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"Mein Herr! Mehrmals sah ich Herrn Villèle, und ich kann Ihnen versichern, daß ich namentlich um der Einsicht und Klugheit willen, womit er die Umstände erwägt, im höchsten Grade zufrieden gestellt bin. Wir sprachen Vieles über Griechenland, und stets stellte er mir die Kammern und den Finanzzustand Frankreichs entgegen. Ich weiß, wie jeder Andere, diese Gründe zu würdigen; allein, zwei Nationen, die so große Sympathieen für einander haben, wie die französische und englische, dürfen viel von der wechselseitigen Unterftüßung hoffen. Versichern Sie die Freunde Griechenlands, daß die Angelegenheiten so weit vorgeschritten sind, daß es gewiß ist, Griechenland wird nicht verloren sein."")

Indeß starb Canning bereits im August 1827, nachdem auf seine Veranlassung der Herzog von Wellington, der einzige Staatsmann Englands, der auf den Kaiser von Rußland Einfluß hatte, in dieser Angelegenheit nach Petersburg gegangen war. Dem Whig-Ministe rium folgte unter Lord Goderich ein gemischtes und bald darauf das Tory-Ministerium unter Wellington.

Canning liebte Griechenland; als Staatsmann gehörte er jedoch zu denen, die, felbft auf Kosten ihrer persönlichen Gefühle, den Jn. tereffen des Vaterlandes den Vorzug einräumen. Deffenungeachtet betrachtete er die Befreiung Griechenlands als den Interessen Groß britanniens entsprechend, und obgleich Chateaubriand von dem englischen Liberalismus die Bemerkung machte, daß er nach Merito die Freiheitsmüße und nach Athen den Turban trage, und damit auch gegen Canning einen Vorwurf aussprach, so ist doch so viel gewiß, daß, wenn Leßterer am Leben geblieben wäre, er mehr für Griechenland gethan hätte, als alle seine Nachfolger. Das Tory-Ministerium verdammte den Sieg von Navarin und erklärte offen, daß es sich nicht, gleich dem Nachbarvolke, von schönklingenden Redensarten, wie Ruhm und Freiheit, verlocken laffe; es verfolge vielmehr eine Politik der wahren Interessen Englands, und es sei der Ansicht, daß einer nationalen Politik mehr die Befestigung der Macht des Sultans als die Vermehrung der des Kaisers von Rußland entspreche. Inzwischen war denn doch die Stimmung der öffentlichen Meinung in Europa so günstig für Griechenland, daß das Tory-Ministerium zwar einer wirk lichen Wiederherstellung desselben entgegen war, im Wesentlichen jedoch nicht zurückgehen konnte.

Lord Palmerston, der damals zur Opposition gehörte, bekämpfte diese Politik des Ministeriums und behauptete, daß die Gränzen Griechenlands erweitert werden müßten: Frankreich dürfe nicht den Ruhm haben wollen, daß es zu deren Erweiterung mitgewirkt, aber auch England nicht die Schmach, daß es dieselben beschränkt habe. Palmerston schien demnach die politischen Ansichten und Grundsäge Canning's geerbt zu haben; allein es kam eine Zeit, wo er bewies, daß er auch das Recht haben müffe, von jener hochherzigen Politik Canning's, wennschon sie den wahren Interessen Englands entspreche, wieder abzugehen.

Wir entlehnen diese Mittheilungen einer in Athen erscheinenden griechischen Zeitschrift. Wenngleich darauf weiter nichts ankommt, ob diese Mittheilungen, namentlich auch der obige Brief Canning's, zur Entscheidung der Frage etwas beitragen, ob England oder Rußland zuerst für Anerkennung der Unabhängigkeit Griechenlands sich ausgesprochen habe, so ist es doch gut, von Zeit zu Zeit an diese geschichtlichen Vorgänge zu erinnern. Gerade die griechische Frage in ihrer verschiedenen Auffassungs- und Behandlungsweise, vom Anfange an und in allen Klaffen der Gesellschaft (freilich auch bei denen, die gar kein Urtheil haben!), hat aufs neue den alten Sag bewährt; politica est multiplex! Und wie es in Europa eine Regierung giebt, welche die Griechen und deren politische Zukunft nur um ihres kirchlichen Bekenntnisses willen grundsäglich bekämpft, so mag es auch wohl noch jest manchen Staatsmann in Europa geben, der mit Friedrich Geng die Ansicht theilt: „Die Griechen, die alten wie die neuen, sind mir in jeder Hinsicht zum Ekel". Das ist und bleibt nun freilich Geschmackssache; aber es ist wenigstens gut, daß sich mit solchen Gründen und Stimmungen auf die Länge keine Geschichte machen läßt.

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so einmüthig und so bald gezollt. Von seinem Original-Reisebericht in englischer Sprache wurden in einem halben Jahre gegen 30,000 Exemplare zu 1 Pfund Sterling abgefeßt; dennoch sind diefseits des Kanals die Resultate der Entdeckungen des großen südafrikanischen Reisenden, da sein Originalwerk selbstredend hauptsächlich auf Großbritannien beschränkt blieb, nur sehr unvollkommen durch fragmentarische Auszüge und Referate in weiteren Kreisen bekannt geworden; selbst die neuesten und besten geographischen Lehrbücher und Atlanten enthalten nur mangelhafte Andeutungen und Angaben, und eine deutsche Ausgabe des englischen Reisewerkes ist zur Zeit noch nicht im Druck vollendet. Das fünfte Heft von Petermann's geographischen ,,Mittheilungen" enthält nun ein sehr sorgfältiges und vollständiges Resumé der Gesammtresultate der Livingstoneschen Reisen nach dem englischen Reisewerk und allen anderen bekannt gewordenen Mittheilungen Dr. Livingstone's, zusammengestellt von Dr. E. Behm. Aber nicht blos wurde der ganze geographische und wissenschaftliche Inhalt des Livingstoneschen Werkes gesichtet und übersichtlich zusammengestellt, sondern mit allen anderen bisherigen geographischen Leistungen in SüdAfrika in Verbindung gebracht, um die Basis zu gewinnen zu einem physikalisch-geographischen Gemälde dieses Theiles unseres Planeten im Lichte der Gegenwart. Wir finden deshalb auch in dieser Arbeit die Resultate der Forschungen Moffat's, Galton's, Andersson's, Gamitto's, Wahlberg's, Chaillu's, Chapman's und Anderer. Die Arbeit zerfällt in folgende acht Kapitel: Bodengestaltung und Geologie, Hy, drographie, Klimatologie, Phytogeographie, Zoogeographie, Ethnographie, Geographie der Eingebornen, Bemerkungen zur Karte. Die Karte besteht aus einem größeren von Dr. Petermann gezeichneten, kolorirten Blatte, welches ein erschöpfendes Detail der Livingstoneschen Resultate giebt und stellenweise noch vollständiger ist, als die dem englischen Reisewerk beigegebenen Karten, außerdem aber die Resultate anderer füdafrikanischer Forscher enthält, von denen mehrere nach unpublizirten Dokumenten eingetragen worden sind. Ein Profil stellt die Höhenverhältnisse von Livingstone's Reiseweg quer durch Afrika, von Loanda nach Quilimane, dar; ein Karton_von drei Kärtchen giebt eine vergleichende Uebersicht der neuesten Vorstellungen über die Geographie des Jnneren Süd-Afrika's, und ein anderer, betitelt: „Physikalische Skizze von Süd-Afrika“, enthält eine Darstellung der geographischen Verbreitung der häuptsächlichsten Pflanzen, Thiere und Menschenraçen. Nicht ohne Interesse ist es, zu wissen, daß dieses Kartenblatt in beinahe demselben Maßstabe (1:6,300,000) entworfen ist, wie die beiden Generalblätter zu der Barthschen Reise in Nord- und Central-Afrika, von welcher soeben. der vierte Band fertig geworden und der fünfte, welcher jene Generalblätter enthalten wird, in Druck gekommen ist. Außerdem, daß diese Arbeit eine eingehende Verarbeitung bisheriger Forschungen in Süd-Afrika ist, bildet sie ein handliches und zweckmäßiges Orientirungsmittel für die gegenwärtig bereits wieder aufgenommenen weiteren Expeditionen, an deren Spiße Dr. Livingstone felbft steht.

