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verloren waren, wenn man mit dem Manne*) unterhandelt hätte. Später kostete es weit mehr, und es ist schwer abzusehen, was ohne den Tod des Vaters unseres Freundes und andere Ereignisse daraus geworden wäre. Das Alles wurde mir versprochen, aber nichts gehalten. Da endlich entschloß ich mich, was es mir auch kostete, aus dieser entseglichen Lage zu kommen, und allein, ohne anderes Geld, als was ich etwa aus meinen Schmucksachen hätte herausschlagen können, reiste ich nach England, wo ich schlimmsten Falles nur Armuth zu ertragen hatte..... Das Uebrige wiffen Sie: von Mylord Lansdowne und Herrn Vaughan unterstüßt, kam ich ein Jahr nach meiner Abreise wieder nach Paris. Ich hatte kein Verlangen, Mirabeau zu sehen; er lud mich eines Abends, von etwas Außerordentlichem bewegt, zu sich ein. Ich bemerkte sofort, daß seine Gesundheit gelitten habe, und war darüber erschreckt. Er sprach mit mir von seinen Angelegenheiten mit alter Vertraulichkeit; er theilte mir seine Aussicht auf eine Gesandtschaft und den Wunsch mit, daß ich ihn begleite. Ich hätte um diese Zeit alte Gefühle wieder aufwecken können; allein das Opfer, das ich unausgefeßt forderte, konnte er im Augenblick unmöglich bringen.) Dann hätten wir doch nicht mehr das frühere Glück in einander finden können: er war von meiner Abreise zu tief verlegt worden, und ich hätte es nicht verwinden können, mich dazu gezwungen zu haben. Die Natur des Gefühls, das uns vereinigte, glich dem Pfirsichflaum: einmal verwischt, kommt es nicht wieder. Ich sah ihn nur noch zwei oder dreimal, dann unterblieben seine Einsendungen. In lezter Zeit, weiß ich, hat er gewünscht, aber zugleich gescheut, mit mir zusammenzutreffen. Hätte er länger gelebt, wer weiß, wie es noch gekommen wäre..... Armer Unglücklicher! Die Trennung hat ihm seine beste, ich darf sagen, seine einzige Freundin gekostet... Ich hatte ihn lieb, schmeichelte ihm aber nicht. Die unangenehmen Wahrheiten aus meinem Munde waren ihm willkommen und hatten mehr Gewicht bei ihm, als wenn sie Andere ihm gesagt hätten; sie hat ihm seine Gesundheit, vielleicht das Leben gekostet; denn ich wußte ihn am besten zu zügeln..... Wenn ich aber, um meine Sache zu führen und meine Grundsäge zu verfechten, von den Fehlern des Mannes sprechen muß, den wir geliebt haben, so dürfen wir ihn doch niemals mit Menschen gewöhnlichen Schlages verwechseln. Aus der Gluth seiner Leidenschaften ging auch jene Energie hervor, die so Schönes und so Großes vollbrachte. Ich wage es, zu behaupten, daß sein Herz gut war, daß er alles Große und Schöne mit Begeisterung umfaßte".

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Wir geben schließlich noch einige Betrachtungen, die ein Referent in der Revue des deux Mondes an die Bekenntnisse der Frau v. Nehra knüpft.

,,Wenn Mirabeau im Alter von 36 Jahren mit jener Häßlichkeit, deren erster Eindruck von Frau v. Nehra so lebhaft geschildert wird, einem reizenden Mädchen von 19 Jahren, das völlig frei war, eine andere Wahl zu treffen, eine ruhige, aufrichtige und ernste Neigung einzuflößen vermochte: eine Neigung, in die sich weder Sinnlichkeit, noch Eitelkeit, noch Eigennuß mischte; die, obwohl in gewissen Fällen zu nachsichtig, nichts weniger als kriechend und habgierig war- denn, in ihrem Stolze verwundet, scheidet sie von ihm, mit dem sie fünf Jahre eines dürftigen und qualvollen Lebens getheilt, gerade in der Epoche, wo er zu Ruhm und Ueberfluß gelangt — wenn Mirabeau, fag' ich, so geliebt werden konnte: ist das nicht ein Beweis, daß die Heftigkeit seines Charakters und seiner Leidenschaften reichlich auf gewogen wurde von einer Fülle an Güte, Gefühl und Zartsinn; daß, um das Bild der Frau v. Nehra zu gebrauchen, Ormuzd an seiner Bildung ebenso viel Theil hatte, wie Ahriman?

„Es ist aber nicht minder wahr, daß das Zeugniß der Frau von Nehra uns in den Stand seßt, über die Gewalt und die verderblichen Folgen eines Lafters klar zu werden, das in Mirabeau faft den Charakter einer Krankheit angenommen hat.

Montesquieu giebt einmal eine mehr blendende, als richtige Unterscheidung, um daraus das Schicksal Cäsar's zu erklären:,,Dieser Mann“, sagt er, „hatte keinen einzigen Fehler, obgleich viele Lafter". Er will unter Fehler, was dem Erfolg schadet, unter Lafter, was den fittlichen Menschen entehrt, verstehen. Nachdem Montesquieu, aus der Hinneigung zur Spißfindigkeit, die ihn mitunter irre führt, diese Unterscheidung gefeßt, hebt er sie einige Seiten weiterhin selber auf, indem er auf die traurigen Folgen der Leidenschaft Cäsar's für Kleopatra hinweist; denn sie ist's, was ihn in Aegypten zurückhält und ihn hindert, den Sieg bei Pharsalus zu benußen, und er schließt mit den Worten:,,So bringt ihm eine wahnsinnige Liebe vier Kriege

*) Mit dem Manne der Lejay, dem Buchhändler Lejay, Herausgeber des Courrier de Province.

