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No 94.

für die

Bestellungen werden in jeder deutschen Buchhandlung (in Berlin bei Beit u. Comp., Jägerstraße Nr. 25, und beim Spediteur Neumans, Riederwallfir. Nr. 21), sowie von allen königl. Poft-Aemtern, angenommen.

Literatur des des Auslandes.

Frankreich.

Neue französische Romane.

Berlin, Sonnabend den 7. August.

Wieder eine Fluth, die uns eine Anzahl schillernder Muscheln vor die Füße wirft, unter denen wir leider nicht eine einzige Perlmuschel gefunden haben. Im Kern, oder vielmehr Mangel an Kern, sind sich alle diese Produkte gleich, alle find unnatürlich, verzerrt, unwahr, voll Effekthascherei und falscher Sentimentalität. Die bis ins Ermüdende angebrachte Detailmalerei soll den unwahrscheinlichen Situationen das Ansehen der Wahrheit verleihen, fügt aber nur zur Kraßheit die Langweil. Unwillkürlich fühlen wir uns gedrungen, zu fragen, ob denn unser Geschmack in der That so heruntergekom men sei, daß uns solche Produkte geboten werden dürfen? Beginnen wir mit dem Buche, das uns zuerst in die Hand fällt; es muß wohl für ein vorzügliches gehalten werden, weil der Verfasser sich das Recht der Ueberseßung vorbehält! Es heißt: „La dernière Soeur grise, par Léon Gozlan."

Gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts lebten im Walde von Vincennes zwei adlige, nicht reiche Familien in der nächsten Nachbarschaft. Ihre Felder begränzten einander, 'und ihre Häuser lagen so nahe, daß die zahlreiche Nachkommenschaft von beiden Seiten auf einem Tummelplaß zusammenzukommen pflegte. Auch die Häupter der beiden Familien waren freundschaftlich verbunden, die Männer besprachen die politischen, die Frauen die häuslichen Interessen, und so verging ihnen eine lange Zeit des Friedens.

Constanze, die Stieftochter des Marquis von Retal, war sechzehn, Francis, der ältefte Sohn des Grafen von Carmayenne, achtzehn Jahr alt, als sie sich bewußt wurden, daß die Neigung, die sie als Kinder zu einander gezogen hatte, einen tieferen Charakter annehme. Die vermögenslose Constanze war für das Kloster bestimmt und wagte nichts gegen den Beschluß ihrer Aeltern einzuwenden. Francis sollte sich in eine Militairschule begeben, um später in die Armee eine zutreten.

Am Abend vor ihrer beiderseitigen Abreise nimmt Constanze ihrem geliebten Francis das Versprechen ab, daß er bei ihrer Einkleidung, die in einem Jahre stattfinden soll, gegenwärtig sein wollte.

Beide reisen am folgenden Tage nach den verschiedenen Orten ihrer Bestimmung ab; diese sind für Francis der Sig der Militairs Schule, für Constanze das Kloster der Tempelstraße in Paris. In Arras stattet der Graf von Carmayenne mit seinem Sohn einen Besuch bei einem Jugendfreund, einem Herrn von Kermaji, ab. Dieser Herr, ein gewesener englischer Schiffs-Capitain, der lange Zeit in Indien zugebracht hat, befißt, außer bedeutenden Reichthümern, eine schöne fechzehnjährige Tochter, Louisianne. Eine Heirat zwischen ihr und Francis ist von den beiden Vätern besprochen, und wird von Seiten Louisianne's kein Einwand gegen den Plan erhoben. In diesem Mädchen hat der Autor den Versuch gemacht, ein Naturkind zu schildern, ein Versuch, der aber durchaus nicht gelungen ist, denn obgleich das junge Mädchen auf gezähmten Tigern mit goldenen Halsbändern reitet und sich von ihren Dienern nach orientalischer Sitte im kost baren Palankin wie eine indische Braut tragen läßt, um den jungen Francis zu amüsiren, so macht doch dies Alles nichts weniger als einen natürlichen Eindruck.

Am Abend erfährt Francis von seinem Vater, daß er zum Bräutigam der schönen Louisianne bestimmt ist; er wendet so wenig gegen diesen Beschluß ein, als Constanze gegen das Kloster, und begiebt sich in die Militairschule. Louisianne geht auf den Wunsch ihres Vaters, der abermals eine Geschäftsreise nach China macht, in dasselbe Kloster, in dem Constanze lebt, um daselbst die Rückkehr ihres Vaters zu ers warten. Sie schließt sich freundschaftlich an Constanze an und vertraut ihr, daß sie mit dem schönen jungen Grafen von Carmayenne verlobt sei, eine Nachricht, die Constanze mit überirdischer, wahrhaft

1858.

unnatürlicher Liebenswürdigkeit aufnimmt und sich von da an befleißigt, ihre junge Freundin mit dem Charakter des jungen Grafen, den sie von Kindheit an kennt, vertraut und zu dessen Behandlung geschickt zu machen.

Der Tag der Einkleidung der armen Constanze rückt heran. Ihre Mutter, die Marquise von Retal, ist indessen vor Schreck gestorben, weil sie während eines Besuches in Paris Zeuge der Erftürmung der Bastille war. Die Gährungen der Revolution brechen nun immer mächtiger los und entzweien im Großen wie im Kleinen die Parteien. Der Marquis von Retal, mehr aus Furcht als aus Ueberzeugung, erklärt sich für die Revolution, und in Folge deffen wird seine Freundschaft für seinen Nachbar, den Grafen, zur tödtlichen Feindschaft. Dieser emigrirt mit seiner Familie und entgeht auf diese Weise glücklich den Verfolgungen; der Marquis wird guillotinirt, weil er vergessen hat, seinem Hund das Halsband abzunehmen, auf welchem sein Name mit seinem Titel,,Marquis" gravirt ist.

In den Klöstern herrscht indessen noch einige Zeit die größte Ruhe. Die Einkleidung der jungen Marquise ist mit vielem Pomp beschrieben. Francis ist gegenwärtig, und als Constanze mit sterbender Stimme das Gelübde der Armuth, Keuschheit und des Gehorsams ablegt, ruft eine Stimme aus dem Hintergrund: Und ich auch!

