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auf die Verwüstung zu unseren Füßen nieder. Wir flimmten mit ziemlich angestrengtem Athem höher und hatten nun den Foffo 1000 Fuß unter uns. Welch ein Schauspiel! Von der Deffnung, wo er hervorbricht, bis zu dem Punkte, den wir kürzlich verlassen hatten, erblickten wir den Feuerstrom, oder besser, die Feuerströme. Sie rannten in einer Länge von mehreren Meilen mit der Schnelle eines Eisenbahnzuges. Sie stürzten in Kaskaden nieder. Eine Strecke liefen sie hin und wieder unter der verhärteten Lava, brachen dann hervor, strömten über die alte Lava weg und riffen ganze Klumpen davon mit sich fort. Wann wird die Wissenschaft eine Hiße von " der Intensität entdecken, die solche Wirkungen hervorbringt?" flüsterte mir mein Gefährte zu. Wir riffen uns von dem Flecke los, stiegen und fliegen, bis wir die romitaggia (Einsiedelei) erreichten. Sie steht am Rande des Fosso di farame, auf einem prachtvollen Punkte. Da ich hörte, daß Professor Palmieri nicht, wie das Gerücht behauptete, geflohen war, so machte ich ihm einen Besuch auf dem Observatorium. Mit gewohnter Höflichkeit nahm er mich hinauf in eine der Galerieen, die den Fosso beherrscht. Während wir nun hier auf den Lavaftrom. hinabschauten, theilte er mir Folgendes mit:

"Seit dem Beginn des Ausbruches habe ich, wenn ich nicht irre, acht örtliche Erschütterungen verspürt; die lehte erfolgte heute Morgen nach 17 Uhr; alle wurden an meinem Seismograph, der in dem Nebenzimmer steht, vermerkt. Durch einen damit verbundenen Mechanismus Steht der Zeiger an dieser Uhr in dem Moment still, wenn eine Erschütterung eintritt, und so finde ich genau die Minute angegeben! Noch ist der andere Theil des Apparats nicht aufgestellt, der die Zeit, wenn die Replica (der wiederholte Stoß) einfällt, und die Zwischenpause markirt. Dies ist, wie Sie sehen, nothwendig, da die Uhr beim ersten Stoß stehen bleibt. Die großen Eigenthümlichkeiten dieser Eruption bestehen zuvörderft in der Zahl, wie in der verschiedenen Physiognomie der Fenditure (Spalten), und dann in der Zahl der Oeffnungen. Bei früheren Ausbrüchen bildeten sie, mochten ihrer nun viel oder wenig fein, eine Linie in derselben Richtung, jeßt laufen sie nach Süd, Nord, Nordost, nach allen Weltgegenden. Ein anderer eigenthümlicher Zug dieses Ausbruches ist ferner der überaus flüchtige Zustand der Lava und die lange Dauer dieses Zustandes. Schauen Sie hin, wie lang dieser Strom ist und wie er, dem Wasser gleich, dahinfluthet. Alles zeugt von der ungeheuren Menge des Stoffes, der sich zu ergießen ftrebt, und von der intensiven Hiße, die unter der Oberfläche wirkt. Ich betrachte diesen Ausbruch als den Abschluß der Erdbebenperiode, wovon das Land so lange zu leiden hatte, und in der That ist auch die Eruption in der Abnahme begriffen. Das unterirdische Dröhnen hat aufgehört, die Lava hat ihren Ausgang gefunden und fließt nun reichlich und ruhig ab.“ — Er führte uns nun auf die Hintergalerie und wir sahen hier auf den Fosso di farame nieder, der weit umfänglicher ist, als der früher gesehene: ein unermeßlicher Feuerkörper! "Ich schäße ihn“, sagte der Profeffor,,,auf 750 Fuß in die Tiefe. Er hätte aber, wie Sie sehen, lange zu thun, bevor er die Höhe er'reicht, auf der wir hier stehen. Mir war nur bang, die beiden Ströme könnten sich weiter unten begegnen und uns den Weg den Berg hinunter abschneiden; in diesem Falle hätten wir den Berg bis zum Kegel hinanklimmen und am Rande der lavafpeienden Münbungen auf Torre dell' Annunziata zu hinabsteigen müssen: eine mühsame Wanderung." Als wir von der Galerie hinunterstiegen, kam ein Mann, den Professor zu sprechen. Das ist eine meiner Streifwachen", sagte dieser,,,denn es ist nothwendig, vor einer Ueberraschung, wie die erwähnte, auf der Hut zu sein. Im Fosso di farame,sei die Lava des Teufels" meinte der Mann, wie wir sehen könnten; in· deffen da sie mehr die Richtung auf Maffa als auf Sant' Sorio zu nehmen, so habe es mit einer Vereinigung der Ströme weniger Gefahr als früher. Der andere Strom, nach Resina zu, laufe reißend schnell und zerstöre viel Eigenthum. Doch das hatten wir ja mit eigenen Augen gesehen. „Ich ging diesen Morgen“, sagte Palmieri, „bis an das Ende des Stromes, der gegen den Fosso di farame fließt, und die Gluth war so gewaltig, daß sie mir die Kleider versengte. Jm Ganzen mögen es siebzehn Mündungen sein, die Lava ausströmen; es haben sich auch einige schöne kleine Kegel gebildet. Von dem einen hob ich die äußerste Spiße ab, die ich dem Professor Lyell zu übersenden wünsche."

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Wir weilten noch einige Zeit auf dem Observatorium, dankten dann dem Direktor für seine Freundlichkeit und nahmen Abschied. Die Nacht war inzwischen völlig hereingebrochen, der Himmel voll Sterne, zu beiden Seiten des Weges wimmelte es an manchen Stellen von Glühwürmern; der Berg leuchtete von dem Widerstrahl der Lava, und doch brauchten wir unsere Fackel sehr nöthig, da der Pfad unsicher und an manchen Stellen abschüffig, hin und wieder von Baumstümpfen holperig war. So furchtbar schon das Feuer uns ers schienen war, als wir bergauf gingen, so war es jezt doch noch furchtbarer, als wir abwärts stiegen. An einer Stelle besonders, wo wir die Lavastürze bemerkt hatten, sah es jest aus der Ferne wie ein

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ungeheurer Krater aus. Die gegenüberstehenden Felsen glühen in rothem Feuer, und Männer und Kinder sißen am Rande des Abgrundes mit über dem Feuerfluß baumelnden Beinen, und bieten euch Fackeln zu Kauf. Wenige Augenblicke halten wir, das Schauspiel austaunend, dann gehen wir fürbaß, bis wir an das Ende des Stromes gelangen. Unser Führer kommt zurück. „Die Straße ist abgesperrt, meine Herren", sagt er,,,wir müssen umkehren; die Lava hat inzwischen reißende Fortschritte gemacht." Er leitete uns auf Umwegen bis an die Haltestelle. Hier hatte indeß das Menschengewühl aus Neapel bedeutend zugenommen. Fuhrwerke waren für die Nacht zu einer Wagenburg aufgestellt. Eine Gesellschaft hatte sich's auf der noch warmen Lava zu einem Abendkränzchen bequem gemacht. Wir holten den Korb mit Mundvorrath herbei, und einige Mistresses Gilpins untersuchten den Inhalt. - Ein vollständiger Markt war eröffnet: Stöcke, Cigarren, Orangen wurden feilgeboten; hier standen Efel zur Miethe, bort ließ man sich für in Lava abgedruckte Münzen den hundertfachen Werth bezahlen; weiterhin wogte ein Menschenknäuel auf glühend heißem Boden wirr durch einander.