**) Die Lejay, sagt Dumont in feinen,,Souvenirs sur Mirabeau", war zu tief in seine Geheimnisse eingeweiht und im Befiß zu vieler Geschichten von ihm, war ein zu gefährliches und boshaftes Weib, als daß er es wagen durfte, mit ihr zu brechen, obgleich er fie völlig satt hatte und in dem höheren Kreise, in dem er sich damals bewegte, es oft genug fühlte, daß ihn diese Berbindung herabseße.

auf den Hals, und indem er den beiden leßten nicht vorbeugt, ftellt er wieder in Frage, was bei Pharsalus schon entschieden war".") Das Lafter Cäsar's hatte demnach alle Folgen eines Fehlers, oder beffer, Laster und Fehler fielen hier zusammen..... In unserer Zeit erlangt Einer nur unter der Bedingung ein gesichertes und dauerndes Uebergewicht bei Seinesgleichen, daß er ihnen eine gewisse Achtung einflößt; diese Achtung ist aber mit gewissen sittlichen Verirrungen unverträglich. Es ist nun allbekanut, daß dieser Mangel an öffentlicher Achtung die Klippe war, gegen die Mirabeau's Genie vergeblich ankämpfte, und an der der große Redner, der große Staatsmann, wenn er gelebt hätte, endlich zerschellt wäre. Dumont erzählt, er habe ihn unter erstickenden Thränen bitter ausrufen hören: „Wie grausam büße ich die Verirrungen meiner Jugend!" Allein die vertrauten Mittheilungen der Frau von Nehra bestätigen, daß die jugendlichen Verirrungen auch noch im Alter fortdauerten. Aus seinem herrschenden Laster flocht sich eine Kette von Schwächen, die ihn einschnürte und lähmte. Die zügellose Wolluft gebar das Bedürfniß nach Gold, und der Hang zum Prunk, die Leichtigkeit, womit er gab, zog die Leichtigkeit nach sich, aus allen Händen zu nehmen, anfangs gleichgültig jede Sache zu vertheidigen und verdammte ihn zulegt, jene schöne und große Rolle eines Lenkers der Revolution unter dem Verdacht der Käuflichkeit zu übernehmen. Andere lafterhafte Menschen, die einen guten Theil ihres Ich's den Sinnen vorwerfen, kaufen damit ihren Verstand und ihren Willen von diesen Tyrannen frei; dahin brachte es Mirabeau nicht. Aus den vertraulichen Mittheilungen der Frau v. Nehra erfahren wir, bis zu welchem Grade die Unbändigkeit seiner Triebe in seine Seele störend einwirkte: fie lähmt seinen Muth, einem Weibe, das er hochschäßte, ein Weib, das er verachtete, zu opfern, und während er von der Frau von Nehra verlangt, daß sie vor seinen Ausschweifungen die Augen schließen soll, fühlt sich seine Eigenliebe von jenem leidenschaftlichen, ausschließenden, unduldsamen Gefühl der Eifersucht gequält. Ausschweifend und eifersüchtig, sein Herz zwischen zwei Frauen theilend, während seine Person jeder gehört, die ihm in den Weg läuft, raft er, ein Othello, mit dem Pistol in der Hand, wie ein melodramatischer Held und das zu einer Zeit, wo er bereits eine politische Macht ist. Und dieser Mann, so unfähig, sich zu beherrschen, der hätte, mit all seinem Genie, eine Revolution beherrschen können?

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,,Und doch war dieses Genie so wunderbar! Heute, wo uns die geheime Korrespondenz Mirabeau's mit dem Hofe vorliegt, können wir, abgesehen von seiner Rednermacht, seinen tiefen Scharfblick, die Richtigkeit seiner Nathschläge, und im Ganzen die Ehrlichkeit seiner Absichten als Vermittler der Monarchie mit der Freiheit und Demokratie vollständig würdigen. Wie sollte man da nicht einen frühzeitigen Tod beklagen, der ihn gehindert, ein Problem zu lösen, das noch heute auf Frankreich lastet, und so seine Bestimmung zu erfüllen?

,,Und wohl mag die Ueberzeugung der Frau von Nehra einigen Grund haben, daß sie ihn gerettet hätte, wäre sie nicht gezwungen worden, ihn zu verlassen. Soviel steht fest, daß ihn mehr seine Ausschweifungen, als seine anstrengenden Arbeiten getödtet haben, und daß diese Ausschweisungen mit dem Tage zunahmen, an dem er diese liebenswürdige, sanfte und hingebende Freundin verloren: fie regelte einigermaßen sein Leben und zügelte seine Leidenschaften. Der Gedanke, daß dieses junge Weib vielleicht das Leben Mirabeau's hätte verlängern und dadurch beitragen können, dem Lauf der Ereignisse seit 1789 eine andere Wendung zu geben, steigert das Interesse an dieser anmuthigen Erscheinung und rechtfertigt den Versuch, ihren dunkeln Namen der Vergessenheit zu entreißen."

Spanien.

Das moderne Drama der Spanier. **)

VII. Don Angel de Saavedra, Herzog von Rivas.
Der Traum ein Leben.

Der Herzog von Rivas gilt in Spanien selbst für den ersten der lebenden dramatischen Dichter des Landes. In der That erinnert er auch durch die Erhabenheit seiner Entwürfe, die Tiefe seiner Gedanken, die Poesie seiner Sprache mehr als ein Anderer an Calderon. Seine Dramen gehören indessen mehr in das Gebiet dramatischer Dichtungen, als zu den durch ihre Darstellung wirkenden Stücken. Wir zählen ihrer nur sieben, von welchen: „El desengaño en un sueño" (Die Enttäuschung in einem Traume) und „,D. Alvaro", oder,,La fuerza del sino" (Die Macht der Rache) am meisten gerühmt werden.

Das symbolische Drama:,,El desengaño en un sueño” hat in Idee und Durchführung große Aehnlichkeit mit Grillparzer's: „Der Traum ein Leben." Da Rivas sein Drama ausdrücklich als Original Größe und Verfall der Römer", von Montesquieu. Kap. XI. ** Vgl. Nr. 76 und 117 des,,Magazin“ von 1857 und Nr. 8, 37, 81 und 92 von diesem Jahre.

bezeichnet und eine Uebertragung aus dem Deutschen überhaupt nicht wohl anzunehmen ist, so scheint wohl eher Grillparzer den Spanier oder Beide eine gemeinschaftliche Quelle benußt zu haben.