(Eingesandt von Justus Perthes.)

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- Die. Mündung des Pei-ho. Das Ermansche „Archiv für die wissenschaftliche Kunde Rußlands" giebt einen Auszug aus dem Reise-Journal des russischen Dampfers Amerika“, auf welchem be-, kanntlich der Admiral Putjatin seit einem Jahre in den chinesischeu und japanischen Gewäffern hin- und herfährt und welcher sich, obwohl nur als Zuschauer, auch an den neuesten Operationen der alliirten Flotten auf dem Pei-ho betheiligt hat. Schon im Auguft v. J. besuchte die „Amerika“ die Mündung jenes Fluffes, um Depeschen für den Hof von Peking abzugeben, die erst nach langen Unterhandlun gen angenommen wurden. Wie in dem russischen Bericht gemel det wird, hatten die Chinesen, in Erwartung eines Angriffes. von Seiten der Engländer und Franzosen, ein Corps von etwa 7000 Mann am Pei-ho zusammengezogen und einige Ufer-Batterieen errichtet, die jedoch nur mit Geschüß von kleinem Kaliber armirt waren und sich nicht lange gegen Schiffs-Artillerie würden halten können. Etwas weiter von der Mündung bemerkte man kleine Forts, die, ihremt. Aussehen nach zu urtheilen, keine wirksameren Vertheidigungsmittel: darboten, als die Batterieen; indeffen waren die Chinesen überzeugt, daß ihre Rüstungen vollkommen dazu ausreichten, um allen Angriffen. auf jenen, durch die Nähe der Hauptstadt und die Verbindung mit dem großen Kanal so wichtigen Punkt die Spiße zu bieten. Der Pei-ho hat auf der an seinem Eingang befindlichen Barre beim niedrigsten Wafferftande nur zwei bis drei Fuß Tiefe; zur Fluthzeit aber können Schiffe, die zwölf bis dreizehn Fuß ziehen, ohne Mühe in den Fluß hineinsegeln.

Wöchentlich erscheinen 3 Nummern. Preis jährlich 3 Thlr. 10 Sgr., Halbfährlich 1 Thlr. 20 Sgr. und vierteljährlich 25 Sgr., wofür das Blatt im Inlande portofrei und in Berlin frei ins Haus geliefert wird.

No 93.

für die

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Literatur des Auslandes.

Frankreich.

Berlin, Donnerstag den 5. August.

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Es giebt in der franzöfifch-proteftantischen Literaturgeschichte unbestritten keinen rühmlicheren Namen, als Jean Nou. Die Gesellfchaft für Geschichte des französischen Protestantismus" war anfangs mit dem Gedanken umgegangen, ihre umfassenden historischen Veröffentlichungen mit einem Theil der Korrespondenz Calvin's einzuweihen: eine Arbeit, die dann von Rechts wegen dem scharfsinnigen Heraus geber der französischen und lateinischen Briefe Calvin's, Jules Bonnet, zugefallen wäre. Calvin hätte gewissermaßen ein Seitenstück zu Gregor von Tours gebildet. Diefen, den ersten französisch-nationalen Schriftsteller, hat die,, Gesellschaft der französischen Geschichte“, welcher jene protestantische Gesellschaft nacheifert, der Oeffentlichkeit übergeben. Lernt man aber Jean Rou kennen, so findet man gute Gründe für die Entscheidung zu seinen Gunsten; Calvin kann, wie man es auch anstelle, nimmer schlechthin als Schriftsteller studirt werden: in Allem, was er schreibt, selbst in seinen Briefen, tritt der Doktor der Gottesgelahrtheit, das Haupt einer Kirche vor. Umsonst würde man einem Katholiken zumuthen, sich an der Hand eines solchen Leiters in die Sitten, in die Sprache des sechzehnten Jahrhunderts einführen zu lassen; für ihn ist die Reformation ein Blatt in der Ge schichte, das er gern überschlägt. Calvin gehört ganz und gar der Sette, und die Gesellschaft hätte außerhalb ihres Kreises schlechten Dank und wenig Abnehmer gefunden, wenn sie zum Debüt mit einem Belehrungsversuch aufgetreten wäre.

Der wackere Jean Rou ift Calvinist aus Ueberzeugung, der für feinen Glauben gelitten hat, ein Mann von Kopf, mit etwas höflichem Anstrich, der gern mit der vornehmen Gesellschaft, mit Künstlern und Literaten verkehrt, ein fleißiger und mitunter angenehmer Schriftsteller, der seinem Wesen, seinen Neigungen, der Natur seiner Arbeiten nach, mehr der Welt, als der Kirche angehörte. Wie so viele Huge notten am Ende des sechzehnten Jahrhunderts, hatte er ein doppeltes Vaterland: Frankreich und Holland; zu fanft und gut, um das erste zu verwünschen, war er doch dankbar genug, um dem legteren tren und liebevoll zu dienen. Kißlich im Ehrenpunkte des Verstandes, mit einem etwas übertriebenen Selbstgefühl, aber auch mit einem Herzen, echt und treu wie Gold, zu Dienst und Nugen seiner Freunde; seiner Freunde? nicht doch, des Unbekannten, des Ersten, Besten, der ihn braucht. Um dieser wahren Tugend willen, verzeiht man ihm gern seine Schrullen einer harmlosen Eitelkeit. Uebrigens hat nichts an ihm den Schnitt eines Helden; es ist ein durchaus chriftlicher, ehrlicher Bürger; am Ende eines langen Lebens kann er sich sammeln, der Vergangenheit in das Auge sehen und nach der Feder greifen, um feinem Sohne in einem ungleichen Stil, in welchem das Alter und der Aufenthalt in der Fremde sich spüren laffen, alle Kleinigkeiten einer mehr bewegten, als glänzenden Laufbahn zu erzählen; die guten Handa lungen wiegen hier schwerer, als die guten Schriften ............