Griechenland.

Blicke auf die geistigen Zustände Griechenlands.*)

Der poetische Wettkampf in Athen.

Der seit dem Jahre 1851 auf Veranlassung des Griechen Ambrosios Rallis in Trieft für Griechenland und für die griechische Nation festgesezte poetische Wettkampf hat, wie bisher, auch im Jahre 1858 stattgefunden, und die dazu aus der Mitte der Profefforen der Universität in Athen erwählten Kampfrichter haben am 23. April (ausnahmsweise statt des 25. März, welcher Tag als das Fest der griechischen Unabhängigkeit vom Jahre 1821, vom Agonotheten dazu bestimmt worden ist) durch einen ihres Mittels ihr Urtheil gesprochen. Es lagen acht Dichtungen zur Beurtheilung vor (im Jahre 1857 waren es achtzehn gewesen), und darunter befanden sich ein Luftspiel, einige didaktische und mehrere epische Gedichte. Man hat sich gewundert, daß nicht mehr Preisgedichte eingegangen sind, und man hat daraus ohne Weiteres einen ungünstigen Schluß zum Nachtheile des griechischen Volkes machen wollen. Wenn man jedoch erwägt, daß vor einigen Jahren in Frankreich, als ein Preis für das beste Gedicht auf den orientalischen Krieg ausgesezt worden, zwar 150 Gedichte eingegangen waren, darunter jedoch 148 sich befunden hatten, die man nicht der Rede und nicht einmal der Erwähnung werth gefunden, so darf man sich wegen des Ergebnisses des Wettkampfes in Griechenland, wo man erst seine Kräfte üben und gebrauchen lernen muß, durchaus nicht wundern, und man muß sich vielmehr des Ehrgeizes billig erfreuen, womit in Griechenland der Gegenstand angesehen und behandelt wird, und wobei im Allgemeinen der Zweck des Wettkampfes, den Griechen einen besonderen Trieb und Anstoß für die poetische Kunst zu geben, thatsächliche Anerkennung findet. Auch ist in Griechenland vor allen Dingen erst eine poetische Sprache zu schaffen, ehe von einer wahrhaft fruchtbringenden Kultur der Dichtkunst selbst die Rede sein kann, und auch für diesen Zweig der geistigen Entwicklung des Landes und Volkes muß erst der rechte Grund und Boden gewonnen und fruchtbar gemacht werden. Erfreuliche Anfänge find übrigens auch hier schon, außerhalb und innerhalb jenes poetischen Wettkampfes, in Griechenland gemacht worden, wie ein Jeder wird zugeben müssen, der dies Alles seiner Aufmerksamkeit werth achtet und der unbefangen genug ist, auch an ein mit nicht geringen poetischen Talenten begabtes Volk, wie das griechische ist, nicht ungebührliche Forderungen zu stellen.

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Die Schwierigkeiten, die sich nach Lage der Sache hierunter entgegenstellen, lassen sich auch aus der Kritik beurtheilen, die mit dem jedesmaligen Berichte über die eingegangenen Preisdichtungen verbunden ist und aus welcher dieser Bericht selbst wesentlich besteht. Dies gilt auch von dem diesjährigen Berichte, der bei Beurtheilung der vorgelegenen Preisarbeiten auf die Sache selbst, theils auf den Inhalt, die Ausführung und den Gehalt der einzelnen Gedichte, theils namentlich auf die Sprache derselben, näher und ausführlicher eingeht. Könnte man auch hierbei bisweilen der Meinung sein, daß die Kritik es im Einzelnen gar zu genau nehme, und daß sie, statt nur billig zu sein, ihr Amt vielmehr gar zu streng und gewissenhaft ausübe, was jedoch Niemand im Ernste würde tadeln wollen, so müssen wir doch Einen Ladel gegen jene Kritik, auch gegen die bei Gelegenheit des Wettkampfes des Jahres 1858 geübte Kritik, mit Ueberzeugung aussprechen. Allerdings liegt hierbei der Fehler tiefer, and das griechische Volk selbst trägt im Allgemeinen die Hauptschuld; allein das kann im Wesentlichen die Sache nicht ändern, und gerade bei der vorliegenden Gelegenheit sollten vornehmlich Profefforen der

*) Vgl. „Magazin" 1857, Nr. 138.

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der Preisrichter streng und entschieden; aber über die Form und über den Bau der Hexameter sagen fie teine Silbe. Daß man es sonst von Seiten dieser poetischen Preisgerichte ftreng nimmt und die Ehre der Universität und der Poesie höher achtet, als den gekränkten Ehrgeiz selbst begabter Dichter, das geht schon daraus hervor, daß in den Jahren 1854 und 1857 keine Preisvertheilung stattgefunden hatte, weil keine preiswürdigen Gedichte eingegangen waren.

Mannigfaltiges.

Amerikanische Schach-Virtuosen. Das Juli-Heft der Berliner, Schachzeitung",") das aus der Feder des Herrn Mar Lange einen mit tiefem Gefühl und jugendlichem Schwung geschriebenen Netrolog unseres verewigten Freundes Lehfeldt, eines der Begründer der ,,Schachzeitung" und der blühenden Berliner Schach-Literatur, bringt, enthält, außer mehreren die Schach-Theorie betreffenden Artikeln unter Anderem einen sehr anziehenden über „Militairschach" — auch einige Notizen über Schachspiel-Studien in England und Amerika. Wir entnehmen daraus, daß die diesjährige Zusammenkunft der ,,British Chess Association", die am 22. Juni in London stattfinden sollte, besserer Vorbereitungen wegen und um größere Theilnahme zu erzielen, um zwei Monat hinausgeschoben worden. Im Glauben an den früheren Termin, war jedoch in England bereits Mr. Morphy, der junge transatlantische Meister des Schachspiels, angekommen, der die Absicht hat, sich im Spiele mit den berühmten Schach-Virtuosen Englands und namentlich auch Deutschlands zu messen, wohin er nächstens ebenfalls zu kommen denkt. In Amerika ist neben Herrn Morphy in neuester Zeit auch ein Herr L. Paulsen in Chicago als angestaunter Schach-Virtuose aufgetreten. Nachdem es Herrn Morphy, kurz vor seinem Abgange nach Europa, gelungen war, in sechs gleichzeitig gespielten Blindlingspartieen, auf seine höchft elegante Weise,, zu siegen, hat ihn Mr. Paulsen noch zu überbieten gesucht, indem er kürzlich nicht weniger als zehn Partieen zu gleicher Zeit, ohne Ansicht des Brettes, gespielt und davon, nach Verlauf dreier Sigungen, neun gewonnen und die leste,,remis" gemacht hat. Die Schachzeitung", welche sowohl von Morphy's als von Paulsen's Spielen einige in ihrer Uebersicht gespielter Partieen“ vollständig mittheilt, bemerkt dabei kopfschüttelnd, daß „bei solchen auf die Spiße getriebenen Virtuosenleistungen" für Person und Sache mancherlei zu besorgen sei.