Darauf verläßt Francis die Militairschule und logirt sich in ein Franziskanerkloster. Während der Fastenzeit wird er eines Tages aufgefordert, in dem Kloster zu predigen, in welchem Constanze und Louisianne sich aufhalten. Seine Predigt ist anfangs sehr dürr und unerbaulich; plöslich aber geräth er ins Feuer, der Krater seiner Leidenschaft bricht los, er klagt sich vor der ganzen Schwesterschaft an und erklärt, daß eine rasende Neigung ihn an eine Nonne in ihrem Kreise feffele. Darauf neigen alle Schwestern ihre verhüllten Häupter, der Frevler geht ungestört in sein Kloster zurück, und wunderbarer Weise wird von seinem tollen Benehmen weder von den Vorstehern des einen, noch des anderen Klosters irgend eine Notiz genommen! Man gestattet im Gegentheil dem jungen extravaganten Priester, sich seinen Gefühlen und Betrachtungen in einem Thurm zu überlaffen, der sich am Ende des Klostergartens erhebt, und den er sich zur Wohnung auserkoren hat. Die toleranten Klosterbrüder versorgen ihn monatlich mit den nothwendigen Bedürfnissen, und erst nach einem Jahr verläßt er den Thurm, um sich mit den Oberen zu besprechen und ihnen seinen Plan, als Missionar nach Indien zu gehen, mitzutheilen.

Als er den Klosterhof betritt, findet er Alles öde und leer, alle Pforten offen und keine Spur der Klosterbrüder. Er begiebt sich darum auf die Straße, wo er von einer Bande wüthender Patrioten und Fischweiber ergriffen und unter Hohn und Spott auf die Guillotine geschleppt wird. Zum Glück erkennt ihn einer seiner ehemaligen Mitschüler aus der Militairschule und befreit ihn, indem er seine Priesterschaft als eine durch den Despotismus der Aeltern erzwungene darstellt.

Francis tritt nun als Soldat in die Dienste der Republik, kämpft natürlich wie ein Löwe, erobert Kanonen 2c., wird vom Convent zum Oberst ernannt und vom Volk vergöttert. Mitten durch diese Scene zieht einer jener feftlichen Züge der Republik; auf einem goldenen Wagen stehen Louisianne und Constanze, Erstere als Vernunft, Lettere als Opfer der älterlichen Autorität". Francis wird aufgefordert, sich Eine von Beiden zur Gattin zu wählen, nach edlen Kämpfen und Wettstreiten der Großmuth von beiden Seiten entscheidet er sich für Constanze.

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Siebzehn Jahre sind seitdem vergangen, da wird uns die verlaffene und vergessene Befihung im Wald von Vincennes wieder vors geführt, und zwar in dem Augenblick, als die neuen Besißer einziehen. Es sind zwei, wie es heißt, sehr junge Damen, und wir freuen uns, bei dieser Gelegenheit zu erfahren, daß das galante Frankreich die Jugend der Damen bis ins vierzigste Jahr gelten läßt.

Die zwei sehr jungen Damen find natürlich Constanze und Loni

fianne, Erstere, als Frau von Carmayenne, von ihrem Gemahl und ihrer Klofterschwefter begleitet.

Nachdem sie einige Monate ein höchft idealisches Leben auf dem Schauplah ihrer Kindheit geführt haben, erheben sich nach und nach verleumderische Gerüchte über das Verhältniß, in dem die beiden sehr jungen Damen zu ihrem Begleiter stehen. Man lebte jezt unter dem Scepter Napoleon's, der gelegentlich im Wald von Vincennes auf die Jagb ging, weshalb die Polizei ein besonders wachsames Auge auf die Bewohner der Umgegend hatte.

Sei es nun, daß man die beiden Damen für gefährlich hielt, oder daß man sich über die Natur ihres Verhältnisses zu dem jezigen Besißer vergewissern wollte; kurz, der Polizeiminister begab sich selbst nach St. Mandé und verlangte um 3 Uhr Morgens Einlaß im Hause, das ehemals dem Marquis von Retal gehört hatte. Es wird geöffnet, und die bestürzte Dienerschaft weigert dem Polizeiminister nicht, alle Räume ihrer Gebieterin zu durchsuchen. Von einem Zimmer zum anderen gehend, hat dieser Herr Gelegenheit, sich von der großen Ordnung zu überzeugen, die in diesen Frauengemächern herrscht. Er dringt bis ins Schlafzimmer vor, es ist leer, das Bett der Frau v. Carmayenne ist nicht berührt.

Der Polizeiminister seßt seine Untersuchungen bis auf den Boden fort; ein Lichtstrahl, der durch die Rizße einer alten Thür dringt, führt ihn endlich auf die rechte Spur, die Thür wird mit Fußtritten eine gestoßen, und was erblickt man?

Zwei knieende Frauen, in der Tracht der Soeurs grises, betend vor einem kleinen Altar, über welchem eine Lampe brennt.

Es wäre zwar natürlich gewesen, wenn die beiden Damen sich bei dem Geräusch nahender Fußtritte und bei dem gewaltsamen Einbruch, erhoben hätten, dann wäre aber das effektvolle Tableau der beiden Knieenden gestört gewesen.

Was machen Sie da? fragt der Polizeiminister.
Wir beten, wie Sie sehen.

Um diese Stunde?

Wir beten die ganze Nacht, mein Herr, meine Freundin, um meinem guten Beispiel zu folgen; ich, mein Herr, weil ich 1788 das Gelübde der Keuschheit, der Armuth und des Gehorsams abgelegt habe.

Aber Sie halten sich hier mit einer anderen Person auf? fragt der Polizeiminister.

Ja, mein Herr, mit meinem Mann, Francis von Carmayenne, welcher das Haus uns gegenüber bewohnt.

Von Carmayenne! ruft der Oberst der Gendarmerie, der brave Maubert, nicht wahr? (So hatte man ihn umgetauft.)

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reiche Tochter ist. Das junge Mädchen ist im Begriff, sich vor Gram zu verzehren; da beschließt ihre Stieffchwester Celeste, welche die wirklich reiche ist, ihre Schwester vom Tod und von der Schmach, vor der Welt als verlassene Braut gelten zu müssen, zu retten. Sie schreibt demnach einen Brief an den schlechten Menschen, bestellt ihn zu einer Zusammenkunft, giebt sich als die wirklich reiche zu erkennen und bietet sich ihm zur Frau an, um den Verdacht, in welchem ihre Schwester steht, auf sich zu lenken. Sie hat deshalb genau das Kostüm gewählt, welches ihre Schwester bei den Zusammenkünften zu tragen pflegte.