Auf einer einsamen Insel lebt ein Magier in ruhiger Beschaus lichkeit mit einem geliebten Sohne, der gerade das Gegentheil von ihm ift: denn der heißblütige Lisardo beschwört Himmel und Meer, feinen Kerker zu sprengen und seiner thatendurstigen Seele einen Ausweg zu bahnen. Er schmäht auf die Tyrannei seines Vaters, der durch diese Absonderung doch nur seinen Sohn vor all dem Elend bewahren will, das den Menschen in der Welt sicher erwartet. Da Lisardo endlich einen Versuch macht, sich ins Meer zu stürzen, wovon Marcolan ihn nur mit Mühe zurückzuhalten vermag, verspricht ihm dieser endlich: er folle die Welt sehen, solle Liebe, Reichthum, Ehre, Macht erlangen. Aber eigentlich will ihm der Alte nur eine Lehre geben, ihm die Nichtigkeit alles Jrdischen auf eine furchtbare Weise vor Augen stellen. Er versenkt Lisardo in einen Zauberschlaf, aus dem er scheinbar erwacht und sich in einem herrlichen Garten findet. Hier erblickt er die reizende Zora und fleht sie entzückt um Liebe an. Zora giebt bald seiner glühenden Werbung nach, sie will sein Weib fein; nur soll ihr Vater vorher unterrichtet werden. Diese Zögerung erhigt Lifardo's heftiges Gemüth, das nichts von Hindernissen wissen will. Indeffen giebt ihm der Alte seine Tochter, und Lisardo wähnt sich nun glücklicher, als cin Bewohner des Himmels. Aber mitten in den Umarmungen der Liebe flüstert ihm sein böser Genius zu, daß es auf der Welt etwas mehr gäbe, als Liebe. Reichthum und Glanz müsse dazu kommen, wenn jene von Werth sein solle. Er sieht sich nun nach einem prachtvollen Jagdschloß geführt, wo reiche Gewänder ihn und Zora schmücken, die jedoch immer einfach und bescheiden bleibt. Seine Diener legen die ungeheuren Schäße des Hauses vor ihm aus: das Gold, die Edelsteine, Wohlgerüche, Federn, Krystalle ic. Aber mit ihnen schleicht sich auch das Mißtrauen bei Lisardo ein: den einen Diener hat er im Verdacht, daß er nach Zora strebe, den anderen, daß es ihm nach seinen Schäßen gelüfte Er wüthet, auch gegen Zora, wird von dieser zwar wieder besänftigt, aber von dem bösen Genius aufs neue verlockt. Nur durch Macht, flüstert dieser, könne man den Reichthum und die Treue des Weibes wahren. Trog aller Bitten Zora's, treibt es ihn in die Welt hinaus nach Ruhm und Macht, und müßte er Anstrengungen, Gefahren, ja Verbrechen bestehen! Auch dieser Wunsch wird ihm erfüllt: ein mächtiger Herrscher sendet seinen General zu ihm und bietet ihm das Kommando über sein Herr an. Lisardo nimmt es freudig an, das überschickte Schwert entzückt ihn; er beginnt sich zu fühlen und verläßt Zora voll hoher Entwürfe. In der That bedeckt er sich mit Ruhm, und der König überhäuft ihn mit allen Ehren. Da erblickt er die schöne Königin und alsbald keimt auch der Gedanke in ihm, daß nur der glücklich sei, der sie und den Thron befize. Seine Offiziere, mit Geschenken von ihm überhäuft, find ihm so ergeben, daß er das Aeußerste wagen darf. Einen Augenblick. schwankt er, dann ist der Sturz des Königs von ihm beschloffen. Bei diesem Verbrechen kommt ihm die Königin auf halbem Wege entgegen, indem sie einerseits eine glühende Leidenschaft für ihn und andererseits ihre Verachtung gegen den vom Volke gehaßten, unfähigen Regenten ausspricht. Diese fordert ihn nun auf, den König im Schlaf zu tödten, er zögert, sie aber zwingt ihm den Dolch in die Hand, stößt ihn fort, und das Verbrechen erfüllt sich.

Lisardo ist König, die Königin sein; aber er schaudert, wie die Hand, die den König schlug, nun von dem huldigenden Hofe geküßt werden soll. Der böse Geist flüstert ihm zu, daß nun auch er den Dolch eines Meuchelmörders zu fürchten habe. Er sieht im Wahnwig einen Blutflecken an seiner Hand und führt so bedenkliche Redensarten, daß die Königin über diese Anwandlung erschrickt. Er will sich auf der Jagd erholen, und sein wackerer General Arbolan soll ihn begleiten. Aber Arbolan ist der geheime Liebhaber der Königin; um einem Rendezvous mit dieser anwohnen zu können, giebt er vor, er müffe in Lisardo's Abwesenheit den Thron wahren und könne deshalb nicht mit. Die Jagd zerstreut den König nicht; der Gedanke an den verübten Mord lastet schwer auf ihm. Ueberdies peinigt es ihn, seinen Thron einem Weibe verdanken zu sollen. In dieser Stimmung trifft er auf eine Zauberin, welche ihm einen Ring schenkt, der die Eigenschaft hat, unsichtbar zu machen. Mit ihm an der Hand mischt er sich unter das Volk und hört nun, wie sehr man unzufrieden mit ihm ist. Seine Soldaten stellen Arbolan ihm gleich, die Hofleute nennen ihn einen Abenteurer und flüstern von geheimen Verbrechen. Lisardo empfindet tief, welch ein höllisches Geschenk ihm die Zauberin gemacht; aber es kommt noch schlimmer. Er belauscht auch ein Gespräch der Königin mit Arbolan; die Königin liebt den Lesteren und hat Lisardo nur vorgeschoben, um durch ihn den Alten zu beseitigen. Jest will sie Lisardo durch einen Gifttrank aus dem Wege räumen. Lisardo, von dieser

Falschheit, von Arbolan's Undankbarkeit schwer betroffen, erkennt nun die Erbärmlichkeit der Welt, beschließt jedoch, gegen sie zu kämpfen. Der ihm treu ergebene Capitain der Wache muß sich beim Feste hinter seinen Stuhl stellen, um auf seinen Wink die Verräther niederzumachen. Noch ruft ihm der Hof ein Vivat zu, aber er kennt die Menschen nun genug, um dies Geschrei zu verachten. Jest beginnt das Festmahl; als er zu trinken verlangt, bietet ihm die Königin den Giftbecher. Er aber will, sie soll zuerst trinken, und läßt sie, da sie sich weigert, verhaften. Jezt stürzt Arbolan an der Spiße der Meuterer herein und bezüchtigt ihn laut des Mordes an dem alten König. Da verläßt Lisardo Alles, selbst der Capitain, und mit Mühe rettet er sich durch seinen Ring.

In dem Garten, wo er einft Zora gefunden, erwacht Lisardo wieder. Er findet jenen nicht mehr so reizend, wie chcdem, denn Zora fehlt. Schmerz und Reue, daß er sie von sich gestoßen, nagen an ihm. Da wird die todte Zora vorübergetragen. Lisardo stürzt hinzu, entsegt entfliehen die Träger. Er hebt sie von der Bahre, will sie vergeblich lebendig machen und wüthet nun gegen sich selbst. Da tritt Liseo, Zora's Vater, zu ihm und macht ihm bittere Vorwürfe. Lisardo sucht seine quälenden Gedanken dadurch los zu werden, daß er Zora ein prächtiges Grabmahl zu erbauen beschließt. Eitler Wahn! In diesem Augenblicke geht sein Schloß in Flammen, auf und er hat nun Alles verloren. Vom Himmel verstoßen, fleht er die Hölle um Hülfe an. Höllische Geister rüsten ihn aus, führen ihm Krieger zu, mit denen er nun seine Nache erfüllen will. Da tritt ihm der Engel des Herrn entgegen und verkündet, daß das Maß voll sei. Arbolan naht mit den Rächern; Lisardo, ohne Waffen, wird gefangen, in einen Kerker geschleppt und soll des Todes sterben. Jest endlich geht er in sich, er würde gern ein anderer Mensch werden, aber es ist zu spät. Der Geist des gemordeten Königs, Zora's Schatten treten vor ihn und zermalmen seine Seele. Sein böser Genius verkündet ihm höhnisch zeitlichen und ewigen Tod, und schon öffnen sich die Pforten der Hölle. Da stürzt er besinnungslos nieder.