Universität Athen es sich nicht nehmen laffen, nach Befinden auch ihre entgegengeseßte Ansicht is ex zolлodos auszusprechen und geltend zu machen. Es handelt sich hier um die griechische Prosodie und Metrik, wie nämlich dieselbe zu den Zwecken der neugriechischen Poesie gehand habt wird. Bekanntlich gehört die neugriechische Vulgärsprache, · ebenso wie andere moderne Sprachen, zu den sogenannten accentuiren den, nicht zu den quantitirenden Sprachen. Es wird also in ihr dem Accente die Quantität, d. h. die Länge und Kürze der Silben, in einem solchen Grade aufgeopfert, daß man geradezu sagen kann, die neugriechische Vulgärsprache kenne gar keize Quantität der Silben, und ohne in der Poesie auf dieselbe irgendwie Rücksicht zu nehmen, richtet sie sich hierbei lediglich nach dem Accente. Der Accent ist gleichsam nicht nur das höchfte, er ist vielmehr das alleinige Geseß, und er allein ist es, der eine Silbe, auf welcher er ruht, zu einer langen Silbe macht. In der neugriechischen Volkspoesie kommt es sogar vor, daß der Accent in dem Maaße, wie des Bedürfniß der Metrik es mit fich bringt, nach Belieben umgestellt wird. Das Willkürliche und allem Rhythmus, allem Wohllaute Widerstrebende dieses Verfahrens leuchtet ein, und ganz konsequent bemerkte ein in diesem Punkte kompetenter Richter, Gottfried Hermann in Leipzig, vor mehr als zwanzig Jahren, daß er zwar die Bildsamkeit der neugriechischen Volks sprache anerkenne, welche es möglich mache, sie ziemlich wieder der alten Sprache näher zu bringen, daß er jedoch ein sehr bedeutendes Hinderniß in der heutigen Aussprache des Volkes finde, theils weil diese Aussprache ihnen das Gefühl für den Wohlklang der alten Sprache entziehe, theils weil sie sich entwöhnen müßten, in der Poesie sich nach dem Accente zu richten, was nöthig sei, um die richtige Quantität der Silben ins Ohr zu bekommen“, Nun haben die Neugriechen unter anderen Versarten der altgriechischen Poesie auch den Hexameter angewendet, aber nicht etwa in der edlen Reinheit und Würde des Homer und in der der altgriechischen Metrik eigenthümlichen Harmonie, sondern in einer Weise, die dem Allen offen und entschie den Hohn spricht. Denn auch den Herameter bilden neugriechische Dichter im Sinne ihrer accentuirenden Sprache, so daß sie auch hier bei die Länge und Kürze der Silben geradezu mit Füßen treten und auch in dieser Hinsicht nur das Gesez des Accents anerkennen. Wenn neulich Jemand in d. Bl. in der Zusammenstellung der Präposition ảnỏ mit dem Akkusativ und in ähnlichen Unfertigkeiten der neugriechischen Vulgärsprache etwas Barbarisches fand, so mag er nicht Unrecht haben; allein ́es ist nichts, gar nichts gegen solche Hexameter, in denen lange Silben kurz, dagegen kurze Silben lang gebraucht werden, and wobei die Herrschaft des Accentes das schöne Gefeß der Harmonie völlig verstummen macht. Und dies Alles gerade im Hexameter! Und nicht etwa das ungebildete Volk thut dies in seiner ungebildeteren Volksredeweise, sondern aufgeklärte, durch die Kenntniß der altgriechi. schen Sprache und Literatur gebildete Griechen sind es, und die Einzelnen thun es, gleichsam als bevorzugte Geister ihrer Nation, als,,Neuen Preußischen Zeitung", ein deutsches Blatt mit fünf Spalten Dichter! Theilweise finden sich darunter die ersten Namen des neugriechischen Parnaffes, und diese Dichter thun das Alles nicht etwa blos aus Noth, indem sie sich einer gewiffen Volksgewohnheit akkomodiren und deren Einfluffe, obschon mit Widerstreben und ungern, fügen, sondern noch dazu aus Ueberzeugung und sogar nach den Grundfäßen einer gewissen Theorie! Das Nämliche geschieht nun auch von Anderen, und es geschieht sogar in Gedichten zur Konkurrenz bei dem poetischen Wettkampfe, und das aus Profefforen der Universität Athen bestellte poetische Preisgericht erkennt solchen Dichtungen den Preis zu!

Es war übrigens der nämliche Dichter, Orphanidis, Profeffor der Botanik an der Universität Athen, der schon im Jahre 1855 den Preis davongetragen hatte, und dessen episches Gedicht in daktylischen Hexametern der angegebenen Art in fünf Gefängen:,,Xíos dovan", bei der jüngsten Preisbewerbung den Sieg davontrug. Der Gegen stand desselben ist aus der Geschichte des vierzehnten Jahrhunders, aus der Zeit der genuesischen Herrschaft in Chios, und zwar der das mals unternommene, jedoch mißlungene Befreiungs-Versuch der Chioten gegen die Genueser. Die Preisrichter rühmen die patriotischen Gesinnungen des Dichters, die sich in dem Gedichte kundgeben, sowie sie deffen Vorzüge in Ansehung der Wahl des Gegenstandes und deffen Behandlung im Einzelnen, auch in Betreff der Darstellung der meisten Charaktere, anerkennen und dasselbe für eines der besten erklären, die bei dem poetischen Wettkampfe den Preis davongetragen haben. Indeß machen sie der Dichtung ungebührliche Längen in der Schilderung der Dertlichkeiten, wodurch der Gang der Handlung gar zu sehr aufgehalten werde, zum Vorwurf, und nicht minder ist in Bezug auf die Sprache und die Metrik, sowie was Einzelnes in der Anlage und in der Darstellung der Charaktere anlangt, der Tadel