Ein neunjähriger Knabe, verlor Jean Rou seinen Vater, Prokurator am Pariser Parlament: zwei Schreiber hatten ihn bestohlen und, aus Furcht vor dem Galgen, meuchlings ermordet (1647). Wären der Kriminalrichter Tardieu, deffen Schurkereien Boilean gebrandmarkt, und sein würdiger Helfershelfer, der königliche Profuratar Bonneau, auch nicht die Rechtsverdreher gegen Jedermann gewesen, die sie waren, so hatten die Verbrecher dennoch die Aussicht, durchzuschlüpfen, denn fie waren Katholiken. »,,Wir“, schreibt Rou, „als Hugenotten, schienen nach den Grundsäßen diefer heiligen Religion es nicht zu verdienen,

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*) Mémoires inédits et Opuscules de Jean Rou, avocat au parlement de Paris (1659), secrétaire interprète des États généraux de Hollande, depuis l'année 1689 jusqu'à sa mort (1711), publiés pour la Société de l'histoire du protestantisme français, par Francis Waddington. 2 vol. 8. Paris, 1857..

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1858.

daß uns Gerechtigkeit werde, auf dieselbe Weise und aus demselben Grunde, wie man sich für berechtigt dünkt, uns nicht Treu und Glauben zu halten: Eines ist so gerecht, wie das Andere." Die Witwe mit ihren sechs Kindern geht den königlichen Prokurator ans er will sie nicht anhören. ,,Lauf du aur, ungerechter Richter", fagt sie,,,ich werde dich schon einholen; denn stehenden Fußes gehe ich zur Königin, meine Klage anzubringen, die Frau Herzogin von Bouillon wird mich vorstellen." Die Drohung wirkte, und die Meuchler wurden lebendig gerädert.,,Nun, Madame, bin ich noch ein ungerechter Richter?" sagte der Prokurator zu Rou's Mutter, als sie ihm zu banken kam.,,Nein, mein Herr, und ich lobe den Herrn dafür; allein erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, daß Sie leider auf dem Wege dazu waren, und daß Sie mir vielleicht verdanken, Sie von einem verderblichen Schritt abgehalten zu haben.“ Erhabenes Wort, das weder hugenottisch noch jesuitisch klingt; es ist der Ausdruck eines edlen und muthigen Herzens. Als Gegensaß höre man den Jesuitenjünger: Einer der beiden Verbrecher rief auf dem Blutgerüßte, so laut er konnte, er berette es am schmerzlichsten, den Kezer so haftig aus der Welt geschafft zu haben und dadurch die Ursache der Verdammniß desselben gewesen zu sein, da er ihm die Muße geraubt habe, an seine Bekehrung zu denken.

Jean Rou fühlt sich immer in der Hand Gottes. An dem geringsten Ereignisse in seinem Leben beweist er, wie Alles sich nach Gottes Willen zum Guten, zu seinem Seelenheil, oder zu seiner zeitlichen Wohlfahrt gewendet habe. Als echter Magister der freien Künfte denn diesen Titel hatte er, mit einem geringen Fonds von Gelahrtheit, sich erworben, bevor er Advokat wurde stellt er vier Hauptpunkte auf, um die sich seine Betrachtung drehen soll: 1) seine Liebe zu ber italiänischen und spanischen Sprache, die ihm eine große Gewandtheit im Ueberseßen gab; 2) seine Sucht, im Geschmacke Balzac's, Briefe über alle möglichen Gegenstände an Allewelt zu schreiben; 3) seine Leidenschaft für Romane und Schauspiele; 4) und legtlich sein Widerwille gegen Jura und Advokatenkniffe, der ihn dahin brachte, die Kutte in die Neffeln zu werfen", wie er sich ausdrückt.,,Ich weiß", fährt er dann fort, „daß Gott, unbemerkt und von ferne, selbst durch meine Thorheiten, in einer bestimmten Zeit zu den Leistungen der verschiedenen Poften, zu denen er mich einft berufen wollte, mich tüchtig machte. Die fremden Sprachen, womit ich mir das Gedächtniß überlud, und die unnöthigen Briefe, womit ich Allewelt behelligte, erwarben mir die Fähigkeit zu meinem gegenwärtigen Translatoriat bei den holländischen Staaten und meinem Secretair-Amte für die auswärtigen Depeschen. Meine Leidenschaft für Romane und Schauspiele diente mir bei der Ausführung meiner Uebersicht der allgemeinen Geschichte. Das Aufgeben des juristischen Berufes machte mir das Scheiden aus dem Vaterlande leichter, das ich sonst, mit den Wurzeln darin haftend, nicht hätte verlassen können, und wobei ich dem Unglück ausgefeßt gewesen wäre, gleich so vielen Anderen den Härten der Verfolgung zu erliegen. Das brachte mich zu der Ueberzeugung, die ich, die heilige Vorsehung bewundernd und anbetend, mehr als einmal in den Worten aussprach: Ich war verloren, wenn ich nicht verloren gewesen wäre." -Diesen Gedanken, daß sein Heil gerade aus deni Trübsal erwachsen, drückt er anderswo in ganz biblischer Weise aus:

,,Vor dreißig Jahren (1680) kam ich hierher (nach Holland), ohne ein weicheres Kopffiffen zu haben, als der Stein, worauf Jakob sein Haupt legte. Ich war (in der Heimat), wie Moses in dem vers führerischen Aegypten, der Versuchung ausgeseßt, den Versprechungen großer Ehren durch meine Unbeständigkeit zu erliegen; Gott wies mich hinweg, wie Er es den Israeliten gethan, aber es geschah, um mich in den wahren Port des Heils zu führen, d. h. in ein Land, das von Milch und Honig fließt und überreich ist an allen Arten von Luft."

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So spricht Einer, der durch harte Prüfungen gegangen und an das Lebensziel gelangt ist. In der Jugend verkehrte Jean Rou nicht ausschließlich mit Jakob und Moses. Er gesteht, an dem Umgang mit manchen Schöngeistern beiderlei Geschlechts, die gerade nicht durch

weg vonseiten des Charakters und des Talents empfehlenswerth waren,
Vergnügen gefunden zu haben. Wir führen unter Anderem als Bei-
spiele an: Claude le Petit, der seine kirchenschmähenden Dichtungen
1664 auf dem Scheiterhausen büßte. Er schließt sich Chapelain an,
weil ihn wenigstens ist das der eingestandene Grund, der seinem
Geschmack eben keine Ehre macht Boileau kritisch gemißhandelt
habe. Indeß scheint noch ein anderer verschwiegener Grund obgewal-
tet zu haben: Chapelain hatte über Unterstüßungen an Schriftsteller
zu verfügen. Wir übergehen eine Reihe von Bekanntschaften, die ihn
in Berührung mit hochgestellten und einflußreichen Personen brachten,
und kommen zu den chronologischen Tabellen, auf die er seine Zu-
kunft zu gründen vermeinte; der Plan scheiterte, das Gerüft brach
zusammen, und sein Geschick nohm eine ganz veränderte Wendung.
(Schluß folgt.)
England.