Er erwacht. Alles war nur ein schrecklicher Traum. Wie wohl ist ihm, daß er sich in den Armen seines Vaters sieht. Er will jezt nichts mehr von den Genüffen der Welt. Seine Heimat ist bei seinem Vater.

Wenn wir auch mit dem Grundgedanken, der jeden Anspruch an die Sinnenwelt verdammt und streng abgezogene Beschaulichkeit auch für die lebensfrische Jugend predigt, keinesweges einverstanden sein können und es einem Mönche überlassen müssen, diese Apologie der Fleischabtödtung zu rühmen, so müssen wir doch bekennen, daß die Idee selbst, geistreich, lebendig, logisch richtig durchgeführt, große Kenntniß des menschlichen Herzens verräth und zugleich eine schöne Beherrschung der Sprache zeigt. In,,Don Alvaro“ ist die mystische Färbung noch düsterer, obwohl trefflich geschilderte Volksscenen das finstere Bild anmuthig unterbrechen. 6.

Mannigfaltiges.

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-Zur Sprachforschung in Ungarn. Das sechste und legte Heft des dritten Jahrgangs der Zeitschrift Magyar Nyelvészet beginnt mit dem Schlusse einer schon mehr erwähnten gründlichen Abhandlung Hunfalvy's:,, Vom rechten Gebrauche der Zeiten des Magyarischen Verbums". Bis dahin hat der Verfasser den,,rechten Gebrauch in alten Sprachdenkmälern und im historischen Gang der Muttersprache nachgewiesen; jezt folgen die Zeugnisse verwandter Idiome, namentlich des Finnischen und Türkischen. Ein zweiter Artifel betrifft den gemeinhin sogenannten Infinitiv, beffer substantiven Verbalmodus der Hebräer, nach K. Nägelsbach. Ein dritter, überschrieben,,Bemerkungen Wilhelm Schott's" (Schott Vilmos észrevételei), enthält eine Auswahl kritischer und ergänzender Mittheilungen des deutschen Gelehrten, aus Briefen an den Herausgeber, und zum Theil durch Lesteren weiter ergänzt. Des Herausgebers Kritik von L. Roß' neuestem Werk:,,Italiker und Gräken“ (Halle, 1858), ist in unserem Magazin" bereits erwähnt. Horváth rezensirt eine magyarische Uebersehung des „Oedipus Tyrannos“ (im Metrum des Originals). von Karl Szabó. Endlich kommt noch Hunfalvy's Beurtheilung der deutsch geschriebenen magparischen Grammatik A. M. Riedl's (Wien 1858); das für den Verfasser sehr günstige Ergebniß lautet also: „Obschon dieses Buch hauptsächlich für Ausländer geschrieben ist, so wird doch auch der ungarische Leser, besonders der mit vaterländischer Sprachforschung sich beschäftigende, zu seiner großen Befriedigung davon Gebrauch machen und wegen einiger Mängel, die er etwa darin bemerkt, nicht sein Auge ver= schließen vor der großen Trefflichkeit, die Riedl's Sprachlehre unter allen deutsch geschriebenen die oberste Stelle anweift, wie denn auch, in Anbetracht ihres echt wissenschaftlichen Charakters, keine ungarisch geschriebene mit ihr sich messen kann.“

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Bestellungen werden in jeder deutschen Buchhandlung (in Berlin bei Beit u. Comp., Jägerstraße Nr. 25, und beim Spediteur Reumann, Riederwallstr. Nr. 21), sowie von allen tönigl. Post-Yemtern, angenommen.

Literatur des Auslandes.

Frankreich.

Berlin, Donnerstag den 26. Auguft.

Die Religion des neunzehnten Jahrhunderts, nach: Alaux. Um den Standpunkt und die Intention des unten angezeigten religions-philosophischen Buches) einigermaßen richtig zu würdigen, feien, nach Anleitung der Revue de l'instruction publique, einige Betrachtungen vorausgeschickt.

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Warum bist du Christ? Ein Schüler der Kirchenväter würde antworten: Weil mein Herz in Christo einem Gnadenmittler, keinem metaphysischen Mittler zwischen Gott und der Schöpfung begegnet. Weil ich an eine übernatürliche Weltordnung glaube, würde ein Doktor des Mittelalters sagen. Ein Apologet des neunzehnten Jahrhunderts wird ohne Zweifel fich dahin äußern: Ich glaube an Chriftum, weil ich ein Autoritätsprinzip haben muß. Sich selber überlaffen, ohne den göttlichen Ballast,' würde der Rachen meiner Vernunft vor jedem Sturme hin und her schwanken; die ewigen Gewißheiten, welche die Vernunft in verzweifelten und ohnmächtigen Ansägen anstrebt, entweichen ihr unter den Händen; selbst die der gesellschaftlichen Ordnung unentbehrlichsten Wahrheiten sind für sie unerfaßbare Nebelgestalten. Die Moral, die Familie, das Eigenthum, alle jene wesentlichen Bedingungen von Ruhe und Ordnung, gegen welche die wildesten Leidenschaften unablässig anstürmen -wer gäbe ihnen die Weihe des Geseßes? Ueberall Zweifel und Anarchie! Ja, ich bin Christ, weil auf allen Stufen des Bewußtseins, in allen Kundgebungen seiner Thätigkeit der Mensch eines geistigen Zügels, einer geheiligten Kette, eines höheren Elementes der Ordnung, der Ruhe und der Machtabstufung bedarf.