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,,Londoner Deutsche Zeitung".") Abermals ist in der englischen Weltstadt ein Versuch gemacht, eine Zeitung in deutscher Sprache zu begründen, nachdem dort in den lezten fünfundzwanzig Jahren über ein halbes Dugend ähnlicher Versuche gescheitert ist. Seit dem 1. Juli d. J. erscheint nämlich in London, im Formate ver

auf jeder der vier Seiten, von welchen die lezte Privat-Anzeigen gewidmet ist, unter dem Titel:,,Londoner Deutsche Zeitung und Allgemeiner Anzeiger, Wochenblatt für Politik, Kunst, Industrie, Wissenschaft und Handel". Nach der uns vorliegenden Probe-Nummer (Nr. 3, vom 10. Juli) zu urtheilen, will das neue Blatt die Klippen vermeiden, an welchen die älteren Unternehmungen scheiterten, indem es sich nicht zum Organ irgend einer Partei — sei es des Herzogs Karl von Braunschweig, oder der deutschen Demokraten, oder gar Mazzini's sondern zum Ausdruck positiver Ideen und Interessen macht. In dem Leitartikel,,Deutschland und die Aufgabe des Augenblicks", spricht sich der Wunsch aus, zwischen den deutschen Regierungen, namentlich aber zwischen Desterreich und Preußen, Einigkeit und unbedingte Gegenseitigkeit herrschen zu sehen, damit der Name,, Deutschland" aufhöre, ein bloßer geographischer Begriff zu sein, und vielmehr ebenso in der übrigen Welt geachtet werde, wie die Namen,,Preußen“ und „, Desterreich". Gewiß ist in solchen Ansichten nur ein Fortschritt politischer Erkenntniß wahrzunehmen, und so glauben wir denn auch, daß es dem neuen Blatte leichter als seinen Vorgängern sein wird, sich bei den Hunderttausend Deutschen, die allein in London leben, Eingang zu verschaffen und eine sichere Stellung zu gewinnen.

*) ,,Schachzeitung der Berliner Schachgesellschaft". Herausgegeben von A. Anderssen und M. Lange. Nr. VII, Juli. Berlin, Veit & Comp. 1858. **) Herausgegeben von Ermani in London, 8, Little Newport-Street, Leicester-Square. Verlag von H. Bender's Buchhandlung in London,

Wöchentlich erscheinen 3 Nummern. Breis jährlich 3 Thlr. 10 gr., þalbjábrlich 1 Thlr. 20 Sgr. und vierteljährlich 23 Sgr., wofür das Blatt im Inlande portofrei und in Berlin frei ins Haus geliefert wird.

No 92.

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Literatur des Auslande s.

England.

Berlin, Dienstag den 3. Auguft.

Eliot's Bilder aus dem Leben englischer Geistlichen“. *) Der Verfasser des untengenannten Werkes gehört, nach Inhalt und Ton feiner Darstellung, zu jenen Gläubigen, die bei ihrer höheren, idealen Anschauungsweise sich von der rauhen, gemeinen Wirklich keit schmerzlich berührt fühlen; die fich in Verzückung vor der Herr lichkeit des Altars niederwerfen, aber um so erkälteter aufstehen, wenn fie einen Blick in die Sakristei thunes find poetische Gemüther, denen die Armseligkeit, das Alltägliche, das Hausbackene widersteht, für die man, wie neulich ein Puff eine Arznei ohne Arzt angekündigt, eine Religion ohne Priester erfinden müßte. Und doch sind sie als Zeugen über geistliche Zustände weit vorzuziehen; denn sie bieten eher, als Andere, die Bürgschaft des Scharfblicks und der Unparteilichkeit. George Eliot gehört nicht zu den Leuten, von denen Thackeray sagt, fie gehen nie zur Kirche und verlästern dennoch Alles, was dort vorgeht; auch nicht zu denen, die in ihre Kritik die Verblendung feind licher Leidenschaftlichkeit hineintragen. Endlich ist er eine Selten heit in England, wie anderswo — obgleich religiös, frei von jener Engheit der Anschauung, der Mutter oder der Tochter des Sektengeistes, und überall, wo er die wahrhaft chriftliche Ergebung, den Grundpfeiler der unwandelbaren Erlösungslehre, antrifft, da läßt er sich bei den Abweichungen theologischer Auslegung sehr billig finden. Seid Hochkirchlicher, Presbyterianer, Independent er läßt euer er läßt euer Evangelium gelten, wenn es nur nicht vom Evangelium Chrifti wesentlich abweicht. Diese edle Toleranz, die mit der stumpfen Lauheit in geistlichen Dingen nichts gemein hak, hat ihm zahlreiche Leser und die gültigsten Beurtheilungen der fpruchfähigen Kritik gewonnen, und unsere Leser werden es uns hoffentlich Dank wiffen, daß wir ihnen einige Erzählungen auszüglich zum Besten geben.

Shepperton ist ein Dorf. Seine alte Kirche, die vor 25 Jahren fast in Trümmer fiel, ist jeßt ausgebeffert und neu ausgestattet worden. Was sie aber an bürgerlicher Sauberkeit und bequemer Einrichtung gewonnen, hat sie an Poesie verloren. Damals wirkte an ihr als Amtsverweser der Reverend Mr. Gilfil, dessen Leben dauernde Erinnerungen und dessen Tod allgemeines Bedauern zurückgelaffen. Wer hätte diefen wackeren und einnehmenden Greis nicht geliebt, der gegen Alle so gefällig war, mit den Armen so innig mitfühlte, der für das niedrigste seiner Pfarrkinder stets ein heiteres Wort hatte? Man erinnerte sich seiner aus früheren Zeiten als eines tüchtigen Weidmannes, und sein Jagdrappe war in der Landschaft berühmt. Später hatte er den Nappen gegen einen geftußten Fuchs vertauscht, auf dem er luftig durch die Dörfer von Meierei zu Meierei trabte, um landwirthschaftliche Fragen zu besprechen und die Neuigkeiten eines Jeden anzuhören. Seine schönen Wiesen lagen im Sonnenschein, und er ließ sie von seinem eigenen Knechte nach seiner Angabe bestellen. Wohlwollend und mild gegen die gemeinen Bauern, vertraut mit den Personen aus der Mittelklasse, denen er Achtung einzuflößen wußte, sprach er das Platt der Pächter, trank ihr Ale, nahm die kleinen Geschenke des Haushalts, die Weihnachtsgans, den Dreikönigskuchen, an und behauptete dennoch seinen Rang dem Lord gegenüber. Selten nahm er eine Einladung von diesem an; wenn er aber bei den Oldinports zu Tische gebeten war, so betrug er sich als Gentleman. aus der alten Schule: er bot der Edeldame vom Haufe den Arm, unterhielt fie bei der Tafel, war mit den kleinen Dienstleistungen um fie beschäftigt und niemals um ein feines Wort verlegen. Mit dem Gutsherrn war er etwas über den Fuß gespannt, seitdem jener in einem Wortscharmügel einige Federn lassen mußte, und Gilfil bekam unter den Landleuten noch einen Stein mehr im Brette, als es bekannt wurde, daß er den hochmüthigen Squire, der sich mit seinen armseligen Spenden chriftlicher Milde gar viel wußte, tüchtig abgefertigt habe.

,,Scenes of Clerical Life", by George Eliot. 2 Vol. Edinburgh, Blackwood, 1858.

1858.