Eliot's „Bilder aus dem Leben englischer Geistlichen".
(Schluß.)

Auf der Heimkehr zu Faß von einem guten Mittagsmahl bei den Misses Farquhar, wiegte sich Amos in diesen süßen Gedanken, obgleich er zum Schuß gegen den kalten Abend, außer einer Boa um den Hals, einem Wasserdichten auf dem Kopf und einem Paar dürftigen Beinkleidern an den schwächlichen Gliedmaßen, nur wenig am Leibe hatte. Inzwischen machte man sich in dem Zimmer, das er eben verlassen, auf seine Kosten luftig. Der arme Mensch", äußert unter Anderem Miß Julia,,,mit seiner rebellischen Nase; ich war mehr als einmal versucht, ihm mein Taschentuch anzubieten!“

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Unglücklicher, verblendeter Amos! Versenkt in seine amtliche Rolle, über Predigten finnend, von Erfolgen, von Nuhm träumend, indeß seine Frau zuhause aus Sparsamkeit sich wohl hütet, vor seiner Heimkunft Feuer anzumachen und Licht anzuzünden! So geht sie im Finstern umber, mit dem sechsten Kinde im Arm und mit einer fieben ten Hoffnung unterm Herzen! Die schöne reizende Milly, wie muthig, wie ergeben, wie heiter ringt sie gegen das Unmögliche! Sie näht, fie wäscht, flickt unverdroffen, unermüdlich, um sich und die sechs Kleinen sauber und ganz zu tragen.... Als Amos in die Stube tritt, giebt fie ihm den alten Schlafrock um und sucht es ihm so behaglich zu machen, wie es die dürftigen Mittel gestatten; allein, sie kann es ihm nicht ersparen, sie muß ihm die Rechnung des Fleischers vorlegen, der nicht mehr borgen will. Amos, wie alle Ehemänner in solchen Fällen, findet seine Frau unangenehm, legt sich'in übler Laune zu Bett, schläft aber bald ein. Die sanfte Milly inzwischen, die aus ihrer Pflichttreue verdoppelte Thatkraft und Geduld schöpft, zündet die ansgelöschte Lampe wieder an und arbeitet noch tief in die Nacht hinein. Wir haben da ein häusliches Gemälde, daß in seinen sehr einfachen, sehr prosaischen Zügen nur die traurige Wirklichkeit darstellt, und doch zittert uns bei seinem Anblick das Herz in der Brust.

Um den Leidenskelch voll zu machen, mußte sich eine Frau Czerlerti, angeblich eine Gräfin, in Shepperton niederlaffen. Sie war früher an einen Tanzmeister, einen gebornen Polen, verheiratet, deffen Adel aber ebenso zweifelhaft, wie ihr Charakter zweideutig war. Sie schloß euge Freundschaft mit der arglofen Milly und wußte auch den leichtgläubigen, eitlen Amos durch ihre vornehmen Airs, durch ihre vorgeschwindelten Verbindungen mit hochgestellten und einflußreichen Personen so zu ködern, daß sie, als sie sich mit ihrem Bruder überworfen hatte, in der Pfarrwohnung gaftliche Aufnahme fand. Das war nun, außer der vermehrten Laft des Haushaltsdie Frau Gräfin mit ihrem Gepäck and ihrem Schoßhündchen, das nur von geschlagener Sahne lebte, nahm ein Zimmer für sich ein - Wasser auf die Mühle aller Klatschweiber, aller giftigen Zungen, and richtete den Ruf des Unglücklichen vollends zugrunde... Unter der schweren Bürde mußte endlich die Dulderin Milly erliegen, Der Verfaffer führt uns an das Sterbelager der vom fiebenten Kinde Entbanderen, and ein seelenerschütterndes Bild ist es, wie fie noch zum leßten Male, ihre sechs Lieblinge küßt and segnet. Am anderen Morgen lag fie mit dem Neugeborenen, der ihr das Leben gekostet, in demselben Grabe.

Als Amos von dem Friedhofe in seine verödete Wohnung zurückfehrte, als er die Erinnerungen an die Jahre, die er mit der theuren Dahingeschredenen verlebt, wachrief: da ging in seiner Seele ein schrecklicher, ihm ganz neuer Gedanke auf. Seine Zärtlichkeit gegen fie, die er für so makellos gehalten hatte, erschien ihm jezt in ihrer vollen egoistischen Trägheit und Armseligkeit. Er erinnerte fich der liebevollen Klagen, auf die er nicht gehört, der fanften Vorwürfe, die er leichthin abgefertigt, der verhüllten Leiden, die er nicht zu lüften und nach Kräfteft zu mildern gesucht. Allein diese verspätete Erleuchtung der Einsicht, diese quälenden und eitlen Gewissensbiffe was frommten fie jest

reicher tamen aber die Zeichen des Mitgefühls von außen. Der Tod Milly's hatte in der öffentlichen Meinung einen güustigen Umschwung bewirkt. Alles kam ihm zu Hülfe. Durch eine Zeichnung seiner Amtsgenossen unter sich und durch ein reiches, freiwilliges Darlehr des Herrn Oldinport ward den dringendsten Geldverlegenheiten abgeholfen. Man nahm sich der Kinder liebreich an, suchte sie außer dem Aelternhause auf allerlei Weise zu unterhalten; nur Patty, dieses über ihr Alter verständige Mädchen, blieb bei ihrem Vater und fannte keine größere Lust, als Abends auf einem Schemel vor dem Feuer zu seinen Füßen zu figen, das Köpfchen auf seine Kniee zu legen und seine liebkosende Hand in ihren Locken zu fühlen.

Mit der Rückkehr des Frühlings hatte sich die Lage freundlicher zu gestalten begonnen, als von dem Titularpfarrer, Herrn Carpe, ein Schreiben einlief, des Inhalts, daß er, kraft einer in den Vertrag aufgenommenen lösenden Klausel, gewillt ist, die Parochie Shepper ton persönlich zu verwalten; nach einer sechsmonatlichen Frist habe demnach der Verweser seine Amtsverrichtungen einzustellen. Und warum dieser so plögliche Entschluß des unbarmherzigen Pfarrers? Einfach darum, weil sein Schwager eine Anstellung, braucht und weil Shepperton diesem Schwager zusagt und, wenn der arme Barton hinausgejagt ist, der Heimfall des Priesteramtes sich von selber machen wird.