Wendet euch nun an den Deisten mit der Frage: Warum widerstreben dir die Glaubenslehren des Christenthums? Weil, wird er antworten, sie eine knechtische und gefährliche Verehrung des Autoritätsprinzipes, d. h. einer vorgeblich göttlichen Maßregelung, fordern, unter welcher der menschliche Gedanke still steht und das Herz erstarrt! Hat Gott vor achtzehn Jahrhunderten dem Menschengeschlecht Alles mitgetheilt, was es zu wiffen braucht: wozu bann die Wissenschaft, wozu die Bewegung, wozu das Leben und die Arbeit von Generationen? Was wäre dann der Fortschritt Anderes, als der gottloseste, der widersprechendste Wahn? Die Norm, welche die Gesell schaft wie die Seele braucht, ist das angeborene Gefühl der Ordnung, ift bas freie Bewußtsein, keine todte Formel. Jede positive Religion macht das Individuum, das sich von ihr knechten läßt, zu einem Automaten und so gewiffermaßen zu einem Selbstmörder: denn sie ver fezt die Quelle feines Lebens, seiner Thätigkeit, seiner Vernunft, feines Gewissens außerhalb seiner und hindert ihn, das Jdeal innerhalb seines Herzens zu empfinden. Hinweg dann mit der pofitiven Religion! Die Philosophie überall, die Philosophie, d. h. die Freiheit!

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Wer kommt jezt?.......... Aha, ein Weiser, oder ein Politiker: ein umfaffend mitfühlendes Herz, oder ein feiner diplomatischer Kopf. Er fängt damit an, die ausschließenden Tendenzen der beiden Schulen zu beklagen: die eine will die Philosophie der Religion, die andere die Religion der Philosophie opfern. Welcher Mensch, ruft er in feiner vermittelnden Aufrichtigkeit oder Klugheit, welcher Mensch kann der Milch der Autorität entwöhnt werden? Und welcher Mensch wiederum kann das kräftige Brob der Freiheit entbehren? Freiheit Autorität: diese beiden erhabenen Wesenheiten entsprechen den höchsten Bedürfnissen des Menschengeschlechts. Die eine ist der Ballast, die andere das Segel des Nachens. Lernen wir die gleichen Dienste, die sie leisten, kennen, suchen wir sie zur Ruhe der Gewiffen zu verföhnen! Ueberall macht sich das gleichzeitige Bedürfniß geltend der Ordnung und der Freiheit, der gesellschaftlichen und der persönlichen Rechte, der Regierung und der Opposition, der Laft und der Kraft, der Bewegung und der Ruhe, der Thätigkeit und der Regel, des *) „La religion au XIX. siècle". Philosophie religieuse, par J. E. Alaux. 1 vol. in 12. Paris, L. Hachette & Co.

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1021 1858.4

Subjekts und des Objekts, des Ich's und des Nicht-Jch's, des Sazes und des Gegensages. Religion und Philosophie, die gewissermaßen diesen ewigen Dualismus zur Erscheinung bringen, sind demnach Gegensäße und folglich - ewig verschwistert. Bereinigen wir sie, indem wir sie trennen; die Vernunft wage sich nimmer in das Gebiet der Theologie, ein Offenbarungsdogma dringe nimmer in das Heiligthum der Philosophie. Zwischen diesen beiden antinomischen Gränzsteinen errichten wir als Bindemittel eine unübersteigliche Barre, und damit sie fich versöhnt umarmen, untersagen wir ihnen, jemals zusammenzutreffen! Zwei über das Unendliche gegen einander ausgestreckte, einander vergeblich suchende Hände wäre das Symbol des Friedens, den wir vorschlagen!

Das ungefähr sind die Argumente der drei Schulen mit ihren unendlichen Schattirungen, die heutzutage an der Lösung der religiösen Aufgabe arbeiten: der Gläubigen, der Ungläubigen, der Vermittelnden.

So abweichend sie aber auch von einander sind, in Einem Punkte sind sie einig, in der fast zum Ariom erhobenen Behauptung: die Neligion ist die eingefleischte Autorität, die Philofophie ist der logische Ausdruck der Freiheit. Die Wahrheit dieses Arioms zu prüfen und festzustellen, kommt ihnen gar nicht zu Sinn; auch unser Autor thut es nicht; wenigstens aber prüft er und verwirft einige der wichtigsten Folgerungen, und darin besteht das Verdienstliche seiner Arbeit.

Zum Beispiel, die Gläubigen und Ungläubigen nehmen ́heutzutage, in Uebereinstimmung mit der ihnen gemeinsamen Hypothese, an, daß, die Nothwendigkeit eines Autoritätsprinzipes zugegeben, die Wahrheit des Katholizismus fich aufs bündigste daraus herleite. Die Frage ist nur, und darüber streiten sie, ob dieses Prinzip für die menschliche Seele und Gesellschaft nothwendig fei?

Auf den ersten Blick dünkt es uns, als wenn Herr Alaur diesem allgemeinen Vorurtheil beide Hände reichte; allein bald modifizirt er diese anscheinende Zustimmung, indem er mit finniger Schärfe den idealen und realen Katholizismus aus einander hält. Der ideale Katholizismus ist ihm einfach die Religionslehre, in welcher die gesellschaftliche Autorität die individuelle Vernunft unterweist; diese nimmt sie anfangs als Glaubensakt in sich auf, beleuchtet sie demnächst und erklärt sie endlich. Die Lehre, die den Gebrauch aller unserer Kräfte weckt, um ihnen dann vorzugehen, ist nothwendig, wie die gesellschaftliche Autorität selbst, zu der sie gehört. Aber seine Natur? Sein Inhalt? Hat man darin das Resultat einer großen naturwüchsigen Erleuchtung der Menschheit, oder die überlieferte Formel einer äußeren, befonderen, in die Mitte der Zeiten urplößlich hineingetretenen Offenbarung zu sehen? Mit anderen Worten: der reale Katholizismus, den die sichtbare, die römische Kirche bekennt ist er eine wandelbare oder eine bleibende Form der reinen Religion, des idealen Katholizismus? Nach Herrn Alaur hat die Logik des Autoritätsprinzipes keine Antwort auf diese Frage; sie beschränkt sich darauf, es für die individuelle Vernunft als ein Bedürfniß zu erklären, von einer vorangegangenen und höheren Lehre angeregt und geschult zu werden, und da diese Lehre, der Definition gemäß, sozial, menschheitlich, allgemein ist, so hat man sie katholisch zu nennen, obgleich fie nicht nothwendig mit derjenigen zusammenfallen muß, welche die sichtbare Kirche unter diesem Namen lehrt. Kurz," man kann logisch das Autoritätsprinzip zugeben, ohne deswegen Katholik sein zu müssen