Die guten Landleute hatten seine Theologie um so lieber, da er sie nicht durch endlose Predigten langweilte. Sparsam mit seiner und ihrer Zeit, dehnte er den Gottesdienst niemals über Gebühr hinaus. Sie waren aus der Ferne gekommen, hatten dem schlechten Wetter und noch schlechteren Wegen getroßt; sie mußten unter demselben Wetter und auf demselben Wege heimkehren, sollte er sie noch durch eine ewige Homilie quälen? Gilfil war kein Ausbund von Beredtsamkeit; feine Predigten lagen in einem wüsten Haufen, von der Zeit vergilbt, auf seinem Schreibtisch. Hier griff er Sonntag Morgens aufs Gerathewohl zwei Stück heraus und steckte fie in die Tasche. Hatte er die eine Vormittags in Shepperton abgepredigt, so stieg er zu Pferde und hielt die andere in der Kirche zu Knebley, die zu seiner Parochie gehörte. Hier wie dort werden übrigens seine Predigten höchlich gelobt. Ob man zugehört oder nicht über diesen Punkt wird man nie zur Gewißheit kommen beim Herausgehen aus der Kirche war die stehende Formel: „Der Pastor hat hübsch gepredigt!" Und wie mochten die guten Pächter auch nur einen Augenblick an einem Manne zweifeln, der über den kurzhörnigen Viehschlag, über Ackerwirthschaft, über den Handelsverkehr auf Messen und Märkten Messen so beredt und fachkundig sprach? An einer Predigt des Reverend Gilfil etwas ausseßen, hieße die Religion selber angreifen. — Hört man freilich andererseits auf den Reverend Pickard, den Pastor der Independenten, hin, so war der geistliche Hirte von Shepperton „in der Finsterniß" und deffen Heerde, die sich auf seiner Weide so wohl befand,,,nahm es, wie die Franzmänner, mit ihrer geistlichen Nahrung nicht genau." Indeß hatte er ja nur Independenten zu Zuhörern, und im Leben verirrte sich kein Schaf aus Gilfil's Hürde in ihr Meeting.

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So lebte diese kleine Gemeinde fast ein Vierteljahrhundert in liebender Achtung gegen seinen Hirten, den ihr Gott gegeben. Mit zunehmendem Alter aber trübte sich seine Stimmung etwas, er wurde karger in seinem Haushalt, ohne daß jedoch die Armen darunter litten. Er wollte für einen Neffen sparen, damit dieser einst das Grab seis nes Oheims besuche und ihm eine freundliche Erinnerung weihe. Die Einsamkeit des eigenen Heerdes er war seit lange Witwer und finderlos-sollte dazu dienen, dem lieben Verwandten einen bevölkerten Hausstand zu gründen.

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Wenn unsere Leserinnen aber glauben, daß dieses scheinbar so profaische Leben niemals seine romantischen Augenblicke gehabt habe, so irren fie. Viermal im Jahre, beim Eintritt der Jahreszeiten, ging in der Sheppertoner Vikarei etwas ganz Eigenes vor. Die alte Haushälterin Martha - fie mit ihrem Manne David, Hausknecht und Gärtner in einer Person, bildeten die ganze Dienerschaft - trat ein und empfing von ihrem Herrn den Schlüffel zu einem gewiffen Zimmer, in das sonst Keiner den Fuß seßte, dessen hermetisch verschloffene Fensterladen sich nur diesem vierteljährlichen Besuche öffne ten, um Besen, Bürfte und Wischlappen auf Augenblicke das Regiment zu übergeben. Wenendie schweren Vorhänge aufgezogen, das gothische Fensterchen mit seinen in Blei gefaßten Scheiben nach innen zu zurückgeschlagen war und das Tageslicht einfiel, zeigte sich ein rührendes Gemälde: Auf einem kleinen Pußtische stand ein zierlicher Spiegel, mit vergoldeten Skulpturen umrahmt; die zwei beweglichen. Arme daran trugen noch halbabgebrannte: Wachskerzen; an dem einen Arme hing eine schwarze Spizenhaube, ein Nadelkissen von verschoffenem Seidenzeug, in welchem einige verrostete Nadeln steckten; neben dem Spiegel lagen ein Riechfläschchen und ein großer grüner Fächer, auf einem Reisebesteck in der Nähe stand ein Arbeitskorb, in welchem em vergilbtes, unvollendetes Kindermüßchen lag. Zwei Frauenkleider von altem Schnitt hingen an der Thür, und unter dem Bette hervor sahen ein Paar rothe Pantöffelchen mit Ueberresten von Silberstickerei. Einige Aquarellen, Ansichten von Neapel, schmückten die Wände, und über dem Kaminfims bemerkte man unter mancherlei Proben seltener Porzellanfachen zwei Miniaturbilder in länglichrunden Rahmen. Das eine ftellte einen jungen Mann dar mit lebhaft gefärbtem Gefichte, starken Lippen, autmüthia ehrlichen arauen Augen; das andere — ein

Mädchen von höchstens achtzehn Jahren, mit kindlichen Zügen, abgezehrten Wangen, bleichem Teint, in welchem sich der Süden fundgiebt, großen, schwarzen Augen, wie man sie nur in Italien sieht. Der Leser erräth leicht in dem einen Bilde den Reverend Gilfil als blühenden Jüngling, und das andere? ist das jenes jugendlichen Wei bes, das er, glückftrahlend, heimführte, als er in Shepperton die Pfarre antrat. Sie machte Aufsehen durch ihre großen, schwarzen Augen, ihre schwermüthigen Züge, ihre prachtvolle Stimme, die im Tempel alle übrigen Stimmen übertönte. Jung, schön, angebetet, dem Anschein nach glücklich als Gattin, glücklich in der Hoffnung, als Mutter eines Kindes den gottgesegneten Bund noch mehr zu befeftigen, sank sie in ein frühes Grab: das zarte Reis war an der Wurzel angegriffen und zu schwach, um der Entfaltung seiner ersten Blüthe Stand zu halten...

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Als Gilfil seinen Pfarrkindern entrissen wurde, bezeugten eine aufrichtige Trauer und andauernde Erinnerung ihre Liebe zu ihm. Herr Parry, sein unmittelbarer Nachfolger, brachte ihn nicht in Vergeffenheit, obgleich er, nach Aussage der Kenner,,,die Gabe hatte", d. h. er hatte seine Bibel am Schnürchen und konnte zwei Glockenftunden ununterbrochen aus dem Stegreif sprechen: ein Redefluß, der auf den großen Haufen wie ein Zauber wirkt. Selbst die Kohlen-. Arbeiter der Umgegend, die Gilfil`sehr widerhaarig gefunden hatte, fingen an, diesen evangelischen Kraftstücken Theilnahme abzugewinnen, als der Reverend Amos Barton an Parry's Stelle kam.