So endigt die Tragikomödie: Mißgeschick des Reverend Amos Barton, und der Verfaffer läßt den Vorhang fallen, um uns nach Milby, einer Nachbarstadt, zu versehen, wo wir anderen Kämpfen, anderen Leiden, anderen Märtyrerthümern zuschauen werden.

Milby ist eine Fabrikstadt, ohne Ruhe, ohne Reiz, in flacher, profaischer Landschaft, wo der religiöse Sinn unter dem industriellen Treiben und dem Kultus des Geldmachens erstickt ist. Der Pastor im Amte, unter der geistlichen Rüstung ergraut, Stubenhocker, Schlendriansmensch, verwendet das Wenige, was er noch an Thätigkeit befigt, darauf, seine jungen Kostgänger für das Eramen in Cambridge oder Eton einzupauken, und läßt seine Heerde auf den ausgetretenen Wegen wandeln, wird aber deswegen nicht weniger geachtet, nicht weniger geliebt. Seine Gefälligkeit, feine Gaftlichkeit, seine Nachsicht werden ihm hoch angerechnet, so wenig sie ihm kosten. Mit seinen Amtsgenossen steht er auf freundlichem Fuß; die Dissidenten machen ihm keine gefähr liche Konkurrenz. Die sehr verschuldeten Wiedertäufer sehen sich ge= nöthigt, die Hälfte ihrer Kapelle einem Seidenhändler in Aftermiethe zu überlaffen. Um einige Methodisten als feltene Proben aufzutreiben, müßte man die dunkelsten und schmußigsten Gäßchen in den entlegenster Vorstädten durchsuchen. Selbst die Judependenten, deren Kapelle, Salem benannt, in der großen Straße im vollen Glanz ihrer rothen Ziegelsteine prangte, und die in ihren Reihen manchen reichen und wohlberufenen Zinsmann zählten, konnten dennoch, unglücklich in der Wahl ihrer Geistlichen, kein merkliches Uebergewicht, keine thatsächlich umgreifende Macht gewinnen. Von den Predigern, die in Salem nach einander die Kanzel einnahmen, war der eine ein stadtkundiger Säufer, der sehr oft mit seinem Weibe zankte; der andere streifte mit seinen zu kühnen Lehren an den Antinomismus; ein Dritter, der LieblingsPrediger der Steinkohlengruben und Hammerwerke, legte sich zu eifrig auf die Dichtkunst und rezitirte zu oft seine Verse den jungen Damen seiner Gemeinde; kurz, die freie Kapelle blieb halb leer. Ja dem fleißiger besuchten offiziellen Tempel sah man nur schöne Das men, die mit ihren Toiletten prunkten, junge Leute, durch diese wöchentliche Schaustellung angezogen — in Summa, viel Lauheit, viel Leichtfertigkeit, ein rein äußerliches Fröhnen des herkömmlichen Diens ftes: lauter Anzeichen einer erschlaffenden Tradition, die sich nach und nach, wie gewisse Bäche, zuleßt in den Sand verliert.

Da erscheint in Milby ein junger Geißtlicher, Namens. Tryan, und schlägt feinen Wohnfig in einer armen, ausschließlich von Arbeitern bewohnten Vorstadt auf. Er ist aus guter Familie, reich und von vortheilhaftem Aeußern. Sein Zimmer, beffer seine Zelle, in deni Hause einer armen Witwe, auf das dürftigßte ausgestattet, ift nur sein Zelt, in welches er Abend einkehrt, um sein Haupt niederzulegen. Der Tag ist guten Werken, dem unermüdlichen BelehrungsGeschäft geweiht. Tryan gehört nämlich der evangelischen Schale, die ihrer Zeit seit ihrem Hauptbeförderer Benn vor etwa 30. Jahren einigen Lärm gemacht, viel polemischen Staub aufgerührt, um, nachdem sie Proben seltener Tugenden, ungewöhnlicher Handlungen des Opfermuthes kundgegeben, wie so viele andere derartige Versuche, vom Schauplatz abzutreten...

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Der in Milby eingeführte Evangelismus, bricht sich allmählich Bahn, steigt aus den untersten Schichten nach den höheren, von den Webern zu den Bürgern, welche in der Handelsstadt die eigentliche Aristokratie bilden. Hier aber stößt er auf Widerstand. Tryan, bis dahin auf eine nur wenig Zuhörer faffende Filiallapelle (chapel of ease) beschränkt, wendet sich an den Rektor mit dem Gesuch, in der Pfarrkirche Abendlectionen halten zu dürfen. Dieser Schritt ist das Das Jnnere des Hauses bot ihm mithin keinen Trost; defto zahl Signal zum Ausbruch der Feindseligkeiten. Die Stadt geräth in

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Bewegung, parteiet sich in Tryanisten und Gegentryanisten. Die Leßteren gehören gerade der religiös gleichgültigsten Fraction der Gemeinde, gebrauchen aber die ziemlich gemeine Taktik: im Namen der Rechtgläubigkeit, im Namen des fie vertretenden greifen Seelsorgers protestiren sie aufs heftigste. An ihrer Spiße steht Dempster, ber beschäftigtste Anwalt des Kreises, der sein Wort verpfändet, Milby gegen die Eingriffe der Heuchelei", gegen die Neuerungen im Lehr begriff zu vertheidigen. Dempster, eine eiserne Stirn, eine stets fertige Zunge, ein mitleidloses Herz, ein an Ränken und Verleumdun gen fruchtbarer Verstand, ist kein zu verachtender Gegner. Auf seis nen Betrieb bildet sich ein Comité, das eine Deputation, worunter Dempster, mit der Bitte an den Rektor sendet, das Gesuch Tryan's zurückzuweisen. Der Rektor geht auf das ein, was er für den Ausdruck der öffentlichen Meinung hält. Tryan's Gegner zieht in Milby als Sieger ein, wo ihm seine Gesinnungsgenossen eine Art Ovation zum Voraus veranstaltet haben.

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Tryan, ohne Verwandtschaft, ohne thatkräftigen Beistand, bleibt dennoch von diesem ersten Schlag unerschüttert; er ist einer Genug thuung gewiß, die ihm auch bald wird. Der Bischof, an den er gegen die Entscheidung des Rektors appellirt hat, hebt diese bei seiner Rundreise auf, und an Dempster ist jegt die Reihe, den bitteren Kelch einer Niederlage zu trinken. Doch er sollte siebenundfiebzig Mal“ gerächt werden an diesem Menschen, dem die Vorsehung eine graufame Sühne vorbehalten hat.