Herr Frestel willigt natürlich ein, was aber unnatürlicher erscheint, ist, daß die Mutter des jungen Mädchens und ihr väterlicher Freund sie nicht von dem Vorhaben, sich mit einem anerkannt schlechten Menschen zu verbinden, abzubringen suchen. Die Unnatur und Unwahrheit der Sache erreicht indeß dadurch den Gipfel, daß Celeste heimlich einen Gespielen ihrer Jugend, Lucien, liebt, der troß allem Weltschmerz ein treuer Liebhaber ist. Als er, von Reisen zurückgekehrt, Celeste als die Braut des berüchtigten Frestel wiederfindet, will er sich erst von der Eisenbahn zermalmen laffen, zieht es aber vor, nachdem er mit Celeste eine vertrauliche Unterredung gehabt, sich mit ihr zugleich durch Kohlendampf zu tödten. Dies geschieht, sie werden jedoch wieder ins Leben zurückgerufen, Celeste heiratet den Bruder Lüderlich, geht mit ihm nach Algier, wo er falsche Speculationen macht und endlich mit ihr und mit einem Kinde zurückkehrt. Bald darauf stürzt er in Folge einer unsinnigen Wette, wird von der Eisenbahn zermalmt, und Constanze, die nun frei ist, heiratet nicht Lucien, mit dem sie doch sterben wollte, der aber auch indeffen abgekühlt ist, sondern den väterlichen Freund!

Der Roman einer Dame:,,Notre Dame des belles fontaines", von der Gräfin Dash, bringt ebenfalls eine höchft verschrobene Liebesgeschichte zwischen einer jungen Frau, die ein wahres Ideal von einem Ehemann verläßt, um einem mit Weltschmerz und Wahnsinn behafteten Roué in die Gebirge zu folgen, und dann als reuige Sünderin mit engelhafter Andacht stirbt! An diesem Kleeblatt haben wir vor der Hand genug!

zur Geschichte des französischen Protestantismus.

Jean Ro u. (Schluß.)

Die Idee zu diesem Werke war eine ganz unverfängliche: die Gesammtgeschichte sollte in Tabellenform gebracht werden. War der

Sie kennen ihn? fragt der Polizeiminister. — Ob ich ihn kenne, Rahmen einmal gewählt, so ging das Uebrige von selber: er durfte er ist einer der tapfersten Soldaten der Republik. Ein Priester! flüsterte Constanze. Ich weiß, ich weiß, Madame!

Kommen Sie, Herr Minister, ich werde Ihnen die Geschichte erzählen, und sich zu Constanze wendend, sagt er: Grüßen Sie den braven Maubert von seinem ehemaligen Kameraden! Der Oberst war derselbe, der ihn damals von der Guillotine gerettet hatte.

So endet diese abenteuerliche Geschichte, und wir bekennen, daß wir über den Grundgedanken des Verfassers in totalem Dunkel geblieben sind, denn während er S. 40 das damals so übliche Einsperren eines jungen Mädchens in ein Klofter als eine „Gewaltthat der Gesellschaft" betrachtet, stellt er am Schluß das Festhalten dieser Gelübde in eine Glorie. Wir hätten nichts dagegen einzuwenden, wenn Constanze, aus innerer Ueberzeugung Nonne geworden, mit Begeisterung diesen Beruf ergriffen und festgehalten hätte. Nun aber ist sie gezwungen ins Kloster gegangen, denn ihr Herz ist von der Leidenschaft zu Francis erfüllt, der sie unverhofft wiederfindet, nachdem die Revolution ihre Bande gelöst hat; sie ist seine Frau geworden und beharrt, ihrem Herzen, dem Gesez und der Ratur zum Troß, auf der Er füllung ihrer erzwungenen Gelübde. Und zwar in welcher Ausdehnung! Auch in den strengsten Nonnenklöstern ist es nicht Regel, die ganze Nacht zu beten. Und dann das verwöhnte Naturkind Louisianne, das gewohnt ist, auf Tigern zur reiten, und nun aus purer Freundschaft ebenfalls die ganze Nacht auf den Knieen zubringt. Wir gestehen, daß wir für solche verschrobene Tugendheldinnen keine Sympathie haben.

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Noch toller und unwahrer ist die zweite Geschichte deffelben Verfaffers,,,Celeste", die wir nur mit einigen Strichen bezeichnen wollen. Die Besißerin dieses überirdischen Namens ist die Tochter einer Witwe, die sich einen reichen Schwiegersohn wünscht. Dieser Wunsch scheint durch Jules Frestel in Erfüllung zu gehen. Dieser Herr, der uns als ein roher, lüderlicher, aber reicher und schöner Mensch geschildert wird, knüpft ein Liebesverhältniß mit der ältesten Tochter der Witwe, die aus der ersten Ehe stammt, die man ihm als gute Partie bezeichnet hat, an, in der Meinung, daß sie die reiche Tochter sei, von der er gehört hat. Er beredet sie zu einigen Zusammenkünften, die nicht unbemerkt bleiben, und verläßt sie, nachdem er erfahren hat, daß sie nicht die

nur ausgefüllt werden. Zwei Dinge waren aber dazu unumgänglich nöthig: Zeit und Geld, denn der Stich war sehr kostspielig. Er mußte sich also nach einem reichen Mäcen umsehen. Durch Verwendung Couvert's, Chapelain's, besonders des Erprotestanten Montauster, des Gouverneurs beim Dauphin, wurde das Werk dem königlichen Knaben gewidmet und Ludwig XIV. vorgelegt; selbst Bossuet zeigte sich günstig, da wurde am 25. November 1675 Jean Rou von einem Kommissar und einem Gefreiten plöhlich aus seiner Wohnung gerissen und in die Bastille geworfen. Seine Frau wandte sich flehend an Bossuet: „Ihr Mann“, erklärte der Bischof,,,hatte mir nicht gesagt, daß er Hugenott sei; für einen solchen verliere ich kein Wort". Wir sind also in der Bastille, und Rou, nachdem er zu Gott gebetet, ihm Ergebung einzuflößen, um soviel Unrecht zu ertragen, und von dem Gouverneur der Bastille die Erlaubniß erhalten hatte, Besuche anzunehmen, fördert insoweit seinen frohen Muth wieder, uns in jene Höhle der schrankenlosesten Despotie einzuführen, uns von Personen und Sachen auf das interessanteste zu unterhalten und einen finsteren Winkel in der gloriosen Regierung des großen Ludwig zu beleuchten. Welche Sittenentwürdigung, welche Willkür im Innern dieses Hauses! Doch warum sollte der Gouverneur beffer und gerechter sein, als der Gebieter, von dem er seine Gewalt hat?