Von mittelmäßigen Gaben und geringem Wissen, starrköpfig und zu Neuerungen mehr aus läppischem Nacheifer, als aus innerem Beruf geneigt, souft ein wackerer, ehrlicher Mensch, aber ein armer Teufel, nach allen Bedeutungen dieses unseligen Wortes, konnte Amos Barton kein Glück machen. Als Delegat und nicht als Pfründner berufen, empfing er von dem Pfründenvergeber, Herrn Carpe, einen firen (Gehalt von 80 Pfund Sterling; die Pfarre selbst brachte 350 Pfund Sterling, die steckte aber Herr Carpe ganz einfach in seine eigene Tasche. Amos hatte nun das Problem zu lösen, mit Frau, sechs Kindern und der einzigen Dienstmagd von diesem knappen Einkommen zu leben. Um ferner sich und der Kirche keine Schande zu machen, durfte er doch keinen Rock tragen, der an den Ellbogen zu sehr von Fettglanz schimmerte, teine weiße Halsbinde, die in den Falten zu markirt wäre, keinen Hut, der zu viele Spuren der feindfeligen Angriffe von Zeit und Wetter aufwiese, keine Schuhe, die zu offen ihre Erschöpfung von dem fauren Gang auf dem Wege des Herrn zu Tage legten. Bedenkt man noch, daß er von Zeit zu Zeit dem geistlichen Troft, ihn bei den Unglücklichen eindringlicher zu machen, mit einigen obligaten Geldstücken Nachdruck geben mußte, so wird man von der schwierigen Stellung des neuen Geistlichen einen Begriff bekommen.

An Unterstüßungen, wenn er sie annehmen wollte, würde es ihm gewiß nicht fehlen. Frau Hackit, die reiche Pächterin, bekannt mit der Noth der armen Lebensgefährtin des Geistlichen, die so schön, so fanft, so gottergeben, so arbeitsam, eine so gute Mutter ist, wird nicht erst ein förmliches Gesuch abwarten, um einen Käse, einen Sack Kartoffeln in das Haus zu schicken. In einem kritischen Augenblick, wenn fich Amos, das Herz zu voll, dazu entschließt, seine peinliche Lage dem Haupt der Familie Oldinport darzustellen: kein Zweifel, daß ihm 20-30 Pfund Sterling ohne Zinsen und auf unbestimmte Zahlungs frist vorgestreckt werden; allein man kennt den Preis dieser traurigen Hülfsquellen. Man schuldet fie dem Mitleiden, und das Publikum macht sich dafür durch Geringschäßung und Mißachtung bezahlt. Die eigentlich von euch zu fordern haben, denken nicht daran; aber denen ihr nichts schuldig seid, das sind die unbarmherzigsten Gläubiger.

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So steht es mit Amos kurz nach feiner Einseßung. Jeder Schritt, den ihm sein unruhiger Kopf oder sein einfältiger Ehrgeiz eingiebt, wird ungünstig aufgenommen oder übel gedeutet. Aendert er etwas an der Liturgie - er ist ein Methodist; weißt er einen Sänger aus dem Choro, über die tyrannische Quälerei! Bringt er ein Lied an die Stelle eines Psalms und ist über den Widerstand, auf den er flößt, außer sich vor Zorn, dann heißt es: Und der will uns Sanft muth predigen? Ueberbies ist er von so gemeiner Herkunft: sein Vater war Schuster und noch dazu Diffident, und ist man denn über seine eigene Rechtgläubigkeit im Klaren? Und was bedeuten denn diese neuen Wege, in die er die Parochie drängen möchte? Die achtzigjährige, geizige Mrs. Patten, die das Geheimniß gefunden, an einer Pacht, wo alle ihre Vorgänger fich zugrunde gerichtet, reich zu wer den, nimmt es sehr übel, daß Herr Barton immer und ewig von den ,,Sünden" spricht, die sie begangen haben sollte. Und welche Sün Und welche Sünden, ich bitte euch, hätte sie sich vorzuwerfen, sie, die einzige Pächtersfrau in der ganzen Umgegend, die von dem Käsehandel hinter dem Rücken ihres Mannes keinen Pfennig zurückgelegt hat? Meister Pilgrim, ein Wundarzt, der die Gegend in allen Richtungen durchstreift, in llen Pachthöfen, wo er vorbeikommt, den brandy fostet, läßt hier und

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die Spinner Samstag Abends in einer Kothe halten will. Da sein eigener Kredit auf Null steht, so beruft er sich auf die gewichtigste Autorität, die er irgend finden konnte:,,Herr Ely" - Herr Ely ist ein junger Pfarrer aus gutem Hause, auf der Bahn zu fetten Pfründen und im voraus für einen Bischoffit bestimmt ,,Herr Ely sagte mir neulich, es ist mindestens soviel vom Uebel wie vom Guten bei dieser Sache!" Nun aber hat Herr Ely, ein vorsichtiger, verschwiegener und lebenskluger Mann, verlaßt euch darauf, einen anrüchigen Menschen, wie Meister Pilgrim, nicht zum Vertrauten gemacht, um sich gegen ihn über den armen Amtsbruder in der Weise auszulassen; aber was thut das? Das Vorurtheil fißt einmal fest; jede Lüge, jede Verleumdung findet dann ein empfängliches Ohr.

Von dieser Maulwurfsarbeit, die ihm den Boden unterwühlt, hat Amos keine Ahnung. Er glaubt an sein Genie, seine Predigten, seine mächtige Klugheit. Sie mögen sich zusammennehmen, die Ungläubigen, Amos wird ihnen böse Tage machen! Er hat ganz andere Dinge im Kopf, als daß er sich um die Klatschereien kümmern sollte, die über ihn im Umlaufe find, er hat seine Leihbibliothek, in die er gewisse Werke einführen will, die den unkirchlichen Lehren den Garaus machen werden; er hat seine Traktätchen-Gesellschaft, welche die Koppel aller guten Weiber der Landschaft loslaffen wird, um die armen Tröpfe, die für Bekehrung empfänglich sind, aufzuspüren. Er hat eine neue Kirche an Stelle der alten zu bauen, die Unterzeichnungslisten liegen bereit; sein Feldzugsplan ist entworfen: er will predigen wie ein Geistlicher der Niederkirche, d. h. das Evangelium in seiner ganzen demokratischen Kühnheit lehren; während er andererseits, als echtes Mitglied der Hochkirche, alle Privilegien und alle aristokratischen Dienstverrichtungen, auf welche sie ein mehr oder weniger begründetes, ein mehr oder weniger beftrittenes Recht hat, für die Priesterschaft in Anspruch zu nehmen entschloffen ist. Mit einer solchen Mischung politischer Schlauheit und sittlicher Thatkraft mußte er nicht mit jedem Gegner fertig werden?.... (Schluß folgt.)

Spanien.

Das moderne Drama der Spanier. *)

VI. Don Ventura de la Vega.

Auch ein Vega findet sich unter den modernen spanischen Dramatikern, der aber freilich weder so fruchtbar noch so bedeutend wie sein berühmter Namensvetter ift. Immerhin hat er jedoch 70 Dramen gedichtet, worunter 13 fünfaktige, von welchen sich das historische Drama: „,D. Fernando el de Antequera", nach Inhalt und Form auszeichnet. Es idealisirt die Loyalität und ist ein Spiegel für alle Usurpatoren. Wäre es im Jahr 1852 geschrieben, so würde man darin ohne Zweifel eine starke Anspielung auf die Vorgänge in dem Nachbarstaate erblickt haben. So aber datirt es von 1847 und könnte deshalb höchftens als Inspiration gelten. Auch dadurch ist es merkwürdig, daß von Liebe in demselben keine Rede ist, während doch fonft selbst die geistlichen Dramen der Spanier nicht frei davon find.