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Stark am Ziel seiner Laufbahn nämlich, heiratete er ein armes Mädchen, Janet Raynor, an das die Natur ihre reichsten Gaben verschwendet hat: Körperschönheit, Gemüthswärme, Herzensadel, Gefinnungshoheit Alles, was ein Weib liebenswerth und achtungs würdig machen kann. Aber Dempster weihete dieses auserwählte Aber Dempster weihete dieses auserwählte Wesen dem Unglück. Nach wenigen Honigmonaten eines Glückes, das sie sich mehr schuf, als von ihm empfing, kamen Jahre unsäg lichen Leidens, und unter dem brutalen Despotismus dieses Haus tyrannen, stumpfte sich allgemach die Zartheit des Gedankens, der Adel der Gefühle ab. lleberwältigt, zermalmt, beschimpft, brach aller innere Widerstand, fie duldete, vergab; allein gegen den stets tiefer und tiefer wurzelnden Trübfinn, gegen diese unablässig sich wieder holenden Schrecken bedurfte sie einer Zuflucht. Die Religion konnte fie ihr nicht geben: wir haben gesehen, was in Milby die Religion war. Janet's Mutter, Mrs. Raynor, von der sie angebetet wird, hat kein schüßendes Ansehen, sie kann nur mit ihr weinen, ihr aber weder Rath noch Beistand gewähren. Von Allen verlaffen, fällt endlich der Engel und finkt in den Lafterpfuhl des Trunkes! ein Laster, mit dem fie überdies durch ihren Quälgeist vertraut geworden; denn es verging kein Tag, an dem er nicht, seiner Sinne beraubt, aus der Weinstube nachhause schwankte, um die Unglückliche, in gleichem Zustande, auf das entseßlichste zu mißhandeln. Hin und wieder empört sich die Widerstandskraft in ihr, es ist aber nur ein flüchtiger Aufblis; bald beugt sie sich unter das knechtende Uebergewicht des Herrn, den fie früher geliebt; ja, fie leiht ihm, mit ihm im Prinzip einverstanden, ihre Feder zu den schändlichen Schmähschriften, die er gegen Tryan häuft. Doch es kommt der Tag, wo diese fortwähren den häuslichen Stürme eine entscheidende Wendung herbeiführen: blind vor Zorn und Wein, wirft Dempster das unglückliche Weib mitten in der Nacht aus seinem Hause. Nackt und bloß in der schar fen Luft einer Novembernacht, sucht sie eine Zufluchtsstätte bei einer Frau, einer früheren Bekanntschaft, die sie aber, aus Scheu vor der öffentlichen Meinung, später nicht mehr besucht hatte. In diesem Moment tiefer Noth, wo alle Lebensftüßen brechen, wo sie ohne Hülfsquellen, ohne Schuß dem kraffen Elend, dem drohenden Hunger ins Auge und ihren Ruf unwiederbringlich verloren sieht da wirft sich die gedemüthigte, die bereuende Janet dem Priester zu Füßen, den sie noch vor kurzem verhöhnt, beschimpft hat."- Der Zufall hatte fie Beide an das Lager einer armen Kranken geführt, und ein einziger Blick, den sie hier ausgetauscht, war hinreichend, fich gegenseitig im wahren Lichte zu sehen. Und als sie in der höchsted Noth sich seiner erinnert und bei ihm Hülfe sucht, findet sie ihn bereit, ihr zu dienen, sie zu retten. Die beiden Empfindungen: hier bei Tryan, der dem Tode der Auszehrung verfallen ist, der apoftolis sche fieberglühende Eifer, dort bei Janet die verzehrende Rene einer in den Schooß der Kirche rückkehrenden Sünderin, diese Empfindungen geben bald diesem Verhältniß, ohne daß sie es ahnen, eine gewiffe leidenschaftliche Stimmung. Ein unbedingtes Vertrauen hat von erster Stunde Wurzel gefaßt. Um sein Beichtkind — der Ausdruck mag hingehen, obgleich der evangelische Kultus die eigentliche Beichte nicht kennt zu ermuthigen, ihr Herz vor ihm bis auf die Neige auszugießen, vertraut ihr Tryan als Geheimniß seine eigene Bekeh rung, das Ergebniß von Gewissensqualen, die keine Büßung zur Ruhe bringt. Und Janet ihrerseits enthüllt ihm die ganze Schmach des Lafters, bem fie so lange die Herrschaft über sich eingeräumt. Zwi schen diesen beiden Geschwißterseelen ist fürder kein scheidender Vor

hang, und selbst ihrer ehelichen Verbindung zu der der gegenseitige Zug ihre Herzen drängte, steht nichts im Wege; denn Janet ist kurz nach der Katastrophe, die sie auf den Weg des Heils zurückgeführt, Witwe geworden, ohne daß Dempster, von Körperqualen und Wahn finn gefoltert, den sie sieben lange Monate mit heroischer Selbstverfengnung gepflegt, fie um die Rechte betrügen konnte, die sein Tob ihr gab. Sie ist also frei, fie ist reich; aber Tryan stirbt. Bis zum lezten Tage kämpft der unermüdliche Sendbote und verschwendet das Leben, deffen nahes Ende er fühlt, mit so vollen Händen, als wenn er ans dem Born der Ewigkeit schöpfte. Janet begreift diesen heldenmüthigen Selbstmord, denn auch fie fühlt sich dessen fähig; sie macht also keinen vergeblichen Versuch, ihn umzustimmen, und wartet geduldig, daß das fortschreitende Uebel Tryan zwinge, den Kampfplaß zu räumen. Und als dieser vorhergesehene Moment eintritt, eilt sie herbei und führt ihn nach ihrer Villa, die zu seiner Aufnahme bereit ist. Hier, von lieblichen Täuschungen gewiegt, denen er sich so gern hingiebt, von der zartesten Fürsorge gepflegt, die sich durch das leisefte,. wehmüthige Lächeln seiner Lippen hundertfach belohnt sieht, beschließt èr ohne Klage ein edel geopfertes Dasein. In der lehten Stunde werden sie Beide über ihr wahres gegenseitiges Gefühl völlig klar. Bis dahin hatte Tryan stets zu diesem Weibe, das sich vor ihm beugte, nur als Priester gesprochen; jeßt aber, im Augenblick des Scheibens, als fie, in Thränen gebadet, mit hochschlagender Brust, seinem leßten Worte lauscht, flüstert er kaum hörbar: „Einen Kuß vor der Tren nung!" Und sie reicht ihm die Lippen zu dem heiligen Brautkuß, der an der Schwelle des Grabes gegeben und genommen wird.