Endlich, nach einigen Wochen, auf Verwendung Montaufier's und La Reynie's, kommt er ohne Urtheil und Spruch heraus, wie er hineingekommen. Bei seinem ersten Dankbesuch bei La Reynie will er feiner Verhaftung auf den Grund kommen: hat er etwas von Personen und Sachen der Kirche Ungebührliches gesagt? Aber er hat ja stets seine Quellen angegeben: Baronius, den Jesuiten Labbé, Mezeray!,,Ah, mein Herr", sagte La Reynie zu ihm, „glauben Sie, daß das Sie deckt? Baronius ist das Kind vom Hause, der kann sagen, was er will, er wird nicht verdächtig; Sie aber find ein Fremder. Ein Vater, der mit seinem Sohne unzufrieden ist, heißt ihn einen Schlingel, einen Nichtsnuß über den anderen; es wäre aber keinem Anderen zu rathen, sich gleiche Freiheit zu nehmen." Rou verlangte feine Tabellen zurück, erbietet sich zu jeder für nöthig erachteten Verbefferung, zur Ausmerzung mißliebiger Thatsachen; nur die Wahrheit zu verfälschen, dazu mag er sich nicht verstehen. Diese Verhandlungen wegen der Tabellen geben manche Gelegenheit zu

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Charakterschilderungen, Anekdoten, wo der Geist und die Feder des Advokaten ihr Spiel haben, ohne daß man seine Redlichkeit verbächtigen könnte. Ein Freund erlangt endlich von de Harley, dem Erzbischof von Paris, dem eigentlichen Urheber der plößlichen Verhaftung Rou's, daß das Werk drei Doktoren. der Sorbonne zur Beurtheilung vorgelegt werde. „Von meinen drei Doktoren“, sagt Rou, „schien mir der Eine ein guter Engel, der Zweite ein eingefleischter Teufel, der Dritte ein Schwachkopf." Dieser machte ihm z. B. den Einwurf: ,,Ei, mein Herr, Sie laffen den heiligen Dionysius gegen 91 n. Chr. fterben, und 160 Jahre später, gegen 249 oder 250, machen Sie ihn zum Bischof von Paris?" - „Ich geftehe“, sagt Rou „diese NamenVerwirrung des Dionyfius Areopagita mit dem Pariser Heiligen kam mir so unerwartet, daß es für mich, der ich nicht immer meine ersten Gefühle bemeistern kann, ein großes Glück war, nicht in ein helles Lachen auszubrechen.“ -Seine Tabellen wurden ihm nicht zurück gegeben; später aber erfuhr er, daß man die Unverschämtheit hatte, fie in dem Kupferstich-Saal der Bibliothek aufzustellen, und daß der Bibliothekar, ein gewiffer Herr de Rainssant, sie, mit Bewilligung Louvois, als sein Eigenthum betrachtete.

So weit es von ihm abhing, suchte Montausier das Unrecht gegen seinen Schüßling gut zu machen. Mittelbar ist die Erziehung des Dauphin's eine Brodquelle für Rou. Der Gouverneur überträgt ihm die zum Behufe des prinzlichen Unterrichts dienende,,Anleitung, Gedanken zu klassifiziren", was ihm 39 Louisd'or einbringt, eine hinkende Zahl, die in einem durch Unterschleif gemachten Abzug vonseiten des Secretairs ihren Grund haben mochte. Auch hatte er eine lange Zeit einen „Karl der Weife" für den Dauphin in Arbeit, wie Andere zu demselben Zweck einen „Karl der Große“, einen „,der heilige Ludwig", einen Theodosius“ zuftuzten. Diese Begünstigungen schließen ihm den Mund und fristen den Aufenthalt des verfolgten Proteftanten in Frankreich.

Rou hat, wie oben bemerkt, im Vorbeigehen auf einen Zug seines Charakters hingedeutet, der es vielleicht erklärt, warum er nach dem Verlust seiner Tabellen in keiner Stelle lange aushielt: er konnte seiner Gefühle nicht Herr werden. Und gerade schlug er damals eine Laufbahn ein, wo man ohne Geduld, ohne Selbstbeherrschung keinen Schritt thun kann: er wurde Lehrer; da er, wie er sagte,,,nichts seiner so unwürdig fand, wie den Müßiggang und Anderen zur Last zu sein." Zum Glück find seine ersten Schülerinnen drei junge, schöne Fräulein von Stande. Hier steht er nicht auf dem Fuße des Schulmeisters, sondern er soll ihnen auf dem Wege der Unterhaltung und des bloßen freundschaftlichen Besuches“ von verschiedenen Theilen der Schönwissenschaften, der Geschichte, der Geographie, der Genealogie, der Heraldik u. f. w. einen Anflug beibringen. Der Anfang brachte ihn in Ruf, und etwa zehn Herren von Ansehen, Franzosen und Ausländer, nahmen bei ihm Unterricht, was ihm im ersten Jahre über 1800 Livres einbrachte. Er wagte es endlich, eine Hofmeister-Stelle anzunehmen. Von einem Freunde an den Grafen von Sunderland in London empfohlen, reist er dahin und stellt sich dem Lord vor. Bei der ersten Unterredung äußert der Graf den Wunsch, daß seine beiden Kinder, ein Sohn und eine Tochter, ausschließlich französisch sprechen. Das ist“, sagte Rou, „eine hohe Ehre für die französische Sprache, Mylord, und.....“ - „D, täuschen Sie sich nicht", fiel der Engländer ihm ins Wort,,,es ist nicht aus großer Werthschäßung der Sprache und derer, die sie sprechen; im Gegen theil, wir verachten die Sprache, wie die Nation. Wir wollen nur nicht, daß, wenn wir sie bisweilen sprechen müssen, man von uns sage, daß wir darin Fehler machen, noch weniger möchten wir darin, so verächtlich sie uns auch ist, unwiffend sein." Da galt's, an sich halten, abbrechen, dem Gespräch eine andere Wendung geben. Wie oft hat er die Familien gewechselt, weil er sich in die Launen der Mütter nicht fügen konnte! Sehr bald überwirft er sich mit der Gräfin Sunderland, weil sie glaubt, er liebe ihren Sohn nicht; mit der Her zogin von Cleveland, der schamlosesten Buhlerin Karl's II., weil er, nach Uebereinkunft, ihren Sohn, den Grafen v. Northumberland, ehrlich in der reformirten Religion erziehen will; mit der Gräfin von Sommerdick (?), einer, troß ihrer vielen Wochenbetten, noch immer fchönen und anmuthigen Frau, die aber in ihrem Urtheil über Litera tur wenig Geschmack und viel Dünkel verräth; besonders konnte sie es nicht leiden, daß man in ihrer Gegenwart ihren Mann lobte. Die Prüfung, die diese Dame ihren Sohn vor Jurieu unterwirft, um, nicht den Schüler, sondern den Lehrer der Fahrlässigkeit zu zeihen dieser Auftritt gehört zu den ergöglichsten Episoden. Ueberhaupt verfteht Nou vortrefflich, seine Personen in Scene zu seßen: die Leidenschaften, die Lafter, die Lächerlichkeiten des gräflichen Paares Sommer dick bilden eine mit vielem Glück gezeichnete Nebengruppe. Dies war das lezte Haus, in welchem er als befoldeter Lehrer wirkte; von jest ab, da ihm andere Subsistenzmittel zu Gebote standen, trieb er das Unterrichten nur als Liebhaberei. So vertrat er Le Baffor in dessen Abwesenheit bei dem Sohne des Lord Portland. Ich hatte täglich