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Die Geschichte spielt im Jahr 1407 zu Toledo, dem alten Königssize. Eben ist der König D. Enrique — uns aus Zorrilla's „König und Schufter" bekannt — gestorben, und der berühmte Vincente Ferrer hat mit gewöhnlicher Beredtsamkeit an seinem Katafalke gesprochen. Indeffen besaß Kastilien längere Zeit keinen König, da der Verstorbene immer krank war, und jezt ist sein Nachfolger, der Prinz von Asturien, erst zwei Jahr alt. Dabei rüftet Portugal, der König von Granada und der Herzog von Benavente, und auch innere Kämpfe, drohen das Land zu zerfleischen. Freilich ist noch der Oheim des Prinzen da, der weise Infant D. Fernando, die Hoffnung des Landes; allein ihn hat der kinderlose König von Aragonien, der gleichfalls auf dem Sterbebette liegt, zu seinem Nachfolger erwählt. Deshalb haben die kastilianischen Großen beschlossen, D. Fernando troß dem kleinen Prinzen zum Könige zu erheben, die Königin Mutter aber nach England heimzuschicken. Mittlerweile wird gemeldet, daß die Mauren bereits heranrücken. Umsomehr drängt Alles, auch Volk und Heer dazu, daß D. Fernando König werde. Aber zugleich entstehen schon Zwiftigkeiten im Kreise der Granden über die künftigen Hofwürden. Der Hauptintrigant ist der Connetable; doch erklärt er, als ehemaliger Erzieher D. Fernando's, diesen kennend, daß künftig kein Günstling, sonder nur er (Fernando) felbft regieren werde. — Indeffen hat auch D. Fernando das Anrücken der Mauren vernommen und beschließt, ihnen entgegen zu marschiren; allein die Granden verlangen vorher · einen König von ihm. Nach dem Testament sollen zwar er und die Königin Mutter gemeinschaftlich die Vormundschaft führen, allein diese ist keine Spanierin und scheint überhaupt eher hemmend wirken zu wollen. Dazu kommt, daß die Cortes das Geld zu dem Kriege

*) Vgl. Nr. 76 und 117 des „Magazin“ von 1857 und Nr. 8, 37 und

verweigern, so lange nicht D. Fernando König ist. Deshalb erHären ihm die Großen endlich geradezu, daß er die Krone annehmen müsse; auch die Cortes dringen in ihn. D. Fernando erkennt dieses Vertraven zwar an, spricht sich aber bestimmt dahin aus, daß er nie ein Kind berauben werde; mit den Feinden wolle er schon fertig werden, auch ohne König zu sein. Ferrer bestärkt ihn in diesen Grundsägen, da der Weg des Verbrechens nie zum Heile führe.

Da kommt die Botschaft: der König von Aragon sei gestorben, ohne Zeit gehabt zu haben, seinen Erben förmlich zu bestellen. Der Graf von Urgel habe einstweilen die Krone ufurpirt und allgemeine Verwirrung hervorgerufen. Ferrer eilt nach Aragon, um diesen zu stürzen.

Während dieser Vorgänge ist einer der Großen, D. Diego, nach Segovia abgereift, um Königin und Prinzen fortzuschaffen. So•bald D. Fernando dies vernimmt, will er Jemand nachschicken, allein kein Grande läßt sich dazu herbei, obwohl Jener die Connetablewürde als Lohn dafür bietet. Doch zum Glück ist die Königin schon auf dem Wege nach Toledo und erscheint alsbald hier, von allgemeinem Schweigen empfangen, das sie der Trauer um den König zuschreibt. Auf Befehl D. Fernando's verliest jest der Connetable Enrique's Testament, worauf die Königin erst erklärt, sie wolle nicht mitregieren und D. Fernando Alles überlassen, aber, wie sie nun hört, daß dieser die Mauren bekriegen will, troß Fernando's Zureden, heftig dagegen ftimmt. Da nimmt ihr der Connetable, dem Testamente gemäß, ihren Sohn und übergiebt ihn dem Oberrichter D. Diego zur Erziehung. Jeht will die Königin lieber das Testament annulliren als den Sohn laffen. Ein allgemeiner Sturm scheint losbrechen zu wollen, und schon dringen die erhigten Soldaten herein, da stellt sich D. Fernando rasch an ihre Spize. Er will sie gegen die Mauren führen, sein Vermögen, seine Edelsteine, seine Güter sollen die Geldmittel zu dem Kriege liefern, nach dessen Beendigung Kastilien feinen König von ihm empfangen foll.

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Während aber der Infant im Felde steht, wird die Stimmung der Großen immer schwieriger. Schon mehrmals hat der Connetable versucht, die Königin zu sprechen und ihr die Meinung des Adels gerade heraus zu sagen, aber sie hat ihn niemals vorgelassen. - Jn= zwischen kommt der Graf Urgel mit herabgelaffenem Visir nach Toledo und zum Connetable, dem er meldet, daß Urgel (d. h. er selbst) durch D. Fernando's Freunde, besonders durch Ferrer's Bemühungen, vom aragonischen Throne gestürzt sei, es ihm daher daran liegen müsse, D. Fernando als König von Kastilien zu wissen. Es sind nämlich neun Richter aufgestellt worden, welche die Rechte der verschiedenen Kron-Prätendenten von Aragon bestimmen sollen. Unter diesen Richtern befindet sich Ferrer, Urgel's Todfeind, und D. Fernando's Anhänger. Deshalb will Urgel die Kastilianer drängen, D. Fernando zu ihrem Könige zu machen, um von seiner Nebenbuhlerschaft in Aragon befreit zu sein. Zu dem Ende will Urgel vor Allem den Prinzen von Afturien entführen. Aber sie verrechnen sich im Hüter deffelben, D. Diego. Dieser war zwar früher der Ansicht des Connetable, allein jeßt fällt es ihm nicht ein, eine Persönlichkeit fahren zu laffen, die ihm selbst Wichtigkeit verleiht. Er weist jedes Anfinnen, selbst mit Gewalt, zurück. Jeşt redet der Connetable der Königin ein, er wolle ihr das Kind verschaffen, aber eben deshalb wolle es D. Diego nicht herausgeben. Er beschwört sie auf den Knieen, Kaftilien zu verlassen und auf einen Thron zu verzichten, der doch nur unheilvoll sei; der Prinz werde nur unglücklich werden. Endlich giebt sie nach und hat bereits das Schreiben aufgefeßt, worin fie D. Diego abseßt. Da kommt die Nachricht, daß D. Fernando die Mauren geschlagen und Antequera erftürmt habe. Es drängt somit die Zeit, denn kehrt D. Fernando zurück, so zerreißt er alle Gewebe des Connetable. Dieser fordert daher D. Diego auf, feinem früheren Versprechen gemäß, für D. Fernando zu wirken. Allein dieser gesteht nun selbst zu, daß er jezt bei dem Prinzen zu werden hoffe, was der Connetable bei dem Infanten sei, und deshalb laffe er Jenen nicht; da zeigt ihm der Connetable seine von der Königin unterzeichnete Entlaffung als Erzieher. Jest willigt D. Diego ein. Es wird beschloffen, daß die Königin sofort ihre Abdankung unterzeichnen solle, dann wollten die Granden D. Fernando zum Könige ausrufen und ihm diese Nachricht nach Antequera bringen.

