat einen Menschen am Strick hereinzieht, dem die Hände auf der Brust gebunden sind und der in Verzweiflung ein Petschaft zwischen den Fingern dreht.

"Hier ist er, Ew. Gnaden!" fagt der Soldat. → wWer ist das?" —,,Der Bürger Polownikov, Gnaden." -,,Ah, Schurke“, schrie ihn der Beamte an,,,wo hast du gesteckt?"

Der Unglückliche fuhr fort, das Petschaft zwischen den Fingern krampfhaft zu drehen, und zitterte am ganzen Leibe.

,,Er hatte sich in der Scheune hinter einen Haufen Reifig verkrochen, Ew. Gnaden. Wir haben ihn zufällig dort aufgeftöbert."

,,Mitleid! Ew. Gnaden", stammelte der Bürger.,,Der Stadt schreiber hat mich auf den Strich, weil ich zu arm bin, ihm Geschenke zu machen.“

,,Was hast du da in der Hand?" -,,Ein Petschaft, Ew. Gnaden. Da ich meinen Namen nicht schreiben kann, so drücke ich mein Siegel hin, wo man es mich heißt." "Siehe nach, ob die Kusmowna schon da ist“, befahl der Beamte dem Soldaten.

"Ew. Gnaden“, fing der Bürger an, als der Soldat hinaus war,,,mitunter erlauben mir die Herren Beamten, daß ich an meine Arbeit gehe; ich lafse ihnen dann das Petschaft zu beliebigem Gebrauch zurück."

Jezt geht die Thür auf, Marfa tritt herein. Sie verräth äußerlich nicht die leiseste Uuruhe; sie bekreuzt sich nach alter Weise, grüßt steif und scheint von dem Bürger nicht die geringste Notiz zu nehmen.

,,Der Mann bittet um die Erlaubniß, sich entfernen zu dürfen", sagt der Beamte zu ihr. —,,Wenn es euch recht ist, Herr, und ihr mich ohne Zeugen verhören wollt, so ist das eure Sache; indeß glaube ich, es ist wider das Geseß." ,,Nun denn, so mußt du bleiben", fagte Mark zu dem Zeugen.

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,,Und warum das, Marfa Kusmowna?" rief der Bürger unmuthig. „Ich bin hier zu nichts. Wollte ich mirs beikommen laffen, nur ein Wort dareinzureden, man würde mich mit Fauftschlägen zur Thür hinauswerfen. Ich habe ja auch nichts zu sagen. Was gehen mich eure Geschichten an. Ich werde mein Petschaft hier lassen.“

,,Aber", bemerkte Marfa boshaft, wenn nun Se. Gnaden sich nicht auf eine bloße Unterhaltung beschränkt? Wenn er gegen mich eine Anklage erhebt? Dann ist ein Zeuge..........

Ich wiederhole das", unterbrach sie der Beamte, „daß ich von dir nur eine allgemeine Auskunft verlangen werde, es soll eine aufrichtige, aber ganz freundschaftliche Unterredung sein.“

„Selbst in dem Falle, Herr, scheint mir ein Zeuge nicht zuviel. Ueberdies wird er davon nicht sterben.“

„Erbarmt euch", schrie der Bürger, „ich habe zu arbeiten!" All sein Bitten und Flehen war umsonst.

"Der Teufel hole diese Ungläubigen!" plaßte der Bürger mit einem zornglühenden Blick auf die alte Frau heraus, „Sie find schuld, daß man das ganze Jahr gequält wird, bald einer Untersuchung, bald einem Verhör beizuwohnen. Fluch über sie!"

Mark hieß ihn schweigen und forderte Marfa auf, über ihr Leben zu berichten.