"

nur eine oder zwei Unterrichtsstunden, die ich pünktlich einhielt, indemt ich es zur Bedingung gemacht hatte, bei schlechtem Wetter im Wagen geholt und wieder nachhause gefahren zu werden, was auch niemals unterblieb."

Seine vollständige Befriedigung für seine literarischen Neigungen und seinen religiösen Glauben fand Rou erst in Holland. Er vergaß es nicht, daß er als Hugenott in der Bastille gesessen: er diente mit seinem Rath, mit seiner Feder, mit seiner aufopfernden Freundschaft feinen Glaubensgenossen in der Heimat, wie im Lande des Erils, wo sie unter Entblößung vom Nothwendigen und unter allerlei Herzenstrübsal lebten. Die meisten seiner Schüßlinge und Freunde sind in der Unterhaltung, wie in der Schrift, Männer von Kopf, die in dem Frieden des Gewissens die echte Heiterkeit finden, welche sich gelegentlich zu Luft und Scherz steigert. Um des vielen wahrhaft Guten, das er gethan, verzeiht man ihm gern, daß er mitunter seine Wichtigkeit etwas zu hoch anschlägt. Ob er an der Gründung der berühmten Rotterdamer Schule, im Jahre 1681, und an der Umgestaltung der geistlichen Konferenzen im Haag zu einer Akademie, zehn Jahre später, mehr oder weniger Antheil gehabt, was liegt daran? Seine literarischen Arbeiten sind nicht alle von bedeutendem Werth. Seine Differtation über Nektar und Ambrosia, seine Uebersehung des Gargilias Mamurra von Ménage, sein Versuch einer Ueberseßung der Geschichte Spaniens von Mariana, mit einer langen Liste Irrthümer des Verfassers, Bemerkungen über die französische Sprache, eine Menge Briefe, die er mit Ménage, Gouffet, Bayle und Rapin-Thoiras über einzelne Punkte der Philologie, Kunst, Religion, Geschichte gewechselt find ohne Tragweite oder nur von beschränktem Intereffe. Dem guten Manne, der soviel geschrieben und aufgestapelt hatte, blieb keine Zeit, eine Auswahl zu treffen; er hätte die Hälfte des literarischen Gepäcks über Bord werfen müssen. Verlangt von einem alten, in sich selbst verliebten Autor den Muth, einige Pfund von seinem Fleische abzuschneiden! Das war Sache des Herausgebers, des Herrn Francis Waddington; er trat aber vor der Zumuthung zurück, Henkerdienst zu verrichten.

Griechenland.

Blicke auf die geistigen Zustände Griechenlands.

Die Universität von Athen.

Wer in der in Athen erscheinenden wissenschaftlichen Zeitschrift: Néa Ilavdwga, Nr. 190 und 191 (vom 15. Februar und 1. März 1858) die Rede gelesen hat, welche am 29. September 1857 der abgehende Rektor der Universität Athen, der gelehrte Konstantin Asopios, der Nestor der dortigen Profefforen und ausgezeichnetste und geschmackvollste Kenner der hellenischen Sprache und Literatur, bei Uebergabe feines Amtes an seinen Nachfolger gehalten, der hat keinen anderen Eindruck dieser Rede davontragen können, als das Gefühl einer gewiffen Befriedigung und eines lebendigen Interesses an jener jüngsten unter den Universitäten Europa's, an der von Athen,

Vornehmlich macht in dieser Rede das patriotische NationalGefühl einen höchst wohlthuenden Eindruck, womit der Redner im Allgemeinen die Ansicht festhält und geltend macht, daß, wie die Vorsehung das kleine Königreich Griechenland als einen, Kern hingestellt habe, an den sich der chriftliche Orient anschließen und aus welchem eine schönere Zukunft des gesammten Griechenstammes hervorwachsen soll, ebenso auch die Universität in Athen die Arche der Bildung, gleichsam der Leuchtthurm sei, von welchem aus belebende und erwärmende Strahlen der geistigen Wiedergeburt nach allen Seiten und Richtungen des christlichen Orients ausgehen. Die Universität Athen ist und gilt dem Redner als die Vermittlerin der Civilisation und des Lichtes der Wissenschaften für den gesammten Orient nach Westen und Often, nach Norden und Süden, und mit Bewußtsein erkennt er nicht nur diesen Beruf der Universität an, .sondern er erkennt auch diesen Beruf und die in ihm liegende Mission als eine heilige Verpflichtung. Daß und in welcher Weise die Universität nach zwanzigjährigem Bestehen dieser Verpflichtung nachgekommen sei, welche Vortheile fie bereits nach Innen und nach Außen, im Großen und im Kleinen gewährt, und wie sie besonders auf die noch türkischen Griechen anregend eingewirkt habe, das hebt der Redner im Einzelnen ebenso hervor, als er auch das nicht verschweigt, es vielmehr offen und entschieden fordert, woran es noch für die Universität Athen und an derselben in den verschiedensten Beziehungen, namentlich auch in dem Interesse jener Rücksichten auf den chriftlichen Orient, auf die Griechen außer dem Königreiche Griechenland, mangelt. gelt. Mit fester und entschiedener Ueberzeugung und mit feinem Geschmacke, aber auch hin und wieder mit Humor und feiner Fronie, spricht der ehrwürdige Asopios, der schon früher einmal das Rektorat an der Universität Athen bekleidet hatte und also mit dem Gegenstande genau bekannt sein konnte, über die Bedürfaisse jener

höchsten Unterrichtsanstalt Griechenlands, über die nothwendigen Mittel zu den nothwendigen Zwecken derselben sich aus. Für diese Zwecke, für die Ehre der Universität und der Stadt Athen, für die Intereffen Griechenlands und des gesammten Griechenstammes erhebt er mit Begeisternng feine Stimme, und wenn man gehörigen Orts jene Zwecke ebenfalls versteht und begreift und mit gleicher Begeisterung einsicht, was jene Ehre verlangt und was diese Intereffen fordern, so werden auch die gerechten Vorschläge und Forderungen eines erleuchteten Patrioten gerechte Beachtung finden und verdienen.