Allein D. Fernando ist bereits verkleidet da. Er steht unter den Kriegern, welche die Botschaft gebracht haben, und hat Alles mit angehört. Da er nun nicht will,,,daß eine Zeit erschiene,

Wo, seinen Ehrgeiz mit

Erlognem Schein vergoldend,
Ein Usurpator auf

Mein Beispiel sich berufen könnte,"

so spricht er mit der Königin ernstlich über die Zukunft. Sie, in der Meinung, er sei nur gekommen, um sie noch mehr zu drängen, schmäht ihn. Doch er enthüllt ihr nun seinen wahren Charakter in überzeugen der Weife und bestimmt sie, zu bleiben und dén Khron nicht aufzugeben,

da sie dadurch nur den Haß ihres Sohnes auf sich laden würde. Erschüttert von der hohen Tugend des Infanten, bittet sie ihn um Verzeihung. Aber D. Fernando ist ohne Macht; er erwartet eine Hülfsschaar aus Aragon, um die aufrührerischen Granden dadurch zu zähmen.

Doch die Zeit verstreicht, und die Aragonesen kommen nicht. D. Diego ist in äußerster Unruhe, ob er D. Fernando oder den Granden folgen solle. D. Fernando, der den Prinzen übrigens bereits in Empfang genommen, redet ihm zu, seine Pflicht zu thun; doch gegenüber seinem Freunde Gutierrez muß D. Fernando bekennen, daß in der eigenen Bruft ein Kampf zwischen dem Rechtsgefühl und der Sorge für das Wohl Kastiliens bestehe. Trog Allem, was er für die Prinzen gethan, wisse er nicht, ob er eigentlich recht thue. Indessen versammeln sich die Großen. Graf Urgel schwört, den Prinzen gut zu behandeln, ihn aber nie nach Kastilien zu lassen, um seine Rechte dort geltend zu machen. Der Schmerz der Königin erschüttert die Granden. Keiner will mit ihr sprechen; endlich entschließt sich der Connetable mit schwerem Herzen dazu. Sie soll zu Gunsten D. Fernando's schriftlich auf die Krone verzichten, doch sie weigert sich auf das entschiedenste.

Da erklären die Granden, der Prinz müsse fort, auch ohne fie. D. Diego wird gerufen. Da D. Fernando fich nicht, wie er versprochen, zeigt und Diego willfährig scheint, unterschreibt die Königin endlich voll Verzweiflung.

Da erscheint von Aragon her eine starke Schaar vor der Burg, die man für Urgel's Begleiter hält und einläßt. Während jeßt D. Fernando, durch diesen neuen Beweis von der Schwäche der Königin betroffen, unschlüssig schwankt, ob er nicht dennoch die Krone aus diesen schwachen Händen nehmen soll, verbreitet sich große Bestürzung unter den Granden, denn nirgends ist der Prinz zu finden. Aber auf einmal erscheint D. Gutierrez an der Spiße der Aragonesen, und im Hintergrunde zeigt sich D. Fernando auf dem Thron. Er fordert die Granden zur Huldigung auf, und sie knieen; doch wie sie sehen, daß er den Prinzen, der hinter ihm versteckt war, auf den Thron seßt und die Huldigung für D. Juan II. verlangt, erheben sie sich wieder, werden nun aber von den Aragonischen Rittern zur Huldigung gezwungen. D. Fernando ist selbst der Erste, der das Knie beugt. Jezt tritt der heilige Vincente Ferrer mit der Krone von Aragon ein, die er D. Fernando als Lohn seiner Tugend bringt. Zum Schluffe läßt dieser die Königin schwören, D. Juan II. niemals die Verschwörung der Granden gegen seine Krone zu entdecken, um jeden Rachegedanken von ihm fern zu halten.

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Wenn ein Drama ohne alle geschlechtliche Beziehung eines großen, wo nicht des größten Reizes entbehrt, so wird es noch schwerer, für daffelbe Intereffe zu erwecken, wenn der Held, wie hier, als makelloses Tugendmuster dargestellt wird. In der That hätten wir gewünscht, daß er in seiner eigenen Bruft größere Leidenschaften zu bekämpfen gehabt hätte, die den Leser über seinen leßten Entschluß einigermaßen im Zweifel erhalten hätten. Wenn ihm zum Beispiel die Hand einer Geliebten nur unter der Bedingung zugesagt worden wäre, daß er die Krone von Kastilien erwerbe, so würde ohne Zweifel der Kampf zwischen Liebe und Loyalität ein erhabenerer geworden sein. Nichtsdestoweniger bietet das Drama, wie sich schon aus der Erzählung der Thatsachen ergiebt, zahlreiche, lebendige und spannende Situationen. Einige Scenen find sogar gar zu effektreich und streifen an das Spektakelstück. Größere Individualisirung der Charaktere wäre, wie bei so vielen spanischen Dramen, wo die Personen mehr als Typen denn als Individuen erscheinen, auch hier zu wünschen gewesen. Der Charakter D. Fernando's erinnert in seiner großartigen Selbstverleugnung an den des Capitain in „König und Schufter“, obwohl die Motive verschiedene sind. G.

Griechenland.

Die Politik Englands gegen Griechenland und ein Brief George Canning's.

Bekanntlich hatte im Jahre 1827 die griechische Frage das Intereffe der englischen und französischen Regierung in hohem Grade rege gemacht. Der englische Minister, George Canning, war selbst deshalb nach Paris gereift, um mit dem Grafen Villèle, dem PremierMinister Karl's X., hierüber zu verhandeln und über das Schicksal Griechenlands fefte Bestimmungen zu treffen. Karl X., der nicht ́ weniger als Canning ein warmer Freund und Wohlthäter der Griechen war, empfing den englischen Minister mit besonderem Wohlwollen, und Leßterer erlangte in Folge mehrerer und ausführlicher Besprechungen mit dem Grafen Villèle endlich die Zustimmung der französischen Regierung. Mit Bezug hierauf schrieb Canning an einen Freund in England, der an der Sache selbst lebhaftes Intereffe nahm, folgenden Brief, der zur Kenntniß der damaligen Politik Englands und Frankreichs nicht unwichtig ist, gleichwohl aber weniger bekannt geworden zu sein scheint, als er es wohl verdient.

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