Sie erzählte, mit der einen Hand gestikulirend, das Taschentuch in der anderen, langsam in veralteten Ausdrücken, nach der Weise der Sektirer: „Ich bin in Moskau geboren und früh verwaift von meinen altgläubigen Aeltern. Meine Brüder, theils, weil sie mit mir nichts anzufangen wußten, theils aus Geiz, schickten mich in eine Frauengemeinschaft, die damals in dieser Umgegend bestand. Die Superiorin, Mutter Alexandra, war eine ftrenge Frau; um den geringsten Fehler schickte sie uns in die Zellen mit Fesseln an Händen und Füßen. Aber sie war eine Superiorin in des Wortes wahrem Sinne. Man mußte sie sehen, wenn Kaufleute ankamen. Die Superiorinnen anderer Gemeinschaften pflegten ihnen mit den ältesten Schwestern entgenzulaufen, als wenn sie auf die Waaren ausgehungert wären. Nicht also Mutter Alexandra: fie ließ lange auf sich warten und kam dann bedächtig herbei mit so majestätischer Haltung, daß die Kaufleute verdugt stehen blieben. Wir waren nicht die einzigen, die fie fürchteten. Auch die Nonnen anderer Gemeinden, die sie von fern auf der Treppe bemerkten, blieben stehen und sahen mit einem Lächeln auf den Lippen zu ihr hin, um von ihr einen freundlichen Blick zu erhalten. Und doch liebten wir fie: denn sie zog Geld und Vorräthe aller Art in die Gemeinde."

,, Weshalb hatten denn die Kaufleute eine solche Vorliebe für diese Mutter?" fragte der Beamte schlau.

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Das will ich Ihnen fagen", schrie der unglückliche Bürger, ,,weil Mutter Alexandra ftets bereit war, ihre Uebelthaten zuzübecken. Kam eine ihrer Töchter zu Falle — bei wem versteckte man fie? bei Mutter Alexandra. War eins Ehemann seines Weibes überbrüffig, bei wem schloß er sie ein? wieder bei der Mutter - D, bu alte Schachtel!" wandte er sich höhnend zu Märfa.

„Ist es wahr“, fragte der Beamte, anscheinend gleichgültig,,,daß man in eure Gemeinde Mädchen mit Gewalt brachte?"

"Ihr nehmt also die Worte dieses Besoffenen ernsthaft? ihr denn nicht, daß der Branntwein aus ihm spricht?"

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,,Was, ich besoffen!" schrie der Bürger wüthend,,,du haft also die Schwester Warka vergeffen? Und doch kam das in eurer Gemeinde vor, während du Superiorin warft. Ja, erzähle uns diese Geschichte!" Ein aufmerksamer Beobachter hätte bemerken können, daß der Beamte bei dem Namen Warka die Ohren fpigte; aber er erzwang eine gleichgültige Miene und fragte, sich zu Marfa wendend, leicht hingeworfen:,,Was meint er damit? Ist etwas daran?"