Es kann hier nicht darum sich handeln, die gedachte Rede in dem Gange ihrer einzelnen, weitläufigen Darstellung über die Verhältnisse der Universität verfolgen zu wollen. Nur das wollen wir hier kurz ausheben, was dazu dienen kann, zu dem Bilde ihres gegenwärtigen wissenschaftlichen Zustandes die wesentlichsten Züge darzubieten.

Die Zahl der Studirenden an der Universität Athen hatte im lezten Studienjahre (von Michaelis 1856 bis Michaelis 1857) 583 betragen. Davon waren aus dem Königreiche Griechenland 383, da gegen von auswärts (aus der Türkei u. f. w.) 200. Unter Leßteren befanden sich drei Geiftliche aus der Moldau, die von ihrer Regierung nach Athen gesendet worden waren, um die griechische Bildung sich anzueigenen, und es war Hoffnung vorhanden, daß Aehnliches demnächst auch von Petersburg und von Amerika aus geschehen werde. Von jenen 583 studirten: in der theologischen Fakultät 28, in der juristischen 263, in der medizinischen 192, in der philofophischen 71 und auf der pharmaceutischen Schule 29. Mit Unterstüßung der Regierung ftudirten 10 und als Stipendiaten einzelner Vermächtnisse 2c. 36. Der an der Universität, als Professoren und Privatdocenten, Lehrenden waren über 40.

Zu den Anstalten der Universität war, als ein ergänzendes Glied zur Beförderung der praktischen Zwecke des medizinischen Studiums, im vergangenen Jahre auch eine städtische Poliklinik hinzugekommen, nachdem die diesfalls ausgesprochenen Wünsche längere Zeit unerfüllt geblieben waren. Das Vermögen der Universität, an Grundstücken, Kapitalien u. s. w., hatte sich auch im lezten Jahre nicht unwesentlich vermehrt, und auch mittelbar war für die Zwecke des Unterrichts und der geistigen Bildung Manches, namentlich von einzelnen Griechen selbst, geschehen. Außer der schon früher (,,Magazin", 1857, Nr. 138) erwähnten Stiftung eines wissenschaftlichen Wettkampfes von Konst. Tzokanos, der alle zwei Jahre stattfinden soll (im Jahre 1858 zum ersten Male) und deffen Kampfpreis 2000 Drachmen beträgt, hat der reiche Grieche D. Bernardakis in Petersburg die Herausgabe altgriechischer Dichter und Schriftsteller, mit den nöthigen Kommentaren nach den alten Scholiaften und den neueren Philologen, in Griechen land selbst veranlaßt, und er hat zu diesem Zwecke auf zehn Jahre alljährlich zweitausend Silberrubel bestimmt. Der akademische Senat in Athen hat bereits in Ansehung der herauszugebenden Dichter und Schriftsteller, sowie der einzelnen Herausgeber, selbst das Erforderliche festgesezt.

Das Münzkabinet hatte ebenfalls einen bedeutenden Zuwachs erhalten, und der öffentlichen und Universitätsbibliothek waren in dem akademischen Jahre von 1856-1857 über 8000 Bücher zugekommen. Die Mehrzahl derselben verdankt man freiwilligen Geschenken, von Griechen und Nichtgriechen, von Einzelnen und von Regierungen, Gesellschaften u. f. w. Die Dankbarkeit der Universität unterläßt es auch bei dieser Gelegenheit nicht, durch genauere Anführung der Einzelnheiten sich selbst gewissenhaft zu bewähren. Was das Ausland betrifft, so finden sich hier: Frankreich (mit 59), die nordamerikanischen Freistaaten (mit 3), Großbritannien (mit 7), Belgien (mit 9), Spanien (mit 1), Italien (mit 989), Dänemark (mit 19), Preußen (mit 179), Sachsen (mit 70), Defterreich (mit 45), Rußland (mit 22) und Bayern (mit 2) aufgeführt. Dazu kommt noch eine der Anzahl nach nicht näher angegebene Sammlung verschiedener Werke aus Olden burg. Alles Uebrige (über 6000 Bücher) rührt von Griechen her. Aber auch hierbei ertönt von neuem die laute Klage, daß es an dem nöthigen Raume fehlt, um die vorhandenen Bücher gehörig aufzustellen, und daß vor Allem der Bestand der Bibliothek dem Zwecke selbst um so weniger entspricht, je mehr dieselbe nicht blos eine Bibliothek für 'Athen und für Griechenland, sondern, so Gott will, für den gefammten Drient" sein soll. Zu einer systematischen Vervollständigung derselben werden a. a. D. alljährlich mindestens 12,000 Drachmen erfordert.

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Als ein intereffantes Zeugniß für die Universität Athen, sowie für den Umschwung in den Gemüthern der Griechen des Orients, stehe hier noch folgende charakteristische Stelle aus der fraglichen Rektorats-Nede: Der leste orientalische Krieg", sagt der Rebner, „hat, allem Anscheine nach, unsere Glaubensgenoffen außerhalb des

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Königreiches nicht nur bereichert, sondern auch erleuchtet, und sie haben im Hinblick auf alle die Großthaten desselben sich überzeugt, daß ohne Bildung weder dies Alles geschehen kann, noch sie selbst ihre gegenwärtigen Bedürfnisse zu befriedigen vermögen. Nachdem sie in deffen Folga ihre bisherige. Sorglosigkeit aufgegeben haben, kommen fie von allen Seiten herbei und verlangen Lehrer, denen sie die günstigften Bedingungen gewähren. Aus Kahira und Alexandrien, aus Smyrna und Konstantinopel, von Tenedos und Seres (in Macedonien), von Kydoniä (in Kleinafien) und Jannina, sowie von anderen Orten kommen folche Gesuche, und ich selbst habe fünf oder sechs dergleichen erhalten, aber auf alle habe ich erklären müssen, daß die vorhandenen Lehrer kaum für die Bedürfnisse des Königreichs ausreichen. Und weil man nun in dieser Weise uns ehrt und unser Land für einen Hort der Aufklärung achtet: ist es da nicht unsere Pflicht, uns solcher Auszeichnung würdig zu zeigen? Ich habe die bestimmtesten Nachrichten, daß ein Lehrer, der mit dem Diplome unserer Universität versehen ist, im Auslande besonders begehrt ist. Wir müssen demnach diese gute Meinung zu erhalten und zu erhöhen uns bemühen; noch heiliger aber ist die Verpflichtung, die Civilisation nicht vom Oriente zu erwarten, sondern dieselbe dahin zu verbreiten.“

Mannigfaltiges.