Ein zweiter Sag, den Herr Alaur aufstellt, ist nicht neu, zeigt aber den offnen und glücklichen Bruch mit den Theorieen des Tages. Allgemein sieht man heutzutage im Christenthum eine gute ober schlechte, aber systematische, vollständige, doktrinäre Erklärung des Menschen und der Menschheit. Die Gläubigen stellen das Christenthum als das leßte Wort des Räthsels dar, in ihm habe der Geift, nach qualvollem, unfruchtbarem Umhertaften und Suchen, die endliche Ruhe gefunden. Die Ungläubigen urtheilen dem schnürstracks entgegen: Was, rufen sie, es sollte ein für alle Mal irgendeine_allgemeine Lehre festgestellt sein, eine Lehre, in deren Sinne das Menschengeschlecht dazu verurtheilt wäre, hier auf immer seine Zelte

aufzuschlagen! Darüber wird nun lang und breit, in Anklage und Mannigfaltigkeit, die wechselnde Bewegung der Systeme. Voraus Vertheidigung geftritten; im Grunde aber find die Parteien einiger, gefeßt, daß eine allgemeine Erklärung keine geoffenbarte Thatsache, als fie meinen. Beide faffen die Religion als eine allgemeine Erstein Dogma leugnet oder verfälscht, hat sie dieselben kirchlichen Ehren Härung, oder den Versuch dazu, für wenn auch nicht alle Dinge, doch für die rivalifirenden Erklärer, für die einander feindlichen Theologen. mindestens für das sittliche und geistige Leben. Nur wollen die Einen Sie kanonifirt den Peripatetiker Thomas von Aquino, wie sie den Plakeine allgemeine gottgeoffenbarte Erklärung, weil es ihr Wunsch ist, tonifer Auguftin kanonisirt hat, wie sie den Mystiker Bonaventura ftets zu suchen, und ein fertiges Werk, das sie zur Muße verurtheilt, kanonisirt. Sie entscheidet sich für keine Philosophie ausschließlich, der unsterblichen Unruhe ihres Geistes widerstrebt; die Anderen da- als wäre diese die vollständige Synthese, der endgültige Ausdruck der gegen nehmen sie unbesehen an, wie sie ist, aus Angst vor den Ge Dogmen, die sie lehrt; fie fest diese Dogmen selbst als versiegelte fahren des Weges und den Abgründen, die ihnen auf demselben überall Mysterien, in die kein menschlicher Blick auf Erden dringt. drohen. Ihrer Meinung nach besteht die Arbeit des Menschen nicht darin, die große, das Prinzip feiner geistigen Thätigkeit enthaltende theoretische Synthese zu schaffen, sondern sie zu erkennen und aus ihr, der einmal erkannten, alle in ihr begriffenen einzelnen Theorieen und sozial-praktischen Regeln abzuleiten."

Herr Alaur wirft mit vollem Recht die Frage auf, ob nicht der Begriff, den man sich in den beiden entgegenstehenden Lagern von der Religion macht, von grundaus unrichtig sei, und kommt zuleßt dahin, die von den Scholastikern aufgestellte und von Malebranche angenommene und nur abgeänderte Thesis wieder aufzunehmen. Nach dem berühmten philosophischen Mönch sind die geoffenbarten Dogmen keine Theorie, tein System, teine Erklärung, mit Einem Worte: feine Wissenschaft; sie sind schlechthin ein Gesammtes pon Thatsachen einer gewiffen Ordnung, die zu kennen für die Menschen wichtig sind, die sie in das übernatürliche Leben einzureihen haben. Troß aber ihres eigenen (sui generis) Charakters sind diese Thatsachen, wie alle wirklichen Thatsachen, der Bewährung vonseiten der Vernunft fähig; sei es, daß diese ihre innere Glaubwürdigkeit oder den Werth der Zeugnisse, die sie verbürgen, untersucht. Noch mehr, sie können von der Höhe des einen und des anderen Prinzipes aus, das sie der Vernunft zuführen oder in deren lichten Tiefen schöpfen, verallgemeinert und zu einem innigen Zusammenhange an einander gekettet, koordinirt werden. Gerade diese logischen Coordinationen, durch psychologische, physische, historische Thatsachen, wie durch Vorstellungen jeglicher Ordnung, vergrößert, machen in ihren umfassenden Synthesen die Versuche zu allgemeinen Erklärungen aus. Aber, wohl gemerkt, diese allgemeinen Erklärungen, als solche, haben nichts Geoffenbartes, nichts Göttliches an sich, es sei denn die dogmatischen Thatsachen, die sie erfaffen und koordiniren. Gewiß, sofern sie echt christlich sind, verfälschen sie eben sowenig irgend eine dieser Thatsachen, wie irgend ein gutes physisches Theorem irgend eine Naturerscheinnng verfälscht, von der es Rechen schaft geben will. Allein selbst dann, wenn sie alle Glaubensdogmen noch so gewissenhaft achteten: vom religiösen Gesichtspunkte aus haben fie keine unbedingte, ausschließende Geltung. Es steht Jedem frei, sich für die Systematisirung zu entscheiden, die ihm die verständigste, schlichteste, begreiflichste dünkt. Die Kirche, als solche, hat nichts damit zu schaffen. Sie legt dem Menschengeschlecht eine gewisse Summe von Wahrheiten vor, kein rationales, philosophisches Ganzes, kein erklärendes Theorem. Die Dogmen sind, wie gesagt, geheimnißvolle Thatsachen, die ihren Urgrund und ihre Einheit in Gott haben, uns aber, in unserer irdischen Verfassung, nur als Thatsachen gegeben sind.

So weit Malebranche. Mit unserer gegenwärtigen Religionsphilosophie, die im Christenthum das Prinzip der Autorität, der Synthese, eine Aullehre hier verehrt, dort verdammt — mit der ist Malebranche's Meinung unverträglich; aber durch und durch orthodox ist fie; das bezeugt die ganze Kirchengeschichte. Es ist eine eitle Einbildung der Autoritäter, daß die christlichen Philosophen, als Christen, über alle wichtigen Glaubenspunkte einig sind; daß der geistige Kampf auf diesem Gebiete ursprünglich von einem mehr oder weniger systematischen Unglauben ausgegangen fei. Ihre eigenen inneren Zer würfnisse halten sie fälschlich mit für die verderblichen Ergebnisse der durch den Protestantismus eingedrungenen Anarchie und träumen, daß im Mittelalter alles Harmonie, Einheit, Frieden war. Welche Täuschung! Welche Verblendung gegen die ausgemachtesten Thatfachen! Nehmt die rechtgläubigsten, die berühmtesten Theologen vor der Reformation zur Hand und leset! Fast überall, wo der heilige Thomas mit den Dominikanern Ja sagt, sagen die Franziskaner mit Duns Scotus Nein; der doctor seraphicus (der heilige Bona ventura) geht weder mit dem doctor angelicus (Thomas), noch mit bem doctor subtilis (Duns), und Alle verwerfen die philosophischen Ideen des heiligen Auguftin. Mitten in dem hundertjährigen Gezänk der beiden Bettelmönchorden kommt Gerson und sagt sich in der Verzweifelung fast ganz von der Philosophie los, und nach ihm versuchen es die Vorgänger, des Suarez mit einem wissenschaftlich dürren Ellektizismus. Welch ein Getümmel neu entstehender, sich umgestalten der Schulen, die in ihrer Eifersucht über einander herfallen! Das Alterthum in seiner schönen, ruhig kalten Weisheit hat nimmer einen so erhabenen Lärm gehört. Und was sagt die Kirche dazu? Nichts! Sie läßt gewähren, läßt gelten, begünstigt sogar mittelbar die

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Noch auf eine dritte, sehr wichtige, sehr praktische und sehr verkannte Wahrheit weist das Büchlein in vortrefflicher Sprache hin. Wenn Freiheit und Autorität einen wirklichen Gegensaß bilden, wenn jene ihren Ausdruck in der Philosophie, diese in der Religion hat: so müssen Philosophie und Religion entweder einander radikal ausschließen oder, sich wechselseitig einander beschränkend, vereinigen.