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Eine Thatsache jüngsten Datums aus dem wirklichen Leben möge den Reigen schließen. Herr Smith, jung verheiratet mit einem Mäd chen von niedrigem Stande - fie war Schankjungfer (bar-maid) in einer bekannten Weinstube - lebte seit Jahren glücklich als Gatte und Vater einer zahlreichen Familie, als gutbesoldeter Geistlicher in einer bevölkerten und wohlhabenden Parochie. Eines Tages wirft sich ihm seine Frau zu Füßen und gesteht ihm, daß fie, von einem Handlungsdiener verführt, schon zur Zeit ihrer Verheiratung sich uns würdig gemacht hatte, die Frau eines rechtschaffenen Mannes zu werden. Sie bekennt ihm ferner, daß fie auch in der Folge den Zumuthungen ihres Verführers nachgegeben und, schon Mutter, all ihrer Pflichten vergeffend, das Vertrauen ihres Gatten verrathen, seine Güte und Ergebenheit mit schmählichem Undank gelohnt habe. Seit ihrem lezten Fehltritt waren Jahre verfloffen, ohne daß ihr gequältes Gewissen Ruhe fand; daher ihre Traurigkeit, deren Ursache der Mann niemals hatte errathen können. Gerührt von der Rene seiner Gattin, entbrennt er dagegen in maßlosem Zorn und glühendem Rachedurft gegen ihren Verführer. Mit eiserner Beharrlichkeit führt er den entworfenen Plan, in dem Blute seines Feindes seinen Durst zu löschen, aus; er diktirt seiner Frau mehrere Briefe, in welchen sie ihrem früheren Liebhaber den Tod ihres Mannes anzeigt und ihn, der auch Witwer geworden, zu einer neuen Schäferstnade einladet. Dieser Mensch, anfangs gleichgültig, läßt sich endlich von den wiederholter dringenden Bitten an einen entlegenen Ort verlocken, wo der lauernde, beleidigte Ehemann, einen Revolver in der einen, einen bleiausgegoffe nen Knüttel in der anderen Hand, über ihn herfällt und ihn so zurichtet, daß er für todt auf dem Plage liegen bleibt. Ueber all diese Einzelheiten legt der Pfarrer Smith ein offenes Geftändniß vor den Geschwornen von Gloucestershire ab, und sie verurtheilten ihn ftreng, aber gerecht, zu einer vierjährigen Gefängnißftrafe... ... ... ... ...

Unterhalten ist nicht die einzige Miffion der Erzählung; unsere Zeit verlangt von ihr, daß sie Trägerin richtiger Vorstellungen sei, sowohl von der Gesellschaft, in welcher sich das Individuum bewegt, als von dem Individuum, dessen Tugenden oder Lafter einen unbestreitbaren Einfluß auf seine Umgebung übt. Die angezeigte Novellen-Sammlung entspricht dieser doppelten Forderung und rechtfer tigt den Erfolg, der ihr in Eugland gewarden."

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Nord-Amerika.

Ein Großneffe Cromwell's als Präfident von Texas. In dem Tagebuche des alten John Evelyn, das als eine der Hauptquellen zur Kenntniß der englischen Geschichte während der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts dient, findet sich unterm 17. Oktober 1660 folgende Notiz:,,Scot, Scroope, Cook und Jones erlitten den Lohn ihrer Miffethaten bei Charing Croß, im Angesicht der Stätte, wo fie ihren rechtmäßigen Fürften dem Tode überliefert, and in, Gegenwart des Königs, seines Sohnes, den sie gleichfalls hatten tödten wollen." Ich sah ihre Hinrichtung nicht", fügt Evelyn · hinzu, › der solche Schauspiele weniger liebte, als der joviale Karl II, aber ich begegnete ihren geviertheilten Körpern, als fie, verstümmelt, zerschnitten und dampfend, in Körben von dem Richtplaß geschleift wurden.“

Von diesen Königsmördern, welche so den Lohn ihrer Miffe thaten“ erhielten, war Jones der Gatte Katharine Henriette Crom well's und der Schwager des Protektors. Während er in Gegenwart feines angestammten Königs geviertheilt wurde, eilte fein Sohn`an Bord eines Schiffes, das ihn wohlbehalten vach Amerika brachte. Dieser Sohn, William Jones, ließ sich in Newhaven nieder und war von 1683 bis 1698 Gouverneur von Rhode Island und Connecticut. Von ihm stammen fünf Brüder, die, den repubikanischen Erinnerungen ihrer Familie treu, in dem amerikanischen Unabhängigkeitskriege gegen Georg III. kämpften und wovon einer an den Schlachten von Bunker Hill und Saratoga theilnahm. Er war der Vater Anson Jones', eines Mannes, der in der Geschichte von Teras eine hervorragende Rolle gespielt hat.")

Anson Jones wurde im Jahre 1798 im Staate Massachusetts geboren. Er widmete sich zuerst der Heilkunde und lebte eine Zeit lang als praktischer Arzt in Philadelphia. Im Oktober 1833 wanderte er jedoch nach Teras aus und ließ sich in Brazoria nieder. Er war es, der im Jahre 1835 die Resolutionen beantragte, welche die Trennung der Provinz Teras von Meriko aussprachen, worauf er sich in dem Feldzuge gegen Santa Ana als gemeiner Soldat der Armee des Generals Houston anschloß, in der er außerdem die verschiedenen Posten eines General -Auditeurs, eines Wundarztes und eines Inspektors der Hospitäler bekleidete. In der Folge wurde er Mitglied des teranischen Kongreffes, Gesandter in den Vereinigten Staaten, Präsident des Senats, Staatssecretair, und im September 1844 wurde ber Urgroßneffe des Protektors der englischen Republik zum Präsidenten der Republik Teras erwählt. Schon vorher hatte er jedoch erkannt, daß Teras nur in Verbindung mit den Vereinigten Staaten eristiren könne, und ohne Rücksicht auf sein persönliches Interesse, welchem diese Union verderblich werden mußte, bemühte er sich nach Kräften, sie zu Stande zu bringen. In der That wurde der „einfame Stern" von Teras bald den,,Sternen und Streifen" des amerikanischen Banners hinzugefügt, und am 19. Februar 1846 verkündete Anson Jones, daß die Republik Teras nicht mehr fei". Seitdem zog er sich, wie sein Vorfahr, Richard Cromwell, in den Privatstand zurück und lebt jeßt als tüchtiger und fleißiger Landwirth auf seiner Farm.

Mannigfaltiges.