Was bedeutet Wall (beffer Wal) in Wallfisch? Forschen wir nach dem ersten Ursprung dieses Wortes, so ergiebt sich mit vieler Wahrscheinlichkeit, daß es dem indisch-europäischen Sprachstamme fremd und finnisch-tatarischer Entstehung ist. Die IndoGermanen haben ihre ältesten Wohnsize muthmaßlich nicht an einem Meere gehabt; als die griechischen Stämme an das Mittelländische Meer kamen, sahen sie große Fische, die sie xyros nannten, aber den Wallfisch (páλn, páλawa) konnten sie da nicht sehen; diesen lernten sie gewiß erst aus Berichten kennen, welche in leßter Instanz vom Nordmeere kamen. Haben nun bereits in ältester Zeit altajische (finnisch-tatarische) Stämme, und nur solche, in der Nachbarschaft des Eismeeres gewohnt, so ist glaubwürdig, daß man erft durch fie jenen Koloß der Thierwelt und seinen Namen kennen gelernt. Vergleichen wir nichts Anderes, als das fales der Lappen und valas (Mehrzahl valkaat) der Finnen, so bleibt zwar noch der Vermuthung Raum, daß die Priorität des Befißes Nord-Germanen zukomme. Nun aber hat man für Fisch (überhaupt) in den Sprachen altajischer Klasse einen dem skandinavischen Hval sehr nahekommenden, ja mit ihm so gut als identischen Namen: Lappisch kval oder kvel, Finnisch kala, Estnisch kalla, Ungarisch hal u. f. w.") Am wichtigsten sind für unseren Zweck die samojedischen Formen hâle, Fisch, und halei, großer Fisch, d. h. Wallfisch! Lezteres ist für haleji (wie z. B. lâtaja, große Bank, neben lâta, Bank). Sagen wir also Wallfisch (hvalfisk), so ist dies, ftreng genommen, eine Tautologie, nur nicht eine so auf der Hand liegende, wie z. B. Geheim-Secretair! Das fales der Lappen und valas der Finnen (für Wallfisch) sind so zu erklären, daß diese zwei Völker ihr uraltes Eigenthum aus dem Munde fremder Herren zurückempfangen haben, ohne es wiederzuerkennen eine oft sich wiederholende Erscheinung.

(Hunfalvy im Magyar Nyelvészet.)

Vandalismus im neunzehnten Jahrhundert. Ein Akt des Vandalismus ist neulich in Spanien verübt worden, den man in einem europäischen Staat und im Jahre 1858 nicht für möglich gehalten hätte. Die berühmte Brücke von Alcantara, in der Provinz Estremadura, mit dem Triumphbogen Trajan's, ist niedergeriffen worden, um die Steine zu anderen Zwecken zu verwenden. Diese Brücke, welche beide Ufer des Tajo verband, war bekanntlich eine der schönsten Reliquien römischer Baukunft in Europa. Sie hatte eine Länge von 670, eine Breite von 28 Fuß, und der auf der Brücke befindliche Triumphbogen maß 40 Fuß in der Höhe. Dieses herrliche Denkmal, welches Vandalen, Gothen und Franzosen verschont hatten und welches eine der Zierden Spaniens bildete, ist, wie englische Blätter nach dem Peninsula Correspondent berichten, jeßt von den Spaniern selbst zerstört worden. Quod non fecerunt Barbari, fecere Barberini.

*) Ein Lippenlaut statt des Kehllautes erscheint in dem Türkischen balyk, deffen Wurzel bal. So heißt balykly fischhaltig, fischreich, und daher ist Baliklava oder Balaklava in der Krim (nicht aus bella chiave [elave], fchöner Schlüffel);

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Schiller's Leben, nach Emil Palleske. *)

Ein Seitenstück zu Lewes',, Leben Goethe's" bildet, Schiller's Leben und Werke" von Emil Palleste.) Wie umfangreich auch schon die Literatur über das Leben und die Werke unserer großen Dich ter ist, so verdient doch jeder neue Beitrag die Beachtung schon deshalb, weil er das große Interesse des deutschen Publikums für seine Klassiker vorausseßt und ihm neue Nahrung zu geben sucht. So lange Deutschland dieses Interesse noch bewahrt, ist es auch ein einiges Deutsch land, trog aller politischen Zerstückelung und Verkümmerung. Es war eine sichtbare Fügung eines über Deutschland waltenden guten Ge schickes, daß, als der deutsche Körper immer mehr zerfiel und seiner Auflösung entgegenging, der deutsche Geist ein neues und dauernderes Band um die Nation schlang, das keine innere Spaltung, keine äußere Politik zerreißen kann. Für uns haben daher unsere Klassiker eine Höhere Bedeutung, als bei jedem anderen Volke. Das deutsche Nationalbewußtsein knüpft sich fast noch allein an sie; sie sind das gemeinsame Eigenthum der Nation, die einzige Macht, die dem deutschen Namen auch im Auslande eine unbestrittene Achtung verschafft. Es kann daher nicht zu viel für die Kenntniß und das Verständniß unserer Klassiker geschehen, und namentlich verdient es Schiller, der Liebling des Volkes, daß ihm vor allen Anderen eine besondere Rücksicht zu Theil werde. War Goethe ein Schoßkind des Glückes und gleicht feine Entwickelungsgeschichte einer anmuthigen Fahrt auf ruhigem Strome, der ihn sicher in den Hafen des Ruhmes bringt, so ist Schiller's Leben ein beständiger Kampf mit den feindlichen Elemen ten auf stürmischer See. Seine Schriften find treue Spiegel feines vielbewegten Lebens und ihr Verständniß ist nur unvollkommen ohne die genaue Kenntniß der Zeiten und Umstände, in und unter denen fie entstanden sind. Sie gleichen einer Musik, die uns nicht blos des Meisters Kunst, sondern auch seine Stimmung verräth; wir intereffiren uns nicht nur für das Spiel, sondern auch für den Meister selbst; wir wollen wissen, was ihn gerade in diese Stimmung verfeht hat, weil wir uns daraus am besten die Wirkung seines Spieles erklären können. Die Werke Goethe's gleichen Statuen, über deren Anschauung wir des Künstlers selbst vergessen. Sie sind Gebilde genialer Auffassungen der Außenwelt, die ein ruhiges und ungetrübtes inneres Leben des Meisters vorausseßen. Daher sind die vielen Notizen, die man von Goethe's Leben gesammelt und überliefert hat, meist nur interessante Kuriosa, die uns höchstens zur Erläuterung und zum Verständniß von Einzelheiten in seinen Schriften dienen können, während das Ganze feine Erklärung in sich selber oder in der allgemeinen Zeitrichtung findet, indeß bei Schiller selbst der geringste Umstand aus seinem Leben ein neues und überraschendes Licht auf seine Werke werfen kann. Wir müssen daher jeden neuen Beitrag zur vollständigen Kennt niß von Schiller's Leben mit Dank hinnehmen, und so ist auch vor liegendes Werk gewiß ein berechtigtes, und um so mehr, als es von der Liebe und Verehrung zu dem Manne, von dem es handelt, eins gegeben ist.