das Schimmern der glasartigen Birken, die große, trauernde Landschaft, der eiskalte Nektar der schönen Luft, das Jucken des Bluts in jeder Ader, wo es munter die Außenposten des Lebens gegen die belagernde Kälte bewacht: es ist prachtvoll! Selbst die Landeseingebornen erklärten die Kälte für ungewöhnlich streng. Ein wenig nach zehn Uhr ging die Sonne auf, und ich habe nie etwas Schöneres gesehen, als die Beleuchtung der Wälder und Schneefelder in ihren wagerechten orangengelben Strahlen. Selbst zur Mittagszeit stand sie nicht höher als 8 Grad über dem Horizont.") Nur die Wipfel der Bäume wurden von den Sonnenstrahlen berührt; ruhig und fest wie Eisen und von glänzenden Eiskrystallen bedeckt, waren die Stämme derselben in schimmerndes Gold und ihr Laubwerk in ein feuriges Orangenbraun verwandelt. Die zarten, mit Eis überzogenen Zweige der Birken glänzten gleich Stäben von Topas und Amethyst, und die gegen die Sonne liegenden und mit jungfräulichem Schnee bedeckten Abhänge schimmerten in den schönsten safrangelben Strahlen. Im Süden findet sich nichts, was diesem Anblick gleichgestellt werden ,,Es ist eine ganz einfache Geschichte", erwiederte die Sektirerin fann fann nichts, was so reich, blendend und prachtvoll wäre. Die itaruhig, aber zum erstenmal mit einem mißtrauischen Blick auf den liänische Dämmerung kann die nicht übertreffen, die wir täglich sehen, Beamten. „Vor fünf Jahren kam ein Moskauer Kaufmann, Michail_nicht, gleich ihr, schnell in die aschfarbigen Schattirungen der DunkelTrofimitsch, einer der Unsrigen, in unsere Gemeinde. Es war im heit übergehend, sondern Stunden lang sich erhaltend, ohne daß mer Herbst, Nacht und böses Wetter. Aber er ließ sich bei mir melden, Aber er ließ sich bei mir melden, eine Abnahme des Glanzes wahrnimmt. Ich glaubte, in den Winter er müßte mich durchaus sprechen. Kaum, daß er mir Zeit läßt, ihn zu landschaften des fernen Nordens die Erhabenheit des Todes und der bewillkommnen, wirft er sich mir zu Füßen. -,,Was ist euch begegnet", Verödung, eine wilde, finstere, traurige Monotonie dieses Ausdruckes fragte ich. „Habt Erbarmen, Mutter", ruft er, meine Tochter zir finden; ich habe aber in der Wirklichkeit den beständigen Genuß hat uns entehrt, sie hat sich einem Keßer preisgegeben!" - Ich der seltensten, zartesten und bezauberndsten Schönheit vor mir. suchte ihn zu beruhigen. Er bat mich flehentlich, seine Tochter an zunehmen und sie zum Guten zurückzuführen. Ich habe es gethan, ich leugne es nicht; aber ein Vater hat wohl das Recht...

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Wird Ew. Gnaden diesem Elenden nicht zu schweigen gebieten?" fchrie Marfa aufstehend;,,er verliert den Kopf....

In demselben Augenblick ruft ein Weib durch die halbgeöffnete Thür mit zitternder Stimme Marfa zu: „Mutter, kommt schnell; ich habe euch was zu sagen".

Die alte Sektirerin verließ mit Erlaubniß des Beamten das Zimmer. Inzwischen legte der Beamte Schreibmaterial zurecht; ließ ein junges Weib, das er aus einem benachbarten Zimmer hereinholte, in einer dunkelen Zimmerecke Plaz nehmen, und setzte sich selber an den Tisch. (Fortsegung folgt.)

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Schweden.

Eine Winterreise durch Lappland.“*)

Unter diesem Titel führt die Lorcksche Eisenbahn-Bibliothek einen geschickt bearbeiteten Auszug aus den „,Northern Travels" des Amerika ners Bayard Taylor ein. Legterer, der selbst von seinen Landsleuten als einer der unermüdlichsten, mit großem Beobachtungstalent ausgestatteten Touristen betrachtet wird, ist in allen fünf Welttheilen so gut wie zuhause. Im Winter 1856-1857 hat er, kaum aus Ostindien und Japan nach New-York zurückgekehrt, über Deutschland eine Reise nach Schweden und Norwegen unternommen. Vergebens warnte man ihn in Stockholm vor den Schrecken des arktischen Winters. Er ließ sich nicht zurückhalten, sondern ging gerade während der kältesten Zeit zu den Finnen und Lappen. Man muß in dem vorliegenden Buche lésen, wie er in der Nähe von Jokijalka and Torneå, bei 36° Réaumur Kälte, in welcher er fünf Tage unterweges war, beinahe erfroren wäre, um einen Begriff von den schauerigen Erlebnissen dieser Reise zu bekommen. Indeffen war sie doch auch nicht ohne Schönheit und wirklichen Ge uuß, wie sich aus nachstehender Schilderung ergiebt, die allerdings noch der Zeit angehört, wo der Reisende die Winterlandschaft eben erft kennen gelernt hatte, während er bei der Nückkehr lange nicht mehr so begeistert war:

,,Das ist nun also endlich eine arktische Reise. Beim Odin, sie ist herrlich! Die glatte, fefte Straße, so rein wie Alabaster, auf der die Kufen unserer Schlitten gleich dem musikalischen Murmeln der Bäche im Sommer plaudern; das glänzende, windstille Firmament, das herrliche, rofenfarbige Morgenroth, das nach und nach sich dunkler färbt, bis die orangengelbe Scheibe der Sonne den Horizont durch schneidet, die goldfarbige Gluth der Gipfel der bronzefarbigen Fichten,

*) Deutsch bearbeitet von Friedr. Cofmann. Leipzig, C. B. Lord, 1858.

Die Leute, die uns auf der Landstraße begegnen, stehen mit diesen unerwarteten Eindrücken in vollem Einklange. Sie sind so Klaräugig und rosenroth wie der Morgen, schlank und kräftig wie die jungen Tannenbäume in ihren Wäldern und einfacher, rechtschaffener unverfälschter, als irgend eine Klaffe von Menschen, die ich je gefehen habe. Sie sind durchaus keine Memmen. Unter der Heiterkeit dieser blauen Augen und glatten, schönen Gesichter brennt die alte Berserkerwuth, die nicht leicht in Feuer geräth, doch, sobald das geschieht, schrecklich wie der Bliz ist. Braisted sagte: „Ich wünschte, ich könnte alle jungen Leute nördlich von Sundewall nach Kansas versehen, ihnen die Geschichte dieses Landes erzählen und sie dann nach ihrem eigenen Ermessen handeln lassen." Lord Byron singt:

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Versteinte Wälder. Wie Herr Profeffor Dr. Göppert kürzlich in einem in der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Kultur" gehaltenen Vortrage mitgetheilt, befinden sich, außer dem großartigen Walde von versteinten Bäumen zu Radowenz (an der böhmisch-schlesischen Gränze und in der Nähe der durch ihre außer ordentlichen Felsen-Particen berühmten Ortschaften Weckelsdorf und Adersbach), in einem ansehnlichen Theile des nördlichen Böhmen, von Rohnow, an der Gränze der Grafschaft Glaß, bis Semil, also in einer ungefähren Länge von zehn Meilen und durchschnittlichen Breite von einer halben bis zu drei Meilen, versteinte Wälder, wie ihres gleichen in der ganzen Welt nicht wieder existiren. Bei Radowenz erreicht dieses Lager seine größte massive Verbreitung, und zwar kann man auf dem „Slatinaer Oderberg" mit Einem Blick_eine Quantität von mindestens 20-30,000 Centner versteinten Holzes übers sehen. Zwischen Trautenau und Semil gehört es der Permischen Formation oder dem Kupferschiefer-Gebirge, zwischen Trautenau und Rohnow dem etwas älteren Kohlensandstein an. Herr Göppert hat der hier aufgefundenen versteinten Holzart den Namen „Araucarides Schrollianus" beigelegt. Interessant ist, daß in neuerer Zeit auch außerhalb Europa's Lager von Araucarien ähnlichen Stämmen immer häufiger aufgefunden worden: so von P. v. Tschichatschev, in der älteren Kohlenformation des Altai, und von Marcou und Möllhausen am Rio-Secco in Neu-Meriko. Endlich entdeckte auch Livingstone im füdlichen Afrika, öftlich von Tschiponga, am Fuße von Hügelreihen, die aus Glimmer und Thonschiefer bestehen, einen Wald von großen verfteinten Bäumen, die durch die Erhebung der Hügel umgestürzt und nach dem Fuße zu gefallen zu sein scheinen.

*) Später hat der Reisende Wochen lang die Sonne gar nicht mehr aufe gehen sehen und ist in bekändiger Dämmerung geblieben.

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