- Die Wollen-Fabrication Englands. Ein englisches Buch, das auch im Auslande gekannt and stuðirt zu werden verdient, ist die kürzlich erschienene „Geschichte der Kammwollen-Manufaktur in England“, von John James, dem Verfasser einer Geschichte der Fabrikstadt Bradford."). Wir geben in Nachstehendem die Inhalts-Anzeige des etwas weit ausholenden, aber viel umfassenden und beleh renden Werkes. Das Ganze zerfällt in funfzehn Kapitel. Kap. I ist der Geschichte der Spinnerei und Weberei bei den Aegyptern, Babyloniern, Griechen und Römern gewidmet, wobei es nicht an Abbildun gen der damaligen unvollkommenen Werkzeuge fehlt. Kap. II behandelt dieselbe Kunst im Mittelalter, und zwar bei den Italiänern, Nie derländern, Franzosen und Spaniern. Kap. HI umfaßt die Geschichte der Wollenweberei in England von der frühesten Zeit bis zu Eduard UI., wobei festgestellt wird, daß in Norwich die Weberei bereits zur Zeit Wilhelm's des Eroberers betrieben wurde. Kap. IV und V sehen diese Geschichte von der Zeit Eduard's HI. bis zur Thronbesteigung der Königin Elisabeth fort. Kap. VI reicht von der Zeit Elifabeth's bis zum Jahre 1700, erzählt die Geschichte der Niederlaffung der vlaemischen Weber in England, die vor dem Schwert des Herzogs vok Alba flohen und in Norwich, Colchester, Sudbury z. den Samen ausftreuten, der seitdem in England so reiche Früchte getragen. Kap. VII - von 1700 bis 1750 reichend berichtet über die Verpflanzung der Wollen-Manufaktur nach Yorkshire, wodurch Norwich sein bise heriges Uebergewicht in diesem Zweige verfor. Kap. VIII seßt diese Geschichte bis zum Jahre 1800 fort. Die ersten großen WollenSpinnereien entstehen im Westriding von Yorkshire. Kap. IX ift den mechanischen Erfindungen auf diesem Gebiete gewidmet: Hargreave's ,,Spinning-Jenny", Arkwright's Water Frame", Crompton's ,,Mule", Watt's Dampf-Spinnmaschine und Cartwright's Power-Loom". Rap. X bespricht die staunenswerthen Fortschritte, die in der Zeit von 1800 bis 1836 auf diesem Felde gemacht worden. Kap. XI behandelt die Alpaca und Mohair- Fabrication. Kap. XH beginnt mit

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dem Jahre 1836, wo die Baumwollen-Kette zuerst in die englische Wollenweberei eingeführt wurde Wollenweberei eingeführt wurde ein sehr wichtiges Moment und reicht bis 1857. Es werden alle die großartigen Erweiterungen und Ausdehnungen der Kammwollen-Manufaktur besprochen, deren Erzeagniffe in England jezt auf achtzehn Millionen Pfund Sterling jährlich geschäßt werden. Kap. XIII schildert die phyfischen, moralischen und intellektuellen Zustände der britischen Wollenfabrik-Arbeiter. Kap. XIV beschreibt die verschiedenen Fabricationsarten, die durch Abbildungen erläutert werden. Kap. XV endlich ist den Hauptfißen der englischen Wollen-Industrie gewidmet, deren gegenwärtiger Umfang in statistischer und kommerzieller Hinsicht vollständig geschildert wird.

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Schwedische Revue. Es liegt uns die Probenummer einer seit dem Ende April in Stockholm in französischer Sprache erscheinen. den „Schwedischen Revue“ vor.") Sonst bedienten sich die Skandinavier, wenn sie mit dem Auslande literarische Unterhandlungen pfleg ten, des verwandten Deutsch als vermittelnder Sprache. Seitdem jedoch die Dänen Krieg mit der deutschen Sprache und Bildung in Schleswig-Holstein führen, find auch die beiden anderen skandinavischen Nationen mit unserer Literatur, wie mit unserer Sprache, etwas über den Fuß gespannt. Selbst in der vorliegenden Probenummer einer neuen Zeitschrift, die doch, wie aus dem Prospektus hervorgeht, den Zweck hat, auch in Deutschland das eingeschlummerte Interesse für schwedisches Leben und Denken wieder zu wecken, scheut man sich nicht, die gewöhnlichen schlechten Wige darüber zu machen, daß die Deutschen, und zwar sowohl Kabinette und Kammern, als Klubs und Kneipen“, mit ihren deutschen Brüdern in den unter dänischem Scepter stehenden Herzogthümern sympathisiren! „Wer weiß“, heißt es dann in der Einleitung dieser Probenummer, „,,ob nicht Deutschland unversehens einmal auch mitten unter den nomadischen Stämme Finnmar kens und des schwedischen Lappland unmittelbare Unterthanen des deutschen Bundes entdecken wird. Deutschland gleicht in einigen Stücken etwas jenem guten König Pierochole, von Rabelais, der das ganze Land,,Gualice, Portugal, Tunis, Italia, Malta, Türkei, Hierusalem, Kleinasien, Babylon, Arabien" nehmen will und zuleßt nichts wird als „, paoure guaigne denier à Lyon." Der französisch-schwe= dische Sprachmeister, der dies geschrieben, sollte doch, bevor er weis tere Versuche dieser Art in der internationalen Kritik macht, darüber fich unterrichten laffen, wo eigentlich die deutschen Herzogthümer liegen, die dem Könige von Dänemark das Recht verleihen, in der Bundes versammlung zu Frankfurt a. M. feine Stimme abzugeben!

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Es heißt wahrlich das eigene Interesse verkennen, wenn die Schwe» den, die im Jahre 1855 das bekannte Schuß- und Truß-Bündniß mit Frankreich und England abgeschloffen, um sich vor einem mächtigen, dräuenden Nachbar zu wehren, der schon einen Fuß auf die Schwelle Stockholms gesezt, das gute Einvernehmen mit Deutschland ganz aus den Augen seßen zu können glauben. Roch herrscht denn doch, troß der französischen Dynastie, die in Stockholm regiert, und troß der Einflüsse Eugen Sue's, Lamartine's und Victor Hugo's auf die neuere schwedische Literatur, eine größere Uebereinstimmung zwischen germanischen und skandinavischen Ideen und Intereffen, als die kurzfichtige Politik glaubt, die lächerlicherweise für die Danifirung von einigen hunderttausend Deutschen Partei nimmt. Was du nicht willst, das dir geschieht u. f. w.", das sollten sich Schweden und Dänen gefagt sein lassen, dann würden sie Deutschland nicht unter ihren Gegnern, sondern unter den eifrigsten Vertheidigern des Skandinavismus gegen jeden Angriff sehen.

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Jene unkluge Bemerkung in Bezug auf Deutschland soll uns ins deffen nicht zurückhalten, für das neu entstandene Journal, das ein Glied mehr ist in der großen Bundskette der Weltliteratur, Jutereffe zu nehmen. Die Probenummer enthält, außer der Einleitung, einen Artikel über die kommerzielle Lage Schwedens nach der Handelskrife von 1857, ferner den Anfang einer Abhandlung über die staatsökonomischen Kräfte Schwedens, wobei zunächst die drei Landesprodukte: Eisen, Kupfer und Schiffbauholz, besprochen werden, und endlich die ersten Säße des ersten Kapitels einer historischen Novelle aus der Zeit Guftav's III: „Haß und Liebe“. — Wir denken nächstens auf diese Publication noch zurückzukommen.

*) Revue Suédoise. Paraissant à la fin de chaque mois. Avril 1858. Stockholm, E. T. Bergegren. Leipzig, Hinrichssche Buchhandlung.

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