Und das verkündigen in der That alle religiösen oder nicht religiösen Schulen, die sich seit einem halben Jahrhundert um die Seelen Atreiten.、

Ihr trefft auf ungläubige, sonst sehr verständige Menschen, die das Christenthum schlechtweg verleugnen, ohne daß sie etwas gegen die Dreieinigkeit, noch gegen die Fleischwerdung Chrifti, noch gegen irgend welches Dogma einzuwenden hätten; aus feinem anderen Grunde, als den, daß die Philosophie, als solche, in ihrem Wesen ihnen mit der Religion, als solcher, unverträglich scheine.

Ebenso begegnet Ihr gläubigen Chriften, die an dieser oder jener Philosophie nichts auszusehen haben; allein die Philosophie überhaupt mißfällt ihnen, weil sie in ihrer abstrakten Natur ihnen dem Christenthum schroff entgegenzustehen scheint.

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Die vermittelnden Geister und die Diplomaten- die Besten und die Schlimmsten finden sich mitunter einverstanden; schmerzlicher Gedanke! von demselben Prinzip ausgehend, kommen zu einem anderen Schluß: Glaube und Vernunft beschränken einander, halten einander das Gleichgewicht, wie z. B. die Pairskammer und die Deputirtenkammer im conftitutionellen System, wie der Herr Pfarrer und der Herr Maire in einer gutgearteten Gemeinde.

In der Praxis ist diese Vorstellung des Gleichgewichts oft eine unbestritten glückliche. Die Menschen beschränken sich von Natur gegenseitig in der Entwickelung ihrer Thätigkeit, und das Gefeß hat Jedem genau die Gränze zu stecken, wo seine Macht aufhört: das ist des Gesezes wichtigste, vielleicht wesentliche Function. Aber ist diese Regel, die von persönlichen Beziehungen gilt, auf Ideen anwendbar? Die geistigen Kräfte haben, wo sie auch wirksam find, ein Recht, zu wirken, vorausgeseßt, daß sie ihrer Natur gemäß, daß fie logisch wirken. Was sie dann wahrnehmen, haben sie ein Recht, wahrzunehmen; was sie begreifen, haben sie ein Recht, zu begreifen; was sie beleuchten, haben sie ein Recht, zu beleuchten, und ihr Recht, sehr verschieden von dem unserer massiven, undurchdringlichen Person, hört nur an den Gränzen ihrer Macht auf.

Es trete Einer zu dir heran und sage: Ich bewillige deinem Auge die Befugniß, auf 15 Schritt Distanz zu sehen, weiter aber nicht, selbst wenn es sich mit dem Teleskope bewaffnet, bei Strafe des Gehege-Frevels gegen die anderen Sinne — wirst du ihn nicht für unrichtig im Kopfe erklären? Offenbar begeht man aber denselben Irrthum, wenn man der Vernunft unverrückbare Gränzen vorzeichnet; einen noch schlimmeren Mißgriff begeht man, wenn man diese Gränzen in einem anderen Erkenntnißmittel zu finden vermeint. Guter Goft, bringen wir doch da Schranken an, wo sie die Natur verlangt, stecken wir sie nicht überall ab! Begränzt das Gesicht das Gehör? Ift der Geruch eine Barre für den Geschmack und den Taftsinn? Ebensowenig mag, in des Wortes ftrengem Sinne, die Vernunft die Erfahrung, die Erfahrung den Glauben, aber auch nicht der Glaube die Vernunft beschränken. Der ausschließliche Gebrauch einer fortwährend und unklug zu Rathe gezogenen Kraft wird in gar vielen Fällen die Quelle gewiffer Täuschungen, und wenn er auch nicht den Verstand irre führt, so hat er doch immer den Uebelstand, ihn zu verengern. Man kann wohl bildlich sagen, unsere Kräfte müssen jede ihren rechtmäßigen Theil bekommen, und keine darf in das Loos der anderen eingreifen. Aber diese unbestimmte Regel praktischer Klugheit und Bequemlichkeit zu einem wissenschaftlichen Prinzip, und dieses Prinzip zu einem streng absoluten Ariom erheben, das ist schlechte Scholaftik, die sich mit zweideutigen Worten abfinden läßt und die hohlke Abftraction zu etwas Wirklichem macht.

Die Vernunft ist mithin keinesweges in dem Grade der Gegensaß des Glaubens, daß ihr nie und unter keinem Umstand Zulaß in das religiöse Gebiet gestattet sei. Herr Alaur sagt sehr richtig: Unter den Gläubigen bildet sich ein großer Theil ein, die Vernunft anzuerkennen, indem sie dieselbe willkürlich beschränken. Wie inkoasequent! Sehen sie denn nicht, daß, wenn fie irgendwo gilt, fie überall gilt, wo sie einen Ausspruch that? Gott offenbart den Menschen

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eine Lehre; hat aber nicht die menschliche Vernunft darüber zu richten, ob diese Lehre wirklich von Gott ist? Und insofern sie Richter ist, muß ihr Spruch nicht untrüglich sein?"...

Von dem uns gestatteten Raume beschränkt, schließen wir, indem wir zusammenfassend den Inhalt des höchst interessanten Werkchens auf drei Thefen zurückführen, die der junge, geistvolle Deaker ftreng Jogisch entwickelt:

1) Man kann das Autoritätsprinzip zugeben, ohne daß daraus nothwendig das Zugeben des Katholizismus hervorgeht.ebay cra

2) Die Religion ist keine doktrinelle und theoretische Idee der Weltordnung, sondern vielmehr die Bescheinigung einer gewissen Anzahl von Thatsachen, die dem Menschen zu erkennen wichtig sind, um zu jener Idee zu gelangen.