A

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1858.

Januar 1781 bis September 1782; Im Strom der Welt und in der Stille, September 1782 bis Juli 1783; Mannheim, Juli 1783 bis April 1785.

Wir können dem Verfasser nicht im Einzelnen folgen und be schränken uns darauf, nur Weniges und Solches hervorzuheben, worin er von seinen Vorgängern abweicht. — Es hat uns zunächst eine gewiffe Befriedigung gewährt, daß er dem Herzog Karl Eugen und seiner Schöpfung, der Militair-Akademie und späteren Karlsschule, mehr Gerechtigkeit widerfahren läßt, als es andere Biographen Schiller's gethan haben. Man hat geglaubt", heißt es S. 53,,,den Manen Schiller's gerecht zu sein, indem man gegen die Manen des Herzogs eine Faust machte. Giebt man zu, daß eine gemeinsame Erziehung für Jünglinge große Lichtseiten hat, so muß man auch einräumen, daß gemeinsame Erziehung in großem Maßstabe nicht ohne Ordnung möglich ist. Ordnung aber erheischt Kommando. Ich will nicht behaupten, daß die Einrichtung des Instituts eine vollkommene war; sie hatte natürlich auch die Schattenseiten der gemeinsamen Erziehung; aber für das vorige Jahrhundert und als Schöpfung eines Fürsten, der diese Vergangenheit hatte, war sie bewundernswürdig. — Der Geist des Instituts war ein durchaus liberaler. Vor Allem gab der Herzog selbst das Muster einer liberalen Behandlung. Er ließ den Profefforen bei ihren Vorträgen volle Freiheit. Er ging mit den Eleven um wie ein Vater, in Strenge und Milde, in Ernst und Scherz. Der Intendant des Instituts, Herr von Seeger, war ein wiffenschaftlich gebildeter, wohldenkender Mann. Die Zöglinge liebten ihn aufrichtig. Der Glanzpunkt der Akademie war das Verhältniß der Eleven zu ihren Lehrern. Dieses beruhte wesentlich auf der Stellung und der Persönlichkeit derselben. Der Herzog verkümmerte seinen Lehrern nicht die Luft an ihrem Berufe; er trennte den Unterricht von der Beaufsichtigung. Er gab den Lehrern ihre rechte Lebensluft, Lebens- und Lehrfreiheit. Er berief am liebsten jugendliche Kräfte, die zugleich die Freunde der Zöglinge sein könnten. Einsam keit, Mangel jedes anderen Umganges schuf ein herzliches Vertrauen; der Schüler theilte dem Lehrer oft seine wichtigsten Geheimnisse mit und bat ihn um Nath über Dinge, die sonst dem Lehrer sorgsam verschwiegen werden. Schiller hat dieses vielleicht reinste Jugendglück, die Liebe zu einem edeln und begabten Lehrer, nicht entbehrt. Pros fessor Abel war sein Freund. Dieser,,engelgleiche Mann“, wie ihn seine Schüler nannten, war Humanist, er las Logik, Metaphysik und Moralphilosophie. Er blieb auch Schiller's Freund, als längst die Thore der Akademie sich hinter ihm geschloffen hatten. → Man sieht wohl, die Werkzeuge hatten ebenso wenig etwas von Treibhaus und von Dreffür an sich, als das Werk des Herzogs. Und in der That, man thut Schiller am meisten Unrecht, wenn man so in Bausch und Bögen den Grund zu seiner Freiheitsliebe in der Akademie sucht. Die Anstalt beförderte ja selbst die Kunst, und sie hat einen Dans necker hervorgebracht. Sie begünstigte das Genie, denn sie war die Schule Cuvier's, und wir können dreift hinzusehen: kie leistete, was eine Schule überhaupt für einen Dichter leisten kann, sie gab ́ung einen Schiller. Sie leistete für ihn, was die Meißner Fürstenschule für Gellert, Rabener und Leffing, was die ähnlichen Anstalten von Klosterberge und Pforte für Elias Schlegel, Wieland, Klopftock und Gaudy. Für den Dichter als solchen giebt es kein Atelier und keine Schule. Seine Schule ist die Tiefe des einsamen Jchs und die Fülle des Lebens. In dem ewigen Wechsel dieser beiden ruht seine Schule. Die Akademie war vielleicht arm an Einsamkeit, aber fie bot ein Stück Welt für den Dichter dar, wie es nicht leicht zum zweiten Mate einem Dichter beschieden wird: einen Fürsten, und was" für einen! einen Hof, Theater, eine reiche Auslese von jungen und älteren Charakteren, Lehrer, Kleingeister, Fraßen, eine schöne, angebetete Patronin und den Anblick von großen Zeitgenossen. Also nicht aus der Akade mie als solcher zog Schiller seine Empörung, und das ist der Anfang seiner Größe! Er haßte alle Selbstverzärtelung, alle schlechte Subjektivität, er lernte schon damals das Höchste seines Wesens: mit sich wie mit einem Fremden umzugehen."

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