3) Vernunft und Glaube sind keine Begriffe, die zu einander Gegenfäße bilden oder, sich einander die Wage halten.

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Art. 4. Von 1859 ab wird die Bibliothek, mit Ausnahme der beiden Osterwochen vom Palmsonntag bis Quasimodo das ganze Jahr hindurch geöffnet sein. Art. 5. Vom kommenden 1. Oktober ab soll die Arbeitszeit, die gegenwärtig nur 5 Stunden täglich beträgt, auf 6 Stunden verlängert werden.

Art. 6. Sobald die in der Bibliothek unternommenen Bauten es gestatten, sollen in der Abtheilung der gedruckten Bücher zwei Säle eröffnet werden: ein Lesesaal und ein Arbeitssaal.

Art. 7. Zum Dienste der Bibliothek bestehen in jeder Abthei lung ein Konservator-Subdirektør und ein Hülfskonservator-Subdirek tor. Jedoch können in der Abtheilung ad 1, Art. 3, dem Konservator drei Hülfskonservatoren zugesellt werden.

Das Personal besteht überdies aus: Bibliothekaren, Angestellten erster, zweiter und dritter Klaffe, Supernumerarien und Gehülfen, Arbeitern und Löhnern. Ferner: aus einem verantwortlichen Schatmeister mit Bibliothekarrang; aus einem Secretair der Direction und einem ordentlichen Schreiber, der den Rang als Bibliothekar oder als Angestellter hat.

Art. 8. Die festen Gehälter sind:

für den General-Administator und Direktor. 15000 Fr.

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die Konservatoren-Subdirektoren.

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10000 7000

4000-5000 Fr. 3200-3600 2500-3000 1900-2400. 1800 Fr. 1300-1800.

1500 Fr.

einen Aufwärter.
1100-1200-
Schleußerinnen und Dienstmägde
500 Fr.
Buchbinder in der Bibliotheks-Werkstatt. 1300-1500.
Buchbinderinnen.
800-900

Aufpapper in der Kupferstich-Werkstatt.. 1100-1200Art. 9. Die Subdirektoren und Hülfssubdirektoren werden, auf Vorschlag unseres Staatssecretairs, Ministers des öffentlichen Unter richte und der geistlichen Angelegenheiten, von uns berufen und entlaffen.

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Die Bibliothekare, Angestellten, Supernumerarien und Gehülfen werden von unserem Minister berufen und entlassen.

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Jeder Angestellte reihet am Tage seiner Ernennung in die dritte, also teste Klafse.

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Keiner steigt in die nächstfolgende Klasse auf, wenn er nicht in derjenigen, die er jeßt einnimmt, mindestens zwei Dienktjahre zählt. Dieselbe Regel findet ihre Anwendung auf die Angestellten erster Klaffe, um zum Bibliothekar befördert zu werden,

Art. 12. Kein in Zukunft berufener Beamter darf mit seinem an der Bibliothek bekleideten Dienste irgend ein anderes Amt versehen. : Art. 13. Die Subdirektoren und Konservatoren bilden einen be= rathenden Ausschuß, den der General-Administrator einmal monatlich zusammenberuft.

Art. 14. Die gegenwärtige Zahl der Konservatoren und Hülfskonservatoren kann erst nach Maßgabe der Erlöschungen, oder im Wege der Entschädigung und der Zuerkennung der Pensionsberechtigung, auf die in diesem Dekret bestimmten Verhältnisse zurückgeführt werden. Die gegenwärtigen Konservatoren und Hülfskonservatoren verbleiben demnach jeder bei ihren Functionen unter demselben Titel und mit demselben Gehalte.

Art. 15. Es wird sofort ein Inventarium aller Sammlungen der Bibliothek aufgenommen.

Art. 16. Unser Minister des öffentlichen Unterrichts und der Kulte wird durch ein besonderes Reglement für alle Einzelheiten des inneren Dienstes das Nöthige anordnen.

Art. 17. Alle dem, gegenwärtigen Dekret entgegenlaufende Beftimmungen sind aufgehoben.

Art. 18. Unser Minister Staats-Secretair im Departement des öffentlichen Unterrichts und der Kulte ist mit der Ausführung gegenwärtigen Dekretes beauftragt.

Geschehen zu Plombières, 14. Juli 1858. Napoleon. Außer dem vorstehenden Dekret veröffentlicht der Moniter vom 20. Juli den Bericht des Herrn Mérimée im Namen der mit der Prüfung der bei der Organisation der kaiserlichen Bibliothek einzuführenden Verbesserungen beauftragten Kommission, an den Minister. Die Mehrheit dieser Kommission hatte sich für den Vorschlag entschieden, die Abtheilung der Kupferstiche in das Museum zu übertragen. Der Minister ging nicht darauf ein, weil er die Kupferstiche mehr als Hülfsmittel des Studiums der Geschichte als der Kunst betrachtet. Ebensowenig genehmigte er den Vorschlag, das genealogische Kabinet von der Bibliothek zu trennen und es mit dem Staatsarchiv zu vereinigen.

Mit Ausnahme dieser Abweichungen hat das Dekret diesen Kommissionsbericht, der dem Ministerialbericht zu Grunde liegt, nun sanetionnirt. (R. L. P.)

Nußland.

Die Altgläubigen der ruffischen Kirche.
(Fortseßung.)

Das find ungefähr die merkwürdigsten Züge aus der Vergangenheit der Altgläubigen, und wenn die beiden Bruchtheile über einen ziemlich auf die Spiße getriebenen Gewissenspunkt uneins find, so einen fie doch dieselben Erinnerungen, dieselben Bestrebungen und die Beharrlichkeit, mit der sie durch die Verfolgungs Epochen gegangen find, um in die günstigere Lage zu kommen, die ihnen die gegenwärtige Regierung sichern zu wollen scheint. In ihr Privatleben führt uns Schtschedrin durch seinen Roman, in welchem er seine während eines langen Aufenthaltes unter den Diffidenten gesammelten Beobachtungen und Erinnerungen niedergelegt hat. Hören wir 'die Bekenntnisse eines Dissidenten, Jakov, des Helden in der Erzählung: Die Einsiedler“.

"Meine Aeltern waren Christen alten Schlages.") Vor hundert Jahren verließ mein Ahn das Dorf Groß-Rußlands, wo die Gebeine seiner Vorfahren ruheten, um in den Schmieden des Guberniums Perm Arbeit zu suchen. Er hatte sich selbst zum Exil verdammt, wie alle Altgläubigen, die um diese Zeit haufenweis theils nach Polen,

*) So nennen sich die Altgläubigen und weisen die Bezeichnung Sektirer (Раскольники) als einen Schimpf zurück.

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